Chronik.Ereignis1036 Lindwurmhatz 16
Baronie Taubental, Mitte Ingerimm 1036 BF[Quelltext bearbeiten]
Auf Castillo Chellara (am späten Nachmittag)[Quelltext bearbeiten]
Autor: vivar
„Wie, kein Lindwurmschädel in Eurem Gepäck? Kein Drachenblut an Euren Händen? Ts, ts, Hochgeboren werden nicht mit Euch zufrieden sein, Halmdahl!“ Die Zahori feixte, während sie, am Eingangsportal des Palas lehnend, die Rückkehrer von oben bis unten taxierte.
„Halt dein Schandmaul, Nuerta!“, gab Halmdahl von Sindelsaum zurück. „Du hättest ja mitkommen und dich rondragefällig dem Biest stellen können! Stattdessen hältst Du hier Maulaffen feil!“
Nuerta warf den dunklen Lockenkopf lachend zurück. „Ich? Ich bin doch nicht lebensmüde! Derlei wahnsinnige Questen überlasse ich lieber Euch edlen Herrschaften. Ich halt's mehr mit dem Mantikor denn mit der Löwin. Na, immerhin seid Ihr lebend zurückgekommen – da könnt Ihr Euch gleich wieder fortschicken lassen!“ Sie erwies Dom Halmdahl spöttisch eine Reverenz.
Schnaufend stieß dieser sie zur Seite und stapfte, Eurico folgend, die Stufen hinauf.
Dieses Mal führte der Diener die gesamte Lindwurmjägergesellschaft in den Großen Saal des Castillos. Schlanke Glasfenster auf zwei Seiten erfüllten sie trotz ihrer Ausmaße mit Licht und bald fünf Mann hohe Säulen aus makellos weißem Stein trugen ein Kreuzrippengewölbe, dessen bunte Bemalungen allerdings schon bessere Zeiten gesehen hatten: Sie waren so verblasst, dass die Motive nur noch zu erahnen waren und an manchen Stellen wies der Putz bereits Lücken auf.
Der hintere Teil des Saales war erhöht; hier fanden sich der Herrentisch und dahinter der Hohe Stuhl, von dem aus die Barone auf Chellara über das Taubental herrschten und in dem sich gerade Dom León lümmelte. Mit gelangweilter Miene verfolgte er ein Streitgespräch zwischen seiner rahjanisch gekleideten Hofkaplanin Elea Colombi, die in ebenfalls in äußerst lässiger Haltung an seinen Stuhl gelehnt, ihm in sichtlicher Vertrautheit mit der Hand über das Haar strich, und dem greisen Castellan Ugolino Gualdini, der in makelloser Domestikentracht und in respektvollen Abstand zu seinem Herrn stocksteif dastand. Beim Eintritt der Jagdgesellschaft löste der schöne Baron die beringte Hand der Rahjageweihten elegant von seinem Haupt, drückte einen Kuss darauf und führte sie mit sanfter Geste an die Lehne des Stuhls zurück. Zugleich wedelte er Gualdini fort, auf dass er den Ankömmlingen etwas zu trinken bringen lasse.
Sodann richtete sich Dom León im Stuhl auf, fuhr sich durchs Haar und ließ sein Gesicht in einem erwartungsvollen Lächeln erstrahlen. „Ehrwürden Isonzo! Domnatella Catalin! Dom Rahjindan! Und – Dom Halmdahl! Ihr seid bereits zurück und allem Anschein nach zwar erschöpft und rußverschmiert, aber wohlauf! Die Zwölfe seien gepriesen! Ich gestehe, so bald hätte ich Eure Rückkehr nicht erwartet! Habt Ihr – das Untier – ist es – besiegt?“
Forschend ließ der Vivar seine Augen von einem zum anderen wandern, während auf Gualdinis stumme Anweisungen hin zwei dienstbare Geister mit Wein gefüllte Pokale an die Ankömmlinge verteilten.
Autor: alcorta
Etwas bedröppelt schaute die Runde zu Boden oder sich gegenseitig in die Gesichter. Auch Catalin presste kurz die Lippen aufeinander und blickte auf ihre Gefährten. Schlechte Nachrichten zu übermitteln war selten eine schöne Aufgabe. Sie drehte sich wieder zu Dom León und setzte ein Lächeln auf. „Ach, Dom de Vivar, Ihr stellt die falschen Fragen. Jetzt müssen wir gleich mit der schlechten Nachricht beginnen, wo wir doch so viele gute haben!“
Dom Leóns Gesicht vermittelte vor allem Verblüffung. „Wie meint Ihr das, Domnatella Catalin?“
„Nun, leider waren wir nicht in der Lage, dem Drachen selbst den Garaus zu machen. Was weniger an unserem Willen, sondern an der dortigen Infrastruktur lag. Ihr müsst wissen, dass sich Teile der Einwohnerschaft der Ortschaft Trajalés seit langem schon mit dem Drachen verbündet haben. In steter Angst vor dem Wurm sind sie dazu übergegangen, ihn mit gelegentlichen Opfern ruhig zu stellen. Wir reden dabei leider nicht nur von Schafen, sondern auch von Jungfern. So erkannten wir schnell, dass es zunächst einiger Heldentaten unter den dortigen benötigte, bevor wir der ultimativen Heldentat einer Drachenjagd nachgehen konnten.“
„Was kann ich mir unter einer Heldentat unter Rustikalen vorstellen?“
„Jetzt stellt Ihr die richtigen Fragen!“, lächelte Domna Alcorta keck. „Wie gesagt, die Bewohner in Trajalés zeigten sich überraschend wenig kooperationsbereit und bald schon erkannten wir, wieso. Denn eine lokale Sippe namens Canerva hatte das nächste Opfer an Faraldur bereits in Besitz genommen. Wir fanden nahe der Ortschaft eine verlassene Kutsche und einen dazu passenden toten Kutscher. Schnell konnten wir ermitteln, dass sich in der Kutsche eine solche Jungfer befand, der schönen Göttin verschrieben, doch noch ein junges Kind. Die Canervas hatten sie gefangen genommen und es benötigte wahre Helden, um sie aus den Fängen dieser verlorenen Schafe zu erretten und nun ja… wir waren genau die richtigen Helden zur richtigen Zeit. Entsprechend haben wir das Mädchen namens Rahjalina erfolgreich aus den Fängen der Canervas befreien können.
Dies bedeutete allerdings natürlich auch, dass wir die Hatz danach erstmal unterbrechen mussten, denn eine Drachenhöhle ist ja nun wahrlich kein Ort für ein kleines Mädchen. Ich denke doch mal, dass die Kleine hier erst einmal vor dem Drachen sicher ist, oder?“ Catalin zwinkerte… war das etwa eine doppeldeutige Bemerkung? Auf jeden Fall ließ sie wieder ein keckes Grinsen folgen und ging ein Stück auf Seite, sodass Rahjalina, die bisher in zweiter Reihe hinter Catalin stand nun zum Vorschein kam. Höflich machte das Kind zur Begrüßung einen Knicks.
Autor: vivar
Die Geweihte an Dom Leóns Seite hatte sich bei der Erwähnung ihrer Göttin interessiert nach vorne gebeugt und lud Rahjalina nun mit einem freundlichen Wink ein, vorzutreten. „Woher wusstet Ihr, dass das Kind Rahja verschrieben ist, werte Domnatella?“
„Wenn ich da kurz einhaken dürfte, Euer Gnaden?“, schob sich Dom Rahjindan nach vorne. „Der Tote, der im Übrigen kein Kutscher, sondern ein Pferdeknecht des Klosters Rahjensgart in der Ponterra, war, trug einen Brief bei sich, aus dem hervorging, dass Domnita Rahjalina Carinia, so ist nämlich ihr Name, das natürliche Kind einer Edeldame aus Pertakis ist, und im Catalinenserorden das Noviziat antreten sollte. Offensichtlich ist Domnita Rahjalina bereits eine für ihr Alter begabte Illustratorin und Kopistin.“
Der Sagenkundler blickte zu dem Mädchen, nickte ihm freundlich zu und dann wieder zu der Rahjageweihten und Dom León, um seine Erzählung fortzusetzen. Da stutzte er und blickte noch einmal zu Rahjalina. Daraufhin blickte er zwischen dem schönen Baron und Rahjalina hin und her. „Bei Hesinde! Die Wangen, die Augen, das Antlitz... die Ähnlichkeit...“
Als Rahjalina näher an den Herrentisch getreten war, hatte der Vivar sich erhoben und war unter seiner bronzenen Haut ganz fahl geworden. „...ist unverkennbar“, vollendete er den Satz. „Das honigblonde Haar...“ Er hielt sich die Hand vor den Mund.
Autor: Sindelsaum
Halmdahl beobachtete die Szene mit einem Anflug von Rührung, mehr noch aber wunderte er sich, dass sein Herr Baron offensichtlich sowohl bei seinen Damengeschichten, als auch bei seinen Kindern den Überblick verloren hatte. Zustände waren das. Äußerlich versuchte er sich natürlich nichts anmerken zu lassen, auch wenn er etwas unruhig hin und her wippte, schließlich hatte er Hunger und ein Bier konnte er auch vertragen.
Autor: vivar
Halmdahls Stimmung milde zuträglich war es da, dass zu dem von der Dienerschaft kredenzten Wein noch ein paar kleine Happen Walnussbrotes gereicht wurden.
Angesichts des immer noch wie vom Blitz getroffen dastehenden Barons schwang sich die Hofkaplanin elegant über den Tisch und ging vor Rahjalina in die Hocke, so dass sie auf Augenhöhe mit dem Kind war. „Rahja zum Gruße, Rahjalina. Mein Name ist Elea. Darf ich dich etwas fragen?“
Rahjalina nickte. „Gewiss, Euer Gnaden.“
Elea Colombi lächelte. „Weißt du, wer deine Mutter und dein Vater sind?“
„Nein, Euer Gnaden“, schüttelte Rahjalina den Kopf. „Meine Mutter und mein Vater sind von Stand, aber sie waren nicht... verheiratet. Deshalb wurde ich, so hat es mir Aischa, verzeiht, ich meine natürlich Hochwürden Aischa, die Äbtissingastgeberin, erzählt, an der Klosterpforte von Rahjensgart abgegeben, als ich noch ein Säugling war.
„Dann vereint uns ein gemeinsames Schicksal, Rahjalina. Auch ich kenne weder Vater noch Mutter und ward bei rahjasfrommen Menschen aufgenommen, die mich großzogen.“ Sie lächelte erneut. „Und du kannst also gut zeichnen, mein Kind?“
Ein Nicken.
„Hochgeboren“, wandte sich die Rahjageweihte Dom León zu, „mit Eurer Erlaubnis würde ich nach Pinsel, Farbe und Pergament schicken lassen, auf dass uns Rahjalina eine Kostprobe ihrer Fertigkeiten gebe.“
Langsam wandte der Baron den Kopf zu seiner Hofkaplanin. Es war ihm deutlich anzusehen, dass seine Gedanken bei einem anderen Menschen, an einem anderen Ort und vermutlich auch in einer anderen Zeit weilten.
Auf sein Nicken hin veranlasste die Geweihte alles Notwendige, und bald wurde den Lindwurmjägern an den langen Bänken des Saales eine Mahlzeit kredenzt, während Rahjalina in einer Ecke saß und mit zarten Pinselstrichen über ein Pergament fuhr.
Dom León war wieder in seinem Lehnstuhl zusammengesunken und das Gesicht in den Händen geborgen. Schließlich richtete er das Haupt auf und schüttelte sich, wie um den Bann der Grübelei Gedanken loszuwerden.
„Sie hat mir nie davon geschrieben“, sagte er leise zu Elea Colombi, indem er einen verstohlenen Seitenblick auf das friedlich malende Kind warf. „Nie – obwohl wir durchaus Korrespondenz hielten nach... nachdem ich in Pertakis ihr Gast war. Wie hätte ich ahnen können - ?“
Die Rahjageweihte stieß ein perlendes Lachen aus. „Ach, ‚sie’ hat Euch nie ‚davon’ geschrieben, Hochgeboren? Ihr habt ‚sie’ aber auch gewiss nie gefragt – und all die vielen anderen Frauen auch nicht, die mit Euch bereits Rahjas Freuden geteilt haben. Ihr seid ein erwachsener Mann und wisst nur zu gut, dass, wo die Rosenfingrige ihre Lust verteilt, auch bisweilen Schwesterchen Tsa ein Ei ins Nest schmuggelt. Rahjalina wird nicht Euer einziges Rahjenskind sein...“
„Ei, das denk ich mir wohl!“, brummte Dom León verärgert. „Und ich würd’ ja auch hierhin und dorthin ein paar Taler schicken lassen, wenn ich’s genauer wüsste. Aber bisher hat noch nie eine mir ihr Kind geschickt, auf dass ich ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstünde.“
„Dafür kann es viele Gründe geben. Eine Frau mag mit Euch eine alveranische Nacht verbracht haben, aber Euch nicht als fürderen Teil ihres Lebens sehen. “
„Du verstehst es, einem Manne Illusionen zu rauben!“
Elea Colombi zog die Brauen hoch. „Eifersucht ist eine Sünde, Hochgeboren.“
„Ich weiß, ich weiß“. Er winkte ab. „Streng genommen, hat Asmodena... hat Rahjalinas Mutter sie mir ja auch nicht gesandt, sondern sie in ein Kloster gegeben. Immerhin ein Haus der Schönen Göttin, rahjaseidank! Dennoch: dem eigenen Kinde gegenüberzustehen, sich in ihm zu spiegeln, das ist ein neues Gefühl. Was mache ich denn jetzt?“
Nun lächelte die Geweihte wieder. „Gewiss ist es das Wirken Rahjens, dass Rahjalina zu Euch geführt hat. Sie ward gezeugt und geboren als ein Rahjenskind. Unter dem Schirme Rahjens ward sie aufgezogen und Rahja schirmte sie auf ihrem fährnisvollen Weg ins Taubental. Stellt euch vor, sie wäre von den Trajalésern dem Lindwurm dargebracht worden!“
„Wahr gesprochen“, nickte Dom León. Er erhob sich und richtete das Wort an die Jagdgesellschaft. „Werte Doms, Domnatella! Auch wenn Euch kein Erfolg im Kampf gegen das Untier, das meine Ländereien verwüstet und meine Hintersassen in Geiselhaft hält, beschieden war, so gilt Euch doch mein Dank. Ihr habt ein unschuldiges Kind dem sicheren Tode in den Klauen der Bestie entrissen und somit brav und göttergefällig gehandelt. Rahjalina“ – er sandte ein freundliches Lächeln in Richtung des Mädchens – „soll zunächst für einige Tage auf Castillo Chellara verbleiben, um zur Ruhe und zu Kräften zu kommen. Dann soll mit entschieden werden, ob sie weiterhin das Noviziat in Santa Catalina antreten möchte. Schließlich scheint Rahja in ihrem Leben eine große Rolle zu spielen.“
„Auch der Gevatter Boron hatte Anteil an ihrer Befreiung“, ließ sich Dom Isonzo vernehmen. „Auch Golgari freut sich, wenn seinen Schwingen neue Federn wachsen.“
„Na, na!“, drohte Dom León dem Komtur scherzhaft mit dem Finger. „Ehe sich Rabe und Ross um das Kind zanken, soll auch Rahjalina selbst ein Wort zu ihrer Zukunft sagen dürfen. Doch alles zu seiner Zeit. Ihr alle, die Ihr Euch redlich mühtet: Seid getröstet, Doms und Domnatella, dass Ihr zwar keinen Lindwurm erlegt, aber eine göttergefällige Tat getan und in mir einen Freund gewonnen habt. Ich bitte Euch, bleibt und seid weiterhin meine Gäste!“
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