Chronik.Ereignis1044 Selkethaler Pferderennen zu Ehren der schönen Göttin 1044 BF 26

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Edlengut Selkethal, 01. Rahja 1044 BF

Autoren: Falber, Amarinto, Eliane]

Das Rennen endete in einem packenden Finale, der Staub hing noch in der Luft, während die Reiter die Ziellinie passierten. Die Zuschauer jubelten, und schweißüberströmte Pferde kamen langsam zur Ruhe. Falber de las Flores erreichte das Ziel mit einer Mischung aus Erschöpfung und Erleichterung, klopfte seinem Pferd den Hals und richtete mit geübter Eleganz seinen Mantel.

Im Festzelt, geschmückt mit den Bannern der Häuser, griff er nach einem Glas Rotwein, das in der Abendsonne funkelte. Doch die Reiter um ihn herum waren bereits in Gespräche vertieft – über Pferde, Ehen und Satisfaktionen. Mit einem stillen Gruß hob er sein Glas, bevor er sich auf den Weg machte, da er bemerkt hatte, wie sich schon einige Gestalten frühzeitig in Richtung Gasthof abgesetzt hatten.

Falber näherte sich dem Gasthof, dessen warme Lichter durch die Fenster flackerten. Schon von draußen drang Gelächter, das Klirren von Gläsern und Krügen, und eine rauchige Männerstimme, die einen schrägen, aber leidenschaftlichen Gesang anstimmte. Über allem lag eine gänzlich andere Atmosphäre als im Festzelt – bodenständig, lebendig und ungezwungen. Er stieß die knarrende Tür auf, und die Geräuschkulisse schwappte über ihn hinweg. Der Schankraum war erfüllt von Leben: Händler, Bauern und ein paar abenteuerlustige Adelige hielten gefüllte Becher in ihren Händen, während eine Kellnerin geschickt durch die Menge balancierte. In einer Ecke stimmten ein paar Musiker eine fröhliche Melodie an, begleitet von johlendem Applaus.

Nach dem ersten Pferderennen, das über die kurze Distanz ausgetragen wurde, fanden sich Dareius, Nandura, Skrayana und Silem im offiziellen Festzelt ein. Dareius war durchaus zufrieden mit seinem Platz im Mittelfeld. Angesichts der Tatsache, dass er auf seinem kräftigen Schlachtross gegen die wendigen Rennpferde angetreten war, hatte er kaum mehr erreichen können. Dennoch lächelte er gelassen, während er mit einem Becher Wein in der Hand die Atmosphäre auf sich wirken ließ.

Die Stimmung im Festzelt war ausgelassen. Zu seiner Überraschung waren auch andere Horasier aus verschiedensten Teilen des Landes angereist um teilzunehmen. Unter den Anwesenden entdeckte Dareius Erlan Sirensteen, den Baron des Yaquirbruchs, der ihn herzlich begrüßte nachdem er beim Rennen kurz vor ihm ins Ziel gekommen war.

Als die Feier schließlich ins nahegelegene Gasthaus überging, wurde die Stimmung lockerer und ungezwungener. Dareius spürte, dass er einen Moment für sich brauchte. Er wandte sich an Nandura, Skrayana und Silem, die noch voller Energie waren. "Geht voraus und genießt den Abend. Ich folge später nach."

Nandura nickte zögernd, doch Skrayana und Silem hatten keine Einwände und verschwanden bald darauf im Gasthaus. Dareius blieb zurück und atmete tief die frische Luft ein. Er lehnte sich gegen die Außenwand, das Holz angenehm warm im Licht der letzten Sonnenstrahlen.

Vor ihm tauchten die Berge des Eisenwaldes in tiefem Rot und Orange auf, als die Sonne langsam hinter den Gipfeln verschwand. Der Himmel erstrahlte in einem Farbenspiel aus Gold, Purpur und sanftem Violett. Dareius genoss die Ruhe und das Schauspiel der Natur. Es war ein Moment des Friedens, den er lange nicht mehr empfunden hatte. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, während die Rufe und das Gelächter aus dem Gasthaus nur noch ein fernes Murmeln waren.

Für diesen Augenblick war er einfach nur ein Mann, der den Sonnenuntergang betrachtete und das Leben spürte. Er schloss die Augen und lächelte zufrieden.

Zu ihrer eigenen Überraschung hatte Domna Luciana Al'Morsqueta das Rennen über die kurze Distanz mitreißend und ausgesprochen spannend gefunden. Der Sieg des Gastgebers über ihre Soberana hatte sie davor bewahrt, den ganzen Abend über bei deren Siegesfeier anwesend sein zu müssen. Die Platzierungen von Schwägerin und Schwager hatten genug Aufsehen erregt, dass keinem Domnatella Ordonyas Fehlen aufgefallen war. Ihre stumme Ermahnung Domnatella Sarkyozas hatte deren unangebrachten Schwärmereien und kindischen Kichern wirkungsvoll Einhalt geboten.

Zudem hatte sie im abwechslungsreichen Teilnehmerfeld so manchen ihr aus der Ferne vertrauten Namen gefunden. Darunter auch einige, deren Bekanntschaft zu machen sie durchaus interessierte. Sie hoffte, dass sich spätestens nach dem morgigen Rennen über lange Distanz Gelegenheit dazu ergeben würde. Da ihr Schlachtross vom Gestüt Quríabor auf der Kurzstrecke den Tieren des Gestüts in Tôrzîlba nicht gewachsen war, hatte sie von vornherein auf die heutige Teilnahme verzichtet.

Nach dem Rennen hatte Domna Luciana im Trubel der Reiter, Zuschauer und Gratulanten verschiedenen Teilnehmern ihre Glückwünsche ausgesprochen und dann wieder ein Auge auf ihre jüngeren Schwägerinnen und Domnito Nandorito gehabt. Nicht, dass einer der drei einen gesellschaftlichen Fehltritt beging, der auf die Familia zurückfallen konnte. Es war für sie offensichtlich gewesen, dass Domna Selea in ihrer neue Rolle als Soberana diese Unterstützung brauchte. Dabei hatte ihr Domna Usanza da Selaque von Culming Gesellschaft geleistet, die sich offensichtlich hervorragend mit Domnatella Sarkyoza verstand. Auch wenn Domna Luciana im Stillen die Motive der Schwester des Gastgebers hinterfragte, konnte sie nicht leugnen, dass die junge Frau ein einnehmend freundliches Wesen hatte.

Gemeinsam hatte die Familia an den Feierlichkeiten im Festzelt teilgenommen. Dank ihrer Platzierung auf den vorderen Rängen hatten Dom Tariano und Domna Selea sich schnell in verschiedenen Gesprächen mit anderen Züchtern, Teilnehmern und Zuschauern gefunden.

Als sich die Gäste zerstreuten, zurückzogen, gen Hazienda del Valle oder zum Gasthaus wandten, hatte sich Domnatella Sarkoyza ein Herz gefasst. Ihr Vorschlag, geschickt unterstützt von Domna Usanza, war ein Besuch im Gasthaus gewesen. Sie habe ganz zufällig mitbekommen, dass einige der jüngeren Mitglieder der Nobleza sich dorthin gewandt hatten, und es sei sicherlich nicht das schlechteste, unverfängliche Verbindungen unter Ihresgleichen zu knüpfen. Domna Luciana hatte unter der Bedingung zugestimmt, dass ihre Schützlinge tadelloses Verhalten versprachen. Denn ganz Unrecht hatte das Mädchen nicht - es würde eine gute Gelegenheit sein, sich einen Eindruck vom wahren Charakter der anwesenden Junggesellen zu verschaffen. Die Domnatellas näherten sich einem Alter, in dem es opportun war, vorteilhafte Verbindungen zu arrangieren.

Nun näherte sie sich gemeinsam mit Domna Usanza, den beiden Domnatellas Sarkyoza und Ordonya sowie Domnito Nandorito und ihrer Knappin Rondralia d’Ouvici dem Gasthaus. Gelächter und rustikale, mit mehr Inbrunst als Können vorgetragene Musik wehten herüber, als eine andere Gruppe Gäste die Tür öffnete und in das einladend heimelige Licht der Gaststube trat.

Domna Luciana blieb stehen, hielt Domna Usanza ein paar Schritte zurück. „Domna, hättet Ihr etwas dagegen, wenn ich die jungen Herrschaften vorübergehend Eurer Obhut überlasse? Als Schwester des Veranstalters seid Ihr sicherlich geeigneter als ich, Gäste einander vorzustellen. Ich habe keinen Zweifel, dass Ihr die vier vor misslichen oder verfänglichen Situationen zu bewahren wisst, bis ich folge. Es wäre eine gute Gelegenheit, einen Eindruck zu gewinnen, in wie weit die vier vier auch ohne meine Anwesenheit den Regeln der Cortezza gemäß zu verhalten wissen.“

Die Angesprochene nickte mit einem strahlenden Lächeln. „Aber selbstverständlich, Domna Luciana. Auch wenn Ihr Euch keine Sorgen machen müsst, die jungen Herrschaften verhalten sich bislang tadellos.“

Die Caballera nickte. Dann wandte sie sich an die Jugendlichen, die zwischenzeitlich gewartet hatten. „Ich komme gleich nach. Bringt Domna Usanza nicht in Verlegenheit, macht der Familia keine Schande und vergesst bei aller Ausgelassenheit nicht, Maß zu halten, auf dass Ihr den Abend bei der morgendlichen Ertüchtigung nicht bereist. Rondralia, du weißt, was ich von dir erwarte.“

Alle vier nickten, dann geleitete Domna Usanza ihre Schäfchen gen Gasthof.

Luciana ließ sich etwas zurückfallen, gestattete sich einen kurzen Moment der Entspannung, frei von Anforderungen anderer, der Verantwortung für andere.

Sie näherte sich dem Gasthof, dessen weiß getünchte Fensterlaibungen das Licht des untergehenden Praiosmals in flammendes Blutrot tauchte.

Sie erstarrte. Unerwartet stiegen Erinnerungen auf, schnürten ihr die Kehle zu. Trauer durchflutete sie. Einen kurzen Moment ließ sie die Vorstellung zu, dass ihr Sohn sie dort drinnen mit den anderen erwarten würde.

Dann straffte sie mit einem leisen Seufzen die Schultern, nahm Haltung an.

Erst jetzt fiel ihr der Mann auf, der gegen die Wand des Gasthofs gelehnt stand, das Gesicht in ihre Richtung gewandt. Hatte er sie gesehen? Gar ihre Schwäche bemerkt? Oder hatte sie das Gegenlicht davor bewahrt?

Dareius bemerkte die Frau, noch bevor sie ihn sah. Ihre Haltung war aufrecht, ihre Silhouette scharf umrissen gegen das warme Glühen des Sonnenuntergangs. Doch da war ein Zögern in ihren Bewegungen, eine Spur von Zurückhaltung, die selbst in der Dämmerung sichtbar war. Er beobachtete sie einen Moment, wie sie innehielt, tief einatmete, und dann, mit der Entschlossenheit einer geübten Kriegerin, ihre Haltung wieder annahm. Ein leiser Seufzer entwich ihr, kaum hörbar, aber genug, um Dareius aufmerken zu lassen.

Seine Neugier war geweckt. Er nahm noch einen Schluck aus seinem Becher, ehe er ihn zur Seite stellte und sich von der Wand abstieß. Die Bewegung schien ihre Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken, denn nun trafen sich ihre Blicke. Einen Herzschlag lang sagte keiner ein Wort. Ihre Augen, dunkel und voller unausgesprochener Geschichten, ruhten auf ihm, prüfend und zurückhaltend zugleich.

Er nickte ihr respektvoll zu, die Höflichkeit eines Mannes, der wusste, wann er sich zurücknehmen musste. "Ein schöner Abend, nicht wahr?" fragte er schließlich, seine Stimme ruhig, fast beiläufig. Er war sich bewusst, dass er sie möglicherweise in einem ungewollt privaten Moment überrascht hatte.

Luciana neigte grüßend den Kopf. „Das abendliche Farbenspiel ist in der Tat… berührend.“ Ihr Zögern war selbst für einen aufmerksamen Beobachter fast unmerklich. Sie musterte ihr Gegenüber aufmerksam. Der Fremde war groß, sehr groß. Der gepflegte, dunkle Vollbart betonte die hohen Wangenknochen. Der Blick der blaugrauen Augen war interessiert, ohne respektlos zu wirken. Sie wusste, wer er war. Schließlich gehörte sein Name zu denen, die sie bei der Vorstellung der Teilnehmer sofort hatte zuordnen können.

„Dom Dareius Amarinto. Willkommen in Almada. Es ist mir eine Ehre, Euch kennenzulernen. Ich bin Caballera Luciana Al’Morsqueta. Verzeiht, wenn ich Euch aus Euren Gedanken gerissen habe.“, stellte sie sich vor, eine gewisse höfliche Zurückhaltung an den Tag legend.

„Die Ehre ist ganz meinerseits, Caballera Luciana Al‘Morsqueta. Und Ihr habt mich keineswegs gestört. Manche Gedanken sind wie das Licht dieses Abends – flüchtig, aber schön, und umso wertvoller, wenn sie geteilt werden.“ Er betrachtete die almadanische Adlige genauer, jetzt wo das Licht günstiger stand. Ihre gepflegten schwarzen Haare sowie der stolze Blick zeugten von ihrer edlen Herkunft. Sie war etwas jünger als er selbst, aber hatte unverkennbar schon einiges erlebt. Er glaubte, einen leichten Anflug von Traurigkeit in ihren dunkelbraunen Augen zu erkennen, etwas was ihn an sich selbst erinnerte, wenn er den Worten seiner Schwester glauben schenken wollte. Dann lächelte er sanft und begann ein Gedicht zu rezitieren, welches ihm beim Anblick des Sonnenuntergangs in den Sinn gekommen war.

„Die Sonne versinkt in stiller Pracht,
verwandelt Tag in sanfte Nacht.
Ein Feuermeer aus Gold und Rot,
das letzte Licht, das Abschied bot.

Doch jeder Strahl, der jetzt vergeht,
erzählt von dem, was ewig besteht:
Das Licht, das fällt, kehrt neu zurück,
an jedem Morgen, bringt neues Glück.“

Domna Luciana schmunzelte innerlich, zeigte sich sonst aber über ein höfliches Lächeln hinaus nicht beeindruckt. „Wie ich sehe, seid Ihr auch im Umgang mit Worten geschickt, Dom Dareius. Es freut mich, dass Euch unser ländliches Abendrot zu solch poetischen Gedanken inspiriert. Sagt, ist die Frage erlaubt, was Euch zu dieser recht abgelegenen Veranstaltung geführt hat? Wenn Ihr nichts dagegen habt, dass ich Euch einen Moment Gesellschaft leiste. Die heraufziehende, sanfte Nacht und stille Dämmerung dem Trubel der Gaststube vorziehe.“

Sie musterte ihn offen, die Haltung aufrecht, aber nicht steif, bereit, ihren Weg fortzusetzen oder zu bleiben. Das Gedicht war unerwartet gewesen, sie konnte es noch nicht so recht mit dem Bild eines bekannten Turnierstreiters überein bringen.

Er nickte freundlich und trat einen Schritt zur Seite, um ihr mit einer einladenden Geste Platz zu machen. Dann lehnte er sich wieder an die noch warme Hauswand.

Luciana trat neben ihn, halb ihm, halb dem schmalen Streifen Dämmerung zugewandt. Sie verzichtete darauf, sich gegen die Wand zu lehnen.

“Eine berechtigte Frage, Signora. Der Poet in meinem Herzen würde wohl sagen ‘um Momente wie diesen zu erleben’, aber das wäre nur ein Teil der Wahrheit.” Er blickte zufrieden in den Sonnenuntergang. “Ich habe mir einen langgehegten Traum erfüllt und am Wagenrennen in Punin teilgenommen. Diese Reise hierher ist nur ein Abstecher auf meinem weiteren Weg zum Kaiserturnier in Gareth und im Anschluss daran plane ich eine Pilgerfahrt nach Perricum zu den Heiligtümern der Herrin Rondra.” Sein Blick wurde ernster, als ob ihn eine plötzliche Erkenntnis getroffen hätte und er sah Luciana direkt in die Augen. “Wisst ihr, als junger Ritter stand ich Euren Landsleuten bei Morte Folnor auf dem Schlachtfeld gegenüber. Es war ein grauenhaftes Gemetzel auf beiden Seiten.” Als ob Worte nicht gereicht hätten, so vermittelte der Blick in seinen Augen den gleichen erschütterten Eindruck. “Ich bin froh, dass die Zeiten sich geändert haben und wir uns nur noch im respektvollen Wettstreit der Wagenlenker, Pferde und Reiter gegenüberstehen…” Ein ehrliches Lächeln schlich auf seine Lippen. “...oder gemeinsam die letzten Sonnenstrahlen des Tages genießen.”

Morte Folnor. Die Erinnerung an das Blutbad jagte Domna Luciana einen Schauer über den Rücken. Es war ihre Knappzeit gewesen. Sie hatten sie schwer verletzt vom Schlachtfeld geborgen. Die Nachricht, dass sie als einzige aus dem Gefolge ihres Caballero überlebt hatte, einen neuen Herren brauchte, war niederschmetternd gewesen.

„Ich stimme Euch zu, Signor. Auch ich schätze den respektvollen, der göttlichen Leuin gefälligen Wettstreit und die Möglichkeit, sich mit seinen Gegnern anschließend auszutauschen. Solange Pflicht und Ehre es zulassen.“ Sie lächelte leicht. „Erst das Rennen zu Punin, dann das Kaiserturnier zu Gareth und anschließend die Pilgerfahrt nach Perricum. Ich wünsche Euch auf Eurer Reise viel Erfolg, Dom Dareius. Und gestehe, dass ich Euch insbesondere um die noch ausstehenden Ziele beneide. Leider ist es einige Zeit her, dass ich das Vergnügen hatte, an einem Turnier teilzunehmen. Hat sich Eure Teilnahme am Wagenrennen so gestaltet, wie Ihr sie Euch vorgestellt hattet?“

Dareius schnaubte leise und schüttelte den Kopf mit einer Mischung aus Belustigung und Erleichterung. „Ich habe überlebt. Und auch wenn meine Platzierung sich irgendwo zwischen ‘ehrenhaft’ und ‘gerade so nicht blamabel’ bewegte, war es eine Erfahrung, die ich um nichts in der Welt missen möchte.“ Ein fast schon demütiges Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen. „Wenn man mit dem Leben davonkommt, hat man zumindest eine gute Geschichte zu erzählen. Und was ist das Leben schon ohne Geschichten?“ Er überlegte kurz. “Ich habe Euch noch nie bei einem Turnier im Horasreich gesehen, vielleicht solltet Ihr erwägen zum Turnier um die Goldene Lanze von Bomed zu reisen. Eines der traditionsreichsten Turniere meiner Heimat und Ihr wärt in guter Gesellschaft, Eure Landsleute sind dort traditionell stark vertreten.”

Ein Strahlen trat in Domna Lucianas Augen. „Wenn das eine persönliche Einladung ist, Dom Dareius, so kann ich sie wohl kaum ausschlagen und riskieren, dass Momente wie diese wieder der Vergangenheit angehören.“ Sie lächelte. Die Aussicht auf ein Turnier war verlockend. Die Goldene Lanze von Bomed lag früh im Jahr. Vielleicht zu früh… „Wann genau im Rondra findet das Turnier statt? Es könnte sein, dass ich zu Beginn des Monats unabkömmlich bin.“

“Traditionell am dritten und vierten des Rondramondes. Selbstverständlich dürft ihr dies als persönliche Einladung verstehen. Meine Schwester ist die Schwiegertochter des Ausrichters, Comto Tilfur Sâl della Trezzi, es wäre also für eine standesgemäße Unterkunft im Castello Bregelsaum während des Turniers gesorgt….sofern Ihr es einrichten könnt.” Er neigte sein Haupt in einer respektvollen Geste.

„Welch verlockendes und großzügiges Angebot. Sollte ich im kommenden Jahr verhindert sein: gilt Euer Angebot auch für das darauf folgende Turnier? Oder gibt es vielleicht eine Alternative, die Ihr empfehlen könnt? Ich würde mich revanchieren und Euch eine bescheidene Unterkunft auf Eurer Rückreise von Perricum anbieten, in Punin oder in Waldwacht, was Eurer Reiseroute entgegenkommt.“

Dareius nickte energisch, dann dachte er kurz nach. “Selbstverständlich. Wenn Ihr jedoch bereits im kommenden Götterlauf das horasische Turnierwesen kennenlernen möchtet, gäbe es tatsächlich eine Alternative…die Banquirische Turney in Arinken. Das wahrscheinlich älteste Turnier des Horasreiches. Es findet im Efferdmond statt und ich könnte euch auf der Reise dorthin Unterkunft im Palazzo Amartos in Ruthor anbieten. Ruthor ist eine Stadt die ihr mit eigenen Augen gesehen haben müsst, die bosparanische Gladiatorenarena und die versunkenen Ruinen des Ozeanidenpalastes bei Sonnenuntergang sind Poesie für die Augen.” Die Begeisterung für die Schönheit Ruthors war offenkundig echt. “Und wenn ihr schon einmal vor Ort seid, könntet ihr nach dem Turnier in Arinken noch am Efferdstechen in Salicum teilnehmen - ein Ritterturnier in einem bosparanischen Amphitheater habt ihr sicherlich noch nicht miterlebt, oder?” Er lachte herzlich. “Euer Angebot für eine Unterkunft in Punin ist ebenso großzügig, es wäre mir eine Ehre, es anzunehmen."

„Dann nehme ich für den kommenden Götterlauf gerne Eure Einladung für Arinken und Salicum an. Sofern Ihr versichert, ebenfalls anwesend zu sein. Und für das darauf folgende Jahr die Einladung nach Bomed. Bezüglich Punin: seid so freundlich und schickt Nachricht wenn Ihr in etwa wisst, wann Ihr die Capitale erreichen werdet. Das erlaubt mir, meine Anwesenheit sicherzustellen.“ Domna Luciana ließ sich ihre Erleichterung nicht anmerken, dass sie auf diese Weise sowohl der Einladung folgen als auch ihren familiären Verpflichtungen würde nachkommen können.

Dareius nickte zustimmend. Dann wechselte er das Thema: “Aber genug vom Turnierwesen, Ihr habt nicht am Rennen teilgenommen, obwohl ihr offensichtlich mehr als nur in der Lage dazu seid. Ich hoffe ich trete Euch nicht zu nahe, wenn ich nach dem Grund dafür frage?”

„Aber nein, keinesfalls.“, erwiderte Domna Luciana. „Anders als meine Soberana und ihr Bruder bevorzuge ich Pferde, die mir auch im Ernstfall zur Seite stehen. Oder im Turnier. Daher habe ich von der Teilnahme über die kurze Distanz abgesehen. Es war eine gute Möglichlichkeit, die Tiere aus der Zucht der Familia zu Tôrzîlba zu präsentieren.“ Zudem war gar nicht in Frage gekommen, die jüngeren Mitglieder der Familia ohne Aufsicht zu lassen, bevor sie das Umfeld besser kannte. Ein Gedanke, der ihrer Schwägerin offenbar nicht gekommen war.

„Morgen und bei der Fuchsjagd werdet Ihr mich im Teilnehmerfeld finden. Mit einem Tier aus der Zucht in Quríabor. Obgleich ich nicht davon ausgehe, zu siegen: wenn Ihr auch an einem eher Rahja denn der Herrin Rondra gewidmeten Wettstreit interessiert seid, stehe ich zur Verfügung.“

Dareius blinzelte und sein Mundwinkel zuckte amüsiert – nur für einen Herzschlag. Er ließ sich einen Moment Zeit, als wolle er ihre Worte abwägen, doch in Wahrheit genoss er die unerwartete Wendung des Gesprächs.

„Nun, Caballera,“ begann er schließlich, sein Tonfall betont nachdenklich, „ich muss gestehen, ich bin versucht, die Herausforderung anzunehmen…“ Er neigte leicht den Kopf und fügte mit einer Stimme hinzu, die ebenso sanft wie herausfordernd klang: „… und dem Verlierer sollte eine weitere Gelegenheit gewährt werden, seine Ehre im Wettstreit zu verteidigen. Ob dieser eher der Herrin Rahja oder Rondra gewidmet sein soll, lege ich dabei ganz in Eure Hände.“

Einen kurzen Moment schien sein Gegenüber irritiert. Dann nickte sie mit einem kleinen Lächeln. „Wenn Ihr es als Herausforderung verstanden habt, soll es so sein. Ich pflege mich an meine Zusagen zu halten. Es ehrt Euch, dass Ihr dem Verlierer zugesteht, seine Ehre zu verteidigen. Auch wenn ich der Meinung bin, eine Niederlage im ehrlichen Wettkampf ist niemals ehrbeschneidend.“ Sie schwieg einen Moment, musterte ihn eingehend. „Lassen wir morgen den Sieger entscheiden, welcher Herrin die Revanche gewidmet werden soll. Findet Ihr nicht auch, dass weniger der Sieg an sich den Charakter des Siegers verrät. Sondern vielmehr sein Umgang damit.“

„Was wäre ein Sieg wert, wenn er ohne Herausforderung errungen wurde? Nur ein würdiger Gegner lässt einen die eigenen Grenzen ausreizen.“ Für einen Moment wirkte Dareius beinahe nachdenklich – oder zumindest tat er so. „Caballera, Ihr sprecht aber wahre Worte. Der Charakter eines Menschen zeigt sich nicht im Moment des Triumphes, sondern in dem, was er daraus macht. Doch es stellt sich die Frage: Ist es nicht ebenso aufschlussreich, wie jemand mit einer Niederlage umgeht?“ „In der Tat, Dom Dareius. Ich sehe, Euer Wein ist leer. Darf ich Euch auf einen weiteren sowie eine Fortsetzung unseres Gespräches einladen, oder wollt Ihr für Euch die nächtliche Ruhe genießen?“ Sie deutete erst auf das Gasthaus, dann die heraufziehende Dunkelheit.

Dareius nickte. “Sehr gerne, ich danke Euch! Ihr habt Recht, es wird Zeit hinein zu gehen, wer weiss was meine Knappin inzwischen wieder getrieben hat, eine Rauferei begonnen, einen Krug Wein in einem Zug geleert oder gar einen lokalen Jüngling ins Heu gezerrt…” Er rollte mit gespielter Empörung die Augen. “...es wäre nicht das erste Mal.” Nun musste er selbst grinsen, als er an ähnliche tatsächliche Vorfälle zurück dachte.

Domna Luciana nickte mitfühlend. „Ich hoffe darauf, dass meine Knappin Rondralia noch einige Jahre wartet, bevor sie mir, abgesehen von den von unvermeitbaren Raufereien, solche Sorgen bereitet.“

Gemeinsam wandten sich die beiden Adeligen zum Gasthaus.