Chronik.Ereignis1043 Selkethaler Pferderennen zu Ehren der schönen Göttin 1043 BF 60
Edlengut Selkethal, 25. Rahja 1043 BF
In der Laube des Gasthofs Burg An Holt (abends)
Autor: vivar
Zum dritten Mal senkte sich der Abend, erfüllt vom Duft des Flieders, auf das Selkethal. Die Zahl der Zuhörenden, die dem alten Sadiq ben Omar lauschten, war an diesem Abend noch größer geworden.
„Mein Herr, Sayyid León Dhachmani de Vivar, sein Verwandter, Sayyid Balafur, und die feuerrote Kriegerin hielten nun also die drei Schlüssel - eine Karte, ein verzaubertes Buch und einen Gebetsteppich - in ihren Händen, die uns die Tore zu dem verfluchten Schatz der Geschuppten öffnen sollten. Mehr als den ungefähren Ort in der brennend heißen Khôm, den uns die Karte verriet, kannten wir immer noch nicht, denn sooft wir das Buch auch durchblätterten, erschien es uns doch immer noch als unbeschriebenes Pergament und auch der Teppich – ein überaus hässliches und wenig kunstfertiges Stück, das einen jeden Menschen mit Sinn für Derometrie und Anmut angewidert die Augen abwenden ließ – enthüllte uns sein Geheimnis nicht.
Zugleich war mein Herr aber wie einer, der zwischen einer Klinge und einem Abgrund steht. Nach der Begegnung am vorigen Abend war die Hüterin Madolina beseelt zurückgeblieben und schrieb ihm ein Brieflein, indem sie sein Gedicht erwiderte. Dies waren ihre Worte:
wo dein schönes Antlitz erstrahlt,
sitzt ein brennender Blutstropfen,
und in diesem Blutstropfen
wieder tausend Tröpfchen,
jeder voll sehnsüchtigen Verlangens.
Und da es deine Schönheit ist,
die sich in diesem Tropfen,
diesen Tröpfchen
und in den tausend
Sehnsüchten spiegelt,
habe ich die Pforte meines Herzens
verschlossen,
damit kein anderer Mann mehr
eintreten kann,
Gewiss hätte sie mit diesen Worten das Herz meines Herrn gerührt, doch ach! Der Bote, welcher meinem Herrn die mit der Tinte der Liebe auf das Papier der Sehnsucht gebrachten Worte überbringen sollte, ließ diesen in der Kammer meines Herrn im gräflichen Schloss. Dort fand ihn die Yaquirtaler Krieger auf einem Tischlein, welche, begierig nach meinem Herrn, ihn am Abend erwarten wollte. Liebe sucht Rosen, Eifersucht Dornen. Die Schöne erbrach das Siegel und las den Brief. Da überkam sie ein gewaltiger Zorn. Sie prustete und schnaubte sie wie Yasandyr, Königin der Perldrachen, persönlich. In ihrer Eifersucht wollte sie den Gebetsteppich gar ins Feuer werfen – aus meiner Sicht wäre das recht gewesen, denn sagt nicht das Sprichwort: An jedem guten Teppich hat Rastullah mitgeknüpft, jeder schlechte Teppich aber ist Echsenwerk? Ach, hätte sie ihn doch den Flammen zum Fraß gegeben! Dann wäre uns manches Unglück erspart geblieben und die junge Kriegerin würde noch unter uns weilen! Doch keiner ist sich seines Schicksals sicher, ehe er ins Grab kommt.
Es gelang Sayyid León tatsächlich, die Flammen der Eifersucht, die in der Schönen aus dem Yaquirtal loderten, fürs Erste zu löschen.“
„Wie denn?“, fragte ein vorwitziger Bursche aus der zweiten Reihe.
Sadiq zögerte. „Das kann ich nicht erzählen, denn ich bin nicht dabei gewesen.“
„Ach komm schon, lügnerischer Alter!“, ereiferte sich eine zweite jugendliche Zuhörerin und warf eine Weintraube nach ihm. „Die beim Stelldichein im Mondenschein gesäuselten Gedichte konntest du gestern auch aufsagen, obwohl du nicht dabei warst!“
Sadiq ben Omar hob abwehrend die Hände. „Fern sei es von mir, dass ich etwas von dem Gesagten erfunden hätte noch, dass ich etwas erfinden sollte! Nein, nein! Ich habe lediglich gehört, dass viele besänftigende Worte und eine Badewanne involviert gewesen sein sollen, um die Hitzigkeit der Yaquirtaler Kriegerin abzukühlen. Alles weitere müsst ihr meinen Herrn schon selbst fragen! Lasst Euch – besonders ihr jungen Leute – nur sagen, dass die Leidenschaft der Nacht auch das Licht und die Mühen des Tages vertragen können muss. Wollt Ihr nun, dass ich weitererzähle, oder nicht?“
Autor: De Verlez
Mit einem Ruck stand Gwena ya Pirras auf. “Werter Sadiq, erzählt gerne Eure Geschichte weiter. Genug Zuhörer habt Ihr in den letzten Tagen damit fasziniert. Aber ich habe genug der Worte gehört und werde mich nun zurückziehen.” Mit einem kurzen Nicken deutete sie ihrer Knappin Kyrilla an, ebenfalls aufzustehen und sie zu begleiten. Mit leisen Worten der Entschuldigung bahnte sie sich einen Weg durch die Zuhörer. Kurz bevor sie die Laube verließen, drehte sich Gwena noch einmal um. “Meister der blumigen Worte, bitte verschafft mir eine Audienz bei Eurem Herrn. Wir sind ja noch einige Tage im schönen Selkethal und da wird sich sicherlich eine Gelegenheit dazu ergeben. Ich zähle auf Euch.”
Damit verließen sie die Laube und Gwena machte sich Gedanken, wie und was sie Rhymeo erzählen sollte, denn nun hatte sie die Bestätigung, dass der Schöne Baron und ihre Tante eine Liaison hatten und er sein Vater war.
Autor: vivar
Verwundert blickte der alte Novadi blickte Gwena und ihrer Knappin hinterher. Hatte er nicht zuvörderst ihretwegen diese Geschichte gewoben? Hatte sie ihr nicht gefallen? Dann wandte er sich den anderen Zuhörenden zu und fuhr fort: „Meinem Herrn, Sayyid León, war es also fürs Erste gelungen, die flammenhaarige Kriegerin zu besänftigen. Doch nicht lange dauerte es, bis unsere Reisegesellschaft seinetwegen zerbrach. Denn schon am nächsten Tag loderte ihre Eifersucht wieder auf. Zwei Frauen hatte mein Herr betört, zwei Herzen gebrochen. Die eine hatte, stumm wie das Madamal, ihre Gefühle einem Pergament anvertraut, die andere tobte wie ein Drache. Das eine Herz verwahrte die Begegnung tief in seinem Innersten, das andere kochte über und schwor, das Band zwischen ihm und dem Herzen Sayyid Leóns sei für immer zerrissen.
Währenddessen hatte Sayyid Balafur ein Schiff aufgetan, dass uns von Belhanka bis nach Khunchom, der Niemals Schlafenden, bringen sollte. Dort wollten wir das Zauberbuch und den Zauberteppich den weisen Mudramulim der Drachenei-Akademie vorlegen, auf dass sie uns ihr Geheimnis lüften mochten.
Alsbald fand sich auch mein Herr bald missgelaunt auf dem Schiffe ein, denn weder die Schatzhüterin noch die Feuerkriegerin waren dazu zu bewegen, uns zu begleiten: So war der Verführer selbst verführt, der Betrüger selbst betrogen worden. Was uns aber in Khunchom wiederfuhr, das will ich euch ein andermal erzählen.“
Sadiq ben Omar blickte auf. Erneut war die Dunkelheit auf ihn und die versammelten Zuhörenden herniedergegangen.
- ↑ nach Baba Fighani Shirazi, 15. Jhd.
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