Chronik.Ereignis1033 Feldzug Mark Ragathsquell 01

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Mark Ragathsquell, 23. Praios 1033 BF

Junkergut Aranjuez

Autor: Der Sinnreiche Junker

Mit metallischem Klirren der Rüstung beugte Hernán von Aranjuez ein Knie, stützte den rechten Ellenbogen darauf, und entledigte sich der Panzerhandschuhe.

„Was tut er da?“, fragte leise einer der Söldner ein gutes Dutzend Schritte hinter ihm. Sie waren ein reichlich zerzauster Haufen, die Gesichter schmutzig und unrasiert, Rüstungen und Kettenhemden blind und ohne jeden einstigen Glanz, die Kleidung fleckig und zerrissen. Und nun standen sie im letzten Licht des Tages etwas ratlos auf der Straße von Valenca nach Wilsemund, und wunderten sich, warum der Condottiere hatte halten lassen. Der Condottiere, der in den vergangenen Tagen ein erbarmungsloses Tempo vorgegeben hatte, das nicht nur ihr Äußeres mitgenommen hatte.

„Es ist beinahe fünf Götterläufe her.“, antwortete Anzures Ballan mit gleichfalls gesenkter Stimme. Und als die Mercenarios ihn verständnislos anblickten, drehte er sich um, und bedeutete ihnen, sich zusammen mit ihm noch ein wenig mehr zu entfernen. In den letzten vier Tagen war die Gruppe eng zusammen gerückt, und das lag nicht nur daran, dass man sich oft genug des Nachts aneinander gekauert, die Umhänge und Mäntel über die Körper geworfen, gemeinsam Nässe und Kälte getrotzt hatte. Nicht nur die Aussicht auf Gold, sondern auch das Versprechen des Condottieres, sie auch nach dieser Geschichte in seinen Diensten zu behalten, hatte die Landsknechte motiviert, den anstrengenden Marsch durch zu halten. Denn nicht nur hatten sie einen weiten Bogen geschlagen – der womöglich weiter ausgefallen war als gedacht, denn sie hatten keine Karte, und der Aranjuezer führte sie lediglich anhand seines Gedächtnisses – hatten Straßen und Wege gemieden, und sich stattdessen querfeldein und durchs Unterholz geschlagen, hatten jeden Bachlauf genutzt um es auf Kosten nasser Stiefel etwaigen Verfolgern zu erschweren ihren Spuren zu folgen, sondern hatten auch jede menschliche Ansiedlung umgangen, sodass sie seit Tagen nur jeweils ein paar Stunden auf kalter Erde geschlafen hatten, ohne Feuer selbstverständlich, und als Rationen nur Dörrfleisch, trockenes Brot und harten Käse.

Einmal, am zweiten Abend, waren sie noch gerade rechtzeitig in den Büschen verschwunden, als sie einen Weg queren wollten, und plötzlich aus einer verborgenen Senke eine Gruppe Reiter auftauchte. Um wen es sich dabei handelte, blieb freilich unklar, denn im Dunkel der Nacht waren alle Banner schwarz. Auch dass man ihnen das Waisenmädchen aufs Auge gedrückt hatte, schien die rauen Söldner nicht unbedingt zu erfreuen, wechselte es sich doch reihum ab, wer die Kleine tragen musste. Immerhin war das Kind still, was freilich weniger der Klugheit geschuldet schien, als dem Trauma des Ferkinaüberfalls auf ihr Heimatdorf. Wahrscheinlich hatte der Schrecken für sie noch gar kein Ende gefunden, und nachdem sie wohl kaum verstand, was hier eigentlich vor sich ging, war die Flucht für sie wohl nur ein weiterer Teil eines grässlichen Alptraumes, aus welchem sie einfach nicht erwachte.

An sich war man sich ja einig gewesen, dass man die Kleine alsbald bei einer Bauernfamilie absetzen sollte, sei es um sie in deren Obhut zugeben, oder sei es, um sie später wieder abzuholen. Doch hatte der Baron von Dubios nachdrücklich verboten hatte, im Einflussbereich der Elenterin irgendeinem Dorf zu nahe zu kommen. Und selbst als ein verwitterter Grenzstein anzeigte, dass sie sich nunmehr in Falado befanden, hatte er nur abgewunken. „Weil ich dem Rabenfelser nicht über den Weg traue. Seit Götterläufen hat man nichts mehr von ihm gehört…“, hatte Hernán von Aranjuez seinen Begleitern erklärt.

„Nun ja, wir waren auch seit Götterläufen im Yaquirbruch, also kein Wunder!“, hatte ihn Anzures unterbrochen, wobei der Baron dennoch ungerührt fortfuhr: „…und ich habe nicht vergessen, wie er sich damals in Omlad bei Nacht und Nebel aus dem Staub gemacht hat.“

„Aber er kehrte doch in höchster Not zurück. Ohne den Entsatz wäre San Telo an jenem Tage gewiss gefallen.“, wandte der schon die Trugbilder von all den schönen Valencanerinnen davon fliegen Sehende schwach ein. „Ja, weil es ihm in den Kram passte. Hätte es ihm nicht in den Kram gepasst, hätten unsere Hälse alsbald unsere Häupter vermisst, oder wir wären in Omlad verfault. Nein, dem trau‘ ich für keine drei Silberlinge mehr. Außerdem, wenn die Elenterin einen solch dreisten Überfall durchführt, könnte der gute Bernfried auf denselben Gedanken kommen, wenn sein Nachbar in solcher Weise bei ihm auftaucht. Womöglich wird dann niemand jemals etwas von unserem und der anderen Schicksal erfahren. Nein, nein, wir werden Valenca umgehen. Ach ja…“, hatte der Aranjuezer inne gehalten. „Du bist dran.“ Damit hatte er das kleine Mädchen auf die Schulter des anderes gehoben, klopfte ihm auf die freie, und stapfte weiter. Ob es nun die plötzliche Last war, oder die Aussicht noch längere Zeit jedweder Zivilisation entbehren zu müssen, Anzures Ballan hatte das nächste Wassermaß geschwiegen.

Der Verdruss, den seine Entscheidung auch das manche Bequemlichkeit versprechende Valenca zu umgehen bei seinen Leuten ausgelöst hatte, war dem Condottiere freilich nicht entgangen, und so kam es zu seinem Versprechen, sie alle in Dienst zu nehmen, wenn diese Sache nur einmal überstanden sei. Auch hatte er es sich zur Angewohnheit gemacht, jede Nacht einem der Wachenden Gesellschaft zu leisten, hatte sich ihre Geschichten angehört und über ihre derben Scherze gelacht. Nun, zumindest leise, denn auch wenn sie fernab von Weg und Steg im Unterholz ihr Lager aufgeschlagen hatten, wagte niemand allzu laute Geräusche zu machen.

Meistens hatte er die Unterhaltung damit begonnen, die überlebenden Mercenarios zu fragen, wo und unter wem sie bereits gekämpft hatten. „Unter Dom Vigo hauptsächlich.“, hatte beispielsweise Ferio, der Älteste geantwortet. „Dann sollt‘ ich abmustern; auf‘n Feldern arbeiten, bis wir wieder zu Fahne und Trommel gerufen wer‘n. Is‘ sicher kein schlechtes Arrangement, so bleibt man wenigstens in Lohn und Brot. Aber diese Hände…“, hatte er grinsend seine acht Finger hoch gehoben, denn an der rechten Hand fehlte die beiden äußeren, „…wurden gemacht um Hälse durchzuschneiden und Bäuche aufzuschlitzen, und nich‘ für die Arbeit auf dem Felde. Also hab‘ ich mich halt so durchgeschlagen, mehr schlecht als recht.“

„Wo?“, war die knappe Frage des Condottiere gewesen, derweil auch er die freilich noch vollständige Rechte hob, und die Finger bewegte.

Silkwiesen, wenn’s beliebt. So’n verdammter Schwarzpelz wollt‘ mir mit seiner hässlichen Klinge den Schädel spalten. Hab‘ gerade noch den Pikenschaft hochbekommen, aber hat die Hand erwischt. Is‘ ihm aber nich‘ gut bekommen.“, hatte der Vereran zur Antwort gegrinst, woraufhin sein neuer Dienstherr lediglich mit „Mala suerte.“ geantwortet hatte.

„Mala suerte.“, wiederholte auch Ferio ohne großes Bedauern, um dann das wettergegerbte Gesicht zu einem schiefen Grinsen zu verziehen: „Immerhin zwei Fingernägel weniger, die man schneiden muss.“ Beide hatten gelacht, und sich bei alten Geschichten über Dom Vigo, unter welchem auch Hernán von Aranjuez vor Gareth gefochten hatte, einen Schlauch mit saurem Wein versetztes Wasser geteilt.

So hatte es der Moral auch keinen Abbruch getan, als der Condottiere schließlich verkündet hatte, dass er nicht gedachte, das Kind noch irgendwo auf dem Rest des Weges unterzubringen. Stattdessen würde sie erst einmal auf dem Junkergut bleiben, welches zu diesem Zeitpunkt nicht mehr allzu fern war. Und so hatten sie sich dann am frühen Abend der Straße von Valenca gen Wilsemund von Süden her genähert, denn diese bildete die Basis des in etwa einem Dreieck gleichenden Junkergutes im Nordosten der Mark Ragathsquell.

„Vor beinahe fünf Götterläufen, im Efferd des Jahrens 1028 nach Bosparans Fall, als uns die Kunde erreichte, Answin von Rabenmund sei zurück gekehrt. Der Capitán hat keinen Augenblick gezögert, und als wir machten uns mit Schwert und Schild und zwei Packpferden voller Proviant auf den Weg. Nicht nach Punin und Omlad, wie er verbreiten ließ, sondern wir bogen bei Wilsemund gen Norden ab. Nun, der Rest ist bekannt…“, zuckte Anzures Ballan mit den Schultern. „Das Jahr des Feuers, Answins Untergang und so weiter. Hernach wagten wir uns freilich nicht mehr hierher zurück, auch wenn man soweit ich weiß nie offiziell Anklage erhoben hat. Stattdessen gingen wir in den Yaquirbruch, wo ein Mann im anbrechenden Krieg der Drachen sein Glück machen konnte, wenn er nur tüchtig mit seinem Schwert drein zu schlagen verstand. Und nun sind wir seit Beginn des Jahres wieder hier, wobei uns unser Weg direkt zur Landständeversammlung führte, und den Rest kennt ihr ja.“

Mehr als vier Jahre. Nein, beinahe fünf., korrigierte sich Hernán von Aranjuez in Gedanken, während seine bloßen Hände in die Erde griffen. Eine Handvoll Dreck und Staub, und doch. Heimat. Bedächtig zerrieb er die Erde zwischen den Handflächen, hielt sie sich vors Gesicht und atmete tief den Geruch ein. Der Geruch unterschied sich nicht wesentlich von dem, den eine Handvoll Dreck und Staub aus Garetien oder dem Regengebirge gehabt hätte, aus dem Balash oder aus Unter-Yaquirien, aus Süd-Almada, dem Darpatischen oder Greifenfurtschen, aus dem Yaquirbruch oder wo auch immer sonst ihn das Kriegshandwerk hingeführt hatte. Und doch. Heimat.

Mühsam erhob er sich der Aranjuezer, und auf einmal spürte er die Strapazen der vergangenen Tage mehr denn je. Knochen, Muskeln und Sehnen schmerzten nicht erst seit eben, doch nun ergriff eine bleierne Müdigkeit Besitz von Körper und Geist. Für einen Augenblick schloss er die Augen, und stellte sich vor, wie es sein würde, nach Hause zu kommen. Die Abzweigung von der Straße, an welcher er jetzt stand, die letzten Meilen flankiert von hohen Zypressen, und am Ende des schnurgeraden Weges in einer Insel von Grün inmitten der nur gelegentlich von Obsthainen und Baumgruppen durchbrochenen Felder, das Junkergut Aranjuez. Vielmehr das Herz desselben, ein uralter tulamidischer Bau, den schon das Rittergeschlecht Colonna sein Eigen nannte, ehe die frischgebackenen Junker jenes Gebäude um einen größeren, im eslamidischen Stil gehaltenen Trakt erweiterten, und überhaupt ständig irgendwo angebaut worden war, mal im gerade vorherrschenden Stil, mal je nach Geschmack und Präferenz der Bauherren, sodass der Gutshof, teilweise gar auf verschieden Höhenstufen gelegen, jedoch von außen ob der Gärten und Haine kaum zu überblicken, sich einem Fremden wie ein verwirrendes Labyrinth aus unterschiedlichen Epochen präsentierte. Sachte breitete sich ein Lächeln auf seinen stoppelig-schmutzigen Wangen aus.

„…gedenke solange zu baden, bis mir Schwimmhäute zwischen den Fingern wachsen..“, verkündete soeben lautstark Anzures hinter ihm „So viel Wein zu trinken, bis man mich nicht mehr von einem Fass unterscheiden kann, und mindestens einen Ochsen zu verschlingen. Am besten gestohlen von Weiden unserer lieben Freundin Domna Radia, oder noch besser von denen Domna Praiosmins…“

"Nein.", verschwand das Lächeln plötzlich vom Antlitz des Aranjuezers. „Domna Praiosmin von Elenta würde sich glücklich schätzen, wenn sie nur eines Rindvieches verlustig ginge, das schwöre ich bei dieser heiligen Erde.“ Er griff nach seinen Handschuhen, erhob sich, und ging ohne ein weiteres Wort los, und so bogen sie kein Wassermaß später auf jenes letzte Wegstück ein.




Chronik:1033
Der Ferkina-Feldzug
Teil 01