Chronik.Ereignis1033 Feldzug Ferkinalager 08

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Im Raschtulswall, 25. Praios 1033 BF

Am Fuße des Djer Kalkarif im Raschtulswall


Autor: von Scheffelstein

Richeza lag bäuchlings zwischen zwei dornigen Sträuchern und blickte auf die Zelte hinab, die über das Plateau verstreut lagen wie Kieselsteine in einem ausgetrockneten Bachbett. Hundert oder mehr Zelte mussten es sein. Selbst in den angrenzenden Schluchten konnte die Edle Jurten entdecken, und wo immer ein paar Büschel Gras aus dem Boden ragten, waren Bergpferde oder Esel angebunden oder liefen Ziegen und Schafe umher und stritten mit mahlenden Kiefern um das karge Mahl. Hier also hatten die verfluchten Ferkinas ihr Lager aufgeschlagen! Richeza dankte dem Schicksal, dass sie ihnen nicht in die Hände gefallen war.

Mehr als eine Stunde, schätzte sie, hatte sie in ihrem Versteck ausgeharrt, ehe sie gewagt hatte, herauszukriechen und sich von den Handfesseln zu befreien. Der Strick hatte inzwischen so tief in ihr Fleisch geschnitten, dass ihre Finger ganz blau gewesen waren und ihre Gelenke wund und blutig. Schlimmer aber war, dass die Ferkinas ihre Ausrüstung mitgenommen hatten. Sie hatte nichts: keine Rüstung, keinen Umhang, keine Decke, und selbst ihre Waffe hatte sie auf dem Djer Kalkarif verloren. Am schmerzlichsten aber war, dass sie weder eine Feldflasche, noch etwas zu Essen hatte. Ihr knurrender Magen erinnerte sie zunehmend, dass sie, bis auf das aufgeweichte Brot am Morgen, an diesem Tag noch nichts gegessen hatte.

Seit einem guten Wasserlauf beobachtete Richeza das Lager der Ferkinas und wägte ab, ob sie es wagen konnte – oder musste? – hinab zu schleichen, um nach ihrer Ausrüstung zu suchen oder wenigstens etwas Essbares und ein Fell oder eine Decke zu stehlen. Viele Krieger entdeckte sie nicht auf den ersten Blick. Aber jede Frau, jedes Kind und jeder Greis konnten ihr ebenso gefährlich werden. Es reichte, dass auch nur ein Ferkina sie entdeckte – dann hätte sie keine Hoffnung mehr, zu entkommen. Andererseits: Wenn sie ohne Umhang und ohne Nahrung und ohne Waffe hinaus ins Gebirge liefe – wie groß wäre ihre Hoffnung, auch nur die Nacht zu überleben?

Die Edle kaute an ihre Unterlippe. Es war zum Verzweifeln! Was hatte sie nur geritten, allein auf den verdammten Berg zu klettern? Sie blickte hinüber zum Djer Kalkarif. Vielleicht konnte sie zurückkehren zu der Höhle, in der die anderen übernachtet hatten. Vielleicht hatten sie ja doch auf sie gewartet? Im selben Moment verfluchte Richeza sich für diesen Gedanken. Praiodor! Sie hatten versprochen, Praiodor zu suchen! Wie konnte sie sich nur wünschen, sie würden auf sie warten? Was auch immer sie tat: Die Hoffnung, lebend aus dem Gebirge zurückzukehren, war gering, die Hoffnung, den Ferkinas zu entkommen beinahe noch geringer, falls der Elentaner sie gegen sie aufhetzen sollte. Die Hoffnung, Praiodor und seine Mutter zu finden aber – zumal lebend –, schwanden von Stunde zu Stunde.

Richeza schob sich den Fingernagel in den Mund und fuhr sich über die Zähne. Was konnte sie tun? Sich auf die Suche nach den anderen begeben? Aber wenn die nicht mehr in der Höhle waren, so blieb ihr nichts, als der Rückweg nach Grezzano, in der Hoffnung, die Siedlung zu erreichen, bevor sie verhungerte oder von Berglöwen gefressen wurde oder entkräftet in eine Spalte stürzte. Noch aussichtsloser war es, sich allein auf die Suche nach Praiodor und seiner Mutter zu machen. Der Raschtulswall war zu groß. Ohne Ausrüstung wäre sie verloren. Und was, wenn die Ferkinas Domna Fenia und Praiodor gefangen hatten? Sollte sie zuerst im Lager der Wilden nachsehen? Vielleicht war dort auch das Grafentöchterlein und wusste mehr? Wie aber sollte Richeza das Zelt finden, in dem die Barbaren ihre Gefangenen unterbrachten? Unmöglich, hundert Zelte zu durchsuchen, ohne entdeckt zu werden!

Richeza schnippte eine Spinne fort, die über ihre Hand lief. Und wenn sie versuchte ... die Ferkinas ... für sich zu nutzen? Vielleicht ... konnten die Praiodor und Fenia für sie finden. Vielleicht ... Doch das würde bedeuten ...

Richeza schloss die Augen. Wie sie es drehte und wendete, es lief stets auf dieselbe unerfreuliche Wahl hinaus: Entweder, sie opferte sich. Oder Praiodor. Und höchstwahrscheinlich würden sie beide sterben – falls ihr Vetter und seine Mutter überhaupt noch lebten. Doch wenn sie nicht alles versuchte, was in ihrer Macht stand, war alles umsonst gewesen: Das Opfer ihrer Tante, die gefallenen Söldner des Aranjuezers, die Gefahr, in die sie Moritatio und den Yaquirtaler gebracht hatte, alle Mühen der letzten Jahre, als sie nach einem Heilmittel für Praiodor gesucht hatte.

Ein Sieg wird im Kopf entschieden, pflegte ihr Großvater zu sagen. Wenn sie versagte, würde sie sterben. So oder so. Aber wenn nur die leiseste Hoffnung bestand, wenigstens das Leben ihres Vetters zu bewahren, so wollte sie sie nutzen. Richeza schluckte. Dann zog sie sich von der Klippe zurück und richtete sich auf. Sie hatte ihre Wahl getroffen.


Autor: von Scheffelstein

Richeza starrte in die Dunkelheit. Der Himmel hatte sich erneut zugezogen, Madamal und Sterne waren nicht zu sehen. Wie finster es hier war, so anders als in Punin, wo selbst nachts der Himmel von den Laternen und Wachfeuern widerschien und anders auch, als in Kornhammer, wo wenigstens die Fackeln am Burgtor und die Nachtkerzen am Traviatempel die Finsternis erhellten.

Die Edle wagte nicht, ein Feuer zu machen. Zu viele Ferkinas trieben sich in der Gegend herum. Ob der Bastard sie bereits gegen sie aufgehetzt hatte und sie nach ihr suchten? Richeza zog sich die muffige Decke fester um den Leib und kauerte sich gegen die harte Wand der Spalte, in der sie sich versteckt hielt.

Sie war ein großes Wagnis eingegangen, als sie in eines der abseits stehenden Zelte des Lagers eingedrungen war, in der Hoffnung, sich nicht darin zu täuschen, es leer vorzufinden. Es war leer gewesen. Gierig hatte sie eine Kalebasse mit Beerenwein geleert, der ihr rasch zu Kopf gestiegen war, hatte einen der Schinken losgeschnitten, die an Querstreben vom Dach der Jurte hingen, sich eine Decke geschnappt und eine steinerne Axt, die ihr schwer und unhandlich schien und ihr im Kampf kaum nützen würde. Dann war sie wieder aus dem Zelt gehuscht, vorbei an verräterisch blökenden Schafen, und hatte sich, so schnell sie konnte, vom Lager entfernt.

Wie sollte sie nur Praiodor und seine Mutter finden, allein, verfolgt von Ferkinas, in einer Wildnis, die sie auf hundert verschiedene Arten zu töten vermochte? Aber die Vorstellung, sich an die Ferkinas zu verkaufen, um sie vielleicht, vielleicht dazu zu bringen, für sie nach dem Jungen zu suchen, erfüllte sie mit solcher Abscheu, dass sie es vorzog, zu scheitern. Auch wenn sie wusste, dass der Tod ihres Vetters sie nicht minder schwer treffen würde als der ihres Onkels.

"Bitte", flüsterte Richeza, "lasst mich ihn finden. Lebend." Doch die Götter schienen ihr in dieser Nacht so fern wie in jeder, seit beinahe zwanzig Jahren. So starrte sie weiter in die Dunkelheit und lauschte dem Klagen des Windes.



Chronik:1033
Der Ferkina-Feldzug
Teil 08