Chronik.Ereignis1033 Feldzug Kornhammer 03
Königlich Kornhammer, 02. Rondra 1033 BF
Auf Burg Scheffelstein
02. Rondra, abends
Autor: von Scheffelstein
Hesindian von Kornhammer-Scheffelstein strich sich nachdenklich durch den Bart. "Nur wenige Schritt weit reicht der Zauber, sagt Ihr?"
Der Magier nickte, wobei der Zipfel seines Spitzhutes auf und ab wippte. Er war sicher zehn Götterläufe jünger als der Vogt, doch seine fahrigen Handbewegungen hatten etwas Greisenhaftes, und mit dem zerzausten grauen Bart, dem zu allen Seiten abstehenden Haar und in der fadenscheinigen blauen Robe wirkte er etwas ungepflegt – nachlässig, zumindest, was sein Äußeres anging. Hesindian hoffte, dass er bei seiner Arbeit sorgfältiger zu Werke ging. Aber hieß es nicht oft, die klügsten Köpfe bewegten sich in jenseitigen Sphären und hätten für das Diesseits wenig Sinn? Allerdings: Die Ferkinas dort unten im Dorf waren ein sehr diesseitiges Problem.
"Gut", sagte Hesindian langsam, "dann sehe ich das also richtig, dass Ihr zum Wirken Eures Zaubers nach Kornhammer hinunter gehen müsst?"
"Ähem ... müsstet, meint Ihr sicher, Euer Hochgeboren, nicht wahr?", erwiderte Magister Sadranius hastig. Als Hesindian schwieg, fuhr er irritiert fort: "Ja, nun ... ja, um beide Zauber zu wirken, müsste ich wahrlich in das Dorf hinunter gehen. Denn nur einen kann ich an den Stein binden, den einer Eurer tapferen jungen Männer ins Lager der Barbaren werfen könnte. Den anderen Cantus müsste ich wohl selbst sprechen, denn bedauerlicherweise vermag ich meine Stimme nicht auf eine andere Person zu transferieren."
Hesindian sah aus dem Fenster, auf die allmählich tiefer sinkende Sonne. "Wie lange braucht Ihr für die Vorbereitung Eurer Sprüche?"
"Oh, ah ... nicht lang", erwiderte der Magister mit lässiger Handbewegung.
"Caneya", wandte der Vogt sich an seine Dienerin. "Lass' den Raschtulsrücker Vorarbeiter kommen, er soll mir erneut als Übersetzer dienen. Und beschaffe mir von irgendwoher einen Stein, irgendetwas möglichst Großes und Beeindruckendes. Irgendetwas", sagte er, selbst belustigt, "das aussieht, als hätte Mada selbst es nach Dere gesandt. Weiß. Ja: Suche mir einen großen, weißen Stein."
Die Dienerin knickste und ging, und Hesindians Augen richteten sich erneut auf den Magister. Im Dorf erfreute sich der Mann eines zweifelhaften Ruhmes, war doch allgemein bekannt, dass seine Erfindungen und sein Zauberwerk vornehmlich dazu dienten, untreue Ehemänner zu überführen, unkeusche Töchter von ihrem Stelldichein abzuhalten, in trockenen Sommern Gartenpflanzen zu bewässern oder mittels magischer Beleuchtung Diebe von Feldern und Ställen fernzuhalten. Nun, so sehr seine Collegae Sadranius' Erfindergeist als unwissenschaftlich belächeln mochten, so nützlich mochten seine Fähigkeiten Hesindian bei seinem Vorhaben werden. Vorausgesetzt, der Magister war wirklich das kluge Köpfchen, für das ihn die Dörfler hielten. Und vorausgesetzt, Hesindians Plan ging auf. Falls nicht ...
"Magister, ich möchte Euch bitten, den Stein, den ich Euch bringen lasse, mit dem genannten Zauber zu belegen. Sobald es dämmert, werden wir den Wilden ein kleines Präsent überreichen. Und Ihr werdet den zweiten Zauber wirken. Und die Worte sprechen, die mein Übersetzer Euch lehren wird. Ihr seid gewiss in der Lage, in kurzer Zeit ein paar Sätze in einer fremden Sprache zu lernen?"
"Ihr ... Ihr wollt mich allein dort hinunter nach Kornhammer schicken? Zu ... den Barbaren?", stammelte der alte Magier entsetzt.
"Nein", lächelte der Vogt. "Nicht allein. Und nicht schicken. – Zalamea: Lass' meine Rüstung bringen und mein Pferd satteln. Wähle fünf deiner Leute aus, sie sollen mich begleiten. Und bringe für den Magister einen Wappenrock. Er soll nicht gleich nach einem Magier aussehen."
Der Zauberer erbleichte, und auch Zalamea Mansarez wirkte alles andere als begeistert. Der Wille zu gehorchen und der Wunsch zu widersprechen, rangen in ihrem Gesicht miteinander. Schließlich neigte sie demütig das Haupt, wagte aber vorsichtig nachzufragen: "Ihr wollt den Ferkinas entgegen reiten? Wir können Euch nicht schützen gegen zweihundert Mann. Mit Verlaub, Herr: Das ist ... Wahnsinn! Die Ferkinas haben keine Ehre!"
"Nein", sagte Hesindian und blickte hinaus über die dicht gedrängten Menschen in seiner Burg. "Nein, sie haben keine Ehre. Aber sie haben Mut. Und sie verachten nichts mehr als Feigheit. Ich habe ihnen mit dem Zorn des Mondes gedroht, wenn sie sich an meinem Volk vergehen. Den Zorn des Mondes werden sie erfahren."
"Herr", sagte die Hauptfrau seiner Garde, und in ihrer Stimme schwang ein Hauch von Ungeduld mit, "der Mond ... kämpft nicht. Mada kann Euch nicht beschützen, und wir haben zu wenig Soldaten!"
"Ein Mann, der sich hinter den Mauern seiner Burg verschanzt und hinter leeren Drohungen, während jene, die ihm anvertraut wurden, leiden, verdient weder den Respekt seiner Untergebenen, noch den seiner Feinde", sagte der Vogt.
"Herr, Euer Tod wird niemandem nützen!", rief Zalamea.
Hesindian runzelte die Stirn und bedachte sie doch mit einem Lächeln. Sie war eine junge Kriegerin, loyal und fantastisch mit der Klinge. Doch sie war im Frieden geboren, wusste nichts von den Grausamkeiten des Krieges. Und den Entscheidungen, die er den Menschen abverlangte. Ob sie aus einem Mann einen Helden oder einen Toten machten, lag in der Götter Hände, auch wenn die Helden oft anders dachten und diejenigen, welche sie in Liedern besangen, erst recht.
"Zalamea", sagte er streng, "du bist die Capitana meiner Garde, nicht meine Amme. Gehorche mir, oder ich setze deinen Vater wieder ein, egal, wie alt er inzwischen ist. Abelardo wusste, wann ich von seinen Belehrungen genug hatte."
"Ja, Euer Hochgeboren. Verzeiht, Euer Hochgeboren", erwiderte Zalamea errötend. "Eure Rüstung, Euer Ross und fünf meiner Leute, Herr!" Sie grüßte zackig und verließ den Saal.
Hesindian lächelte still. Mochte Rondra geben, dass er nicht wirklich der Narr war, den die Capitana einen Augenblick lang in ihm gesehen hatte!
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