Chronik.Ereignis1033 Feldzug Schrotenstein 13
In der Baronie Schrotenstein, 5. Rondra 1033 BF
Auf dem Castillo Schrotenstein
5. Rondra, in den Nachtstunden
Autor: von Scheffelstein
Es regnete noch immer. Aureolus hörte das Plätschern des Wassers tief unten auf dem Burghof und hoch über ihm auf dem Dach des Bergfrieds. Gedankenverloren kratzte er den geschmacklosen Brei aus der Holzschüssel. Er hatte Mehl gefunden in den Säcken im Vorratsraum und Eimer aufgestellt unter den Fenstern auf der Wehrplattform unter dem Dach. Über Holzbretter hatte er das Wasser in die Eimer laufen lassen, und so stark, wie das Unwetter gewesen war, hatten die Eimer sich allmählich gefüllt. In einem Topf über dem Kamin hatte er sich einen Brei aus Wasser und Mehl zusammengerührt, der nicht schmeckte, aber wenigstens satt machte.
Ein paar Tage würde er wohl noch hier bleiben müssen, bis er sich wieder erholt genug fühlte, um einen Transversalis zu wagen – und sich notfalls dem Kampf mit dem Dämon ein zweites Mal zu stellen.
Aureolus schob die Schüssel von sich und ließ den Blick über die Bücher gleiten, die auf dem Tisch und dem Boden ausgebreitet lagen. Reiseberichte, Lehrbücher – einfach alles, was er hatte finden können, das wenigstens einige Zeichen Isdira oder Asdharia enthielt oder sogar Abhandlungen über die elfische Sprache. Aber er musste sich nichts vormachen: Wenn er lernen wollte, das Vermächtnis seines Vaters zu lesen, brauchte er einen Lehrer. Und hier drin würde er den nicht finden.
Müde rieb sich Aureolus die Augen. Gewiss war es weit nach Mitternacht. Er blätterte erneut eine Seite im Buch seines Vaters um. Kaum einmal kam ihm ein Wort bekannt vor. Er vertat nur seine Zeit! Wo Romina nun wohl war? Aureolus starrte in die Flammen des Kamins. Die Gräflichen waren abgereist, kurz nach Mittag. Er hatte sie gesehen, unten im Hof, wie sie durch das Tor geritten waren. Sein Gefühl hatte ihn nicht getäuscht: Auch Romina war unter ihnen gewesen. So nah – und doch unerreichbar!
Ob er es wagen sollte, sich erneut in ihre Träume zu schleichen? Bestimmt schlief sie jetzt. Er könnte sie sehen. Er könnte sie besuchen, mit ihr sprechen. Aureolus Finger blätterten durch die Seiten des Buches. Gedankenverloren betrachtete er die verschnörkelten Zeichen, die wenigen Zeichnungen. Sein Herz sehnte sich nach ihr – mehr noch als sein Körper, und der brannte, brannte, brannte ...
Ich sollte nicht von dir träumen, hatte sie gesagt. Und doch hatte sie seine Wange berührt. Ihre Lippen waren so nah an seinem Ohr gewesen. Sie hatte von Liebe gesprochen, von Verlangen und Hingabe. – Wenn sie nicht aufgewacht wäre ...
Aureolus spürte, wie er harte wurde. Er griff durch die dünne Seide des Gewands, stellte sich vor, dass es nicht seine Hand war, sondern ihre. Er lehnte sich in dem Sessel zurück und stöhnte leise. ... mit meinem Herzen, meinem Verlangen und meiner Hingabe, so wie ich es mir erträume ... Ihre Worte. - Mit halb geschlossenen Augen starrte er auf das Buch auf seinem Schoss, das sich über seiner Hand hob und senkte, immer schneller in Richtung seiner Knie glitt. Die Seiten blätterten von alleine um, gleich würde es zu Boden fallen. Doch als es von seiner Hand gerutscht war, blieb das Buch liegen, fiel nicht.
Wenn sie nicht aufgewacht wäre, hätte er sie geküsst. Und sie ihn. Und dann hätte er ihre Kleider geöffnet und ...
Alwaza. Ein Wort sprang ihm ins Auge, das in großen Lettern in der linken oberen Ecke der Seite stand.
... er hätte sein Gesicht in ihrem honigblonden Haar vergraben ...
Alwaza, er kannte das Wort, es hieß: Verneinung dessen, was im Fluss ist.
... sie hätte ihm weiter süße Worte ins Ohr geflüstert, von Verlangen und Hingabe und ihren Wünschen ...
Verneinung der Zeit. Das hieß es.
... sie hätte ihn zu Boden gezogen, ihre Hand wäre über seinen Rücken gewandert, hätte den Saum seines Gewandes hochgeschoben, hätte ihn gepackt, zärtlich und doch fest ...
Alwaza – es stand nicht nur einmal dort, das Wort stand auf der ganzen Seite. Überall. Und auf der gegenüberliegenden.
... und dann hätte er sie ...
'Verdammte Scheiße!', dachte Aureolus.
... dann wäre er in sie ...
'Na, Störung dessen, was im Fluss ist, was?', höhnte seine eigene Stimme in seinem Kopf. 'Nein, nein, nicht jetzt!', dachte er und stieß das Buch mit dem Knie zu Boden. Aber die Bilder in seinem Kopf entglitten ihm. Romina entglitt ihm. Seine Erregung war dahin.
"Verdammt!", brüllte er und schlug mit der Faust auf die Lehne des Sessels. Unwillig knurrend rieb er sich die Nasenwurzel, stand auf und machte einige Schritte im Raum umher, auf, ab, zurück. Er blieb stehen, verschränkte die Finger über seinen Augen und atmete geräuschvoll aus. Dann ließ er die Hände sinken, setzte sich wieder hin und hob das Buch auf, blätterte es durch, bis er die Seite wiederfand.
Alwaza. Verneinung dessen, was im Fluss ist. Verneinung der Zeit. Er blätterte weiter. Überall dieses Wort, ein ganzes Kapitel. Die Erregung, die ihn jetzt erfasste, war ganz anderer Natur. Sein Herz pochte wild in seiner Brust. Auch wenn er kaum etwas von dem verstand, was sein Vater geschrieben hatte, hatte er keine Zweifel: Dieses Kapitel handelte von der gesuchten Formel: Tempus stasis. Ein Grinsen breitete sich auf Aureolus' Gesicht aus. Er hatte sie gefunden!
Autor: von Scheffelstein
Der Schlaf floh Belisetha. Im Halbdunkel der von einer Nachtkerze beleuchteten Kammer starrte sie an die Decke, lauschte dem Regen und dem sich entfernenden Gewitter. Die Dämonen, die sie jagten, waren andere als die ihrer Kindheit, und doch wünschte sie sich, ihr Bruder säße auch jetzt an ihrem Bett und spräche beruhigende Worte zu ihr. Als Kind hatte sie böse Geister, Drachen und Dämonen in den schattigen Winkeln ihrer Schlafkammer vermutet, ohne genau zu wissen, wie diese aussahen. Nun wusste sie, dass Dämonen das Leben ihrer Familia bedrohten, irgendwo dort draußen. In den einsamen Nächten, wenn sie hoffte, dass Borons Traumbote sie bald auf seinen Flügeln davontrüge, wartete nur einer in den dunklen Ecken des Raumes, stumm und reglos wie eine Statue, geduldig wie Stein – der Tod.
Nun aber war nicht sie es, auf deren Schultern sich die Hände des Gevatters legten, nun waren es die Jüngeren, denen er die Hand hinhielt, und der verkehrte Lauf der Dinge erschreckte Belisetha weit mehr als ihre eigene Endlichkeit.
Rifada war siebzehn Jahre jünger als sie und mindestens dreißig Jahre vitaler. Sie strotzte von Kraft und Lebenswillen, und doch lag sie bleich und kalt in der engen Turmkammer, in die sie sie verbracht hatten, und es war nur eine Frage der Zeit, bis ihr Herz den letzten Schlag getan hätte und sie die Welt für immer verließe.
Und auch der jungen Gujadanya ging es nicht gut, sie hatte viel Blut verloren, selbst wenn sie sich tapfer gab und mit ihrer Mentorin stritt, ob sie ihr Bett und ihre Kammer verlassen dürfe, um nach ihrer Mutter zu sehen, doch Jelissa Al'Abastra hatte es ihr untersagt.
Amandos Worte, die er im Traum zu Belisetha gesprochen hatte, schienen sich zu bewahrheiten: Ihre Familia war in Gefahr! Ach, wenn sie nur Nachricht erhielte von Lucrann, der seit Monaten fort war, der stets mehr von einem Weidener Ritter gehabt hatte als von einem Caballero Almadas, dem Land, in dem er geboren worden war, in dem er Baron war.
Draußen jaulte ein Hund, wie den ganzen Abend schon, heulte erbärmlich und machte Belisetha ihre Einsamkeit und ihren Kummer nur umso deutlicher. Ächzend erhob sie sich, um die Läden zu schließen, um den Regen, den Donner und das Gejaule auszusperren. Wahrscheinlich war es derselbe Köter, der schon den ganzen Tag um die Burg gestrichen war, den die Wachen mit Steinen beworfen hatten und der dennoch irgendwie in den Hof geschlüpft war, bis eines der Stallmädchen sich seiner angenommen und ihm Futter und Wasser gegeben hatte.
Belisetha hatte die Hände bereits um den Laden geschlossen, als ihr Blick auf den Bergfried fiel. Sie stutzte. In einem der schmalen Fenster schien Licht. Ein schauriges flackerndes Leuchten, wie Feuer – Feuer, das dort nicht sein konnte, nicht sein durfte! Der Turm war versiegelt, niemand hatte Zutritt, kein Mensch vermochte ins Innere des verfluchten Baus zu gelangen!
'Gütige Götter!', dachte Belisetha. Ob das der Dämon war? Oder der Geist des Schwarzen Rakolus?
Die Furcht griff mit klammen Fingern nach ihrem Herzen. Unwillkürlich schloss Belisetha die Rechte um das 'Signum griphonis solaris', das sie sich um den Hals gehängt hatte.
Kein Zweifel: Dort oben schien Feuer im Turm, kein hell lodernder Brand, nein, warmes, gleichmäßiges Licht, das sie mehr erschreckte, als wenn der Blitz in die Burg eingeschlagen und den Bergfried in Flammen gesetzt hätte. 'Fühl dich nur nicht zu sicher', bedeutete ihr das Licht, 'auf dieser Burg bist nicht du zu Hause, nicht deine Familie. Hier herrschen ältere, dunklere Mächte, und ihr düsteres Erbe liegt hier noch immer verborgen.'
Belisetha schlug den Laden zu und eilte mit der Nachtkerze hinüber in den Praios-Schrein, kniete vor der goldenen Greifenstatue nieder und sprach die alten Worte, die ihr Bruder sie einst gelehrt hatte.
"Praios noster, qui es in Alveranis, sanctificetur nomen tuum, fiat iustitia tua, fiat voluntas tua, sicut in Alveranis et in Dere. Lucem perpetuam tuam da nobis hodie; et dimitte nobis debita nostra sicut et nos dimittimus debitoribus nostris; et ne nos inducas in temptationem sed libera nos a malo. Quia tuum est regnum et potestas et gloria in saecula. Sic esse!"
Das Antlitz des Greifen sah unbewegt auf sie herab. "Libera nos a malo! Te rogo, adiuva me! Serva nos!", flüsterte sie.
Noch immer schwieg die Statue. Doch als sie zurückkehrte in den Palas, die Stufen hinaufstieg zu ihrem Gemach, hatte der Regen nachgelassen, der Hund war verstummt, und das Licht im Bergfried war erloschen.
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