Chronik.Ereignis1035 Die Königinwitwe und der Baron

Omlad, 1035 BFBearbeiten

Autor: Dom Gualdo

Auf noch zittrigen Beinen trat Ranudo IV. Eslamo di Dalias y las Dardas auf den Kai im Hafen von Omlad. Heiß brannte die Praiosscheibe auf die Stadt herab. Nach einigen Stunden auf dem stillen Onkelchen Yaquir trafen ihn zahlreiche Eindrücke zugleich in diesem Omlader Vielerlei. Netzeflickende Fischer, kreischende Marktweiber in bunten Röcken, königliche Gardisten in Blau-Silber-Rot, Säckeschleppende Zahoris in vielfach geflickten Fetzen, in ihrer Pisse sitzende verkrüppelte Bettler, Schnapsflaschen entkorkende Flussmatrosen, vermummte und im Schatten dösende Wüstenreiter. Eine Vielzahl von Düften und Gerüchen schlug ihm entgegen. Alter, stinkender Fisch gemischt mit Pfeffer und garniert mit Praiossandelholz. Über das brandende Getöse legte sich der lockende Klang der Kabasflöte.

„So ist also dieses Tulamidistan“, raunte der Baron von Nemento seinem Hintermann, dem glatzköpfigen Caballero Alvaro Manticco, zu. „Hochgeboren, da vorne ist er. Der Herr mit dem feinen dunkelblauen Kaftan und dem roten Fez. Jalif ben Nasreddin, unser guter Freund!“ Und tatsächlich kam dieser Mann mitsamt kleiner Entourage auf sie zu. Geschickt bahnten sie sich ihren Weg durch die Menschenmenge, die Gerüche, die Klänge, den Geschmack der Tulamidenlande. Der ranghöhere Baron Ranudo seinerseits aber rührte sich keinen Fingerbreit. Er blieb stehen und nahm die Pose eines Edelmannes ein: Während er die linke Hand an seine Hüfte legte, ruhte die rechte Hand elegant auf dem greifengeschmückten Griff des Spazierstocks. Eine Armeslänge vor dem Magnaten kam Jalif ben Nasreddin, einer der sieben Großen Patrone Omlads, zum Stehen.

„Euer Hochgeboren, o Gerechter unter den Beyrouns Al’Madas, seid mir im Namen meines Vaters, meines Vatervaters, meines ganzen Geschlechts und meines Gottes, willkommen in Omlad. Ich grüße Euch, Euer Hochgeboren!“ Gekonnt vollführte Jalif ben Nasreddin hierbei eine Verneigung. „Im Namen der guten Zwölfe habt Dank für Eure Grußesworte. Seid auch Ihr mir gegrüßt in Frieden, guter Jalif, denn Ihr und die Euren seid stets Freunde meiner Familia gewesen. Und ich bin gewillt, diese Freundschaft zu leben, zu achten und noch fester zu knüpfen.“ Mit diesen Worten streckte Ranudo IV. Eslamo di Dalias y las Dardas seine rechte Hand mit dem Siegelring nach vorne. Ehrerbietig küsste Jalif ben Nasreddin denselben.

„Effendi und hochgeborener Dom, darf ich Euch bitten, mir in mein bescheidenes Heim zu folgen, das nicht wert ist, dass ein so hoher, gar hochgeborener Dom auch nur einen Fuß in es setzt. Mir und den Meinigen würdet Ihr hierdurch eine große Ehre zu Teil werden lassen. Dort könnt Ihr, Hochgeboren, – soweit die Wenigkeit dieses Hauses es zulassen – Euch von den Strapazen Eurer Reise erholen und Euch stärken. Denn übermorgen schon werdet Ihr, Euer Hochgeboren, o Gerechter und Stolzer aus dem Stamm der Familia Dalias, eine Audienz bei Ihrer Königlichen Majestät der Königinwitwe haben.“

Mit einer theatralischen Geste riss der Baron von Nemento und Junker von Dalias, Ranudo IV. Eslamo di Dalias y las Dardas, seinen mit Pfauenfedern geschmückten Caldabreser vom Haupt und beugte seinen in einen schwarz-goldenen Leibrock gekleideten Oberkörper nach vorne. Plump und wenig höfisch sackte der Magnat auf seine Knie. Gleichsam als wären seine Augen von der Sonne geblendet worden, blinzelte er, schlug den Blick nieder und ließ ihn auf dem Fußschemel der jungen Königinwitwe ruhen.

„Großmächtigste und allergnädigste Königin und Domna! Eurer Königlichen Majestät entbiete ich meine untertänigsten und demütigsten Grüße und Eurer Königlichen Majestät erlaube ich mir für die allergnädigst gewährte Audienz, in welcher Sie mich zu empfangen geruhen, alleruntertänigst zu danken.“

Dom Ranudo machte eine kurze Pause und schnappte nach Luft. Seine Worte an die Königinwitwe waren von seinem Rat Alvaro Manticco de San Marwan komponiert worden. Der Baron von Nemento hatte diese wohl studiert, auswendig gelernt und trug sie nun mit kräftiger und ruhiger Stimme vor, wie er dies die letzte Woche dutzendfach geübt und immer wieder geprobt hatte. Er durfte keinen Fehler machen. Sein erster Auftritt vor der Königinwitwe war von entscheidender Bedeutung. Alvaro Manticco hatte ihm immer wieder eingeschärft, dass – wenn er Ansehen bei der Königinwitwe gewinnen wollte – er ganz als Edelmann erscheinen musste. Dazu musste er Worte, Mimik und Haltung perfektioniert haben. Doch, und dies unterschied den Edelmann vom Pedanten, von einem Möchtegern, musste er all dies mit einer gewissen nonchalanten Nachlässigkeit tun, so als ob er sich nicht wirklich bemühen würde, diese angestrebte Perfektion auch zu erlangen. Die Cortezia verlangte nach einer Form von Beiläufigkeit, die nur von jungen Jahren an anerzogene, zur Schau getragene Natürlichkeit als höchste und einzige Kunst kannte.

Eurer Königlichen Majestät Gemahl und Dom allerseeligsten Gedächntis geruhte, Ihnen Sorobán zu schenken und Sorobán hierdurch gleichsam en passant ein neues Licht am Firmament zu stiften.“

Dom Ranudo sandte ein verzücktes Lächeln an die sich über ihn wölbende Decke des prachtvollen Saales. Sogleich aber richtete er seinen Blick wieder fest auf den Schemel der Königinwitwe. Gesicht und Gestalt der Königinwitwe streifte sein Blick dabei nur kurz. Der Baron von Nemento spürte wie der Schweiß von seinem Antlitz perlte. Er schluckte und sog Luft ein.

„Gleich dem Madamal spenden dero Majestät den Dörfern und Menschen von Sorobán mildes und freundliches Gnadenlicht, erhellen ihre Pfade in diesen dunklen Nächten und füllen die Herzen der Menschen mit Hoffnung. Dero Augen senden huldvolle Blicke gleich sanften Lichtstrahlen über Äcker und Fluren, Wälder und Wiesen und lassen einen jeden zu dero demütigen Untertan und Knecht werden – wie auch ich bekennen muss, dass dero gnadenvoller Blick, der nun auf mir ruht, gänzlich unverdient ist und mich Eurer Majestät bis zu meinem letzten Atemzug zu treuen, gehorsamen und untertänigen Diensten verpflichtet.“

Bei diesen Worten löste Dom Ranudo seine Augen vom königlichen Schemel und ließ sie langsam am makellosen Kleid und der lieblichen Gestalt der Königinwitwe nach oben wandern. Ihre Blicke trafen sich. Stracks schloss Ranudo di Dalias y las Dardas seine Augen und senkte sein Haupt. Sein Herz fühlte er immer rascher schlagen. Sein Atem ging keuchend. Sein Gesicht war schweißgebadet und dicke Rinnsale flossen seine Brust hinab. Ihm wurde schwindlig.

„Euer… M… M… Maij… Maij… Majestät“, fuhr er stotternd fort. Er hatte den Schemel der Königinwitwe aus den Augen verloren. Hilfesuchend blickte er sich um. Sein Herz begann zu rasen, so als wollte es zerspringen. Das völlig durchnässte weiße Seidenhemd klebte an seinem Oberkörper. Er fühlte wie sich der Blick der Königinwitwe in seine Gedankenwindungen bohrte, wie seine Eingeweide ihr preisgegeben waren. Ein heißkalter Schauer fuhr über seinen Rücken. Sein Blick irrte herum. Er fühlte sich, als stünde er völlig nackt vor Ihrer Kön: Maj: der Königinwitwe und ihrem ganzen Hofstaat. Er sah wie Spott und Hohn in den Augen der Hofdamen und Pagen blitzten. Eine Edeldame hielt sich eine Hand vor ihren Mund. Doch ihre Grimasse verriet, dass ihr Gesicht vor Schadenfreude verzerrt war. Dom Ranudo senkte sein Haupt noch weiter und schloss seine Augen. Er versuchte, sich und seinem Körper und seinen Gedanken Ruhe zu gebieten. Doch sie waren nicht eins. Er konnte seine Kräfte nicht sammeln.

Die Stimme Alvaro Manticcos, der hinter ihm kniete, zischte ihm ins Ohr: „Euer Majestät sind meine ganze Familia und die ganze Baronie Nemento zum Höchsten obligiert…!“ „Euer Maj… Majestät sind m… m… mei… meine ganze Familia… meine ganze Familia… und die g… ga…. g… ganze Baronie Nemento…“

Dom Ranudo hielt erneut inne. Irgendetwas schnürte seine Kehle zu und drückte schwer auf seine Brust. Er bekam keine Luft. Aber er musste es zu Ende bringen. Er war kläglich gescheitert, wo selbst minderjährige Pagen und einfache Schausteller Erfolge hatten. Er war eine große Enttäuschung. Reputation und Ehre seiner Familia und fünfzig Generationen von Ahnen lasteten schwer auf seinen Schultern. Wie konnte er solche alte Größe weitertragen. Ohne Rücksichtnahme auf die Cortezia begann er rasch und ohne Würde, kaum verständlich Worte aus seinem Mund fließen zu lassen. Die wohl einstudierte Rede wollte er rasch zu Ende bringen. Möglichst schnell. Es galt nur noch zu überleben, ohne Cortezia und ohne Ehre.

„…meine ganze Familia und die ga… ganze Baronie Nemento zum Höchsten ob… obligiert. Im Namen all dieser bitte Euer Almadanerköniglich Majestät ich, Sie wollen es sich belieben lassen, auch fürderhin Sorobán als einen Schemel für ihre Füße zu halten und anzusehen…“

Dom Ranudo IV. Eslamo di Dalias y las Dardas, Baron von Nemento, Junker von Dalias, Sherbeth und Malketozah, Archocaballero von Las Colinas, && fühlte sich, als säße er in einem dunklen Loch. Er starrte nur geradeaus ins Leere. So schmeckten also Niederlage und Unehre. Er wollte nicht mehr davon kosten. Doch andere Kost hatte er, der minderste Sohn weit größerer Väter und Mütter, nicht verdient. Für den Rest seines bitteren Lebens würde es dies Kost geben, zubereitet von Intriganten, die ihn schmoren sehen wollten. Er hasste Alvaro Manticco. Er hasste seine Geschwister. Sie hatten ihn, ihren Soberan, nach Omlad vor die Königinwitwe gezwungen, wohlwissend, dass er nie bestehen würde. Sie hatten sich alle gegen ihn verschworen, weil sie ihn verachteten.

„Hochgeborener Herr, wir sind angekommen.“ Diener schoben den Herrn aus der Kutsche und führten ihn zur Pforte von Jalif ben Nasreddins Haus. Kaum eingetreten nahmen sie ihrem Herrn schweigend den Mantel und den Caldabreser ab, klopften die guten Stücke sorgsam aus.

„Wollen Hochgeboren Yaquirtaler Sandwein?“ Eine Dienerin hielt ihm einen Kelch Wein hin. Ranudo raste. Er packte den Weinkelch mit der rechten Hand und schmetterte ihn auf den Schädel der ahnungslosen Dienerin. Die kostbare Flüssigkeit ergoss sich auf den Holzboden. Mit einem zweiten Hieb schlug Ranudo der Dienerin den Kelch ins Gesicht. Er sah ihre Nase brechen und Blut aus ihrem Mund hervorquellen. Sie sank in die Knie. Er trat nach einmal nach ihr. Blut war auf sein Brokatwams und sein Gesicht gespritzt. Caballero Alvaro Manticco de San Marwan stand nur da und rührte sich nicht. Sein Mund zuckte verächtlich. Zwei Diener hielten Mantel und Caldabresser. Ihre Blicke folgten dem Geschehen. Sie standen wie versteinert und suchten den Blick des Alvaro Manticco, ein Zeichen, etwas zu tun. Doch Alvaro Manticco blieb reglos. Unterdessen spritzte Blut. Knochen brachen.

Dom Ranudo stand über der wimmernden und sich krümmenden Dienerin und wischte sich mit seinem blutigen Handschuh eine Strähne aus dem Gesicht. Er hatte versagt. Sie hatten sich alle gegen ihn verschworen. Er wandte sich von der übel traktierten Lakaiin ab, riss zwei Gemälde von der Wand und schleuderte sie zu Boden. Rasend vor Zorn ließ er seine Fäuste auf eine Kommode herab sausen. Er war der geringste von allen. Fünfzig Generationen an Ahnen verhöhnten ihn.