Chronik.Ereignis1033 Feldzug Schrotenstein 15
In der Baronie Schrotenstein, 7. Rondra 1033 BF
Auf dem Castillo Schrotenstein
7. Rondra, abends
Autor: von Scheffelstein
In der Kammer roch es nach Tod und Verwesung. Der Gestank war so durchdringend, dass er Belisetha Übelkeit bereitete. Sie konnte nicht umhin, Jelissa Al'Abastra für die Geduld und Hingabe zu bewundern, mit der diese Tag und Nacht am Bett der siechenden Rifada verbrachte. Belisethas Groll auf die Amazone war verschwunden, ja, sie war dankbar über die Anwesenheit der Frau, die trotz aller Hoffnungslosigkeit nicht verzweifelte, die keine Angst zu kennen schien, dass die schwärenden Wunden auf ihre eigenen Hände übergreifen könnten, mit denen sie Rifada bettete oder mit denen sie ihre kalte Hand hielt.
Belisetha trat ans Fenster und stieß den Laden weit auf, um Sonnenlicht und Luft hereinzulassen, auch wenn der leichte Wind die Fäulnis nicht aus dem Raum vertreiben konnte und selbst das rötliche Licht der tiefstehenden Sonne die düstere Stimmung nicht aufzuhellen vermochte.
"Sie wird sterben", sagte Jelissa Al'Abastra. "Schwester Nogueira hat gesagt, es sei nur eine Frage von Stunden, vielleicht noch Tagen."
Belisetha schluckte und nickte schwach und folgte der Peraine-Geweihten mit den Augen, die unten am Brunnen stand und Wasser schöpfte, ebenso unermüdlich und entschlossen, wie die Amazone es war, auch wenn der jungen Priesterin die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben stand.
Das plötzliche Kläffen eines Hundes lenkte Belisethas Blicke in Richtung Stall. Der große schwarzgraue Hund schon wieder, der die Geduld der Burgbewohner seit Tagen mit seinem Geheule auf die Probe stellte! Man hatte ihn an die Kette gelegt, und dass ihn noch niemand erschlagen hatte, lag wohl nur daran, dass das Stallmädchen das Tier so sehr ins Herz geschlossen hatte. Schon kam die Magd aus dem Stall gelaufen, um den Hund zu beruhigen, doch der bellte und zerrte an seiner Kette, dass es schien, als würde er sich damit erwürgen.
Belisetha folgte dem Blick des Stallmädchens zu einem alten Mann, der durch das Tor den Hof betreten hatte und auf den Stall zuhielt. Nein: auf den Hund, wie es schien, und dieser schien den Alten zu kennen, denn er wedelte freudig mit dem Schwanz und war kaum zu halten.
Der Alte trug staubige Gewänder, die einstmals wohl farbenfroh gewesen sein mochten, und kniete neben dem Hund nieder, der ihm das Gesicht und die Hände abschleckte und ihm die Pfoten auf die Schultern legte. Der Alte lachte und kraulte den Hund hinter den Ohren und am Bauch, als dieser sich auf den Rücken warf, und dann sagte er etwas zu dem Stallmädchen, und die Magd nahm den Hund von der Kette.
Es klopfte an der Tür, und ein Kammerdiener öffnete zaghaft auf Belisethas "Herein!".
"Herrin, eine Nachricht aus dem Vanyadâl", sagte er und hielt Belisetha ein zusammengerolltes Zettelchen hin.
Belisetha entrollte die Brieftaubennachricht und atmete auf, dankte Praios für diese erste gute Nachricht seit Tagen. "Da Vanya ist wieder in unserer Hand", sagte sie zu Jelissa Al'Abastra. "Mein Großneffe Moritatio und seine Base Richeza von Scheffelstein konnten das Castillo zurückerobern. Es geht ihnen gut, schreibt der Junge, den Göttern sei Dank!"
"Immerhin", sagte die Amazone. "Moritatio? Wer hätte das gedacht!"
Belisetha nickte erneut und warf einen Blick aus dem Fenster. Die Erntemeisterin war zu dem Alten und seinem Hund getreten. Der Anblick der jungen Geweihten trübte Belisethas kurze Freude: Die Priesterin weinte! Alveran, hilf! – Wenn schon die Diener der Götter keinen Ausweg mehr wussten, wie schlimm stand es dann um Rifada? War am Ende mehr als ihr Leben in Gefahr? Ihre Seele vielleicht? Belisetha schaute zu ihrer Nichte hinüber und spürte wieder die kalten, harten Finger der Furcht, die sich mit stählernem Griff um ihr stolperndes Herz schlossen. "Miserere eam!", murmelte sie.
Auf dem Hof stand die junge Geweihte vor dem alten Mann wie ein hilfloses Mädchen vor seinem Vater. Der Alte hatte ihr Gesicht in beide Hände genommen und küsste sie auf die Stirn. Belisetha konnte nicht hören, was sie sagten, aber die Geweihte sprach hastig und nickte oft zu den Worten des Mannes, und schließlich nahm er ihre Hand und führte sie auf den Palas zu.
Kurz darauf hörte Belisetha Schritte auf dem Gang und dann das Kläffen und Winseln des Hundes, das Kratzen seiner Pfoten an der Tür, und als diese sich öffnete, verharrte der Hund auf der Schwelle, legte die Ohren an und winselte, die Rute eingeklemmt, praioserbärmlich.
"Mach Platz, Raffzahn!", sagte der Alte und schob das Tier zur Seite.
"Schafft den Hund hier raus!", knurrte Jelissa Al'Abastra ärgerlich, aber das Tier legte sich auf die Schwelle und starrte mit traurigen Augen zu der Amazone hinüber, und die junge Geweihte und der alte Mann traten an das Bett, ohne ihn weiter zu beachten.
Der Alte betrachtete Rifadas bleiches Gesicht und dann schlug er, ungeachtet der Proteste der Amazone, das Betttuch zurück und besah sich den nackten Leib der gefallenen Kriegerin, der über und über mit schwarzvioletten Wunden und bräunlichen Blasen bedeckt war. Dunkel und ölig waren auch die Verbände, die die Geweihte Rifada angelegt hatte, getränkt von Eiter und Blut und dem fauligen schwarzen Wundwasser, das aus den offenen Schnitten und Rissen quoll.
"Sie wird sterben", sagte der Mann, als er das Tuch zurücksinken ließ.
"Erzähl' uns 'was Neues, Alter!", sagte Jelissa Al'Abastra ungehalten.
Der alte Mann warf ihr einen mitleidigen Blick zu.
"Gibt es denn gar nichts, was Ihr tun könnt, Bruder?", fragte die Geweihte verzweifelt.
Der Alte betrachtete Rifada nachdenklich, nahm ihre Hand, legte zwei Finger an ihren Hals, öffnete eines ihrer Augen und besah sich die reglose Pupille. "Wie viel Zeit gibst du ihr, Schwester?"
"Ich ..." Die Erntemeisterin schluckte. "Vielleicht ein paar Stunden. Vielleicht einen Tag oder zwei. Ich weiß es nicht, ich hatte noch nie eine Patientin, die ..."
"Drei Tage", sagte der Mann. "Verschaffe mir drei Tage, in denen du ihr Leben erhältst und ihre Wunden pflegst. Dann werde ich Tsa dieses Kind zurückgeben, auf dass sie es ein zweites Mal segne und weiterhin im Garten Deres wandeln lasse, bis der Gevatter und nicht die dunklen Mächte nach ihm rufen."
"Drei Tage?", fragte die Geweihte unsicher.
Der Alte nahm ihre Hand und lächelte. "Habe Vertrauen", sagte er, "die Götter haben dir ihre Gaben nicht umsonst gegeben."
"Drei Tage", murmelte die Geweihte, als der Alte sich zur Tür wandte.
"Komm Raffzahn", sagte der zu dem Hund und tätschelte ihm den Kopf. "Guter Hund! Hat Tsa dich hergeführt? Na, komm schon, mein Guter, wir werden uns einen schönen Ort suchen für die Nacht, wo wir die Erde spüren und das Gras riechen und den Wind schmecken. Wie klingt das?"
"Wuff!", machte der Hund und folgte dem Alten aus der Kammer, in der die drei Frauen einander anblickten, ratlos, und doch nicht so hoffnungslos wie zuvor.
|