Chronik.Ereignis1032 Besuch aus Albernia 05

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Baronie Yasamir, Rondra 1032 BF[Quelltext bearbeiten]

Durch die Heide Caldaias[Quelltext bearbeiten]

Autor: Jan Ida

Die Gassen waren voller als noch zu der Zeit, als sie das Haus Ambroschs betreten hatten und sie kamen nur langsam vorwärts.

Doch endlich hatten sie das Tor hinter sich gelassen. Der Baron folgte ein Stück den Serpentinen den Hügel herunter. Dort sah Selina dann auch zum ersten Mal bewusst die weißgekalkte, runde Kornmühle. An ihr vorbei ging ein schmaler, etwas steilerer Pfad die Hügelkette hoch, auf der Yasamir lag. Sie schien die direkte Verlängerung der Gipfel des Amboss.

"Wir müssen im Bogen um die Stadt herum, damit wir auf die andere Seite des Hügels kommen", erkärte Jan.

Auf einem bequemeren Wegstück fragte Selina: „Wieviel werdet Ihr wohl für solch eine Pumpe zahlen müssen wie die von Meister Ambrosch?"

Der Baron zuckte mit den Schultern.

"Schwer zu sagen - ich werde ihm einen kleinen Beutel mit Münzen in die Hand drücken. Und dann wird er mir sagen, was er an Material braucht. Natürlich beginnt dann das Gefeilsche."

Es schien ein großer Bogen zu sein, denn irgendwann verschwand die Stadt außer Sicht. Praios hingegen drehte scheinbar immer weiter auf ihre rechte Seite. Es ging gen Norden.

Der Pfad war steinig, die Hänge in der Ferne zusehends kahler, scheinbar bestanden mit trockenen Büschen. Es schien, als wären sie an einer Wetterscheide, an der schmalen Grenze zweier Landschaften.

Schließlich wurde der Weg ebener. Noch einmal bogen sie um einen trockenen Busch. Ein langes und sanftes Gefälle lag vor ihnen. Der Boden wurde sandig. So konnten sie schneller reiten. Sie sah, dass dieser Pfad sich scheinbar bis zum Horizont erstreckte. Flankiert von Büschen und rotem Yasalin.

"Willkommen in Caldaia!", sagte Eslam.

„Ein schönes Stück Land." Selinas Stimme sagte noch mehr als ihre Worte, wie sehr ihr diese Landschaft gefiel. Vielleicht gefiel sie ihr auch nur wegen des sandigen Pfades, der dazu einlud, das Pferd zu einer schnelleren Gangart anzutreiben. Jetzt einen dieser Renner unter sich zu haben, die sie vor Punin versucht hatte!

Der Baron schien ihre Gedanken zu erahnen und drückte seinem Pferd die Hacken in die weichen Flanken. Es machte einen Satz nach vorne, dann wurde es weiter angetrieben zu einem schnellen Trab. Eslam lächelte und preschte hinterher, nicht ohne kurz seinen Caldabreser zu lüpfen.

Selina lächelte froh und hielt ihr Pferd noch zurück, das den andern beiden sofort hinterher wollte. „Fühlst dich wohl einsam hier draußen", murmelte sie spöttisch. Erst als der vom Sand gedämpfte Hufschlag der Tiere fast nicht mehr zu hören war, liess sie die Stute in kurzem Galopp der frischen Spur im Sand folgen, die sich zwischen den Büschen entlang wand. Nach und nach liess sie sie weiter ausgreifen, bis sie zu den beiden Männern aufgeschlossen hatte.

"Ho, Domna Castos!", sagte der Baron. "Da seid Ihr ja! Ich befürchtete schon, wir hätten Euch verloren. Ah - seht Ihr das?"

Er nickte in Richtung eines großen, grünen Strauches wohl um die fünf Schritt hoch.

"Quitten! Kennt Ihr eigentlich Valposella? Man macht recht gute hier. Die Laune der Caldaier scheint es freilich kaum zu heben."

„Nanana, Jan, und das wagst du mir mitten in Caldaia zu sagen! Kein Wunder, dass die Caldaier sauer sind, wenn ihre Gäste solche Bemerkungen machen!", scherzte Eslam.

"Du weißt, wie ich es meine", gab Jan versöhnlich zurück.

„Und das ist dein Glück, du ungehobelter Klotz!", gab Eslam lachend zurück, „sonst würdest du dich jetzt vor meiner Klinge sehen!"

Dass Selina ärgerlich die Brauen zusammenzog ob der Vermutung, sie könne auf einem Ausritt verloren gehen, fiel nicht weiter auf bei dem gegenseitigen Necken der Männer. „Valposella? Ich glaube, ich habe einmal welchen getrunken auf der Reise. Aus Quitten kochte man bei uns Marmelade, aber man brannte nichts aus ihnen, glaube ich."

Sie wirkte für einen Moment sehr verwirrt.

"Na ja - unverarbeitet schmecken Quitten jedenfalls nicht. Aber die gute Valposella befriedigte wohl auch schon die besonderen Schwächen eines gewissen Kaisers."

Er lachte kurz und sein Gegenüber war froh über die Ablenkung. „Selbst diese wurden ja zu Tugenden umgedeutet… Je größer die Schwäche, desto eher hat man wohl das Glück, dass sie als Tugend verklärt wird", kommentierte sie ein wenig verächtlich. „Es gäbe viele solche Heilige der Schönen, wenn sie sie nur in den Gassen des Orkendorfes suchen gingen."

Der Baron nickte wissend.

"Orkendorf, ja? Havena. Soll eine üble Gegend sein, habe ich gehört. Dunkle Gassen, Schmutz, blitzende Messer in der Dunkelheit... Wenn ich es recht überdenke, gibt es das überall. Wie dem auch sei: Eine gute Valposella habe ich auch noch im Keller, auch wenn sie kein Vergleich zu Eslams Wein ist. Sagt nur ein Wort, dann will ich Euch ein Fläschchen mit auf den Weg nach Albernia geben."

„Dank Euch, Dom Ida. Eure Tante würde sich sicher über solch ein Mitbringsel freuen. Sie sieht das Orkendorf sehr dramatisch… vielleicht stellt sie es sich wie in einem Theaterstück vor."

Jan lachte.

"Ein Theaterstück? Dann wohl ein Drama, denke ich. Nein, nein. Die Geschichten stammen von meinem Vater. Er ist aus Gwydin - und ich erblickte Praios’ Antlitz zuerst in Havena. Aber sagt es nicht den Almadanern... Manch einer hat Vorbehalte gegen Rescendientes."

Er machte eine gespielt verschwörerische Miene.

Selina erriet aus dem Zusammenhang, dass ‚Reskedentes’ wohl Leute waren, die nicht aus Almada selbst stammten. Aber wen sollte das schon interessieren, und wen kannte sie hier, mit dem sie über die Angelegenheiten ihres Gastgebers reden würde? Niemanden. So nahm sie Jan Idas scherzhafte Bitte eher verständnislos auf.

"Wie dem auch sei:", meinte dieser, „Wir sollten uns beeilen. Es wird bald unangenehm warm werden, wenn man es nicht gewöhnt ist. Besser wir sind dann in Torrefalcó im Schatten."

Diese Bemerkung ließ jäh Ärger in ihr wachsen. Brauchte sie vielleicht eine Amme? Sie trieb ihr Pferd hart vorwärts, ohne ihrem Gastgeber zu antworten, und schnitt dabei Eslams Pferd den Weg ab. Der Rebenthaler war kurz erschreckt, doch dann lachte er, ihr einen respektvollen Blick zuwerfend.

Davon abgesehen, hatte der Baron wohl Recht. Hier in der Ebene wurde es ein wenig drückend - zumal es im Efferd nicht wirklich kühler war als noch im Rondra. Der Staub trug sein Übriges dazu bei.

Sie waren bereits eine Weile unterwegs. Die Vegetation am Horizont hatte eine andere Färbung angenommen. Weniger Rot mehr ins Grün oder Gelb gehend.

Dort war ein Ort mit weißen Häusern in einer Senke, umgeben von Feldern. Einige der Gebäude gruppierten sich um einen großen Platz, andere lagen wie dahingestreut am Rande. Sie wirkten kleiner, bescheidener.

Die Gruppe folgte dem Weg, den offenkundig regelmäßige Benutzung gut begehbar gemacht hatte, auch wenn er kaum mehr als ein breiterer Karrenweg war. Beiderseits lagen zwei halb abgeerntete Felder. Knechte und Mägde waren nirgendwo zu sehen.

Es war recht heiß geworden inzwischen, aber Selina würde den Namenlosen tun und das auch nur erwähnen. Die Leute waren wohl schon bei ihrer langen Mittagspause, man lebte auch hier wohl erst am Abend richtig auf, wie sie es fast überall auf ihrer Reise beobachtet hatte. Selbst kleine Kinder rannten am späten Abend noch auf den Gassen herum und spielten oder bummelten an der Hand der Eltern durch die Strassen. Da die Heide mit dem roten Yasalinkraut hinter ihnen lag, musste das hier vor ihnen wohl Torrefalcó sein. Selina schaute sich neugierig um, ob sie wohl einige Tiere auf den vermuteten Pferdekoppeln sah. Sie wollte gerne selbst sehen, wie viel oder wenig Sachverstand der Vater des Leutnants besaß. Urplötzlich kam ihr der Gedanke, ob letzterer sich wohl mit einer seiner Bemerkungen über seinen eigenen Vater lustig gemacht hatte.

"Nun wohl - das ist Torrefalcó", sagte der Yasamirer - eigentlich überflüssigerweise. "Es gibt eine kleine Taverne hier mit Blick auf den Marktplatz. Dort bleiben wir ein Glas oder zwei bis Praios nicht mehr so unbarmherzig brennt."

"Ich frage mich, ob sie das Rote-und-Weiße-Kamel-Spiel noch dort haben", warf Eslam ein, während sie langsam in die fast menschenleere Stadt ritten.

"Vielleicht...", entgegnete Jan und sein Blick glitt prüfend zu einem einstöckigen Gebäude zu ihrer Linken.

Es sah deutlich aus, als hätte es schon bessere Zeiten gesehen. Mit bröckelndem Putz und knochentrocken wirkenden Holzläden wirkte es verlassen.

Das Haus sah einfach nur schäbig aus, kein bisschen malerisch, wie sonst viele Gebäude, denen man ihr Alter ansah. Vielleicht lag es auch an der unbarmherzigen Mittagsglut der Praiosscheibe, dass es so wirkte. Selina blinzelte den Schweiss und Staub so gut es ging aus den Wimpern, musterte dann die Häuser in der Nähe, die eindeutig besser erhalten und bewohnter aussahen.

„Schade, dass das Haus so verkommen muss", meinte sie.

"Wird nicht mehr bewohnt. Wie einige Häuser hier.Seit die Mine vor vierzehn Jahren geschlossen werden musste, sind einige Bergleute weggezogen. Nicht alle haben das Angebot meines Vaters damals angenommen als Bauern oder Schäfer hier zu bleiben. So hat die Stadt die besten Zeiten hinter sich."

Er neigte den Kopf.

"Eine Schande! Dabei muss es in der Mine noch genug Eisen geben."

Nun verstand Selina die vergleichsweise riesigen Fenster in dem Gebäude. Die Bergleute wollten soviel Licht wie möglich haben in ihren Häusern nach der Dunkelheit im Berg, hatte Galydia einst erklärt.

„Warum wurde sie dann geschlossen?"

"Wegen der Kosten. Die oberen Bereiche der Mine sind erschöpft und dort wo noch Eisen abzubauen sein müßte, steht das Wasser. Ohne gute Pumpen geht da gar nichts. Am besten wäre aber den Zufluss zu unterbrechen. Meister Ambrosch sagte, die Zwerge verwenden einen Mörtel, den sie Batangr nennen, um so etwas dicht zu bekommen."

Er zuckte mit den Schultern.

"Aber die Kosten...!"

„Es muss wahrhaftig sehr teuer sein…", pflichtete Selina bei, innerlich halb überzeugt, dass Galydia wohl umsonst auf Geld aus Almada hoffte, wenn die eigene Mine dem Baron zu teuer war. „Wenn es Wind gäbe im Berg, könntet Ihr wohl mit einer der Maschinen Meister Ambroschs das Wasser wegpumpen." Aber insgesamt, wer würde wohl in ein Bergwerk steigen, in das ständig Wasser sickerte, in dem man jeden Moment ertrinken konnte?

"Wind wäre gut", sagte Jan lächelnd. "Leider stehen im Moment Einnahmen und Ausgabe in keinem vernünftigen Verhältnis."

"Vielleicht sollte Dein Vater einen Djinn des Erzes beschwören, der das Problem erledigt. Das wäre wahrhaftig billiger.", setzte Eslam launig hinzu.

Sie ritten auf den staubigen Marktplatz. In einem Eckgebäude war tatsächlich eine Taverne mit einem Stall und einer schattigen Veranda. Auf ihr standen einige Stühle und zwei Tische. Niemand war auf der Veranda zu sehen, doch als sie näherkamen, erkannten sie den Wirt, der in einem Schaukelstuhl in der Tür zur Veranda sass und es sich bei einem Glas wohl sein liess.

Der Baron stieg ab und brachte sein Pferd zur Tränke in der Nähe des Stalls. Nachdem das geschehen war, wandte er sich dem Wirt zu.

"Das Übliche", sagte er und ging zum nächstgelegenen Tisch.

Der Wirt stand auf, auch wenn ihm die Störung nicht ganz gelegen zu kommen schien. Er erhob sich etwas mühsam.

"Sehr wohl, Dom Ida" Er blickte Eslam an. Der Rebenthaler nickte nur, zwei Finger zum Gruß an seinem Caldabreser.

Selina ließ sich Zeit an der Tränke, nachdem ihr Pferd getrunken hatte, nahm sie ihm die Trense aus dem Maul und lockerte den Sattelgurt, ehe sie es anband und die Hufe reinigte, dann kam sie herüber. „Travia zum Gruße, Herr Wirt."

"Was darf es für Euch sein, Domna Castos? Wasser, Wein, Bier... Valposella?", fragte der Baron, während der Wirt erwartungsvoll im Türrahmen stehen blieb.

Sie schüttelte den Kopf beim Stichwort Valposella, „Nur Wasser und etwas Wein dazu."

Langsam zog sie die Handschuhe aus und setzte sich dann auf den Stuhl neben Jan Ida.

Der Wirt nickte und ging, um die Bestellung zu holen.

"Wohlan- das ist auch bei mir das Übliche", sagte der Baron. Er zog dabei unvermittelt die Schublade unter der Tischplatte auf.

"Ah!", entfuhr es ihm nach einem Blick hinein. "Wir haben Glück, Eslam."

Jan griff in die Schublade und zog ein Kistchen hervor, in dem es klapperte.

"Kennt Ihr eigentlich Rote-und-Weiße-Kamele, Domna Castos?", fragte er und erst jetzt sah sie, dass die Tischplatte eine Art Spielfeld zu sein schien.

„Ich hatte nie besonderes Talent dafür und habe es seit Ewigkeiten nicht mehr gespielt."

Galydia hatte natürlich ein solches Spiel. Petroq hatte Freude daran gehabt. Damals. Sie hatten es auf Lyllstein gespielt, wann immer sie dort gewesen waren. Und als sie immer seltener dort waren, hatte sie schließlich ein Spiel für ihn gekauft, das er nicht mehr gesehen hatte. Es lag zusammen mit anderen Erinnerungen in… Ja, es lag noch in Völs, sie hatte es nach Petroqs Tod aus ihrem Gedächtnis verbannt und mit anderen sehr persönlichen Dingen in der untersten Schublade im Schrank der Schlafkammer verschlossen, den Schlüssel hatte sie fortgeworfen. Sinnend sah sie ins Leere, bis Eslams Schatten in ihr Blickfeld fiel und sie aus den Erinnerungen riss.

"Nun - dann solltet Ihr Eure Fähigkeiten vielleicht ein wenig auffrischen. Wir haben im Moment nichts Besseres zu tun. Eslam..."

Der Rebenthaler nickte.

"Eine ausgezeichnete Idee. Nehmt nur meinen Platz ein." Er lächelte verschwörerisch. "Aber ich muss Euch warnen, Dom Jandur spielt gut."

"So gut auch nicht", wiegelte der Baron ab, das Kistchen leerend. "Ich kann Euch weiter beruhigen, es ist die einfache Version mit 40 Steinen."

Er blickte kurz auf, als der Wirt mit ihren Getränken ankam. Zu Selinas Überraschung hatte auch Eslam das Gleiche bestellt.

"Schreibt es bitte an wie üblich. Ich gleiche es bei Gelegenheit aus." Er wandte sich ihr erwartungsvoll zu. "Nun?"

Sie wollte nicht spielen. Das Spiel gehörte zu einem früheren Leben und die Vergangenheit sollte man besser ruhen lassen. Aber sie konnte diese Herausforderung nicht ablehnen, schon gar nicht nach der „beruhigenden" Feststellung, dass es nur das einfache Spiel war. Ihr Gastgeber hatte eine seltene Gabe sie zu provozieren – nein, sie war gar nicht übermässig selten, eigentlich war sie typisch für die Helmans. Diese fürsorgliche Art, die man Alten und Kindern gegenüber zeigte.

„Gern doch, wenn es Euch nichts ausmacht zurückzustehen", erwiderte sie hölzern, Eslam ansehend. „Schließlich freutet Ihr Euch auf das Spiel, Dom von Rebenthal." Ein vergeblicher Versuch.

Eslam zögerte kurz.

"Macht Euch keine Gedanken", sagte er. "Wir haben sicher Zeit für zwei Spiele. Ein Glas bleiben wir wohl hier, um den Menschenmassen zusehen, wie sie über die Plaza gehen."

Natürlich vergeblich. Sie hoffte nur, dass man ihr die Verstörtheit nicht zu sehr ansah.

Eslam blickte über den staubigen Platz. Niemand war dort, weder vor den Läden dreier Handwerker noch vor dem trutzigen Turm gegenüber. Er wirkte sehr alt, zeigte nicht jene Verspieltheit manch anderer Gebäude. Der Scherz war vergeudet, Selina bemerkte die Ironie seiner Bemerkung nicht einmal. Sie blickte auf das Häufchen roter Steine und versuchte, ihre Gedanken zu disziplinieren.

Der Baron teilte die Spielsteine aus, bis auf jeweils einen. Er schüttelte die beiden Steine mit zusammengefalteten Hände. Dann nahm er sie auseinander. Jan legte seine Fäuste auf den Tisch.

"Wählt Eure Farbe... Rechts oder links?"

„Ro.. echts."

"Meine Linke also", folgerte der Baron - und öffnete langsam die Hand. In ihr lag tatsächlich ein roter Spielstein.

"Gut geraten, Domna Castos."

Er verteilte die Spielsteine und da ihm Weiß zugefallen war, begann er mit seinem Zug. Langsam, vortastend, überlegt.

"Nun wohl... Ihr seid."

Sie sah auf die Tischplatte und merkte, dass sie die Bedeutung der Felder auf dem Spielfeld nicht begriff, nicht verstand, wie Jan vorwärts gehen wollte. Nun, das war nichts Neues.

Sie versuchte sich zu konzentrieren und sich an die Regeln zu erinnern und setzte zögernd ihren Stein. Ihre Augen blieben auf der Tischplatte, als sie nickte, um Jan Ida anzudeuten, dass sie fertig sei mit ihrem Zug.

Der Baron nahm einen Stein - zögerte, blickte über den Platz. Zum Turm an seinem Ende.

"Ach schau, Eslam. Ramontis ist anwesend."

Er wandte sich wieder dem Spiel zu und setzte sein Kamel ein wenig versetzt vom anderen auf das Spielfeld.

Eslam äugte hinüber und blinzelte, um im hellen Mittagslicht besser zu sehen: „Tatsächlich, das ist Ramontis. Ich hätt’ ihn fast nicht erkannt, er sieht sehr wohl… aus in letzter Zeit, meinst du nicht auch, mein Freund?"

Selina blickte zuerst nicht auf, als die beiden über einen Ramontis sprachen, sie betrachtete vielmehr Jan Idas neuen Stein auf dem Spielfeld und setzte ihren zweiten Stein schließlich auf gut Glück, solange nur so wenige Steine im Spiel waren, konnte nicht viel geschehen. Erst dann warf sie einen Blick über den Platz, gerade lang genug um eine Figur am anderen Ende des Platzes zu erfassen, dann versank sie wieder in die Betrachtung der Steine auf dem Tisch.

"Gut genug für einen Mann seines Alters", räumte Jan ein. "Er war ein guter Fechter zu seiner Zeit. Das und der Respekt der Leute hält ihn jung, denke ich. Die Geschichten von der Schlacht im Sumiswald und der Erstürmung der Falkenburg zusammen mit meinem Vater... Das ist eine Legende. Auch wenn es den Leuten wohl lieber gewesen wäre, mein Vater hätte die Burg ohne Magie genommen."

Er sagte das halb zu Eslam und halb zu Selina.

„Du hast ja Recht", meinte Eslam. „Ich vergesse immer, wie alt Ramontis schon ist. Wenn er sich nicht die Haare färben würde, dann würd’ ich mich vielleicht an sein eigentliches Alter erinnern. Aber ich kann verstehen, dass er kein altes Zerrbild seiner eigenen Legende darstellen will. Es muss immer schwerer für ihn sein, in den Spiegel zu sehen. Da haben wir es einfacher, uns wird niemals eine Legende nachlaufen und unsre Erscheinung verhöhnen, wo immer wir uns sehen lassen!" Er lachte, keineswegs betrübt darüber, nicht Teil einer Legende zu sein.„Magie… ich glaube, die Leute übertreiben da maßlos, oder? Dein Vater war doch nie jemand, der Blitze durch die Gegend schleudert!"

Jan lachte kurz.

"Die Leute übertreiben immer", pflichtete er bei. "Nein - mein Vater hat sich immer für andere Dinge interessiert. Wie die Alchimie. Er hat ja in Elenvina und Lowangen gelernt. Obwohl - einen veritablen Feuerzauber kann er wohl auch. Ich weiß nicht, was er eingesetzt hat, aber es war ein kluger Zug vom Kaiser meinem Vater die Baronie zu überlassen, um ihn seinen Vorgänger selbst vertreiben zu lassen."

Selinas Miene spiegelte ihre Missbilligung für den Einsatz von Magie bei der Erstürmung der Burg nur allzu deutlich, doch sie hielt die Augen auf die Spielfläche gerichtet und schwieg. Sie war nicht hierher geschickt worden, um ihre Meinung zu Magie kundzutun. Doch sie bemerkte dankbar, dass dieses Thema mehr und mehr Platz in ihrem Denken beanspruchte und anderes verdrängte.

"Ihr seid so still, Domna Castos", wandte Jan sich wieder an sie. "Ist etwas? Oder grübelt Ihr noch?"

Die Angesprochene antwortete nach einer kleinen Pause mit vom Heidestaub rauer Stimme: „Bitte entschuldigt. Ich versuche, mich an die Regeln dieses Spiels zu erinnern." Sie griff ohne hinzusehen nach ihrem Glas und trank es aus.

Der Baron nickte.

"Nun - vielleicht kann ich Euch aushelfen.", bot Eslam an. "Wenn Ihr mögt..."

Selina hob jäh den Kopf, spiegelte sich im allerersten Moment noch Erleichterung in ihrem Gesicht, blitzte im nächsten schon Zorn aus ihren Augen. Der hielt sich einige Augenblicke und wich dann ihre üblichen Reserviertheit.

„Wenn Ihr mir das Wichtigste kurz sagen könntet?", antwortete sie verlegen.

Der Rebenthaler lächelte freundlich.

"Sicher, Domna", sagte er herzlich. Dann begann er die Regeln darzulegen. In aller Ruhe - wobei ihn die wenigen Zwischenfragen ganz und gar nicht zu stören schienen.

"Nun - ich denke, dass sollte für den Anfang reichen. Mehr Rat kann ich nicht geben, sonst weiß Jan, welche seiner Züge ich durchschaue."

„Dank Euch, Dom von Rebenthal. Es wird hoffentlich reichen, dass sich Dom Ida nicht allzu sehr langweilt beim Spiel." Selina betrachtete mit dem neu gewonnen Wissen kritisch ihre zwei Steine auf dem Tisch, aber an den beiden gab es soweit nichts zu bemängeln, so verschob sie den zweiten Stein nicht noch einmal.

„Euer Zug, Dom Ida."

Jan betrachtete ein Weile die Aufstellung und lächelte.

"Sehr klug", sagte er - und konterte.

So machten sie Zug um Zug, wobei Selina zusehends sicherer wurde. Die Partie wurde schneller, erhitzter. Sie zogen die Kamele von Oase zu Oase, nahmen ihrem Gegner hier und dort Punkte ab. An einem Punkt war das Spiel durchaus ausgeglichen, was jedoch kaum an Selinas Können lag. Vielleicht eher noch an einer gewissen unbewussten Rücksichtnahme ihres Gegners. Selinas Züge entsprachen zwar den Regeln, aber sie waren zu waghalsig, und was sie gewann, verlor sie ebenso schnell wieder. Sie nahm beides ruhig hin; als die Häufchen eigener Steine neben dem Spielfeld sichtbar dahinschmolzen, spielte sie mit etwas größerem Eifer als zu Beginn.

"Ihr lernt schnell", räumte der Baron ein. Und er schien es durchaus ehrlich zu meinen. Kein Spott lag in seinen Worten. "Wir haben nur noch wenige Steine und die Möglichkeit, Punkte zu machen."

„Ihr seid nachsichtig mit mir", erwiderte sie gleichmütig. „Erspart mir einfach die Schmach dieses Spiel zu gewinnen."

Jan schüttelte den Kopf.

"Tut mir Leid, Euch zu enttäuschen, aber die restlichen Punkte sind bei mir bis auf einen. Prüft es nach."

Er nahm seinen Caldrabreser zur Hand.

"Außerdem denke ich, dass es an der Zeit ist aufzubrechen."

Selina verbarg ihre Verwunderung darüber, dass Jan Ida das Spiel einfach abbrach.

„Ihr enttäuscht mich nicht, höchstens Euren Freund, der mit Euch spielen wollte" Sie sah zu Eslam hinüber und machte eine entschuldigende Handbewegung. „Es tut mir leid, Euch um Euer Spiel gebracht zu haben."

"Keine Gedanken deswegen", wiegelte der ab. "Die Revanche ist mir sicher. Nicht wahr, Jan?"

Der Baron lachte, rückte betont aufmerksam den Caldabreser zurecht.

"Natürlich. Ich werde Dich nicht darum bringen. Zu Hause habe ich auch ein Spielbrett."

Er nickte dem Wirt zum Abschied zu.

"Wie besprochen. Ich gleiche es aus."

Dann machten sie sich auf den Weg. Selina ging hinüber zu ihrem Pferd und machte es reisefertig. Die Männer folgten ihr.

Bald war man wieder auf dem Weg, weiter über die Plaza der Villavieja, nahe am Turm vorbei. Doch vom alten Vogt war keine Sur mehr zu sehen.

"Dieser Staub zieht manchmal rüber von der alten Mine", erklärte Jan. "Es wird besser, wenn wir in den Wald kommen. Nördlich von hier ist ein Wald, man nennt ihn hier den Wald von Elforja. Lichte Birken, gut für manche Jagd."

Selina sah ihren Gastgeber verwundert an: „Birken? Ist es dort sumpfig?"

Sie hatten in vielen verschiedenen Waldgegenden gelebt in den letzten Jahren und Birken waren für sie fast untrennbar mit nassem, oft sumpfigem Boden verbunden. Für die Jagd war dieser Boden wirklich gut gewesen, auch wenn das größere Wild sich nicht lange in diesen Gegenden aufgehalten hatte, wenn es trockenere Gegenden in der Nähe gab.

"Oh, nein!", sagte Jan. "Es ist trocken dort. Birken wachsen überall - auch in der Heide von Caldaia. Der Vorteil ist: Die Bäume stehen weit auseinander und man kann weit sehen. Erst recht vom Pferd aus. Aus dem Grund hat einer meiner Vorgänger dort oben auch ein Jagdschlösschen errichten lassen."

Bald waren sie wieder auf einem Pfad - diesmal nach Norden. Der Weg war fast nicht erkennbar, schien aber ganz offenkundig in den erwähnten Wald zu führen.

"Es gibt sonst nicht viele Menschen dort. Hier dort einige Hirten in Elforja. Keine hundert Seelen."

Selina zog die Brauen zusammen ob dieser Belehrung. „Ach?" meinte sie deutlich sarkastisch, fügte dann aber doch eine Erklärung an: „Ich habe viel Wald gesehen in den letzten Jahren, das könnt Ihr wohl glauben. Und auch in der roten Heide heute morgen. Aber sie fielen mir nirgends so sehr auf wie knorrigen weißen Stämme im Sumpfland."

Der Baron nahm die Bemerkung gleichmütig auf und ließ sein Pferd langsam dahin trotten. Dennoch dauerte es nicht lange, bis sie den Rand eines Birkenwäldchens erreichten. Das Gehölz behinderte ihr Vorankommen kaum und auch die Sicht war leidlich. Gut genug zumindest, um in der Ferne eine Bewegung zu erahnen. Der Größe nach ein Reh oder etwas Ähnliches.

Weiße-schwarze Bäumen und hellgrünes Laub zogen an ihnen vorbei bis sich eine Lichtung auftat, auf der ein rundes Gebäude stand. Nicht sonderlich groß, vielleicht zehn bis fünfzehn Schritt um Durchmesser. Es war kein massives Gebäude, mehr ein Pavillon mit mehreren Räumen aus Holz und Fachwerk in eslamidischem Stil. Und doch machte Jan keine Anstalten dort einzukehren.

"Ich denke, wir reiten einmal hoch bis zur Grenze und dann im weiten Bogen zur Reichsstraße. Es ist schon spät."

Selina nickte zu Jans Worten, aber zuerst betrachtete sie dieses sehr leicht wirkende Gebäude neugierig. „Das ist das Jagdschloss? Es sieht gut erhalten aus, nutzt Ihr es eigentlich noch?"

"Oh- ja", sagte der Baron darauf. "Ich habe das Gebäude ja erst vor einigen Jahren herrichten lassen. Seitdem bin ich mehrfach im Jahr hier - zur Jagd oder um die Stille zu genießen. Einige der Trophäen im Jagdsaal sind von mir - andere von einem meiner Vorgänger. Interessiert Euch das Schloss, dann werde ich Euch gerne kurz herumführen?"

Irgendwie musste sie ihre Schroffheit ja wieder ausgleichen. „Gerne, wenn es Euch nichts ausmacht und es nicht zu spät wird."

Jan nickte leichthin und zügelte sein Pferd.

"Ich mache die Führung kurz. Es gibt ohnehin nicht viel zu sehen."

Mit diesen Worten stieg er ab und ging, sein Reittier zurücklassend, zum Jagdschloss. Selina liess ihr Pferd ebenfalls zurück und folgte Jan.

Er schloss die Eingangstür auf. Dahinter war ein Gang mit einigen offen stehenden Durchgängen, man sah in einige nur spärlich möblierte Räumen, deren Wände mit Motiven einer herrschaftlichen Jagd gemalt waren. Man sah prächtige gekleidete Reiter mit Jagdhunden und Wild. Sie nickte zu sich selbst. Galydia hatte wohl Recht, wenn sie sagte, dass Jan Ida Geld besaß. Diese Malereien waren wohl gut, zumindest kamen ihr die Proportionen der Tiere richtig vor und ihre Haltung. Und so waren sie wohl auch teuer gewesen.

In einem Raum stand ein kleiner Schrein, der dem Herrn der Jagd gewidmet war. Offensichtlich der Trophäenraum. Ausgestopftes Niederwild und Schädel von Rotwild waren ringsherum an den Wänden befestigt. Ohne die Trophäen anzusehen, ging Selina zu dem Schrein und kniete vor ihm nieder. Erst nach einem kurzen Gebet betrachtete sie, was in diesem Raum ausgestellt war. „Eure Sammlung kann sich sehen lassen, Dom Ida", meinte sie. „Danke, dass Ihr Euch die Zeit genommen habt."

"Gerne.", sagte Jan. "Aber wie gesagt: Es ist nicht alles von mir."

Damit war ihre kurze Führung tatsächlich beendet. Erst beim Weiterreiten wusste der Baron zu berichten, welcher seiner Vorgänger das Gebäude errichtet hatte. Ein leidenschaftlicher Jäger wohl, der die Einsamkeit abseits Yasamirs genossen hatte.

Der lichte Wald war in der Tat ein ziemlicher Kontrast zum Trubel der Stadt. Sie waren eine Weile schon unterwegs und ihnen war niemand begegnet, nicht einmal der Jagdmeister, der sich den Worten des Barons zu Folge auch um das Schloss kümmerte.

Der Trampelpfad führte irgendwann aus dem Wald heraus, folgte aber weiter dem Waldrand zu seiner linken. Rechts lag Heide - man sah allerdings nur bis zu einigen Hügeln in der Nähe.

"Wir sind schon nahe der Grenze. Dort oben ist Franfeld. Es ist ein kaiserliches Lehen. Und dahinter ist dann schon Garetien. Ich schlage vor, wir reiten noch einmal hoch nach Elforja und dann zurück am Wald entlang zu Reichsstraße. Das ist dann der schnellste Weg nach Yasamir."

„Warum nicht, Ihr kennt die Gegend hier sicherlich besser als ich. Es ist gut, so einen ruhigen Flecken Erde in der Nähe zu haben." Und zu wissen, dass er ruhig bleiben würde. Aber wie lange noch?

Zum Namenlosen mit diesen Gedanken.

„Elforja… was ist das für ein Ort? Es klingt irgendwie seltsam."

"Nun - es ist nicht mehr als ein kleiner Weiler mitten in der Heide. Und der Name... Ich glaube, es ist eine Art Bosparano. Wahrscheinlich almadanisch geprägt."

Eslam lächelte ob dieser Bemerkung.

"Sag bloß...", warf er ein.

Jan ignorierte den Einwurf.

"Wie dem auch sei: Wenn es mich nicht täuscht, heißt es so etwas wie: Die Schmiede. El Forja. Hat wahrscheinlich etwas mit den Zwergen des Amboss zu tun."

„Das mag sein", nickte Selina ein. „es klingt zumindest logisch. Gibt es überhaupt noch eine Schmiede dort?"

Er verneinte.

"Nicht im Ort. Vielleicht gab es mal eine oder es bezieht sich auf den heißen Sommer dort. Wer weiß?"

Sie trotteten dahin durch die Heide. In der Ferne sahen sie einen Schäfer mit einer kleinen Herde vorbeiziehen. Davon abgesehen gab es wenig Spuren, dass hier jemand lebte. Auch das Dorf, an das sie wenig später kamen, schien weitab der Zivilisation.

Eine Hand voll ärmlich wirkender Gebäude war um einen Platz mit einem Brunnen angeordnet.

"Das ist Elforja. Großes Name, kleines Dorf."

„Ist ‚Schmiede’ denn ein grosser Name, selbst wenn eine Schmiede mehr zu sein scheint als dieses… Dorf? Ja, wenn es ‚Burg’ hieße, oder besser noch ‚Ehrenfeld’, selbst ‚Perainewald’ wäre größer, mit dem Namen einer Göttin im Namen des Ortes. Aber einfach „Schmiede"? Was ist daran groß, wie Ihr es nennt?"

Jan lächelte.

"Was ich meine ist: Warum hat man den großen Wald, durch den wir gekommen sind, ausgerechnet nach Elforja benannt und nicht nach Torrefalcó?" Er nickte. "Nun gut - einmal noch nach dem Grenzstein schauen und dann geht es zurück."

Sie folgten dem Pfad aus dem Dorf raus. Am Wegsaum stand ein brusthoher Findling, in den jemand ein Schild mit einem Falken gemeißelt hatte - das Wappen Yasamirs. Davon abgesehen, sah es kurz hinter der Grenze nicht viel anders aus, als davor.

Er wendete das Pferd, zurück zum Dorf. Schließlich ging es vom Weg fort, zuerst am Waldrand entlang, dann quer hindurch. Dahinter trafen sie nach wenigen Meilen auf einen Pfad am Fuß einer Hügelkette.

Die Heide war inzwischen gewichen und einer der Hügel erwies sich als gut passierbar. Dahinter lag wieder das grüne Land, das Selina um Yasamir herum gesehen hatte.

"Da sind wir wieder.", sagte er. "Es ist ein schöner Anblick, ebenso schön ist es, nach Hause zu kommen."

Selina nickte, bestreiten wollte sie das sicher nicht, diskutieren aber ebenso wenig. Es verwirrte sie gerade sehr, dass sie bei den Worten ihres Gastgebers an Völs dachte, das Tratschnest am Rande der Welt, das sie glücklich hinter sich gelassen hatte. „Es ist erstaunlich, wie schnell die Landschaften hier abwechseln", wechselte sie stattdessen das Thema, das Pferd energischer vorwärts treibend, das hier auf der Strasse auf einmal meinte, seine Unlust kundtun zu müssen.

"Ja - es sind die Hügel, die Caldaia und den Ragather Kessel voneinander trennen.", bestätigte Jan und bald schon sahen sie den Hügel mit der Stadt Yasamir.

Es war inzwischen kühler geworden und die Anstrengung des Tages machte sich bemerkbar, während sie den Hügel umrundeten. Immer an den Weinbergen vorbei zum Weg, der von der Reichsstraße abging. Nur noch der gewundene Weg über den Sattel lag vor ihnen.

Jetzt merkte Selina die Müdigkeit in ihrem Knochen, ausgerechnet jetzt, wo das Pferd den Weg zum Stall der letzten Tage erkannte und wieder hoffnungsvoller ausschritt. Ärgerlich reckte sie sich im Sattel, um sich nichts anmerken zu lassen. Alles, was ihr fehlte, um solch einen Ritt ohne Müdigkeit zu überstehen, war die Gewöhnung. Es wurde Zeit, dass sie zurückkam nach Havena und sich um einen militärischen Dienst oder dergleichen kümmerte. Ob es nun wirklich die Stadtgarde sein würde… Wie würde es wohl jetzt aussehen daheim in Albernia? Was war nach der Schlacht geschehen? Wer wusste denn, ob Galydia Jan Idas Geld wirklich noch brauchen würde? Müßige Gedanken, die keinen etwas angingen.

„Es war ein schöner Tag, dank Euch dafür", meinte sie mit leiser Stimme anstatt ihre Gedanken laut werden zu lassen.

Der Baron nickte und entgegnete ebenso leise:

"Den Dank gebe ich gerne zurück. Es war eine willkommene Abwechslung. Wenn ich noch etwas für Euch tun kann oder wenn Ihr eine kleine Erinnerung wünscht, so lasst es mich wissen."

Er hob leicht die Stimme.

"Eslam, hast Du einen besonders guten Wein in Deinem Keller?"

Der Rebenthaler nickte.

"Der letzte Jahrgang war sehr gut." Er zögerte und sein Gesicht hellte sich auf. "Ah! Nun - Domna Castos, für Euch - wenn Ihr wollt..."

Dieses vordergründige Wohlwollen! Wie sie es hasste. Es gab ihr jedes Mal das Gefühl, wie ein Kind behandelt zu werden, und sie hatte lange gebraucht, es wenigstens innerhalb ihrer Familie mit Gleichmut hinzunehmen. Aber sie hatte es sich ja selbst zuzuschreiben, wenn sie solch ein Thema ansprach.

Mit einem erzwungenen Lächeln, das nicht in ihrer Stimme mitklang, antwortete sie: „Ihr habt mir bereits eine ähnliche Erinnerung überlassen, Dom Ida, für die ich mich nicht erkenntlich zeigen kann. Das genügt vollkommen."

Eslam sah Selina eher verwundert an, aber Jan nickte mit einem feinen Lächeln.

"Wohl gesprochen. Dann kann ich Euch nur eine gute Reise wünschen. Es gibt da einige Geschäfte, die ich schon eine Weile vor mir hergeschoben habe. Bedauerlicherweise muss ich dazu nach Ragath und die Erfahrung lehrt mich, dass es besser ist, in der Frühe aufzubrechen. Noch dazu werde ich einige Tage weg sein. Ich bitte Euch deshalb auch darum, meiner Tante und meiner Verwandtschaft in Albernia Grüße zu bestellen. Wer weiß, vielleicht werde ich irgendwann Zeit finden, selbst hoch zu reisen."

„Das hoffe ich doch, Eure Tante würde sich sicher sehr freuen, Euch zu sehen. Wenn Ihr so freundlich sein könntet, vor Eurer Abreise noch das Schreiben an sie zu siegeln? Ich werde, wie gesagt, ebenfalls morgen aufbrechen."

Ihre Bitte sprach sie sehr leise, eigentlich hatte sie das erst auf der Burg ansprechen wollen, doch da ihr Gastgeber vermutlich noch einiges vorzubereiten hatte dort, war jetzt ein besserer Zeitpunkt.

"Das will ich tun, wenn Ihr darauf besteht. Nun - dann, Domna Castos. Vielleicht in besseren Zeiten in Albernia."

"Bessere Zeiten?" Sie winkte ab. So schnell würden die Zeiten in Albernia nicht „besser" werden, aber ihr Gastgeber dachte wohl an anderes als sie, wenn er „besser" sagte. „Ja, das mag sein, auf irgendwann in Albernia also. Danke für Eure Gastfreundschaft."

Die Stimmung war frostiger geworden, so hatte sie es nicht unbedingt gewollt, aber sie hatte ein besonderes Talent dafür, anderen die Laune zu verderben.

Am Morgen hatte man sich noch kurz verabschiedet, und dann ging Selinas Weg zurück, zunächst nach Punin, wo sie vom Bußgang der Königin und der Edlen Albernias erfuhr und von der Einsetzung Idras. Doch waren die Zeitungen eher voll mit Meldungen über Truppenbewegungen an der Grenze, jetzt, nachdem die Truppen des Reiches nicht mehr in Albernia gebunden waren, beäugte man hier mit Argusaugen ihre Bewegungen, das Schicksal Albernias war hier eher nebensächlich.

Bei stürmischem Wetter begann schließlich die Rückfahrt nach Havena, wo das Schiff allen Wettern zum Trotz wohlbehalten ankam.



Chronik:1032
Besuch aus Albernia
Teil 05