Chronik.Ereignis1036 Besuch im Vanyadâl 06
Kaiserlich Selaque, 1. Tsa 1036 BF[Quelltext bearbeiten]
Zwischen Elenta und San Owilmar[Quelltext bearbeiten]
Autor: SteveT
Als sich Rifada am nächsten Morgen etwas steif von der unbequemen Bettstatt der Bauersleute erhob und ankleidete, nahm sie Belisethas aufgeregte Rufe, der Yaquirtaler Magus sei über Nacht verschwunden, mit amazonischer Gelassenheit hin. "Und wenn schon?", fragte sie ihre Muhme unbeeindruckt. "Kurz vor Ragath hätte ich ihm ohnehin die Abzweigung in Richtung Süden gewiesen. Was wollen wir hier mit so einem?"
Sie gürtete ihr Schwert um, einen stattlichen Anderthalbhänder, den sie nötigenfalls auch mit nur einer Hand zu führen verstand, und besah sich den momentan nur noch ganz leichten Schneefall draußen, der aber über Nacht doch für eine spannhohe weiße Leichendecke über der ganzen Landschaft gesorgt hatte. Glücklicherweise war der Verlauf der Landstrasse aufgrund der immer wieder einmal aus dem blendenden Weiß aufragenden Begrenzungssteine doch noch einigermaßen zu erkennen, denn querfeldein durch die von Hasen und Erdmännchen unterhöhlte Elentinische Ebene oder den Valenca-Grund zu reiten, konnten ihre Pferde leicht mit gebrochenen Beinen bezahlen.
"Wir reiten weiter!", befahl Rifada, ohne einen weiteren Gedanken an den verlustig gegangenen Zauberer zu verschwenden. "Heute Mittag wollen wir in San Owilmar und abends in Burginum oder vielleicht sogar in Quazzano sein!"
Sie wusste, das Letzteres illusorisch war, solange Belisetha im Damensitz auf einem kräftigen Zelter langsam hinter ihnen her zuckelte und somit das Tempo ihrer ganzen Reisegruppe drosselte. Nur mit Richeza alleine und bei ganz trockenem Wetter hätten sie es heute bis ins Herz der Mark Ragathsquell schaffen können. Rifada beklagte sich aber nicht, denn für ihr stolzes Alter und ihre Gebrechen war Belisetha noch immer eine stolze zähe Frau, die auf die Zähne beißen konnte, wenn es vonnöten war.
Rifada dachte bereits an San Owilmar, während sie durch die blendend weiße Landschaft vorwärts ritten - im Laufe des Morgens zeigte sich sogar das Praiosrund am zart grauen Himmel, der zunehmend aufklarte und der ganzen Szenerie sogar eine gewisse Schönheit verlieh, da man im baumlosen und hügelarmen Norden Selaques viele Meilen weit die Landschaft überblicken konnte. Der Stenz Azzato von San Owilmar, Praiosmins Gespiele, den sie seit den Monden des Ferkinasturms wie seinen Lehnsherrn, den verschollenen Junker Ordonyo di Alina, zu ihren Blutfeinden zählen musste, machte ihr keine großen Sorgen. Er war ein weniger guter Kämpfer, als er selbst von sich glaubte, und dürfte auch nicht über mehr als zwei bis drei Büttel verfügen, sodass sie es wagen konnten, mitten am Tag durch seinen lächerlichen Weiler hindurch zu reiten, durch den eben die Landstrasse nach Burginum führte.
Kurz vor San Owilmar wurde Rifada von einer ihrer Geleitreiterinnen darauf aufmerksam gemacht, dass sie ein dunkel gewandeter Reiter mit einigen Meilen Abstand verfolgte. Sie beschirmte ihre geblendeten Augen mit der flachen Hand und spähte blinzelnd in die Richtung des Wegstücks, das bereits hinter ihnen lag, und tatsächlich näherte sich dort ein einzelner Reiter in geschwindem Ritt, sodass sein Pferd Schneewolken hinter sich aufwirbelte.
"Ich hab leider keine Ucurisaugen mehr - aber wenn mich nicht alles täuscht, ist das der Yaquirtaler, der uns offenbar so ins Herz geschlossen hat, dass er wie eine Klette an uns klebt." Sie wandte sich an Richeza: "Bist du sicher, ihn nicht doch von irgendwoher näher zu kennen?"
Sie ließ die Gruppe aber weiter reiten, denn wenn das Ross des Yaquirtalers dieses Tempo durchhielt - und er selbst war ja nur ein Leichtgewicht - würde er sie eh kurz hinter dem Ort eingeholt haben. Der Weiler San Owilmar glich einem Geisterdorf, kein Mensch war auf der Straße zu sehen - nur ein Hund, ein Schwein und ein paar Hühner im Schnee ließen erahnen, dass der Flecken in Wirklichkeit keineswegs verlassen war. Rifada hatte die Hand am Schwertknauf und behielt aufmerksam die Fenster der kärglichen Hütten im Auge. Sie spürte instinktiv, dass sie aus der einen oder anderen beobachtet wurden. Aber wahrscheinlich hielten sie die furchtsamen Eigenhörigen einfach nur für durchziehende Mercenarios oder dergleichen. Azzato von San Owilmar residierte auf einem zum Caballerogut umgebauten Bauernhof etwas ausserhalb des Dorfes, wie sie aus früheren Besuchen wusste.
Autor: von Scheffelstein
Richeza hatte die Hand über die Augen gehoben und starrte angestrengt in Richtung des nahenden Reiters. Seit einer halben Stunde war ihr speiübel, und nur, indem sie sich auf ihren Atem konzentrierte, langsam ein- und langsamer noch ausatmete, konnte sie die Galle zurückhalten, die bitter in ihre Kehle stieg. Richeza schluckte, merkte, wie immer mehr Speichel in ihren Mund floss. Belisetha durfte nichts merken! Sie hatte sie den ganzen Morgen über beobachtet! Der Schnee blendete Richeza. Am liebsten wäre sie abgestiegen, hätte sich übergeben und sich dann dort, irgendwo in einem der Häuser, zur Ruhe gelegt.
"Das ist er nicht", presste sie hervor. "Ist eine ... Frau." Ihr Magen revoltierte, Schweiß brach ihr aus. "Seh' mal nach", murmelte sie, gab ihrem Pferd die Hacken zu spüren, trieb es dem Reiter entgegen, dann aber vom Weg ab, zwischen den Häusern hindurch und den Hügel hinab, durch den tiefen Schnee, bis sie glaubte, von der Dorfstraße aus nicht mehr gesehen zu werden. Sie ließ sich vom Pferd gleiten, würgte schon, noch ehe sie den Boden erreichte, erbrach sie in den Schnee, blieb stöhnend knien, erbrach sich erneut und ein drittes und viertes Mal, bis der Haferbrei graugelbe Klumpen im Schnee bildete, die langsam gefroren, und nur noch saurer Speichel über ihr Kinn rann.
Zitternd kroch Richeza zwei Schritt weiter, ließ sich gegen den Stamm eines Baumes sinken, der seine knorrigen Äste in den wolkenverhangenen Himmel streckte. Benommen beobachtete sie, wie die Reiterin die ersten Häuser des Dorfes erreichte und aus ihrem Gesichtsfeld verschwand. Ihr Blick wanderte zurück, die Straße entlang. Niemand. War die Frau allein?
Autor: von Scheffelstein
Die fremde Reiterin näherte sich den da Vanyas und ihren Begleiterinnen furchtlos, zunächst in gestrecktrem Galopp, ließ das Pferd aber bei Erreichen des Ortes in Trab fallen. Erst, als zwei der Gardereiterinnen zurückfielen und die Waffen zogen, zügelte sie das Tier.
Die Frau war einfach gekleidet, trug einen zerlumpten Mantel. Ihr Gesicht, unter der Kapuze, war gerötet. Sie war jung, keine zwanzig Jahre alt.
"Herrin!", rief sie, ohne die Bewaffneten zu beachten, während das schwer atmende Pferd am Zügel auf der Stelle tänzelte. "Herrin, sie haben ihn, Euren Begleiter!" Sie klopfte dem Pferd auf den Hals, um es zu beruhigen. "Muss in der Nacht gewesen sein. Ist vor unserm Haus zusammengebrochen! Hab' ihn am Morgen gesehen, ich die Fenster auf, und da lag er! Die Großmutter so: Geh raus, ihm helfen! Aber dann: drei Männer, Bewaffnete aus dem alten Herrenhaus, das von dem Ucurian, dem Elenta, der wo von den Ferkinas, Ihr wisst schon. Sie haben ihn mitgenommen!" Das Pferd schnaufte noch immer, sein Fell dampfte schweißnass in der eisigen Luft. "Ham ihn getreten, überall Blut! Die so: So geht's jedem, der der da-Vanya-Fo... ääh... ähh... da Vanya ... also, der mit der Verräterin – hat der Mann gesagt – gemeinsame Sache macht. Großmutter so: Julenya, reit los, die Herrin warnen! Hält große Stücke auf Euch, Großmutter, nich' auf die Vogtin! Ich gleich los, und hier bin ich!"
Autor: SteveT
Rifada nickte dem Mädchen anerkennend zu. "Meinen Dank! Das war sehr mutig von dir! Richte deiner Großmutter aus, dass ich solche Fellachentreue schätze und in Erinnerung behalten werde! Aber der Mann, denn sie gefangen haben, gehört nicht zu uns. Er reiste nur zufällig in dieselbe Richtung ..."
Sie strich sich nachdenklich über das Kinn. Da hatte sich der Yaquirtaler unwissentlich in eine prekäre Lage gebracht – und das auf ihrem Grund und Boden! Die Elenterin warf ihr also erneut den Fehdehandschuh hin, beziehungsweise auch für sie war diese Querella noch lange nicht abgeschlossen. Sie ließ sie ganz offensichtlich bespitzeln. Sie war hin- und her gerissen zwischen dem Drang, sofort zurückzureiten und die Angelegenheit auf der Stelle zu klären und dem Wunsch andererseits, Belisetha an einen sicheren Ort mit ausreichend großem Abstand zu schaffen, sodass sie ihr bei ihren Racheplänen nicht in die Quere kommen konnte. Dazu die Sache mit Richeza und dem Kind ... alles war widerlich verzwickt! Wo steckte diese überhaupt?
"Einen Moment noch!", rief sie der Bauerstochter Julenya hinterher: "Ist dir gerade auf dem Weg hierher nicht eine der unseren entgegengekommen? Die Frau, mit der ich in der Kammer deiner Eltern übernachtet habe?"
"Bedauere, Euer Wohlgeboren! Es ist mir gar niemand entgegengekommen – die ganze Straße und das Dorf hier sind wie ausgestorben ...", schüttelte das Fellachenkind den Kopf.
"Reitet weiter in Richtung Burginum!", befahl Rifada leise ihren Reiterinnen und schloß darin mit beredsamen Blicken mit ein, dass diese auch Belisetha weiter nordwestwärts aus dem Ort eskortieren sollten. "Es wäre zu gefährlich, hier zu rasten. Man ist uns nicht wohlgesonnen! Ich suche meine Nichte und schließe dann wieder zu euch auf!"
"Ich suche Richeza!", beschied sie Belisetha knapp und wandte ihr Pferd in Richtung des südöstlichen Ortsausgangs. Weit konnte sie in der kurzen Zeitspanne ja nicht gekommen sein, möglicherweise hatte sie noch nicht einmal den Ort verlassen. Andernfalls würde sie sie in der Weite der Elentinischen Ebene auch auf meilenweite Entfernung sehen. Die einzige Reiterin, die sie aber weit und breit erkennen konnte, war die heimkehrende Bauerstochter. Rifada wendete ihr Pferd also wieder am Ortsausgang und zog ihr Schwert. Wenn der Hund Azzato von San Owilmar dahintersteckte und Richeza nur ein Haar gekrümmt wurde, dann würde sie ihn in Stücke hauen, so viel war sicher – selbst wenn es die letzte Tat ihres Lebens sein sollte ...
Autor: von Scheffelstein
Jetzt, da ihr Magen leer war, ging es Richeza gleich besser. Die Schneeflocken, die sich auf ihr Gesicht setzten, belebten sie, der Boden aber wurde langsam kalt.
Die Reiterin kam zurück, ritt eilends die Straße wieder in Richtung Elenta hinunter. Kurz darauf erschien auch Rifada da Vanya am Ausgang des Dorfes, allein, zu Pferd, die Waffe gezogen. Suchte sie sie? Und wo war Belisetha? Richeza rappelte sich auf und wollte rufen, auch wenn der Wind aus Richtung des Dorfes kam und nicht sicher war, ob ihre Tante sie hören würde, da der Schnee alle Geräusche dämpfte. Eine plötzliche Bewegung in ihrem Augenwinkel ließ sie stattdessen herumfahren.
Ein Mann näherte sich ihr, in einem weißen, zerschlissenen Gewand, das ihn kaum abhob von den verschneiten Hügeln. Er taumelte auf sie zu wie ein Betrunkener. Vielleicht war er auch verletzt? Sein schwarzes Haar hing ihm strähnig ins Gesicht.
Richeza wandte den Kopf in Richtung Straße, aber von ihrer Tante war nichts mehr zu sehen, sie musste zwischen den Hügeln verschwunden sein.
"Hola?", rief Richeza in Richtung des Mannes. "Wer seid Ihr?"
Der Fremde antwortete nicht, torkelte weiter auf sie zu. Er musste sehr betrunken oder schwer verletzt sein. Und er hatte keine Schuhe an. Richezas Nackenhaare stellten sich auf, und sie zog den Raifedegen. Ihr Pferd blähte witternd die Nüstern, stapfte unruhig im tiefen Schnee. Richeza streckte die Hand nach den Zügeln aus, doch es wich zurück, schnaubte.
Der Mann kam noch immer näher. "HALT!", rief Richeza und streckte die Waffe aus. Das Pferd wieherte und trabte davon. "HALT!", rief die Edle nun auch in Richtung des Tieres, fluchte, wandte sich wieder dem Fremden zu, der geradewegs auf die Waffe zuhielt. Reflexartig riss Richeza den Degen hoch, erwischte den Fremden am Arm. Die Klinge schnitt durch das Leinenhemd, traf auf einen Knochen, fuhr auf der anderen Seite des Armes wieder heraus, durchtrennte Muskeln und Sehnen. Der Mann gab keinen Ton von sich. An der Klinge klebte kein Blut.
Richeza schrie, taumelte zurück, doch da streckte der Fremde die Hände aus, griff nach ihrem Arm, riss an der Klinge, riss sie ihr aus der Hand, auch wenn er sich schnitt, auch wenn zwei seiner Finger abgetrennt und blutlos zu Boden fielen. Abermals schrie Richeza auf, gellend, in ungläubiger Furcht, als die verstümmelte Hand ihr ins Gesicht griff, die zweite sich um ihren Hals legte, die scharfkantigen Fingernägel ihre Haut ritzten.
Sie umfasste beide Arme des Fremden, wollte ihn von sich stoßen, stolperte stattdessen im tiefen Schnee, und wurde unter seinem Gewicht begraben. Strampelnd versanken sie tiefer im Schnee. Fäulnis schlug ihr aus seinem Gesicht entgegen, einem fahlen, blutlosen Gesicht mit eingefallenen, toten Augen.
Schreiend angelte Richeza nach dem Dolch in ihrem Stiefel. Einhändig versuchte sie, die Kreatur von sich zu halten, stach wieder und wieder in den Rücken des Fremden, durch dessen dünnes Gewand hart seine Knochen in ihre Beine, ihren Bauch, ihre Brust drückten und dessen Hände sich immer fester um ihre Kehle schlossen, bis ihr Schreien nur noch ein Röcheln war und ihr Kopf tiefer und tiefer im Schnee versank.
War das das Ende? Sie dachte an den, den sie liebte, dachte an das Kind, das ohne sie nicht leben würde, und mit einer letzten, verzweifelten Kraft trieb sie den Dolch tief in den Schädel des Monsters, durch die Schläfe, das Auge, mitten hinein in den Kopf, bis der Griff um ihren Hals sich etwas löste und der Tote auf ihr zusammensank.
Autor: von Scheffelstein
Angewidert stieß die Edle den Leichnam von sich und rappelte sich auf. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen, aber das hatte sie auch zuvor geglaubt. Sie wischte den schmierigen Dolch am Hemd des Toten ab, blickte sich suchend nach ihrem Pferd um und entdeckte es etwa eine halbe Meile entfernt am anderen Ende des Ortes, wo ein baumbestandener Weg zu einem Gehöft hinauf führte.
Sie hatte drei Schritte durch den Schnee gemacht, als Reiter hinter dem Hügel auftauchten und auf das Gehöft zuhielten. Als sie ihr Pferd entdeckten, hielten sie an. Richeza ließ sich in den Schnee fallen und hoffte, dass die Fremden sie nicht entdeckten. Mit ihrem schwarzen Haar und den dunklen Kleidern hob sie sich gewiss stark von der endlosen Weite der Elentinischen Ebene ab.
Einer der Reiter stieg ab und fing ihr Pferd ein. Ein anderer zeigte über die verschneiten Felder grob in ihre Richtung. Sie mussten nur den Spuren des Pferdes folgen, und sie würden sie finden. Als die Reiter sich in Bewegung setzten, sprang Richeza auf und begann zu rennen, bergan, auf das Dorf zu. Sie musste die anderen wiederfinden! Vielleicht konnte sie zwischen den Häusern Deckung finden. Doch ihre Tante hatte sie gewarnt: In San Owilmar waren die Bauern und ihr Herr der Reichsvogtin treu ergeben.
Durch den tiefen Schnee kam die Edle kaum voran. Die Reiter näherten sich rasch. Sie musste die Straße erreichen, ehe sie sie einholten …
Autor: SteveT
"Es ist ein Sperber, sagte ich zu ihm", berichtete der schöne Caballero Azzato von San Owilmar seinen beiden Begleitern feixend und hob den Raubvogel demonstrativ an, den er auf seinem wattierten dicken Lederhandschuh sitzen hatte, "und da entgegnet mir dieser Trottel doch tatsächlich: Ich mein' die Taube, die er geschlagen hat – war das eine Almadaner oder eine Raschtulswaller Taube? Als würde ich die Tauben, die über mein Land fliegen, nach ihrem Geleitbrief fragen!" Er lachte glucksend und schüttelte den Kopf.
Seine Begleiter grinsten ebenfalls. "Bei uns bei Hofe haben wir auch solche Hohlköpfe!", nickte Juanito di Dubiana verstehend. Er stutzte, als er auf ein herrenloses Pferd aufmerksam wurde, das ihnen entgegenkam. "He, was haben wir denn da? Ein gesatteltes Pferd ohne Reiter? Das ist ein Vollblut, wie sie der gräflichen Zucht entspringen. Sowas reitet kein armer Mann!", stellte der Hofjunker mit Kennerblick fest.
Der Falkner, der die beiden Edelmänner bei ihrer gemeinsamen Leidenschaft, dem Falconieren, begleitete hatte, deutete in die Ferne. "Liegt dort hinten im Schnee nicht jemand? Dort wo das Ross herkommt?"
"Er hat Recht!", nickte Dom Azzato. "Los, nimm unsere Vögel! Den Burschen schauen wir uns genauer an!" Er reichte seinen Sperber an den Falkner, dem auch der Dubianer seinen Blaufalken übergab, dann zogen beide ihre Degen und ritten los.
"Holla! Das ist ein Weib! Sie gibt Fersengeld!", rief der vorausreitende Hofjunker begeistert, den sofort wieder die Leidenschaft der Jagd erfasste.
"Sie scheint ein schlechtes Gewissen zu haben! Schneiden wir ihr den Weg ab!", rief der Caballero von San Owilmar zurück.
Beide hatten sich der fliehenden Frau auf hundert Schritt angenähert, die in Richtung der Hütten der Dorfschaft zu fliehen versuchte, als just dort am Ortsrand eine weitere Frau hoch zu Roß auftauchte. Sie ritt einen riesigen Rappen mit purpurfarbener Schabracke und hielt ein gezogenes Schwert in der Hand.
Azzato von San Owilmar zügelte vor Überraschung sein Pferd, während sein Begleiter weiter vortwärts preschte. "Ich will verdammt sein!", murmelte er zu sich selbst. "Es ist die da Vanya, die geächtete da Vanya höchstpersönlich!"
Rifada zügelte ebenfalls ihr Ross, denn auch sie hatte sofort ihren Antagonisten aus der Zeit des Ferkinasturms erkannt. Gleichzeitig erfasste sie aber auch die bedrohliche Lage für Richeza, der der andere Reiter schon gefährlich nahe gekommen war.
Sie stieß ihrem Rappen die Hacken in die Seite, dass er sofort mit einem beherzten Satz vorwärts stürmte und beschleunigte – auch wenn das auf einem verschneiten unebenen Acker nicht ohne Risiko war. Sie musste den fremden Reiter erreichen, ehe dieser Richeza erreichte ...
Autor: von Scheffelstein
Den Göttern sei Dank!, dachte Richeza, als sie ihre Tante am Wegesrand auftauchen sah. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, an dem die Wunden, die der Tote ihr beigefügt hatte, brannten wie Feuer. Der kurze Lauf hatte sie bereits erschöpft. Noch immer war der Weg zu weit entfernt, als dass sie hoffen durfte, ihn zu erreichen, ehe die beiden Reiter sie eingeholt hatten. Ein Blick über die Schulter hatte ihr gezeigt: Der dritte war zurückgefallen, derjenige, der ihr Ross am Zügel hielt.
Richeza schlug einen Haken, zog im Laufen den Degen, wandte sich um. Das Pferd des braunhaarigen Jünglings schreckte zurück, als sie plötzlich anhielt, wich zur Seite aus, und hätte um ein Haar seinen Reiter abgeworfen. Der fluchte, riss das Tier hart am Zügel herum und näherte sich ihr mit erhobener Waffe.
"Euch kenne ich doch irgendwoher ...", sagte er.
Und ich kenne Euch, dachte Richeza. Sie wusste zwar seinen Namen nicht, aber durchaus, wo sie ihn mutmaßlich das letzte Mal gesehen hatte: In Gesellschaft des Verräters Vesijo de Fuente y Beiras, als dieser versucht hatte, Punin in seine Gewalt zu bringen, Jahre, bevor der verstorbene Kaiser ihm die Stadt in die Hände gegeben hatte. Ganz schlechte Gesellschaft!, dachte Richeza grimmig.
Laut sagte sie: "Ihr habt mein Pferd. Das werdet Ihr mir jetzt freundlicherweise aushändigen, dann könnt Ihr gehen." Der junge Mann sah sie einige Augenblicke lang ungläubig an, dann brach er in schallendes Gelächter aus. "Azzato, hast du das gehört? Wir werden ihr jetzt freundlicherweise ihr Pferd ... und dann ... haha!" Er schlug sich auf die Schenkel. Doch Azzato achtete nicht auf den Cumpan. Er hatte seinem Pferd die Sporen gegeben und der da Vanya den Weg abgeschnitten.
Autor: SteveT
Rifadas Rappen fiel in schnellen Trab, aus den Augenwinkeln sah sie, wie der Begleiter des rückgratlosen Stiefelleckers von San Owilmar Richeza den Weg verstellte, die ihr offenbar entgegen laufen wollte. Wo war überhaupt Richezas Pferd?
"Na sieh mal einer an!", ätzte Azzato von San Owilmar derweil und kam ihr mit gezogener Klinge querfeldein entgegen geritten. "Die treulose Verräterin Rifada da Vanya treibt sich höchstpersönlich und natürlich ohne meine Zustimmung einfach so mir nichts dir nichts auf meinem Grund und Boden herum! Jetzt ergeht's dir schlecht, Aufrüherin!"
Rifada holte mit dem langen Bastardschwert aus und schlug im Vorbeireiten so hart nach dem unter Hohngelächter parierenden Dom Azzato, dass dessen Degen an der Stelle der Parade eine tiefe Delle erhielt.
"Ihr attackiert also auch noch mein Leben, nachdem ich wegen Eurer Schuld schon zwei geschlagene Monde auf dem trostlosen Eiland des Doppel-Gasparos im Schwarzen See festgesessen habe? Wenn ich euch kaltmache, wird mir die Frau Vogtin ihr Leben lang in tiefer Dankbarkeit zugeneigt sein!", raisonierte er.
Rifada achtete nicht weiter auf das Geschwätz des sein Pferd wendenden und ihr nachreitenden Stutzers, sondern hielt weiter auf Richeza zu. Jetzt drehte sich auch der bewaffnete Reiter um, der zwischen ihr und ihrer Nichte stand. Ein junger Bursche mit eiskalten Augen – wenn sie sich nicht täuschte, war er ein Vasall Dom Hérnans, aus einer der alten Familien von Dubios im weißen Ragatien.
"Weg von ihr, Jungchen!", brüllte sie ihm entgegen. "Du stirbst andernfalls in einer Fehde, die dich und deinesgleichen nicht das Geringste angeht!"
Autor: von Scheffelstein
"Ach, wirklich?" Der Jungadlige riss an den Zügeln und versetzte dem Pferd einen Tritt in die Flanken, doch in dem Moment machte auch Richeza einen Satz vorwärts und griff dem Tier von der anderen Seite in die Zügel. Einen Augenblick lang hing sie beinahe in der Luft, dann verlor das Tier durch das Gewicht an seinem Hals im Schnee den Halt und stürzte. Mit katzenhafter Gewandtheit rollte die Edle sich ab, doch auch der Dubianer reagierte schnell und war schneller wieder auf den Beinen als sein Ross. Mit erhobenem Degen stürzte er auf Richeza zu. Diese aber beachtete ihn kaum. Mit zwei Schritten war sie bei dem sich erhebenden Pferd, mit einem Sprung auf dessen Rücken, und so verfehlte sie der Angriff des Jünglings, der funkenstiebend vom Steigbügel abprallte.
Autor: von Scheffelstein
Richeza trieb das Pferd vorwärts, kaum, dass es auf den Füßen stand, um es aus der Reichweite des Dubianers zu bringen. In dem Moment, in dem der nachsetzte, in dem die Vanyadâlerin heran war und der Caballero von San Owilmar dem nahenden Falkner einen Wink gab, tauchte die Frau auf. Oben am Weg, nicht dort, wo er ins Dorf führte, hinter der Junkerin, sondern dort, wo er zwischen den Hügeln im Süden verschwand, im Rücken des Dubianers.
Noch war sie mehr als hundert Schritt entfernt, und sie kam nur langsam näher, taumelte, als sei sie benommen, ja, verwundet, denn sie zog das Bein nach, wie nach einer Knieverletzung. Sie hielt nicht auf die Ortschaft zu, sondern auf die Reiter. Ihr Nachthemd – ein solches schien sie zu tragen – flatterte im Wind. Der zunehmende Schneefall verwischte ihre Umrisse und dämpfte jeden ihrer Schritte.
Autor: SteveT
Ungeachtet der sonderbaren Gestalt, die sich der Szenerie näherte, hatte Rifada nach wie vor nur Augen für den Caballero von San Owilmar und war tunlichst darauf bedacht, zwischen ihm, dem Dubianer und Richeza zu bleiben.
"Pferdediebin! Sie stiehlt mein Pferd!", brüllte Dom Azzatos Compadre. "Darauf steht der Tod! Fangt sie, Azzato! Niemand stiehlt ungestraft mein Ross!" Er zog einen Wurfdolch aus dem Gürtel und schleuderte ihn hinter der fliehenden Richeza her. Rifadas Blick folgte schreckgeweitet dem Flug der Klinge, als könnte sie sie dadurch zu Boden stürzen lassen. Glücklicherweise verfehlte sie Richeza um mehr als anderthalb Schritt.
Dann war der Schönling von San Owilmar mit hasserfülltem Blick an sie heran. Rifada riss ihr Schwert hoch und schlug seinen Degenstich von unten nach oben weg. Wieder klirrten die Waffen, noch ein paar Schläge, und sie würde ihm seine dünne Klinge entzwei hauen, auch wenn anzunehmen war, dass er sich die Dienste eines sehr guten Waffenschmieds leisten konnte, denn wie alle Speichellecker, die ihr folgten, erhielt auch er angeblich ein regelmäßiges Salär von Praiosmin.
"Euer vermeintlicher Grund und Boden, welcher in Wahrheit der meinige ist", zischte sie ihm zwischen zusammengebissenen Zähnen zu, "interessiert mich einen Dreck! Ich bin auf dem Weg nach Ragatien und Ihr zwei Strauchdiebe haltet mich mit Sicherheit nicht davon ab!"
"Ihr geht nirgendwo hin, Verräterin, außer in den Kerker!", antwortete er und packte ihr mit der freien linken Hand in die Haare und zog daran. Rifada schrie auf und rammte ihm aus kürzester Distanz den Ellenbogen ins schöne Gesicht, sodass sein ganzer Kopf wuchtig nach hinten geschleudert wurde. Dabei riss er ihr ein ganzes Büschel Haare aus. Rifada fasste sich fluchend an den Kopf - wie sie erwartet hatte, sah sie Blut an ihren Fingern. Sie schlug noch einmal mit dem Schwert nach ihm - aber der Caballero tauchte reflexartig zur Seite weg, wobei er aus dem Sattel in den Schnee stürzte.
Rifada zog ihr Ross herum und ließ es drohend - die Waffe hoch erhoben - drei, vier Schritte auf den näher kommenden Dubianer zustürmen. Dieser brachte sich ebenfalls mit einem beherzten Sprung zur Seite vor den heranstürmenden Hufen in Sicherheit, sodass Rifada nun einfach einen großen Bogen ritt und der bereits achtzig, neunzig Schritt entfernten Richeza nachsetzte. Ihr diesen Vorsprung zu verschaffen, war ja ihre ganze Intention gewesen. Jetzt weg von hier, nordostwärts. Es waren nur noch wenige Meilen bis zur Grenze der Mark Ragathsquell.
Autor: von Scheffelstein
"Verfluchte Metze!", schimpfte Azzato. "Die hol' ich mir, und dann wird sie sich wünschen, mir nie begegnet zu sein." Er klopfte sich den Schnee von der Hose, saß wieder auf und hieß den Falkner, dem Compadre das Pferd der Scheffelsteinerin auszuhändigen. "Den schlechtesten Tausch hast du da nicht gemacht, mein Freund, immerhin!"
Juanito schnaubte. "Pferdediebstahl bleibt Pferdediebstahl. Was haben die überhaupt auf deinem Land verloren? Und wieso ist die Jüngere vor uns geflohen?"
"Was weiß ich?", knurrte Azzato und wollte schon das Pferd in Richtung Straße wenden, als der Falkner einen leisen Pfiff ausstieß und, da er keine Hand freihatte, in Richtung der auf sie zu taumelnden Frau nickte.
"Heda, Weib!", schrie Azzato gegen den Wind. "Was machst du hier draußen im Schnee?"
"Sie hat keine Schuhe!", fiel Juanito auf und fasste den Degen fester. Die Kälte schien das Weib nicht zu spüren, es hielt weiter beharrlich auf sie zu, wortlos, mit vom Schnee gedämpften Schritten.
Azzato trieb sein Ross mit leichtem Schenkeldruck auf die Frau zu, den Degen erhoben. Sie sah nicht gesund aus, irgendwie entstellt, so wie einer der Bettler in Selaque, der kaum sprechen konnte und seine Gliedmaßen bewegte wie eine Mirhamionette. Gerade überlegte er, ob er einem solchen Weib wohl einen Gefallen täte, wenn er es einfach hier und jetzt von seinem Dasein erlöste, da gab es ein kurzes, zischendes Geräusch, ein dumpfes Schmatzen, schon kippte die Frau vor Azzatos Ross Gesicht voran in den Schnee. Aus ihrem Hinterkopf ragte ein Bolzen.
In einem ersten Reflex fasste sich der Caballero an die Brust, starr vor Schreck und fast geneigt zu glauben, selbst getroffen worden zu sein.
"Heilige Scheiße!", fluchte Juanito, und der Falkner rief: "Reiter!"
Und wirklich: Oben auf dem Weg, am Rand der Hügel, war ein Trupp Bewaffneter aufgetaucht, der Anführer ein Bär von einem Mann, in Platte und Helm, die übrigen – zwei Frauen und drei Männer – in grün-weißen Wappenröcken. Eine der Frauen trug eine Armbrust, die anderen hatten Schwerter und Streitkolben in den Fäusten.
"Ah", grinste der Dubianer, der sich schneller von der Überraschung erholt hatte, "Männer der Vogtin. Na, die kommen gerade recht, das wird eine Jagd!"
Azzato presste die Lippen zusammen. "Das sind nicht Praiosmins Leute!", stieß er hervor, als die Reiter sich in raschem Trab näherten. Im Grün der quadrierten Wappenröcke war kein Marmorblock abgebildet, sondern ein Weißer Schröter über einem ebensolchen Berg. "Schrotensteiner!"
Autor: Lindholz
Diese tumben Kreaturen hatten seine Verfolger direkt zu ihm geführt! Nur mit Mühe unterdrückte Grordan einen götterlästerlichen Fluch, als er sich wieder in den Schatten des halb verfallenen Hauses zurückzog, das ihm als Zuflucht diente. Zwar verbarg ihn seine schwarzer Mantel gut in der finsteren Ruine, deren Gebälk vom Feuer geschwärzt worden war, doch drang die Kälte ihm zunehmend in die Knochen. Seine linke Hand konnte er schon nicht mehr fühlen, trotz der gefütterten Handschuhe, die sie wärmen sollten. Fast wünschte er sich die Flammen zurück, die hier einst gewütet hatten. Wenn er jemals den Händler wiedersah, der ihm diesen Schund angedreht hatte, würde er schon einen Weg finden, seinem Unmut Ausdruck zu verleihen. Nun, solange die Extremitäten noch ihre Arbeit taten, sollte es ihn nicht stören und so strich sich der Nekromant in alter Gewohnheit durch den dichten schwarzen Bart, der den unteren Teil seines hageren Gesichtes verdeckte.
Statt seinen Häschern zu entkommen, sah er sich jetzt einer noch größeren Zahl an Bewaffneten gegenüber. Ihm blieb nichts übrig, als auszuharren und zu hoffen, dass das Durcheiander, welches hier herrschte, ausreichend von ihm ablenkte. Sobald diese in Metall gewickelten Hohlköpfe verschwunden waren, stand ihm das Gräberfeld von Elenta offen; eine wahre Fundgrube für jeden Totenbeschwörer! Alte Skelette, vermodernde Leichen, vielleicht sogar ein paar Verbrannte, die nach den Ferkinaüberfällen von den wenigen Verbliebenen nur notdürftig hatten verscharrt werden können. Ja, er musste sich nur in Geduld üben und verborgen bleiben. Selbst wenn es zum Schlimmsten kam, war Erfrieren noch immer besser als das, was ihm die Suprema antun würde. Der Tod wartet, dachte er bei sich, So warte auch Du.
Autor: von Scheffelstein
"Halt!", rief Azzato, als er sich vom ersten Schrecken erholt hatte und hob sein Rapier. "Halt, in der Götter und der Vogtin Namen!" Nicht unzufrieden stellte er fest, dass die Reiter ihre Pferde zügelten und vor seiner erhobenen Waffe anhielten. "Wer seid Ihr, dass Ihr es wagt, auf meinem Land ein Weib zu erschießen? Sprecht!"
Statt einer Antwort sprang eine der Reiterinnen aus dem Sattel, stellte einen Fuß auf den Rücken der Erschossenen und riss den Bolzen aus deren Schädel. Etwas war seltsam. Es gab kein Blut. Mit dem Stiefel rollte die Soldatin das spärlich bekleidete Weib auf den Rücken. Es war älter, als Azzato aufgrund des dichten, braunen Haars vermutet hätte: Arme und Gesicht waren eingefallen, ebenso die Augen, die tief in ihren Höhlen lagen und widernatürlich tot wirkten.
"Habt Ihr einen Mann gesehen?", fragte der Anführer der Reiter unvermittelt. "Um die vierzig, hager, schwarzes, langes Haar, dichter Vollbart, schwarzer Mantel, Handschuhe, zu Fuß unterwegs?"
"Wer will das wissen?", fragte Azzato, pikiert, so respektlos behandelt zu werden.
Der Ritter klappte das Visier seines Helmes hoch. "Lucrann da Vanya, Baron zu Schrotenstein. Und?"
"Ihr befindet Euch hier auf dem Land der Reichsvogtin von Elenta, Dom Lucrann, sollte Euch das in Eurer – wie man sagt – ungebührlich langen Abwesenheit entfallen sein. Ihr werdet also zunächst mir einige Fragen beantworten. Also, was …"
"Wer auch immer Ihr seid", knurrte der Schrotensteiner und musterte ihn abschätzig. "Wir haben keine Zeit für Spielchen. Habt Ihr oder habt Ihr nicht einen solchen Mann gesehen?"
"Und was, wenn?", fuhr nun Juanito di Dubiana dazwischen.
"Wo ist er?", fragte der Baron, während seine Soldatin wieder aufsaß.
"Oh, das weiß ich nicht", sagte Juanito schulterzuckend und prüfte wie beiläufig die Klinge seines Rapiers.
"Ich bin Azzato von San Owilmar, Herr dieses Dorfes, und ich verlange zu wissen, warum Ihr jenen Mann sucht und was Eure …"
"Er ist ein Totenbeschwörer", erklärte der Schrotensteiner knapp.
"Was?", entfuhr es Azzato und Juanito wie aus einem Munde, ehe Juanito in höhnisches Gelächter ausbrach und Azzato einen unbehaglichen Blick auf die Tote warf.
"Er hat gefangen gesetzt und unverzüglich nach Ragath an die Suprema überbracht zu werden!", befahl der Baron.
"Wie überaus günstig", erklärte Juanito mit einem abschätzigen Lächeln, "dass der Mann Euch schon vorausgelaufen ist." Er wies grob nach Norden und als die Bewaffneten ihn misstrauisch betrachteten, hob er die Hand, als würde er Offensichtliches darlegen. "Wo soll er wohl anders hinwollen, der Nekromant, als zu dem größten Boronkloster weit und breit, wo seit Jahrhunderten die Leichen Tausender Irrer begraben werden?"
Lucrann da Vanya starrte den Dubianer einen Moment lang an, wechselte dann einen Blick mit der Armbrustschützin, blickte noch einmal zu Azzato und Juanito, mahnend, als seien diese seine Praiostagsschüler. "Wenn Ihr ihn seht: zur Suprema, verstanden? Der Mann ist gefährlich!" Dann klappte er das Visier wieder herunter, trieb sein Pferd an, und die sechs Reiter preschten durch den knietiefen Schnee hinauf zur Straße. Bald waren sie im Dorf verschwunden.
"Das war der Vetter dieser verfluchten Da-Vanya-Hure!", sagte Azzato zähneknirschend. "Ich frage mich …"
"Haha! Was soll's?", grinste Juanito. "Den sind wir los!"
"Was, wenn sie wirklich einen Nekromanten jagen?", fragte Azzato.
"Unfug!" Juanito schüttelte den Kopf. "Wo soll denn hier plötzlich ein Totenbeschwörer herkommen? Was soll der in diesem praiosheiligen Land? Ich sag' dir: Das ist irgendeine Verschwörung dieser Drecks-da-Vanyas, um deiner Vogtin eins reinzuwürgen!"
"Und die da?" Azzato wies mit der Waffe auf die Leiche.
"Die da?" Juanito trat auf die Tote zu, hob das Bein und ließ den Stiefel mitten in das eingefallene Gesicht krachen, wieder und wieder, bis Knochen splitterten und das zur Unkenntlichkeit entstellte Weib tief im Schnee eingesunken war. "Die da ist tot!"
Azzato atmete tief aus. "Binde sie auf deinem Pferd fest!", befahl er dem Falkner. "Wir reiten nach Albacim. Wird Zeit, der Domna Bericht zu erstatten, soll sie entscheiden, was zu tun und wie mit dem da-Vanya-Pack zu verfahren ist." Sie wird nicht glücklich sein, dachte er bei sich, dass wir gleich drei da Vanyas haben laufen lassen! Aber ihm würde schon eine passende Ausrede einfallen.
Autor: Lindholz
Mit einem höhnischen Lächeln beobachtete Grordan, wie seine Verfolger sich gen Firun wendeten und kurz darauf auch die übrigen Bewaffneten den Ort auf dem Rücken Ihrer Pferde hinter sich ließen. Trotz seiner Zuversicht, harrte er noch eine Weile in seinem verkohlten Versteck aus, ehe er zurück auf die verschneiten Gassen des Dorfes trat. Jetzt, da die Anspannung von ihm wich, nahm der Nekromant erst zur Gänze wahr, wie tief die Kälte ihm in die Knochen gedrungen war. Fröstelnd blickte er sich um und entdeckte schon nach wenigen Schritten eine kleine Kate unweit der Umfriedung, aus deren Schornstein ein steter Faden grauen Rauchs aufstieg. Zielstrebig hielt er auf das Gebäude zu und setzte ein freundliches Lächeln auf, als er an die Tür der bescheidenen Behausung klopfte.
Der Mann, dessen Gesicht sich in dem Türspalt zeigte, mochte noch keine zwanzig Lenze gesehen haben. Kurzes, krauses Haar, schwarz wie Jett, umrahmten das junge Antlitz, das von den buschigen Brauen und großen, tiefbraunen Augen beherrscht wurde. Ein stoppeliger Bart hatte sich um den Mund mit den vollen Lippen ausgebreitet. Hübsch und dumm, wenn es das Schicksal gut mit mir meint, dachte Grordan. Mit einem "Seid gegrüßt!", eröffnete er das Gespräch, derweil er sich schwer auf seinen Stab stützte. "Grordan ist mein Name. Ich bin ein einfacher Wanderer, erschöpft von der Reise und der Unbill des Wetters. Im Namen der gütigen Mutter bitte ich Euch: Wollt Ihr nicht so freundlich sein und die Wärme Eures Herdes für eine kurze Weile mit mir müdem Gesellen teilen?"
Sein Gegenüber zögerte, der Blick wanderte zur Seite, die Lippen öffnete sich leicht, während der Geist sich aufmachte, nicht all zu forsche Worte zu suchen, um die hagere Gestalt in dem schwarzen Überwurf fortzuschicken. Der Nekromant kannte die Zeichen und war vorbereitet. Wie von Geisterhand erschien eine Münze zwischen seinen behandschuhten Fingern. In Windeseile fing das glitzernde Silber die Augen des Jünglings ein.
"Es soll Euer Schaden nicht sein", setzte Grordan mit Nachdruck hinzu. Dennoch schien das Geldstück seine Wirkung zu verfehlen, denn die Tür bewegte sich keinen Finger beiseite.
"Gerne würde ich Euch Obdach gewähren, Herr, jedoch..." Ein schwächliches Husten drang aus dem Inneren der Kate und ließ den Mann voller Sorge auf jemanden schauen, der sich jenseits des Wenigen verbarg, was Grordan im Inneren erspähen konnte.
"Ist etwa jemand erkrankt in Eurer Familie?" fragte er in scheinbarer Sorge und sein Gegenüber nickte wortlos, die Kiefer in Verzweiflung fest aufeinander gepresst.
"Und Ihr wolltet mich dieser Gefahr nicht aussetzen - was für ein herzensguter Mensch Ihr doch seid. Doch seid unbesorgt: Die Siechen, die uns Sterblichen widerfahren, sind mir weder unbekannt noch fürchte ich sie." beruhigte er den Burschen und tatsächlich wandte dieser ihm wieder voller Aufmerksamkeit das Gesicht zu. Und in seinen Augen zeigte sich etwas, was noch hundertfach stärker war als jede Gier: Hoffnung.
"Seid Ihr etwa ein Heilkundiger?"
Grordan senkte huldvoll das Haupt: "Titel bedeuten mir wenig. Doch dem Tod ein Schnippchen zu schlagen, so ich es vermag; dies allein ist mein Ansinnen."
"Würdet Ihr... wenn Ihr nur einen Blick..."
"Aber natürlich." erwiderte Grordan großzügig und trat in das Innere der Kate, welche ihm eiligst aufgetan wurde.
Autor: Lindholz
Dumpf tönte das Platsch zu ihm hinauf, als der Eimer auf der dunklen Wasseroberfläche, tief unten im Brunnen, aufschlug. Fahd beobachtete, wie das hölzerne Gefäß langsam absank, während es sich mit kaltem Nass füllte. Vereinzelte Schneeflocken umtanzten sein Haupt, setzten sich sich auf seinen fadenscheinigen Überwurf und in das krause Haar. Vielleicht fühlten sie sich einsam, nun, da der Himmel seine kalten Boten immer zögerlicher aussandte. Bald dringen die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolken. Praios schenkt mir seinen Segen. Und die gute Göttin Peraine auch. Er konnte sein Glück kaum fassen! Einen Medicus hätte er sich schon kaum leisten können, bevor die Ferkinas über das Land hergefallen waren. Damals hatten Sie ihr kärgliches Einkommen als Hirten für die Tiere der wohlhabenderen Dorfbewohner verdient. Es war kein leichtes Leben gewesen; weder für ihn, noch für Dela. Doch schweiften seine Gedanken zu jener Zeit zurück, so erinnerte sich sein Herz nur an tausend Küsse voller Glück.
Fahd griff nach der schwerfälligen Kurbel. Langsam zog er den gefüllten Eimer nach oben und während Bahn um Bahn des Seils sich um das sich drehenden Holz legte, dachte er an die Zerstörung durch die Ferkinas. Keiner hatte mehr Tiere gehabt, die es auf die Wiesen zu treiben galt: Von den wenigen Schafen und Ziegen, die nicht dem Hunger der Wilden zum Opfer gefallen waren, hatten die Besitzer viele selbst geschlachtet, da die Felder arg gelitten oder ganz verhehrt waren. Die Tage waren für Dela und ihn voller Mühen gewesen, doch des Nächtens in ihren Armen, waren die schmerzenden Knochen vergessen und als sie ihm sagte, dass sie ein Kind in sich trage, hatte er sie so heftig in die Arme geschlossen und mit Liebkosungen überhäuft, dass sie beinahe gestürzt wären. Für jede Bitterkeit schien das Leben auch etwas Süßes bereit zu halten. Daran hatte er geglaubt, bis... ja, bis Dela krank geworden war.
Der junge Mann wuchtete den Brunneneimer auf die Ummauerung und schüttete das Wasser in den mitgebrachten Kübel. Jene erste Schwäche lag jetzt einen Mond zurück und ihm war klar, dass spätestens die Geburt Dela töten würde, wenn die Sieche ihm Frau und Kind nicht schon vorher nahm. Fahd griff den Eimer und trat eiligen Schrittes den Rückweg an. Noch war es jedoch nicht so weit. An diesem Tage würde sich ihr Schicksal wenden!
Nur noch wenige Schritte trennten ihn von seiner Kate, als ein Schrei voller Pein an sein Ohr drang: "Das kann nicht sein! Wie konnte das nur passieren?" Das war Grordans Stimme erkannte Fahd bestürzt und eilte in höchster Sorge zur Tür. Es kostete ihn all seine Willenskraft nicht einfach den Eimer beiseite zu werfen, aber kaum hatte er die Schwelle überschritten, da rief er schon aus: "Was habt Ihr, gelehrter Herr? Was ist geschehen?"
Der hagere Mann stand an der Bettstatt seiner geliebten Frau, doch schien er nicht auf diese zu achten, sondern etwas in seinen Händen zu betrachten. Auf Fahds Worte hin, zuckte er heftig zusammen und brauchte eine Weile, bevor er sich schließlich wieder aufrichtete. Schon überlegte Fahd, ob er wohl näher treten und seine Fragen wiederholen sollte, als Grordan sich zu ihm umdrehte. "Entschuldigt diesen Ausbruch, mein junger Freund."
"Geht es um Dela?" fragte Fahd besorgt und versuchte einen Blick auf die Hände seines Gegenübers zu erhaschen, doch dieser hielt sie in den über der Brust gekreuzten Ärmeln seines Mantels verborgen. Grordan seufzte und begann damit, in dem kleinen Raum umher zu wandern. "Als treusorgender Gatte verdient Ihr, es zu erfahren, auch wenn es Euch Schmerzen mag", gestand er schließlich ein, "Die Lage ist ernster als ich annahm."
"Gibt es denn keine Hoffnung für sie... und für das Kind?"
"Es gibt immer einen Weg, mein Freund. Doch warne ich Euch: Es ist kein leichter - für keinen von uns. Doch wenn uns Erfolg beschieden ist, so wird Eure geliebte Dela wieder so stark sein, wie sie es einst war."
"Dann sagt mir nur, was ich tun kann!"
Zum ersten Mal, seit Fahd den Raum betreten hatte, zeigte sich wieder der Anflug eines Lächelns auf den Zügen des Fremden: "Nun, warum fangt Ihr nicht damit an, das Wasser aufzukochen, wie ich es von Euch erbat."
Der junge Mann errötete. Den Eimer in seinen Händen hatte er trotz des Gewichts völlig vergessen. "Natürlich."
Fahd stellte den hölzernen Kübel ab, nahm den Kupferkessel vom Haken und füllte das Brunnenwasser hinein. Gerade wollte er das Gefäß wieder über die Feuerstelle hängen, als er sich des Schattens in seinem Rücken gewahr wurde. Grordans Linke presste sich auf seinen Mund. Ein seltsamer Geruch, süßlich wie verwesendes Fleisch drang Fahd in die Nase. Er würgte, dann drang die Dolchklinge zum ersten Mal in seinen Rücken. Unglauben füllte seine Gedanken. Selbst als die Klinge das zweite Mal durch seine Rippen gestoßen wurde, konnte er noch nicht verstehen, warum. Er schrie, doch die Klaue des bärtigen Mannes hatte sich wie ein Schraubstock um seinen Kiefer geschlossen. Er ließ den Kupferkessel fallen und Dunkelheit umfing sie als das Wasser das Herdfeuer in seiner Flut erstickte. Fahds Hände fuhren nach oben, doch der ältere Mann, legte eine erstaunlich Kraft an den Tag, während seine eigene erlahmte. Fahd trat nach hinten, traf etwas und büßte es mit einem weiteren Stich. Ihm war, als ob etwas Vielbeiniges den Weg in seinen Mund gefunden hatte. Aber das war unmöglich: Es hätte Grordan direkt aus der Hand krabbeln müssen. Er biss zu, als die Klinge ihn erneut traf und ein bitterer Geschmack breitete sich in seiner Kehle aus. Mandibeln zwickten ihm protestierend in das Innere der Wange. Das muss ein Traum sein, ein schrecklicher Traum. dachte er als der Griff um ihn sich endlich löste. Er wollte laufen, doch er fühlte seine Beine nicht. Kraftlos sank er zu Boden. Lauwarme Nässe breitete sich um ihn aus, der Geruch von Blut gesellte sich zum Verwesungsgestank. Zweimal noch mühte er sich, Atem zu schöpfen, während er in die Finsternis starrte. Dann erreichte die Dunkelheit sein Herz.
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