Chronik.Ereignis1033 Feldzug Schrotenstein 11

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In der Baronie Schrotenstein, 4. Rondra 1033 BF

Auf dem Castillo Schrotenstein


4. Rondra 1033 BF, am frühen Vormittag

Autor: SteveT

Gestützt auf ihre Zofe Yusufina ließ sich Belisetha da Vanya in den kleinen Rittersaal der siebentürmigen schwarzen Festung hinunterführen, wobei ihr das Laufen heute noch schwerer fiel als sonst - Himmel, was war sie geschwächt! Obwohl sie gehofft hatte, dass die gräfliche Entourage von ihrer Unpässlichkeit und von dem Eintreffen der Briesacher Fischer mit ihrem sonderbaren Fund nichts mitbekommen hatten, begegnete sie auf der steilen Treppe nach unten ausgerechnet Rondrigo vom Eisenwalde, dem gräflichen Castellan, der ihr - ganz Kavalier der alten Schule - nach einem einzigen Blick sofort stützend zur Seite eilte und sich bei ihr unterhakte.

"Ach, mein lieber Dom Rondrigo! So schnell sehen wir uns also wieder! Es freut mich von Herzen, das Eurer Suche Erfolg beschieden war und dass Ihr das arme Mädchen wiedergefunden habt. Eurem Herrn und seiner Gemahlin werden Steine vom Herzen fallen! Leider trefft Ihr mich, wie Ihr seht, nicht in bester Verfassung an, was in unserem Alter - in meinem noch viel mehr als in dem Euren - beileibe nichts Ungewöhnliches ist."

Sie zog Griphonis Solaris, das Amulett, das ihr Yusufina aus den Händen der Fischer überbracht hatte, aus den Falten ihres übergeworfenen Morgenmantels hervor und hielt es während des Humpelns so, dass er einen Blick darauf werfen konnte.

"Kennt Ihr noch dieses Amulett? Ihr wart noch ein junger Caballero in Diensten unserer Feinde, der Harmamunds, als Ihr es das letzte Mal gesehen haben dürftet. Es wurde damals von meiner Schwester Leonida getragen, und heute ist es unter sehr sonderbaren Umständen zu mir zurückgekehrt. Ich werde gleich eine präfinale Frau in Augenschein nehmen, bei der man es fand, und die Geweihte von Briesach, die ihr vergeblich zu helfen versuchte, vermutet, dass es sich bei ihren Wunden um die schrecklichen Male eines Dämons handelt." Rondrigo vom Eisenwalde war bei diesen Worten stehen geblieben und starrte sie entsetzt an.

"In Anbetracht des Ortes, an dem wir uns befinden und in Anbetracht der Vita des vormaligen Besitzers dieses Castillos, wäre es mir bedeutend wohler, wenn Ihr mich mit Eurer unerschrockenen Klinge dort hinein begleiten könntet, alter Weggefährte!", blickte Belisetha Dom Rondrigo nun mit ihren noch immer wie Obsidian glänzenden schwarzen Augen an. "Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ich fürchte nicht nur, dass nach wie vor ein Dämon von Rakolus dem Schwarzen hier in Schrotenstein sein Unwesen treibt. Ich fürchte fast noch mehr, dass die Frau, die mit dem Dämon kämpfte, niemand anders als die Erbfolgerin unserer Familia ist."


Autor: von Scheffelstein

Aureolus blinzelte, starrte auf die Stufen der hölzernen Stiege hoch über ihm und wusste erst nicht, wo er sich befand. Dann fiel ihm alles wieder ein. Die Dunkle Pforte! Der Dämon! Er war nun irgendwo auf dem Castillo Schrotenstein.

Er musste eingeschlafen sein. Er fühlte sich immer noch müde und ausgelaugt, aber er rappelte sich auf und sah sich erstmals in dem Raum um, in dem er sich befand. Neben der Tür, die er sorgfältig verschlossen hatte, gab es eine Falltür im Boden und eine Treppe nach oben. In der Mitte des Raumes standen ein Sessel und ein Stehpult, an den Wänden reihten sich Regale mit Büchern und Schriftrollen. Ob er hier die gesuchte Thesis finden würde?

Doch bevor er sich ins Studium der Bücher vertiefte, musste er sicherstellen, dass ihn keiner der Burgbewohner plötzlich überraschte. Aureolus nahm seinen Stab auf und stieg langsam die Treppe empor. Sein Bein schmerzte. Die ausgetretenen Stufen knarrten leise unter seinen Füßen.

Durch eine niedrige Tür gelangte der junge Zauberer in die Schlafstube seines Vaters. Auf dem Himmelbett in der Mitte des Raumes lagen Decken und Kissen, gerade so, als wäre Rakolus der Schwarze erst wenige Tage fort. Aureolus strich mit der Hand über den Bettpfosten und fragte sich, ob diese Burg dereinst ihm gehören, ob er jemals Herrscher über Schrotenstein, Bosquirien gar, sein würde. Unwillkürlich musste er an Romina denken. Ob sie noch auf dem Castillo seiner Mutter war? Oder bereits zu Hause in Ragath? Ob sie noch an ihn dachte?

Wir können nicht zusammen sein! Er lehnte die Stirn an den Bettpfosten und seufzte schwer. "Doch", flüsterte er, "warte nur ab! Eines Tages wirst du dich nach mir sehnen, wirst du dir wünschen, meine Hand genommen zu haben."

Er trat an den Kleiderschrank und besah sich die Roben seines Vaters. Samt und Seide, Bausch und Leinen in Schwarz und Grün und Blau, die meisten aufwändig bestickt mit arkanen Symbolen. Aureolus streifte seine Kleider ab und legte ein nachtblaues Seidengewand mit Silberstickereien an. Es war ein wenig lang, aber die Seide war angenehm kühl auf der Haut, und Aureolus gefiel die Vorstellung, seinem Vater nun noch ähnlicher zu sein.

Er stieg die Treppe weiter hinauf und erreichte eine Wohnstube: Samtbezogene Sessel vor einem Kamin, ein Schrank neben einer Abort-Nische, ein Tischchen mit einem aufgeschlagenen Oktav, ein mit einem Tuch verhangener Spiegel. Im Schrank befanden sich einige verkorkte Weinkrüge, ein paar Schälchen mit Nüssen, Salz und Kandis, Silbergeschirr, ein Holzkasten mit Pinseln und Farben, ein paar Kerzen in einem Leuchter und eine Zunderdose.

Aureolus hatte Hunger und Durst, und so holte er einen Weinkrug und die Nüsse aus dem Schrank, goss sich einen Becher ein und machte es sich in einem der Sessel bequem. Er legte die Stiefel auf den Tisch und ließ den Becher lässig in einer Hand kreisen.

"Ich bin der Herrr von Schrotenstein", sagte er selbstgefällig. "Will irgendwer etwas anderes behaupten?" Niemand erhob Einspruch. Aureolus grinste zufrieden, nahm das Buch vom Tisch und begann darin zu blättern. Es war in Bosparano verfasst worden und enthielt allerhand Zeichnungen von Menschen, die zweigesichtige Masken trugen, von einem düsteren Turm, dessen Mauerwerk eine scheußliche Fratze zeigte, von Sternbildern und den Sphärenkugeln. Göttersymbole und Zhayad-Glyphen der Erzdämonen fanden sich auf beinahe jeder Seite. Aureolus schlug das Buch zu. Aequilibritas stand in goldenen Lettern auf dem roten Ledereinband. Der Oktav schien alt zu sein, die Seiten waren vergilbt, das Leder brüchig. Die gesuchte Formel der Zeit würde er darin vermutlich dennoch nicht finden.

Aureolus steckte sich ein paar Nüsse in den Mund und angelte mit seinem Zauberstab nach dem Tuch über dem Spiegel. Zu seinem Erstaunen erblickte er nicht sich selbst im Sessel, sondern einen gänzlich anderen Raum darin – einen Saal. Ein Gemälde? Nein, die Menschen in dem Bild bewegten sich!

Auf einem mit Edelsteinen und Silberornamenten verzierten Thron unter einem blauen Baldachin saß ein junger, blonder Mann in einem schwarzen Brokatwams. Sein bleiches Gesicht mit den tiefen Augenringen lag im Schatten der Krone, die wie eine drückende Last auf seinem leicht gebeugten Kopf saß. Der Mann starrte mit verkniffenem Gesicht auf vier Männer in den Wickelgewändern der Wüstenbewohner, die Aureolus nur von hinten sehen konnte, doch die mit ausschweifender Gestik auf den Gekrönten einredeten.

Hinter dem Thron stand ein anderer Mann in geckenhaft vornehmem Seidenwams, dessen schwarze, anscheinend mit der Brennschere verstärkte Locken bis auf seine Schultern herabfielen. Er hatte ein sorgsam gepudertes Gesicht mit dünnem Schnurr- und Kinnbart und weiche Finger mit gepflegten Nägeln. Überhaupt sah er aus wie jemand, der mehr Zeit mit Sitzen und Essen und Reden verbrachte, als mit Leibesertüchtigungen. Er neigte sich zu dem Mann auf dem Thron hinunter und sprach auf ihn ein. Was er sagte, konnte Aureolus nicht hören, die Lippen bewegten sich lautlos.

War dies ein historisches Bild? Oder zeigte es gar den Kaiser? Aureolus war ihm nie begegnet, überhaupt waren ihm die meisten Magnaten Almadas unbekannt. Und falls dies der Kaiser war: Blickte Aureolus direkt in den Thronsaal, just in diesem Augenblick in die Eslamidenresidenz? Oder war dies nur ein bewegtes Bild, das eine bestimmte Szene zeigte?

Der Kaiser – wenn es dieser war – hob die Augen an die Decke des Saales – eine prächtige Kuppel, an der Bilder von Adlern, Greifen, Vögeln und einem gewaltigen Riesenlindwurm zu sehen waren. Schließlich wedelte er seinen Berater mit unwirscher Handbewegung beiseite, sagte etwas zu den vier Novadis, stieg die Stufen vom Thron herab und verschwand seitlich aus dem Bild.

Aureolus stand auf und hängte das Tuch wieder über den Spiegel. Falls dieser Spiegel ihm wirklich Einblick in den Königssaal zu Punin gewährte – wie konnte er dieses Wissen nutzen?

'Erst einmal musst du deine Schuld bei Mordaza begleichen!', dachte er bitter.

In einer Wandnische führte eine Treppe weiter nach oben. Er musste in einem Turm sein! Von oben drohte ihm wahrscheinlich keine Gefahr, dennoch wollte er sichergehen, dass es hier keine weiteren Zugänge gab.

Er betrat eine hölzerne Plattform. Trotz des hohen Dachstuhls über ihm war es windig, denn in jeder Wand gab es mehrere Schießscharten. Vor einem der Fenster stand ein Teleskop auf einem Dreibein. Aureolus trat an eine andere Schießscharte und blickte hinaus. Auf einem kleineren Turm wehten das Greifenbanner der da Vanyas und das Wappen der Baronie: Ein weißer Schröter über weißem Berg auf grünem Grund. Unter ihm lag der Burghof. Eine ärmlich gekleidete Frau schleppte zwei Wassereimer, ein Mann striegelte eines der Pferde, die vor einem Seitengebäude standen. Ein weiteres Wappen erregte Aureolus Aufmerksamkeit, eine Standarte, die am Eingang des Stalles lehnte: Das Wappen der Grafschaft - ein Geviert von Gold und Purpur mit purpurnen Reben in den goldenen Feldern.

"Romina!", hauchte er. War sie hier? Auf Schrotenstein? Oder waren es weitere Soldaten des Grafen? Nein, sagte sein wild klopfendes Herz, nein, sie war es selbst, sie war hier, er wusste es, spürte es! Konnte das Zufall sein?

Vergessen war aller Stolz, vergessen war alle Vorsicht! Aureolus hastete Treppe um Treppe hinunter. Er musste einen Weg finden, sie zu sehen. Nur einen Augenblick lang, aber er musste Gewissheit haben!

Erst als er die Bibliothek seines Vaters erreicht hatte, mahnte er sich zur Besonnenheit. Er durfte keinen Schergen der da Vanyas in die Arme laufen! Leise entriegelte Aureolus die Falltür und spähte hinab in den darunterliegenden Raum. Offenbar ein Vorratsraum, denn überall türmten sich Säcke, Fässer und Kisten. Aureolus kletterte die breite Stiege hinab und sah sich um. Es gab eine weitere Falltür im Boden und dahinter eine Tür in der Wand. Er entriegelte sie, zog und schob, aber sie ließ sich nicht bewegen. Er besah sich die Scharniere: Sie ging nach außen auf. Noch einmal drückte er gegen das Holz, aber nichts geschah. Ob sie abgeschlossen war? Aureolus sah durch das Schlüsselloch, aber dahinter war es dunkel. Er nahm seine Gewandnadel, steckte sie durch das Schlüsselloch – und stieß bald auf Widerstand. Er versuchte es noch einmal, noch einmal – vergebens! Als er die Nadel zurückzog, rieselte weißer Staub aus dem Loch. Steinstaub! Konnte das sein? Man hatte die Tür zugemauert! Von außen!

Eine schreckliche Ahnung überkam Aureolus. Er zog die Falltür nach unten auf und blickte in lichtlose Schwärze. Da unten gab es bestimmt auch keinen Ausgang. Oder doch? Er musste nachsehen. Sie konnten ihn hier nicht einsperren! Wie sollte er je hier herauskommen? Wenn er zurück durch die dunkle Pforte ginge, wäre der Dämon bestimmt noch da. Und wenn er wartete, bis er wieder bei Kräften war und sich mittels eines Transversalis fort teleportierte, wer sagte dann, dass nicht der Dämon, wenn er so nah war, ihn auch während der wenigen Augenblicke im Limbus überraschte?

"Ich will sie sehen", flüsterte Aureolus zornig. "Ich will sie sehen!" Sie konnten ihm nicht verwehren, nach Romina zu suchen, nachzusehen, ob sie hier war, so nah. Das konnten sie nicht, das durften sie nicht!

Wütend knirschte er mit den Zähnen, ließ die Flamme am Ende seines Stabes entspringen und stieg hinab in die Dunkelheit.


Autor: von Scheffelstein

Düster starrte Romina auf ihren Teller. Die Hausherrin hatte sich entschuldigen lassen, doch die Stimmung an der herrschaftlich gedeckten Tafel war gut. Belisetha da Vanya hatte sich nicht lumpen lassen und man hatte ihren Gästen ein reichhaltiges Frühmahl serviert: Es gab feines Weißbrot und dunkles Roggenbrot, dreierlei Pasteten von Fleisch und Gemüse, zarten Schmelzkäse, Rauchschinken, Honig und Wachteleier, geminztes Quellwasser, Buttermilch und Wein aus dem Yaquirtal.

Alles, was das Herz begehren konnte. Doch Rominas Herz war schwer. Ihre Gedanken waren bei ihrem Onkel. Wo mochte er jetzt sein? Die kleine Zaida versuchte, sie aufzuheitern. Vergeblich. Und so wandte das Mädchen sich dem Knaben Praiodor zu, der sichtlich beeindruckt war von der gräflichen Kriegerschar und von Zaidas abenteuerlichen Geschichten. Nun, da Onkel Gendahar fort war, war es an ihr, Romina, den Knaben in Sicherheit zu bringen.

Ihr Blick fiel auf Golshan, die man am unteren Ende der Tafel neben die gräflichen Knechte und Mägde gesetzt hatte, die den Tross begleiteten. Die Männer und Frauen spotteten über die Wilde, und einige empörten sich über deren nicht vorhandene Manieren. Die Ferkinafrau verschmähte die meisten der Speisen, aß nur Eier und Fleischpastete, schmatzte vernehmlich und wischte sich den Buttermilchbart mit dem Handrücken ab. Irgendwann stand sie einfach auf und verließ den Speisesaal.

Eher widerwillig lauschte Romina den Scherzen der Soldaten. Rondrigo vom Eisenwalde war schon vor einiger Zeit vor die Tür getreten, aber Ardan von Kündoch versuchte nun, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Doch die Plauderei blieb ihr erspart: Golshan kehrte in den Saal zurück und kam geradewegs auf sie zu gelaufen. Einige der Soldaten erhoben sich alarmiert, als die Frau sie am Handgelenk packte und in ihrer rauen Zunge aufgeregt auf sie einsprach. "Achmad'sunni" war das Einzige, was Romina aus dem unverständlichen Wortschwall heraushören konnte. Schließlich gab sie dem Drängen der Ferkina nach und ließ sich von ihr unter den starren Blicken der Gräflichen zur Türe ziehen.

Golshan führte sie geradewegs auf den Burghof hinaus und auf einen der Wehrgänge neben dem oberen Tor. Die Schrotensteiner Soldaten betrachteten die ungleichen Frauen neugierig, verneigten sich jedoch demutsvoll vor der Comtessa und machten ihnen bereitwillig Platz, als sie an die Brüstung traten.

"Achmad'sunni!", rief Golshan mit strahlenden Augen und wies über die Mauern der Burg hinweg nach Osten.

Und wahrlich, da ritten Bewaffnete auf der Straße zur Burg herauf. Romina erkannte die Farben der da Vanyas und andere, die ihr unbekannt waren: Ein schwarzes Banner, darin einen goldenen Turm auf silbernem Berg und dann eine weitere Fahne, ein Geviert aus schwarz und grün: Die Fahne bedeckte einen Körper, der auf einer Bahre lag, die von einem Pferd gezogen wurde. Angeführt wurde der Tross von zwei Frauen in den goldenen Rüstungen der Amazonen. Es waren die beiden, denen sie vor wenigen Tagen vor der Höhle in den Bergen begegnet waren. Die Tochter Domna Rifadas und eine Verbündete.

"Achmad'sunni!", rief Golshan erneut und zupfte Romina am Ärmel, begeistert wie ein kleines Kind. Ihr ganzes Gesicht leuchtete, ihre Augen glänzten, doch Romina konnte die Freude der Frau nicht teilen.

Die, die dort nahten, sahen nicht gut aus: Der alte Ritter unter dem schwarzen Banner konnte sich kaum auf dem Rücken seines Rosses halten, und einige weitere Männer und Frauen schienen verwundet. Die junge da Vanya, die mit bleichem Gesicht voranritt, schwankte im Sattel. Sie hatte die Zähne zusammengebissen und war sichtlich um Haltung bemüht, doch die Linke hatte sie fest um ihren Bauch gepresst. Unter dem Streifenschurz rann Blut an ihren Beinen herab und hinterließ eine Spur auf der staubigen Straße, die selbst von hier oben zu erkennen war.


Autor: von Scheffelstein

Die Flamme seines Zauberstabes tanzte über Steintische und rußgeschwärzte Regale an den Wänden. Über einer längst erkalteten Feuerstelle hing ein gusseiserner Kessel. Auf dem Boden zeichneten sich die silbrigen Linien eines mit Mondsilber ausgelegten Pentagramms ab. Aureolus hielt den Stab höher; das Licht fiel auf verstaubte Flaschen, Krüge und Totenschädel auf den Regalen, auf vertrocknete Kräuter, die von der Decke hingen und – auf Uhren: Sanduhren, Standuhren, Taschenuhren, Sonnenuhren, Astrolabien. Kein Rieseln von Sand, kein Ticken, kein Schlagen: Die Zeit stand still.

Aureolus klappte eine goldene Taschenuhr auf und blickte in sein eigenes Spiegelbild im Deckel. Rings um das filigrane Uhrwerk zog sich eine bosparanische Inschrift, die der junge Zauberer nur mit Mühe entziffern konnte: Nur wer die Zeit beherrscht, herrscht! stand dort in zarten Lettern.

Er steckte die Uhr ein und wandte sich dem großen Steintisch zu, auf dem allerlei alchemistische Apparaturen standen. Ob er hier unten Zaubertränke finden würde oder wenigstens eine Rezeptur, wie sie herzustellen waren? Seine Kräfte waren erschöpft, und er würde eine Menge astraler Macht benötigen, wenn er von hier entkommen wollte – denn einen Ausgang gab es anscheinend auch hier unten nicht – und wenn er zu Mordaza Maraneta zurückkehren musste.

Aureolus' Blick fiel auf ein in grünes Leder gebundenes Buch, dessen Einband mit Mondsilber-Intarsien verziert war – Ornamenten, Drachen und einem Schädel in der Mitte. Aureolus streckte die Hand aus und strich über den verstaubten Einband. Das Metall fühlte sich kühl an, doch als er den Schädel berührte, wurde es wärmer und wärmer, und das Metall zerfloss unter seinen Fingern, bis der Schädel ein silbernes Gesicht zeigte – das Gesicht Rakolus' des Schwarzen.

Aureolus starrte das Bildnis an, unfähig, sich zu rühren. Das Silbergesicht bewegte sich, und Aureolus war, als spüre er Muskeln und Kiefer, die toten Augen richteten sich auf ihn, und das Bild sprach:

"Du bist groß geworden, mein Sohn, und die erste Prüfung hast du gemeistert. Doch ehe du bereit sein wirst, mein Erbe anzutreten, musst du noch viel lernen ..."

"Vater, ich ...", begann Aureolus, doch das Bildnis sprach ungerührt weiter, und so verstummte er.

"Lerne, meine Aufzeichnungen zu lesen. Lerne sorgfältig! Ich werde dir all mein Wissen offenbaren, nach und nach. Wenn du bereit bist, wirst du das Geheimnis deiner Existenz erkennen: Ich habe dir meinen Namen vermacht. Erkenne und nutze ihn, und du wirst auf meine Kraft zurückgreifen können. Ich werde in dir weiterleben, und du wirst mein Werk fortsetzen: Du wirst das Gleichgewicht zwischen den Sphären herstellen! Du wirst die Zeit meistern! Sei der Sohn, den ich erschaffen habe! Enttäusche mich nicht, Aureolus!"

Die Stimme verstummte. Das Metall verformte sich unter Aureolus' Händen, bis ihn erneut ein kalter, regloser Totenschädel aus Mondsilber anglotzte. Aureolus zog die Hand zurück.

"Vater!"

Nichts. Nur die tanzenden Schatten, die seine magische Fackel an die Wände warf.

"Vater! Antwortet mir!", schrie er.

Stille. Als wäre alles nur ein Traum gewesen. Einbildung. Aureolus fröstelte. Eine feine Gänsehaut bildete sich auf seinen Armen. Die Haare in seinem Nacken stellten sich auf.

"Vater!", flüsterte er. "Sprecht mit mir!"

Ein ungeheuerliches Gefühl des Verlusts machte sich in dem jungen Zauberer breit. Wie sehr hatte er sich gewünscht, seinen Vater wiederzusehen, all die Monate und Jahre. Hatte Rakolus der Schwarze ihm diese letzte Botschaft hinterlassen? Aber die Worte waren so kalt, so ohne jedes Mitgefühl gewesen! Enttäusche mich nicht, Aureolus!

Er schlug das Buch auf, blätterte durch die Seiten. Es war in der verschnörkelten Schrift der Elfen geschrieben, Isdira, an manchen Stellen sogar in den alten Asdharia-Zeichen. Isdira beherrschte er kaum, Asdharia gar nicht. Ab und an fanden sich Bilder: Zeichnungen von Sternbildern, Pflanzen, alchemistische Formeln, Wesenheiten, die Aureolus nicht kannte.

Enttäuscht klappte er das Buch zu. Das Vermächtnis seines Vaters – an ihn! Und er konnte es nicht lesen!

Aureolus legte abermals seine Hand auf den Mondsilberschädel. "Vater", flüsterte er, "sprecht zu mir!" Aber das Bild blieb stumm.


Autor: Romina Alba

Romina fluchte leise und versuchte sich zu erinnern, woher die zwei Amazonen gerade kamen. Sie hatte Domna Rifada nie vertraut und sich von ihr entfernt gehalten, nicht nur, aber auch wegen den bösen Blicken, die das Mannweib ihrer Golshan zuwarf. Daher hatte sie nicht erfahren, wohin diese ihre Tochter und deren Begleitung geschickt hatte. Damals war es ihr auch herzlich egal gewesen. Jetzt war es nicht egal, außerdem galt es zu helfen.

Sie drehte sich um und stand vor Leutnant Ardan, der hinter ihr über die Mauer geblickt hatte. Sie blickte irritiert zu ihm auf, natürlich würde er sich zu ihrem Schatten entwickeln, das war typisch für die Tobrier. Sie rollte kurz mit den Augen und lächelte gequält.

"Leutnant, gut, dass Ihr da seid, sorgt bitte dafür, dass diese Leute in die Burg geholt werden und die Magierin in Eurem Gefolge sich um sie kümmert." Ohne Probleme fand sie unter dem forschend besorgten Blick seiner dunklen Augen zu alter Form zurück. Sie war eine Grafentochter und von Klein auf gewohnt, Anweisungen zu geben. Daran würde kein Mann und erst recht kein Ferkina etwas ändern.

Von Kündoch sah kurz zu dem kleinen Trupp auf der Zugangsstraße. Dafür sorgen, dass den Leuten da vor der Burg geholfen wurde... Dies ließ sich sicher auch bewerkstelligen, ohne dass er dazu von der Seite seiner Schutzbefohlenen weichen musste. Nach wie vor hatte er ob deren Erlebnisse ein ungutes Gefühl, wenn er sie für längere Zeit aus den Augen lassen sollte.

"Natürlich, Comtessa Romina. Ich werde sofort wieder zurück sein." Mit einem kaum merklichen Nicken befahl er zwei seiner Begleiter heran, die in seiner Abwesenheit über die Tochter von Graf Brandil wachen würden.

Militärisch korrekt wandte er sich ab und hielt mit schnellen Schritten auf die Maga zu, die zusammen mit einigen anderen Schaulustigen an der Mauer stand. Es bedurfte nur weniger gewechselter Worte, und das Gesicht der Frau wurde von Besorgnis überschattet. Gemeinsam mit der Hälfte seiner Mannen machte sie sich auf den Weg, den Verletzten perainegefällig beizustehen.

Noch während die Hilfe auf dem Weg vor die Tore der Burg war, stand er bereits wieder wie ein Schatten hinter Domna Romina und besah sich wachsam, was dort unten auf der Straße geschah.

Die Gräflichen kamen zusammen mit einigen Mannen der Burgherrin bei den Verletzten an. Die Maga wandte sich an die erste Reiterin und neigte höflich ihr Haupt.

"Rondra und Hesinde zum Gruß. Ich bin Erisdora von Kündoch-Breitenbach, meine Herrin, die Comtessa von Ehrenstein und Streitzig schickt mich, Euch und den Euren zu helfen. Wenn es notwendig ist, kann ich es gleich tun." Der Blick der älteren Frau glitt über die Verletzung und schätzte den Zustand der Kriegerin ein. Einige der Gardisten waren schon abgestiegen, um notfalls zuzulangen, sollte jemand aus dem Sattel fallen.


Autor: SteveT

Gujadanya zog eine Augenbraue in die Höhe und wechselte einen kurzen Seitenblick mit Jelissa. Wo kam diese Zauberin her und was hatte sie auf der Burg ihrer Großtante verloren? Hatte die Tochter des Tobriers dort in ihrer eigenen kurzen Abwesenheit etwa das Kommando übernommen? Auch wenn sie selbst blass war wie Marbo, deutete die junge Da Vanya schließlich doch auf das Pferd hinter sich. "Der greise Caballero dort ist Dom Giromo von Wetterwacht, ein tapferer Streiter dieses Landes. Ihn hat es übel erwischt, seinen einen jungen Escudero nicht minder schlimm. Wenn Ihr Euch auf die Heilzauberei versteht, dann rettet diese beiden!"

Damit trabte sie weiter in den Burghof hinein und warf dabei der gaffenden Menschenmenge, die sich oben auf der schwarzen Wehrmauer Schrotensteins über die Brüstung beugte, einen finsteren Blick zu. Wer waren all diese Leute und was hatten sie hier verloren? Von zwei oder drei Bediensteten ihrer Großtante und dem von ihrer Mutter gefundenen blonden Grafentöchterlein einmal abgesehen, kannte sie keinen einzigen der Gaffer dort oben.

Im Inneren des Burghofes angekommen, wollte Gujadanya schneidig wie immer aus dem Sattel gleiten. Doch ihre Knie versagten ihr den gewohnten Dienst und gaben nach, als bestünden sie aus geschmolzener Butter. Jelissa sprang ebenfalls sofort vom Pferd und schlug ihren weiß-roten Amazonenumhang als Blickschutz über ihre einstige Schülerin.

"Komm hoch! Stütz' dich auf mich! Ich trage dich halb, wenn es sein muss!", zischte sie Al'Cumrat ins Ohr. "Aber nimm dich zusammen und komm hoch! Eine Achmad'sunni kriecht nicht im Staub wie ein ausgezählter Jahrmarktsboxer!"

Gujadanya senkte schamhaft den Blick unter der Zurechtweisung und zog sich mit zusammengebissenen Zähnen an Jelissa hoch. Sie hoffte bloß, dass ihre Mutter nichts davon erfuhr. Weder von dem wenig glorreichen Gefecht gegen die Selaquer, noch von der Schwäche, die sie gezeigt hatte.

Humpelnd erreichten die beiden Amazonen, die jüngere auf die ältere gestützt, den Palas. "Hol mir Yusufina!", herrschte Gujadanya den erstbesten Lakaien an. Die schwatzhafte Zofe ihrer Großtante verband auch immer Belisethas Geschwüre und geschwollenen Beine. Sie würde keinen Ekel empfinden, auch ihre Wunden zu verbinden.

"Wo finde ich deine Herrin?", frug Jelissa Al'Abastraba Yusufina, während sie in Gujadanyas Zimmer auf und ab ging und zusah, wie die Zofe die Wunden ihrer Schwerschwester sauber wusch und verband. Es sah nicht gut aus. Die Harmamund-Tochter hatte Gujadanya einen tiefen Einstich eine Handbreit neben dem Bauchnabel zugefügt. "Sie ist mit dem Castellan des Grafen ... äh, ich meine natürlich mit dem Castellan des falschen Grafen in den kleinen Rittersaal gegangen, um sich dort eine Verwundete anzusehen, die Fischer aus Briesach aus dem See gezogen haben", berichtete Yusufina mit verkniffenem Gesichtsausdruck.

"Dann kann ich sie also stören", stellte Jelissa fest. "Sie muss wissen, was geschehen ist, Gujadanya! Auch wenn es für unsere Seite nicht sonderlich rühmlich ist. Aber immerhin ist sie die Verweserin dieses Landes für ihren Sohn. Vielleicht - oder sogar wahrscheinlich! - sind die Selaquer ebenfalls auf dem Weg hierher und werden das Castillo oder den Ort über kurz oder lang angreifen. Diese Fischer sollen ihren Beifang ein anderes Mal präsentieren - jetzt geht es um Wichtigeres!"

"Oje! Die arme Herrin!", schluchzte Yusufina mit einem Male los, und eine dicke Träne kullerte ihr die rechte Wange herab. "Der Burgsaß Wolpert munkelte, die Verletzte, die die Fischer angeschleppt haben, würde haargenau aussehen wie Domna Rifada! Und jetzt auch noch deren Tochter so schwer verletzt und der Bruder der Herrin ist auch verschollen! Der Kummer wird Domna Belisetha ihr altes Herz brechen!"

"Was?" - "Was?" riefen Jelissa und Gujadanya unisono. "Rifada?" - "Meine Mutter?" - "Verletzt?" - "Verletzt?"

Gujadanya wollte splitternackt und blutig wie sie war wieder vom Lager aufspringen. Aber Jelissa und Yusufina drückten sie mit gemeinsamer Kraftanstrengung in die Kissen zurück.

"Du bleibst liegen, Schwertschwester! Das ist ein Befehl, über dessen Nichtbeachtung ich notfalls die Königin in Kenntnis setzen werde!", drohte Jelissa ihrer einstigen Schülerin mit erhobenem Zeigefinger, während sie rückwärts zur Tür ging. "Du wachst hier bei ihr, bis ich wieder zurück bin!", instruierte sie dann Yusufina, ehe sie auf den dunklen Gang hinaus trat und sich im sporenklirrenden Laufschritt auf die Suche nach dem kleinen Rittersaal der Burg machte.


Autor: Romina Alba

Wärend die Magierin tat, was Gujadanya ihr aufgetragen hatte, sah Romina einfach nur zu. Natürlich war die junge da Vanya abweisend und unfreundlich gewesen. Was hatte sie erwartet? Sie schnaufte, dass da-Vanya-Gezücht konnte ihr gestohlen bleiben! Sie ging schnell die Stiege hinunter zum Burghof und nahm Golshan mit. Die Wilde war ihr allemal lieber als diese genauso wilden Magnaten, die nicht wussten, wer Freund und wer Feind war.

Sie dachte kurz an Richeza und ihren Onkel, der nicht zurückgeritten wäre, hätte sie die Scheffelsteinerin einfach bei den Ferkinas gelassen. Golshan hätte sie nicht mitgenommen. Zu Recht. Richeza war auch eine da Vanya und diese Sippe hatte die Undankbarkeit im Blut. Im Burghof angekommen ging die Grafentochter zu dem alten Caballero, der gerade reingebracht wurde. Sie versuchte ein Lächeln.

"Rondra mit Euch, Dom, ich bin Romina von Ehrenstein und Streitzig. So sagt mir, wer hat Euch das angetan?"


Autor: SteveT

Der Blick des alten Mannes war glasig und in die Wolken gerichtet. Er zeigte keinerlei Reaktion, als die Grafentochter ihn ansprach. Statt seiner antwortete ein junger Mann, der im selben Wappenrock wie er gekleidet war. Er starrte Romina-Alba mit bewundernd großen Augen an, als wäre ihm in finsterster Stunde ein Alveraniar erschienen in diesen dunklen Mauern . "Sein Name ist Giromo Glaciano Aldewein von Wetterwacht, Caballero von und zu Wetterwacht, edle Domnatella!", erklärte Alessio so feierlich, als spräche er von einem Heiligen. "Er war ... äh, nein, nein Boron bewahre ... er ist mein Knappenherr! Meiner und der meines Cumpadres Padro, der ebenso halb erstochen danieder liegt, wie unser armer Herr."

Er wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht, weil er vor einer der schönsten Maiden, die er bislang gesehen hatte, nicht wie ein heulender, blutverschmierter Dreckspatz dastehen wollte. Aber wahrscheinlich war es ohnehin einerlei, wie er aussah - wenn das die Tochter des Grafen war, würde sie einem gemeinen Escudero wie ihm kaum große Beachtung schenken. Deshalb redete er schnell weiter, bevor sie sich einem anderen zuwandte:

"Die Selaquer waren das, diese elenden Hundesöhne! Hängen sollte man sie alle, mitsamt ihrer Herrin! Sind einfach über unsere Grenze gekommen, offenbar um uns anzugreifen, obwohl doch eigentlich umgekehrt wir nach Selaque ziehen wollten, um das besetzte Castillo der alten Domna da Vanya zu befreien, die ... äh ... na ja ... so etwas wie die Minnedame meines Herrn ist. Auch wenn sich so etwas in deren Alter für junge Leute wie uns etwas seltsam anhört." Er zuckte mit den Schultern.

"Jedenfalls sind wir nicht weit gekommen. Nur etwas bis hinter Carano und die Grenze. Dort haben sie uns mit doppelter oder dreifacher Übermacht aufgelauert, heimtückisch versteckt in einem Wäldchen. Ein geckenhafter Lump mit einem Heiligen auf dem Wappenschild hat meinen Herrn und Padro niedergestochen ... San Owilmar oder dergleichen war wohl sein Schurkenname. Die junge Herrin, also die Domna da Vanya meine ich, wurde von einer Frau namens Harmamund verwundet. Soweit ich es gesehen habe, hat diese ebenfalls etwas abbekommen. Bestimmt sind die Selaquer Ratten gerade unterwegs hierher! Aber keine Angst, Domnatella Romina! Ich werde Euch und die Burg mit meinem Leben verteidigen, so wahr ich hier stehe!"


Autor: Romina Alba

Das Mannweib hatte einen Verehrer! Romina sah den jungen Knappen einige Augenblicke verdutzt an, bevor diese Erkenntnis sich genügend gesetzt hatte, um einigermaßen verdaut zu werden. Erst dann schafften es die letzten Worte des Knappen in das Bewusstsein der Comtessa. Sie lächelt warm.

"Habt Dank für Euren Bericht und auch für Euren Schutz, Dom Alessio. Ich bin sicher, dass die Schuldigen spätestens nach des Kaisers Hochzeit schwer bestraft werden. Bis dahin sollten Ihr und Eure Getreuen sowie Euer Knappenherr hier in der Burg bleiben und von jeglicher eigenen Rache absehen." Sie sah dem jungen Mann offen in die Augen. "Bestimmt wollt Ihr bei Eurem Herrn bleiben, ich werde für Wasser und Nahrung sorgen."

Sie wandte sich ab. Eine Harmamund war beteiligt gewesen, das konnte kaum Morena sein, ihr Onkel war in einer anderen Richtung unterwegs. Sie brauchte eine Karte, bestimmt gab es sowas hier. Sie schaute nochmal zurück zu Alessio, der ihr mit glänzenden Augen nachschaute. Sie musste etwas tun, verdammt, die halbe Grafschaft schien verrückt zu werden.

Auf den Weg zurück in den Bergfried hielt sie eine Magd auf und schickte sie Wasser und Nahrung für die Verletzten holen. Carano hieß das Dorf, von dem Alessio erzählt hatte. Sie musste sich das aufschreiben. In ihrem Zimmer hatte es Schreibzeug.

"Dom Ardan, wo liegt dieses Dorf Carano? Noch im Land meines Vaters oder schon in Selaque?" Er könnte auch was tun, außer hinter ihr her zu rennen! Und wo war nur Dom Rondrigo? "Und sucht mir den Castellan, Leutnant, die Grafschaft wird angegriffen!" Sie verschwand in ihrem Zimmer und schloss die Tür vor des Leutnants Nase.


Autor: Der Sinnreiche Junker

Wenig später klopfte es dreimal respektvoll an der Türe der Comtessa. Der leicht metallische Unterton der drei Klopfer verriet ihr bereits, dass Rondrigo vom Eisenwalde, ihres gräflichen Vaters Castellan, vor ihrem Zimmer stand, wie eh und je bis zu den Fingerspitzen in Eisen gerüstet. Gewiss hatte auch er sich von den jüngsten Entwicklungen unterrichten lassen, so wie es sich für den ranghöchsten Vertreter Graf Brandils hier vor Ort gehörte.

„Ihr habt nach mir rufen lassen?“, hob der alte Kämpe fragend die buschigen Augenbrauen.


Autor: Romina Alba

Als es klopfte, sprang Romina flugs vom Bett, es gehörte sich nicht, sich tagsüber hinzulegen, schließlich war sie nicht verletzt.

Als der Castellan im Vorzimmer stand, kam sie gerade aus dem Schlafzimmer. Sie hatte ihn rufen lassen? Sie ging in Gedanken noch einmal das Gespräch mit Dom Ardan durch. Nun ja, so könnte man es auch interpretieren. Sie räusperte sich, bemüht, die Unsicherheit zu verbergen.

"Verzeiht, Dom Rondrigo, ich bin ob der Geschehnisse etwas aufgebracht. Was gedenkt Ihr zu tun? Diese Menschen sind der Grafschaft zugehörig, und sie wurden angegriffen. Vater weilt in Punin, daher habt Ihr alle Entscheidungsgewalt. Sagt jetzt nicht, Ihr müsst mich nach Punin bringen, dort ist keiner, der auf mich wartet, und zur dieser Hochzeit werde ich nicht reisen!"

Die Comtessa trug wieder die für sie geschneiderte Junkertracht. Dom Ardan hatte an alles gedacht und ihr Kleidung sowie ein gutes Pferd mitgebracht. Allerdings war diese Tracht ihr jetzt um einiges zu groß und ließ sie, wie ihr schmal gewordenes Gesicht, noch kindlicher erscheinen. Allein ihre blauen Augen blitzen wie eh und je und ließen erahnen, dass hauptsächlich ihr Körper in der Gefangenschaft gelitten hatte.

"Hier im Castillo bin ich sicher und Ihr hätten mit den Reitern, die Dom Ardan mitgebracht hat, genügend Garde, um ein wenig Druck zu machen."


Autor: Der Sinnreiche Junker

„Verzeiht, Euer Hochgeboren, doch fürchte ich, dass Eure Teilnahme an den Feierlichkeiten in Punin erwartet wird; Euer Fehlen auf Euch, Euren hohen Vater und den guten Namen Eurer Familia zurückfallen könnte.“

Dom Rondrigo räusperte sich und musterte seine Fußspitzen, war es ihm doch scheinbar recht unangenehm dies auszusprechen. Dann trat er an ihr Fenster und ließ den Blick über die Lande schweifen. Natürlich war ihm klar, wie wenig die Comtessa, die einstmals als aussichtsreiche Heiratskandidatin für den Kaiser galt, über diese Hochzeit erfreut sein dürfte. Leise fuhr er fort: „Falls Ihr Euch freilich nach den Strapazen außer Stande sähet, die Weiterreise anzutreten, so kann gewiss niemandem ein Vorwurf gemacht werden. Ich bin kein Medicus, und kann nicht beurteilen, ob etwaige Unpässlichkeiten Euch das Reisen unmöglich machen. Zweifellos würde niemand das Wohlergehen und die Gesundheit Eurer Hochgeboren aufs Spiel setzen wollen, nur um noch bis übermorgen nach Punin zu gelangen. Oder innerhalb der neun Tage andauernden Feierlichkeiten.“

Einige Augenblicke ließ der alte Castellan ihr Zeit seine Worte zu bedenken, dann hob er lauter wieder an: „Was nun Euer anderen Anliegen angeht, so fürchte ich, dass mir die Hände gebunden sind. Das Aufgebot aus Schrotenstein wurde, wie’s aussieht, überfallen, das ist wahr. Doch wurde es bei dem Versuch überfallen, mit Waffengewalt nach Ksl. Selaque hinein zu gelangen. Dies zu klären übersteigt meine Kompetenz und entzieht sich womöglich auch meiner Zuständigkeit, zumal jene Magnaten beschlossen haben, ihren Zwist auf althergebrachte Weise auszutragen und eben nicht ein Gericht anzurufen, sei es das Eures hohen Vaters, sei es das des Kaisers. Ganz davon abgesehen fehlte uns auch mit Dom Ardans Leuten die militärische Stärke, um hier irgendetwas durchzusetzen. Diese Magnaten verschanzen sich auf ihren Burgen und lachen auf uns herunter, während stets die Gefahr eines Ferkinaüberfalls droht.

Glaubt mir …“, wandte er sich zu Romina Alba um, die gepanzerte Faust geballt. „Glaubt mir, dass ich nichts lieber täte, als dieses renitente Pack allesamt in Ketten vor Euren hohen Vater zu führen, auf dass er sie am besten allesamt aburteile.“


Autor: Romina Alba

Romina wusste sehr gut, dass der alte Mann recht hatte. Ihre Schultern sanken nach unten, und sie hatte das Bedürfnis, auf der Unterlippe zu nagen. Ihre Knappenherrin hatte ihr so manche Ohrfeige versetzt, um ihr diese 'weibische' Mimik abzugewöhnen. Sie war erfolgreich gewesen, denn jedes Mal, wenn sie die Unterlippe in den Mund zog, musste sie an die Schläge denken. Sie holte tief Luft.

"Nun gut, dann sollen sie sich gegenseitig umbringen, das hat spätestens dann ein Ende, wenn sie sich ausgerottet haben." Sie ging zu Dom Rondrigo und legte ihm ihre Hand auf den Arm. "Dann will wenigstens ich Euch und meinem hohen Vater kein Kopfzerbrechen mehr machen. Wie wäre es, wenn ich von hier aus direkt nach Punin reisen würde?"

Ihr Herz schlug bis zum Hals bei dem Gedanken, dass alles umsonst gewesen wäre. Sie dachte an das Banner, das sie seit der Gefangenschaft mit sich herumtrug. Sie könnte es mit nach Punin nehmen und es dem Kaiser vor die Füße werfen. Aber das würde noch viel mehr ihrem Ruf und ihrer Familia schaden. Sie senkte Blick und Stimme.

"Ich trage das Rossbanner bei mir, würdet Ihr es dem Tempel zurückgeben? Ich will es nicht mit nach Punin nehmen." Sie hob die glänzenden Augen zu Dom Rondrigo hoch.


Autor: Der Sinnreiche Junker

Die wettergegerbte Haut des alten Kämpen spannte sich unterhalb der Schläfen, dort wo grimmig seine beiden Kiefer übereinander mahlten. Ganz offensichtlich ging auch ihm diese aufgezwungene Tatenlosigkeit gegen den Strich, doch war es in Almada schon immer so gewesen, und es würde wohl auch immer so bleiben: die Geschlechter stritten und zankten und mordeten sich gegenseitig aus, und mochte dabei Dere zu Grunde gehen. Und momentan sah es hinsichtlich der Ferkinas zumindest für die Grenzlande ganz danach aus.

Dann freilich horchte er auf. Hatte sie den Ausweg, den er ihr aufgezeigt hatte, nicht wahrgenommen? Unwahrscheinlich, sodass sich die Grafentochter wohl tatsächlich entschlossen hatte, der Kaiserlichen Hochzeit beizuwohnen. Ihre weiteren Worte boten dann immerhin ihm den Ausweg, dies unangenehme Thema nicht weiter verfolgen zu müssen.

„Ihr habt das Rossbanner in Sicherheit gebracht?“, fragte er überflüssigerweise mit für seine Verhältnisse beinahe freudig überraschtem Gesichtsausdruck. „Das Banner der heiligen Hadjinsunni“, senkte er die Stimme ehrfürchtig beinahe zum Flüsterton, um dann sachte das greise Haupt zu schütteln: „Nein, Euer Hochgeboren sollten das Banner selbst zurück bringen. Die Ehre gebührt niemandem denn Euch. Solange das Banner nicht verloren ist, ist der Orden nicht untergegangen“, verkündete er weihevoll, auch wenn ihm mancher angesichts der zerschlagenen Ordensstreitmacht wohl widersprechen würde.


Autor: Romina Alba

Erinnerungsschwanger senkte Romina das Haupt.

"Ich fand das Banner in dem Loch, in dem sie mich festhielten. Es gab mir Hoffnung. Doch gerettet hat es die Ferkina Golshan, so wie auch mich und Domna Richeza. Ich weiß bis heute nicht, warum die Ferkina sich gegen ihren Stamm stellte. Vielleicht, weil diese Wilden alle ihre Frauen wie Sklaven ..." Sie brach ab und wischte fahrig durch die Luft. "Es ist vorbei! Ich werde Golshan in ein Traviakloster geben. Dort soll sie unsere Sprache und Gebräuche lernen. Dann nehme ich sie wieder zu mir. Niemand soll ihr je Böses tun, ich verdanke den Göttern und ihr meine Unversehrtheit."

Sie hob den Blick zu dem ihr so vertrauten Recken und schenkte ihm ein schelmisches Lächeln. "Erklärt ihr Leutnant Ardan, dass ich über Wildenfels nach Punin reisen will!" Sie konnte schon immer abrupt Thema und Laune wechseln.

Als Dom Rondrigo zu einer scharfen Erwiderung ansetzte, unterbrach sie ihn seufzend mit einer Handbewegung.

"Ich weiß, ich weiß, seit ich Caballera bin, ist es ist meine Angelegenheit, mich durchzusetzen." Die kindliche Romina hatte das gerne der Mutter oder dem Castellan überlassen. "Dann seid so nett und schickt mir den Leutnant, wenn Ihr ihn seht." Das kurze Aufblitzen der unbeschwerten Comtessa, wie sie noch vor einigen Wochen gewesen war, verflog. Sie wandte sich ab und gab ihrem alten Lehrer zu verstehen, dass die Unterredung ein Ende gefunden hatte.


Autor: Der Sinnreiche Junker

Ach ja, Golshan. Die Wilde hatte der alte Castellan beinahe schon wieder vergessen. Nun ja, auch für sie würde man einen Platz finden. Als freilich die Comtessa eine Abänderung der Reiseroute verlangte, hoben sich seine buschigen Augenbrauen in die Höhe. Wildenfest? Er konnte sich schon denken, dass dies etwas mit dem Rossbanner zu tun hatte, doch bedeutete dies einen veritablen Umweg. Und vom Zeitfaktor – der Kaiser heiratete übermorgen – einmal abgesehen, würde es sie abermals mitten in ferkinaverseuchtes Gebiet führen. Freilich kam er gar nicht dazu seinen Einwand anzubringen, sodass ihm vorerst nichts weiter übrig blieb, als sich respektvoll vor Domna Romina zu verneigen.

„Wie Ihr wünscht, Comtessa“, murmelte er, und schritt dann von dannen, den Leutnant Ardan herauf zu senden. Ein kleines Weilchen mochte gewiss vergangen sein, bis Romina von Ehrenstein-Streitzig erneut die schweren Schritte eines Kriegers vor ihrer Türe vernahm. Eine kurze Pause, dann klopfte es erneut gegen deren Holz.


Autor: von Scheffelstein

Belisetha da Vanya starrte auf den grausam zugerichteten Leib ihrer Nichte und blinzelte die Tränen fort, die sich hinter ihren Lidern sammelten. Sie hatte die Fischer fortgeschickt, nachdem diese berichtet hatten, wann, wo und wie sie Rifada gefunden hatten.

Die tröstende Hand des alten Castellans auf ihrer Schulter war verschwunden. Er hatte sich entschuldigt, die junge Comtessa hatte nach ihm verlangt. Außer der Geweihten und ihr war niemand mehr in dem kleinen Rittersaal.

Belisetha fühlte sich elend. Am liebsten hätte sie geweint. Der Anblick ihrer Nichte, die sie in mancher Hinsicht so sehr an ihre eigene Schwester Leonida erinnerte, erfüllte sie mit Kummer und Entsetzen. Kein Mensch sollte so etwas erleiden müssen, und doch erst recht kein Mitglied ihrer Familia! War es die Rührseligkeit des Alters, die sie ausgerechnet jetzt in der gefallenen Kriegerin das kleine Mädchen erkennen ließ, das ungestüm und stolz auf dem Steckenpferd über den Hof des Castillos da Vanya galoppiert war? Das manches Mal Belisethas Herz fast hatte stehen bleiben lassen, wenn es – so jung und unbekümmert – auf Fenstersimse und Dächer geklettert war, auf Bäume und Brückenpfeiler, um Vogelnester auszunehmen oder um seinem kleinen Schwesterlein bunte Federn und glitzernde Steine aus den höchsten Höhen der Bäume und der reißendsten Strömung der Bäche zu bergen?

'Ach, ihr Götter', dachte sie, 'lasst doch das arme Kind nicht einen so scheußlichen Tod sterben!'

"Mein liebes Mädchen", murmelte Belisetha, tätschelte die Hand der Kriegerin, die auf dem Tisch lag, kalt und grau, zog ein Taschentuch aus ihrem Morgenmantel und tupfte sich damit über Augen und Wangen.

Es half nichts: Sie durfte sich ihrem Kummer nicht hingeben. Sie war die Herrin von Wildenfest, die Herrin von Schrotenstein - in der Abwesenheit ihres Sohnes, die Soberana der Familia, solange ihr Bruder fort war. Amando hatte sie gewarnt im Traum, es war an ihr, sich um ihre Familia zu kümmern, niemandem war geholfen, wenn sie verzweifelte!

Abermals drückte Belisetha die Hand ihrer Nichte, als könnte sie dadurch Wärme in diesen kühlen, bleichen Körper zurückbringen, als würde so die blutverkrustete Brust, die sich nur schwach – kaum merklich! – hob und senkte, mit neuem Atem gefüllt.

"Was könnt Ihr für sie tun, Euer Gnaden?", fragte sie die Priesterin, die Rifada, nachdem die anderen sie alleine gelassen hatten, auf dem Tisch entkleidet hatte, um sich ihre Wunden anzusehen.

"Ich werde ihre Wunden waschen und segnen, Euer Wohlgeboren, und für sie beten. Gebe die gütige Mutter Peraine, dass das Übel des Dämons, der sie verletzte, nicht zu tief in ihren Leib eingedrungen ist."

Belisetha betrachtete die junge Geweihte einen Moment lang. Auch wenn diese sich um ein zuversichtliches Lächeln bemühte, war nur zu deutlich, dass sie dieserart unnatürliche Wunden noch niemals gesehen hatte.

Es klopfte an der Saaltür. Die Meisterin der Ernte schlug rasch ein Tuch über die Blößen der Verwundeten. Alessio trat ein, einer der Knappen des alten Caballeros von Wetterwacht.

"Eure Wohlgeboren", sagte er, als Belisetha ihn entgeistert anblickte, "wir mussten umkehren. Störe ich? Darf ich ..."

Doch in diesem Moment wurde er unsanft beiseite geschoben, und eine Frau in der Rüstung der Amazonen betrat den Rittersaal: Jelissa Al'Abastra, die Geliebte ihrer Nichte.

Belisetha vergaß einen Moment lang ihren Kummer und presste die Lippen zusammen. "Was ist geschehen?", fragte sie dann, und ihre Finger schlossen sich unwillkürlich fester um Rifadas Hand, gerade so, als könne die tödlich Verwundete ihr die Kraft geben, weitere unheilvolle Nachrichten gefasst entgegenzunehmen.



Chronik:1033
Der Ferkina-Feldzug
Teil 11