YB32 Punin trägt schwarz
Erschienen in den Meldungen des Hauses Yaquirblick Nô 32
Phex 1030 BF (2 Hal II.)
REICHSCAPITALE PUNIN. Seit ihrem Aufstiege zur Capitale des Raulschen Reiches weht ein neuer Wind durch die Gassen der Domna. Das lässt sich nicht nur am verstärkten Comercio auf den städtischen Märkten, der vermehrten Bautätigkeit und der erhöhten Zahl ausländischer Emissäre, die sich in den Hotels einquartieren, erkennen. Allein ein Blick auf die Gewandung der Puniner Bürger verdeutlicht die neue Erhabenheit der Yaquirmetropole. Dem fremdländischen Betrachter wird die neue Marotte der Puniner, sich in dunkle – am besten schwarze – Wämser und Röcke zu hüllen, alsbald auffallen. Mehrere Monde ist es schon her, dass die dem dunklen Gevatter gefällige Tinktur andere Färbestoffe zu verdrängen begann – nun trägt bereits der Großteil der Bürgerschaft die edle Farbe am Leibe.
Wie kommt das? So mancher Unbedarfte vermutete einen Einfluss erzzwergischer Strenge oder bürgerlicher Schlichtheit bei der neuen Sitte, doch wurde sie – wie jede modische Neuerung im Reich – am Eslamidenhofe geboren. Hinreichend bekannt ist jedem unserer verehrten Leser die Angewohnheit I. K. H. Alara Paligan, sich ganz in Schwarz zu hüllen, ja nach südländischer Sitte gar zu verhüllen. Auch ihr kaiserlicher Enkel, S. K. M. Hal II., liebt es, die Farben BORons anzulegen. Was hätte da für bei Hofe versammelten Magnaten, Edlen und Würdenträger näher gelegen, als ihre besondere Zuneigung und Treue zu Ihrem Soberan durch das Tragen seiner Farben zu demonstrieren?
Zuerst beschränkte man sich darauf, schwarze Schärpen über dem klassischen Rocke des höfischen Stils anzulegen, Hutfedern schwarz zu färben, das Haar mit schwarzen Schleifchen zu binden und die Strümpfe mit schwarzen Bändern zu befestigen.
Bald jedoch ging die Imitation der kaiserlichen Schlichtheit weiter und Schwarz ersetzte Rot, Blau, Sonnengelb oder Grün als Hauptfarbe der Röcke und Kleider. Kleine Modifikationen des Höfischen Stils ließen die aktuelle Mode (wie nebenstehend illustriert) entstehen, wie sie derzeit bei Hofe getragen wird und allenthalben in der Domna kopiert und begeistert aufgenommen wird.Die Domna von Stand trägt wie bisher ein korsettiertes Kleid, das den Blick auf die weißen Unterröcke nicht verwehrt und auch am Oberkörper RAHja gefällige Offenheit demonstriert. Halbärmel, gepuffte Schultern, Torso und Rock zeigen durch ihre schwarze Farbe die Ernsthaftigkeit almadanischen Seins, wobei bisweilen (wie im Beispiel) auf allzu spielerische Brokatverzierung verzichtet wird.
Der edle Dom trägt voll almadanischen Stolzes einen schwarzen Rock, der noch starke Ähnlichkeit mit dem bisherigen Wams hat, sich jedoch durch die angesetzten langen Ärmel hervortut, die nur noch durch einen Schlitz einen Blick auf das bisher frei sichtbare weiße Rüschenhemd freigeben. Rondrianisch ist der Almadaner noch immer, wie an den schwarzen Pluderhosen zu ersehen ist. Die Strümpfe sind zwingend weiß, während Schuhe, Hut und Umhang wieder die Farbe BORons zeigen.
Wie leicht ersichtlich ist, besteht die größte Neuerung nicht in einer Veränderung des Schnitts, sondern in der Rücknahme der Farbe, wodurch die Aufmerksamkeit des Betrachters auf das Wesentliche, nämlich die klaren geometrischen Formen der Gewandung gelenkt wird. Zusammen mit der Schwärze verleihen diese dem Träger eine Würde und Strenge, wie sie einem mit Geistesschärfe urteilenden Magnaten wohl anstehen. Zugleich warnen sie das Gegenüber implizit vor der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens: „Bedenke, dass du sterblich bist!“ Die rondrianische Note verrät noch mehr: „Und bedenke, dass ich die Ursache deines Ablebens sein könnte!“
„Gleichmacherei!“, könnte nun ein Lästermaul rufen und auf die Ununterscheidbarkeit der Magnaten aufgrund mangelnden Kontrasts hindeuten. Doch weit gefehlt! Die Farben sind nicht vollständig aus der Gewandung verschwunden. Vielmehr blitzen sie hier und dort dezent hervor: Borten, gepuffte Schultern, Schleifchen, Schärpen, Absätze, Gürtel, Amulette, Hutfedern und Schals sind nun die bevorzugten Orte, um eigene Akzente zu setzen und Verbundenheit zu einem bestimmten Magnaten oder einer bestimmten Familia zu zeigen. So tragen beispielsweise die Alaristen eine Rabenfeder am Hut, während die Speichellecker des Reichkanzlers sich die Farben der Familia von Taladur als Schal aus golddurchwirkter roter Seide um den Hals schlingen.
Ihre Eminenz Madalena Galandi, anerkanntermaßen eine herausragende Kennerin aventurischer Bekleidungskultur, ist indes nicht sonderlich von der neuen Dunkelheit angetan: „Ich hätte mir, bei Khablas Sinnlichkeit, vom alanfanischen Einfluss bei Hofe Aufregenderes erhofft.“ Pasqua Sfalia vom Regenbogentempel hat ebenfalls eine kritische Ansicht. „Die junge Göttin erfreut sich immer an Neuem“, teilte sie im Gespräch mit unserer Korrespondentin mit, „doch warum muss es so dunkel und düster sein? Schwarz ist nicht einmal im göttlichen Regenbogen vertreten!“ Von Seiner Erhabenheit, dem Raben von Punin, ließ sich keine Stellungnahme über die Übermacht von BORons Farbe bei Hofe erlangen.
In der Domna wird seit diesem Winter nichtsdestotrotz das Tragen schwarzer Kleider auch von den Bürgern und teilweise den restlichen Einwohnern übernommen. Wer es sich leisten kann, lässt sich gleich vollkommen neu einkleiden. Doch viele lassen einfach ihre alten Wämser, Hosen, Kleider und Röcke einfärben – mit geschwärztem Alabaster, was immer noch teuer genug ist, oder mit günstig erhältlichem Trester [1].
- ↑ Trester: Pressrückstände der Weintraube.