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Aureolus kletterte auf den verwaisten Schreibtisch seines verstorbenen Großonkels [[Radmon von Elenta]] und schob das Bild des Götterfürsten an der rechten Wand beiseite. ''Praios omnia videt'' war das Gemälde des Sonnengottes sinnigerweise betitelt, das Alverans Herrscher als gekrönten Patriarchen zeigte, der mahnend den Zeigefinger erhoben hatte und auf dessen anderem Arm der goldene Falke [[avwik:Ucuri|Ucuri]] saß, der Götterbote. | Aureolus kletterte auf den verwaisten Schreibtisch seines verstorbenen Großonkels [[Radmon von Elenta]] und schob das Bild des Götterfürsten an der rechten Wand beiseite. ''Praios omnia videt'' war das Gemälde des Sonnengottes sinnigerweise betitelt, das Alverans Herrscher als gekrönten Patriarchen zeigte, der mahnend den Zeigefinger erhoben hatte und auf dessen anderem Arm der goldene Falke [[avwik:Ucuri|Ucuri]] saß, der Götterbote. | ||
Na, bei dem alten Radmon hatte der Götterfürst wohl mehr als ein Auge zugedrückt, dachte Aureolus, während er seine Nase an die vertäfelte Wand drückte, um durch die zwei kleinen Löcher zu spähen, die auf der anderen Seite der Wand in | Na, bei dem alten Radmon hatte der Götterfürst wohl mehr als ein Auge zugedrückt, dachte Aureolus, während er seine Nase an die vertäfelte Wand drückte, um durch die zwei kleinen Löcher zu spähen, die auf der anderen Seite der Wand in die blattgoldverzierte Holzvertäfelung des Speisezimmers mündeten. | ||
Dies waren nicht die einzigen Gucklöcher, durch die der alte Vogt | Dies waren nicht die einzigen Gucklöcher, durch die der alte Vogt - Praios wohl kaum zum Gefallen - seine Gäste hatte beobachten lassen. Viel pikanter waren jene, durch die man Einblick in die Schlafgemächer der Gäste erhalten konnte, und Aureolus konnte sich gut vorstellen, wie der alte Lustmolch, den er nie kennen gelernt hatte, seine Stilaugen nach den Damen verrenkte, die sich in aller Unschuld vor ihm entblößten. | ||
Die einzige Dame aber, nach deren Anblick Aureolus sich verzehrte, und die ebenso wenig ahnte wie die Gäste seines Großonkels, dass er mehr als einmal im Stillen ihre rahjageschaffene Schönheit bewundert hatte, jene Dame, die nur Dank seiner - vielleicht - noch ihre Unschuld besaß, diese Dame saß just, in ihrem Stande kaum angemessener Kleidung, seiner Mutter gegenüber auf einem samtbezogenen Kirschholzstuhl und ließ sich von einem Diener Wein nachgießen. | Die einzige Dame aber, nach deren Anblick Aureolus sich verzehrte, und die ebenso wenig ahnte wie die Gäste seines Großonkels, dass er mehr als einmal im Stillen ihre rahjageschaffene Schönheit bewundert hatte, jene Dame, die nur Dank seiner - vielleicht - noch ihre Unschuld besaß, diese Dame saß just, in ihrem Stande kaum angemessener Kleidung, seiner Mutter gegenüber auf einem samtbezogenen Kirschholzstuhl und ließ sich von einem Diener Wein nachgießen. | ||
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Ohne ein weiteres Wort der Erklärung rauschte Praiosmin aus dem Zimmer, die beiden verhängnisvollen Nachrichten in der Hand. Es scherte sie nicht, dass ihr alle verstört nachglotzten. Sie musste mit ihrem Sohn reden - jetzt gleich! | Ohne ein weiteres Wort der Erklärung rauschte Praiosmin aus dem Zimmer, die beiden verhängnisvollen Nachrichten in der Hand. Es scherte sie nicht, dass ihr alle verstört nachglotzten. Sie musste mit ihrem Sohn reden - jetzt gleich! | ||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Romina Alba|Romina Alba]] | |||
Zum ersten Mal in ihrem jungen Leben war sich Romina bewusst, wie gut es sich anfühlte, satt zu sein. Sie hatte fast andachtsmässig gegessen und nur mit halben Ohr der Vogtin zugehört, die fast unablässig geplappert hatte. Sie hatte sogar vergessen, weswegen sie sich hier eigentlich unwohl fühlen sollte. Jetzt kam das Gefühl des Unwohlseins mit ganzer Macht zurück. | |||
Als Praiosmin von Elenta nach Richeza fragte, tauschte die Grafentochter einen Blick mit dem ebenso schweisamen Dom Rondrigo, beide schienen nicht erpicht darauf, irgendetwas zu erzählen, beide schienen aber auch nicht lügen zu wollen. | |||
Romina holte gerade Luft, da las die Elenterin den zweiten Brief und wurde bleich. Verblüfft sahen die beiden Ragatier, wie die kaiserliche Vogtin die Contenance verlor und panisch den Raum verließ. | |||
Als sie draussen war, beugte Romina sich zu den Castellan und wisperte einige Worte. Der Veteran nickte und man war sich leise redend schnell einig, weder Richeza noch den Contottiere zu erwähnen und morgen früh beizeiten hier weg zu sein. | |||
Höflich, aber schweigsam wartete Dom Rondrigo, bis die Tochter seines Herrn ausgetrunken hatte, dann ließen sich beide zu ihren Gemächern führen. | |||
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Aureolus presste die Lippen aufeinander. Was auch immer an den Botschaften, die seine Mutter empfangen hatte, sie in Aufruhr versetzt hatte - niemals hätte sie derart ungestüm den Raum verlassen dürfen. Nicht nur, dass ihr unhöfliches Verhalten gegenüber ihren Gästen - gegenüber der Comtessa! - Aureolus sich für sie schämen ließ. Nein, es war äußerst unklug, sich seine Ängste derart anmerken zu lassen! Besser, er sah nach ihr, bevor sie Dummheiten beging. | Aureolus presste die Lippen aufeinander. Was auch immer an den Botschaften, die seine Mutter empfangen hatte, sie in Aufruhr versetzt hatte - niemals hätte sie derart ungestüm den Raum verlassen dürfen. Nicht nur, dass ihr unhöfliches Verhalten gegenüber ihren Gästen - gegenüber der Comtessa! - Aureolus sich für sie schämen ließ. Nein, es war äußerst unklug, sich seine Ängste derart anmerken zu lassen! Besser, er sah nach ihr, bevor sie Dummheiten beging. | ||
Der junge Zauberer warf einen letzten Blick auf die angebetete Grafentochter, dann hängte er das Bild wieder vor die Löcher in der Wand, stieg vom Schreibtisch und wischte mit dem Ärmel, um keine Spuren zu hinterlassen. | Der junge Zauberer warf einen letzten Blick auf die angebetete Grafentochter, dann hängte er das Bild wieder vor die Löcher in der Wand, stieg vom Schreibtisch und wischte mit dem Ärmel über die Platte, um keine Spuren zu hinterlassen. | ||
Er verließ Radmons Schreibstube durch ein Vorzimmer und wandte sich in Richtung des Treppenturms. Vor dem Thronsaal standen zwei Wachen, die beiden, die ihn vor wenigen Tagen in seinem Zimmer überrascht hatten. | Er verließ Radmons Schreibstube durch ein Vorzimmer und wandte sich in Richtung des Treppenturms. Vor dem Thronsaal standen zwei Wachen, die beiden, die ihn vor wenigen Tagen in seinem Zimmer überrascht hatten. | ||
"Junger Herr!", sprach ihn der ältere Gardist, Varmino, an. "Ihre Hochgeboren die Vogtin sucht Euch!" | "Junger Herr!", sprach ihn der ältere Gardist, Varmino, an. "Ihre Hochgeboren, die Vogtin, sucht Euch!" | ||
"Mich?", tat Aureolus ganz erstaunt. | "Mich?", tat Aureolus ganz erstaunt. | ||
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Sein Blick fiel auf die Briefe, die Domna Praiosmin in ihren zitternden Händen hielt. | Sein Blick fiel auf die Briefe, die Domna Praiosmin in ihren zitternden Händen hielt. | ||
"Gebt her!", sagte er und nahm sie ihm ab, während die Vogtin, erschöpft vom Laufen um Atem rang, noch unfähig, mehr als ein Schnaufen von sich zu geben. | "Gebt her!", sagte er und nahm sie ihm ab, während die Vogtin, erschöpft vom Laufen, um Atem rang, noch unfähig, mehr als ein Schnaufen von sich zu geben. | ||
Aureolus überflog die Brieftaubennachricht des Kornhammer Cronvogts, hob die Augenbrauen und runzelte dann die Stirn, ließ die Notiz aufs Bett fallen und wandte sich dem abgerissenen Brief zu, las erst das Gekritzel der Junkerin und anschließend - mit einem leisen Lächeln - die Worte seiner Mutter an seinen Vater. Er legte die Botschaft neben | Aureolus überflog die Brieftaubennachricht des Kornhammer Cronvogts, hob die Augenbrauen und runzelte dann die Stirn, ließ die Notiz aufs Bett fallen und wandte sich dem abgerissenen Brief zu, las erst das Gekritzel der Junkerin und anschließend - mit einem leisen Lächeln - die Worte seiner Mutter an seinen Vater. Er legte die Botschaft neben seiner Mutter aufs Bett und sah sie an. | ||
"So", sagte er und tippte sich mit dem Zeigefinger auf die Lippen, die Hand am Kinn. "Unschön. Aber überlegen wir in Ruhe! Zunächst einmal dürft Ihr Euch den Grund Eurer Erregung natürlich nicht anmerken lassen. Wenn man Euch fragt, nein, besser vorher, entschuldigt Ihr Euch bei unseren Gästen für Euer Betragen, mit der Erklärung, eine geliebte Verwandte sei verstorben oder von den Ferkinas entführt worden. Eine verständlicherweise aufwühlende Nachricht nach all den Verlusten in Elenta zuletzt." | "So", sagte er und tippte sich mit dem Zeigefinger auf die Lippen, die Hand am Kinn. "Unschön. Aber überlegen wir in Ruhe! Zunächst einmal dürft Ihr Euch den Grund Eurer Erregung natürlich nicht anmerken lassen. Wenn man Euch fragt, nein, besser vorher, entschuldigt Ihr Euch bei unseren Gästen für Euer Betragen, mit der Erklärung, eine geliebte Verwandte sei verstorben oder von den Ferkinas entführt worden. Eine verständlicherweise aufwühlende Nachricht nach all den Verlusten in Elenta zuletzt." |
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