Chronik.Ereignis1044 Ein vergnüglicher Abend 03

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Punin, Peraine 1044 BF[Quelltext bearbeiten]

Fuchsbau, irgendwo in Yaquirhafen, in den späteren Abendstunden[Quelltext bearbeiten]

Autoren: Eliane, BBB


Nachdem sie die Einsätze wieder auf einen Kreuzer pro Runde reduziert hatten, spielten sie eine Weile unbeschwert. Fabiola verlor weiterhin deutlich häufiger als ihr Gegner, doch es schien ihr nichts auszumachen. Keiner der beiden kam in die Verlegenheit, eine Runde ausgeben zu müssen, reichte es doch immer zumindest für einen Zwilling. Obsidian wurde zunehmend nachdenklicher. Als er wieder einmal an der Reihe war, schüttelte er schließlich den Becher kurz, setzte ihn umgekehrt ab, ließ ihn aber noch über den gefallenen Würfeln stehen. Mit dem Mittelfinger strich er dann im Kreis um den Boden des Bechers, während er überlegte.

Auch wenn es Fabiola vielleicht nicht aufgefallen war, war er ihr bislang eine Antwort schuldig geblieben. Dass diese Frage danach, wie er den Fuchsbau gefunden hatte, irgendwann kommen musste, war ihm klar gewesen, und er hatte sich alle möglichen Antworten bereitgelegt gehabt… eine glaubwürdiger als die nächste.

Und dennoch allesamt gelogen.

Aber er hatte versprochen, wahrheitsgemäß zu antworten - und, was viel schwerer wog, etwas in ihm sträubte sich dagegen, sein Gegenüber anzulügen. Er wollte seinem Täubchen vertrauen können und wollte, dass sie ihm vertrauen konnte. Dass sie ihm vertraute. Also beschloss er, so nah an der Wahrheit zu antworten, wie es ihm möglich war. Nur war das gar nicht so leicht.

“Ich schulde dir übrigens noch eine Antwort”, sagte er schließlich. “Bezüglich deiner Frage von vorhin, wie ich diesen Ort gefunden habe. Es ist ein paar Götterläufe her. Ich hatte gerade damit begonnen, als Fernhändler aktiv zu werden, und ich brauchte dringend einen Ort in Punin, von dem aus ich meine Geschäfte abwickeln konnte. Zumindest dachte ich das.” Er hob den Becher, sortierte die gefallenen Würfel in aufsteigendem Wert. “Ein Geschäft im Zentrum der Capitale konnte ich mir nicht leisten, zumal sie viel zu klein waren für meine Bedürfnisse, und ein Kontor direkt am Hafen war ebenfalls viel zu teuer. Also heuerte ich jemanden von hier an, der mir dabei helfen sollte, ein passendes Haus zu finden. Er zeigte mir den Fuchsbau das erste Mal, so wie ich dir heute. An diesem Tag habe ich viel Geld hier gelassen - und erkannt, dass ich doch kein Lager brauche.” Kein Wort gelogen. Auch wenn es nicht die volle Wahrheit war.

Fabiola hatte ihm mit leicht schräg gelegtem Kopf zugehört, ihn nicht aus den Augen lassend. „Da hast du wohl Glück gehabt, an so hilfsbereite, ehrliche Personen geraten zu sein. Wissen sie über dich, was ich weiß? Und was hat dir die Erkenntnis verschafft, kein Lager zu brauchen?“ Sie hatte den Eindruck, dass er ihr gegenüber erstaunlich offen und ehrlich war. Vermutlich nicht bis ins letzte Detail, aber weitergehend, als sie erwartet hatte. Andererseits, er hatte schon zu Beginn ihres Kennenlernens betont, dass er sich gewöhnlich wortgetreu an seine Versprechen halte, und ihr bisher keinen Anlass gegeben, daran zu zweifeln. Im Gegenteil. Seine Stimme holte sie aus ihren Gedanken.

“Nein, damals gab es nur Obsidian. Ich wusste zu der Zeit selber nicht, wer ich war. Oder besser, wer ich mal gewesen war. Das kam alles erst später. Die Erkenntnis, kein Lager zu brauchen, zumindest kein so großes, trug ich schon eine Weile mit mir herum, aber sie wurde an diesem Abend Gewissheit. Fast alle Waren, die ich handle, gehen direkt vom Produzenten zu meinen Kunden, eine Zwischenlagerung ist da schlicht nicht notwendig. Und was das Zugangsrecht angeht: Ich behaupte gern, mir meines an diesem Tag erspielt zu haben - aber zur Wahrheit gehört wohl auch, dass ich an diesem Abend so viel Geld hier gelassen habe, dass sie mir den Zugang auch so gewährt hätten, in der Hoffnung, dass ich ein weiteres Mal komme und sie sich an mir bereichern können. Wahrscheinlich haben sie mich einfach gewinnen lassen…” Er lachte kurz, schaute dann auf die Würfel, nahm drei und warf sie erneut.

„Beeindruckend, dass du viel verlieren kannst, obwohl sie dich haben gewinnen lassen. Dass du überhaupt länger verlieren kannst. So oder so ist es ein erspieltes Zugangsrecht. Oder hast du das Geld anderweitig als beim Spiel hier gelassen?“, neckte Fabiola Obsi, den Becher in ihrer Hand langsam, aber unablässig im Kreis schwenkend.

Obsidian lachte wieder, die Nachdenklichkeit wie verflogen, und zwinkerte seinem Gegenüber mit einem vielsagenden Grinsen zu.

„Apropos anderweitig Geld loswerden: ich habe Hunger, und es täte mir gut, vor der nächsten Runde von Lindes Selbstgebrannten etwas zu essen. Lass mich dich einladen, es bringt Unglück, alleine zu essen.“ Sie sah sich um und entdeckte ein Kind, das dabei war, leere Becher einzusammeln. Als es näher kam, pfiff Fabiola in seine Richtung und winkte. Das Kind, es mochte Junge oder auch Mädchen sein, näherte sich und sah sie misstrauisch an. Fabiola ließ eine Münze über ihre Finger tanzen. „Die hier und eine weitere gehören dir, wenn du uns was zu Essen besorgst.“ „Essen ist nicht umsonst.“, grinste ihr Gegenüber und streckte ihr die Hand entgegen. Fabiola zählte zehn Kreuzer hinein. „Was Warmes, oder Brot, Käse und Obst.“ Das Kind verschwand.

Obsidian nickte dankend. Erst jetzt merkte er, dass auch er seit dem Vormittag nichts mehr gegessen hatte - von den Kleinigkeiten im Schwarzen Schwan einmal abgesehen.

“Eine gute Idee! Und meinen herzlichen Dank für die Einladung. Ich leiste dir liebend gern Gesellschaft.”

'Jederzeit', fügte er in Gedanken hinzu, sprach es aber nicht aus, sondern wandte sich stattdessen wieder den Würfeln zu.

“Zwei Paare”, stellte Obsidian mit Blick auf das Würfelergebnis fest. Dann deutete er auf Fabiolas Würfel. “Du bist dran. Und während du wirfst: Einige der Fragen, die mir durch den Kopf schwirren, sollte ich hier wahrscheinlich besser nicht stellen, aber nachdem ich schon weiß, dass du in Fasar gewesen bist, vielleicht ein paar leichte, oberflächliche Fragen: Reist du gern?”

„Kommt ein bisschen auf Ziel und Anlass an, aber insgesamt schon. Es gibt soviel mehr als unsere Heimat. Auch wenn es ein gutes Gefühl war, auf das Land meiner Geburt zurück zu kehren.“ Sich unauffällig mit dem Daumen über das Handgelenk der anderen Hand streichend verschloss sie den Würfelbecher, ließ die Würfel klackern, und schlug ihn auf den Schemel.

Als sie ihn hob, lag ein Drilling vor ihnen. Sie nahm die verbliebenen beiden Würfel, warf sie erneut, aber das Ergebnis wurde nicht besser.

„Du bist. Was war das am weitesten entfernte Ziel, das du jemals bereist hast?“

“Du gewinnst öfter als vorhin.”, stellte Obsidian lächelnd fest. “Drilling schlägt zwei Paare.” „Jetzt, wo es im Nichts mehr geht.“, murmelte Fabiola eher zu sich selbst. Nun, immerhin war klar, wem der Mungo heute seine Gunst geschenkt hatte.

Obsidian nahm seine Würfel auf und schüttelte den Becher.

“Das weiteste Ziel? Puh… da muss ich nachdenken. Das Svellttal und Thorwal sind recht weit entfernt. Das Bornland - nicht sehr zu empfehlen. Und weite Teile der Tulamidenlande. Nur in den tiefen Süden hat es mich bisher nicht gezogen.” Er setzte den Becher ab.

“Abgesehen von Zuhause… wo warst du am liebsten?”

„Das ist schwierig zu sagen. Im Kreise von guten Freunden, engen Vertrauten vermutlich. Da spielt der Ort weniger eine Rolle. Es gibt natürlich Ausnahmen.”

“Das kann ich gut nachvollziehen und geht mir ähnlich. Trotzdem kein Ort, dir besonders am Herzen liegt?” „Ich war, nach Zuhause, selten sehr lange an einem Ort. Und an jenen, an denen es mir gefiel, war ich nicht allein, da kann es an der Gesellschaft gelegen haben.“, zuckte Fabiola mit den Schultern.

“Was mochtest du am Bornland nicht?”

Obsidian schmunzelte. “Es geht schneller aufzuzählen, was ich mochte. Es ist kalt. Nass. Die Menschen sind distanziert und rau. Gemütlichkeit oder Ausgelassenheit kennt man dort nicht, hab ich das Gefühl. Nein, es gibt wahrlich schönere Gegenden.”

“Ist das Svellttal für Menschen denn wieder einigermaßen sicher bereisbar?”

“Als ich da war, was schon eine Weile her ist, stand es weitgehend unter der Fuchtel des Schwarzpelzes. Die Menschen dort scheinen sich damit abgefunden und arrangiert zu haben… aber für mich war das ein zutiefst betrüblicher Anblick.”

„Ja, das habe ich auch gehört. Geschichten aus der Zeit kurz nach dem letzten großen Orkensturm. Muss schlimm gewesen sein. Was Thorwal angeht…“, wechselte sie das Thema, „hast du dich unter all den hühnenhaften Thorwalern ausnahmsweise klein gefühlt?“

Wieder lachte Obsidian. “Wie ein Zwerg”, scherzte er. “Aber man gewöhnt sich schnell daran. Nur Schifffahrten… die sind auch sind nicht so meins. Was ist der weitest entfernte Ort, an dem du gewesen bist?”

„Die Ausläufer des Ehrenen Schwerts. Mit einem keineswegs distanzierten Bornländer, in einer ziemlich gemütlichen Jagdhütte.“, grinste Fabiola.

Obsidian hob überrascht die Augenbraue. “Oho… ich bin mir nicht sicher, ob ich beeindruckt oder neidisch sein soll… oder beides. Was hat dich denn in den entlegensten Winkel des Kontinents geführt? Noch dazu in solch außergewöhnlicher Begleitung?”

„Was denkst du? Unerfüllte Liebe und Sehnsucht natürlich.“, lachte Fabiola. „Welcher Ort liegt dir am meisten am Herzen?“

“Unerfüllte Liebe am Ehrenen Schwert…” Obsi nickte nachdenklich anerkennend. “Die Geschichte dahinter musst du mir beizeiten mal erzählen. Es scheint, mir ist in meinem Leben mehr entgangen, als ich dachte.” Einen Moment lang schlich sich eine Spur von Trauer in Obsis Stimme. Doch dann kehrte sein Lächeln zurück. “Mein liebster Ort… Neben diesem hier meinst du?”, erwiderte er scherzhaft. “Eine gute Frage. Da ich mich an meine Kindheit und Jugend nicht erinnern kann und die frühen Jahre meiner Erinnerung hauptsächlich durch Schlachtfelder geprägt sind, ist die Auswahl nicht so groß. Selkethal ist mir ans Herz gewachsen, auch wenn ich das anfangs nicht gedacht hätte. Aber wahrscheinlich… wahrscheinlich ist es der Wagen meines Zahori-Freundes. Zumindest habe ich viele schöne Erinnerungen daran. Und wenn wir schon von Sehnsüchten sprechen - was wäre ein Ort, an den du immer mal wolltest, aber noch nie da gewesen bist?”

„Du hast einen Zahori-Freund, in dessen Wagen du genug Zeit verbracht hast, dass es dein liebster Ort ist?“, brach ihre Überraschung aus Fabiola hervor. „Und deine Familie weiß davon, hat nichts dagegen?“ Verärgert über sich selbst biss sie sich auf die Zunge. Sie hatte etwas anderes fragen wollen. Und würde sich etwas Neues als Revanche für diesen Besuch hier überlegen müssen.

“Ja, ich habe einen Zahori Freund. Mehrere sogar. Und einen ganz speziellen, der wahrscheinlich sogar mein engster Freund und Vertrauter ist”, antwortete Obsidian amüsiert grinsend. “Und ja, meine Familie weiß davon. Also… Teile meiner Familie. Kleine. Teile.” Er lachte. “Und einige von diesen kleinen Teilen haben nichts dagegen. Andere Teile hingegen… wissen entweder nichts davon oder haben sich entschieden wegzuschauen. Und wieder anderen Teilen ist er ein echter Dorn im Auge.” Er zuckte mit den Schultern. “Ich sagte ja schon, mein Verhältnis zu meiner Familie ist… kompliziert.”

„So sind Familien. Noch geben sich in meiner alle Mühe, aber ich vermute, dass wird auf Dauer nicht so bleiben. Zu schade, dass ich die Runde vorhin nicht gewonnen habe, sonst wüsste ich jetzt, wen ich treffen wollte.” Der Kommentar brachte Obsidian ein weiters mal zu einem Schmunzeln. Ob Domna Selea und Madalena sich verstehen würden? Er wagte es zu bezweifeln…

“Zurück zu deiner Frage. Ein Ort, von dem ich träume… Es hört sich vielleicht komisch an, aber ich habe die letzten Jahre so häufig von Tôrzîlba geträumt, dass ich die erste Nacht nach meiner Rückkehr erst Ruhe fand, als ich dort war. Zählt das als Sehnsuchtsort, auch wenn ich natürlich vorher schon dort gewesen bin?“

“Ich lasse es gern gelten, so habe ich später noch eine Frage mehr.”

Sie versank in Gedanken und schwieg eine Weile. Der Nachhall des unbeschreiblichen Gefühls, als sie nach all den Jahren die Erde unter ihren nackten Füßen gespürt, im Licht der Mada durch die Rosen getreten war, erfüllte sie einen Moment, während ihre Unterarme zu prickeln begannen.

Sie verschränkte die Arme und sah Obsidian ernst an. „Was hat dich eben traurig gemacht? Deine Erinnerungen an Schlachtfelder?“ Etwas, mit denen sie wenig Erfahrung hatte. Dafür kannte sie genug Geschichten.

“Nein, Schlachtfelder sind… eine üble Notwendigkeit. Daran habe ich mich gewöhnt.” Die Worte waren nüchtern vorgetragen und ohne wirkliche Emotion, weder verbittert, noch voller Sorge oder Trauer. Der Umgang mit dem Rapier und die daraus resultierenden Ergebnisse waren ein Handwerk - die sich anfänglich einstellenden Emotionen waren über die Götterläufe hinweg schlicht abgestumpft.

Obsidian überlegte einen Moment, wie er die Frage beantworten sollte - zum einen, weil eine direkte Antwort ein wenig kitschig, ja lächerlich klingen musste, und zum anderen, weil er sich ein wenig um die Reaktion seines Gegenübers sorgte. Aber warum eigentlich? Es war ihm doch sonst auch gleich, was andere von ihm dachten.

Nach einem Schweigen, das weit länger andauerte, als er beabsichtigt hatte, antwortete Obsidian endlich, ein verschmitztes Grinsen im Mundwinkel: “Weißt du, es klingt vielleicht merkwürdig für dich, aber… als du sagtest, unerfüllte Liebe und Sehnsucht trieben dich ins Bornland, wurde mir wieder bewusst, dass ich das nicht nachvollziehen kann. Also nicht die Sehnsucht. Den Teil mit der Liebe meine ich. Wie du weißt, fehlt mir ein großer Teil meiner Erinnerung und… ich kann mich nicht erinnern, je jemanden geliebt zu haben. Im romantischen Sinne, meine ich.”

Wie so oft, wenn er nicht wusste, was er sagen sollte, zuckte er mit den Schultern. “Deswegen ist das auch die einzige Anforderung an die Mutter meiner Kinder.”

Völlig überrascht ließ Fabiola die Hand mit dem zum Wurf erhobenen Becher sinken. Forschend musterte sie Obsidian, ob er sie auf den Arm zu nehmen versuchte. Schließlich kam sie zu dem Schluss, dass er ziemlich sicher die Wahrheit gesagt hatte. Sie stellte den Becher zur Seite und beugte sich zu ihm.

„Es mag kein Trost sein, aber auf die Erinnerungen an die Verliebtheit meiner Jugend könnte ich sehr gut verzichten. Für alles andere ist ja noch Zeit, es spricht eher für dich, dass du nicht jedem Rock schmachtend hinterher läufst.“ Sie selber hatte sich früher zielsicher und viel zu schnell in Idioten verliebt, und konnte froh sein, so glimpflich davon gekommen zu sein.

„Und wahre Liebe ist selten, das Glück hatte ich auch noch nicht. Mir fallen auch nicht viele ein, denen das anders geht. Guck dich doch um, arrangierte Ehen, die Nobleza und jene, die ausreichend Geld haben, halten sich hübsche Spielzeuge, die ausgetauscht werden, wenn sie altern. Und wenn Liebe im Spiel ist, wird sie vermutlich häufig der Vernunft geopfert, um einen Skandal zu vermeiden. Was natürlich doch irgendwie unerfüllte Sehnsucht und Romantik bedeutet.“ Sie hielt einen Moment inne. „Wie auch immer, ich hörte vor Kurzem von jemand, der so spezifische Ansprüche an seine Zukünftige hat, dass sich das Warten sicherlich lohnt.“ Sie zwinkerte Obsidian zu. „Und ich habe nicht gesagt, dass es meine unerfüllte Liebe und Sehnsucht waren, die mich ans Ende der Welt führten.“

Wieder musste Obsidian lachen. “Ich mag deine Perspektive. Und ich gebe dir Recht, in jedem einzelnen Punkt. Es ist auch nicht so, als würde ich mir da viele Gedanken drum machen - aber du hattest gefragt.” Er grinste. “Wie immer begebe ich mich da in die Hand der Götter und harre der Möglichkeiten, die sich mir eröffnen - in der Hoffnung sie dann auch zu erkennen. Nur manchmal zweifle ich eben auch daran, dass meine Gabe in diesem Bereich zuverlässig funktioniert.”

„Wir kennen uns noch nicht lang genug, als dass ich dazu etwas sagen könnte. Aber warum sollte dich dein Geschick mit Gelegenheiten ausgerechnet in dem Fall verlassen?“

Er überlegte kurz. “Hm. Das heißt du willst mir sagen, du bist auf der Flucht vor einem ungewollten Verehrer bis in eine Hütte an den Ausläufern des Ehernen Schwerts geflüchtet, um in den starken Armen einer Person, die sich als Bornländer ausgab, aber auf Grundlage deiner Beschreibung und meiner Erfahrungen mit diesem Volk eher ein Hochstapler aus einer anderen Region sein muss, Schutz zu suchen? Das klingt wie eine gute Grundlage für eine Ausgabe von Rahjaliebs Abenteuern…”

Fabiola lachte und wollte zu einer Antwort ansetzten, als sie das Kind entdeckte, das zwei Schüsseln balancierend auf sie zu kam. „Eintopf und Brot. Was zu Essen.“ „Danke dir, stell es hier ab.“, nickte sie freundlich, während sie den versprochenen Lohn hervorzog und sich Mühe gab, die Nase nicht zu rümpfen. Der Eintopf sah nicht unbedingt verlockend aus, gräulich-braun, und hatte schon eine dicke Haut. Glücklicherweise war nicht zu erkennen, woraus die Stückchen darin bestanden. Das Brot sah trocken, aber immerhin essbar aus. Vermutlich hatte sie schon schlechter gegessen. Hoffentlich. Leider hatte das Kind nicht an Löffel gedacht. Bevor sie danach fragen konnte, war es verschwunden.

Sie schob eine Schale zu Obsidian, der sie dankend entgegen nahm. „Nun denn, guten Appetit. Möglicherweise ein Fall von der Hunger treibts rein.“ Geschickt begann sie, ihre Portion mit dem Brot zu löffeln, was ihr ein anerkennendes Nicken von ihrem Gegenüber einbrachte. „Du hast bis zum Ende des Essens Zeit, die wahre Geschichte zu erraten. Keine Flucht vor ungewollten Verehrern, denen konnte ich mich bislang selbst erwehren. Kein Hochstapler, ein frustrierend anständiger, etwas verklemmter, aber nicht distanzierter Vertreter aus gutem Hause.“ Durchaus mit starken Armen, aber das tat nichts zur Sache.

“Ich weiche selten einer Herausforderung aus - wenngleich ich vorweg schicke, dass künstlerische Kreativität nicht zu meinen Stärken gehört. Ich wurde einst sogar aus einem Tsatempel verwiesen, weil ich mit den dortigen Kindern etwas malte, das die Geweihten für Götterfrevel hielten.” Er lachte kurz, bei der Erinnerung. Es schien wie in einem vergangenen Leben.

“Nun denn, viele Hinweise hast du mir ja bislang nicht gegeben.” Er biss einen Happen vom Brot - und war positiv überrascht. Zum einen, dass er nach all dem scharfen Alkohol überhaupt noch etwas schmeckte und zum anderen tat es wirklich gut, etwas zu essen zu bekommen. Sein Magen verlangte es danach.

„Wenn du mir erzählst, was du mit den Kindern gemalt hast, darfst du Fragen für weitere Hinweise stellen.“, bot Fabiola an.

“Ha, wenn ich das noch wüsste… Ich glaube es sollte ein Hase werden, mit Hängeohren. Soweit ich mich erinnere, sahen die Priester darin allerdings eher einen Kraken mit acht Tentakeln… wobei ich mich bis heute frage, wo neben den Beinen und Ohren die anderen beiden Tentakel herkamen.”

Die Erinnerung amüsierte ihn noch heute.

„Hasen haben Schwänzchen. Vielleicht sollte es ein Männchen sein.“, warf Fabiola süffisant ein. Aus dem Nichts kamen Erinnerungen an und das Verlangen nach ausgesprochen leckerem, gegrilltem Octopus hoch. Vielleicht lag es daran, dass manche Stückchen im Eintopf eine ähnliche Konsistenz hatten.

“Gut, was weiß ich bereits?“, überlegte Obsidian. „Du warst in den Ausläufern des Ehernen Schwerts, mit einem Bornländer. Der nicht distanziert war. In einer Jagdhütte. Und du warst da wegen unerfüllter Liebe und Sehnsucht. Soweit korrekt?”

„Jein. Die unerfüllte Liebe und Sehnsucht spielten zwar eine große Rolle, waren aber nur indirekt der Grund, warum ich in der Jagdhütte war.” Obsidian überlegte kurz. Jede mögliche Geschichte, die ihm einfiel, war ein schmaler Grat zwischen hoch-romantischer Liebesgeschichte und beleidigender Unterstellung, wenn einer Almadaner Adligen gegenüber geäußert. Andererseits machte sein Täubchen bisher nicht den Eindruck, als wäre sie schnell beleidigt. Und was hatte er schon zu verlieren?

'Ihre Zuneigung', schoss es ihm durch den Kopf, aber er verdrängte den Gedanken schnell wieder.

Er seufzte. “Puh. Gut, du warst wegen unerfüllter Liebe im Bornland. In jemanden verliebt, der sich - zumindest mutmaßlich - im Bornland aufhielt? Der aber nicht der erwähnte Bornländer war?”

Er war so in das Gespräch vertieft, dass ihm zunächst gar nicht auffiel, dass er vergaß zu essen. Erst ein lautes Magenknurren erinnerte ihn daran.

„Ich war nicht verliebt, aber wegen besagtem Bornländer aus gutem Hause in seiner Heimat. Und meine Herkunft spielte eine relevante Rolle.“, antwortete Fabiola amüsiert. Das neue Spiel machte ihr ausgesprochen viel Spaß. Sie war gespannt, ob Dom Algerio Obsidians Fragen im Weg stehen würde. Und wie die Reaktion auf die Lösung ausfallen würde.

Mit dem letzten Stück ihres Brotes wischte sie ihre Schale aus. Es war erstaunlich schmackhaft gewesen.

Ihr Gegenüber hingegen schien sich tief in Gedanken verloren zu haben und spielte Variante um Variante im Kopf durch. Jede erschien ihm unplausibler als die letzte.

“Gut. Dann versuchen wir es so. Der mutmaßliche Bronjar war verliebt. Unglücklich. Und seine Familia hat… zu viel Rahjaliebs Abenteuer gelesen und hat dich deshalb eingeladen um ihm vor Augen zu führen wie Almadanische Leidenschaftlichkeit aussieht.” Es verging der Bruchteil eines Augenblicks, in dem Obsidian selbst bewusst wurde, wie unsinnig das klang. Er prustete vor Lachen über den Unsinn, den er von sich gab, schüttelte schließlich den Kopf.

“Ich fürchte wenn du mich nicht erlöst, werde ich dumm sterben müssen. Nie im Leben löse ich dieses Rätsel.” Er lachte erneut, nahm einen weiteren Bissen.

„Willst du wirklich aufgeben? Noch hast du nicht zu Ende gegessen. Und du bist auf keinem schlechten Weg.“, erkundigte sich Fabiola gut gelaunt.

“Ich gebe nur sehr selten und sehr ungern auf”, lachte Obsidian, jetzt allerdings mit einer Spur Verbissenheit. Er fühlte sich ein wenig bei seiner Ehre gepackt, nahm entschlossen einen weiteren Bissen - viel war nicht mehr übrig - und fuhr dann fort: “Warum sollte man eine Almadanerin ins Bornland bringen? Dumme Frage”, antwortete er sich gleich selbst. “Die Frage wäre für mich eher, warum man es als Bornländer nicht tun sollte, und was man hergeben muss, damit sie auch kommt. Aber das hilft mir auch nicht weiter. Eine Jagdhütte sagtest du? Vielleicht ist das ein nützlicher Hinweis?” Er überlegte weiter, sichtlich angestrengt. “Nein, das wiederum passt nicht zur unerwiderten Liebe… vielleicht mache ich aber auch einen Denkfehler”, kam ihm eine Idee.

“Ich ging die ganze Zeit davon aus, dass du von hier aufgebrochen bist - aber vielleicht ist das gar nicht der Fall. Vielleicht…” Einen Moment ließ er den Gedanken wirken. “Vielleicht erreichte dich irgendwo auf irgendeinem Wege die Botschaft, im Bornland sei ein junger Herr, der so unglücklich verliebt war, dass er an nichts anderes denken konnte als an seine Angebetete. Seine Familie versuchte alles, um ihn abzulenken, musste aber scheitern. Also lobten sie einen Preis aus oder etwas in der Art für diejenige Person, die es schaffte ihn auf andere Gedanken zu bringen. In ihm quasi Leidenschaft zu wecken. Fürs Leben. Nicht nur für diese eine Frau - oder diesen einen Mann!”, ergänzte er nach einer kurzen Pause, selbst überrascht von seiner plötzlichen Eingebung. “Vielleicht war es auch das, die Hoffnung auf Erben und die Furcht vor einer kinderlosen Beziehung ihres Sohnes.”

Sichtlich stolz darauf, eine mögliche Version gefunden zu haben, die weniger kompromittierend war als alles, was ihm zuvor durch den Kopf gegangen war, schaute er fragend zu seinem Täubchen.

Fabiola schmunzelte. Leise erklärte sie: „Hm, sehr gut. Und so ausgesprochen geschickt formuliert. Du kommst der Lösung schon ziemlich nah. Tatsächlich wurde mir die Reise erst einige Zeit nachdem ich Almada verlassen hatte ermöglicht. Und der junge Herr dachte in der Tat nur an seine Angebetete. Aber seine Familie hatte wenig mit der Sache zu tun. Es ging nicht um eine Änderung seiner Vorlieben oder die Fortführung der Blutlinie. Meine angebliche, sprichwörtliche almadanische Lebenslust, oder das, was sich Fremde darunter vorstellen, war wichtig, genauso wie mein Stand. Und ich habe nicht die ganze Zeit in der Jagdhütte, sondern durchaus auch bei gesellschaftlichen Anlässen verbracht.“ Deren Teilnehmer zugegebener Maßen so einige der von Obsidian aufgezählten Eigenschaften aufgewiesen hatten.

Sie beugte sich zu ihm und flüsterte in sein Ohr: „Bevor ich es vergesse, erwähne ich es der Fairness halber, ehe du löst: sollte jemals jemand durch dich von der Sache erfahren, werde ich nicht nur empört dementieren, sondern mich auch gezwungen sehen, dich mindestens aufs zweite Blut zu fordern. Was ich nur sehr ungern täte.“ Ihr Ton war ehrlich, und sie lächelte ihn entschuldigend an, als sie sich auf ihrem Stuhl wieder etwas zurück lehnte - was wiederum Obsidian dazu veranlasste sich vorzubeugen und seinerseits flüsternd in ihr Ohr zu erwidern: “Ich weiß nicht, ob ich mehr Sorge vor der Forderung hätte oder davor dich zu verletzen. Sei versichert: Mit meiner Geschichte gehe ich sehr offen um, aber Geheimnisse, die man mir anvertraut, nehme ich mit mir zu Boron.” Oder zu Phex, fügte er in Gedanken hinzu und nahm ebenfalls wieder seine alte Position ein.

„Das dachte ich mir.“, nickte sie. ‚Aber ich will wegen sowas keinen überflüssigen Streit mit dir.“

Ihr Gegenüber nahm seine Gedankengänge zur zu lösenden Geschichte wieder auf. “Also nicht die Familia und keine dynastischen Hintergründe. Schade. Steckte dann vielleicht die Angebetete selbst dahinter?” Er war offensichtlich sehr motiviert dieses Rätsel zu lösen, auch wenn man ihm anmerkte, dass er mehr riet als einer Ahnung oder Intuition zu folgen.

„Oh nein, sie war die letzte, die mich hätte treffen wollen.“, lachte Fabiola.

Obsidian stimmte mit ins Lachen ein. “Hätte ja sein können, dass sie, anders als du, sich ungewollter Verehrer weniger gut erwehren konnte und Hilfe haben wollte. Und wer wäre da besser als eine lebensfrohe und leidenschaftliche Almadanerin?” Er zwinkerte ihr zu.

“Gut, letzter Versuch, danach gebe ich dann doch auf…” Er griff das letzte Stück des Brotes, wischte die Schale aus. “Sollte es so einfach sein, dass die Almadanerin den niedergeschlagenen und unglücklich verliebten Hochstapler-Bronjaren schlicht auf andere Gedanken bringen und ihn aufheitern sollte?”

Er aß den letzten Bissen.

Fabiola sah sich um, ob niemand in Hörweite war. Dank der immer noch unermüdlichen Musiker konnte sie es ausschließen. Also erklärte sie leise: „Du hast dir so viel Mühe gegeben, da will ich dir die Lösung nicht vorenthalten. Nein, die Almadanerin sollte in der sich zierenden Angebeteten ausreichend eifersüchtige Leidenschaft wecken, dass diese sich zügig den Traviabund mit dem jungen Herren sicherte.“ Neugierig wartete sie auf Obsidians Reaktion.

Dieser schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn, in einer weithin sichtbaren Geste der Erkenntnis der eigenen Dummheit. “Natürlich!”, rief er viel zu laut, schüttelte dann den Kopf und fuhr in normaler Lautstärke fort. “Das ergibt sogar viel mehr Sinn als alles, was mir in den Sinn gekommen war.” Er lachte nochmals über das eigene Unvermögen, deutete dann auf die leeren Becher: “Ich glaube, ich habe zu viel oder zu wenig davon intus… aber es ist zu spät, um zu reduzieren.” Er grinste.

“Noch einen 'Guten'? Und ich verspreche dir, besser wird es nicht”, fügte er lachend hinzu.

„Für mich lieber den anderen, der schmeckt mir besser. So man von schmecken sprechen kann, wenn einem das Zeug alles wegbrennt.“, bat Fabiola, erleichtert über seine Reaktion. “Ich bin beeindruckt!”, gab Obsidian zu. “Sehr gern. Und danke für das Abendessen - das hat gut getan.”

„Du trinkst ihn zu schnell. Wenn dein Mund erstmal taub ist, kommt der Geschmack auch durch.“, zwinkerte Fabiola.

Er griff nach den leeren Bechern. Als er sich nach vorn beugte, die Becher seines Täubchens zu nehmen, flüsterte er kaum hörbar: “Aus reiner Neugier und ich verstehe, wenn du die Antwort verweigerst, aber… was hat man dir als Gegenleistung für diesen… bornländischen Gefallen… angeboten?”

„Leider habe ich nicht die Freiheit, ohne weiteres darüber zu sprechen. Auf jeden Fall habe ich das Bornland ausführlich und von seiner besten Seite gezeigt bekommen. Alleine das wäre es wert gewesen. Aber sagen wir so: der Preis war angemessen, zumal ich Gefahr gelaufen bin, besagten jungen Mann ehelichen zu müssen.“

“Fair!”, erwiderte Obsidian lachend und machte sich auf den Weg zur Theke.

Kurz darauf kehrte er zurück, zwei gefüllte Becher in den Händen. Er platzierte einen vor sich, einen vor seinem Täubchen. “Wenn du die Wahl hättest, an einen beliebigen Ort zu reisen… egal welchen, mit der einzigen Bedingung, dass du noch nie da gewesen bist… welcher wäre das?” Fabiola überlegte einen Moment. „Egal, welche? Und Hindernisse spielen keine Rolle? Dann eine Unterwasserstadt. Ich habe gehört, dass es sie gibt, und ich habe gehört, dass die Welt unter Wasser unglaublich sein soll. So schön und bunt, wie einige Küsten sind, wie wundersam muss es dann erst in Efferds Reich sein. Und du?“

“Gute Wahl”, zeigte sich Obsidian beeindruckt. In diese Richtung hatte er gar nicht gedacht, aber es war ein Ort, den auch er interessant gefunden hätte.

Ein neues Ziel, das er mental vermerkte.

“Für mich…” Er überlegte kurz. “Es gibt mehrere Orte, die mich reizen. Aus unterschiedlichen Gründen. Da wären die versiegelten Kammern der Inquisition, um zu sehen, welche Schrecken dort lagern. Die privatesten Gemächer des Kaiserhauses, um ein Verständnis davon zu bekommen, ob sie, wenn sie keine Rolle spielen müssen, die gleichen Bedürfnisse und Vorlieben haben wie unsereins. Shafirs Hort, einfach nur um sagen zu können, dass ich da gewesen bin… die Archive der Mada Basari, um herauszufinden wie sehr sie mich übers Ohr gehauen haben.” Er lachte kurz. “Aber realistischerweise…?” Er hob den neuen Becher zum Gruß. “Gerade freue ich mich sehr auf ein Abendessen in Mestera.”

„Ich muss dich enttäuschen, das wirst du in Tôrzîlba bekommen. Der Preis war zu sehen, wie das Täubchen lebt.“, widersprach sie. „Deine Orte gefallen mir alle, würden mich auch reizen. Außer die privatesten Gemächer. Denn ich glaube, am Ende sind sie wie wir alle. Bisher habe ich noch niemand getroffen, bei dem das anders war.“ Sie nippte an ihrem Schnaps und wartete gespannt auf seine nächste Frage.

“Tôrzîlba also.” Er grinste zufrieden, nahm einen Schluck und begann eine neue Runde mit den Würfeln. Gerade als er im Begriff war, seine nächste Frage zu stellen, gesellte sich eine Gruppe bereits etwas angeheiterter Gäste des Fuchsbau hinzu. „Ihr zwei lacht so viel, da wollen wir auch ein bisschen von dem Spaß mitkriegen. Oder wollt ihr nicht teilen?“, nuschelte ein bärtiger, etwas ungepflegter Mann, in jedem Arm eine giggelnde Begleiterin. Fabiola sah fragend zu Obsidian, bevor sie den Kopf schüttelte. „Aber nicht doch, ich bin froh, wenn jemand mit mir verliert. Einsatz ist ein Kreuzer pro Runde.“ Der Mann und seine Begleiter setzten sich, während ihre Damenbekanntschaften sich Plätze zum Zusehen suchten.

Wenige Runden später begann das Spiel hitziger zu werden, da es den Neuankömmlingen nicht gelang, Obsidians Würfelglück etwas entgegenzusetzen. Forderungen wurden laut, die Würfel zu tauschen. Als auch das keinem außer einer sich köstlich amüsierenden Fabiola half, löste sich die Runde schließlich unter Flüchen und Verwünschungen auf. Die beiden adeligen Gäste blieben zurück.

„Lass uns als nächstes die Karten probieren, Obsi.“ Fabiola schloss die Hand um einige wenige Münzen, den mageren Anteil von ihrem ursprünglichen Einsatz, den sie beim Würfelspiel gegen Ende zurückgewonnen hatte. Es spielte keine Rolle, es war eher Kleingeld gewesen, zum Warmwerden, und sehr unterhaltsam.

Den Arm bei Obsidian eingehakt schlenderten sie zu den Tischen mit den Kartenspielern, zu denen Fabiola schon vorher immer mal wieder neugierige Blicke geworfen hatte. Bei jedem der Tische verweilten sie einen Moment, sahen zu. Obsidian benannte das Spiel und erklärte, wenn Fabiola ihn fragend ansah, die Regeln. Um sie herum fieberten nicht nur die Spieler, sondern auch die Zuschauer bei jedem Sieg und jeder Niederlage mit. Zweimal verließen Verlierer die Tische, die eine unter wütenden Drohungen durch unsanften Zwang zweier kräftiger Gestalten. Der andere apathisch mit leerem Blick und hängenden Schultern, wachsende Verzweiflung auf seinen Zügen. Fabiola musterte die restliche Spielerschaft an den Tischen unauffällig, unentschieden, welchem Spiel sie den Vorzug geben sollte.

Schliesslich schlug sie vor: „Für dieses neue Spiel brauchen wir Nachschub für unsere Trankopfer, finde ich. Überrasch mich mit deiner Wahl.“ Bislang war die Qualität fragwürdig gewesen, aber man konnte nie ausschließen, etwas Gutes zu finden - auch wenn die Hoffnung eher gering erschien, wenn das zweite Gebräu laut Linde bereits “das Gute” gewesen war. Während ihr Begleiter sich um frische Getränke kümmerte, beobachtete Fabiola weiter die verschiedenen Tische, noch immer unschlüssig, welcher sie am meisten reizte.

Als Obsidian zurückgekehrt war, nahm sie ihr Getränk entgegen. “Zur Abwechslung mal etwas leichteres… damit es nicht gleich alles zu Kopf steigt”, erklärte Obsi, als er Fabiola mit dem Becher zuprostete. Meskinnes. Aber immerhin 'leichter', als die beiden Getränke zuvor. Sie nahm ihren Becher entgegen, erwiderte die Geste und nippte vorsichtig. Sicher kein echter, oder das zu stark gestreckte, billige Zeugs für Fremde. Was schon kleinen Mengen niederhöllische Kopfschmerzen am nächsten Morgen verursachte. „Danke. Wenn du meinst, der wäre leichter. Kein Wunder, dass du dich für das Bornland nicht erwärmen kannst, wenn du das hier für Meskinnes hältst.“, schmunzelte Fabiola. „Such du aus, an welchen Tisch wir gehen. Du kennst dich hier aus. Nur nicht den da vorne links. Da werden wir kein Glück haben.“ Auf seinen fragenden Blick trat Fabiola ganz nah an ihn heran. Den Arm über seine Schulter legend stellte sie sich etwas auf Zehenspitzen und flüsterte in sein Ohr: „Der mit den Geschwüren an Hals und Wange, der so ekelhaft beständig rotzt, und die Hagere mit dem tiefen Ausschnitt, die ihn so angewidert ignoriert, spielen falsch. Zusammen. Warte ab, spätestens in zwei Runden werden sie den grünen Jungen, der gerade zu gewinnen scheint, bis aufs Hemd ausnehmen.“ Mit einem anhimmelnden Lächeln zu Obsidian, um kein Misstrauen ob ihres Flüsterns zu erregen, sank sie zurück, lehnte den Kopf gegen seine Schulter und beobachtete das Geschehen am erwähnten Tisch. Normalerweise hätte sie nicht so tatenlos zugesehen, aber sie kannte die Sitten hier nicht, und wollte ihrem Gastgeber keinen Ärger einbrocken.

Obsidian lächelte zufrieden. Vielleicht war es auch der Alkohol, dem er heute weit mehr zugesprochen hatte, als sonst für ihn üblich - erst der Wein im Schwarzen Schwan, und jetzt hier die verschiedenen Selbstgebrannten von Linde - aber es stellte sich eine merkwürdige und für ihn untypische Zufriedenheit ein; und an einem Ort wie diesem war er geneigt darauf zu wetten, dass es nicht am Alkohol, sondern an der Frau an seiner Seite lag, die ihn stetig aufs neue überraschte.

Einen Moment lang ertappte er sich dabei einfach nur ihre Nähe zu genießen - den Druck ihres Kopfes an seiner Schulter, die Wärme, die sie ausstrahlte. Es war einer dieser seltenen Momente in seinem Leben, in denen sein Geist zur Ruhe kam und in denen er sich einfach im Moment verlor.

Und - leider - wie so oft, hielt der Moment nicht lange an. Jäh riss ihn ein Gedanke aus seinen Empfindungen.

“Wie nehmen diesen dort”, sagte er zu Fabiola und deutete auf einen der Tische, an denen in großer Runde Boltan gespielt wurde, “aber zunächst will ich testen, wie gut dein Instinkt ist.” Grinsend führte er seine Begleiterin zurück zum Tresen, an dem die Getränke ausgegeben wurden. “Linde, ein Einsatz. Ich wette, dass der Junge dort drüben”, er deutete auf den Tisch, von dem sein Täubchen abgeraten hatte, “in weniger als drei Runden komplett ausgenommen sein wird. Einsatz ist meine Münze.”

Linde schaute ihn einen Moment lang verdutzt an. Dann fiel ihr Blick auf Fabiola, sie seufzte kurz und wandte sich dann um. “Wie du willst, mein Hübscher!”

Fabiolas Augen wurden groß. „Nicht, Obsi. Der Einsatz ist zu hoch.“, versuchte sie vergeblich zu intervenieren. So sicher sie sich war, dass der Junge sein Geld verlieren würde, so wenig konnte sie sagen, wie schnell und auffällig die beiden Falschspieler ihn vernichten, ob zwei Runden reichen würden.

Derweil schob die alte Frau einen kleinen Hocker unter die Schiefertafel, nahm ein Stück weißer Kreide, und schrieb in zittriger Schrift 'Grünling pleite 3 Runden' drauf. Dahinter setzte ein 'O', und dann '1S' mit einem Dreieck.

Als sie damit fertig war, griff sie zu einer alten Schiffsglocke, die neben der Tafel hing, und läutete diese einmal kurz.

Obsidian wandte sich an Fabiola. “Mal schauen, was jetzt passiert.” Er lachte zufrieden und führte seine Begleitung zurück in Richtung der Kartentische. Mit einem stummen Stoßgebet bat sie Feqz um Beistand und folgte ihrem Begleiter zu einem Platz, wo sie die Beteiligten im Blick hatten. Wie so oft, wenn für jemand aus ihrem engeren Umfeld etwas Wichtiges auf dem Spiel stand, stieg Fabiolas Anspannung.

An ihrem Becher nippend lehnte sie sich, ohne darüber nachzudenken, gegen Obsidian, der wie selbstverständlich seinen Arm um sie legte. Als sie sich dessen bewusst wurde, korrigierte sie mit Bedauern ihren Faux-pas. Allerdings änderte sie ihre Haltung nur minimal, so dass der Unterschied hauptsächlich im nicht länger auf Obsidian lastenden Gewicht lag. Leider gab es gerade keinen Anlass, um bei den Umstehenden einen bestimmten Eindruck zu erwecken. Auch wenn es leicht zu vergessen war - sie hatten sich heute zum ersten Mal getroffen, waren eben nicht einfach nur Obsi und sein Täubchen. „Was bekomme ich eigentlich für meinen Tipp?“, erkundigte sie sich leise in seine Richtung, während ihr Daumen über ihr Handgelenk strich.

“Das hängt davon ab, welches Risiko du bereit bist einzugehen”, erwiderte Obsidian augenzwinkernd. “Der Tipp an sich ist ohne Einsatz wertlos.“

„Ist er natürlich nicht, wenn du Gewinn daraus ziehst, der dir ohne seine Kenntnis entgangen wäre“, schmunzelte Fabiola. „Aber gut. Allerdings ist es schwierig, den passenden Einsatz festzulegen, ohne zu wissen, worum es geht.“ Nachdenklich nippte Fabiola an ihrem ‚Meskinnes‘. Ein Wunder, dass hier in den Ecken keine Schnapsleichen herum lagen, auch das Zeug brannte einem Rachen und Eingeweide heraus, während die klebrige Süße einem beinahe die Zähne zog.

Ihr Blick wanderte zu Obsidian. Sie musterte ihn einen Moment. Dann zuckte sie leicht mit den Schultern und raunte in sein Ohr: „Vielleicht ist das Sein Fingerzeig, den ich nicht verpassen wollte. Daher bestimm du meinen Einsatz. Und leg fest, unter welchen Bedingungen ich gewinne. Reicht dir dieses Risiko?“ Ihr Daumen strich über den verborgenen Mungo in ihrer Haut. Wer nicht wagte, der gewann nicht. Nach einem kurzen, stummen Schlussgebet zu Feqz lenkte sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihren Begleiter und die Umgebung.

Fast schien es Obsidian, als hätte sein Täubchen das Antidot für Alkohol gefunden. Seine Gedanken rasten, der besänftigende Nebel des Schnapses war wie weggeblasen. Hatte sie ihm gerade eine Wette angeboten, bei der er Einsatz und Bedingungen diktieren konnte? Hatte sie sich ihm, mit Verweis auf den Fuchs, gänzlich ausgeliefert?

Er musste sie missverstanden haben.

Und wenn nicht?

'Bestimm du meinen Einsatz', das waren ihre Worte gewesen. Eigentlich unmissverständlich. Wenn es eines gab, in dem er sich in den letzten Götterläufen geübt hatte, dann den genauen Wortlaut zu erinnern…

Oder war es doch der Alkohol, der ihn Dinge hören ließ, die nie gesagt worden waren?

Einen Moment lang betrachtete er nachdenklich die junge Frau an seiner Seite. Ihr langes, dunkles Haar, das sich teilweise gelöst hatte und nun auf ihre freiliegende Schulter fiel, die schlichte, aber ihrer Figur schmeichelnde Kleidung, ihre grün gesprenkelten Augen. Vielleicht war es ein Zeichen, eine weitere Gelegenheit. Es gab nur einen Weg, es herauszufinden.

Langsam, den Gedanken noch Dutzende male hin und her wendend, zog er seine Begleiterin dichter, ganz eng an sich, beugte sich dabei vor, bis sein Mund das Ohr seines Täubchens erreichte. “Eine solche Gelegenheit kann ich natürlich nicht ungenutzt verstreichen lassen”, flüsterte er so leise, dass niemand außer seinem Täubchen die Worte hören konnte. “Dann nehme ich als deinen Einsatz, dass ich jedes Wort, das während unserer bisherigen gemeinsamen Zeit deine Lippen verließ, wortwörtlich nehme. Und sollte dein Tip erfolgreich sein, wird dein Preis die Hälfte dessen sein, was ich gesetzt habe - in jedweder Hinsicht.”

Er verharrte einen Moment länger als nötig in dieser intimen Position. Dann richtete er sich wieder auf, ohne jedoch den Blick abzuwenden oder den Griff um ihre Taille zu lockern.

Fabiola lehnte sich wieder gegen Obsidian und drehte den Kopf zu ihm. „Gut, ich wäre enttäuscht gewesen, hättest du anders reagiert. Jedes Wort des ganzen bisherigen Abends… hmmm… wenn du möchtest. Gilt es auch für die Worte des restlichen Abends?”

“Wenn du es schon anbietest… gern auch für die restliche gemeinsame Zeit, bis wir auseinander gehen.” Er lächelte zufrieden.

“Und was meinst mit wortwörtlich?“ Fabiola war sich noch nicht sicher, wo der Gewinn für ihn lag. Sein Angebot war allerdings durchaus interessant.

“Das, was gesagt wird, und das, was gemeint ist, sind nicht immer die gleichen Dinge. Normalerweise ergibt sich die Bedeutung eines Wortes aus dem Kontext - doch manchmal, entfernt man den Kontext, ändert sich damit die Bedeutung. Ein Beispiel: Ich sagte bewusst, dass ich jedes Wort unserer bisherigen Zeit wörtlich nehmen werde, auch wenn ich zunächst dachte, jedes Wort des heutigen Abends. Ich habe aber keine Ahnung, ob wir den Abend nicht schon hinter uns gelassen haben und es längst der nächste Morgen ist - in welchem Falle die Zeitspanne dann schon vorüber wäre.”

„Ich würde sagen, der Morgen beginnt mit dem Aufgang des Praiosmals, der Abend endet mit dem zu Bett gehen. Und dazwischen liegt die Nacht mit Feqzens Sternenhimmel. Aber es spielt ja keine Rolle mehr.“ Sie schmunzelte. „Dein halber Einsatz in jedweder Hinsicht… was außer dem Zugangsrecht zu diesem Ort hast du gesetzt, das ich nicht verstanden habe?”

“Das erkläre ich dir gern, wenn du deinen Gewinn einfordern kannst”, erwiderte Obsidian grinsend.

„Gut, werde dich daran erinnern. Ich gewinne, wenn auch du deine Wette gewinnst, richtig?“ Sie wartete auf seine Bestätigung, bevor sie fortfuhr: „Ein halbes Zutrittsrecht ist allerdings wenig hilfreich. Du müsstest mich dann jedes Mal hierher begleiten, damit ich reinkomme. Und könntest mit deinen anderthalb ebenfalls wenig anfangen. Also ein ganzes für mich?“

“Oh, auch das ist ein gutes Beispiel für eine wortwörtliche Interpretation. Streng genommen habe ich mein Zutrittsrecht abgegeben. Ich habe es verwirkt. Verliere ich die Wette, bleibt es dabei, gewinne ich sie, kriege ich es zurück, und den gleichen Wert noch einmal. Es wäre also ein ganzes Zutrittsrecht für dich… auch wenn ich den Gedanken dieses mit dir zu teilen durchaus charmant fände.”

„Ich finde die Vorstellung, dich bei meinem nächsten Besuch hier dabei zu haben, ebenfalls ausgesprochen reizvoll. Und deine Argumentation vernachlässigte, dass mein Preis ursprünglich die Hälfte deines Einsatzes, nicht deines Gewinns war. Aber natürlich akzeptiere ich auch deinen halben Gewinn unserer gemeinsamen Zeit hier.“, zwinkerte sie ihm zu.

“Und schon hast du die Bedeutung von 'wortwörtlich' begriffen”, bemerkte Obsidian anerkennend.

„Gut, dass wir das geklärt haben. Und jetzt solltest du deine Aufmerksamkeit auf den Tisch lenken, die drei entscheidenden Runden sind im Begriff zu beginnen. Sag Bescheid, wenn du weißt, ob wir gewinnen.“

Fabiola sah ihn noch einen kurzen Moment an. Er erwiderte ihren Blick. Währenddessen legte sie ihre Hand auf seinen Arm um ihre Taille und zog ihn sanft, aber bestimmt weit genug weg, dass sie nicht länger gegen Obsidian lehnte. Der Abend verlief völlig anders, als Fabiola am Nachmittag, und ehrlicher Weise auch noch beim Verlassen des Schwans, erwartet hatte. Es war so verlockend, wäre so einfach, sich treiben zu lassen. Und leichtsinnig.

Es verging noch ein langer Augenblick, in dem Obsidian seiner Begleiterin… seinem Täubchen in die Augen sah. Sie hatten etwas faszinierendes an sich. Nicht dunkel, wie so viele hier in der Region, sondern helles Grün, soweit er es im schwachen Licht erkennen konnte, mit kleinen Sprenkeln, wie Sternen am Firmament. Für einen Moment ertappte er sich bei der Frage, wohin ihn diese Sterne wohl führen würden…

Dann lächelte er, zufrieden, freundlich, mit dem Selbstbewusstsein einer Person, die nicht mehr viel zu verlieren hatte, und wandte seinen Blick dem Tisch zu. Die Einsätze waren getätigt.

Es war Zeit zu erfahren, was sie einbringen würden.