Chronik.Ereignis1044 Ein vergnüglicher Abend 04
Punin, Peraine 1044 BFBearbeiten
Fuchsbau, irgendwo in Yaquirhafen, in den noch späteren AbendstundenBearbeiten
Am Tisch erhob sich gerade ein Spieler, die mageren Reste seiner Einsätze in der Hand. Er grinste dem Grünling zu: „Du bist gut, Kleiner, und der Fuchs ist auf deiner Seite. Viel Glück noch.“ Dann wandte er sich zur Theke. „Linde, gib mir zwei! Ach, mach drei draus, dafür reicht es noch.“
Der Grünling zeigte nur den Anflug eines Lächelns, während er seinen beachtlichen Gewinn des letzten Spiels vor sich sortierte. Schließlich sah er auf. „Nächste Runde? Will jemand einsteigen?“ Eine Frau in der einfachen Tracht der Waschleute setzte sich. Der Geber wartete noch einen Moment auf weitere Interessenten, dann mischte er gekonnt die Karten.
Mit flüssigen Bewegungen verteilte er die erste Karte an die Spieler, legte eine mit einem deutlichen „Phex zur Ehr“ zur Seite, bevor er den Anwesenden die jeweils zweite Karte zuschob. Er gab allen einen Moment Zeit, ihre erhaltenen Karten zu betrachten, dann forderte er: „Die Einsätze.“
Die Waschfrau warf einen erneuten Blick auf ihre Hand, bevor sie einige Münzen in die Mitte des Tisches schob. Der mit den Geschwüren grinste, zog geräuschvoll die Nase hoch. „So, Junge, wollen mal sehen, ob deine Glückssträhne anhält.“ Lässig klimperte er seinen Einsatz zu dem der Wäscherin. Der Grünling trommelte mit den Fingern langsam auf den Tisch vor sich, zögerte einen Moment - um mit einem breiten Grinsen lediglich den notwendigen Teil seines Geldes zu setzen. „Sehen wir, ob ihr auf Dauer alle mithalten könnt.“, erwiderte er selbstbewusst. Innerlich schmunzelte Fabiola. Wenn sie sich nicht irrte, hatte der Rotzer kein schlechtes Blatt, während der Grünling bluffte. Zugegebenermaßen ziemlich überzeugend. Vermutlich glaubte er wirklich, den Mungo auf seiner Seite zu haben. „Recht so, junger Mann, lass dich von dem da nicht foppen.“, nickte die Hagere, während sie ihre Münzen von sich schob.
Kaum hatte der letzte Spieler am Tisch gesetzt, verteilte der Geber drei Karten verdeckt neben die Einsätze. „Phex zum Gefallen.“, legte er eine weitere Karte zu der ersten auf die Seite. Dann deckte er die drei in der Mtte mit geübtem Fingerschnippen um.
Ein Raunen ging durch die Zuschauer, ließen die Karten in der Mitte doch viele Möglichkeiten offen. Auch Obsidian beobachtete das Geschehen genau, denn wenngleich es unmöglich war, die Siegchancen der einzelnen Teilnehmer mit Sicherheit zu bestimmen, so hatte er doch eines gelernt: Spiel den Spieler, nicht das Spiel. Die Regeln, die Wahrscheinlichkeiten, all das war zweitrangig, wenn man sein Gegenüber zu lesen verstand. Fabiola sah, wie der Grünling sich einen Moment unmerklich versteifte und dann unwillkürlich gepresst ausatmete. Ein Finger des Rotzers fuhr am Rand einer seiner Münzen entlang, er räusperte sich feucht. Angeekelt wandte sich die Hagere halb ab.
„Dienen, Fordern, Kneifen.”, erklang die Stimme des Gebers.
„Diene.”, erklärte die Waschfrau. „Sicher tust du das, Liebchen. Und ich fordere.”, grinste der Rotzer und schob einen Stapel Münzen in die Mitte, sich sichtlich über das säuerliche Gesicht der Frau amüsierend. Die anderen Spieler zogen nach. Nachdenklich betrachtete Fabiola die Hagere, gespannt, wie sie die weiteren Runden spielen würde. Sie war so sicher, das Muster erkannt zu haben. Sie nippte an ihrem ‚Meskinnes‘. Widerliches Zeug.
„Phex ist groß.“ Der Geber hatte die vierte Karte verdeckt in die Tischmitte gelegt und war gerade dabei, die Opferkarte zu den anderen beiden zu tun. Fabiola hatte von diese Variante des Spiels gehört, eine Huldigung des Mungo, veränderten die zur Seite gelegten Karten doch nicht nur die Wahrscheinlichkeiten, sondern erhöhten die während des Spiels durch das Haus gezogenen Karten auf feqzgefällige neun.
Ein derber Fluch entwischte einem der Spieler - zu Fabiolas Überraschung kam er von der Hageren. Irritiert musterte sie erst die offenen Karten, dann die Spieler. Hatte sie etwas übersehen? Hatte sie etwas falsch verstanden? Sie war davon ausgegangen, dass sie diejenige der beiden Falschspieler sein würde, die den Jungen locken würde.
Dann bemerkte sie, dass der Rotzende nicht länger mit dem Zeigefinger um seine Münzen strich. „Diene.”, setzte die Waschfrau den Mindesteinsatz. Der Rotzende tat es ihr nach. „Na, dein Blatt ist wohl nix, hm? Fordere!”, erhöhte der Grünling. Sein Nachbar schüttelte den Kopf. „Kneife.”, stieg er aus. Die Hagere blickte einen Moment nachdenklich auf ihre Karten, bevor sie wie der Spieler nach ihr den erhöhten Einsatz bediente. Notgedrungen zog die Waschfrau nach. Der Rotzer zögerte, für Fabiolas Geschmack ein wenig zu betont, bevor er mit einer entschiedenen Geste sein Geld in die Mitte schob.
Obsidians Blick ging zwischen den Teilnehmenden hin und her. Der Grünling erweckte relativ überzeugend den Eindruck, eine starke Hand zu haben - was drei Möglichkeiten offen ließ. Entweder er täuschte, und das sehr überzeugend, eine starke Hand vor, oder er hatte eine starke Hand, wusste aber nicht, wie man sie am besten spielte. Selbst mit einer starken Hand musste man die Einsätze vorsichtig erhöhen, um Gegenspieler mit schwächeren Karten nicht zu verschrecken - ein Drahtseilakt, der einiges an Übung erforderte. Oder aber der Grünling war so grün, dass er eine schwache Hand hatte, diese aber überschätzte.
Insgeheim hoffte Obsidian, dass der Spieler am Ende der Runde seine Hand zeigen würde. Vielleicht ließ sich dann etwas über ihn lernen.
Noch spannender war hingegen der Typ mit der laufenden Nase - ein widerlicher Kerl, dessen Überheblichkeit aus jeder Pore seines Körpers troff. Obsidian war sich ziemlich sicher, dass sein Täubchen recht hatte - er war definitiv der erfahrenere der beiden Spieler. Aber er war nicht mehr so entspannt, nicht mehr ganz so überheblich, wie zu Beginn - ein Zeichen, dass er sich seiner Sache nicht mehr ganz so sicher war. Wahrscheinlich machte er sich gerade die gleichen Gedanken zum Grünling wie Obsidian selbst - nur dass er eine Entscheidung hatte treffen müssen, während Obsidian in der vortrefflichen Lage war, weiter abwarten und beobachten zu können.
„In Phexens Gunst.“ Der Geber teilte die fünfte gemeinsame Karte, legte die Opferkarte zu den drei anderen. Dann flippte er die in der Mitte. Der Ringfinger des Rotzer fuhr nervös um den Rand seiner Münze, tippte auf den Stapel, fuhr drum herum. Bis er bemerkte, was er tat, und sich zur Ruhe zwang.
„Diene.”, erklärte die Wäscherin etwas resigniert. „Fordere!”, erhöhte der Rotzer süffisant und schob einen erheblichen Teil seiner Münzen in die Mitte, bevor ihn ein feuchter Hustenanfall schüttelte. Er keuchte, rang rasselnd nach Luft, bevor er lautstark seine Atemwege befreite und in ein neben ihm stehendes Schälchen rotzte. Die Hagere wandte sich angewidert ab, zog ein Taschentuch hervor und hustete dezent hinein. „So macht man das.”, murmelte sie halblaut, und stecke ihr Tuch weg. Der Grünling grinste - und erhöhte. „Ah, junger Mann, vielleicht sollten wir die nächste Runde unter uns ausmachen. Daher fordere ich!” Sie schob ihr Geld in die Mitte. „Kneife.”, stieg der Spieler neben ihr aus. „Ich kneife ebenfalls.”, erklärte die Waschfrau. „Vergiss, es, Hungerhaken.”, grinste der Rotzer. „Ich fordere!” Die Frau nicht aus den Augen lassend, schob er beinahe sein gesamtes Geld in die Mitte des Tisches. Der Grünling musterte ihn eindringlich. „Das war dumm von dir. Ich fordere! Aber ich lass dir ein bisschen von deinem Geld, dann kannst du dich bei Linde trösten lassen.” Die Hagere musterte die beiden Männer. „Kneife.”
Überrascht versteifte Fabiola sich, löste sich aus Obsidians Arm um ihre Taille und machte einen halben Schritt auf den Tisch zu. „Aber wieso? Das macht doch keinen Sinn! So funktioniert es nicht.”, murmelte sie leise.
Obsidian schaute überrascht zu ihr, dann wieder zum Tisch. Sein Unterarm, der zuvor um ihre Taille gelegen hatte, fühlte sich auf einmal kalt und schwer an. Ein unschönes Gefühl.
Aber sie hatte Recht. Der Rotzer schien über seine eigene Überheblichkeit zu stolpern. Er schien einen Gewinn forcieren zu wollen - statt selbst auf eine gute Hand zu warten.
Er schien überzeugt, dass der Grünling bluffte.
Derweil knirschte der Rotzer mit den Zähnen, zögerte einen Moment. Dann schob er, bis auf einen kleinen Rest, sein Geld in die Mitte. „Diene. Ich will sehen, was du hast, Hosenscheißer.” Der Grünling grinste. „Diene.“
„Licht oder Schatten.”, forderte der Geber. „Licht.”, erklärte der Grünling eilig triumphierend und offenbarte seine Karten, bevor er eigentlich am Zug war. Wieder ging ein Raunen durch die Menge. Dank der letzten beiden Karten in der Mitte war das Blatt gut, wenn auch nicht überragend. ‘Er ist also ins Risiko gegangen - und hat dann schlicht Glück gehabt’, ging es Obsidian durch den Kopf.
„Da brat mir doch einer ‘nen… Das kann nicht sein.”, stöhnte der Rotzer. „Schatten.”, gab er auf und schob seine Karten verdeckt in die Mitte, etwas in sich zusammen sinkend. „Sehr gut, junger Mann.”, lobte die Hagere. „Und du,” ihr Finger deutete wie eine Klaue auf den Rotzer, „solltest deinen Platz für angenehmere Gesellschaft räumen.” Nach Zustimmung heischend sah sie sich um, fand jedoch keine.
Fabiola musterte die Spieler, die Karten, ging in Gedanken durch, was sie gesehen hatte. Welchen Fehler hatte sie gemacht, wo hatte sie sich geirrt? Der Rotzer konnte mit dem verbliebenen Geld den Grünling auf keinen Fall mehr ausnehmen. Und allein war es für die Hagere zu unberechenbar. Hatten die beiden sich verzockt? Hatte sie selber sich vertan? Sie warf einen entschuldigenden Blick zu Obsidian, fühlte sich schuldig, dass er wegen ihrer unbedachten Worte seinen Zugang zu diesem Ort zu verlieren drohte.
Obsidian erwiderte ihren Blick. Er versuchte sie zu lesen, wie er jeden zu lesen versuchte. Und ertappte sich dabei, dass er drohte, sich in den Augen seines Gegenübers zu verlieren. Warum nur hatten es ihm diese Augen auf einmal so angetan? Er blinzelte zweimal schnell, wandte dann den Blick ab, zurück zum Tisch. “Das war eine interessante Runde mit einem unerwarteten Ausgang”, sagte er schließlich. Das Grinsen kehrte langsam auf seine Lippen zurück. “Noch zwei Runden Zeit, um das Blatt zu wenden.” Er zwinkerte seinem Täubchen zu.
„Hmhm.“, antwortete Fabiola etwas abwesend, in ihrem Kopf noch immer die verschiedenen Möglichkeiten durchspielend, auf der Suche nach des Rätsels Lösung. Gedankenverloren nippte sie an ihrem Becher und verzog umgehend angewidert das Gesicht.
Der Grünling zählte einige Münzen von seinem bisherigen Gewinn ab und winkte zur Theke. „Linde meine Liebe, eine Runde für alle am Tisch bitte, auf meine Kosten.“ Sein Blick streifte die Zuschauer, die längst nicht mehr nur aus Obsidian und Fabiola bestanden. Er musterte Obsidians Täubchen eingehender, lächelte ihr etwas unbeholfen zu. „Und bring ein paar Becher mehr mit, ja?“
Wenig später kam das Kind heran, eine der berüchtigten Tonflaschen und einen Stapel Becher balancierend, während die Wirtin selber das Geld einstrich. Der Grünling schenkte großzügig aus, verteilte an seine Mitspieler. Der Geber lehnte dankend ab. Dann sah der junge Mann zu Fabiola, winkte ihr mit der Flasche. Entschieden stürzte sie den letzten Rest ihres ‚Meskinnes‘ herunter und ging zum Tisch. „Darf ich dich einladen, Schönheit?“ „Natürlich.“, lächelte Fabiola und streckte ihm ihren Becher hin. „Mach gerne voll. Ich trink auch auf dein Glück.“ Der Junge tat ihr leid, denn sie war sich immer noch sicher, dass die beiden Falschspieler es auf ihn abgesehen hatten. Auch wenn sie keine Ahnung mehr hatte, wie sie es anstellen wollten.
‘Eines muss man ihm lassen’, ging es Obsidian durch den Kopf, während er das Schauspiel beobachtete. ‘Mut hat der kleine Mann. Er ist nicht besonders schlau - und sobald ihn sein Glück einmal verlässt, wird es sich wohl bitterlich rächen, wenn er weiterhin so grün durch die Welt tapert… aber Mut kann man ihm nicht absprechen.’
Einen Moment lang überlegte er, ob er ebenfalls an den Tisch treten sollte - sei es, um dem Grünling seine Grenzen aufzuzeigen oder um selbst in das Spiel einzusteigen und so die Wette - so Phex wollte - zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Aber er widerstand der Versuchung.
Beiden Versuchungen.
Auch wenn es ihn mehr Selbstbeherrschung kostete, als er zugeben wollte.
So sehr ein Teil von ihm die Wette gewinnen wollte, er hatte die Wette und den Einsatz aus einem einzigen Grund getätigt: herauszufinden, wie sich sein Täubchen wohl verhalten möge. Und so sehr ein Teil von ihm - wahrscheinlich der Adlige? - dem Grünling die Meinung sagen, die Gesellschaft der Dame am Tisch für sich beanspruchen wollte… zu sehen, wie sie sich nun verhielt, war das Risiko wert. Und überhaupt war der Grünling ohnehin nicht satisfaktionsfähig… ‘Nicht, dass es einen Unterschied macht’, ging es Obsidian durch den Kopf. ‘Auch du bist gerade nicht von Stand, vergiss das nicht!’
Fabiola wartete, bis der Grünling ihren Becher bis zum Rand gefüllt hatte. „Phex mit dir.”, nickte sie ihm zu, nippte, und schlenderte zurück zu Obsidian. Der Jüngling sah ihr hinterher, zunächst verblüfft, dann begann er zu grinsen. Zurück bei ihrem Begleiter spähte sie in dessen Becher. „Mach leer, Obsi, ich hab uns was zu Trinken besorgt. Wenn dir die Hälfte hiervon reicht. Ist der Billige.”, zwinkerte sie, bevor sie sich halb dem Tisch zuwandte, um zu sehen, wie das Spiel weiterging.
“Für einen Moment habe ich geglaubt, du würdest dich einfach dazusetzen und mitspielen”, erklärte Obsidian augenzwinkernd, bevor er seinen Becher in einem Zug leerte und zur Seite stellte. Die junge Frau überraschte ihn immer wieder. Auf durchweg positive Art.
Fabiola griff nach seinem Becher und füllte gekonnt die Hälfte ihres Schnapses hinein, ohne allzu viel zu verschütten. „Bist du enttäuscht, dass ich es nicht getan habe?“, wollte sie wissen, während sie ihm seinen Becher reichte.
Obsidian überlegte kurz. “Nein, nicht enttäuscht. Die Wahrscheinlichkeit, als Neueinsteiger in das Spiel den Jungen innerhalb von zwei Runden aus dem Spiel nehmen zu können, dürfte gegen null tendieren, und ich glaube, das ist dir bewusst. Wenngleich deine Chancen höher stehen dürften als meine”, fügte er lachend hinzu. “Aber”, fuhr er fort, “ich bin neugierig, ob du das Spiel dem Schicksal überlässt oder nicht doch noch versuchst, irgendwie einzugreifen, um das Spiel zugunsten deiner Wette zu drehen.” Fabiola lachte leise. „Und unwissentlich gegen hiesige Gepflogenheiten verstoßen? Mich selbst darum bringen zu erfahren, ob ich Recht hatte, zu sehen, wie sie es machen? Nein, warum sollte ich. Mein möglicher Gewinn ist zwar reizvoll, aber ich verliere nicht viel, wenn ich nicht gewinne.“ “Das glaubst du”, erwiderte Obsidian schelmisch grinsend. Sie war noch immer nicht so recht dahintergekommen, warum er diesen Einsatz als ihren festgesetzt hatte. Zumal ihn auch im Falle ihres Gewinns nichts davon abhalten konnte, ihre Worte wörtlich zu nehmen. Sie stieß mit Obsidian an und trank einen kleinen Schluck. Dann raunte sie in das Ohr ihres Begleiters: „Natürlich hätte ich ihn in zwei Runden aus dem Spiel nehmen können. Nur hätten wir dann nicht gewonnen.“ “Ich mag dein Selbstbewusstsein”, gab Obsidian offen zu, auch wenn er bezweifelte, dass sie - oder irgendjemand sonst - es schaffen würde den Grünling innerhalb von zwei Runden komplett auszunehmen. Vorausgesetzt man spielte nach den Regeln, selbstverständlich. “Und ich gebe dir Recht: Mich reizt es auch zu sehen, ob du richtig gelegen hast.”
„Nun denn, auf eine spannende zweite Runde.”, prostete Fabiola ihm zu und nippte an ihrem Becher. Irritiert sah sie zu, wie der Grünling Linde einen Moment davon abhielt, zur Theke zurückzukehren. Er sprach leise mit ihr, nahm einige weitere Münzen vom Tisch vor sich und drückte sie der Wirtin in die Hand. Diese steckte das Geld ein und ging zurück zum Ausschank.
Obsidian erwiderte den Prost, nahm einen Schluck - und wandte sich dann einen Augenblick lang vom Geschehen ab, um Linde mit dem Blick zu folgen. Hatte der Grünling gerade selbst eine Wette platziert? „Die nächste Runde beginnt. Letzte Möglichkeit, ein- oder auszusteigen.”, erklärte der Geber mit kräftiger Stimme. Die Aufmerksamkeit der Umstehenden wandte sich dem Tisch zu, die Spieler leerten ihre Becher und reichten sie dem Kind. Spannung lag beinahe spürbar in der Luft.
Zwei der Spieler am Tisch, darunter der Rotzer, schienen einen Moment zu zögern, in Erwägung zu ziehen, auszusteigen. Die Hagere stapelte demonstrativ die Münzen vor sich, grinste den Rotzer gehässig an. Dann wandten sich beide Männer dem Geber zu und nickten.
Dieser ließ die Karten durch die Luft tanzen, während er sie mischte, sichtlich die Aufmerksamkeit der Umstehenden genießend. Die ersten Karten glitten über den Tisch zu den Spielern. „Phex zur Ehr.” legte er die erste Opferkarte zur Seite und gab die zweite Runde. Merklich unter Spannung stehend, sah der Rotzer sein Blatt an, ohne die Karten ganz aufzunehmen. Der Grünling warf Fabiola ein Lächeln zu und studierte einen Moment seine Hand. Die Waschfrau, die anderen beiden Spieler und die Hagere musterten ebenfalls ihre Karten. Letzterer gelang es nur mit Mühe, ihre unbewegte Miene zu wahren, doch Fabiola war das unterdrückte Zucken der Mundwinkel nicht entgangen.
„Die Einsätze.”, forderte der Geber. Der Rotzer zog geräuschvoll die Nase hoch, versuchte sich an einem überheblichen Grinsen. Doch klimperten seine Münzen längst nicht so lässig wie in der letzten Runde in die Mitte. Der Grünling musterte ihn einen Moment, dann seine Karten. Schließlich setzte er den Mindesteinsatz. „Damit du nicht sofort raus bist, guter Mann.”, konnte er sich einen Seitenhieb zu seinem Nachbarn nicht verkneifen. Die anderen drei Spieler zogen nach.
Nachdenklich musterte Fabiola die Spieler, versuchte, sie einzuschätzen. Das Gefühl von Verunsicherung zu ignorieren, das der unerwartete Ausgang der letzten Runde hinterlassen hatte. Sie würde die nächsten Gebote abwarten müssen.
Der Geber schob verdeckt die drei ersten gemeinsamen Karten in die Tischmitte, legte dann die zweite Opferkarte zur ersten. „Phex zum Gefallen” Dann schnippte er die drei Karten auf ihre Bildseite.
Einer der Spieler stöhnte auf. Die Karten waren ungünstig verteilt. Der Grünling sah sie einen Moment an, bevor er das Zeichen des Phex schlug. Eine Geste, die er bislang nicht gezeigt hatte, soweit sich Algerio erinnerte. Der Zeigefinger des Rotzers fuhr am Rand einer seiner verbliebenen Münzen entlang. Er räusperte sich feucht. Die Hagere starrte ihn feindselig an.
„Dienen, Fordern, Kneifen.”, mahnte die Stimme des Gebers.
„Diene.”, erklärte der Rotzer nach kurzem Zögern. Fabiola musterte ihn eindringlich. Er wirkte weiterhin angespannt, aber irgendetwas irritierte sie, ohne dass sie sagen konnte, was.
Algerio nickte innerlich. Ganz egal wie seine Karten waren, der Grünling musste nun das Tempo bestimmen, sonst wäre eine weitere Runde verloren.
„Diene.”, erklärte der Grünling. „Dann hast du noch eine Runde, guter Mann. Es macht Spaß, mit dir zu spielen.” Auch wenn die Worte ein wenig überheblich klangen, nahm der gutmütig-freundliche Gesichtsausdruck des Jungen ihnen die Schärfe. „Kneife.”, erklärte der nächste Spieler. Die Hagere war am Zug. Fabiola sah sie an. Würde sie fordern oder dienen? Wenn sie forderte, würde der Rotzer nicht dienen können, außer sie erhöhte den Einsatz so wenig, dass sie eigentlich auch darauf verzichten konnte. „Fordere.”, erklärte sie mit einem gehässigen Lächeln. Und schob tatsächlich einen so geringen Einsatz in die Mitte, dass der Rotzer würde mithalten können. „Na, gibst du auf? Oder müssen wir uns dein Elend noch eine weitere Runde ansehen?”, stichelte sie. Der nächste Spieler sah seine Karten an. „Kneife.” „Diene.”, beeilte sich die Waschfrau.
Der Rotzer starrte die Hagere wütend an. „Diene. Von dir lass ich mich nicht abhängen.” Die Antwort war nichts weiter als ein hochnäsiger Blick. „Na, mal gucken, was die nächste Runde bringt.”, versuchte der Grünling die Spannung zu lösen. „Diene.” Fabiola nippte nachdenklich an ihrem Schnaps. Eine Bewegung unter den Zuschauern ließ sie aufblicken. Eine der Zuschauerinnen drängte interessiert näher, dem Grünling ein strahlendes Lächeln zuwerfend, das vermutlich betörend sein sollte, auf Fabiola wie ihr in seine Richtung gestrecktes, üppiges Dekolletée und die übertriebene Schminke aber eher ordinär wirkte. Der junge Mann beachtete sie nicht weiter.
„Phex ist groß”. Der Geber legte die Opferkarte zu den anderen, nachdem er zuvor die vierte Karte verdeckt in die Mitte des Tisches geschoben hatte. Er drehte sie um. Der Finger des Rotzers erstarrte, bevor er nervös mit einer seiner fünf verbliebenen Münzen spielte. Die Hagere lehnte sich entspannt zurück, nickte zufrieden. Die Zuschauerin drückte sich näher zum Grünling, versuchte, seine Aufmerksamkeit zu erzwingen. Doch er schob sie zur Seite. „Entschuldige, aber ich will mich auf das Spiel konzentrieren.” Sein Blick huschte zu Fabiola und Obsidian, bevor er sich auf die Karten vor ihm senkte. Die Abgewiesene zog eine Schnute, warf Fabiola einen vernichtenden Blick zu.
„Oh, ein wenig Drama abseits des Spiels. Wie unterhaltsam, findest du nicht auch, Obsi?”, schmunzelte Fabiola und sah zu ihm hoch.
“Es ist sogar gänzlich bemerkenswert”, erwiderte Algerio leise. “Der junge Mann weist die ihm offen angetragenen Avancen ab, ohne die Konzentration auf das Spiel zu verlieren, und dennoch verliert er dich nicht aus dem Auge. Mein Täubchen scheint einen weiteren echten Verehrer gewonnen zu haben”, scherzte er halb-ernst, “und entweder ist er komplett von sich selbst überzeugt oder nicht ganz so grün, wie es den Anschein macht.”
„Würde es dich stören, wenn es so wäre?”, erkundigte sich Fabiola keck.
“Mehr als ich gewillt bin zuzugeben”, erwiderte Obsidian augenzwinkernd, aber ausgesprochen ehrlich.
„Und woher willst du wissen, ob ich Verehrer habe?“
“Also wenn eine Frau wie du keine Verehrer hat, ist in Alveran etwas gehörig schief gelaufen”, erwiderte Obsidian. “Den Grünling mitgezählt…”, er deutete diskret in Richtung des Tisches, “weiß ich von mindestens zweien.”
Überrascht sah Fabiola ihn an. „Mindestens zwei?“, hakte sie nach, während ihre Gedanken sich überschlugen. Verdammter Schnaps, ihre Überlegungen waren verworrener, kamen langsamer voran als gewohnt. Sie würde sich nicht die Blöße geben, genauer zu fragen, wen er meinte. Wohl kaum sich selbst, immerhin kannten sie sich keinen ganzen Tag. Auch, wenn es ihr viel länger vorkam. Andererseits, wen mochte er sonst meinen? Warum sollte ihn Interesse des Grünlings sonst stören?
Obsidian grinste, nickte bestätigend. Er sah seinem Gegenüber die Verwirrung ins Gesicht geschrieben - aber er beließ es dabei.
Zumindest vorerst.
Mit einem Nicken in Richtung der Zuschauerin fügte Fabiola hinzu: „Sie zumindest scheint verstimmt. Dabei war ihr Zeitpunkt schlecht gewählt. Und sowas als Avance zu bezeichnen, ist sehr freundlich ausgedrückt. Die einzige Steigerung, die mir zu dem Vorgehen einfällt, wäre, ihm nackt auf den Schoß zu springen. Was ihn angeht… an Selbstbewusstsein mangelt es ihm tatsächlich nicht, und er spielt auf keinen Fall zum ersten Mal. Trotzdem war sein Fehler in der letzten Runde eklatant, und ich glaube nicht, dass er weiß, was geschieht. Ist am Tisch aber auch viel schwerer zu bemerken.“
“Mein Eindruck ist auch eher, dass er glaubt, von Phex höchst selbst geküsst worden zu sein. Und er scheint das Spiel wahrhaft zu genießen”, fügte er grinsend hinzu.
„Diene.” Die Stimme des Rotzers war heiser. Ihm blieb nichts anderes übrig, und die nächste Forderung würde er nicht mehr erfüllen können. Die Hagere würde zwar noch etwas mithalten können, aber wenn der Grünling es darauf anlegte, hatte auch sie ihm nichts entgegenzusetzen. Der junge Mann sah zwischen seinen verbliebenen Mitspielern und den Karten in der Mitte des Tisches hin und her. Noch immer war es schwierig, daraus eine hohe Kombination zu bilden. „Diene.”, erklärte er schließlich. Die Hagere schnaubte verächtlich. Bevor sie weiter reagieren konnte, suchte sie ein Niesanfall heim. Im letzten Moment gelang es ihr, ihr Taschentuch hervorzuziehen, doch sie schaffte es nicht mehr, sich wegzudrehen. Mit einem süffisanten Lächeln machte der Rotzer seine Atemwege frei und seinem Sitznamen alle Ehre. Fabiola war froh, das Schälchen nicht sehen zu können. Der Ekel auf dem Gesicht der Hageren sprach Bände.
„Ich kann das Elend nicht länger mit ansehen. Fordere!” Sie schob die Hälfte ihres verbliebenen Geldes in die Mitte. Ein Raunen ging durch die Zuschauer. „Das war’s dann für dich, du widerlicher Kerl. Lass anständige Leute unter sich spielen.” Es dauerte einen Moment, bis Fabiola verstand. Auch wenn ihr das letzte Mosaiksteinchen fehlte. „Sie machen es wirklich spannend, nicht wahr, Obsi?”, murmelte sie, ohne den Tisch aus den Augen zu lassen. Dieser nickte stumm. Der Finger des Rotzer malte Kreise auf den Tisch, wo gerade noch seine letzten Münzen gelegen hatten, und starrte die Hagere mit unverhohlener Abneigung an.
„Kneife.”, gab die Waschfrau auf und rutschte ein wenig vom Rotzer weg. Dieser reagierte nicht. „Dienen, Fordern, Kneifen.”, erinnerte ihn der Geber. Der andere zögerte einen Moment. Dann griff er in sein Hemd und zog ein Lederband hervor, an dem drei Medaillons hingen. Zögernd drehte er sie hin und her. dann löste er den Knoten und legte eins vor sich auf den Tisch. „Ich biete das hier als Einsatz.”
Ein Raunen ging durch die Menge. „Ah…”, entfuhr es Fabiola. Sie schmunzelte.
“Eine interessante Wendung”, musste auch Obsidian zugeben. Sollten die beiden wirklich zusammen spielen, war ihre Scharade bemerkenswert, und sie legten sich wirklich ins Zeug, den Grünling auf eine falsche Fährte zu locken und in Sicherheit zu wiegen.
Die Hagere protestierte. „Auf keinen Fall. Du bist raus, nimm es wie ein Mann. Und überhaupt, das reicht nicht zum dienen.” Der Rotzer schüttelte vehement den Kopf. „Von so einer Schabracke wie dir lass ich mich nicht abhängen. Dann halt den zweiten Anhänger dazu. Und wenn du unbedingt Geld sehen willst… Hier findet sich bestimmt jemand, der mir genug dafür gibt, dass ich mit dir mithalten kann!”
Er sah sich auffordernd um, doch die Reaktionen waren zurückhaltend. „Für einen guten Preis. Das ist mehr wert, als ich brauche.” Die Zuschauerin mit dem üppigen Busen musterte die Medaillons. „Das kann jeder sagen. Gib das dritte mit dazu, und wir sind im Geschäft.”
Als sie sich bewegte, blitzte der Anhänger im Licht der Kerze hinter ihr auf. Fabiola erstarrte. Trat einen halben Schritt vor, bevor sie sich wieder unter Kontrolle hatte.
“Ist alles in Ordnung?”, fragte Obsidian besorgt. „Ja, ich glaube, ich hab zu viel getrunken.”, lächelte Fabiola ihn an, selbst nicht ganz sicher, ob sie sich nicht einfach etwas eingebildet hatte. Sie kam wieder näher zu ihm und richtete ihre Aufmerksamkeit zurück auf den Tisch. Gerade rechtzeitig, um einen letzten Blick auf den dritten Anhänger zu erhaschen. Sie hatte sich nicht getäuscht. ‘Ist das ein Zeichen oder eine Warnung, Feqz? Wie auch immer, ein Rätsel für morgen.’ „Vielen Dank nochmal, Obsi, dass du mich heute Abend mit hierher genommen hast. Soviel Eindrücke, die ich nicht missen möchte. Ich hatte nicht gesehen, dass sie zu dritt sind. Nachlässig, ich bin aus der Übung.” Sie nahm einen zu tiefen Schluck Schnaps und musste husten.
„Unsinn.”, mischte sich am Tisch der Grünling in die Diskussion um die Einsätze ein. „Drei Anhänger für meinen Einsatz, das wäre unfair. Ich akzeptiere die beiden Münzen als Einsatz. Und finde, eine reicht zum dienen, wenn das Haus nichts dagegen hat.” Etwas glitzerte in seinen Augen, vielleicht aufkeimende Gier. Der Geber schüttelte den Kopf. „Aber…”, versuchte die Hagere einzuwenden. Doch einige Zuschauer zischten ihr zu, still zu sein. „Diene.”, warf der Rotzer das erste Medaillon in die Mitte. „Diene.”, bestätigte der Grünling, und schob einen großen Teil seines verbliebenen Geldes in die Mitte. Mit säuerlichem Gesichtsausdruck zögerte die Hagere. Dann setzte sie alles, was sie noch hatte. „Diene. Von dir lasse ich mich nicht ausstechen, nicht mit solchen Methoden.“, fauchte sie in Richtung des Rotzers. Alle zehn Finger auf den Tisch gestützt wirkte es einen Moment, als wolle sie sich auf den Mann stürzen.
„In Phexens Gunst.“ Ungerührt von den Kapriolen seiner Spieler schob der Geber die letzte Karte in die Mitte, legte die vierte Opferkarte zur Seite und flippte die andere. Ein Raunen ging durch die Zuschauer. Ohne eine gute Hand gab es keine Möglichkeit, eine vernünftige Kombination zu erreichen. Straßen waren jedenfalls ausgeschlossen.
Der Grünling musterte nachdenklich seine Karten, warf erst der Hageren, dann dem Rotzer einen forschenden Blick zu. Der Ringfinger des letzteren fuhr um den Rand des Medaillons vor ihm, tippte darauf, fuhr wieder um den Rand. Immer und immer wieder. Das Gesicht war bemüht ausdruckslos. Die Hagere hingegen wirkte resigniert, zog fahrig ihr Taschentuch und spielte unbewusst damit.
Fabiola tippte ihren Becher gegen Obsidians. „Ich denke, wenn der Grünling nicht plötzlich sein Spiel ändert, komme ich bei meinem nächsten Besuch mit dir aus eigenem Recht herein.” Zufrieden nippte sie an ihrem Schnapps.
„Diene.”, erklärte der Rotzer schließlich. „Na, dann muss ich wohl fordern. Du hättest kneifen sollen, guter Mann.” Damit schob der Junge seine restlichen Münzen in die Mitte. Der Geber hielt ihn davon ab, sie dem Haufen der restlichen Einsätze hinzuzufügen und sah die Hagere an. „Ich will sehen.”, erklärte diese, penibel ihr Taschentuch faltend.
„Natürlich, alles andere wäre dumm, sie hat nichts mehr zu verlieren.”, murmelte Fabiola eher zu sich selber.
Der Rotzer musterte erst den Grünling, dann die Frau, die Gelassenheit in seinem Blick nicht ganz verbergen könnend. Dann schob er den Anhänger zum Einsatz des Grünlings. „Folge.”
Der Geber nickte, sah den Grünling an. Der hob die Hände, zuckte mit den Schultern. „Nun liegt es in Phexens Hand, ich hab nichts mehr.”, grinste er.
„Licht oder Schatten.”, forderte der Geber die verbliebenen Spieler. Ein hässliches Grinsen begann, sich auf dem Gesicht des Rotzers auszubreiten. „Du hast dich verzockt, Hosenscheißer. Das war’s. Licht!” Er deckte seine Karten auf. Ein hoher Drilling. Murmeln machte sich unter den Zuschauern breit, die wenigsten schienen dem Mann das Blatt zu gönnen. Abgesehen von der Frau mit dem tiefen Dekolleté. Sie lächelte dem Rotzer zu und schob sich in seine Richtung. Der Grünling war blaß geworden. Er warf einen Blick auf die Einsätze in der Mitte des Tisches. Sah seine Karten an. Blickte zu den Karten in der Mitte. Dann erklärte er etwas gedrückt: „Licht”. Er deckte seine Karten auf. Zwei hohe Paare. Der Rotzer lachte laut und winkte die Frau zu sich. „Dumm gelaufen, Kleiner.” Er wollte nach den Einsätzen greifen, aber der Geber hielt ihn mit einer Geste davon ab und sah zu der Hageren. „Schatten.”, schob sie ihre Karten verdeckt in die Mitte, stand ohne ein weiteres Wort auf und verließ den Tisch. Der Geber nickte dem Rotzer zu, der hastig seinen Gewinn einstrich.
Der Grünling starrte auf den leeren Tisch vor sich, merklich damit beschäftigt zu verstehen, dass er verloren hatte. Alles. Schließlich zuckte er mit den Schultern und sah auf. „Phex gibt, Phex nimmt.” Das schiefe Lächeln trug mehr als nur eine Spur Bedauern in sich. „Danke, es hat Spaß mit euch gemacht. Und wieder was gelernt, für’s nächste Mal.”, wandte er sich dann die anderen Spieler. Er erhob sich. Der Rotzer, die eine Hand bereits auf dem Hintern der drallen Zuschauerin, schüttelte den Kopf. „Und was wäre das, Jüngelchen? Nicht mit Erwachsenen spielen?” Der Grünling grinste. „Alte Männer nicht aus Mitleid ein paar Runden mitziehen. Und nicht zustimmen, wenn jemand plötzlich neue Einsätze bringen will.” Dann wandte er sich zum Ausschank.
Für einen Moment musste Obsidian verarbeiten, was sich gerade alles zugetragen hatte. Seine Gedanken rasten. Der Grünling hatte verloren, der Rotzer gewonnen. Wie von seinem Täubchen vorhergesehen. Damit hatte Obsidian seine Wette gewonnen. Und sein Täubchen die ihre. Zeit also, die Gewinne einzufordern - aber es war noch so viel mehr passiert. Der Betrug war für Obsidian offensichtlich geworden. Der Grünling schien es aber weiterhin nicht bemerkt zu haben. Und, was Obsidian am meisten beschäftigte: Irgendetwas hatte er übersehen. Oder, besser noch: Irgendetwas war ihm entgangen, nicht aber seinem Täubchen. Irgendetwas… wichtiges. In seinem Kopf spielte sich die Szene erneut ab… und dann fasste er einen Entschluss. ‚Hilf dir selbst‘, hörte er seine eigenen Gedanken.
„Traurig, dass du meinen Einsatz nicht bekommst, Obsi?“, erkundigte sich Fabiola, während sie bei ihm unterhakte und dem Grünling nachsah. Ihre Worte rissen Obsidian aus den Gedanken.
“Traurig? Nein, im Gegenteil”, erklärte er freudig strahlend. “Vielmehr euphorisch, dass wir unsere Wette gewonnen haben. Und wer weiß, aufgeschoben ist nicht aufgehoben”, ergänzte er augenzwinkernd.
„Ich mag dein Selbstvertrauen.“, grinste Fabiola. „Zeig mir, was geschehen wäre, wenn ich verloren hätte. Such dir etwas aus, das du wörtlich nimmst. Vielleicht wiederhole ich den Einsatz dann irgendwann.” Hastig ergänzte sie mit einem Zwinkern: „Eine Sache!“ Erwartungsvoll sah sie ihn an.
Obsidian überlegte einen Moment. “Schatten”, sagte er dann, mit ein wenig Bedauern in der Stimme. “Vielleicht erzähle ich dir eines Tages, was ich mir gedacht habe, aber im Moment bin ich zu alkoholisiert, um gute Entscheidungen zu treffen, fürchte ich. Und bei dem Gedanken…” Er hob den Becher zum Toast, nickte ihr anerkennend zu. “Als hättest du die Zukunft gesehen, perfekt vorhergesagt.“ Dann trank er einen Schluck. Mittlerweile schmeckte er den billigen Fusel fast gar nicht mehr.
Mit leichtem Bedauern erwiderte Fabiola die Geste. Zu ihrer Beunruhigung war ihr Becher schon wieder so gut wie leer. Wieviel hatte sie heute Abend getrunken? Und was war in dem Zeug hier, dass sie trotzdem noch klare Gedanken fassen konnte?
„Damit hast du deine erste große Wette im Fuchsbau gewonnen. Ich gratuliere! Sollen wir deinen Gewinn einfordern gehen?“
„Gleich. Erst sag mir, was außer der Münze du gesetzt hast, das ich nicht verstanden habe. Und öffentlich hast nur du gewettet.“
“Das mag sein - aber wo, wenn nicht hier, zählen heimliche Wetten besonders?” Er grinste, wurde dann ernster. “Und was die Münze angeht: Gesetzt habe ich nur die Münze, aber es geht nicht um die Münze, sondern um das, wofür sie steht. Das Zutrittsrecht zum Fuchsbau kennst du ja schon. Aber es gibt noch zwei… drei weitere ‚Funktionen‘, die sie hat. Beziehungsweise Dinge, für die die Münze steht. Komm mit…”
Die junge Frau im Arm machte er sich auf den Weg zur Theke, wo der Grünling bereits stand und auf Lindes Aufmerksamkeit wartete.
„Seine Unbekümmertheit ist beneidenswert. Wollen wir ihm noch einen Tipp geben, fürs nächste Mal? Zum Beispiel, dass es dumm ist, seine Hand früher zu zeigen, als man muss?”
“Du bist hier im Fuchsbau… was hätten wir davon?”, fragte Obsidian halb im Scherz. „Eine Wette, dass sich der Einsatz in Zukunft bezahlt macht?“ Obsidian überlegt kurz. “Zwischen uns, oder mit ihm?”, fragte er dann. „Wie es dir lieber ist. Obwohl, hier zählen heimliche Wetten besonders, nicht wahr?“ Obsidian grinste. “Du lernst schnell, kleines Täubchen! Gut. Schwebt dir etwas Konkretes vor?” „Nicht direkt, nein. Es sollte etwas langfristiges sein, wer weiß, wann wir erfahren, wie die Wette ausgegangen ist. Ideen?“ Obsidian musste nicht lang überlegen. “Gut, wir geben ihm einen Tip und vertrauen darauf, dass einer von uns beiden im Laufe des nächsten Götterlaufs dadurch direkt einen Vorteil erwirbt - in welcher Form auch immer. Linde sei die Schiedsrichterin. Das ist der offene Teil.” Er grinste vielsagend, bevor er fortfuhr: “Und der verdeckte Teil ist eine Wette darauf, wen von uns beiden der Vorteil trifft. Frei nach dem Grundsatz, ‘hilf dir selbst’, bekommt der jenige, der den Vorteil erwirbt, von dem, der ihn nicht bekommt, noch einen Einsatz oben drauf. Wenn du gewinnst, verrate ich dir meine Hintergedanken dabei, dich wörtlich zu nehmen. Und wenn ich gewinne, wiederholst du deinen Einsatz, ohne zu wissen, um was es mir geht. Verlieren wir beide, müssen wir beide unsere Wettschuld einlösen. Abgemacht?” „Eine Einschränkung: Ich wiederhole meinen Einsatz, aber du musst dich auf eine konkrete Zeitspanne begrenzen, die nicht mehr als, sagen wir, neun zusammenhängende Stunden umfasst, und mir sagen, um welche Zeitspanne es sich handelt.” “Gern.” Das Angebot war mehr als fair. “Welchen Einsatz schlägst du für den offenen Teil vor?“ “Bezüglich Linde? Ich glaube da würde ich es mir in dem Falle einfach machen, wie die meisten hier, und ein paar Heller setzen.” „Einverstanden.“, stimmte Fabiola zu. Sie sah zum Ausschank, wo der Grünling mit der Wirtin sprach. „Was er wohl von Linde will?”
“Finden wir es heraus”, entgegnete Obsidian, schloss mit ein paar schnellen Schritten den Abstand zum Grünling und lehnte sich gegen die Theke. “Gut gespielt”, sagte er so laut, dass der Grünling es hören musste, ohne ihn direkt anzusehen.
Der junge Mann drehte sich um und sah Obsidian an. „Danke, aber so gut war es nicht, sonst hätte ich gewonnen.“ Sein Blick wanderte zu Fabiola an Obsis Seite. „Hallo Schönheit, vielleicht hätte ich dich am Tisch gebraucht, als Glücksbringer.“ Er wandte sich zu Linde: „Liebe Linde, sei so gut, drei Kleine.“
„Ich dachte, du hättest alles verloren.“, erkundigte sich Fabiola. Der Grünling lachte. „Nein, wenn ich ein bisschen gewonnen habe, geb ich Linde meinen ursprünglichen Einsatz in Verwahrung, gegen ein Entgeld natürlich. Dann schmerzen Niederlagen nicht so sehr, und es ist genug da, um hübsche Damen einzuladen. Vielleicht ein bisschen Trost zu finden.“
“Eine schlaue Strategie”, nickte Obsidian anerkennend. Er bot dem jungen Mann die Hand. “Obsidian”, stellte er sich vor. “Yanis”, erwiderte der Grünling und nahm die ihm dargebotene Hand. “Und du bist…?”, fragte Yanis, nun an Fabiola gewandt. “Mein Täubchen”, antwortete Obsidian, noch ehe die Angesprochene reagieren konnte. Dabei legte er unwillkürlich erneut den Arm um seine Begleitung, zog sie zu sich, wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Fabiola lachte auf. Sie schob ihren Arm um Obsis Taille und murmelte ihm ins Ohr. „Soso. Du vergisst, dass besagtes Täubchen da durchaus ein Wort mitzureden hat. Auch wenn sie deine Gesellschaft viel zu vergnüglich findet, um freiwillig darauf zu verzichten.“ Obsidian grinste, seltsam zufrieden. “Es waren deine Worte, nicht meine, dass du hier und heute mein Täubchen bist”, erwiderte er, leise aber bestimmt. Fabiola lachte erneut leise, dann flüsterte sie ihm zu: „Nein. ‚Dein Täubchen‘ war nur eine Wiederholung deiner Worte. Meine waren, dass ich für heute Abend ‚Täubchen’ sei. Aber lassen wir die Wortklaubereien, schließlich macht es im Moment keinen Unterschied.“
Sie löste sich nur halb aus seiner Umarmung und wandte sich an Yanis: „Auch wenn du deinen Trost woanders finden musst, du darfst mir trotzdem gerne einen ausgeben, Yanis. Ich mag deine Sicht auf die Dinge.“
Der Aufforderung Folge leistend, schob Yanis einen Becher zu Obsidian, einen augenzwinkernd zu Fabiola und behielt einen bei sich selbst. “Worauf sollen wir trinken?”, fragte er, als er den Becher erhob. “Darauf, dass auch in einer Niederlage ein möglicher Gewinn versteckt sein kann”, schlug Obsidian vieldeutig vor. Yanis schaute etwas überrascht, dann fragend zu Fabiola. „Nicht ich. Aber du spielst nicht schlecht, und wir beide haben dem Gewinner den Sieg weniger gegönnt, als es bei dir der Fall gewesen wäre. Du hättest gewinnen, oder zumindest weniger verlieren können, wenn du mehr auf deine Mitspieler und vor allem die Regeln geachtet hättest. In der vorletzten Runde - du hast deine Hand gezeigt, bevor du musstest. Die Chance vergeben, zu sehen, was die anderen haben - oder ob sie geblufft haben, ihre Hand nichts wert ist, sie sie nicht zeigen. Die anderen über deine Hand eventuell selber im Unklaren zu lassen.”
Aufmerksam beobachtete Fabiola Yanis Reaktion, denn sie war sich nicht sicher, ob er nicht doch unerfahrener tat, als er war. Der junge Mann kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Schlechte Angewohnheit, bin manchmal zu ungeduldig.” Dann sah er seine beiden Gegenüber misstrauisch an. „Was wollt ihr für den Rat? Hier ist nichts umsonst.” Fabiola warf Obsidian einen kurzen Blick zu. Erst als er kaum merklich nickte, erklärte sie: „Hier und heute? Nichts. Es liegt an dir, aus den Informationen etwas zu machen. Hilf dir selbst, so hilft dir Phex Vielleicht findest du irgendwann eine Möglichkeit, dich bei einem von uns zu revanchieren. Und wenn nicht, nun, so hat der… Fuchs heute eben doch noch ein wenig auf dich herab gelächelt.” Yanis schwieg verblüfft. Dann zuckte er unbeschwert mit den Schultern. „Gut, so sei es. Linde, noch einen Kleinen für die beiden, auf meine Kosten. Für mich ist es Zeit, zu gehen. Bis zum nächsten Mal. Und wenn du seiner Gesellschaft überdrüssig bist, Schönheit, lass es mich wissen.” Er lächelte Fabiola an, nickte Obsidian zu, zog eine Mütze hervor und wandte sich in Richtung Tür. Keine zwei Schritte später wandte er sich noch einmal um: „Das war eine Einladung, keine Revanche. Ich will bei meiner zukünftigen Schönheit ja in guter Erinnerung bleiben.“
Fabiola sah ihm kopfschüttelnd nach. „Netter Kerl, an Selbstbewusstsein mangelt es ihm wirklich nicht. Komm, platzieren wir unsere Wette und lösen wir den Gewinn der letzten aus, ich bekomme noch Antworten.“ Sie drehten sich zum Ausschank.
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