Chronik.Ereignis1037 Der fürstliche Cronrat 01

Aus Almada Wiki
Version vom 13. Mai 2014, 18:12 Uhr von León de Vivar (Diskussion | Beiträge) (beiträge von rondrastein und vivar eingefügt)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Junkergut Tyras, 27. Praios 1037 BF

Auf der Reichsstraße (früher Abend)

Autor: vivar

„Zum letzten Mal, Rascal! Benimm dich gefälligst!“ Amando Dhachmani de Vivar, Städtischer Kämmerer Punins und Cronrat Seiner Durchlaucht des Almadanerfürsten, zerrte seinen Sohn vom Fenster fort und drückte ihn neben sich auf die gepolsterte Bank der Reisekutsche. „Habe ich dir nicht gesagt, dass du keine Steine nach den Leuten schießen sollst?“

„Aber es sind doch nur Fellachen, Vater!“, rief der Dreizehnjährige aus und umklammerte die Zwille, mit der er im Vorbeifahren auf die kurzgeschorenen Leibeigenen am Straßenrand gezielt hatte, die unter der Sommersonne die letzten Garben aufsammelten.

„Fellachen, die einen Herrn haben. Er wird aus ihrem Gemurmel und Getuschel heraushören, wie frechlich Rascal de Vivar y Viryamun mit seinen Schutzbefohlenen umgesprungen ist, und bei sich denken, dass die Vivar sich über ihn und seinen Besitz lustig machen. Das wäre schlecht; schließlich sind wir hier, um mit diesem Herrn Geschäfte machen. Also steck die vermaledeite Schleuder endlich weg oder ich nehme dir fort!“ Drohend erhob er die Rechte.

Rascal verstaute umständlich die Zwille in seiner Rocktasche, verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust und suchte mit seinen Blicken Hilfe bei den anderen Mitreisenden. Amir ibn Saiman, der ergraute Leibdiener seines Vaters, tat jedoch, als hätte er nichts gesehen und gehört. Auch die gemütliche Zaya tat sich, obwohl nur vier Jahre älter als Rascal, mit den Erwachsenen gemein und nickte gravitätisch zu den Worten Dom Amandos. Nur sein Halbbruder Rondrigo, der auf Zayas Schoß saß, bot ihm strahlend seine Zuckerstange an: „Ra'ca Sucka haben?“

Rascal schnitt zur Antwort eine Grimasse, die Rondrigo erschreckte und mit seinen Patschehändchen an Zayas weicher Brust Hilfe suchen ließ.

Dom Amando seufzte und blickte aus dem rechten Fenster. Die Kutsche ratterte und polterte über die Reichsstraße, an den Feldern des Weißen Ragatien vorbei, wo Fellachen und Wanderarbeiter die letzten Weizengarben einsammelten. Dahinter erhoben sich sanft geschwungenen Dubianer Höhen, so weit das Auge reichte mit reifendem Obst und Wein bedeckt, und irgendwo dahinter, verdeckt von bauschigen Wolken, dräute der Raschtulswall. Er hatte sich auf die Ausfahrt gefreut. Hinaus aus dem in der Sommerhitze glühenden und stinkenden Punin, die städtischen Aufgaben für eine Weile ruhen lassen, und sich an der Landluft und dem einfachen Landleben erquicken. Vielleicht hätten Odina und er ohne die Kinder reisen sollen? Zu zweit, auf Rössern, mit leichtem Gepäck, und nicht darauf achtend, ob ein weiches Bett oder ein Heuschober ihr Nachtlager war, solange sie sich gegenseitig wärmen konnten? So hatten sie es in Inostal des Öfteren und bisweilen auch noch in Urbasi getan. Eines Stadtkämmerers war ein solches Verhalten jedoch nicht mehr würdig, und so reiste Dom Amando standesgemäß in der Kutsche, während Odina und Isha, Rascals Zwillingsschwester, begleitet von vier kräftigen Khunchomer Doppelsöldnern, vorneweg ritten.

Einer von diesen zeigte sich nun am Kutschenfenster und sagte auf Tulamidya: „Wir sind bald da, ya Sayyidi![1]

Erleichtert beugte sich Dom Amando vor und signalisierte Rascal, dass auch er nun wieder durchs Fenster blicken dürfe. Der Knabe schmollte aber immer noch und rührte sich nicht vom Fleck. Als die Pferde auf eine Zypressenallee einbogen, erhaschte der Kaufherr einen Blick auf seine junge Gemahlin. Rondragleich und mit offenem braunem Haar ritt sie durch die geradlinigen Baumreihen an Ölpressen und Kornmühlen vorbei auf eine Ansammlung weiß getünchter Häuser zu. Jenseits des Weilers schmiegte sich das heutige Ziel ihrer Reise in den Hang des höchsten aller Weinberge – ein großer Gutshof aus Naturstein, überragt von einem gedrungenen Turm und umgeben von terrassierten Wein- und Obstgärten, welcher der Stammsitz der alten Familia Vascara war.

Der Rinderjunker Rasdan di Vascara war einer von mehreren altadligen Magnaten, die unter der Ägide des Mondenkaisers von einem privilegierten Zugang zum Hofe profitiert hatten, deren Häupter nach der Rückkehr Almadas unter die Herrschaft der Kaiserin jedoch bedenklich gewackelt hatten und die nach Fürst Gwains Krönung deutliche finanzielle Einbußen hatten hinnehmen müssen. Im Falle der di Vascaras waren die Einnahmen aus dem Verkauf von Bratochsen an den Eslamidenhof vollständig zusammengebrochen. Als die Kaiserin im Tsamond auf Cumrat ihre Verlobung mit dem Markgrafen von Perricum bekannt gegeben hatte und für den Efferd 1037 ein großes Hochzeitsfest ankündigte, hatte Dom Rasdan schnell begriffen, dass er bei der Zahlung des kaiserlichen Brautgeldes um keinen Preis hintan stehen dürfe. So war er, wie andere auch, im Perainemond im Handelshaus Dhachmani vorstellig geworden und hatte um einen Kredit über eine mittelgroße Summe Goldes gebeten.

Amando Dhachmani de Vivar hatte diesen großzügig gewährt, ohne genauer nach den Einkünften des Junkers zu fragen. Doch nun war Erntezeit, und der Kaufherr wollte sicherstellen, dass Dom Rasdan ordentlich wirtschaftete und bei der Gelegenheit überprüfen, ob sich der Schuldner nicht in einen Lieferanten verwandeln ließe. Auch über die politischen Ambitionen des Junkers würde zu sprechen sein. Er lächelte selbstzufrieden.

Muuuuuh!“ Lautes Gezeter und das Gebrüll einer Kuh schreckten ihn aus seinen Gedanken. Ein Ruck schüttelte die Insassen durch und die Kutsche hielt abrupt an. „Was, bei Phexens Sternenschweif –?“ In die Kutschenwand zu seiner Linken hatte eine schnaubende Kuh ihre Hörner gebohrt und starrte mit großen, blutunterlaufenen Augen durch das Fenster auf Rascal. Ihr Haupt war mit Blumen und Ähren geschmückt, aber vollkommen mit Blut besudelt.

Aus Rascals Gesicht dagegen war alles Blut gewichen. Die Zwille hielt er in der Linken. „Ich habe doch nur... das Biest... so schnell... Vater, es will mich aufspießen!“, stammelte er entgeistert.

Sein Vater versuchte über den Kuhkopf hinweg nach draußen zu sehen, erkannte aber nur einen großen Heuwagen. Von draußen hörte er noch weitere Rinder verärgert brüllen und Menschen drohend fluchen. Rondrigo schrie in höchsten Tönen, Zaya presste ihn eng an sich und Amir versuchte vergeblich, mit dem Sitzpolster zu verschmelzen. Irgendwer trampelte um die Kutsche herum. Da wusste Dom Amando Bescheid: Ein Überfall! „Z-zu Hülf! Odina, zu Hülf!“

Odina di Salsavûr war mit ihrer Stieftochter Isha vorneweg geprescht um mit ihr bis zur Plaza des Dorfes um die Wette zu galoppieren. Als sie nun die Stimme ihres Gemahls vernahm und in Sorge ihr Ross wendete, wurde sie eines seltsamen Anblicks gewahr. Der von vier weißen Kühen gezogene Heuwagen, dem sie zuvor auf den Feldern keine weitere Beachtung geschenkt hatte, hatte die Reisekutsche ihres Mannes gerammt und zum Stehen gebracht. Der Wagen war voller Ähren. Die vier Khunchomer Mercenarios waren von mehreren Dutzend Rustikalen und Fellachen umringt, die wutentbrannt auf sie einschimpften und ihre Sensen und Sicheln in die Höhe reckten.

„Bei den Zwölfen! Die Rustikalen werden Vater umbringen! Wir müssen ihm beistehen!“, rief Domnatella Isha und griff nach ihrem Langdolch.


Autor: Der Sinnreiche Junker

Manchmal beneidete Rasdan di Vascara seinen Lehnsherrn. Kritisch rückte er sein Wams beim Blick in den Spiegel zurecht. Gemeinhin kleidete er sich vornehmlich in Weiß und Schwarz, wobei das Weiß die günstigere Variante des Silbers im Familienwappen war. Für besondere Anlässe aber geziemte es sich die sündhaft teuren Stoffe aus Silberbrokat hervor zu holen. Der Herr Baron, dessen Wappen umgekehrt Silber auf Schwarz zeigte, hatte es da wesentlich besser, da er lediglich schwarze Stoffe mit etwas Silber kombinieren musste.

Nachdem der Junker mit dem Sitz seiner Kleidung zufrieden war, griff er in die Schmuckschatulle und schob je einen Rubinring über Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand, Symbol für die beiden roten Augen des Stieres in seinem Wappen. Mochte sein Besuch aus Punin ruhig sehen, dass die Vascaras keine armen Schlucker waren. In diese Kerbe schlugen auch die unten gerade hörbar antretenden Kämpfer. Sollten sie ruhig sehen, dass sich der Junker ein Dutzend Reisige leisten konnte.

Sein Vater, Banilo III. di Vascara, Alt-Junker zu Tyras, hatte ihm freilich davon abgeraten. „Dom Amando ist ein Kaufherr“, hatte er geraten. „Handel gedeiht im Frieden, sodass Kaufherren häufig wenig übrig haben für Militär und Krieg. Gut möglich, dass sich eine solche Demonstration ins Gegenteil verkehrt.“ War es die richtige Entscheidung gewesen, seine Leute dennoch antreten zu lassen?

Während Rasdan di Vascara noch grübelte, klopfte es an der Türe. Ein Diener trat ein und verneigte sich. „Sie kommen, Herr.“

Vom Wohnturm aus konnte man weit ins Land sehen, und für heute war keine weitere Reisegesellschaft angekündigt, die von der Reichsstraße II auf die Zypressenallee hin zum Junkergut einbiegen würde. „Lass mein Ross vorführen“, befahl der Junker, warf einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel und begab sich dann auf den Weg nach unten.

Kurz schweifte dort sein Blick über seine angetretene Garde, ehe er seinen Leuten zufrieden zunickte. Dann setzte er den Stiefel in den Steigbügel des von einem Pferdeknecht gehaltenen Rosses um schwungvoll aufzusitzen. Seine jüngere Schwester Rashida, gleichfalls hoch zu Ross und mit dem Banner der Vascaras in der Hand, ritt an seine Seite. „Na, aufgeregt, Bruderherz?“, feixte sie.

„Niemals“, gab er ruhig zurück, wiewohl sie beide wussten, dass dies gelogen war. Wobei Aufregung wohl nicht ganz das rechte Wort war. Sie wussten beide, dass es ihm an Geduld für derlei Gesellschaften mangelte, und nur zu gerne hätte er dies alles seiner Schwester, die sich ohnehin bevorzugt um die verwaltungstechnischen Details der Familiengüter kümmerte, und seinem ungleich diplomatischeren Vater überlassen. Doch war nun einmal er der Junker und Soberan, und am Ende war es schließlich auch er, der in den Cronrat wollte. Der Cronrat. Welchen Floh hatte ihm Morena da nur ins Ohr gesetzt. Morena…

Sachte drückte der Junker seinem Ross die Fersen in die Seiten, sodass sich der Zug in Bewegung setzte, seine Schwester zu seiner Rechten, um die Gäste noch vor dem sanften Anstieg hinauf zum Gutshof zu empfangen.


Autor: rondrastein

Odina genoss es, mit ihrer Stieftochter reiten zu können und nicht in der engen Kutsche sitzen zu müssen – bis sie die Hilferufe ihres Mannes vernahm. Wie weggeblasen war die Freude über das Wettrennen. Schnell besann sie sich ihrer Ausbildung. „Steck das Messer weg, Isha. Damit wirst du vom Pferderücken sowieso nichts ausrichten können.“

Isha war 13 Götterläufe alt und immer noch bei ihrem Vater, was Odina nicht ganz verstand. Das Mädchen hatte alle Eigenschaften, die zeigten, dass sie sich für eine Knappschaft oder eine Ausbildung an einer Kriegerakademie eignen würde. Sie musste dringend mit ihrem Mann darüber sprechen, wenn sie alleine waren. Die junge Ritterin hatte auch schon eine Idee, wo man Isha hinschicken könnte, um ihr eine gute Ausbildung zu kommen zulassen.

„Reite zum Gut und hol den Junker!“ Isha wollte gerade ansetzen etwas zu erwidern, aber Odina schnitt ihr das Wort ab. „JETZT!“

Ohne weiter auf das Mädchen und ob es den Anweisungen Folge leistete, zu achten, gab sie ihrem Ross die Sporen, um zur Kutsche zu kommen. „Treibt sie auseinander! Schützt die Kutsche!“ Die Anweisungen, die sie brüllte, galten den vier Mercenarios. „Lasst sie nicht an die Kutsche kommen!“

Sie galoppierte zwischen Fellachen und Kutsche, vollführte mit ihrem Ross eine Drehung und ließ es steigen. Sie hoffte, dass die Bauern, trotz der Sensen und Sicheln, Abstand vor den eisen beschlagenen Hufen ihres Hengstes halten würden und so auch dem Abstand zur Kutsche vergrößern würde.

Bisher hatte sie noch nicht ihr Schwert gezogen, das an ihrer Seite hing und sie hoffte, dass sie das auch nicht machen müsste.


Autor: vivar

Um Odina herum war ein heilloses Durcheinander. Fellachen reckten den Mercenarios ihre langen Sensen und kurzen Sichelmesser entgegen, diese schrien, die Hände an den Doppelkhunchomern, jene an zurückzuweichen, woraufhin jene zurückfluchten, die weiße Kuh, die den Heuwagen zog, hatte ihre Hörner immer noch in die Kutsche gebohrt und von weiter hinten kamen weitere weiße Kühe. Auch sie glänzten in feuchtem Rot. Die Rinder brüllten, und die Rustikalen riefen in einem fort etwas, das wie Jalapan, Jalustan oder Jaliban klang. Aus dem Inneren der Kutsche drang das angstvolle Geschrei der Insassen.

Vor dem steigenden Ross mit den scharfen Hufen jedoch wich das Volk furchtsam zurück und Odina wurde gewahr, dass die Kühe nicht etwa bluteten, sondern auf verwirrende Weise mit roter Farbe bemalt waren. Rote Kreise, Spiralen und Striche zogen sich, vom Schädel ausgehend, über den gesamten Leib der Tiere. Als der Blick der Caballera auf den Heuwagen fiel, erkannte sie im gemähten Heu darin eine umgefallene Statue aus weißem Stein. Mehrere Rustikale bemühten sich umständlich, sie wieder aufzurichten.

„Jaliban! Jaliban!“, brüllte eine Frau mit Hakennase und breitkrempigen Sonnenhut und fuchtelte Odina mit ihrer Sense vor der Nase herum.


Isha drückte ihrem Ross die Stiefel in die Flanken und trieb es im Galopp über den Dorfplatz, achtete nicht der Platanen, in deren Schatten Frauen und Männer Tische und Bänke aufstellten, achtete nicht der Weinfässer, die herangerollt wurden, und der Feuergrube, die angeschürt wurde.

Im Ritt stellte die Dreizehnjährige fest, dass Zaya ihr den Eslamszopf wieder einmal zu locker gebunden hatte und sich ihre Locken eine nach der anderen lösten. Zum Junker sollte sie eilen, hatte ihre Stiefmutter gesagt. Isha versuchte sich zu entsinnen, was sie über ihn wusste. Nicht viel, musste sie sich eingestehen. Die Vascaras führten ein schwarzes Stierhaupt auf Silber im Wappen und waren seit Menschengedenken Aftervasallen der Barone von Dubios. Ob es klug war, einen Rinderjunker um Hilfe zu bitten, wenn ihr Vater von Rindern angegriffen wurde? Sie kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, denn am Fuß der Anhöhe kam er ihr höchstselbst an der Spitze einiger Reiter entgegen. Die Frau neben ihm trug sein Stierbanner. Sein bulliger Körper steckte in teuren Gewändern und er war frisiert und bewaffnet, wie es einen Magnaten geziemte.

Nur mit Mühe brachte Isha ihr Pferd einige Schritt vor der Gruppe zum stehen. „Wohlgeboren!“, rief sie aufgeregt. „Die Götter senden Euch, Wohlgeboren! Sie haben meinen Vater umzingelt! Sie wollen ihn töten! Die Rinder!“


  1. Tul.: "Mein Herr!"


Chronik:1037
Der fürstliche Cronrat
Teil 04