Chronik.Ereignis1033 Feldzug Ferkinalager 12
Im Raschtulswall, 28. Praios 1033 BF
Auf dem Djer Kalkarif
Autor: von Scheffelstein
28. Praios, mittags
Richeza fluchte leise. Die Naht an ihrem rechten Stiefel war aufgegangen, und nun schlappte die Sohle bei jedem Schritt, und es war nur eine Frage der Zeit, bis es sie beim Gehen behindern würde.
Zu allem Überfluss hatte es angefangen zu regnen. Immerhin würden sie so nicht verdursten. Was das Verhungern anging, hatte die Ferkina am Morgen mit zwei Kaninchen vorgesorgt, die sie gefangen und über dem Feuer gebraten hatte. Das Feuer war so eine weitere Sache: Als Domnatella Romina sie in der Nacht geweckt hatte, war das Feuer aus gewesen. Richeza hatte sich daran gemacht, es erneut zu entzünden, doch die Grafentochter hatte zornig auf sie eingeredet, dass sie den Ferkinas nicht gerade entkommen sei, um ihnen gleich wieder in die Hände zu fallen. Richeza hatte sie gefragt, ob ihr die Fänge wilder Tiere lieber wären oder vielleicht auch der Kältetod? Eine Weile hatten sie gestritten, dann hatte Richeza nachgegeben. Sollte das Comtesschen doch sehen, wie heimelig eine Nacht auf dem nackten Fels war!
Tatsächlich war es eine kalte Nacht gewesen. Nicht so tödlich wie die auf dem Djer Kalkarif vor Tagen, aber dennoch empfindlich kalt. Als die Grafentochter am Morgen zweimal geniest hatte, hatte Richeza sich ein verächtliches Grinsen nicht verkneifen können. Dann war die Ferkina zurückgekehrt mit den Karnickeln, und Richeza hatte wortlos ein Feuer gemacht, damit sie die Tiere braten konnten.
Nach dem Essen waren sie aufgebrochen. Auf den Berg, Richtung Osten. Aus Moritatios Botschaft waren sie nicht weiter klug geworden. Vielleicht auch, weil sie die Mahlzeit in eisigem Schweigen verbracht und nicht weiter über ihre Ziele gesprochen hatten. Selbst die Ferkina war ungewöhnlich still, schien es aufgegeben zu haben, die Comtessa zum Umkehren bewegen zu wollen. Irgendwann schien sie sich der Grafentochter vorgestellt zu haben, jedenfalls nannte diese sie Golshan, und die Ferkina hörte darauf.
Der Wind war kalt, und der Regen verwandelte den staubigen Weg in ein schlammiges Bächlein. Kleine Rinnsale teilten den Weg, immer wieder rutschten sie auf den nassen Steinen aus. Richeza wusste nicht, ob sie auf der richtigen Fährte waren. Die ganze Suche erschien ihr zunehmend aussichtslos, und das verschlechterte ihre Laune noch mehr.
Als es Mittag wurde, hielten sie Rast unter einem Felsvorsprung. Die Ferkina – Golshan! – fing eine Schlange, häutete sie und verspeiste das Fleisch roh. Sie bot auch ihren Begleiterinnen davon an, aber Richeza verzichtete mit angewidertem Blick.
Eben erst hatten sie ihren Weg fortgesetzt, als Richeza die anderen aufgrund einer plötzlichen Ahnung innehalten ließ. Sie lauschten in den Regen, der zugenommen hatte, konnten aber nichts hören. Richeza hieß die anderen mit einer Geste zu warten und kletterte bis zur Wegbiegung voran. Vorsichtig spähte sie um den Felsen – und prallte zurück. Vor ihr öffnete sich der Blick über einen steilen Hang in die Tiefe, und dort unten gingen Ferkinas. Viele Ferkinas. Sie nahm sich keine Zeit, sie zu zählen, sondern schlitterte den Weg hinunter zu den anderen zurück. Im Flüsterton berichtete sie der Comtessa. Das Wort 'Ferkina' verstand sogar Golshan.
Ehe Richeza sie zu fassen bekam, eilte die Ferkina den Weg hinauf, warf sich zu Boden und blickte selbst hinunter zu ihren Stammesgenossen. Kurt darauf kehrte sie zurück, angespannt fasste sie Domnatella Romina bei der Hand und zerrte sie wortlos zwischen die Felsen am Wegrand. Richeza folgte ihnen lautlos fluchend, und gemeinsam kletterten sie zwischen den Steinblöcken höher. Golshan zwängte sich in eine Spalte unter einem riesigen Felsklotz, die anderen beiden folgten ihr. Dicht an dicht lagen sie im Halbdunkel, nass, verschwitzt und zugleich frierend starrten sie hinaus in den Regen.
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