Chronik.Ereignis1044 Ein vergnüglicher Abend 05

Punin, Peraine 1044 BFBearbeiten

Fuchsbau, irgendwo in Yaquirhafen, in den noch späteren AbendstundenBearbeiten

Autoren: Eliane, BBB

„Sieht aus, als ob du mein Gesicht doch noch öfter ertragen müssen wirst, Linde“, scherzte Obsidian, als sich die Frau hinter der Theke ihnen endlich zuwandte. „Du weißt doch, dein Geldbeutel ist uns hier immer willkommen, Obsi“, erwiderte Linde. Mit einem breiten Lächeln, das ihre fehlenden Zähne entblößte, überreichte sie ihm zwei Silbertaler – beide mit dem Symbol des Fuchsgotts markiert. „Gratuliere, wohlverdient. Nicht viele haben je zwei dieser Münzen in ihre Finger bekommen. Überleg dir also gut, was du damit tust!“, warnte die alte Frau. „Oh, ich weiß schon sehr genau, was ich damit tun werde“, grinste Obsidian breit, was ihm einen sehr skeptischen Blick seiner Gesprächspartnerin einbrachte. „Mach bloß keine Dummheiten“, riet sie ihm, halb im Scherz, aber auch mit einer Spur echter Besorgnis in der Stimme. Obsidian hingegen grinste weiterhin. „Du kennst mich doch“, erwiderte er, ehe er sich wieder seinem Täubchen zuwandte. Mit einer flinken Bewegung ließ er eine der beiden Münzen in seinem Geldbeutel verschwinden, während er die andere mit der Linken so hochhielt, dass sein Täubchen sie gut sehen konnte. Es war tatsächlich ein schlichter Silbertaler, wie sie zu tausenden im Umlauf waren – nur dass jemand ein Phexsymbol in das Gesicht des Fürsten Almadas gestanzt hatte. Erst jetzt, da sie die Münze direkt vor Augen hatte, konnte Obsidians Täubchen klar erkennen, dass es kein reiner Akt der Gewalt gewesen sein konnte, der dies bewirkt hatte. Die Kanten waren sauber verarbeitet und präzise gesetzt – wer auch immer das Symbol in den Silbertaler geschlagen hatte, musste über viel Sachkenntnis verfügen - und über geeignetes Werkzeug. „Jede Person, die eine solche Münze besitzt, hat Zugang zum Fuchsbau. Jederzeit. Und nur diese. Ohne Münze gibt es keinen Zugang und wer es dennoch versucht, wird abgewiesen – notfalls mit Gewalt. Wer den Fuchsbau aber freiwillig und rechtmäßig betritt, verpflichtet sich, die Gesetze des Fuchses zu achten und sich den Herausforderungen zu stellen, die sich ihm bieten. Soweit das Zugangsrecht.”


Fabiola richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf Obsidian und ihren Gewinn. „Hm, aber du hast mich mitbringen dürfen. Wie das?” “Du kannst Gäste mitbringen, wenn du für sie bürgst. Auch mehrere, soweit ich weiß. Wenngleich die meisten eher davon absehen. Aber wenn sich deine Gäste daneben benehmen, verlierst auch du dein Zugangsrecht. Ganz einfach.” Fabiolas Augen weiteten sich einen Moment, als ihr bewusst wurde, wieviel mehr Vertrauen als gedacht Obsidian ihr entgegen gebracht hatte, obwohl sie einander erst so kurz kannten. Dann setzte sich ihre Neugier durch: „Welche Gesetze des Fuchses genau sind einzuhalten? Es gibt so viele Auslegungen.“ Einen Moment kamen schnapsseelige Erinnerungen an angeregte Diskussionen zu lokalen Sonderlichkeiten am Strand des Perlenmeeres im Schein des Madamals hoch. “Es geht, glaube ich, mehr um die grundsätzliche Einstellung. Das einzige, was ich aus eigener Erfahrung weiß, ist, dass Gewalt nicht geduldet wird. Diebstahl, Betrug, Lügen hingegen… schon.” Er zuckte entschuldigend mit den Schultern. Sie schmunzelte. „Wie wir vorhin sehen konnten. Gut, dass ich es nur dir gesagt habe. Muss man sich allen Herausforderungen stellen, ohne Ausnahme? Oder ist es möglich zu passen?“ “Natürlich kannst du auch passen. Das hat keine wirklichen Konsequenzen, außer vielleicht, dass der Herausforderer auf dich herabsehen wird. Aber es wird, wie du mitbekommen hast, auch gern gesehen, Herausforderungen an sich selbst zu stellen.” Mit einer Kopfbewegung deutete Obsidian auf die Schiefertafel hinter sich, auf der Linde gerade die letzte Zeile wegwischte. “Letztlich geht es darum, im Sinne des Fuchses Spaß zu haben und vielleicht etwas zu lernen. Über sich. Die anderen. Die Welt.”


„Die Regeln gefallen mir. Sehr. Wieso weißt du aus eigener Erfahrung, dass Gewalt nicht geduldet wird?“ “Ich habe mehr als einmal gesehen, wie Verlierer einer Wette ihre Schulden nicht begleichen wollten, die Contenance verloren oder es zu weit getrieben haben, und dann zum Schlag ausholten, sogar zum Messer griffen. Keinen von denen hat man jemals wieder hier gesehen und bevor man sie zur Tür hinauswarf, wurden ihnen ihre Münzen abgenommen”, erklärte Obsidian. “Was mich zur zweiten Bedeutung bringt.”


Er machte eine kurze Pause, ließ sich von Linde den eigenen Becher ein weiteres Mal füllen, als er merkte, dass sein Täubchen noch versorgt war. Er nahm einen großen Schluck, bevor er fortfuhr. “Der Legende nach wurden die Münzen von einem Geweihten des Fuchses geprägt, hier in Punin. Es heißt, er gibt diese Münzen nur an jene weiter, die er als Teil seiner Gemeinde sieht. An jene, mit denen er sich verbunden fühlt. Damit gibt dir Münze nicht nur Zugang zum Fuchsbau – sondern auch zu seinem Tempel. Oder seinem Schrein. Oder was auch immer es ist. Sofern du denn in der Lage bist, diesen zu finden. Zugang zum Fuchsbau und Zugang zum Geweihten. Das ist der zweite Wert der Münze.”

„Oh, ein Rätsel, wie spannend. Hast du es schon gelöst? Wenn nicht, wollen wir es zusammen versuchen?“ Ganz von allein behielt Fabiola Linde unauffällig im Blick. Denn dass die alte Frau etwas wusste, war mehr als wahrscheinlich. Immerhin konnte sie Münzen herausgeben. So mancher, den sie kannte, hätte viel gegeben, um dieses Rätsel lösen zu dürfen. Vorsichtig nippte sie ein kleines bisschen an ihrem Schnaps.

Obsidian schüttelte den Kopf. “Nein, bisher habe ich nur mit Leuten gesprochen, die ihn gesehen und ihn gesprochen haben, ihm aber nie selbst von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden.” Er zuckte mir den Schultern. “Aber wer weiß”, grinste er dann, “mit dir an meiner Seite? Vielleicht können wir ihn ausfindig machen. Das wäre sehr schön.” Er lächelte glücklich und zufrieden. Während sie sprachen, ging Linde ihrer Arbeit nach und tat zumindest so, als würde sie nichts hören. Doch Fabiola gewann schnell den Eindruck, dass der alten Frau nur wenig von dem entging, was sich im Fuchsbau abspielte. Sie war definitiv mehr als nur die gute Seele des Baus.


“Wenn wir ihn finden, können wir auch endlich überprüfen, ob das dritte Geheimnis um die Münzen stimmt”, fuhr Obsidian dann fort. Mit einem schnellen Zug leerte er seinen Becher und stellte ihn so, dass Linde ihn ein weiteres Mal auffüllen konnte. Als diese Anstalten machte, auch nach Fabiolas noch zu einem Viertel vollen Becher zu greifen, legte Obsis Täubchen hastig ihre Hand oben drauf und schüttelte leicht den Kopf.

Derweil fuhr Obsidian fort: “Mir wurde erzählt - und auch das ist damit Teil der schon erwähnten Legende – dass die erste Münze dieser Art einst geschaffen wurde als Pfand für einen offenen Gefallen. Gibst du sie demjenigen zurück, von dem du sie erhalten hast – oder letztlich dem Geweihten, der sie einst geschaffen hat – kannst du den Gefallen einfordern. Solange dieser im Einklang mit Phexens Werten steht, muss der Empfänger versuchen, den Gefallen zu erfüllen – so zumindest wurde es mir erzählt. Ich habe es noch nie getestet, weder beim Geweihten noch bei sonstwem, dafür war mir der Zugang zum Fuchsbau immer zu wichtig. Aber das ist jedenfalls die dritte Bedeutung der Münze.“

Stumm, mit großen Augen, musterte Fabiola abwechselnd Obsidian und die Münze in seiner Hand. Ihr war bewusst gewesen, dass Obsidian auf ihr Wort hin etwas, das ihm ziemlich wichtig war, riskiert hatte. Doch erst jetzt verstand sie, wie viel. Stumm dankte sie Feqz für seinen Beistand. „Sollte es uns gelingen, ihn zu finden, sollst du es testen können.“ Ohne seine einzige Münze zu verlieren. Ihr Blick wanderte zurück zum kunstfertig entstellten Gesicht Dom Gwains.


Obsidian folgte ihrem Blick. “Und damit… kommen wir zur letzten und persönlichsten Bedeutung. Der Bedeutung, die sie für mich hat.” Überrascht sah Fabiola Obsidian an. Damit hatte sie nicht gerechnet. Konnte es sein, dass es ihm ging wie ihr? Dass er wie sie eine Vertrautheit spürte, die in keinem Verhältnis zur Dauer ihrer Bekanntschaft stand? Die Neugier in ihrem Blick wurde von ehrlichem Interesse verdrängt.


Er ergriff die Hand seines Täubchens, öffnete sie und hielt sie einen Moment lang in der seinen. Dann legte er die Münze hinein und schloss ihre Finger um sie. Es war nun die ihre. Fabiola spürte ein Prickeln, als Obsidian ihre Finger um seine, nein, ihre Münze schloss. Am Rande registrierte sie Lindes ungeteilte Aufmerksamkeit. Das Silber lag kühl und glatt in ihrer Hand, nur da warm, wo Obsidian sie gehalten hatte. Obwohl sie verstanden hatte, was die Münze bedeutete, breitete sich die Erkenntnis der vollen Tragweite erst langsam in ihrem Geist aus. Daher war sie völlig überrascht, als Obsidian ihr mit einem kurzen Schritt noch näher kam, sich zu ihr herunter beugte, sodass er nahe an ihrem Ohr war. So leise, dass niemand außer ihr es hören konnte, flüsterte er: „Das Geheimnis, das die Münze umgibt, all die Rätsel und Legenden, dieser Ort hier – all das ist für mich ein Nervenkitzel, eine Euphorie, wie ich sonst kaum kenne. Die Zugänge und den Gefallen hast du jetzt, in deiner Hand. Lass mich versuchen, dich auch am Nervenkitzel teilhaben zu lassen.“ Mit einem Lächeln nickte sie, während sie die Münze mit ihrer freien Hand nahm und sorgsam in ihr Mieder schob. Verblüfft darüber, wie weit er mit dem Vertrauen ging, das er ihr gerade schenkte, sah sie ihn an. In Gedanken formulierte sie die Frage, die zu stellen sie im Begriff gewesen war, neu. Doch es dauerte zu lang. Obsidian atmete einmal tief ein. Sammelte den Mut, den er brauchte, um diesen letzten Schritt zu wagen. Den er sich in den letzten Minuten mit hinreichend von Lindes Selbstgebranntem angetrunken hatte. Dann flüsterte er: „Nimm es gern persönlich.“ „Nach diesem Abend? Natürlich, auf jeden Fall. Habe ich bislang nicht bereut. Aber was meinst du genau? Alles?“


Während dieser Worten ließ er die Hand seines Täubchens los, legte die Linke in ihren Rücken, die Rechte an ihren Hinterkopf, die Finger in ihrem Haar vergraben. Sanft zog er sie an sich, ganz fest, in eine innige Umarmung. Sein Täubchen zärtlich im Arm haltend, eng an sie geschmiegt, küsste er Fabiola. Obsidian konnte spüren, wie Fabiola sich versteifte. Ihr Körper sich anspannte. Völlig überrascht übernahmen im ersten Moment Fabiolas Instinkte. Die Rechte griff bereits gen Obsis Hand in ihrem Haar, die Linke suchte nach Halt. Dann holte ihr durch den eifrigen Alkoholgenuss verlangsamter Geist auf, und ihre beiden Hände sanken auf Obsidians Schultern. Dieser merkte, wie sich Fabiola in seiner Umarmung wieder entspannte. Auch wenn sie seinen Kuss nicht direkt erwiderte, so dauerte es doch einen Moment, bevor sie ihn sanft, aber bestimmt ein Stückchen von sich weg schob.


Mit einem Glitzern in den Augen schmunzelte sie ihn an. Dann beugte sie sich zu seinem Ohr, während sie begann, seine Umarmung zu lösen, seine Hand von ihrem Rücken schob. „Das nehme ich sehr persönlich, darauf kannst du dich verlassen. Und werde es nicht vergessen.“ Sie lächelte spitzbübisch. Unwillkürlich strich sich Obsidian mit der Zungenspitze über seine Unterlippe. “Sag mir einfach, wem ich dafür etwas Blut schulde. Dir. Deinen Brüdern. Deinem Vater. Deinem Verlobten oder heimlichen Liebhaber? Yanis gar?” Er grinste frech über den schlechten Witz. “Sie sollen es alle bekommen. Es wäre jeden Tropfen wert.” „Es war nur etwas Blut, ein paar Tropfen wert, ja? Da überlege ich mir noch, wem es zusteht, dann eilt es ja nicht.” Obsidian grinste breit. Es war kein Wunder, dass diese Frau ihm nicht mehr aus dem Kopf ging. “Dir fehlt also Nervenkitzel in deinem Leben?”, fuhr sie fort. “Wer hätte das gedacht, wo du so aufregende Geheimnisse und Orte kennst.” Obsidian lächelte etwas gequält. So viel er seinem Täubchen bisher gezeigt hatte… er hatte noch so viele weitere Geheimnisse. Und bislang niemanden, der es wert war, sie zu erfahren. Bislang. “Vielleicht fällt mir etwas als Ablenkung für dich ein. Ich bin gespannt, ob es dir gelingt, mit deiner nächsten Überraschung für mich diesen Abend zu übertreffen. Wie stehst du zu prickelnder Ungewissheit?“ “Das klingt… verlockend”, lächelte Obsidian. „Gut, dann sollst du sie haben.“ Grinsend löste sich Fabiola vollständig von ihm und winkte Linde. „Zwei, bitte. Hast du noch was anderes als die drei Sorten, die wir bisher hatten? Was zum Feiern?“

Ihr Blick fiel auf ihre Arme, die Schemen darauf. Sie dankte stumm dem Mungo für das dämmrige Licht im Fuchsbau. Während sie sich einen Moment konzentrierte, zupfte sie ohne Eile die Ärmel der Bluse zurecht.


Lindes Blick ging zwischen den beiden hin und her, als würde sie etwas abwägen. Dann seufzte sie. “Normalerweise nur das gute Zeug, den Standard und den Ausländer”, antwortete sie. “Aber mir scheint, dies ist ein Anlass, bei dem man es nicht so genau nehmen sollte.” Sie kramte einen Moment unter dem Tresen und holte eine Flasche roten Weins hervor, bereits leicht angestaubt. “Ein Wetteinsatz eines Kunden, den er nie wieder abgeholt hat. Wäre ja schade drum…”, grinste sie breit, während sie die Flasche entstaubte und entkorkte. Fabiola zog ihre Börse hervor. „Was bekommst du dafür?“ „Zehn Kreuzer pro Becher.“ „Was? Die Flasche ist alt, wer weiß, ob der überhaupt schmeckt.“, protestierte Fabiola und streckte die Hand aus, drehte die Flasche. Rosa de Fúridão. 1040er. Misstrauisch strich ihr Finger über die Staubschicht. Sie sah zu Obsidian. „Den oder das Übliche.“, zuckte Linde mit den Schultern. Fabiola zögerte. Sie öffnete ihre Börse, zählte das Kleingeld. „Und wenn ich die ganze Flasche nehme?“ „Zehn Heller.“ „Acht? Dann bin ich fast blank.“, schlug Fabiola vor. „Neun.“ Fabiola sah zu Obsidian. „Leihst du mir was, wenn ich noch Einsatz brauche?“ Er nickte. “Daran soll es nicht scheitern.” „Gut, neun Heller, für die ganze Flasche.“, schlug Fabiola ein und leerte bis auf zwei Kreuzer ihre Börse auf den Tresen. Sie zog den Silbertaler aus ihrem Mieder und tat ihn zu ihrer restlichen Barschaft, mit dem Finger verstohlen über das Zeichen des Mungos streichend. Grinsend schob Linde ihr den Wein zu. Fabiola griff nach zwei Bechern, drehte sich zu Obsidian und schlug vor: „Suchen wir uns ein gemütliches Eckchen.”


Wenig später saßen sie wieder in der Nähe der Musiker, die Flasche Wein und die Becher auf dem Tisch zwischen sich. Fabiola schenkte ein. „Das dürfte das Beste sein, was wir seit Beginn unseres ersten Zusammentreffens getrunken haben. Mit Abstand.” Der Wein war dunkelrot, fing das wenige Licht ein, warf es zurück, funkelte wie Rubin. Fabiola griff nach ihrem Becher, ließ den Wein kreisen. Ihre Stimme war leise, als sie erklärte: „Rosa de Fúridão, sagt er dir was? Linde offensichtlich nicht, sonst hätte sie um seinen wahren Wert gewusst. Schon der übliche helle, ein Rosé, ist teuer. Die roten Jahrgänge allerdings... Selten. Sehr selten. Und sehr teuer, wenn man ihn denn überhaupt bekommt.” Sie prostete ihm zu, trank einen Schluck, in Gedanken bei dem, welchem sie diesen Tropfen verdankten. Das Bouquet war reich, fruchtig, ohne Säure. Sie schmeckte das Leben, die Erde, den Wind in den Obstgärten. Obsidian hob ebenfalls den Becher, roch daran. “Ich glaube nicht, dass ich den schonmal probiert habe, nein”, gab er zu. Was sich wohl für eine Geschichte dahinter verbergen mochte? „Willst du noch spielen, oder wollen wir den Abend bei einer herausragenden Flasche Wein ausklingen lassen?” Obsidian grinste. “Für den Moment habe ich genug gewagt”, scherzte er. Fabiola lächelte ihn amüsiert an. Er schwenkte den Wein im viel zu kleinen Becher, roch noch einmal daran und nahm dann eine kleinen Schluck. Ein wirklich großartiger Wein.


“Guter Wein, herausragende Gesellschaft und endlich ein ruhiges Eckchen für uns. Es gibt kaum etwas, das diesen Abend besser krönen könnte.” Einen kurzen Moment rang er mit sich, aber seine Neugier siegte - wie jedes mal. Also setzte er den Becher ab, sah sein Täubchen an und fuhr nach einer kurzen Pause fort: “Wenn dies der falsche Moment oder der falsche Ort dafür sein sollte, habe ich vollstes Verständnis. Aber als wir den Abend begannen, sagtest du etwas, das mich seither begleitet.” Er blickte sich einmal kurz um, um sicherzustellen, dass niemand sie überhören konnte, dann fuhr er fort: “Du sagtest, du hättest die Freiheit geopfert zu sein, wer du sein möchtest. Was natürlich die Frage nach sich zieht: Wer möchtest du sein?” Fabiola ließ einen Moment ihren Wein kreisen. Ihre Augen folgten dem blutroten Glühen, das das schummrige Licht irgendwie in der Flüssigkeit hervorrief. Ihre Gedanken wanderten. Schließlich sah sie auf, versicherte sich, dass außer Obsidian niemand nah genug war, sie zu verstehen. Trotzdem verbarg sie ihre Lippen hinter dem Becher, bevor sie antwortete. Man wusste nie. „Vorhin? Fabiola. Frei, mich treiben zu lassen, wohin mich das Schicksal lenkt, oder wohin ich möchte, wenn mir die Pläne des Schicksals nicht gefallen. Umgeben von Freunden, bereit für eine gute Zeit, ein Leben voller neuer Erfahrungen und Orte, der Möglichkeit, meinen Beitrag zu leisten, so die Götter es wollen. Ohne durch Pflicht und Verantwortung für andere an einen Ort, an Personen gekettet zu sein. Ich will wählen können, wann, für wen, zu welchen Konditionen ich Verantwortung übernehme, meinen Leib, mein Leben, meine Seele zum Schutze anderer opfere. Und ich will das Leben genießen, wann, wo und wie mir danach ist.”


Sie leerte den Becher. „Und du?“ “Fabiola, hm?” Obsidian sprach den Namen ein paar Mal in Gedanken aus. Er mochte den Klang. Er passte irgendwie zu der Person, die er heute kennengelernt hatte. Besser jedenfalls als Selea. Oder Täubchen. “Ein schöner Name. Ein schönes Ziel. Und ein hoher Anspruch. Das gefällt mir.” Er pausierte einen Moment. “Und danke. Dafür, dass du mir diese Seite von dir gezeigt hast. Ich weiß es sehr zu schätzen.” Sie nickte ihm zu. Vertrauen für Vertrauen. Auch wenn sie sich morgen für ihre leichtfertige Offenheit schelten würde. Hoffentlich würde sie sie nicht irgendwann bereuen. Was hatte sie nur geritten? Vermutlich der Alkohol. Er nahm einen Schluck des Weins. “Was mich angeht…” Er grinste. “Wie viel mehr Wahrheit über mich kannst du ertragen?” Ein schelmisches Grinsen deutete an, dass er bereit war, noch ein wenig mehr von sich preiszugeben. „Finde es heraus.“, entgegnete Fabiola herausfordernd. Er schien tatsächlich vergessen zu haben, dass sie ihm ihren Namen schon vorher genannt hatte. Bevor sie das Täubchen wurde, das so viel besser an diesen Ort, in diese Welt passte. Nun, bei den Mengen Alkohol, die sie heute gemeinsam vernichtet hatten, war es entschuldbar. Obsidian konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Was hatte er auch anderes als Antwort erwartet? Einen kurzen Moment überlegte er, wie er am besten anfangen sollte. Was er überhaupt antworten wollte. Antworten sollte. Wer wollte er sein? Eigentlich war die Antwort für ihn immer klar gewesen, doch: Wollte er das überhaupt noch? Sein Blick blieb derweil die ganze Zeit auf seinem Gegenüber fixiert - bis er schließlich beschloss, seine Gedanken schlicht offen auszusprechen. “Es ist… tatsächlich schwerer dir darauf eine direkte Antwort zu geben, als ich gedacht hatte. Schon lustig, irgendwie… Hättest du mir dieselbe Frage vor ein paar Stunden gestellt, wäre die Antwort klar gewesen.” Er grinste. “Ich meine, soweit es mich betrifft, komme ich von der Straße. Buchstäblich.” Er lachte kurz und von Herzen bei dem Gedanken, sowie den damit verbundenen Erinnerungen. “Dafür habe ich es weit gebracht. Ein kleines Edlengut. Finanziell keine Sorgen. Menschen, die mir wichtig sind. Ich hätte es mir damals nie erträumen können, aber als Dom Algerio habe ich heute viele Möglichkeiten, die mir offen stehen - und die ich gern und oft versuche zu nutzen. Und im Herzen… im Herzen bin ich noch immer Obsidian, der gleiche von damals. Der seine Augen das erste mal auf der Reichsstraße nach Punin öffnete. Freier und ungebundener, als der meiste Adel. Als Obsidian kann ich durch viele Türen gehen, die Algerio nicht offenstehen. Die perfekte Kombination, ganz ähnlich dem, was du dir vorstellst, glaube ich. Möglichkeiten. Und Freiheiten. Das war immer alles, was ich wollte. Eigentlich…" Nachdenklich nickte Fabiola. Er hatte nicht unrecht, sein Leben hatte einiges von dem, was sie sich wünschte. Er schwenkte den Kelch mit dem Wein, nahm einen weiteren Schluck, ehe er fortfuhr: “Und jetzt? Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich dabei nicht etwas übersehen habe. Ob da noch etwas ist, für das es sich lohnt all das aufs Spiel zu setzen. Erneut aufs Spiel zu setzen.” Sein Blick driftete für einen Augenblick in den Weinbecher. “Ich glaube, ich habe zu viel getrunken”, lachte er dann unvermittelt. “Es ist schwer einen klaren Gedanken zu fassen. Frag mich nochmal, wenn wir uns das nächste Mal in vertrauter Umgebung sprechen. Vielleicht kann ich dann mehr sagen.”


Fabiola, die ihm aufmerksam zugehört hatte, nickte. „Wir haben beide zu viel getrunken. Ich frage dich beim nächsten Mal, bevor wir so weit sind wie heute.“ Sie füllte beide Becher. „Es wäre ein Verbrechen, den hier verkommen zu lassen. Was ist deine schönste Erinnerung?“ “Puuuh…”, stöhnte Obsidian. “Eine gute, aber sehr schwere Frage. Ich glaube, ich kann nicht die eine, schönste Erinnerung benennen… aber viele schöne. Ich erinnere mich beispielsweise wie dankbar ich dem Kutscher war, der anhielt um mir wenigstens ein paar Kleidungsstücke zu schenken, damit ich nicht weiter der unbarmherzigen Praiosscheibe ausgesetzt war.” Er lachte bei dem Gedanken, wie er nur in Bruche die Reichsstraße entlang geschlichen war. “Oder als ich das erste Mal einen Säbel in die Hand bekam und es sich irgendwie… vertraut angefühlt hat. Irgendwie richtig. Wie aus einem früheren Leben.” Er schmunzelte. “Es ist schon merkwürdig, ich habe keinerlei Erinnerung mehr an meine Ausbildung oder die ersten gut zwanzig Jahre meines Lebens - aber manches fühlt sich einfach richtig an. Das erste mal, als ich Anwesenheit göttlichen Wirkens gespürt habe, das war auch etwas Besonderes.” Er überlegte einen kurzen Moment, dann korrigierte er sich: “Weißt du, ich glaube die schönste Erinnerung ist meine früheste Erinnerung an Usanza. Als ich mich meiner Vergangenheit stellte, in der vagen Hoffnung, dass ich meine wahre Identität gefunden haben könnte, aber zugleich in der Furcht, nur wieder enttäuscht zu werden. Und dann kommt diese junge Frau auf mich zugerannt, an die ich mich nicht erinnern kann, fällt mir in die Arme und heißt mich willkommen wie… wie einen lange totgeglaubten großen Bruder eben.” Mit dem Daumen und Zeigefinger wischte er sich über die Augen, ehe sich eine wirkliche Träne bilden konnte. “Ja, ich glaube diese Erinnerung.” Er schluckte, ein wenig überwältigt von der Emotion. Dann lächelte er. “Vergib mir, das… hab ich noch nie mit jemandem geteilt.”

„Da ist nichts zu vergeben.“, wehrte Fabiola ab. „Danke, dass du es mit mir geteilt hast. Und vergib du mir, wenn ich dir mit meiner Neugier zu nahe getreten bin.“ “Bist du nicht”, entgegnete Obsidian. “Es freut mich, dass es dich interessiert. Eine gute Frage, übrigens. Wie ist es bei dir?”


Sie verfiel in nachdenkliches Schweigen. Schließlich sah sie auf. „Ich kann es nicht genau sagen. Es gibt einige Dinge. Aber das Wiedersehen mit meinen Geschwistern gehört nicht dazu. Die Kleinen erinnern sich kaum an mich, haben das verklärte Bild meiner Stiefmutter von mir im Kopf. Die älteren leben in ihren eigenen Sphären, oder haben es überhaupt noch nicht geschafft, mich zu begrüßen.” Obsidian sah überrascht aus. Sein Täubchen war zwar noch nicht lang wieder in der alten Heimat, soweit er wusste, aber doch hinreichend lang. Gab es auch hier mehr Uneinigkeit in der Familie, als man von außen vermittelt bekam? “Meine Schwägerin hätte mich beinahe als Hochstaplerin davon gejagt. Und Papa…“ Sorge spiegelte sich auf ihrem Gesicht. „Ich muss wirklich darüber nachdenken. Gib mir bis zum nächsten Mal, ja? Sieh es als Versuch, dir ein wenig der versprochenen, prickelnden Ungewissheit zu bescheren?“ “Es scheint mir fast, als würde es dir fast leichter fallen, deine schlimmsten Erinnerungen wach zu rufen.” Sorge schwang in Obsidians Stimme. “Selbstverständlich. Beim nächsten Mal. Und bis dahin: Lass uns dafür sorgen, dass wir eine Menge guter neuer Erinnerungen schaffen!” Er prostete ihr zu, nahm einen weiteren Schluck - und nahm sich fest vor, einen Vorrat Rosa de Fúridão zu erwerben, sobald er wieder zuhause war. Ein wirklich köstlicher Wein. „Sehr gerne.“ Sie erwiderte die Geste und nippte am Wein. „Der Eindruck täuscht. Ich habe viele schöne Erinnerungen, es ist einfach schwer, die Schönste zu wählen. Auch wenn die unschönen recht eindrücklich sind, die guten überwiegen bei weitem.“ Sie lächelte. „Was meine Familie angeht: ihre Reaktionen sind verständlich. Ich glaube, auf ihre Art freuen sie sich, wenn auch nicht so überschwänglich wie deine Schwester. Die meisten von ihnen wussten ja, dass ich lebe. Und alle, nun ja, fast alle, sind erleichtert, dass ich zurück bin. Jemand, der die Aufgaben übernimmt, sie in ihr gewohntes Leben zurückkehren lässt.“ Sie lachte auf. „Wir werden sehen. Noch ist kein Eid geleistet. Langsam gewöhne ich mich an den Gedanken, zu bleiben. Heute Abend macht es leichter. Wie bist du auf die Spur deiner wahren Identität gestoßen?“

“Das war tatsächlich ein Wink der Götter, wenn du mich fragst”, lachte Obsidian. “Ich war als Condottiere mit einem Haufen Mercenarios in der Südpforte unterwegs. Nach einem blutigen Gefecht half ich, die Verwundeten vom Schlachtfeld zu bergen. Ein Mann, im Sterben liegend, nannte mich mit seinen letzten Atemzügen bei meinem Namen: Algerio. Er schien so überzeugt davon, mich zu kennen, dass ich begann, herum zu fragen, wer dieser Mann gewesen war. Es stellte sich heraus, er hatte kurz nach mir eine Ausbildung in Ragath beendet - und in der Kaiserlichen Lehranstalt erinnerten sie sich an mich. Von da aus war es dann nur noch ein kurzer Weg zur Feste Culming.”

„In der Tat ein Wink der Götter. Dank sei Ihnen, wer weiß, ob wir uns sonst je getroffen hätten. Du sagtest, du hast Ihr Wirken erfahren. War das der Moment? Wenn nicht, magst du mir davon erzählen?“ “Ja, es sei Ihnen gedankt!”, bestätigte Obsidian, halb nachdenklich, halb freudig. “Ich bin Ihnen für den heutigen Abend in der Tat sehr dankbar. Wie auch dir. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass eine unschuldige Einladung fast ohne Hintergedanken hier enden würde, im Fuchsbau, in einem vertrauten Gespräch, als würde ich dich schon mein halbes Leben lang kennen.” Er lachte kurz. “Ich hätte es nicht missen wollen.”


„Unschuldige Einladung fast ohne Hintergedanken.”, kicherte Fabiola. „Das hörte sich vorhin aber noch anders an. Ich muss allerdings zugeben, als ich annahm, hätte ich auch nicht erwartet, dass der Abend so eine Wendung nimmt. Gut, dass es so kam. Es geht mir wie dir, ich vergesse, dass wir uns heute erst getroffen haben. Oder gestern.” Sich ihrer Frage erinnernd fuhr er fort: “Nein, das war nicht der Moment, den ich vorhin meinte, auch wenn die Götter sicherlich auch dabei Ihre Hand im Spiel hatten. Zumindest denke ich das. Ich bin ein sehr gläubiger Mensch, musst du wissen. Schon so lange ich mich erinnern kann. Nein, vorhin meinte ich ein Gespräch, das ich vor vielen Jahren geführt habe, mit einem guten Freund von mir. Einem bescheidenen Diener des Praios namens Praidrion. Ich traf ihn ein oder zwei Götterläufe nach meinem Gedächtnisverlust und wir hatten viele intensive Diskussion über die Götter und Ihr Wirken. Als ich ihm erzählte, dass das einzige, was mir seit meinem Gedächtnisverlust geblieben ist, die Gewissheit sei, dass die Götter existierten und es gut mit uns meinten, bestätigte er dies und sprach eine… ich glaube er nannte es eine Liturgie… jedenfalls ein Gebet, nach welchem für einen kurzen Augenblick der Himmel aufklarte und die Sonne mit all ihrer Kraft den Tag erwärmte. Es war eine Kleinigkeit, eigentlich unbedeutend… doch dieses Gefühl, dass der Götterfürst wohlwollend auf uns herabblickt… werde ich nie vergessen.” “Hast du schon einmal das Wirken der Götter direkt miterlebt?”

„Ja, habe ich. Ich hatte die Ehre, in Anchopal Zeugin einer göttlichen Heilung zu werden. Und… ich glaube, ich war Zeugin des Wirkens des göttlichen Fuchses. Aber da bin ich mir nicht sicher. Schön, dass du immer deinen Glauben hattest, auch in den schweren Zeiten. Ich gebe zu, es gab Momente, in denen ich gezweifelt habe. Aber das liegt hinter mir.“ Sie schenkte ihnen beiden nach. Die Becher waren so klein, so schnell leer. Der Wein schien von innen heraus beinahe zu glühen. „Nein, das stimmt nicht, ich habe nie an der Existenz der Götter gezweifelt. Aber an Ihrem Plan, Ihrem Umgang mit uns. Nun ja, ich war jung, verwirrt und verängstigt.“ Sie nippte und genoss das warme Gefühl, das sich in ihr ausbreitete. „Heute wäre es anders. Mein Glauben wurde von anderen so oft herausgefordert, dass ich gezwungen war, mich damit auseinander zu setzten.“ Sie schmunzelte ob der Erinnerungenan die hitzigen Diskussionen und verwirrenden Argumentationen der Vergangenheit. “Magst du davon erzählen?”, fragte Obsidian neugierig. Es klang so, als läge hier ein Stück ihrer Geschichte verborgen, ein Stück des wahren Täubchens, jenseits aller Masken und Rollen, die man zu spielen hatte. Und das, was er bisher von diesem wahren Kern gesehen hatte, hatte ihn irgendwo tief im Innern derart berührt, dass er Lust hatte auf mehr. “Wenn nicht hier und heute, dann auch ein ander Mal. Aber es klingt… es würde mich interessieren”, korrigierte er sich. Fabiola lächelte Obsidian an. „Wenn es dich interessiert, gerne. Lieber ein anderes Mal, heute habe ich schon zuviel getrunken, um die Diskussionen sinnvoll zusammenzufassen. Eine der Beteiligten war eine tief borongläubige Maraskanerin. Ich habe niemand sonst getroffen, der sowohl Geweihte der Zwölfe als auch stockkonservative Mawdli derart ins Schwitzen bringen konnte. Und das, bevor sie ihre Zwillingsgötter ins Spiel brachte.“ Sie lachte bei der Erinnerung. „Und ich muss ja irgendwas für mich behalten, damit du mich wiedersehen willst.“, zwinkerte sie, den Ernst ihrer Worte überspielend. “Eine borongläubige Maraskanerin”, wiederholte Obsidian überrascht. Die Geschichte interessierte ihn wahrlich, auch wenn er seinem Täubchen Recht geben musste. Für theologische Diskussionen war der Abend zu weit vorangeschritten, der Alkohol schon zu reichlich geflossen.


“Die Geschichte wird immer interessanter… ein weiterer Grund auf der langen Liste aus Gründen sich zu freuen, dich wieder zu sehen.” Er hob seinen Becher, um seinen Worten Gewicht zu verleihen, und leerte ihn in einem Zug. Als sie ihnen beiden nachgießen wollte, stellte Fabiola mit Bedauern fest, dass die Flasche leer war. Auch wenn eine kleine Stimme tief in ihrem Innern darauf hinwies, dass es besser war. Denn der Morgen konnte nicht mehr fern sein, und dann wartete der Tag danach. „Wieviel Zeit haben wir noch, bevor sie uns rausschmeißen? Die Musiker scheinen jedenfalls aufzugeben. Schade, dann musst du mich ein andermal zum Tanzen ausführen.“ “Nichts lieber als das”, versprach Obsidian. “Ob hier oder in den Sälen der Nobleza.” Er grinste schelmisch. “Der nächste Tanz gehört dir. Tanzt du gern?” „Ja, sehr. Zumindest, wenn Leben und Ausdruck dabei ist, diesem steifen Gestelze fehlt so oft die Leidenschaft. Natürlich ist es besser als nichts.“ Sie wollte einen weiteren Schluck nehmen, doch es gab nichts mehr. „Obwohl, mit ein bisschen Geschick und dem richtigen Partner lässt sich vielleicht auch da was rausholen.“ Mit herausfordernd glitzernden Augen sah sie zu Obsidian. „Und du? Was ist neben Abenden wie diesem dein liebster Zeitvertreib?“ “Ich kann gut nachempfinden, was du meinst. Ging mir lang ähnlich. Die Tänze der Nobleza wirken auf mich so leblos und förmlich. Aber wenn man weiß, was man tut… mit der richtigen Tanzpartnerin, kann so ein Tanz eine sehr… sinnliche Erfahrung sein.” Er grinste vielsagend. Dann lachte er. “Oh, ich bin viel zu selten hier für meinen Geschmack. Und oft ist mein Tag sehr… geregelt trifft es wohl am ehesten. Aber wenn ich mich davonstehlen kann und ein paar Stunden für mich habe?” Er überlegte kurz. “Ich reite gern. Und ich liebe es zu reisen. Genau wie du, oder irre ich mich?”, ergänzte er augenzwinkernd.


Fabiola lächelte. „Nein, du irrst dich nicht. Was hat mich verraten? In Bezug auf die Pferde, bei den Reisen vermutlich meine eigenen Worte.“ Obsidian grinste. “Du führst ein Shadif mit dir, wenn ich das vorhin richtig gesehen habe. Ein sehr schönes Tier, übrigens, meine Hochachtung. Und meiner Erfahrung nach gibt es nur drei Gründe, ein Shadif zu reiten. Entweder man liebt die Geschwindigkeit, liebt es den Wind im Gesicht zu spüren, ganz im Moment zu sein. Oder man ist ein großer Freund der aranischen, beziehungsweise tulamidischen Kultur. Das trifft auf dich, glaube ich, auch zu, zumindest in gewissem Maße. Aber ohne eine gewisse Liebe fürs Reiten, würde man dann wahrscheinlich eher zu anderen Ausdrucksformen dieser kulturellen Liebe neigen. Aranischer Kleidung, zum Beispiel. Und schließlich, drittens, besitzen die meisten, die ich kenne, solche Pferde, um zu zeigen, dass sie sich diese Pferde leisten können. Als Ausdruck von Reichtum und Stand.” Er machte eine kurze Pause. “Aber du säßest nicht hier, wenn du in diese dritte Kategorie fallen würdest”, grinste er. “Wo hast du es her? Und wie heißt es?”

„Du hast meine Schönheit bemerkt, hm?“ Ihr Stolz und die Zuneigung waren nicht zu überhören. “Sie ist ziemlich offensichtlich”, erwiderte Obsidian, sich sehr bewusst, dass sein Täubchen etwas anderes gemeint hatte. “Sie heißt Nuianna, und war ein Geschenk. Durchaus mit den Hintergedanken, Reichtum und Stand zu demonstrieren. Allerdings war es nicht meine Idee, obwohl ich nicht ausschließe, sie bei Bedarf dafür zu nutzen. Ich kannte sie schon als Fohlen von einem Gestüt bei Khunchom. Klein, aber edel. Hauptsächlich klassische Shadif, gute Abstammung, Verbindungen zu anderen Zuchten, auch aranischen. Der Besitzer hat Nuiannas Linie begründet, die Fellfarbe ist eine Hommage an seine Frau. Er hat, soweit ich weiß, Goldfelser und Tulamiden mit eingekreuzt.“ Sie spielte mit ihrem Becher. „Nuianna zu reiten ist… unglaublich.“ Fabiolas Augen glänzten vor Begeisterung. „Auch wenn sie ziemlich dickköpfig sein kann, und nicht jeden an sich heran lässt. Ich habe keine Ahnung, wie ihr Ausbilder mit ihr zurechtgekommen ist.“ Fabiola lachte leise. „Ich überlege, mit ihr unsere Zucht in Tôrzîlba zu bereichern. So ich passende Zureiter finde.“ “Was ein großzügiges Geschenk!”, entfuhr es Obsidian erstaunt. “Was war der Anlass?”, versuchte er unverfänglich weitere Hintergründe zu erfragen.


Fabiola musterte ihn einen Moment, unsicher, was sie preisgeben sollte. Dann erklärte sie: „Unter anderem der Versuch, dem Wunsch nach meiner Hand Nachdruck zu verleihen.“ “Oh!”, entfuhr es Obsidian. Seine Gedanken überschlugen sich, oder vielmehr: sie purzelten wild durcheinander, ohne auch nur einen Ansatz von Klarheit. Der verfluchte Alkohol. “Das… wie schön! Ich… gratuliere?!”, stammelte Obsidian. “Das überrascht mich jetzt ein wenig. Also nicht, weil es an sich überraschend wäre. Auf keinen Fall. Eher im Gegenteil.” Was für einen Unsinn gab er da von sich? Einen Moment ging sein Blick ins Leere, dann atmete er tief durch. Etwas klarer sortierte er sich. Also doch vergeben. Aber hätte sie dann nicht vorhin anders reagiert? Mehrfach? Eine gescheiterte Verlobung vielleicht? Oder war das schlicht sein Wunschdenken? Es half nichts zu spekulieren. “Ein wahrhaft schönes Geschenk”, setzte er erneut an, “und der künftigen Braut angemessen. Das heißt, ich muss den Weg nach Khunchom auf mich nehmen, um deine Ehre wiederherstellen zu lassen?”, fragte er schließlich.


Fabiola lachte. „Nein, musst du nicht. Die Sache ist erledigt.“ Sie beugte sich zu ihm, flüsterte hinter vorgehaltener Hand in sein Ohr, um sicherzugehen, dass diese Worte unter ihnen blieben. „Es war eher eine geschäftliche Verbindung. Von der meine Familie nichts weiß. Eine Ehe, standesgemäß, keine Angst, geschlossen im Angesicht des Mungo, auf ein Jahr und neun Tage. Die, wie abgemacht, kinderlos geblieben und deren Dauer abgelaufen ist.“ Sie lehnte sich zurück, sah ihn spöttisch an. Obsidian war sichtlich überrascht. Damit hatte er nicht gerechnet. Aber irgendwie passte es ins Bild.

„Du bist also der Meinung, dass ein unschuldiger Kuss meine Ehre zerstören könnte? Entweder bist du sehr von deinem Talent überzeugt, oder glaubst, dass meine Ehre sehr zerbrechlich ist.“, neckte Fabiola ihr Gegenüber. Nun war es an Obsidian zu lachen. “Nein, weder noch”, stellte er richtig. “Aber wenn ich verlobt wäre, oder gar verheiratet… ich würde jeden fordern, der Hand an meine Frau legt. Oder, die Götter bewahren, sie küsst. Ohne mein Einverständnis oder ihres. Das… wäre mein Privileg, und meines allein.” „Sehr klassisch und traditionell. Und doch hast du es selbst getan, bevor du nach möglichen Bindungen gefragt hast.“ Obsidian grinste. “Manche Gelegenheiten sind eben auch einen hohen Preis wert”, gab er zu. “Selbst, wenn man den Preis noch nicht kennt.” Fabiola nickte zustimmend, schließlich hatte sie es vorhin nicht anders gehalten.


Sie zögerte einen Augenblick. „Verschlechtert dieses Wissen deine Meinung von mir?“ “Verschlechtern? Dass du danach fragst, lässt mich annehmen, dass dir daran gelegen ist, dass ich eine positive Meinung von dir habe”, grinste er herausfordernd. „Ich muss doch wissen, ob ich mich schon mal nach einer anderen Begleitung für den nächsten Besuch hier umsehen sollte.“, konterte Fabiola. “Brauchst du nicht, nein, eine solche Gelegenheit würde ich nur zu ungern an jemand anderes abtreten. Und es verschlechtert meine Meinung vor dir nicht, nein. Es überrascht mich, auch wenn es mich nicht wundern sollte. Wo zwei Verehrer sind, da sind ein dritter und vierter nicht fern, und irgendeiner hat immer den Vorteil der frühen Bekanntschaft.” Er zwinkerte ihr vielsagend zu. “So wie ich das sehe, ist ein Gelöbnis im Angesicht des Mungo, freiwillig und zum Vorteil aller Beteiligten geschlossen, eine gute Sache und muss geehrt werden. Und auch wenn ich die Details nicht kenne - wobei ich betonen möchte, dass diese mich sehr interessieren - ist ein Vertrag, dem das Geschenk eines Shadif voran ging, bestimmt ein sehr vorteilhafter Vertrag.”

„Auch dieses Mal werde ich zu den genauen Umständen nichts sagen. Vielleicht ein anderes Mal. Aber ja, die Vereinbarung war für alle Beteiligten, direkt wie indirekt, sehr lohnend. Nun ja, für fast alle.“

Er neigte sich kurz nach vorn und, es ihr gleich tuend, flüsterte: “Danke. Für dein Vertrauen. Ich weiß es sehr zu schätzen und werde mich würdig erweisen.” Mit einem Lächeln lehnte er sich wieder zurück. Fabiola sah ihn an, erwiderte seinen Blick. Sie war erleichterter über seine Reaktion, als sie erwartet hatte. Es wäre ein herber Verlust gewesen, diesen neuen Bekannten zu verlieren. Nein, keinen Bekannten, einen Freund. Ihren ersten in der alten Heimat, mit dem sie sich so erstaunlich mühelos hervorragend verstand.