Chronik.Ereignis1045 Yaquirblick 59 - Der Leserschaft Reaktionen 01
Junkergut Blumenau, Ende Peraine [[Annalen:1045|1045 BF]
Aufgeregtes Kichern hallte die Flure entlang.
Drei junge Damen, heimlich in eine Ecke des Flures gedrängt, beugten sich über ein Stück Papier und tuschelten miteinander. Eine von ihnen, ein dralles Mädchen von vielleicht fünfzehn, sechzehn Götterläufen, summte eine Melodie, woraufhin die anderen beiden erneut zu kichern begannen.
Als eine Tür ging und Schritte auf dem Flur zu hören waren, verstummten sie.
“Was für eine Verschwörung ist denn hier zugange?”, fragte Domna Usanza scherzend, als sie die drei jungen Damen, darunter ihre Nichte Linje da Selaque von Culming entdeckte.
“Keine Verschwörung”, entgegnete Domnatella Linje, nun wieder fröhlich kichernd, “nur ein… Lesezirkel.” Die beiden anderen, Sarkyoza Al'Morsqueta und offenbar eine Zofe Linjes, fielen in ihr Kichern mit ein.
“Domna Usanza, ihr seid doch oft in Punin, richtig?”, kam Domnatella Sarkyoza ein Geistesblitz. “Stimmt es? Dass ganz Punin Trauer trägt ob des Verschwindens des schönen Barons?” “Ist er wirklich so schön, wie man sagt? Wird das Bild ihm gerecht?”, fiel die Zofe mit ein. Nur Linje sagte nichts… aber ihr sehnsüchtig verklärter Blick sprach Bände.
Usanza lächelte freundlich. “Wo habt ihr das denn her?”, fragte sie, auch wenn sie sich die Antwort bereits denken konnte. “Das steht in der neuesten Ausgabe des Yaquirblick”, antwortete Domnatella Linje und reichte ihrer Tante die Papiere, die sie bis eben hinter dem Rücken versteckt gehalten hatte.
In großen Lettern stand dort die Überschrift: “Wo ist der schöne Baron?”
Unwillkürlich musste auch Usanza kichern, während sie die Zeilen überflog, und die drei jungen Frauen vor ihr stimmten ein. Als sie die Verse las, die dort abgedruckt standen, stutzte sie kurz.
“Nun, das muss er wohl, wenn man nun schon Lieder über ihn dichtet”, antwortete sie und gab die Zeitung zurück.
Eine ihr nur allzu bekannte Melodie ging ihr durch den Kopf…
- Er hat sich in dieser Nacht
- da ich aus dem Schlaf erwachte
- und an seine Huld gedachte
- aus dem Bette weggemacht.
Die Worte hatte sie schon früher gehört - nicht in den Villen und Palazzi der Nobleza, sondern in den Tabernas und auf den Straßen, wenn sie auf der Durchreise war. Sie hatte es immer für eine Zahori-Weise gehalten… und nicht gedichtet ob des Verschwindens des schönen Barons, sondern des schönen Zahori.
Aber was wusst sie schon.
Die drei jungen Damen vor ihr hatten sich jedenfalls eine eigene Melodie ausgedacht und sangen das Lied, fröhlich und voll übertriebener Inbrunst… in Gedanken an den schönen Baron versunken.
„Domna Usanza, Ihr kennt Euch doch so gut in der gehobenen Gesellschaft aus. Und auch darüber hinaus, allein durch das Theater. Sagt, ist der Schöne Baron einer der schönsten Männer Almadas? Wisst Ihr, wer die anderen sind?“, erkundigte sich Domnatella Sarkyoza unvermittelt. „Stimmt es, dass schönen Männern nicht zu trauen ist?“ Domna Luciana hielt wenig von gutaussehenden Männern, das wusste sie sicher. Bei ihrer älteren Schwester war sie sich nicht sicher, wie bei so vielen Dingen, die diese betrafen. Sie wirkte immer so beschäftigt, auch wenn sie sich Zeit für die Familie nahm. Wirkte irgendwie respekteinflößend, war in Sarkyozas Wahrnehmung eher die Soberana, von der Mama immer gesprochen hatte, als große Schwester, der man seine kleinen Sorgen, Nöte und Schwärmereien anvertraute. So ganz anders als Domna Usanza.
Usanza hielt einen Moment inne. Die Frage überraschte sie - und brachte sie ein wenig in Verlegenheit. Sie hatte den schönen Baron bislang nur von Weitem gesehen, auf dem Pferderennen, das ihr Bruder veranstaltet hatte. Und ja, er wurde seinem Namen gerecht. Durchaus.
“Ich…”, begann Usanza mit ihrer Antwort. Dann entschied sie sich noch einmal um. Verschwörerisch schaute sie nach links und rechts den Gang hinunter, wie um sich zu vergewissern, dass sie nicht überhört wurden, dann lehnte sie sich etwas nach vorn und sagte mit gedämpfter Stimme: “Also zunächst einmal ist das eine sehr ungehörige Frage, junges Fräulein”, schalt sie die junge Domnatella augenzwinkernd und offensichtlich nicht ganz ernst gemeint. Domnatella Sarkyoza wurde rot, sah verlegen zu Boden, begann, mit ihrem Fächer zu spielen. Domna Usanza ergänzte “Und zum anderen: Ja, Dom León ist meines Wissens einer der schönsten Männer des Landes. Aber es gibt noch andere. Zu… viele andere”, grinste sie. Domnatella Sarkyoza Augen wurden groß, ihr Blick huschte fragend zu Domnatella Linje, die den fragenden Blick erwiderte. Derweil fuhr Domna Usanza etwas ernster fort: “Schönheit ist nicht alles. Sie ist vergänglich. Und schöne Männer sind… oft sehr unstet, wenn ihr wisst, was ich meine.” Um einen Moment später hinzuzufügen: “Was manchmal aber auch etwas Gutes ist.”
Sarkyoza war merklich hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, nicht wie ein unwissendes Kind dazustehen, zugleich aber auch nicht einen verdorbenen, schamlosen Eindruck zu hinterlassen. Sich vorsichtig vorantastend antwortete sie zögernd: „Das mit der Vergänglichkeit hat Mama, Boron hab sie selig, auch immer gesagt.“ Einen Moment schimmerten ihre Augen verdächtig, dann straffte sie energisch die Schultern. „Aber… ist es nicht besser, wenn Männer Frauen anständig behandeln, ihnen zu Füßen liegen statt sie zu benutzen und fallen zu lassen?“
Für einen Moment huschte ein stolzes Lächeln über Usanzas Gesicht. Sarkyoza war noch immer sehr beeinflussbar durch die Meinungen anderer, aber sie begann offenbar auch die Meinungen anderer zu hinterfragen - und das erfüllte sie mit mütterlichem Stolz, den sie nicht erwartet hatte.
“Es ist immer besser, wenn man sich anständig und mit Respekt behandelt, Liebes, da hast du vollkommen Recht.” Sie widerstand dem Drang, ihr übers Haar zu streichen. “Und es ist auch in Ordnung, wenn man sich mal einem Moment der Leidenschaft hingibt, solange es einvernehmlich geschieht.” Usanza war selbst ein wenig verwundert über diese Worte, die so oder so ähnlich auch von ihrer Mutter hätten stammen können.
“Also mir dürfte der schöne Baron gern zu Füßen liegen”, kicherte Linje, und ihre Zofe fiel mit ein. Sarkyoza grinste. „Ich weiß ja nicht… Du kannst ihn zuerst haben. Vielleicht nehm ich ihn später, wenn ich verheiratet bin. Dann ist es nicht schlimm, eine von vielen zu sein, da ist das schöne Leben ja eh vorbei.“
“Sehr gut, wir teilen, wie Schwestern!”, pflichtete Linje ihr bei, ohne sich Gedanken darüber zu machen, was sie eigentlich sagte. „Einverstanden, wie Schwestern, beste Freundinnen. Bei Phex, es sei.“, fiel Sarkyoza begeistert ein. Im letzten Moment erinnerte sie sich, nicht, wie sie es bei den Mercenarios ihrer Soberana gesehen hatte, in die Hand zu spucken, bevor sie sie Linje hinhielt. Diese schlug bereitwillig ein.
Dann fiel Sarkyoza ein, dass Domna Usanza kurz vor der Eheschließung stand. Sie wurde leuchtend rot, begann zu stottern: „Also… ich meine… also, wenn… wenn das so eine arrangierte Ehe, also… ich meine… für die Familia… mit so einem schrecklichen alten… also… oder weil man das Rahjalieb vergessen hat und…“ Verzweifelt suchte sie nach einem Ausweg. „Also, naja, wenn die Ehe eben nicht von Rahja gesegnet ist, sondern nur ein notwendiges Geschäft mit einer schrecklichen oder abstoßenden oder langweiligen Person.“ Sie gab auf, fühlte sich elend.
Linje verzog angewidert das Gesicht. “Arrangierte Ehen sind das Letzte!”, schimpfte sie. “Eher würde ich reißaus nehmen, als dass man mich zwingt, einen langweiligen alten Sack zu ehelichen.”
„Und überhaupt, der Schöne Baron ist ja auch schon so a…“ Ihr Bruder war älter. „Also, verheiratet, mit der Gräfin Gerone, die eine legendäre Kämpferin ist, die würde ich nicht so gerne verstimmen.“
Usanza hatte lächelnd geschwiegen. Linje schien sehr klare Vorstellungen zu haben, wie ihr Leben laufen sollte. Sarkyoza nicht, aber dafür wirkte sie schon fast reifer in ihren Überlegungen - auch wenn sie merklich verunsichert war.
Entsprechend entschied sie sich für die Flucht nach vorn: einen Themenwechsel. „Domna Usanza, findet Ihr, dass die Herrschaft über ein Lehen dringend gute kämpferische Fähigkeiten erfordert?“
“Nein, das denke ich nicht. Herrschaft erfordert Güte und Weisheit. Kämpferische Fähigkeiten können helfen, aber dafür gibt es auch Mercenarios. Man muss nicht selber kämpfen, um herrschen zu können. Man muss nur wissen, wann ein Kampf unvermeidbar ist.”
“Oder notwendig!”, ergänzte Linje besserwisserisch.
“Oder notwendig”, bestätigte Usanza.
Sarkyoza nickte nachdenklich, schien merklich erleichtert. „Oder treue Vasallen. Oder jüngere Geschwister.“ Vielleicht war Ordonya mit ihrer Begeisterung für alles, was mit Pferden und Waffen zu tun hatte, ja doch zu irgendwas nütze. „Güte und Weisheit sind ganz schön kompliziert, wenn man nicht will, dass alle machen, was sie wollen. Und man muss an so viel denken.“, erinnerte sie sich an die Lektionen ihrer Eltern.
“Ja, das stimmt”, pflichtete ihr Usanza bei. Ihre Gedanken wanderten unwillkürlich zu ihrer älteren Schwester, die stets versuchte, es allen Recht zu machen. Sie war sehr froh, dass dieser Kelch an ihr vorüber gezogen war.
„Wart Ihr schon mal in der Reichsmark Amhalla, Domna Usanza? Sind die Fellachen da sehr anders als bei uns?“
Usanza schüttelte den Kopf. “Nein, war ich nicht. Dazu kann ich leider nicht viel sagen. Ich weiß nur, dass unsere Familia stets daran interessiert war, die Reichsmark wieder zurückzugewinnen. Aber wie die Menschen dort sind, kann ich nicht beurteilen. Eure Familia hat Verbindung nach Amhalla, wenn ich mich recht entsinne, nicht wahr?”
Sarkyoza nickte. „Ja, mein Vater und seine erste Frau haben meine Mutter und ihre Eltern damals gerettet, als Almada Omlad das erste Mal… zurückerobert… hat. Für meinen Onkel und seine schwangere Frau kam jede Hilfe zu spät.“ Keiner hatte jemals en Detail darüber gesprochen, was damals geschehen war. Aber selbst das wenige, was sie wusste, ließ keinen Zweifel daran, dass die „Befreier“ damals wie Horden der Niederhöllen gewütet haben mussten. Jedenfalls hatten Papá und Domna Brinya Mamá und ihre Eltern nicht vor novadischen Horden retten müssen.
„Meine Familia mütterlicherseits hat noch Landbesitz in der Reichsmark. Früher, vor dem Novadisturm, war es ein Junkergut. Aber die Novadi haben ja alle gezwungen, sich zu ihrem Götzen zu bekennen, oder ihren Besitz aufzugeben. Meine Großeltern waren die letzten der Familia. Sie haben, mit Phexens und Peraines Hilfe, nur das Stammgut und unsere Ansprüche retten können. Und als Erstgeborene bin ich ja irgendwie Mundilla.“ Sie zuckte etwas ratlos mit den Schultern.
Linje blickte etwas schockiert und betroffen drein. Eine solche Wendung des Gesprächs hatte sie nicht kommen sehen. Etwas ungelenkt ließ sie den Yaquirblick sinken, versuchte gar ihn hinter ihrem Rücken zu verstecken. Nach schönen Baronen war ihr jedenfalls nicht mehr zumute.
Ihre Zofe, ebenfalls offensichtlich verwirrt, schwieg gleichfalls.
“Im Krieg geschehen viele schlimme Dinge”, war es wieder Usanza, die die Stille brach. “Aber ich bin froh, dass deine Mutter und deine Großeltern entkommen konnten. Komm her.”
Einem mütterlichen Instinkt folgend, griff Usanza das Mädchen an den Oberarmen, zog es an ihre Brust und küsste sie auf die Stirn. Einen Moment lang verweilte sie so, dann blickte sie ihr in die Augen. “Manches, was geschieht, ist grausam. Aber ich glaube fest daran, dass die Götter einen Plan mit uns haben, und dieser sich beizeiten offenbaren wird. Und sieh uns an: Du bist hier, bei uns, hast eine weitere beste Freundin und Schwester gewonnen und eine alte Tante, der du sehr am Herzen liegst”, erklärte Usanza augenzwinkernd.
Sarkyoza, die sich einen Moment gegen Usanza gelehnt hatte, hob den Kopf. „Keine alte Tante. Eine weise Vertraute, und neue Schwägerin. Zu der Schwester und Freundin.“ Sie streckte die Hand nach Linje aus, die diese ergriff und herzlich lächelnd drückte.
“Lass uns das Beste daraus machen und unsere Ahnen mit Stolz erfüllen!”, fuhr Usanza fort. Sarkyoza nickte.
Der Blick der Domna glitt über die drei anwesenden jungen Domnatellas. “Wer hat Lust auf ein wenig Punipan? Ich glaube, ich habe in der Küche noch einen geheimen Vorrat gefunden… aber verratet mich nicht!”
„Auf keinen Fall! Sagt, habt Ihr Euch schon Gedanken über die Hochzeit gemacht, Domna Usanza? Über die Feier, Eure Brautjungfern?“, erkundigte sich Sarkyoza. Linje und die Zofe klatschten in die Hände, drängten näher. Schnatternd und lachend wandte sich das Grüppchen in Richtung Küche, die düsteren Gedanken hinter sich lassend.
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