Chronik.Ereignis1041 In den Schuhen des Kanzlers 04
Punin, Palastgärten des Palacio Taladur, 30. Rahja 1031 BF
Autor: Jott
„Und weil der Koch sagte, als Kanzler muss man halt auch Opfer bringen, habe ich dann das Törtchen aufgegessen, obwohl mir dabei ganz schlecht wurde. Die Köchin sagte dann ‚mach dir nichts draus, es eignet sich halt nicht jeder zum Kanzler. Das erfordert eben ganz besondere… Talente‘.“
„Und wie bist du dann hier gelandet?“ fragte Dom Rafik, der für seinen Geschmack nun wohl endgültig genug von seinen Bediensteten gehört hatte.
„Ich wollte beweisen, dass ich mich doch dafür eigne, aber die Magd sagte, dass die restlichen Törtchen schon alle rausgebracht worden sind. Also bin ich dann hierher gekommen.“
„Und hast sie einfach gestohlen. Oder wolltest du sie auch nur leihen?“ Dom Rafik blickte sie vorwurfsvoll an.
Farfanya schaute betreten zu Boden „Es tut mir leid, mein Soberan“
„Du siehst ein, dass du eine Strafe verdienst?“
„Ja.“
„Eine harte Strafe?“
Fanya schaute Dom Rafik angsterfüllt an. Und senkte dann den Blick. „Ja.“
„Großneffe, sollte ich als ihr Vater das nicht…“ Dom Rafik hob die Hand und bedeutete Alejandro zu schweigen.
Da mischte sich seine angebliche Geliebte ein: „Ich bitte Euch, Eure Excellenz, seid milde! Ihr wart in Eurem Leben bestimmt auch nicht immer artig!“ Sie lächelte Rafik an und senkte kokett den Blick hinter ihren Fächer.
„Nein, werte Domna, ich fürchte, hier muss ich streng durchgreifen. Hol die Teller.“ Er deutete unter den Tisch. Farfanya holte sie und hielt sie vor sich, obenauf den Teller mit den zum Teil angebissenen Törtchen.
„Du siehst ein, Kind, dass ich das…“ er deutete auf den halbvollen Teller „…keinem meiner Gäste mehr so anbieten kann?“ Sie nickte.
„Und du weißt, dass man nichts unnötig verschwenden sollte?“ Alejandro hatte Mühe nicht ungläubig den Kopf zu schütteln. Sein Großneffe sprach von Verschwendung? Aber Farfanya nickte.
„Daher wirst du die gesamten restlichen Törtchen essen. Mir zu Ehren.“
Farfanya guckte entsetzt. „Aber mir ist doch jetzt schon ganz schlecht! Ich kann wirklich nichts mehr essen!“
„Aber das wirst du. Denn dein Soberan verlangt es.“
„Aber…“, sie zögerte einen Moment, „…ich bin doch auch Euer Gast. Das habt ihr vorhin gesagt.“
Alejandro staunte. Und zog innerlich seinen Hut vor ihr. Eine solche Spitzfindigkeit gegen den Kanzler, der es gewohnt war mit Gesprächspartnern von ganz anderer Kragenweite zu verhandeln…
Auch Dom Rafik sah sie einen Moment lang nur an, bevor er antwortete. „Ich habe sie dir nicht angeboten.“
Farfanya seufzte. „Muss ich wirklich alle essen?“
„Nun, Kind, dies ist die Feier anlässlich des Tsatages deines geliebten Soberans. Feiern wir das doch, indem du für jedes meiner Lebensjahre eines essen darfst. Du findest doch, dass mein Tsatag ein Grund zum Feiern ist, oder?“
Farfanya nickte. Sie guckte für einen Moment auf die Teller in ihrer Hand und ging dann zum Tisch, von dem sie noch vier Törtchen nahm und mit auf ihren Teller legte.
„So hart bestrafen wohl nur die von Taladur“ lachte der dicke Magnat.
Der Hagere schüttelte verständnislos den Kopf. „In unserer Familia hätte sie als Strafe jetzt den Rohrstock zu spüren gekriegt.“ Er blickte zu Dom Rafik „, aber das erklärt wohl einiges… Ihr seid wahrlich… einfallsreich, Eure Excellenz. Auf so eine brilliante Idee wäre ich nicht gekommen.“
Alejandro biss verärgert die Zähne zusammen. Was ging es diesen Kerl an, wie die Dinge in seiner Familia geregelt wurden? Auch Farfanya schien der spottende Unterton des Doms nicht entgangen zu sein, denn sie guckte ihn herausfordernd an. „Deshalb ist er ja auch der Kanzler und nicht jemand wie ihr!“
Alejandro hörte seine Frau entsetzt nach Luft ringen. „Es tut mir leid, werter Dom! Farfanya, du wirst dich dafür sofort entschuldigen und sagen, dass du es nicht so gemeint hast!“
Alejandro trat an Farfanyas Seite und legte ihr eine Hand auf die Schulter, die andere an seinen Säbel. „Nein, das wirst du nicht! Es ist die schließlich die Wahrheit. Er ist der Kanzler. Und er ist es, weil er so einfallsreich und fähig ist in dem was er tut. Und er ist es, weil er versteht mit Menschen umzugehen. Und damit hat er unserem Land und uns allen oft genug gut gedient!“ Er blickte seine Frau streng an. „Wir von Taladur entschuldigen uns nicht für die Wahrheit.“ Er blicke zu Fanya und sah ihr tief in die Augen. „Hörst du, meine Kleine? Entschuldige dich niemals für die Wahrheit!“ Dann wandte er sich wieder dem hageren Dom zu. „Oder wollt ihr mir widersprechen?“ Alejandro bemerkte den Ärger des anderen. Aber auch die Unsicherheit. Kaum jemand wagte es einen Rittmeister der Ragather Reiter zu fordern.
Fanya sah zu ihm, dann zu ihrer nach Fassung ringenden Mutter. Dann wandte sie sich an den Dom: „Es tut mir leid, wenn ich euch mit meinen Worten verärgert habe! Bitte verzeiht! … Aber unser Soberan ist nun mal am besten von allen und deshalb ist er auch so ein guter Kanzler.“
„Ja und ein ganz Süßer obendrein!“ feixte die freundliche Domna und fächerte sich kokett Luft zu. „Genau, Ihr sagt es, schönste Domna!“ Fanya strahlte sie mit ihrem leicht verschmierten Tuschebart an. Sie war wahrlich ein hübsches Kind. Die Domna betrachtete sie eingehend. „Sie hat wirklich gewisse Ähnlichkeit mit Euch, Eure Exzellenz! Passt lieber gut auf, sonst übernimmt sie eines Tages von Euch und keiner wird es bemerken!“ Sie lachte und nach und nach stimmten auch die anderen Gäste mit ein.
Rafik beugte sich zu Farfanya herunter, nahm ihr Kinn in seine Hand und drehte ihren Kopf. „Wirklich frappierend! Aber solange ihr Barbier so schlecht arbeitet, werdet zumindest Ihr mich hoffentlich noch erkennen, höchst verehrte Domna!“ Für einen kurzen Moment wirkte es auf Alejandro, als wollte Farfanya ihren Bruder und seine Zeichenkunst verteidigen, doch als er sie eindringlich ansah und leicht den Kopf schüttelte, senkte sie ihren Blick und schwieg.
Dann wandte sich Dom Rafik wieder an Farfanya „Geh jetzt auf dein Zimmer, Kind! Und feiere meinen Ehrentag gebührend!“ Hierbei blickte er auf den Teller, den Fanya vor ihrer Brust hielt. Sie nickte schicksalsergeben, knickste und ging. Rafik und einige der anderen Gäste folgen dem kleinen Kanzler mit den Blicken. Als sie an einer Schale mit Früchten vorbeikam, nahm sie einen Apfel.
Rafiks Stimme ließ sie zusammenzucken: “Ich dachte du könntest nichts mehr essen? Dem scheint mir nun aber nicht so! Hast du mich angelogen? Muss ich mir jetzt noch eine weitere Strafe ausdenken?“
Fanya schüttelte den Kopf. „Der ist nicht für mich, geliebter Soberan. Der ist für Esperar. Ihr braucht Euch nichts ausdenken!“
Dom Rafik schaute verständnislos „Esperar? Noch ein Bruder?“
Er blickte irritiert zu Alejandro. „Wie viele Kinder habt Ihr denn noch?“
Alejandro beugte sich zu ihm und erklärte: „Das ist der kranke Apfelschimmel aus Euren Stallungen…“ Er senkte die Stimme, „…der, der demnächst zum Abdecker soll, weil er nicht mehr zu reiten ist.“
Sein Großneffe schaute ihn verständnislos an.
Alejandro gab Farfanya mit der Hand unauffällig ein Zeichen zu gehen und blickte seiner als Kanzler verkleideten Tochter einen kurzen Moment hinterher, als sie voller kindlichem Elan zu den Ställen davonstürmte. Dann seufzte er.
„Esperar ist der kranke Apfelschimmel, den ich euch demnächst abkaufen werde.“
Woraufhin er Richeza stöhnen hörte: „Nein, Alejo! Nicht noch ein Gaul!!!“
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