Chronik.Ereignis1041 In den Schuhen des Kanzlers 03

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Taladur, 30. Rahja 1031 BF

In den Gassen San Lupas

Autor: Jott

Domnatella Farfanya!“ Fanya öffnete unwillig die Augen. Geblendet durch die Sonne musste sie zunächst ein paar Mal blinzeln, bis sie die junge Frau, die sie angesprochen hatte, klar erkennen konnte.

„Domnatella Lutecia, welche Freude! Setzt Euch zu mir.“

Dieser Aufforderung kam die angesprochene fröhlich lächelnd nach. „Als mir einer Eurer Hausdiener sagte, dass ich Euch wahrscheinlich irgendwo in San Lupa finden würde, wollte ich es nicht glauben. Aber hier seid Ihr wirklich! Verratet Ihr mir, was Euch in diese… Gegend treibt, Domnatella Farfanya?“

So wie Domnatella Lutecia ‚San Lupa‘ betonte, hörte Fanya regelrecht die Abscheu vor dem ärmeren der beiden Stadtteile Taladurs. Sie musste einen dringlichen Grund haben sie hier zu suchen.

„Ein wichtige Aufgabe führt mich hierher, Domnatella Lutecia. Mein Neffe… Ihr werdet sicher verstehen, dass ich Euch leider nichts Näheres erzählen darf.“ Domnatella Lutecia schaute Fanya ehrfurchtsvoll an. Sie war so leicht zu täuschen. Ihr Neffe, der Kanzler, wusste natürlich nichts von ihrem wohltätigen Spaziergang. Und er würde auch hoffentlich nie erfahren, was sie mit seinen - in den Augen der meisten köstlichen - Aufmerksamkeiten tat.

„Aber was kann ich für Euch tun, Domnatella Lutecia? Ihr wirkt, als hättet Ihr etwas auf dem Herzen.“

Tatsächlich strahlte die andere eine nervöse Unruhe aus. Lutecias Blick ging kurz zu Emeralda, bevor sie Fanya antwortete: „Ich wollte bloß sehen, wie es Euch geht… jetzt nachdem…“ sie brach ab, senkte den Blick und suchte offenbar nach den richtigen Worten „Ihr wart so ein schönes Paar… Ihr passtet auch viel besser zu ihm… wenn ich etwas für Euch tun kann…“

Fanya schluchtzte innerlich auf. Würde sie denn bis in alle Ewigkeit von allen an die Ungerechtigkeit des Schicksals erinnert werden? Für einen Moment musste sie gegen die Tränen kämpfen. Seit ihre Verlobung mit Sansovino gelöst worden war, hatte sie bereits so viel teils echte, teils geheuchelte Anteilnahme über sich ergehen lassen müssen, dass sie kurz davor war, den nächsten zu fordern, der ihr gegenüber seinen Namen oder seine erneute Verlobung erwähnen würde… doch wer würde zukünftig für sie einstehen, jetzt wo sie ihn verloren hatte? Es blieb ihr nur die Haltung zu bewahren. Würde und Kontenance… das hatte ihr Neffe in den letzten Jahren immer wieder von ihr verlangt. Würde und Kontenance. Sie wiederholte die Worte in Gedanken wie ein Heilsversprechen.

Und es wirkte.

Zumindest heute würde sie ihn nicht enttäuschen. „Ihr seid wahrlich eine gute Freundin, dass Ihr mich in San Lupo suchen geht, nur um mir das zu sagen! Aber macht Euch keine Sorgen, eigentlich war es für mich ein Glücksfall, denn mit den Fesseln der Ehe hätte ich wohl nicht die Möglichkeiten, die Aufgaben zu übernehmen, die mein Soberan, der Kanzler mir zugedacht hat.“

Sie bemühte sich um eine fröhliche Miene. Und Lutecia schien ihr zu glauben. Dabei gab es natürlich keine großen Aufgaben… nur eine furchtbare Leere in ihrem Herzen und die beklemmende Frage, was nun aus ihr werden sollte. Dennoch schaffte sie es ein Lächeln aufzusetzen. „Ihr seht, ich genieße das Leben und bin gespannt, welche aufregenden Abenteuer es in Zukunft für mich bereithält!“

Für einen Moment überlegte sie Lutecia Punipan anzubieten, doch dann entschied sie sich dagegen. Es sollte schließlich einen guten Zweck erfüllen. So saßen sie eine Weile schweigend nebeneinander, währende der Lutecias Blick immer wieder kurz zu Emeralda ging. Da war also noch etwas. Etwas, das sie wohl nur unter vier Augen erfahren würde.

„Emeralda, hol uns doch bitte einen Krug verdünnten Wein.“

Domnatella Lutecia wartete, bis Emeralda sich ein Stück entfernt hatte, doch dann konnte sie sich anscheinend nicht mehr zurückhalten. „Stimmt es, dass der Maestro uns demnächst schon wieder verlässt?“

Da hatte Fanya also den wahren Grund für dieses Treffen! Sie konnte die Enttäuschung der jüngeren über den bevorstehenden Fortgang Ta’iros förmlich spüren. „Domnatella Dulcia behauptet, er habe ihr das gesagt, als sie mit ihm… gebetet hat… für ihren reisenden Vater.“

Farfanya sah am rot ihrer Wangen, dass auch Lutecia keinesfalls an die töchterliche Besorgnis von Domnatella Dulcia als einzigen Grund für ihre regelmäßigen Besuche im Avesschrein glaubte. Farfanya fragte sich, mit wie vielen seiner Schülerinnen Ta’iro inzwischen wohl angebändelt hatte…

Vor anderthalb Götterläufen hatte ihr ihre inzwischen 71jährige Cousine Gunivera, die in Farfanyas Leben eher die Rolle einer Großmutter einnahm, von dem heimlichen Tanzunterricht in ihrer Jugend erzählt. Nuerta, eine in Taladur sesshaft gewordene Zahora, hatte die jungen Magnaten und auch einige Söhne und Töchter der Bürgerlichen damals nachts in den Obstgärten der Hacienda della Estrella der Familia Cavazaro in den leidenschaftlichen Tänzen ihres Volkes unterwiesen. Gunivera war ihre Meisterschülerin gewesen. Wie auch die anderen Jugendlichen war sie den strengen Unterricht, der ihnen von Maestro Peglesto in den höfischen Tänzen erteilt wurde, leid und fand in den nächtlichen Treffen eine willkommene Abwechslung.

Ihre Erzählung brachte Farfanya damals auf die Idee, diese Tradition wiederaufleben zu lassen. Und mit ihrem langjährigen Freund Ta‘iro, der sogar einer der Zaubertänzer des fahrenden Volkes war, wusste sie auch sofort genau den richtigen Lehrer. Er hatte sich zwar erst gesträubt und sie hatte eine ganze Weile gebraucht, um ihn zu überreden, doch inzwischen schien er seine Rolle bei ihren heimlichen Treffen zu genießen. Aber nun hatte ihn das Fernweh wohl wieder ergriffen… wie gut sie ihn doch verstehen konnte! Auch sie würde am liebsten Taladur den Rücken kehren!

„Ich fürchte Domnatella Dulcia hat Recht. Der Ruf seines Herrn zieht ihn wohl wieder in die Ferne…“ Domnatella Lutecia wirkte den Tränen nahe. Wie machte er das nur, dass sie ihn schon vermissten, bevor er überhaupt gegangen war… „Wird er denn morgen Abend noch da sein?“

„Ich denke schon.“

„Und kommt Ihr auch?“

„Nein, ich habe eine dringliche Aufgabe zu erledigen.“

Keine zehn Pferde könnten sie dazu bringen diesen Spießrutenlauf zu durchleben. Zwar trugen alle Masken während der Tanzstunden, doch dienten sie eher als Sinnbild dafür, dass während dieser Zeit alle Zwistigkeiten zwischen den Anwesenden ruhten – eine Regel, die sie von den Tanzstunden Nuertas übernommen hatten. Doch die Identität ihrer Träger konnten sie nicht wirklich verbergen. Dafür kannte man sich zu gut. Jeder wüsste also wer sie war und was ihr widerfahren war… und sie war sich nicht sicher, ob sie zurzeit die von ihr selbst in Kraft gesetzte Regel würde einhalten können.

Sie würde also stattdessen zu Hause bleiben, zu viel Wein trinken und sich in den Schlaf weinen. Und sie alle dafür hassen, dass sie derweil Spaß hatten. Wie viel zu oft in den letzten Wochen. Wobei, soviel Spaß würde es morgen wohl nicht werden, wenn Ta’iro seine bevorstehende Abreise ankündigen würde.

Dieser Gedanke verschaffte Farfanya immerhin etwas Genugtuung und sorgte für ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Auch sie würden einen Verlust erleben! Vielleicht sollte sie doch gehen…

„Ich fürchte, Domnatella Lutecia, ich muss mich jetzt verabschieden.“ Farfanya stand auf. Auch Lutecia stand auf, verabschiedete sich und ging schnellen Schrittes fort in Richtung Oberstadt.

Nachdem Fanya sich sicher war, dass Domnatella Lutecia sie nicht mehr im Blickfeld hatte, setzte sie sich wieder auf den Brunnenrand und wartete auf Emeralda, die kurze Zeit später mit einem Weinkrug und zwei Bechern wiederkam.

„Vergebt mir, Domnatella! Ich habe mich wirklich beeilt!“, sagte sie, als sie sah, dass Lutecia nicht mehr bei Farfanya war.

„Es gibt nichts zu vergeben. Ich bin ganz froh darüber. Setz dich und schenke uns ein.“ Sie wartete, bis Emeralda ihnen beiden einen Becher gefüllt hatte. „Ich würde ja jetzt eigentlich auf meinen Neffen trinken, aber mit verdünntem Wein… wohl besser nicht.“

Nachdem Emeralda Becher und Krug zurückgebracht hatte, setzte Farfanya ihre Runde durch San Lupo fort. Zu ihrem großen Glück blieb sie vom Anblick weiterer Punipanesser weitestgehend verschont. Die meisten taten so, als wollten sie es für einen späteren Zeitpunkt aufheben, doch Farfanya wusste, dass sie es zu Geld oder in den meisten Fällen noch wahrscheinlicher zu billigem Fusel machen wollten. Aber ihr war es nur recht so.

Das vorletzte Törtchen gab sie einer Frau, die vor einer ärmlichen Hütte in der Nähe des Bodartores Körbe flocht. Um die Frau herum spielten mehrere noch sehr junge Kinder, die neugierig näherkamen, als Fanya der Frau das Gebäck überreichte. Auch sie machte Anstalten es einzustecken, was die Kinder jedoch dazu brachte lauthals zu protestieren.

„Seid still!“, herrschte die Frau die Kinder an. Dann wandte sie sich wieder Farfanya zu. „Für heute Abend, Domnatella, wenn mein Mann nach Hause kommt.“ Eines der Mädchen trat näher an die Frau heran „Aber Vater ist doch bei Boron, Mamá…“

Farfanya schaute die Frau prüfend an, der die Schamesröte ins Gesicht stieg. „Verzeiht mir Domnatella! Ich wollte euch nicht anlügen. Ich wollte nur…“

Farfanya sah Tränen in ihren Augen. „Sie wollte mein Geschenk zu Geld machen, richtig?“

Die Frau senkte den Blick.

„Emeralda, meine Handschuhe!“

Emeralda reichte sie ihr zögernd. „Aber Domnatella, diese Frau… ist doch nicht satisfaktionsfähig.“

Die Frau fiel auf ihre Knie und flehte Farfanya an: „Bitte verzeiht mir, Domnatella! Ich wollte Euch nicht beleidigen!“

„Ich nehme an, das sind ihre Kinder?“

„Ja, Domnatella.“

„Und es bleibt kaum genug zum Leben?“ Die Frau schaute wieder zu Boden.

Farfanya hielt ihr die Handschuhe entgegen. „Nehme sie die Handschuhe und verkaufe sie sie. Sie werden weit mehr einbringen… und die Kinder sollen sich das Gebäck teilen.“

Die Kinder jubelten, woraufhin Farfanya ihnen ein Lächeln schenkte. „Heute ist schließlich ein Freudentag, der gefeiert werden muss!“

Die Frau blickte Farfanya ungläubig an. „Aber Domnatella, die Handschuhe müssen doch ein Vermögen wert sein!“

„Nun, für mich sind sie es nicht mehr, also nehme sie sie. Aber wage sie es nicht noch einmal mich anzulügen, hat sie mich verstanden?“

„Ich schwöre es beim Leben meiner Kinder! … Ich danke Euch, Domnatella!“