Chronik.Ereignis1033 Feldzug Selaque 09

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In Kaiserlich Selaque, am 30. Praios 1033 BF

Auf dem Albamonte und Burg Albacim


Autor: von Scheffelstein

Aureolus trat aus dem Schatten der letzten Kiefern hinaus ins Sonnenlicht. Unter ihm fiel der Westhang des Albamonte steil ab. In der Tiefe erkannte er die Häuser Selaques, die wie winzige Schwalbennester an der Felswand klebten. Menschen sah er keine im Dorf. Als er seinen Blick nordwärts wandte, wo höher gelegen und doch noch weit unter ihm, das Castillo Albacim über dem Marktflecken thronte, wusste er, warum. Wie Ameisen drängten sich Menschen auf dem Grün der Vorburg – es schien, als habe Domna Praiosmin nicht nur ganz Selaque, sondern gleich noch die umliegenden Ortschaften auf dem Castillo untergebracht.

Ärgerlich schnalzte Aureolus mit der Zunge. Er verspürte wenig Lust, unter den Augen Hunderter gaffender Menschen in zerlumpter Kleidung in der Burg einzuziehen. Nun, es mochte wohl sein, dass es hilfreich wäre, wenn man ihn nur als einen weiteren Flüchtling und Bittsteller betrachtete. Aber das war er nicht. Er war Herr über diese Burg, auch wenn seine Mutter dort noch residierte, und sein Stolz erlaubte keine weitere Kränkung.

Es blieb also nur eine Möglichkeit.

Aureolus entkorkte eine seiner Metallphiolen, leerte sie und ließ sie den Steilhang hinunter fallen. Er kreuzte die Arme vor der Brust, nickte – und fand sich im kühlen schattigen Erkerzimmer der verwinkelten Burg wieder, das in jungen Jahren sein Reich gewesen war, in dem er, verborgen vor den Augen der Welt, seine einsame Kindheit verbracht hatte.

Zu seinem Missfallen sah das Zimmer anders aus, als er es zurückgelassen hatte. Statt seiner Bücher und der alchemistischen Gerätschaften seiner Lehrmeisterin, die er – ganz sicher! – auf dem Tisch zurückgelassen hatte, lagen dort die Würfelspiele, die er als Knabe mit dem inzwischen verstorbenen Hausdiener Valesco gespielt hatte, sowie das Brevier der Zwölfgöttlichen Unterweisung und die Schiefertafel, auf der er schreiben gelernt hatte. Schlimmer noch aber war das Bett, auf dem zwischen Zierdecken und überflüssigen Paradekissen die Priesterpüppchen und der Kaiser-Valpo-Bär thronten, der ihn mit Mutters Stimme in jüngsten Jahren Enthaltsamkeit und Demut zu lehren versucht hatte.

Bei allen Niederhöllen: Hatte die Alte sein Gemach schon wieder in ein Museum verwandelt? Zornig stopfte Aureolus Puppen und Bär in eine Truhe, die bis zum Rand mit Kinderkleidern gefüllt war, fegte Würfel, Schiefertafel und Griffel vom Tisch und warf das Gebetsbuch so schwungvoll an die Wand, dass der gebundene Rücken brach und mehrere Seiten zu Boden segelten.

Wie sollte die schöne Comtessa in ihm einen begehrenswerten Mann sehen, wenn seine eigene Mutter nicht begriff, dass er kein Dreijähriger mehr war?

Gerade wollte er sich auf die Suche nach seinen Zauberbüchern machen, als die Tür aufflog und zwei Bewaffnete in den Farben der Burgwache den Raum betraten, der vordere mit gezogenem Schwert.

"Halt! Wer bist du? Erklär' dich, Bursche!", rief der Mann.

Aurelos fühlte sich geneigt, dem Gardisten übelste Schmerzen zu bereiten und ihn für all den Verdruss bezahlen zu lassen, den die Scheffelsteinerin, der blonde Degenfuchtler und – ja! – zuletzt auch die angebetete Domnatella Romina ihm bereitet hatten. Aber er beherrschte sich und besann sich der Rolle, die er in diesem Hause spielte.

"Varmino!", begrüßte er den älteren der Gardisten, der noch in der Tür stand, mit einem Lächeln, das so freundlich wie falsch war, und nahm die Kapuze ab. "Wie schön zu sehen, dass du noch immer deinen treuen Dienst versiehst."

Die beiden Wachen wechselten einen Blick, dann legte der Ältere dem Jüngeren die Hand auf die Schulter. "Schon gut, Marcio! – Junger Herr, entschuldigt die Störung, wir wussten nicht ... Wir haben nicht mit Euch gerechnet, Eure Tante hat uns nicht unterrichtet, verzeiht."

"Sie weiß nichts davon", sagte Aureolus, weiterhin lächelnd. "Sagt Ihr, ich werde mit ihr und der Herrin Vesper halten, bis dahin will ich nicht gestört werden. Die Reise war anstrengend, aufregende Zeiten sind das."

"Das könnt Ihr laut sagen!", brummte Varmino, und der Jüngere steckte endlich sein Schwert weg. "Wir werden es Eurer Tante und Ihrer Hochgeboren ausrichten. Verzeiht nochmals die Störung, junger Herr!"

Aureolus vergebliche Suche nach seinen Büchern währte nicht lange, ehe erneut die Tür aufging, und – schnaufend und schwitzend – seine Mutter sich in die Kammer drängte.

"Aureolus Ramin! Mein Goldschatz! Mein kleiner Liebling!", rief sie erfreut. Aureolus verdrehte die Augen und bedachte die Marmorwand mit einem finsteren Blick, ehe er sich umdrehte. Doch bevor er dazu kam, etwas zu sagen, hatte seine Mutter sich ihm bereits an den Hals geworfen, erdrückte ihn fast zwischen ihrem mächtigen Busen und den schwabbelnden Armen, die sie um seinen Rücken schlang. "Mein lieber, lieber Goldjunge!", rief sie aus, drückte ihm allzu feuchte Küsse auf die Wangen, zupfte ihn mit ihren dicken Fingern allzu ungelenk an der Nase, löste sich dann endlich und schnäuzte sich lautstark in ein spitzenbesetztes Taschentuch, während die Tränen aus ihren kleinen Augen über das hängende Wangenfleisch flossen.

"Wo bist du nur gewesen? Weißt du nicht, was deine Mutter sich für Sorgen gemacht hat? Zwei Jahre und keine Nachricht von ihrem Zuckermäulchen! Wie kannst du zu deiner Mami nur so ..."

"Wo sind meine Bücher?", unterbrach er sie.

Sie plapperte einfach weiter.

"Meine Bücher. Ich hatte sie hier auf dem Tisch gelassen!"

Sie starrte ihn an wie einen Fremden. "Aureolus, Liebling, ich werde uns etwas Feines zu Essen machen lassen. Einen Fasan, ja? Das ist doch dein Lieblingsessen! Ich halte extra welche hinten im Küchengarten, damit auch immer etwas ..."

"Mutter, ich will meine Bücher, verdammt noch mal, nichts zu Essen. Wo sind sie?"

"Gefällt dir dein Zimmer nicht?" Die Falten an ihrem Hals verschoben sich, als sie schluckte. Noch immer wischte sie mit dem Taschentuch in ihrem Gesicht herum. "Ich habe es extra herrichten lassen. Jeden Tag kommt ein Mädchen und macht das Bett, damit auch alles fein ist, wenn du ..."

"Praiosverflucht! Hört Ihr mir überhaupt zu?"

Sie zuckte zusammen und schlug ein Schutzzeichen, ihr gerötetes Gesicht verlor alle Farbe. Aureolus gefiel es, sie erschrocken zu sehen. Vielleicht bemerkte sie so endlich, dass er seines Vaters Sohn war und kein Kind mehr, das an ihrem Busen hing. Allein, irgendwo in seinem Innern tat sie ihm leid. Tat es ihm leid, sie zu verletzen. Es war nicht ihre Schuld.

"Fasan wäre wundervoll, Mutter!", sagte er darum mit einem Lächeln, das immer noch falsch und doch deutlich wärmer war als das, welches er den Wachen geschenkt hatte. "Aber zuvor benötige ich meine Bücher."

"Ich, ach ... mein Goldstück, sie waren so staubig und es stand so ... gar götterungefälliges ... Zeug darin ..."

"Ihr habt sie doch nicht etwa weggeworfen?", fragte Aureolus entsetzt.

"Das nicht, aber ..." Domna Praiosmin schluckte erneut, griff nach Aureolus Hand und drückte sie, dass er fürchtete, sie sähe bald genauso zerknauscht aus wie das Taschentuch. "Sie sind im Magazin. Ich habe sie alle ordentlich in einer Kiste aufbewahrt."

"Wundervoll. Dann lasst sie mir bitte bringen. Und zwar jetzt. Und standesgemäße Kleidung, diese hier ist nicht mehr tragbar." Ihm entging der Blick nicht, den sie auf die Truhe warf, in der er das Spielzeug verstaut hatte. "Mutter, ich bin sechzehn, keine sechs mehr! Seht zu, ob Ihr ein Gewand meines Vaters findet!"

"Ja ... äh ... natürlich", sagte Domna Praiosmin. "Ich, hm, ach, mein Schatz, magst du nicht doch erst ein Bad nehmen und etwas essen, solange die Leute nach deinen Büchern suchen?"

"Wie? Was soll das heißen: Nach ihnen suchen? Habt Ihr nicht gesagt, Ihr hättet sie ordentlich aufbewahrt?"

"Ja, nun", erwiderte seine Mutter, zum ersten Mal etwas abweisend. "Das habe ich. Aber das Magazin ist voll mit dem Gerümpel der da Vanyas. Diese Verrückte aus dem Vanyadâl verweigert mir seit Jahr und Tag die Lehnstreue. Jetzt hat sie's so weit getrieben, dass ich ihr das Land entziehen musste. Ich habe sie enteignet, und was ihr war, ist jetzt mein. Aber natürlich kann ich mit dem ganzen Plunder dieser Hure nichts anfangen, ich habe es ihr nur weggenommen, damit sie mit leeren Händen dasteht, wenn sie noch einmal versucht, sich aufzulehnen. Darum wird es wohl ein Weilchen dauern, bis wir deine Bücher wiederfinden, mein Goldstück."

"Verflucht!", grollte Aureolus.

"Sei nur unbesorgt, mein Junge!", tätschelte Domna Praiosmin seine Wange. Grimmig verzog sie den Mund. "Ich werde diese Hure vors Reichsgericht zerren. Man wird sie für Bruch des Lehnseides, Aufwiegelei und Verweigerung des Kriegsdienstes verurteilen. Mehr noch, sie hat sich ihrer Gefangennahme widersetzt und mehrere meiner Getreuen niedergemetzelt. Das wird sie den Kopf kosten, bei Praios!"

"Hm", machte Aureolus und strich sich über das Kinn. "Das wird es wohl", sagte er. "Aber ich habe eine bessere Idee: Ihr holt Euch ihren Kopf selbst. Und den ihrer ganzen Sippschaft. Ich habe noch ein Hühnchen mit ihr zu rupfen und allen, die auf ihrer Seite stehen."

Domna Praiosmin nickte eifrig. "Ich hatte sie alle: Ihren Sohn, ihre ungehobelte Nichte, und auch diesen Söldner aus der Mark Ragathsquell, der jezt in Dubios sitzt, Dom Herván oder so ähnlich. Dummerweise sind die kleine Scheffelstein und der Söldner aus dem Bergfried entwischt, in den sie sich geflüchtet hatten, und ihr kleiner Hurensohn und der Streitzig genauso, der sich einmischen wollte. Das nächste Mal ..."

"Das nächste Mal", sagte Aureolus, nahm ihr Gesicht in beide Hände und sah sie eindringlich an, "macht besser keine halben Sachen. Uns wäre sehr geholfen, wenn diese ganze Sippe tot in ihrem Blute läge, je eher, desto besser. Das nächste Mal also tötet sie gleich."

"Aber ... das Reichsgericht ...", begann Domna Praiosmin, als er sie losließ.

"Das Reichsgericht wird meinen Namen fürchten lernen. Bald schon, Mutter, bald schon. Aber dazu brauche ich meine Bücher. Also lasst mich ein Bad nehmen und mich ankleiden, und wenn wir gespeist haben, sollen die Diener mir meine Bücher gefunden haben. Ein paar Monde noch, Mutter, vielleicht ein Jahr, dann wird das Versteckspiel ein Ende haben und mein Name so gefürchtet sein wie der meines Vaters."

Seiner Mutter Augen weiteten sich. "Was hast du vor, mein Liebling? Du wirst doch keine Dummheiten machen? Du wirst doch deiner Mutter keinen Kummer bereiten?"

"Wenn ich mein Ziel erreicht habe, werdet Ihr nie wieder Kummer haben, Mutter. Dann werdet Ihr die Mutter des almadanischen Herrschers sein und Euer Name fast ebenso geachtet wie der meine."

Mit sanftem Druck schob er sie zur Tür hinaus, während sie nach Luft schnappte und ein Praioszeichen schlug und etwas murmelte, das zu seinem Ärger sehr nach einem et ne nos inducas in temptationem sed libera nos a malo anhörte.


Autor: Ancuiras

Aufgewühlt von den Worten ihres Sonnes begab sich Praiosmin in die große Halle. Aureolus war so entschlossen gewesen, furchteinflößend geradezu! Wie sein Vater, dachte sie voller Stolz, doch zugleich lief ihr ein kalter Schauder über den Rücken.

Sie ließ nach dem Haushofmeister rufen und versuchte fieberhaft, die Gedanken in ihrem Kopf zu ordnen, während sie auf dem kühlen Steinboden hin und her lief.

Ihr Sohn hatte Recht. Die Mühlen des Reichsgerichts mahlten zu langsam. Und die da Vanya würde sich einen feuchten Kehricht um ein Urteil scheren und dann war es doch wieder nur an ihr selbst, für Recht und Ordnung zu sorgen. Dann sollten die da Vanyas doch sie verklagen. Schon damals, im Rosenkrieg gegen die Harmamunds waren sie kläglich damit gescheitert, als sie sich vor den Reichskammerrichtern ausgeheult hatten ...

Die Harmamunds, Praiosmins nichtsnutzige 'Verbündete'! Es wurde Zeit, dass sie endlich auch ihren Beitrag leisteten, Rifada da Vanya in die Knie zu zwingen. Vor allem, wenn sie das Castillo da Vanya einheimsen wollten ...

"Ihr habt nach mir gerufen?"

Praiosmin fuhr aus ihren Gedanken auf. "Schleicht Euch nicht so hinterrücks an!", zischte sie dem Haushofmeister zu. Sie atmete tief durch. "Holt die Kiste meines Sohnes aus dem Magazin. Ihr wisst schon, die schwere mit seinen Büchern, aber sofort!" Sie packte den Mann am Kragen. "Und wehe, Ihr habt sie verkramt!" Sie warf ihm einen durchdringen Blick zu, bevor sie ihn losließ und sich abwandte. "Und holt die Harmamund hierher, sie hat sich lange genug bei mir durchgefressen. Ich will endlich wissen, was die Connexiones zu ihrem Onkel wert sind!"

Sie dachte nach. Wieviele Waffenleute konnte sie aufbringen? Dann bemerkte sie, dass der Haushofmeister sich noch nicht entfernt hatte.

"Was gibt es denn noch? Seid ihr taub geworden auf Eure alten Tage?"

"Nein ... äh ... es ist nur Folgendes: Die Caballera von Harmamund ist heute morgen in aller Frühe ausgeritten."

"WAS? Ohne meine Erlaubnis? Wohin?"

"Das sagte sie nicht, Eure Hochgeboren", sagte der Mann und setzte eine zerknirschte Miene auf. "Ich wusste doch auch nicht, dass sie Eurer Erlaubnis bedurft hätte ..."

"AUF DIESER BURG GESCHIEHT NICHTS OHNE MEINE ERLAUBNIS, IST DAS KLAR?"

Der Mann senkte denn Kopf. "Ja, Euer Hochgeboren."

Praiosmin schnaubte verächtlich. "Gibt es noch etwas, was Ihr mir verheimlicht?"

"Verheimlicht? Oh nein, nein, keinesfalls ... niemals!" Dann setzte er zögernd wieder an: "Nur ..."

"NUR WAS?"

"Gestern spät abends kam dieser Bote aus Punin, um eine Nachricht zu überbringen, aber ausschließlich für die Domna von Harmamund! Ad personam, wie er sagte ... und es war doch schon so spät und wir wollten Eure Nachtruhe nicht stören ... Er hatte einen Kaiserlichen Wappenrock ... Er ist mit der Domna fortgeritten, heute morgen."

Praiosmins Augen verengten sich zu Schlitzen. "Ihr lasst hier Fremde in der Burg ein- und ausmarschieren wie in einem Taubenschlag und haltet es nicht für nötig, mich in Kenntnis zu setzen?"

Die Augen des Haushofmeisters bohrten sich in die Steinplatten zu seinen Füßen. Er sagte lieber gar nichts mehr. Lange Jahre des Dienstes unter der Vogtin hatten ihn gelehrt zu erkennen, dass nunmehr alle Beschwichtigungen und Erläuterungen seine Herrin nur weiter reizen würden. Für einen endlosen Moment lauschte er ihrem vor Ärger und Empörung schnaufenden Atem und spürte ihren wütenden Blick wie Messerstiche in seinem Gesicht. Erst dann kamen die erlösenden Worte.

"Geht aus meinen Augen!"



Autor: Ancuiras

Baronie Selaque, 30. Praios 1033 BF nachmittags

Am Rande eines Weges

"Dort hinauf sind sie gezogen, Herrin. Viele bewaffnete Söldner- und Rittersleut'! Mehrere Dutzend waren es, ich hab' sie mit eigenen Augen gesehen!" Die schmutzstarrende Frau hielt ihren Hut in den Händen und ihre beiden Begleiter nickten wie wild.

Morena Solivai von Harmamund beäugte die drei Hirten misstrauisch. Erzählten sie ihr nur, was sie hören wollte, um noch ein paar Kupferheller zu ergattern? Oder war das endlich der erste brauchbare Hinweis auf die gräflichen Truppen, von denen ihr Onkel geschrieben hatte? Sie war schon kurz vorm Aufgeben gewesen, doch ein ganzes Banner konnte sich doch nicht in Luft aufgelöst haben! Falls es stimmte, dass sie Selaque schon erreicht hatten. Stundenlang war sie geritten, doch kaum jemanden angetroffen, den sie hätte fragen können. Die meisten Bewohner Selaque waren vor den Ferkinas in die Burg der Vögtin geflohen.

"Wohin führt der Weg?", fragte sie barsch.

"Nirgendwohin, Herrin. In die Wildnis, die Berge. Da gehen sonst nur wir hin, Euer Gnaden, außer... "

"Weil wir die versteckten Pfade kennen, und wissen, wie wir uns vor den Ferkins verbergen können!", meldete sich der andere Hirte zu Wort.

"Nichts ist da oben, Herrin, und niemand!"

"Doch, das Steinbrecherdorf Grezz..."

"Aber das ist verlassen!", schnitt ihm die Frau das Wort ab und schob ihren schmächtigen Begleiter zur Seite. Offenbar wollte sie sich das Geschäft verderben lassen. "Da braucht man einen kundigen Führer, wenn man..."

"Ruhe!", herrschte Berengar die drei Hirten an. Morena warf dem Condottiere einen dankbaren Blick zu. Sie kannte den untersetzten bärtigen Mann schon seit vielen Jahren. Er war schon vor dessen Kerkerhaft im Dienste ihres Onkels gewesen. So hatte sie sofort gewusst, dass er vom Puniner Generalcommando gekommen war.

Morena musste nachdenken. Warum waren Dom Rondrigo und der Dubioser Baron nicht nach Selaque gekommen, um Praiosmin ihre Unterstützung anzubieten? Nun gut, ihr vordringlichster Auftrag war es, die Grafentochter zu finden, aber es wäre mehr als üblich gewesen, der Lehnsherrin des Landes, das man mit einem Heerbann durchquert, die Aufwartung zu machen...

Auch wenn diese Lehnsherrin zugegebenermaßen ziemlich eigenwillig und hitzköpfig war. Mit Vorsicht zu genießen. Berengar hatte Morena mit den eindringlichen Worten ihres Onkels zu verstehen gegeben, dass sie sich aus der Adelsfehde in Selaque heraus zu halten hatte. Weil der Kaiser keinen Streit wolle. Morena sah dies ja ein, aber so schnell wollte sie sich von der Aussicht, über das Vanyadal zu herrschen, nicht verabschieden. Endlich ihre eigene Burg, ihr eigenes Lehen! Dreimal zwölf Jahre war sie nun schon alt, und noch immer eine Caballera im Dienste der Mutter! Nicht einmal die Möglichkeit eines lukrativen Traviabundes hatte ihr offen gestanden, nachdem ihre Familia aufgrund der Verfehlungen ihres Herrn Onkels wie die Zorgan-Pocken gemieden wurde. Bei Rondra! Das Castillo war bereits erobert, bereit für ihren Einzug! Es musste doch einen Weg geben, Nutzen aus der Lage zu ziehen, ohne den Unwillen des Kaisers zu erregen?

"Wollt ihr der Spur folgen, Domna?" Berengar de Comino wies in Richtung des Vorgebirges, das im Licht des sich senkende Praiosschildes im längere Schatten warf.

Trotz der sommerlichen Hitze fröstelte es Morena. Ferkinaland. Nun, daran würde sie sich gewöhnen müssen, wenn sie in diesen Gefilden herrschen wollte. "Ja, natürlich!", sagte sie entschlossen. Sie riss ihr Pferd herum, so dass die Hirten zur Seite springen mussten. Ihre Dienste hätten hilfreich sein können, aber sie waren zu langsam. Und wenn es stimmte, was sie sagten, würden sie bald auf eine Straße treffen. Die Spuren so vieler Reiter und Fußsoldaten würde sogar ein Blinder finden. Beiläufig warf sie ihnen ein paar Münzen vor die Füße, mehr Kreuzer als Heller.

"Wir müssen den Brief des Marschalls überbringen!"


Chronik:1033
Der Ferkina-Feldzug
Teil 09