Chronik.Ereignis1032 Besuch aus Albernia 03

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Baronie Yasamir, Rondra 1032 BF[Quelltext bearbeiten]

In der Stadt Yasamir[Quelltext bearbeiten]

Autor: Benutzer:Jan Ida

Still und schweigend zog der Abend über dem Städtchen heran. Es war ausgesprochen mild für den oft so drückenden Monat Rondra, der viele Almadaner aus den Städten auf das Land fliehen ließ. Vielleicht war es aber auch die Lage dieses Ortes etwas oberhalb der Straße und der leichte Lufthauch aus dem Amboss.

Selina hatte sich umgekleidet – ungeplant. Die Magd Lina hatte aufgeschnappt, dass der Gast an der Tafel des Barons speisen sollte und hatte es für ihre Pflicht gehalten, die besten Kleider vorzubereiten, die sie im Gepäck des Gastes gefunden hatte, So trug Selina zu den üblichen Hosen und Stiefeln eine neue Bluse, die ihr in Punin gefallen hatte, aber viel zu teuer gewesen war. Ihre Töchter mussten sie gekauft und in ihr Gepäck geschmuggelt haben.

Sie hatte nicht widerstehen können, sie zu tragen, wenn sie nun schon einmal da war.

Nichts damenhaftes, etwas, was ein Kämpfer tragen konnte, selbst wenn es zu einem Kampf kam. Und trotzdem… wie hatten ihre Töchter es genannt? Schick.

Wie schon am Morgen holte sie der Haushofmeister zur passenden Stunde ab. Wieder über den Hof zum Palas, aus dessen Obergeschoss ein warmes, flackerndes Licht fiel. Vom Eingangssaal ging es die Treppe hoch. Ein Gang tat sich vor ihr auf mit Türen zu beiden Seiten. Die Beleuchtung bestand aus einem Feuerbecken, das über ihr an drei Ketten von Decke hing.

Das Licht reichte leidlich aus den Weg zu finden.

Ihr Begleiter öffnete die Tür am Ende des Ganges. Licht fiel heraus, so hell, dass sie einen Moment zögerte, dem Wink hinein zu folgen, weil sie den Raum nicht blinzelnd betreten wollte. Als sie es endlich tat, stand sie in einem großen Saal mit einer langen Tafel, einer flackernden Feuerstelle und einigen hellen Kandelabern.

Der Tafel war bereits eingedeckt mit dem befürchteten unzähligen Besteck, doch glücklicherweise konnte Selina auf den ersten Blick nicht das Hummerbesteck entdecken, mit dem sie schon einmal Probleme gehabt hatte, und wandte ihre Aufmerksamkeit dem Paar an der Tafel zu.

Sie wurde bereits erwartet. Vom Baron und der Frau, die sie bereits vom Gemälde im Eingangssaal kannte. Sie trug ein edles Kleid mit Spitzen und auch der Baron hatte sich noch einmal umgekleidet, wie Selina bemerkte. "Domna Selina Castos", begrüßte sie der Baron und nickte seiner Gemahlin zu, bevor er auch sie einführte.

"Ihre Hochgeboren Daria Phexlana von Culming und Yasamir. Sie entstammt einem der ältesten Adelsgeschlechter Almadas."

Ja, die Culmings. Selina erinnerte sich, dass Throndwig die Voraussicht, mit der diese Verbindung geschlossen worden war, gerühmt hatte. Und seit ein paar Jahren hatte der Baron durch sie sogar Beziehungen zum Hofe Selindian Hals.

Baronin Daria schien Selina gründlich zu mustern, was aber auf Gegenseitigkeit beruhte. Die Baronin trug die teure Spitze mit einer Selbstverständlichkeit, als sei sie darin geboren worden. Vermutlich war es auch fast genauso.

"Erfreut Euch kennenzulernen - Ihr kommt von einer teuren Verwandten meines Gemahls, hörte ich?"

„Es ist mir eine Ehre, Hochgeboren." Selina neigte den Kopf. „So ist es, Galydia Toras-Helman bat mich, Eurem Gemahl eine Botschaft zu überbringen." Sie überlegte rasch und fügte hinzu: „Ich verstehe Euch so, dass Ihr sie noch nicht selbst kennenlernen konntet?"

Daria verneinte.

"Bislang nicht. Es hat sich nicht ergeben.", sagte sie beinah beiläufig.

Er zuckte entschuldigend mit den Schultern.

"Nun - das letzte Mal war ich allein bei meinen Vettern in Albernia. Meine Gemahlin fühlte sich nicht wohl. Und danach..."

Jetzt fiel sie ihm ins Wort und Selina sah sie erstaunt darüber mit großen Augen an.

"Danach war die Reise kaum möglich. Weder über Gareth, noch durch das Horasreich. Außerdem ist es, bei aller Neugier, eine weite Strecke. Wie seid Ihr heran gelangt, Domna Castos?"

„Ich kam mit dem Schiff von Havena, wo Galydia Helman jetzt wohnt. Der Küste nach und dann den Yaquir hinauf, soweit es eben ging. Über Land wäre der Weg derzeit unsicherer gewesen, wie Ihr selbst schon feststellen musstet. Nicht das Beste für eine Botschaft, die ankommen soll."

Die Baronin stimmte zu.

"So habt Ihr wenigstens die größten Übel vermieden. Dennoch nicht ganz ungefährlich - auch im Westen Almadas. Sagt: Wie lebt es sich so in Albernia? Ganz abgesehen vom Krieg?"

Selina wunderte sich, was im Westen Almadas unsicher gewesen sein könnte. Wenn man Baronet Trutz’ Vorsichtsmaßnahmen glauben wollte, schien eher der Osten Almadas in Gefahr, dachte sie spöttisch.

„Wie es sich in Albernia lebt, abseits vom Krieg, wollt Ihr wissen? Es scheint so lange her, dass kein Krieg war…" Selina runzelte die Stirn und versuchte sich zu erinnern, wie das Leben in Albernia vor dem Krieg war. Abseits vom Hunger. Wie hatte sie es empfunden, als sie nach Albernia gekommen war?

Sie sah die Baronin ruhig an, ließ einen Blick über die aufwendige Kleidung ihres Gegenübers streifen: „Das Leben ist härter, Efferd und Peraine meinen es weniger gut mit Albernia als mit Almada. So ist auch das Leben des Adels einfacher. Es gibt sehr viele uralte Familien, die mehr mit dem Land leben, das ihnen gehört, als von ihm. Von einigen heißt es gar, sie pflegten enge Beziehungen mit den Holden des Waldes, die vielerorts die wahren Herrscher des Landes sind. Den Zwölfen sei Dank gefällt es ihnen in Völs nicht."

Baronin Daria runzelte die Stirn, doch sie lächelte auch. Die Worte hatten offensichtlich ihre Neugier geweckt.

"Holde des Waldes? Wundersame Geschichten... Erzählt mir mehr beim Essen. Es gibt..."

Sie blickte zu ihrem Gemahl, der sich langsam zur Tafel bewegte.

"...eine Fischsuppe - wenn ihr mögt. Zumindest denke ich das. Lasst uns doch setzen."

Gesagt, getan. Er winkte und bald darauf brachten der Mundschenk und zwei Diener dampfende Teller.

Fischsuppe klang nach etwas Gutem. Aber Erzählungen über die Holden? Es hiess, sie würden es hören, wenn über sie gesprochen wird, so musste man immer vorsichtig sein, was man über sie berichtete.

„Gerne doch", erwiderte sie ihrer Gastgeberin, „wenn Ihr etwas davon zu hören wünscht. Doch kann ich Euch aus eigener Beobachtung fast nichts berichten, ich habe nur vom Hörensagen etwas darüber erfahren."

"Ob Hörensagen oder nicht. Es gibt eine bessere Geschichte bei Tisch als Politik."

Der Baron nickte. Er senkte kurz den Löffel mit der Suppe. Fisch - kein Zweifel - wenn auch auf keine Art gewürzt, wie Selina es kannte.

"Durchaus.", stimmte er zu. "Ich meine, mein Vater hat während seiner Zeit in Honingen auch so manche Geschichte aufgeschnappt und hier gelegentlich zum Besten gegeben. Aber aus Eurem Mund wird es sicher anders klingen, wie aus dem eines Magisters."

Ein fast schelmisches Lächeln huschte über sein Gesicht.

„Vermutlich klingt es weniger gelehrt", kommentierte Selina trocken und ließ sich die ungewohnt gewürzte Suppe schmecken. In der Zeit im Völser Wald hatte sie vieles zu essen gelernt, da konnte sie ein ungewohntes Gewürz nicht abschrecken. Zwischendurch erzählte sie bröckchenweise weiter:

„Nun, die Holden… sie sollen ihre eigenen Gesetze und ihre eigenen Vorstellungen von Gut und Böse haben, die wir gewöhnlich nicht verstehen. Es heißt, sie leben in ihrer Welt, wo die Zeit viel schneller als in unserer. Sie können durch… Tore hierher gelangen, und manchmal gelangen Menschen zu ihnen. Oft werden sie gelockt, sei es, weil sie eine unbekannte Grenze überschritten haben, sei es, weil die Holden hin und wieder Spaß daran haben, einen Menschen bei sich zu haben."

Daria schien nachdenklich.

"War da nicht vor einigen Jahren etwas - während des Reichstages auf Cumrat?", fragte sie.

Dem Baron schien eine alte Geschichte wieder einzufallen.

"Jetzt wo Du sagst. Du meinst, als Feen das Brautpaar entführten, deren Hochzeit den Vertrag von Weidleth besiegeln sollte? Es muss den Feen viel Freude gemacht haben, den Adel quer durch Almada zu scheuchen, damit sie das Brautpaar wieder freigeben." Er zuckte mit den Schultern. "Eigentlich eine amüsante Geschichte, hätte nicht so viel daran gehangen. Ich hätte gerne diejenigen gesehen, die hier auf dem Weiher die Enten gezählt haben."

Sie nickte schmunzelnd.

"Und wie Dein Onkel den 'Mäusen' im Kerker von Al'Muktur geholfen hat."

Selina konnte der Geschichte absolut nichts Spassiges abgewinnen, hatte es noch nie gekonnt. Und so schwieg sie mit starrer Miene, als das junge Paar amüsiert versuchte, sich an die Erzählungen zu erinnern.

Die Baronin verstummte, als sie bemerkte, dass Selina offensichtlich nichts dazu sagte.

"Nun - Domna Castos.", begann der Baron. "Ist es eigentlich richtig, dass in Havena immer noch Magieverbot herrscht? Wenn ja - wie ergeht es meiner Tante damit?"

„Ich denke, wenn das Magieverbot aufgehoben wäre, hätte ich davon gehört. So besteht es wohl noch. Soweit ich weiß, leidet Eure Tante nicht sonderlich unter dem Verbot, sie ist glücklicherweise nicht darauf angewiesen zu zaubern. Ob sie es trotzdem gern tun würde – das entzieht sich meiner Kenntnis. Aber sie scheint mir wahrhaftig nicht niedergedrückt deswegen. Gibt es einen besonderen Grund, dass Ihr fragt?"

Der Baron schüttelte leicht den Kopf und griff nach dem guten, weißen Brot, das in einem Korb auf dem Tisch stand.

"Ich frage, weil mein Vater das Magieverbot erwähnte. Es schien mir eine alte Geschichte - und ich fragte mich, warum meine Tante dann in Havena lebt. Aber wenn es ihr nichts auszumachen scheint..."

Er winkte kurz den Mundschenk heran. Der eilte heran mit dem nächsten Gang. Wildschwein mit Rotweintunke, Pilze, Gemüse und Bornische Knollen.

"Dazu den guten Yaquirtaler für meine Gemahlin und mich.", sagte der Baron. "Was darf es für Euch sein, Domna Castos? Auch etwas von dem fruchtigen Roten oder bevorzugt Ihr einen herberen Weißen? Dom Eltzek keltert einen ganz anständigen..."

Wie um zu unterstreichen, dass er mehr als nur anständig war, zwinkerte er.

Selina war von dem Zwinkern verwirrt – sie fand keinen Grund, der ein Zwinkern notwendig machen würde. Aber es war nicht weiter wichtig, sie würde sicher das trinken, was die Gastgeber auch tranken.

„Danke der Nachfrage, Hochgeboren, ich werde auch den roten Wein versuchen. Nun, Havena ist immerhin eine große Stadt und hat vieles zu bieten, auf was Galydia andernorts verzichten müsste. Und dann hat sie dort ja auch gute Verbindungen zu Händlern. Ich vermute, das ist ihr wenigstens ebenso wichtig. Darüber hinaus ist Eure Tante niemand, die über eine bestehende Situation jammern würde."

"Das ist sie wahrlich nicht.", räumte Jan ein, während er den Wein vorkostete. "Grund genug dazu hätte sie - alles in allem. Aber wir wollen keine trüben Gedanken wälzen. Nur so viel: Dass mein Onkel so häufig unterwegs ist, macht die Sache nicht einfacher. Und wenn er da ist: Er geht lieber zum Imman als zum Theater. Obwohl so wie ich ihn kenne, ist er doch ruhiger geworden - genau wie mein Vater."

Jetzt musste Selina wahrhaftig lächeln: „Wollt Ihr mich darüber belehren, wie es ist, mit einem Geweihten der Sturmlöwin zu leben?"

Inzwischen waren alle Gläser gefüllt. Der Baron hob das Glas zu einem Trinkspruch.

"Auf einen angenehmen Abend - ohne trübsinnige Gedanken."

„So soll es sein", echoten Daria und Selina gleichzeitig und sahen einander erstaunt an.

"Nun - da wir bei Havena waren -", hakte die Baronin höflich ein. "und dem Theater. Könntet Ihr mir sagen, Domna Castos, was man zur Zeit so in Havena spielt? Und was man da so trägt?"

Selina runzelte die Stirn und überlegte, was sie der Dame des Hauses darauf antworten sollte.

„Domna Culming, ich bringe dem Theater gewöhnlich ebensoviel Interesse entgegen wie mein Schwager Throndwig. Aber wenn ich mich recht erinnere…" war da nicht irgendetwas in der „Fanfare" gewesen? „...haben sie nach der Kapitulation der Königin aufgehört, ein beliebtes Heldenepos zu spielen."

"Wie bedauerlich...", sagte die Baronin. "aber verständlich. Habt Ihr denn ein anderes Interesse - wie die Jagd? Ich weiß leider allzu wenig, über die Vergnügungen des Albernischen Adels."

„Ich vermute, der albernische Adel vergnügt sich auf die gleiche Weise wie der almadanische, nur würdet Ihr wohl das Klima rauher finden. Die Jagd… natürlich geht man auf die Jagd. Der Wald, gerade bei uns im Abagund, ist oft licht und man kann zu Pferde jagen. Es ist etwas eigenes, zwischen den Bäumen entlangzupreschen." Es war keine Schwierigkeit, Selina anzusehen, dass sie gern daran dachte. „Seit dem letzten Winter bedeutet Jagd eher, bei jedem Wetter um jeden Preis etwas Essbares zu erlegen. Doch das war es wert, in Völs haben fast alle die Hungerzeit überstanden." Selina lächelte. „Das ist nicht wirklich das, was Ihr wissen wolltet, aber es ist das, was Albernia die letzten Monate beschäftigt hat."

Jan nickte nachdenklich, schien aber gewillt, die plötzliche trübe Stimmung wieder ein wenig aufzuhellen.

"Dann wollen wir den Göttern danken, denn es hätte auch schlimmer ausgehen ausgehen können. Wie man zum Beispiel an Gareth nach dem großen Angriff sieht." Er hob noch einmal das Glas. "Auf bessere Zeiten!"

„Auf bessere Zeiten, wie sie hier in Almada n… herrschen." Selina wechselte das Thema, vielleicht blieb die Stimmung heiterer, wenn man über ein heiteres Land sprach: „Wie ich hörte, konntet Ihr Euch den Bürgermeister der Stadt verpflichten, Hochgeboren, indem Ihr einige Soldaten in die Stadt schicktet?"

Vielleicht würde sie so auch mehr über die Geschichte hören, so ganz verstand sie diese Sache immer noch nicht.

Der Baron wirkte einigermaßen erstaunt.

"Ihr habt davon gehört?" - „Ich wunderte mich über das versperrte Burgtor, deshalb hörte ich davon", erklärte Selina.

„Nun - wohl... Es ist so wie Ihr sagtet. Versteht, hier wäscht eine Hand die andere. Persönliche Ehre - oder sollte ich sagen: Gefälligkeiten spielen hier eine große Rolle. Man erinnert sich an die, die einem Gutes tun. Schaut - das ist genau das, was auch meine Tante tut - man pflegt Beziehungen - und seien sie noch so entfernt." Er lächelte. "Nun - was Meister al Rafim angeht: Er ist sehr lange schon Bürgermeister - mit einer Unterbrechung - und ich weiß, woran ich mit ihm bin. Außerdem weiß ich, dass es meine Preise bei ihm deutlich verbessert, wenn ich jetzt helfe."

„Eure Preise bei ihm? Wie darf ich das verstehen?"

Jan lachte - fast ein wenig phexisch, während zum Abschluß süsses Gebäck gereicht wurde.

"Er ist Händler - Tuche, Krämerwaren und bei manchen Dingen kommt man nicht um ihn herum. Ich habe mir mit dem Einsatz der Soldaten einen Preisnachlaß erkauft."

Ein Tuchhändler…Selinas Blick fiel auf ihre Gastgeberin und sie glaubte zu verstehen, warum sich Jan Ida diesen Vorteil beim Bürgermeister gerne erworben hatte.

„Danke, Hochgeboren. Ich glaube, ich verstehe." Sie nahm sich ein reichlich überzuckertes Gebäckstück, das sie in Gedanken mit dem Kleid Darias verglich. „Was haltet Ihr von der Idee Eures Bruders, die Burg selbst tagsüber zu verschliessen, nur weil einige Soldaten nicht hier sind?"

Der Baron zögerte ein wenig mit der Antwort.

"Ja - Trutz. Um ehrlich zu sein, mein Bruder ist ein guter Soldat, aber zwölf Soldaten sind weit unterhalb seiner Möglichkeiten."

"Sage doch, wie es ist: Er ist unterfordert.", warf Daria ein.

Jan nickte ihr zu.

"Ja - unterfordert. Das trifft es. Tja - und da sucht er sich halt weitere Aufgaben. Er schärft die Sinne der Soldaten, wann er kann. Und sei es, indem er darüber nachdenkt, was passiert, wenn die Kaiserin vor den Toren der Stadt stehen sollte. Wie lange können wir aushalten...? Ich halte das persönlich für nutzlose Gedanken. Aber ich lasse ihn gewähren, weil er mein Bruder ist und es ihn beschäftigt."

Vielleicht war das ein heikles Thema, so versuchte Selina, ihre Frage neutral zu formulieren: „Gäbe es nicht andere Möglichkeiten für Euren Bruder? Zwölf Leute zu befehligen und dabei noch andre Offiziere unter sich zu haben, scheint auch mir etwas übertrieben."

Der Baron von Yasamir schmunzelte.

"Vielleicht habt Ihr Recht. Aber es hat sich nun einmal so ergeben. Außerdem habe ich schon vor einigen Jahren die Burgwache verkleinert. Mag sein, ich sollte mit meinem Bruder mal reden."

Nach einer kurzen Stille, setzte er wieder an:

"Nun - Ihr spracht vorhin von der Jagd, Domna Castos. Zufällig bin ich am morgigen Tag mit meinem guten Freund Dom Eslam von Rebenthal zu einem Ausritt in den Norden verabredet. Wenn Ihr mögt, seid Ihr gerne geladen Euch anzuschließen, auf dass ich Euch ein wenig die Baronie zeige." Er zögerte. "Sollte es Euch jedoch allzu sehr drängen, nach Hause zu meiner Tante Galydia zu reisen, so werde ich Euch eine frühe Abreise nicht nachtragen."

Selina sah ihren Gastgeber einige Augenblicke stumm an und überlegte, ob das nun ein Rauswurf war. Schliesslich sprach Jan Ida schon das zweite Mal am heutigen Tag von ihrer Abreise, obwohl sie zugesagt hatte, auf seine Antwort an Galydia zu warten – und die hatte sie bisher nicht erhalten.

Sie beschloss, den Stier bei den Hörnern zu packen, und antwortete kühl:

„Ich versprach, Eure Antwort bei meiner Abreise mitzunehmen, Hochgeboren. Sollte Euch meine Anwesenheit jedoch inkommodieren, werde ich meine Pläne selbstverständlich ändern und morgen früh die Heimreise antreten."

Jan schüttelte langsam den Kopf.

"Vielleicht habe ich unbedacht gesprochen, verzeiht. Weder seid Ihr eine Belastung, noch will ich Euch vertreiben. Seid versichert: Ihr seid hochwillkommen hier." Er seufzte leise. "Aber Ihr erinnert mich an mein Versprechen. Ich werde den Brief an meine Tante bis zum morgigen Tag vorbereiten. Ihr, Domna Castos, seid dessen ungeachtet bitte mein Gast, solange Ihr wollt. Und gerne lade ich Euch ein zum morgigen Ausritt."

Peinlich war das. Selina hob die Hand: „Ich muss mich entschuldigen, Euch Worte in den Mund gelegt zu haben. Und bitte, schlagt Euch nicht die Nacht um die Ohren wegen der Botschaft, ich bleibe gern hier, bis Ihr Zeit dafür findet." Aber dabei aus der verschlossenen Burg zu kommen, war ein wirklich guter Gedanke. „Ich würde mich freuen, wenn ich Euch und Euren Freund beim Ausritt begleiten dürfte."

"Ich würde mich ebenso freuen.", versicherte der Baron. "Ich denke, dass wir am Vormittag aufbrechen werden. Dann ab nach Torrefalcó und einmal durch die Heide an der Horasfestung vorbei zurück nach Yasamir."

Selina erinnerte sich an die Orte, die ihr die gelangweilten Soldaten von der Burgmauer aus gerne gezeigt hatten. „Ein schöner Ritt. Torrefalcó… kommt Euer Leutnant von dort?"

"Rinaldo? Ja. Er ist der Sohn des dortigen Edlen. Sein Vater Ramontis ist übrigens eine örtliche Berühmtheit. Schließlich hat dieser gegen den Vorgänger meines Vaters gekämpft. Baron Wahnfried soll gegen Ende seiner Amtszeit ein wenig -" Er rang sichtlich nach Worten. "eigenartig geworden sein. Er hat wohl überall Verrat gewittert - und sich förmlich hier auf der Burg eingemauert."

Sein Gegenüber versuchte sich zu erinnern, ob sie etwas von der Geschichte gehört hatte, aber wenn, dann hatte sie es wieder vergessen. „Oft können wir nichts für das, was uns widerfährt. Ich hoffe, dieser Baron Wahnfried hat nicht zuviele Narben in der Umgebung hinterlassen?"

Jan grübelte eine Weile.

"Ehrlich gesagt, erinnere ich mich kaum daran. Ich war sechs, als ich mit meinem Vater hierhin kam. Aber der alte Baron hat scheinbar eine Menge Schulden und mißtrauische Bauern hinterlassen. Darunter Ramontis Leute in ihrem Räuberlager im Sumiswald. Mein Vater hatte anfänglich Bedenken, aber schließlich hat er eine Reihe von Begnadigungen ausgesprochen und Ramontis in seine Dienste genommen. Sogar zum Edlen hat er ihn gemacht."

„Euer Vater scheint damit die richtige Entscheidung getroffen zu haben, wenn Ihr sogar den Sohn in der Wache verwenden könnt. Ich nehme an, sie züchten Pferde in Torrefalcó, wie fast überall?"

Der Baron lächelte, während er einen Schluck Wein trank.

"Nun - Torrefalcó ist nicht Yasamir. Der Ort liegt fast komplett in der Heide. Wenig guter Boden - aber ja, Ramontis leistet sich eine kleine Pferdezucht. Mehr aus Prinzip als aus Begabung. Aber das bleibt bitte unter uns."

Selina gestattete sich ein boshaftes Lächeln. Oh ja, daran würde sie denken, wenn sie das nächste Mal dem arroganten Leutnant gegenüberstand. „Es ist nicht an mir, über die almadanischen Pferdezüchter zu urteilen", antwortete sie Jan Ida beinahe diplomatisch.

„Werdet Ihr morgen auf dem Ausritt ebenfalls dabei sein, Hochgeboren?" wandte sie sich dann an Daria.

Die Baronin lachte belustigt.

"Oh - nein!", sagte sie, merklich weniger formell wie zu Beginn des Abends, was auch an dem Rotwein liegen konnte. "Ein schneller Ausritt durch die Heide? Besser nicht."

Ihr Gast sah sie aufmerksam an, war sie vielleicht schwanger? Doch sie sparte sich eventuelle Fragen, auch die Nichte der Traviarimerin hatte erst in Albernia gelernt zu reiten. Vielleicht konnte diese von Culming in diesem Land der Pferde tatsächlich nicht reiten? „Das ist sehr schade", antwortete sie, ohne es wirklich zu meinen.

"Nun denn, vielleicht sollten wir die Tafel für den Abend aufheben.", verkündete der Baron. "Morgen ist auch noch ein Tag."

„Eine borongesegnete Nachtruhe wünsche ich Euch", nickte Selina ihren Gastgebern zu.


Chronik:1032
Besuch aus Albernia
Teil 03