Chronik.Ereignis1033 Streit ums Taubental 47: Unterschied zwischen den Versionen

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<center><big><big>'''''Der Orondinische Dreikampf</big></big><br><br>
<center><big><big>'''''Der Orondinische Dreikampf</big></big><br><br>


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''Wie sich Domna Siona und Domna Yppolita auf die Suche nach dem verschollenen Dom Amaros machten. Wie sie stattdessen dessen kleingewachsenen Häschern in die Arme liefen. Wie sie durch verwinkelte Wortkunst die Zwerge passierten. Wie sie kurz darauf Dom Amaros und dessen Retter fanden und beschlossen, gemeinsam nach Santa Catalina umzukehren. Wie Dom Rondrigo de Braast die Zwerge der Aurixim-Sippe zum Orondinischen Dreikampf forderte. Wie Domna Yppolita sich im Wetttrinken maß. Wie Dom Rondrigo almadanische Reitkunst vorführte. Wie Dom Amaros unter Beweis stellte, dass Logik keiner Zahlen bedarf.</center><br>


==[[Baronie Taubental]], 4. Travia [[Annalen:1033|1033]] BF==
==[[Baronie Taubental]], 4. Travia [[Annalen:1033|1033]] BF==
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Der silberbärtige Argmoschix Sohn des Aurix hakte die Daumen in den Gürtel und zog höchst erstaunt die silbernen Brauen in die Höhe. „Bei Angroschs ehernen Zehennägeln! Ihr schon wieder!“, richtete er Stimme und Blick auf Domna Yppolita. „Wir sprachen gerade über Euch. Wer Ihr wirklich seid und ob Ihr wirklich in des jungen Remigius’ Auftrag nach Orondo fahren wolltet. Ist denn das der Verräter, den Ihr suchtet?“ Er nickte mit dem Kopf in Richtung Dom Rondrigos.
Der silberbärtige Argmoschix Sohn des Aurix hakte die Daumen in den Gürtel und zog höchst erstaunt die silbernen Brauen in die Höhe. „Bei Angroschs ehernen Zehennägeln! Ihr schon wieder!“, richtete er Stimme und Blick auf Domna Yppolita. „Wir sprachen gerade über Euch. Wer Ihr wirklich seid und ob Ihr wirklich in des jungen Remigius’ Auftrag nach Orondo fahren wolltet. Ist denn das der Verräter, den Ihr suchtet?“ Er nickte mit dem Kopf in Richtung Dom Rondrigos.
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'''Autor:''' [[Benutzer:Dom Gualdo|dalias]]
Domna Yppolita di Dalias y las Dardas schüttelte ihr Haupt so energisch, dass ihre dunklen Locken durch die Luft wirbelten. Allen Stolz, den sie besaß und aufbieten konnte, legte sie in ihre Worte: „Fortombla hortomosch!<ref>Rog.: „Friede und Wohlstand!“</ref> Dies ist der ehrenfeste, strenge und wohlgeborene Dom Rondrigo de Braast auf Deokrath, ein aufrechter Freund des Volks der Angroschim. Er begehrt auf diesem Weg nach Santa Catalina im Taubentale zu ziehen. Und wir, die wohlgeborene Domna Siona von Lindholz und ich, genießen seinen Schutz und sein Geleit. Felsenfester und ehwürdiger Dom Argmoschix, Herr unter Aurom-Dûm, wir ersuchen Euch und die Eurigen, uns und den Unsrigen die Passage nach Santa Catalina nicht zu verlegen. Es ist Streit, Zwietracht und Verwirrung unter den Xomaschim im Taubentale. Meine Begleiter und ich, wir bedauern es im höchsten Maße, dass Ihr, stolze Angroschim von Aurom-Dûm, von den Wirrnissen unter den Menschen turbiert und molestiert wurdet; woran ich nicht geringe Schuld und Ursache trage. Doch all dies diente nur dem einen Zweck, das Leben von Xomaschim zu retten. Wer auch immer Herr im Taubentale und in den angrenzenden Tälern und Gemarkungen werden wird, wird Euch, felsenfester Dom Argmoschix, und die Eurigen im Besonderen zu bedenken haben. Wir bitten Euch, gebt den Weg frei!“
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'''Autor:''' [[Benutzer:León de Vivar|vivar]]
Der Silberbart runzelte die Stirn in einer Weise, die Domna Yppolita angesichts seiner Falten nicht für möglich gehalten hätte. „Ihr redet viel und winkelhaft<ref>Verwinkelte Sprache gilt unter Erzzwergen des Eisenwalds als tugendhafte Kunst.</ref>, Domna, doch Eure Winkel sind keine rechten Winkel. Mit Euren Worten baut Ihr einen schiefen Turm, der unter Euch einstürzen wird. Vor wenigen Herzschlägen noch wart Ihr im Auftrage des jungen Remigius unterwegs, der den Baronsstuhl errungen haben soll, einen Verräter zu fangen, und nun wisst Ihr nicht mehr, wer Herr im Taubental werden wird!“
Er schüttelte den Kopf. „Nein, wir werden Euch nicht passieren lassen, Domna, bis wir nicht ''genau'' verstehen, was Euer Begehr ist.“
Wie um zu unterstreichen, dass eine erzzwergische Genauigkeitsprüfung mit gerade zu heiligem Ernst vor sich zu gehen hatte, griffen seine Brüder wieder zu ihren Beilen und stellten sich quer über den Weg auf.
„Dafür, Dom Argmoschix, ist keine Zeit!“, mischte sich der Braaster ein.
„Für eine ordentliche Analyse sollte immer Zeit sein. Sonst werden die Dinge ''schlampig'' gemacht und das missfällt dem Weltenmechanikus.“
Dom Rondrigo drängte sein Ross an den Zwerg heran. „Und ich sage Euch, Dom Argmoschix, dass dafür keine Zeit ist und dass wir ''jetzt'' an Euch vorbei müssen.“
„Eure Hast könnte Euer Schaden sein. Wie wollt Ihr an uns vorbeikommen?“, brummte Väterchen Argmoschix mit beunruhigender Gelassenheit und wies auf die Beile seiner Brüder.
„Indem ich, Rondrigo de Braast, seit jeher Descendiente, Euch, Argmoschix Sohn des Aurix, aus der Sippe der Aurixim, Euch hier und heut zum ''Orondinischen Dreikampf'' herausfordere.“
Verwunderung breitete sich auf den Gesichtern der Angroschim aus. Aufgeregt wollten sie sich wieder zu einem brummelnden Beratungskreis formieren, doch der Braaster rief: „Was ist, Dom Argmoschix? Nehmt Ihr die Herausforderung an? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!“
Der alte Zwerg kniff ärgerlich die Lippen zusammen. Dann sprach er: „Für einen Großling habt Ihr eine hervorragende Kenntnis der Bräuche des Tosch Mur, Dom Rondrigo. Nicht mal die jüngeren meiner Brüder wissen vom Orondinischen Dreikampf, zu dem Descendientes die Aurixim herausfordern dürfen. Ob Ihr aber wirklich wisst, auf was Ihr Euch da einlasst, wird sich noch zeigen. Ich nehme Eure Herausforderung an.“
Er hob die Stimme und rezitierte ernst: „Den Dreikampf gewinnt, wer in zwei von drei Proben den Sieg davon trägt. Gewinnt der Forderer, so darf er seines Weges ziehen. Gewinnt der Geforderte, so muss der Forderer sein Pferd wenden und umkehren. Für zwei Proben darf der Forderer einen Stellvertreter benennen, eine aber muss er selbst bestreiten. Wie es Brauch ist, wird die erste Probe vom Geforderten bestimmt, die zweite vom Forderer und die dritte wieder vom Geforderten. Habt Ihr verstanden?“
Dom Rondrigo nickte. „Was ist die erste Probe?“
„Die erste Probe“, verkündete Argmoschix Sohn des Aurix nach kurzem Nachdenken, „soll der ''Baromdrasch'' sein.“
„Der... Bierschacht?“, übersetzte Dom Rondrigo zweifelnd.
„So ist es. Es gilt, innerhalb eines Viertel Stundenglases sechs ''Baroscht'' Gebrautes zu leeren und danach einen ''Drasch'' weit in gerader Linie zu laufen. Wer als erster den ''Drasch'' gelaufen ist, hat gewonnen.“
Während Argmoschix sich seinen Brüdern zuwandte, um zu bestimmen, wer von ihnen die Probe ausüben würde (und wessen Wegbierfässchen geopfert dafür werden würde), drehte sich der Braaster zu seinen Begleiterinnen um und sah fragend in die Runde. „Habt Ihr verstanden, Domnas? Es gilt, sechs Schank Zwergenbier hinunterzustürzen und danach einen Schacht, also etwa sieben Schritt weit zu laufen. Das sollte nicht allzu schwer sein. Ich könnte diese Aufgabe selbst übernehmen – doch da wir uns soeben erst begegnet sind, kenne ich Eure Trinkfestigkeit nicht, welche die meine übertreffen könnte.“
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'''Autor:''' [[Benutzer:Dom Gualdo|dalias]]
„Sechs Schank Zwergenbier, Dom Rondrigo. Nun, wenn das alles ist! Das stillt meinen Durst zwar nicht ansatzweise, aber diesen Fingerhut voll Zwergenbier will ich mir doch nicht entgehen lassen.“ Mit diesen Worten schwang sich Yppolita di Dalias y las Dardas aus dem Sattel und schritt leicht hinkend zu Argmoschix Sohn des Aurix, der gerade Olgrux Sohn des Olgrak und seinen Bruder Olgram beaufsichtigte, die mit großer Sorgfalt vier mal sechs ''Dromim'' abmaßen.
„Felsenfester Dom Argmoschix, ich vertrete den Descendiente Dom Rondrigo in diesem Wettkampf. Und ich will einen der Eurigen zu einem Baromdrasch fordern“, kündigte Yppolita dem alten und ehrwürdigen Angroscho mit lauter Stimme an.
Geringschätzig blickte Argmoschix die Großlingsfrau schräg von der Seite an, brummte einige Worte auf Rogolan zu vieren seiner Brüder und vermeldete den Herausforderern daraufhin, wer die Aurixim in diesem Trinkduell vertreten werde: „[[Andrix Sohn des Amgatix]], guter Bruder, tritt hervor!“ Aus der Gruppe der Zwerge löste sich ein auch für Zwergenmaß recht kleingewachsener Angroscho, mit buschigen silbergrauen Augenbrauen und vollem dunklen Bart, der bis auf die beachtliche Leibesmitte des Zwerges herabhing.
Während Caballera Yppolita und Andrix der Zwerg ihre Gürtel und Wehrgehänge ablegten und sich vor der abgemessenen Strecke eines Drasch aufstellten, hielt je ein Angroscho einen Humpen, in welche andere Zwerge kostbaren Gerstensaft aus den Reisefässchen gossen. Nachdem diese Humpfen voll waren, griffen die Angroschim zu den nächsten Humpen, die jeder einzelne von ihnen mit sich führte. Die Angroschim schienen mit diesem Treiben nicht aufhören zu wollen. Als insgesamt schon sechs Krüge voll waren und die Zwerge immer noch keine Anstalten machten, mit dem Einschenken aufzuhören, blickte sich Yppolita hilfesuchend zu ihren Gefährten, zu Dom Rondrigo und Domna Siona um, die ebenfalls fassungslos mitverfolgten, wie die Zwerge Schank um Schank Bier in die Humpen füllten.
„Aber das sind doch nun gut und gerne sechs Schank, wenn nicht sogar schon zehn nach [[avwik:Rohal der Weise|Rohal Weisebart]]!“, empörte sich Yppolita an Argmoschix gewandt.
„Nein, nein“, erklärte ihr dieser mit erhobenem Zeigefinger und ernster Miene, „sechs ''Baroschtim'', nicht sechs Rohalsche Schank. Das sind recht genau vier mal und ein Zwanzigstel soviel wie ein Rohalscher Schank, Domna. Dies ist schließlich eine ernsthafte Prüfung Eurer Standhaftigkeit. Ihr einfältigen Xomaschim, Ihr handelt und redet so schnell – nie habt Ihr wirklich analysiert, ergründet und verstanden, worauf Ihr Euch einlasst, bevor Ihr es tut. Ihr seid allesamt so jung und unerfahren. Doch dabei seid Ihr doch nur ''rogelin rogela''.“<ref>Rog.: „Aufschneider“ oder „Prahl-Alrik“.</ref>
Mit jedem zusätzlichen Schank und jedem zusätzlichen Krug sank Yppolitas Mut, sich hier zu bewähren, ein Stück weiter. Kurz blickte sie gen Himmel und bat San Valpo um seine Fürsprache und Hilfe.
Endlich hatten die Angroschim ein Einsehen und beendeten das Einfüllen von Bier. Insgesamt zwölf Humpen waren nun zum Überlaufen voll. Mit entschlossenen Gesichtern reichten die Angroschim den beiden Combattanten jeweils den ersten Krug mit je vier rohalschen Schank oder einem ''Baroscht'', wie die Zwerge messen und zählen. Mit ihrer rechten Pranke packte Domna Yppolita ihren Humpen, hielt ihn mit ausgestrecktem Arm und grüßte damit ihre Gefährten, Argmoschix und ihren Gegner Andrix Sohn des Agmatix. Mit großväterlichem Nicken und Zucken der silbergrauen Augenbrauen erwiderte Andrix ihren Gruß. Die beiden Humpen stießen aneinander, etwas Gerstenbräu schwappte über, floss die Humpen hinab.
Andrix und Yppolita setzten ihre Humpen an und warteten auf ein Zeichen von Argmoschix, neben den sich Dom Rondrigo mit verschränkten Armen gestellt hatte. Amaros von Lindholz war an das Ende des Drasch getreten. Mit gedrückten Daumen und zusammengekniffenen Augen bat er um göttlichen Beistand. Auch Domna Siona war – ganz entgegen alter Lindholzer Haustradition – vernehmbar auf Seiten der Daliaser Caballera.
Doch Caballera Yppolita hatte nur noch Augen für diesen Ocean an Bier, der in sechs vollen Krügen auf sie wartete. Mit müden Augen suchte sie im ersten Humpen vergeblich den Grund und Boden. Ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit überkam sie.
„Baroschem!“<ref>Rog.: „Prost!“ oder „Ein Hoch auf das Gebraute!“</ref>, schmetterte Argmoschix in die Runde und gab damit das Zeichen, dass der Wettkampf zwischen der Yaquirtalerin und dem Angroscho beginnen sollte.
Mit gleichmäßig großen Zügen ließ Andrix Sohn des Amgatix das Bier in seinen Schlund stürzen. Sein Haupt verschwand ganz hinter dem Humpen. Kein Tropfen trat an den Mundwinkeln hervor. Nach kaum einem Schank mittelreichischen Maßes setzte Yppolita ab und blickte kurz zu ihrem Widersacher, in dessen Rachen – wie in einem Katarakt – das Nass hinabfloss. Die Anfeuerungsrufe der Braaster Mercenarios und das monotone Brummen der Zwerge nahm Yppolita nicht mehr wahr. Rasch kam das Gefühl auf im Hintertreffen zu sein. Kaum hatte Yppolita wieder angesetzt, griff Andrix schon zum zweiten Humpen.
Mit mechanischer Gleichmäßigkeit ließ Andrix das Bier in sich strömen. Der Zwerg war ganz in seinem Element. Yppolita dagegen kämpfte verbissen. Sie wollte nicht aufgeben. Beim dritten Krug hatte Yppolita das Gefühl, vorne zu liegen, zumindest zu Andrix aufgeschlossen zu haben. Yppolita setzte ab, der dritte Krug war zur Neige gegangen. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie er völlig ungerührt und ohne auf seine Gegnerin zu achten, den dritten Krug beiseite stellte und den vierten Krug gereicht bekam. Sie waren tatsächlich gleich auf.
Beherzt griff Yppolita zu ihrem vierten Krug. Sie fühlte, wie der Gerstensaft in sie schwappte. In großen und hastigen Zügen trank sie. Ihre Schlücke wurden größer und größer, gieriger. Prustend drehte sie unvermittelt ihren Kopf beiseite. Sie hatte sich verschluckt. Hustend spie die Yaquirtalerin etwas Bier auf den Waldweg und ihr verdrecktes Wams. Sie schnappte nach Luft. Ohne auf sie zu achten, griff Andrix zu seinem fünften Krug. Angewidert trank Yppolita den vierten Krug aus. Sie zwang das Bier in sich. Aufstoßend griff sie schließlich zum fünften Humpen. Der Gerstensaft widerte sie nur noch an. Die Lage war aussichtslos. Sie drehte sich leicht in Richtung ihres Widerparts und sah Andrix zu seinem letzten Krug greifen. Die Trinkfestigkeit und ungerührte, nichts verschüttende Gleichmäßigkeit dieses Angroscho war in der Tat ein großes Werk des Weltenmechanicus: Eine Maschine, die gefertigt war, um Gerstensaft mit großer Gleichmütigkeit und der Präzision eines Uhrwerks zu trinken.   
Yppolita gab sich geschlagen. Gerade als sie zu ihrem letzten Krug griff, hatte Andrix seinen letzten Humpen mit einem letzten großen Zug geleert. Mit seinen kurzen Zwergenbeinen trippelte Andrix in recht gerader Linie die Strecke des Drasch entlang zum Ziel. Als Andrix mit hochgereckten Armen die Ziellinie überquert hatte, warf Yppolita erst den letzten leeren Krug von sich und setzte ihren Fuß auf die Strecke des Drasch. Ihr rechtes Knie pulsierte vor Schmerz. Ihre Beine zitterten vor Erschöpfung. Ihr Kopf brummte. Die Niederlage schmeckte noch herber als das Zwergenbräu. Den Kopf zwischen ihren Schultern hängen lassend besann sie sich zumindest als gute Verliererin zu handeln: Anerkennend klopfte sie auf die Schulter des Siegers im Baromdrasch. Andrix nickte ihr kurz zu und brummte ein paar Silben in seiner Sprache. Sie konnte und wollte nichts verstehen. Nun lag die Hoffnung, die Reise nach Santa Catalina diesen Morgen noch fortsetzen zu können, auf anderen Schultern.
Erschöpft ließ sich Yppolita ins feuchte Gras sinken.
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'''Autor:''' [[Benutzer:León de Vivar|vivar]]
Argmoschix Sohn des Aurix blickte auf sie herab. Mitleid und Verächtlichkeit hielten sich in seinem faltigen Gesicht die Waage. Dann blickte er zu Dom Rondrigo hinauf. „Die erste Probe habt Ihr nicht bestanden, Descendiente. Was soll die zweite sein?“ Nach einer kurzen Pause fügte er mit offensichtlicher Häme hinzu: „Lasst Euch Zeit. Davon haben wir genug.“
Dom Rondrigo ballte die Fäuste. Dann jedoch leuchtete sein Gesicht auf. Suchend blickte er sich um. Schließlich sprach er zu dem Angroscho: „Um Zeit soll es in der zweiten Probe gehen. Seht Ihr die umgefallene Zeder dort oben?“ Er deutete auf einen Baum, der wohl in einer halben Meile Entfernung einsam in den sanften Hügeln lag und an fröhlicheren Tagen den Hirten zum Verweilen diente. „Es wäre wohl ungerecht, Euch zum Wettlauf aufzufordern. Daher fordere ich Euch zum Pferderennen auf. Wer als erster mit dem Ross über die Zeder gesprungen ist, soll die Probe gewonnen haben.“
Argmoschix verzog das Gesicht. „Aber wir haben keine Pferde!“
„Oh, das macht nichts, Väterchen“, lächelte der Braaster gönnerhaft. „Wir hatten schließlich auch keine Humpen und kein Bier. Selbstverständlich leihe ich Euch eines meiner Pferde. Morena!“ Er winkte einer der Grenzerinnen, welche daraufhin von ihrer Stute absprang und sie heranführte. Mit einer Verneigung hielt sie dem Zwerg die Zügel hin.
Dieser zuckte unwillkürlich vor dem großen Tier zurück in den Schutz seiner Brüder. Unter Brummeln und Knirschen entschieden diese, wer die Reitprobe vollführen sollte. Schließlich fiel das Los auf Olgrux Sohn des Olgrak, welcher missmutig dreinblickte und mehr von hinten nach vorne geschoben wurde, als dass er freiwillig ging.
Reichlich umständlich und mit Hilfe seines Bruders, der ihn von hinten hochdrückte erklomm der Zwerg den Pferderücken. „Rahjaseidank ist die Stute zahm wie ein Lämmchen, nicht wahr, Morena?“, grinste Dom Rondrigo. Er saß längst wieder im Sattel und ließ sein Ross im [[Almadaner Schritt]] im Kreise gehen.
Dieses Mal war es Domna Siona, die mit einem „Vivat Almada!“ das Zeichen zum Beginn gab. Doch die Probe war für Olgruk verloren, noch ehe sie recht begonnen hatte. Während der Zwerg – zur Belustigung der Adligen – noch versuchte, die zahme Stute mit seinen kurzen Beinen und heftigem Zügelrucken in Bewegung zu setzen, war Dom Rondrigo bereits auf halbem Wege den Hügel hinauf geritten. Und als Olgruk schließlich holterdipolter lostrabte, sprang Dom Rondrigos Ross gerade leichtfüßig über das Hindernis. Auf seinem Rückweg ergriff der Braaster schließlich die Zügel von Olrgruks Pferd und führte es wieder zu den Wartenden zurück.
Grimmig sah Argmoschix zu, wie Olgruk vom Pferd geholfen wurde. „Niemand sollte sich so weit vom Boden entfernen. Das ist... ungesund. Nun aber zur dritten und letzten Probe in der ich selbst antreten werde. Der Geforderte wird dem Forderer eine Rechenaufgabe stellen, die dieser in der Zeit lösen muss, welche der kleinste Zeiger meiner Uhr braucht, um zwei mal seinen Kreis zu ziehen.“ Er kramte in seinen Rocktaschen und holte ein Ei aus lauterem Gold hervor. Als er es berührte, sprang es mit einem Klicken auf und gab den Blick auf ein goldenes Ziffernblatt frei, in dem sich drei Zeiger aus Silber bewegten. „Hat der Forderer die Aufgabe gelöst, so darf er dem Geforderten eine Aufgabe stellen und so fort. Wer als erster keine Lösung mehr findet, ehe die Zeit abgelaufen ist, der hat verloren. Wer tritt gegen mich an?“
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'''Autor:''' [[Benutzer:Lindholz|lindholz]]
Ohne lange zu zögern trat Amaros von Lindholz vor den Braaster hin und sprach: „Dom Rondrigo, lasst mich diese Aufgabe in Eurem Namen bewältigen.“
„Mein Sohn, du hast in dieser Nacht kaum Schlaf gefunden…“, setzte seine Mutter, Domna Siona, besorgt an, doch der junge Adept der arkanen Künste wischte den Einwand mit einer Geste beiseite.
„Mein Körper mag der Ruhe nicht abgeneigt sein, doch mein Geist sehnt sich nach einer Herausforderung!“ Auch wenn die Worte an seine Mutter gerichtet waren, ruhten seine Augen fest und entschlossen auf den Zügen des Edlen von Deokrath. Dieser erwiderte den Blick des blondschöpfigen Yaquirtalers. Sollte er ihr Vorankommen wirklich in diese jungen Hände legen? Zweifelsohne beinhaltete die Ausbildung an einer magischen Institution auch das Vermitteln höherer Rechenkunst, doch war es wirklich gesunde Selbsteinschätzung, die aus dem Lindholzer sprach, oder nur übermütiger Ehrgeiz? Mit einem Nicken gab der erfahrene Kämpe schließlich seine Zustimmung kund.
Nachdem die Entscheidung gefallen war, bildeten die Zuschauer einen mehrere Schritt durchmessenden Kreis um Amaros und Argmoschix Sohn des Aurix, dem Herrn von Aurom-Dûm. Ein älterer Zwerg namens Anderix Sohn des Argrix und Rondrigo de Braast blieben bei ihnen, um sicherzustellen, dass es zu keinerlei geflüsterter Hilfestellung kam, während das geistige Duell seinen Lauf nahm.
Die frühe Morgensonne warf lange Schatten auf den Boden und schnitt durch den klammen Nebel, der von den Ufern der Inoscha aufzuwallen trachtete. Amaros fröstelte. Während seiner Flucht durch das Unterholz des düsteren Bergwaldes war das vom Regen durchweichte Erdreich in das einfache Schuhwerk gequollen, welches er trug. Auch, wenn er bei Montevivar die gröbsten Spuren beseitigt hatte, so hatte das Leder doch die Feuchtigkeit begierig in sich aufgesogen und gab sie nun unbarmherzig wieder ab. Vermutlich würde seine Mutter wenig Mitleid mit ihm zeigen, so er die nächsten Tage elendig und fiebrig im Bett verbrächte. Sollte er in diesem Wettstreit unterliegen, so war es zudem gut möglich, dass jenes Bett in einer unterderischen und gut gesicherten Kammer in den Tiefen unter Orondo stand. Sich dessen gemahnend, schob der junge Illusionist den Gedanken an das Morgen weit von sich und konzentrierte sich ganz auf sein Gegenüber.
Argmoschix wirkte ruhig und gefasst. In seinem grauen Bart glimmten trotz seines Alters noch einige Strähnen eines warmen Kupfertons, der wohl einst sein Haar wie eine Flut geschmolzenen Metalls im Feuerschein erstrahlen ließ. Die Farbe erinnerte Amaros an das Fell eines alternden Fuchses und etwas in den turmalingrün schimmernden Augen, die ihn von unten her musterten, warnte ihn davor, seinen Gegner zu unterschätzen.
Die ersten Rechenaufgaben wurden ausgetauscht und ohne großes Zögern beantwortet. Beide Kontrahenten suchten offenbar, die Fähigkeiten der Gegenseite abzuschätzen. Schon sehr bald wurde dem jungen Adligen klar, dass er dem Angroscho mit einfachem Rechnen nicht würde beikommen können und so probierte er es stattdessen mit mathematischen Rätseln in Form kurzer Geschichten, wie man sie an der [[lfwiki:Akademie der Erscheinungen zu Grangor|Akademie zu Grangor]] zur Formung eines wachen Geistes auszutauschen pflegte.
Viele der Gedankenspiele schienen dem Anführer der Zwerge unbekannt und seine Stirn legte sich in Falten, zerfurcht und tief wie Gebirgsspalten. Dennoch fand sein wacher und findiger Geist stets zur rechten Zeit eine Lösung und beantwortete die Offensive des Yaquirtalers mit ähnlichen Denkaufgaben seines Volkes. Manche waren Amaros von Lindholz in ähnlicher Form bekannt und er nannte ohne Probleme die richtige Lösung, doch andere waren ihm neu und standen, geboren tief in den Knochen der Erde, an Raffinesse jenen in nichts nach, die man in den Elfenbeintürmen der hohen Schulen auf Pergament gebannt hatte.
Schon dauerte der Wettstreit länger, als die beiden vorigen zusammen. Die Praiosscheibe erhob sich als sichtbares Zeichen der verstreichenden Zeit von den Hängen der Berge, um ihren Weg über den Himmel anzutreten. Die Inoscha gluckste unbeschwert in ihrem steinigen Bett, während dem jungen Zauberer der Schweiß auf die Stirn trat. Viele mathematische Rätsel aus der Zeit seines Studiums blieben ihm nicht mehr und keines schien ihm geeignet, die Niederlage des Herrn von Aurom-Dûm einzuläuten. Das heitere Bächlein störte sich freilich wenig daran und verzweifelt irrte der Blick des Adligen über das glitzernde, schnell strömende Wasser. Da traf ihn ein Gedanke, als hätte die Göttin der Weisheit selbst ein Einsehen mit dem gemarterten Geist ihres unwürdigen sterblichen Verehrers. Dies war vielleicht seine letzte Chance!
„Als ich gestern Nacht vor dem Haus der Peraine in Orondo stand, Argmoschix Sohn des Aurix aus Aurix’ Sippe,“, erzählte Amaros von Lindholz mit klarer Stimme, „da nahm ich einen Kiesel vom Wege auf. Weiß war er und schimmernd im Licht des Mondes, wie ein gefallener Stern. Ein Glückstalisman sollte er mir sein und so steckte ich ihn in meine Rocktasche, hier an meiner Seite.“ Der Adlige klopfte sich als untermalende Geste mit der flachen Hand auf die Seite seines Oberschenkels. Neugierig wartete der Herr von Aurom-Dûm mit hoch gezogenen Augenbrauen ab, worauf diese Geschichte hinauslaufen sollte, während Amaros fortfuhr: „Nun trennen mich nur noch wenige Meilen von meinem Ziel, Santa Catalina, doch frage ich mich, ob jener Talisman wirklich dafür sorgte, dass Phexens Wohlwollen auf mir liegt, oder ob mich das Glück mit den ersten Strahlen der Sonne verließ. Sagt mir, Argmoschix Sohn des Aurix aus Aurix’ Sippe: So ich den direkten Weg zu Pferde nehme und der Kiesel meine Tasche nicht verlassen hat und dies auch nicht tun wird, bis ich die Häuser Santa Catalinas um mich sehe. Wie viele Stunden werden vergehen, bis er Santa Catalina erreicht?“
Verwirrt kräuselten sich die buschigen Augenbrauen des Errwerges, während er die Frage überdachte. Dann begann er zu schmunzeln: „Ihr wollt mich hinters Licht führen, Xomascho, denn selbst ich weiß nicht genau zu sagen, wie viele Stunden, Tage oder Wochen, wir Euch den Weg verwehren werden, solltet Ihr diesen Dreikampf verlieren. Würdet Ihr gewinnen, werdet Ihr wohl binnen einer Stunde in Santa Catalina sein, würde ich sagen, auch wenn ich mich mit diesen Geschöpfen kaum auskenne, an deren Rücken Ihr Menschen offenbar so gerne Eure Hintern reibt. Doch würde ich diese Antwort geben, würde ich mich selbst zur Niederlage zwingen, denn nur dann wäre meine Lösung richtig gewesen.“
„Also bleiben Eure Überlegungen ohne Resultat?“, fragte Amaros und begann zu lächeln.
„So schnell nicht, Jungchen!“, verkündete der Angroscho und er schmunzelte erneut, als das Grinsen im Gesicht seines Gegenübers in sich zusammenbrach. „In jedem Fall werdet Ihr innerhalb einer Stunde in Santa Catalina sein, sobald ich, der Herr von Aurom-Dûm, es erlaube. Dies soll also meine Antwort sein.“
Mit auf der Brust überkreuzten Armen stand der Erzzwerg, vor seinem jungen Kontrahenten, dessen Schultern und Kopf herabgesunken waren. Doch war er immer noch kleiner als der Mensch und so konnte er sehen, wie die Mundwinkel des Adligen nach oben zuckten, als die Worte verklungen waren und der Zeiger des goldenen Eis seine Runde zum zweiten Mal beendete.
Amaros hob den Kopf wieder und verkündete selbstbewusst: „Eure Antwort ist falsch, Argmoschix Sohn des Aurix aus Aurix Sippe. Keine einzige Stunde wird vergehen. Denn wie Euch die Caballera an unserer Seite bestätigen können wird, hat der Kiesel Santa Catalina schon lange erreicht.“
Yppolita di Dalias y las Dardas, deren Augen nur noch von Willenskraft und Anspannung offen gehalten wurden, schreckte auf, als ihr Name fiel.
„Wie Ihr alle seht, trage ich die Gewänder des Meisters der Ernte, der schon seit Jahren seinen Dienst in Eurem Orondo tut. Der Kiesel in der Tasche ''meiner'' Gewänder hat mit [[Perinyo Salpena]] den Tempel der Rahja im Herzen der Ortschaft Santa Catalina bereits vor Sonnenaufgang erreicht.“
Die Caballera nickte zur Bestätigung und gleich einem gebrochenen Damm schwemmten die Widerworte der Zwerge auf die Auswärtigen ein. Von Betrug war die Rede. Von Wortklauberei. Mit Rechnen hätte so etwas doch nun nichts mehr zu tun! Schon wurden die Anschuldigungen hitziger und schwielige, kräftige Hände irrten zu Waffen.
„GENUG!“ Wie das Grollen eines Feuerberges hallte die Stimme des Herrn von Aurom-Dûm über den Ort des Geschehens und seine funkelnden Augen hefteten sich auf Amaros von Lindholz, dessen selbstgefälliges Lächeln erneut verblasste.
„Ihr liebt Lüge und List zu sehr, Xomascho, und eines Tages werdet Ihr feststellen, dass sie auch ein Messer für Euren Rücken hinter ihrem freundlichen Lächeln verbergen“, belehrte der Angroschim seinen Gegenspieler ernst, „doch heute haben sie Euch zum Sieg geführt und ich muss eingestehen, dass ich eine wichtige Tatsache in meiner Rechnung unbeachtet ließ. Dies soll auch mir eine Lehre sein.“
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'''Autor:''' [[Benutzer:León de Vivar|vivar]]
Damit wandte sich der alte Silberbart seinen Brüdern zu und gab ihnen einen knirschend-brummeligen Befehl, der zur Folge hatte, dass die kleinen Leute, obschon ihre Mienen von großem Unmut über die Unverfrorenheit des Lindholzers kündeten, tatsächlich den Weg für die Reiter freigaben.
Triumphierend blickte Dom Rondrigo de Braast seine Begleiter an. „Wohlan, dies wäre vollbracht! Lasst uns nach Santa Catalina eilen! Mich brennt zu wissen, wie es um die Sache des guten León bestellt ist!“ Damit gab er seinem Ross die Sporen und führte die Gruppe an den Angroschim vorbei, die ihnen stumm hinterherstarrten.


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