Chronik.Ereignis1033 Streit ums Taubental 21

Schwarzes Füllen, goldene Leuin

Wie Domna Romina über die Ereignisse zu Waldhaus reflektierte und sich zu keinem Beschluss durchringen konnte. Wie Domna Fiona sie im Gästehaus des Klosters aufsuchte. Wie Domna Romina beschloss die Angelegenheit mit der Knappin selbst in die Hand zu nehmen. Wie sie den Baron in seiner Villa aufsuchte und beim Gebet störte. Wie sie erstaunlich schnell zu ihrer Knappin kam, dabei aber Dom León gefährlich nahe kam. Wie sich Ardan von Kündoch als Retter und Störenfried bewies. Wie Rondrenstolz und Rahjaslust in Domna Rominas Herzen miteinander rangen.


Baronie Taubental, 2. Travia 1033 BFBearbeiten

Im Rahjakloster (2. Perainestunde)Bearbeiten

Autorin: ehrenstein

Romina war schnell und wortlos zum Rahjakloster oberhalb von Santa Catalina geritten und hatte sich dort beim Abt zurückgemeldet. Nach einem kurzen, militärisch knappen Rapport, in dem sie nur das Wesentliche berichtete, bat sie sich zurückziehen zu dürfen. Der etwas erstaunte Abt gab ihrem Wunsch natürlich freundlich nach und überließ sie Rahjanetta, einer älteren Novizin, die er mit der Betreuung der Comtessa betraut hatte. Insgeheim amüsierte den Abt das Geschehen vor Ort sehr, er war sich sicher, das Rahja höchstselbst dieses Fest gesegnet hatte und noch manche Überraschung auf alle harrte. Ja ja, schmunzelte er bei sich, der Mensch dachte und Rahja lachte!

Die Comtessa sah sich in dem wunderschönen Gemach, dass man ihr zugewiesen hatte, nur oberflächlich um und bat dann die junge, kokette Frau um ein Bad. Sehr zum Leidwesen Rahjanettas bediente sich die Grafentochter nur oberflächlich ihrer Dienste, sie zog sich sogar selbst aus und wieder an. Die Einladung zu einem späten Abendmahl lehnte sie aus Müdigkeit ab, allerdings erlaubte sie der angehenden Rahjani, ihre honigblonden Locken zu kämmen und zu beduften. Wie anders sie doch aussah, mit offenen Haaren und dem leichten Hauskleid. Doch nach der Toilette wurde Rahjanetta wieder weggeschickt; sie ging seufzend mit einem letzten Blick auf die Besucherin. Es würde während der Festtage andere Gelegenheiten geben und sie würde nicht nachlassen.

Romina streckte sich müde auf dem Diwan aus. Wie das Mädchen sie angesehen hatte! Sie kannte diese Blicke recht gut, doch sie erinnerten sie an ihre eigene Knappschaft und daran wollte sie nun nicht denken. Noch schlimmer waren die Gedanken an den schönen Baron und diese absolut sinnlose Auseinandersetzung. Was war bloß in sie gefahren? Sie ging in Gedanken alles noch einmal durch. Sie wollte ihn einfach nur treffen, kurz kennen lernen und um die Knappin bitten. Warum bei der schönen Göttin war sie so zickig gewesen? Sie hatte doch gewusst, dass er arrogant und anzüglich sein würde. Das kannte sie nur zu gut von Onkelchen Gendahar. Sie schloss die Augen und forschte in sich. Er war groß. Groß und so schön. Es hatte sie verletzt, dass er sich so desinteressiert gezeigt hatte. Verdammt, so ging das nicht. Sie wollte nichts von ihm. Oder doch. Ein wenig Anerkennung, etwas Wärme. Nein, das wäre fatal, so war es viel besser. Er hatte Recht gehabt. Auch wenn bisher im Familia von Ehrenstein-Streitzig von Heirat noch keine Rede gewesen war, blieb für sie nur Gujadal aus der altehrwürdigen Familia Al'Kasim übrig. Den spröden Sohn ihrer Knappenmutter Shahane wollte sie gewiss nicht heiraten. Doch es würde wohl kaum ein Weg daran vorbeiführen, denn ihren bösartigen Vetter würde sie keinesfalls ehelichen. Dann doch eher... nein, nicht weiterdenken. Sie rieb sich die Stirn und schloss müde die Augen.


Autoren: lasdardas, ehrenstein

Der Rückweg nach Santa Catalina war nicht nur der späten Stunden und ersten herbstlichen Nachttemperaturen wegen recht kühl gewesen. Entgegen ihres ersten Vorsatzes, auf der Rückreise noch einmal mit dem khablaesken Baron zu sprechen, hatte sich Domna Fiona zurück gehalten. Wie eben jener schönste aller Männer aus der Legendensammlung der Rahjakirche verhielt sich der werte Dom Léon heute launisch wie eine Schwangere.

Da deuchte ihr doch, dass es vielleicht besser wäre, wenn eine andere Frau die Verhandlungen übernähme. Eine Jüngere, die etwas besser im Blut stand als sie selbst – nicht dass sie sich zum Alten Eisen gezählt hätte, doch hier verlangte es wohl mehr nach einer ragatischen Schönheit.

So führte ihr Weg sie denn auch – kaum dass sie Dom Leóns wankelmütiger Aufmerksamkeit entkommen war – wichtigeren Dingen zu. Namentlich erst ihrem werten Gemahl in der Goldenen Rose, um sich über den Verbleib desselben und der Kinder zu erkundigen. Als zweites dann die Heilige Treppe hinauf dem Rahjakloster zu um der hübschen Comtessa die Aufwartung zu machen.

Zugegebenermaßen war das erste Treffen zwischen eben jener und Dom Léon nicht gerade rahjaerwärmend verlaufen. Und sie mochte die Schuld daran weder allein der Comtessa, aber auch nicht allein dem Baron geben. Aber wenn sie ihre Vorsehung nicht täuschte, würde aus der kühlen ersten Begegnung – mit ein klein wenig Nachhilfe einer vorausschauenden Domna – vielleicht nicht allzu weit hin noch eine wilde und rahjagefällige Amorette werden. Nunja, oder auch mehr. Würde ihr Problem jedenfalls auch lösen.

Jetzt musste sie nur rasch mit Domna Romina sprechen. Bevor diese sich in ihrer Einschätzung über Dom Léon verstieg. Und ehe ihr Töchterlein von den Vorkommnissen Wind bekam. Denn obschon diese nicht mit den Gaben Satuarias gesegnet war, hatte sie doch eine eigenartige Fähigkeit zur spontanen Erleuchtung, wenn etwas ihrem Willen nicht entsprach.

So sputete sich die Taubentaler Domna, als sie die Stufen zum Kloster Santa Catalina erklomm und eine Novizin zu sich winkte, auf dass man sie zu den Gemächern der Comtessa brachte und sie dort der Cortezia entsprechend ankündigen möge.

Es klopfte.

Romina brauchte einen Augenblick, bis sie das Klopfen registrierte. Zerstreut nahm sie die Beine vom Divan: „Tretet ein!“ Hektisch suchten ihre nackten Füße nach den Fellschühchen, die sie achtlos abgestreift hatte.

Rahjanetta betrat das Zimmer und knickste anmutig. Rominas Füße hatten endlich gefunden, was sie begehrten, sie sah stirnrunzelnd auf. Das Lächeln des Mädchens war so bezaubernd, dass sie es unwillkürlich erwiderte.

„Euer Hochwohlgeboren, verzeiht die Störung, doch Domna Fiona de las Dardas bat mich Euch zu fragen, ob Ihr sie denn jetzt noch empfangen könntet, es sei sehr wichtig.“ Kokett legte das junge Mädchen den Kopf schief.

Romina seufzte. Dann war der Baron bestimmt auch schon vor Ort. Sie nickte zerstreut, bestimmt war es der Caballera ein Bedürfnis sie heute noch zu sehen. Ihr letzter Blick hatte Bände gesprochen.

„Ich lasse bitten.“ Ein kurzes Winken mit der Hand; ein junges Leben lang daran gewohnt, war sie sich nicht bewusst, wie herrschaftlich sie wirkte. Die junge Bauerntochter, ihrer Anmut wegen auserwählt, seufzte bewundernd, knickste ergeben, bejahte und ging wie automatisch erst zwei Schritt rückwärts, um sich erst dann abzuwenden und den Gast zu holen. Sie ließ die Tür offen stehen.

„Euer Wohlgeboren, ihre Hochwohlgeboren, die edle Comtessa lässt bitten.“

Romina musste ob der etwas übertrieben Cortezia schmunzeln, doch es tat so gut, besonders nach der rüden Behandlung durch den Lehnsherrn dieses Mädchens. Er sollte sich ein Beispiel nehmen, dieser, dieser Kretin.

Mit unternehmungslustig funkelndem Blick trat Domna Fiona in die Stube und verneigte sich schwungvoll vor der Comtessa. Einen Moment hielt sie inne, um den Blick über Domna Romina wandern zu lassen, die in der legeren Kleidung einen ausgesprochen süßen Anblick bot. Die Taubentalerin räusperte sich, als sie sich aufrichtete.

„Verzeiht, wenn ich Euch jetzt noch störe, Domna Romina. Doch wenn Ihr mir einen Moment Eurer Zeit widmen könnt, auf dass ich Euch berichten kann, was sich nach Eurer Fl…otten Abreise aus Waldhaus ereignet hat?“ Mit zur Seite geneigtem Kopf sah Domna Fiona die Ragatherin freundlich bittend an.

Auf eine etwas fahrige Geste der jungen Comtessa hin nahm Domna Fiona mit einem erleichterten Seufzen auf einem der weich gepolsterten Sessel Platz. Gut, vielleicht war sie doch nicht mehr so jung und spürte den stundenlangen Ritt sowie die Kraxelei durch das Vorgebirge doch ein wenig in den Knochen. Derweil sich die junge Comtessa sichtlich fing, schlug Fiona ein Bein über und richtete sich ebenfalls etwas in dem kuschligen Sessel auf. So einen bräuchte sie auch für ihr Landgut. Am besten würde er in das Schlafzimmer vor den Kamin passen. Und so voluminös wie der Sessel war, ließe sich darin sicher auch gut zu zweit sitzen und rahjanischen… nein, etwas mehr Konzentration auf das vorliegende Problem, rief sie sich zur Räson.

Züchtig legte Fiona die Hände in den Schoß. Mit nachdenklichem Nicken sammelte sie sich und begann dann mit ihrer kurzen Ausführung. Das meiste, zumindest aber das Wichtigste, hatte Domna Romina ja eigentlich schon mitbekommen. Als sie endlich zu der für sie selbst entscheidenden Stelle kam, hatte sich auf Domna Fionas Gesicht ein Ausdruck mütterlicher Besorgnis geschlichen. „Und wie wir also so auf dem Rückweg unterwegs waren und beisammen ritten, wollte ich die Gelegenheit nutzen und Dom León von den Vorkommnissen seit Euer Hochwohlgeboren Ankunft auf Las Dardas zu erzählen. Doch er erschien noch immer reichlich ungnädig – verstimmt wie der geschwängerte Khabla könnte man fast sagen – und so kam es wohl auch, dass er meine Bitte, den Wunsch der kleinen Zaida erfüllen zu können und sie zu Euch in die Knappschaft zu geben, rundherum und mit reichlich Feuer ablehnte und stattdessen meine Kleine gleich morgen zu sich bestellte, wo sie den Stalldienst und damit die Knappschaft bei ihm antreten solle. Jetzt muss ich gestehen, dass ich obwohl schon über 40 Sommer, doch ein wenig ratlos bin, wie ich die Situation zur Zufriedenheit meiner Tochter und ohne Euch durch den Rückzug der Knappin zu beleidigen, richten soll.“

Ein wenig erschöpft, sorgengeplagt und noch immer von dem kuscheligen Sessel gefangen genommen, wartete Fiona auf Domna Rominas Antwort, in der Hoffnung der flotten Comtessa möge eine Lösung einfallen, die alle zufrieden stellte. Ah, diese Wortwahl in einem Rahjakloster…

Romina hatte aufmerksam zugehört. Soso, ungnädig war der gnädige Herr gewesen. Doch wohl nicht wegen ihr? Unwillkürlich musste sie lächeln. So war er also doch nicht so unberührbar, wie er schien. Aber vielleicht war es auch die Bedrohung für ihn und das Taubental, die ihm zusetzte. Sie seufzte und wurde sich gleich bewusst, dass dieses Geseufzte ähnlich kindisch war, wie das Gekichere bei ihrer Ankunft auf dem Edlengut Waldhaus. Sie musste sich zusammenreißen. Schon morgen früh wollte der Baron das Mädchen zum Rossdienst sehen. Dann wäre es morgen zu spät, es war nicht üblich, während der Knappschaft den Herrn zu wechseln. Sie richtete sich auf und dehnte den Nacken.

„Dom Vivar scheint mir ein recht schnell schießender Mann, wenn er sich nicht einmal Zeit nimmt, in aller Ruhe darüber nachzudenken. Vielleicht ist es auch mein Fehler gewesen, ich war etwas... unfreundlich.“ Sie räusperte sich und stand auf. „Es führt wohl kein Weg daran vorbei. Ich werde Seiner Hochgeboren einen artigen Abendbesuch abstatten und schauen, ob ich das Kind nicht aus dem Brunnen fischen kann, solange es noch nicht ertrunken ist.“ Sie hob die Hand, als die Waldwachterin zu reden ansetzte.

„Es ist schon gut, Eure Tochter hat sich meinen vollen Einsatz verdient. Wenn es sein muss, werde ich mich entschuldigen.“ Sie schluckte schwer. Die Entschuldigung würde schnell gehen müssen, bevor der Baron etwas sagen konnte, was den Streitzig in ihr reizte. Doch das würde sie hinbekommen. Sie klingelte nach der Novizin. „Achja, wo finde ich den Baron?“

Domna Fiona unterdrückte den Wunsch, ihr diese Entschuldigung auszureden, sie schnaufte tief durch und erhob sich schweren Herzens aus dem wunderbaren Sessel. Sie musste den Abt unbedingt fragen, wo man solch ein gutes Stück kaufen konnte. „Dom León residiert in der Villa Azucena. Sie gehört seit Menschengedenken seiner Familia, eins der schönsten Bauwerke hier. Sie liegt direkt am Dorfplatz, gegenüber der Heiligen Treppe. Wir kamen heute mittag daran vorbei, erinnert Ihr Euch? Sie ist nach der Lilie benannt, die auch die Eingangstür schmückt.“

Die Comtessa nickte. „Ich erinnere mich“, und wandte sich Rahjanetta zu, die leise eingetreten war. „Mädchen, ich werde noch ausgehen. Kannst du meinem Leutnant Bescheid geben lassen und dann zurückkehren? Ich muss mich schnell ankleiden, sonst wird es noch später.“ Sie schaute zu Fiona und lächelte. „Ihr entschuldigt mich.“

Die Caballera nickte und sah noch mal sehnsüchtig zu dem Sessel. „Ja, natürlich, Euer Hochwohlgeboren. Mögen die Stolze und die Schöne Euch zur Seite stehen. Könntet Ihr mir über den Ausgang des Gesprächs Nachricht zukommen lassen? Ich muss wissen, wohin ich mein Kind morgen schicken soll.“ Sie wandte sich zum Gehen.

In der Villa Azucena (2. Rahjastunde)Bearbeiten

Autoren: vivar, ehrenstein

Nur ein halbes Stundenglas später stand eine in weißblauer Junkertracht gewandete Comtessa, einen mürrischen Leutnant mit ganzen zwei Fackelträgern Bedeckung hinter sich, vor der zweistöckigen Herrschaftsfront der Villa Azucena. Das samtene, zweifarbige Wams war Romina, ebenso wie die modische Hose, auf den Leib geschnitten. Ansonsten waren die edlen Stoffe schmucklos, die teure Spitze am Kragen und den Ärmeln dezent. Das Gewand wurde von schwarzen, polierten Reitstiefeln trefflich ergänzt. Als einzigen Schmuck trug sie Degen und Linkhand am Gürtel, die sie, obwohl es bestimmt nicht bequem war, nicht abgelegt hatte. Beide Waffen hatten fein gearbeitete, silberne Griffkörbe mit jeweils einem blauen Edelstein am Knauf. Sie nahm den Caldabreser ab und sah zu der Lilie hoch. „Leutnant, würdet Ihr bitte anklopfen und mich anmelden.“

Das „Jawohl, Euer Hochwohlgeboren“ klang gepresst, doch brav ergriff der hoch gewachsene Tobrier den Klopfer und ließ ihn gegen das Portal fallen.

Eine Hausdienerin öffnete einen der beiden Flügel und blickte hinaus. Vom Luftzug bewegt, flackerte hinter ihr im Foyer das Kerzenlicht und ließ sie zunächst größer erscheinen als sie war. Die Frau, mit wallenden grauen Locken und vom Leben gezogenen Linien im offen dreinblickenden Gesicht, trug bodenlange rote Röcke und eine weiße Bluse. Offenbar hielt man es hier im Taubental eher schlicht und weniger förmlich als in Ragath oder Punin, wo Hausdiener für gewöhnlich in den Farben ihres Herrn livriert waren. „Was ist Euer Begehr zu dieser Stund’?“, zog sie verwundert die Brauen nach oben.

„Meldet Eurem Herrn, dass Ihre Hochwohlgeboren, die Comtessa Romina von Ehrenstein-Streitzig, Caballera zu Ragath, hier ist und ihn in einer dringlichen Angelegenheit zu sprechen wünscht“, schnarrte Ardan von Kündoch.

Die Dienerin neigte bei der Erwähnung der Titel das Haupt und trat zur Seite, damit die Dame und ihr Gefolge eintreten konnten. Von nur wenigen eisernen Kerzenständern erleuchtet, schien die Empfangshalle der Villa, mit ihren grob geschnittenen Steinplatten und den wuchtigen Deckenbalken aus dunklem Holz eher eines wohlhabenden Großbauern denn eines Barons würdig. Oder war der Tosch Mur so arm? Das konnte nicht sein – schließlich war das Haus des Abtes oben auf dem Klosterhügel, wenn auch kleiner als die Villa, mit Marmor verkleidet. Warum also diese fast demonstrative Schlichtheit? Zumindest an einer Wand, vom Dunkel beinahe vollkommen verschluckt, glitzerten einige Goldfäden in einem Wandteppich. Die breite Treppe, die ins Obergeschoss führte, war ebenfalls aus grobem Stein gehauen und bereits von vielen Füßen abgeschliffen worden.

„Wir... äh... hatten Euer Hochwohlgeboren Besuch am heutigen Abend gar nicht mehr erwartet“, begann die Dienerin, leicht verlegen. „Seine Hochgeboren verrichtet bereits das Nachtgebet.“

Von irgendwo aus dem Obergeschoss drang das helle Aufjauchzen einer Frau. Gleich darauf war ein wohliges männliches Stöhnen zu vernehmen, in das die Frauenstimme rhythmisch einfiel, so dass leicht zu erraten war, an wen unter den Zwölfen dieses Gebet gerichtet war.

„Wenn Hochwohlgeboren derweil im Salon Platz nehmen möchten?“, wies die Dienerin auf eine Tür linkerhand. Dabei zeigte sie jene unbeeindruckte Miene, wie sie nur Lakaien zu Eigen war, die bereits jahrzehntelang die Kaprizen ihrer Doms erduldeten.

Leutnant von Kündoch warf seiner Herrin einen fragenden Blick zu und schaute dann demonstrativ zur Eingangstür. Die Comtessa schüttelte den Kopf, lächelte bezaubernd und wandte sich an die Dienerin: „Richte deinem Herrn aus, er möge in alle Ruhe zu Ende beten. Ich werde warten.“ Sie wandte sich nach links und betrat den Salon. Dort landete der Caldabreser auf einer Kommode, während die Domna sich umsah. Der Raum war auf den ersten Blick ebenso rustikal wie die Empfangshalle. Weiß verputzte Wände kontrastierten mit dunklem Holz an Fensterläden, Decke und Mobiliar – ein großer Tisch, ein paar Stühle mit hoher Lehne, zwei Kommoden und eine Truhe. Den Boden bildeten quadratische Fliesen in warmem Rot und in einem offenen Kamin prasselte ein Feuer, das auch die einzige Lichtquelle bildete, bis die Hausdienerin mit einem Scheit ein paar Kerzen entzündete, die in dreiteiligen Leuchtern steckten.

„Darf ich Euer Hochwohlgeboren etwas zu trinken anbieten, um die Wartezeit zu verkürzen?“

Romina nickte kurz, ohne die Bedienstete anzusehen. „Bring’ mir Wein, einen süßen Roten!“ Indem die grauhaarige Frau unter einer erneuten Verneigung abging, zog die Comtessa ihre weißen Handschuhe aus und ließ sich auf einem geschnitzten Stuhl nieder. Nachdem die Kerzen die Kammer mit ihrem Licht erfüllt hatten, wagte sie einen zweiten Blick auf die Einrichtung und stellte fest, dass sie durchaus nicht so schlicht war, wie sie zunächst gedacht hatte. Über dem Kamin hing ein Gemälde im silbern lackierten Rahmen, von dem ein hoch gewachsener Mann, auf ein großes Schwert gestützt, die Comtessa stolz anblickte. Seine edlen Züge waren denen Dom Leóns nicht unähnlich, doch seine Augen waren größer und seine Ohren spitzer. Auch hüllte er sich in die fließenden Prachtgewänder der Rohalszeit und umgab sich mit aufgeschlagenen Büchern. Es musste sich um einen jener Ahnen des Vivar handeln, in denen das Elfenblut noch stark gewesen war.

An einer anderen Wand war auf eine gegerbte Schafshaut ein mächtiger Eichbaum mit schier endlos vielen Verästelungen gemalt, dessen Blätter beschriftet waren. Die Vivar führten ihre Linie Hunderte von Jahren bis auf die Zeit der Fürsten von Aguilon zurück, und jeder Besucher der Villa sollte sich dessen bewusst werden. Romina widerstand dem Wunsch, aufzustehen und einen näheren Blick auf das Stück Leder zu werfen.

Stattdessen sah sie sich weiter um. Die Kerzenständer auf dem Kaminsims, auf den Kommoden und dem großen Tisch aus Zedernholz waren aus lauterem Silber geschlagen und hatten die Form einer Lilie, das Emblem der Familia. Die Kommoden und auch die Stühle standen auf kunstvoll gedrechselten Füßen, und die Platte des Tisches, an dem Domna Romina saß, war ganz und gar mit Silberintarsien verziert, die eine herrschaftliche Jagdszene darstellten. Und auf dem Boden schmeichelte ein weicher blau-weißer Teppich den Füßen.

„Leutnant, setzt Euch zu mir und unterhaltet mich!“, winkte die Comtessa.

Ardan von Kündoch nickte gehorsam, wählte einen Sessel, zog ein Kartenspiel heraus und begann es zu mischen.

Als die Dienerin gleich darauf mit zwei Bechern und einem Krug Wein zurückkam, waren die beiden Besucher bereits ganz entspannt in ein Spiel versunken.

Der Hausherr ließ etwas länger auf sich warten. Immerhin drangen die „Gebetsrufe“ nicht bis hierher. Domna Romina und Ardan von Kündoch hatten gerade ihre dritte Spielrunde begonnen, als sich eine Türe im hinteren Teil des Salons öffnete und der Baron eintrat. Er trug einen jagdgrünen Gehrock, unter dessen golddurchwirkten Rändern weiße Spitze hervorlugte, dazu weite cremefarbene Beinkleider und spitz zulaufende Schuhe. Das Kerzenlicht ließ sein edel geschnittenes Gesicht noch schöner und sein zahnweißes Lächeln verheißungsvoller erscheinen als bei Tage. Als er die Tür hinter sich schloss und an den Tisch herantrat, wehte ein dezenter Hauch von Rosen mit ihm in die Kammer. „In der Götter Namen, willkommen in meinem bescheidenen Heim, Hochwohlgeboren. Bitte seht es mir nach, dass ich Euch so ungebührlich habe warten lassen. Ihre Gnaden Elea Colombi, meine Hofkaplanin, nimmt die Sorge um mein Seelenheil sehr ernst. Wie ich sehe, habt Ihr Euch aber derweil nicht gelangweilt. Wer gewinnt?“ León de Vivar deutete auf die Karten.

Ardan von Kündoch stand behände auf, verbeugte sich, um sich dann zum Gehen zu wenden.

Die Comtessa ließ die Karten sinken und lächelte zaghaft. Unwillkürlich glitt ihr Blick über den ganzen Baron, um bei seinen Augen hängen zu bleiben. „Mein Leutnant würde gewinnen, wäre er nicht so gut erzogen. Ich habe das Spiel erst vor einigen Tagen erlernt,“ antwortete sie. Kurz wanderte ihr Blick warm von Kündoch hinterher, der angespannt, aber leise den Raum verließ.

„Phexens Glück ist Rahjas Fluch, so sagt man doch. Oder war es umgekehrt?“ Der Vivar kräuselte seine Lippen in sanftem Spott. „Euer Wachhund muss ein sehr einsamer Mann sein. Ich wollte ihn übrigens keinesfalls verscheuchen. Verzeiht, wenn ich Eurem Spiel ein Ende bereitet habe.“

Romina hob den Blick wieder zu Dom León. Ihre Miene wurde etwas ernster. „Es ist an mir, Verzeihung zu erflehen, Dom; immerhin störe ich Euch unangemeldet zu so später Stunde. Auch will ich Euch bitten, meine rüde Art heute am frühen Abend zu entschuldigen, sie war überzogen und gänzlich unangebracht.“ Ihre blauen Augen forschten in seinem Blick. So zart geschminkt und die Honiglocken verspielt nach hinten geflochten, schien ihr leicht gebräuntes Gesicht weich, ja fast zerbrechlich.

Der junge Baron ließ sich auf dem Stuhl, den der Leutnant soeben aufgegeben hatte, nieder und blickte sie mit schräg gelegtem Kopf an. Er schien nicht so recht zu wissen, was er von der plötzlichen Höflichkeit halten sollte. Schließlich sagte er: „Ihr stört mich überhaupt nicht, Hochwohlgeboren. Im Gegenteil, Damenbesuch zur Rahjenstunde ist mir stets willkommen.“ Er grinste fröhlich. „Allerdings seht Ihr mich überrascht, denn nachdem Ihr mich bei unserer ersten Begegnung mit einem – wie war es? – ‚schamlosen und eingebildeten Hengst’ verglichen hattet, dachte ich nicht, dass bei unserer zweiten Begegnung solch lieblicher Honig aus Eurem Zuckermund träufeln würde. Ein erstaunlicher Wandel, wenn Ihr mir die Bemerkung gestattet. Seid Ihr etwa bei Tag eine Streitzig und bei Nacht eine Ehrenstein?“

Derweil trug die alte Dienerin einen neuen Weinkrug, einen Becher für Dom León, und eine Platte mit Obst und Käse herein. Sie stellte alles auf dem Tisch ab, schenkte ihrem Dom den Becher voll und verschwand mit dem ersten Krüglein und des Leutnants Becher. Auf der Platte fanden sich Birnen, Zwetschgen, Marmelonen und Äpfel, zusammen mit würzigem Schafskäse, mildem Weißkäse und Taubentaler Walnusskäse.

Romina lachte leise, den Baron interessiert, ja, fast offen neugierig musternd. „Das könnte durchaus sein. Bei Tage bin ich keck und frech und bei Nacht schamhaft und anständig. Allerdings sagte ich bei aller Frechheit nur die Wahrheit – Ihr seid sowohl schamlos, als auch eingebildet. Den Hengst nehme ich gerne zurück.“ Breit lächelnd schaute sie über die schön angerichteten Speisen. „Keine Datteln, wie schade“, ein weiteres, leises, glockenhelles Lachen, sie nahm sich eine Zwetschge und drehte sie zwischen den Fingern.

„Dies sind Früchte des Taubentals. Datteln wachsen nur südlich des Yaquirs.“

„Eure Tante führte welche in ihren Wägen mit, wie ich hörte.“

„Die muss jemand unterwegs aufgegessen haben.“

Sie lachte. Dann zwang sie sich ernst zu werden und sah ihm wieder in die Augen.

„Scherz beiseite, Dom León, meine Bitte um Verzeihung ist ernst gemeint, auch wenn die Streitzig in mir damit gänzlich unzufrieden ist. Aber das steht auf einem anderen Blatt.“ Sie atmete tief durch. „Ich kam in einer Herzensangelegenheit ganz eigener Art in Eure schöne Baronie und es ist unverzeihlich, dass ich mich wie eine Debütantin verhalten habe.“

„Wenn Euer Verhalten tatsächlich so unverzeihlich wäre, so würdet Ihr mir mit Eurer Bitte um Verzeihung eine unerträgliche Last aufbürden. Da ich aber wenig so sehr liebe, wie das Wohlgefallen einer Frau zu finden, würde ich wohl dennoch versuchen Eure Bitte zu erfüllen und mich für eine Debütantin ins Verderben stürzen.“ Er verbarg sein Grinsen in einem Schluck Wein.

„Werdet Ihr meine Entschuldigung nun annehmen, oder habt Ihr vor, herauszufinden, wie lange die Ehrensteinerin in mir das steitzigsche Blut noch bändigen kann?“ Sie teilte die Frucht mit den Fingern und aß sie.

Dom León winkte ab. „Ach, es gibt nichts, das der Entschuldigung bedürfte, schöne Comtessa. Meine Schamlosigkeit und meine Einbildung sind wie eine Brünne und ein Schild, die mich vor der Schärfe Eurer Worte schützen. Zwar wäre ich durchaus geneigt, diesen Panzer wieder abzulegen um so Euer streitzigsches und auch Euer ehrensteinsches Blut in Wallung zu bringen, aber das soll ja nach Eurem Wunsch nimmermehr geschehen.“ Seine Mundwinkel zuckten spöttisch, doch seine tiefschwarzen Augen ruhten in den ihren.

Die junge Magnatentochter forschte einige Augenblicke in der Tiefe seiner Augen. Ihre Finger spielten unruhig mit dem Kern der zuvor verspeisten Frucht. „Ihr habt vollkommen Recht! Ich habe nicht das geringste Bedürfnis, jemals Euretwegen in Wallungen zu geraten.“ Sie lehnte sich zurück. „Ich will nur eines von Euch, Baron Vivar, ich will, dass Ihr die Ehre, die junge Zaida de las Dardas zur Caballera zu machen, an mich abtretet.“

„Die Ehre könnt Ihr gerne haben.“

Überrascht blickte sie ihn an.

Der Vivar schnitt sich ein Stück Käse ab und verzehrte es genüsslich. „Ich lege keinen gesteigerten Wert darauf für die kommenden sieben Jahre auf diesen schwarzgelockten Wildfang aufpassen zu müssen.“

„Aber... Domna Fiona sagte mir, dass Ihr Zaida...“

„...dass ich sie Euch nicht überlassen würde?“, schmunzelte er. „Die Situation hat sich verändert. Ich gedenke eine Löwin mit goldener Mähne anstatt eines Füllens mit schwarzer Mähne großzuziehen.“

Ihre Verwirrung musste in ihrem Gesicht ablesbar sein, denn Dom León fuhr fort: „Vor wenigen Stunden klopfte eine junge, blondgelockte Maid an jene Tür, durch die auch Ihr vorhin mein Haus betreten habt. Sie führte einen Brief ihres Vaters bei sich, in welchem dieser mich bat, das Kind als Knappin bei mir aufzunehmen und in den Künsten des Caballeros zu unterweisen. Ihr Name ist Leonora vom Berg, sie ist also die Tochter von...“

Konnar vom Berg zum Berg.“ ‚Eine Löwin mit goldener Mähne.’ Romina kannte sich nicht wirklich in den undurchschaubaren Verwandtschaftsbeziehungen der Descendientes aus, doch Konnar vom Berg war almadaweit bekannt als jener Baron, der kurz vor der Krönung des Kaisers dem Landeskanzler Land und Titel vor die Füße geworfen und das Königreich verlassen hatte. „Wird man Euch in Punin nicht zürnen, wenn Ihr die Tochter eines Verräters in Eure Dienste nehmt?“

„Punin ist weit und Taladur ist nah, pflegt man im Tosch Mur zu sagen. Leonora ist die Mundilla Dom Konnars und damit die Erbin der Baronie Jennbach. Eines Tages, wenn sie ihre Ausbildung beendet hat, wird sie Baronin des größten Lehens in der Grafschaft sein.“

„Aber Dom Konnar hat Jennbach doch an die Krone zurückgegeben! Der Kaiser wird das Mädchen niemals zur Baronin erheben.“

Dom León schüttelte das Haupt. „Dom Konnar hat sein Lehen an den Kanzler zurückgegeben, was erstens ein Unterschied und zweitens ein Ding der Unmöglichkeit ist. In der Grafschaft Waldwacht ist es die Gräfin, die Lehen vergibt und Lehen nimmt. Eine Rückgabe an die Krone hätte nur mit ihrer Zustimmung geschehen können und wäre obendrein gleichzeitig eine Rückgabe an den Bergkönig Arombolosch gewesen, denn die Waldwacht gehört sowohl zum Königreich Almada als auch zum Bergkönigreich Tosch Mur.

Die gesamte Rückgabe ist also gar rechtskräftig. Dom Konnar ist immer noch Baron von Jennbach. Mich erstaunt, dass Dom Rafik das nicht sofort erkannt und die Rückgabe abgelehnt hat. Schließlich ist er nicht nur in der Juristerei geschult, sondern stammt selbst aus der Grafschaft Waldwacht. So lag es an uns die Baronie Jennbach für die Familia vom Berg zu sichern und vor Usurpatoren zu schützen. Derzeit verwaltet mein lieber Freund Amaro von Viryamun y Braast das Lehen – bis Dom Konnar zurückkehrt oder seine Tochter das rechte Alter erreicht. In beiden Fällen ist es nicht unvorteilhaft, Leonora jetzt an meiner Seite zu wissen. Die Bande zwischen Knappen und Knappenherren sind fester als so mancher Traviabund.“ Er schien mit sich selbst und der Welt zufrieden zu sein.

Romina dachte an Domna Shahane zurück, ihre eigene Knappenherrin und stellte fest, dass er Recht hatte. Mit kaum einem anderen Menschen hatte sie so viel gemeinsame Zeit verbracht, kaum jemand kannte sie selbst so gut. Dann sagte sie: „Ihr habt in Eurer schönen Rechnung etwas ausgelassen, Dom León. Dom Konnar ist ein Disente und in kaiserlicher Ungnade. Der Kaiser wird niemals zulassen, dass er oder seine Tochter Jennbach wieder erhalten.“

„Das Reich währt seit über 1.000 Jahren, und die Familia vom Berg herrscht seit Anfang des Reiches über Jennbach. Ungnade aber währt nicht ewig.“ Der Vivar lächelte tiefgründig, dann fügte er hinzu: „Kaiser auch nicht.“

Romina riss die Augen auf. Bei Hofe hätte sie jetzt mit dem Fächer verwundert von dieser gewagten Aussage distanziert, doch hier in der Provinz führte sie keinen Fächer bei sich und missliebige Lauscher, die ihre Worte an das Ohr Hal II. tragen konnten, waren fern. Dennoch blieb sie vorsichtig und sagte: „Angesichts Eurer politischen Seiltänzereien bin ich doch sehr zufrieden damit, dass ich mich nur um die rondragefällige Ausbildung eines schwarzgelockten Füllens zu kümmern habe.“

Doch Dom León hatte auch darauf eine Antwort. „Es ist äußerst bedauerlich, dass Ihr so einfach zu befriedigen seid, Domna Romina. Ich dachte stets, Ihr wäret eine Frau, die nach höheren, feineren Genüssen als der Ehre der Knappenausbildung strebte. Als ich Euch soeben anblickte, kam es mir in den Sinn, dass ich Euch nur zu gerne im Erlangen dieser Genüsse Hilfestellung leisten würde.“ Er lächelte. „Verzeiht, wenn ich Euch, die Ihr gewiss ganz für die rondragefällige Pflichterfüllung lebt, mit der Hohen Politik und meiner rahjanischen Träumerei zu nahe trete. Die Festtage stehen vor der Tür, und da vergessen fromme Leute wie ich bisweilen, dass wir im Taubental auch Besucher haben, die nicht von Rahja erfüllt werden wollen...“

Ein Schmunzeln stahl sich auf die zart rosafarbenen Lippen der jungen Frau. Daran war sie gewöhnt. "Verehrter Baron, es stimmt mich traurig, dass ich Euch so sträflich unterfordere, doch ich werde mich erstmal mit den rondranischen Tugenden begnügen müssen, bis es einem Mann gelingt, mich als Ehemann so zu langweilen, dass ich Rahja anflehe werde, Euch endlich wieder zu begegnen." Sie senkte seufzend den Kopf und warf dem Mann ihr gegenüber einen flehend traurigen Blick zu. "Doch bis es soweit ist, darf ich mich der Versuchung nicht ergeben, auch wenn sie direkt vor meiner rahjanischen Nasenspitze sitzt und mir unendlich süß und begehrenswert erscheint."

Dom León richtete mit zwei sanften Fingern Domna Rominas traurig gesenktes Kinn wieder auf und blickte sie an. "Aus Eurem lieblichen Mund perlen mit jedem Mal rätselhaftere Worte, die mich ganz verwirren und meine Neugier befeuern. Welch böser Ohm hat Euch denn eingetrichtert, Ihr dürftet Euch der Versuchung nicht ergeben? Sagte nicht bereits der große San Valpo, dass der einzige Weg, auf dem wir Versuchungen loswerden können, über die Versuchung selbst führt? Ich will Euch nicht mit rahjalogischen Spitzfindigkeiten langweilen – Ihr scheint mir mehr der Empirie als dem Theoretisieren zugeneigt –, deshalb sage ich Euch, teure Domna, dass, wer immer Euch diesen Schwachfug verkündete, auf rahjanischem Gebiete entweder gänzlich unbeleckt ist oder Euch nichts gönnt. Einer Versuchung sollte man nachgeben. Wer weiß, ob sie je wiederkommen?"

Rominas Blick huschte kurz zu diesen sinnlichen Lippen, die mit gekonnter Eloquenz von Dingen sprachen, die sie nicht hören wollte. Sie hob den Kopf und den Blick, um sowohl dem Gedanken an diese Lippen, als auch seinen Fingern zu entgehen und sah ihm wieder in die Augen. Diese schwarzen Augen! Sie waren so lebendig und erinnerten sie an die Augen des jungen Zahoris damals. Es schien so lange her... und der junge Mann war auch so schön gewesen... wenn auch auf eine ganz andere Art.

Die kühlen, blauen Augen der jungen Frau bekamen einen verträumt süßen Ausdruck, doch schon das sehnsüchtige Seufzen, dass sich Bahn brechen wollte, wurde das Opfer einer Selbstbeherrschung, die es bei den Streitzigs nur selten gab. „Dom...“ , suchte sie nach einem Ausweg, „ich bin immer noch unverheiratet.“ Sie erinnerte sich nur zu gut an seine lapidare Bemerkung bei ihrer Begegnung am Nachmittag.

"Für Euch würde selbst der Götterfürst eine Ausnahme von seinen ewigen Regeln machen, Domna Romina." Der Taubentaler Baron griff nach ihrer Rechten, vorsichtig, als wäre sie aus Glas, und hauchte einen Kuss darauf.

Sie keuchte leise. Ihre Wangen röteten sich. „Ihr seid mitnichten der Götterfürst!“ Ihre Worte sollten empört klingen, was gänzlich misslang. Auch hätte sie gleich die Hand zurückziehen sollen, obwohl es eine Wohltat war, so zärtlich berührt zu werden. Sie sog die Luft ein. Rosenduft umschmeichelte ihre Nase. Wie konnte Rosenduft so männlich sein? Sie sollte jetzt eigentlich gehen. Die leise Stimme in ihrem Kopf gab auf, verstummte und machte einer freudigen Leichtigkeit Platz. Ein perlendes Lachen stieg in Romina auf.

„Bei Praios' Nasenspitze“, neckte sie ihn. „Wärt Ihr der Götterfürst, wäre Dere wohl gänzlich anders.“ Sie strich federleicht mit den Fingerspitzen durch Dom Leóns Handfläche.

Er antwortete mit seinen Fingern in gleicher Münze und beugte sich leicht nach vorne. „Wäre ich der Fürstengott, so befehlte ich allen Fürsten, dass sie ihre Töchter nach Eurem Abbild zeugten. Wäre ich der Götterfürst, so würde ich Euch nach Alveran berufen, um mich Tag und Nacht an Eurem Antlitz zu laben. Wäre ich der Fürst der Götter, so wäre ich gegen jeglichen Zauber gefeit, auch gegen jenen, den Ihr, schönes Wesen, auf mich geworfen habt. Doch ich bin weder Gott noch Fürst, nur ein Mann, den Ihr in Euren Bann gezogen habt. Gewiss habt Ihr schon viele meinesgleichen unglücklich gemacht?“

Romina errötete und senkte den Blick. „Männer wie Euch gibt es nicht oft, Dom León.“ Sie hob den Blick wieder, zärtlich strichen ihre Augen über sein markantes Gesicht. „Wenn Ihr die unzähligen Verehrer meint, die der Grafentochter in mir nachstellen, so mögt Ihr wohl Recht haben. Sie sind mir egal, sind sie doch nur Möchtegerngünstlinge meiner Familia.“

Er zog die Brauen hoch. „Nein, solche zähle ich nicht zu meinesgleichen.“

Ihre Stimme wurde leise. „Ihr seid anders...“ , ihre Lippen öffnen sich leicht. „ Ich dachte immer, Ihr ähneltet Onkel Gendahar, doch Ihr seid ungleich...“, sie zog die Augen zusammen und suchte nach einem Wort.

„Attraktiver?“, half Dom León spöttisch nach.

Es fiel ihr ein. „Unverschämter.“ Sie lächelte amüsiert. „Ich hätte einen großen Bogen um Euch machen sollen, wie es mir immer geraten worden war.“

„Und ich hätte das hier schon viel früher tun sollen.“ Nur Daumen und Zeigefinger legte er auf ihr Kinn und führte sie so sanft, aber bestimmt zu sich, dass Domna Romina meinte, ihr Haupt würde von einem unsichtbaren Faden gezogen. Seine Lippen waren warm und weich auf den ihren.

Obwohl es sie kurz überraschte, schien es das Natürlichste Deres, dass er sie jetzt küsste. Romina schloss die Augen, der süßen Wärme nachspürend, die von ihren Lippen in den Körper sickerte. Ihre Hand strich über seinen Unterarm zum Ellenbogen und legte sich dort um seinen Oberarm, es schien fast, als wolle sie sich festhalten. Sinnlich, wenn auch etwas unerfahren, erwiderte sie den Kuss.

Es klopfte.

Romina zuckte zusammen, zog den Kopf zurück und wurde puterrot. Ihre Hand ließ los und glitt unbewusst zu ihren Lippen. Hektisch stand sie auf, dem Blick des Vivars kurz flammend erwidernd. Der Stuhl auf dem sie gesessen war, verlor schwungvoll das Gleichgewicht und fiel krachend um.

Die Tür wurde aufgerissen und Leutnant von Kündoch trat entschlossen ein. Sein Blick glitt über den Baron zur Grafentochter, wieder zurück und blieb düster an dem sich lässig erhebenden Vivar hängen. Er räusperte sich: „Comtessa, … ist alles in Ordnung?“

Die Angesprochene stolperte fast, als sie sich umdrehte und über den Stuhl in Richtung offener Tür eilte. Sie stürzte an dem Tobrier vorbei, der immer wieder kurz unsicher zu ihr sah und gleichzeitig versuchte, den Baron im Blick zu behalten.

„Domna...“, von Kündoch wich auch zur Tür zurück, „Euer Hochwohlgeboren... Romina... so wartet doch!“ Doch sie hatte bereits die Vorhalle durchquert und war dabei die Haustür zu öffnen. „Verzeiht, Euer Hochgeboren, die Comtessa will wohl gehen." Er deutete kurz militärisch korrekt Haltung an und folgte seiner Schutzbefohlenen.

Dom León blieb mit überraschtem Blick zurück.


Autorin: ehrenstein

Keiner der beiden Fackelträger reagierte, als die junge Magnatentochter auch schon an ihnen vorbeirauschte. Leutnant von Kündoch gab kurz einige Befehle, stolperte dann leise fluchend die Treppe hinunter und versuchte mit seiner Schutzbefohlenen Schritt zu halten. Romina schien trotz der Dunkelheit keine Probleme zu haben, den Weg zu finden. In atemberaubenden Tempo strebte sie dem beleuchteten Rahjatempel zu. So kamen dann auch als erstes eine sichtlich aufgewühlte Comtessa, gefolgt von ihrem Leutnant und erst danach zwei rennende Fackelträger in der Tempelanlage an.

Im Rahjakloster (1. Praiosstunde)Bearbeiten

Der erstaunte Blick einer Geweihten brachte Rominas Contenance kurz zurück. Bestürzt registrierte sie, was für einen Anblick sie bot. Ihr Caldabreser, die Handschuhe... sie stöhnte auf... und von Kündochs Kartenspiel lagen noch beim Baron. Sie lief einfach weiter. Jetzt war es auch schon egal. Sie musste abreisen, würde Zaida mitnehmen. Sie riss die Zimmertür auf, trat ein, schloss sie vor des Leutnants Nase, schob den Riegel vor und lehnte sich dagegen.

Von Kündoch wich zurück und fand sich vor der geschlossen Tür wieder. Er ballte eine Faust, stellte sich vor, was er mit dem schamlosen Vivar machen würde und schalt sich gleichzeitig selbst, dass er sich von Ihrer Hochwohlgeboren hatte erweichen lassen, aus dem Zimmer zu gehen. Sie war so jung und unschuldig! Wie gut, dass er geklopft hatte, als es in dem Zimmer verdächtlich still wurde! Er stellte sich neben die Tür und wartete ab.

Romina versuchte ihren fliegenden Atem zu beruhigen. Sie konnte nicht abreisen. Es würde wie eine Flucht aussehen, jeder würde denken, sie und der Baron hätten... obwohl niemand anwesend war, wurde sie flammend rot im Gesicht. Es war doch nur ein Kuss gewesen! Rahjada hatte schon unzählige Männer geküsst und wieder fallen gelassen. Ausserdem musste Zaida bei der Initiation ihrer Schwester dabei sein. Schließlich würde sie sie danach jahrelang kaum sehen. Sie dachte an ihre eigene Knappschaft und wie sehr Concabella und sogar Rahjada ihr gefehlt hatten.

Rahjada... sie schluckte. Wenn ein Kuss so sein konnte! Sein Kuss! Plötzlich war ihr, als fühlte sie seine Lippen wieder auf den ihren, spürte wie die Hitze in sie sickerte, roch diesen Rosenduft. Sie holte schnappend Luft, stieß sich von der Tür ab und stürmte in den Baderaum. Kaltes Wasser, sie brauchte kaltes Wasser. Der Baderaum war rahjanisch schön. Die in den Boden eingelassene Wanne sprach ebenso wie die heiteren Wandgemälde von wohliger Verführung. Doch es gab kein Wasser, vor allem kein Kaltes. Natürlich nicht, bestimmt hatte dieser Raum noch nie kaltes Wasser gesehen. Romina stöhnte gequält auf und ließ sich zu Boden sinken. Zumindest der Mamor war angenehm kühl. Sie schmiegte sich an den Stein und langsam ebten die Empfindungen ab. Doch sie spürte keine Erleichterung, sondern nur unendliche Traurigkeit. Es war doch nur ein Kuss gewesen. Tränen rannen über ihre Wange, der Säbelknauf drückte in ihre Seite, doch sie rührte sich nicht.

Rahja war hier, hatte ihre göttlichen Finger im Spiel. Fast war es ihr, als würde sie ein Lachen hören. Wut wallte in ihr auf. Sie wollte nicht, sie wollte nicht mit ihm... wollte sich aufheben, nachdem Rahja sie droben im Raschtulswall beschützt hatte. Aufheben für wen? bitter verzog sie den Mund. 'Für deinen Ehemann', schalt sie sich selbst, 'für wen sonst? Auch wenn er der beste Liebhaber Deres sein mag, du wärst nur Eine unter Vielen. Aber warum nicht Eine unter Vielen sein? Immerhin wäre es eine Schande, wenn er nur einer Frau gehören würde.' Sie stemmte sich hoch, fühlte, wie mit den Gedanken an ihn die Erregung zurück schwappte und schüttelte energisch den Kopf. Diese Gedankenspiele brachten nichts, sie waren nur in ihrem Kopf und wenn sie sich von Dom León fernhielt, würden sie vergehen, wie damals, als sie den Zahori wegschicken ließ.

Sie stand auf und klingelte nach dem Mädchen. Rahjanetta trat ein, knickste und wurde mit der Order, ein kaltes Bad zu richten, wieder weggeschickt. Domna Romina musste im nachhinein über die bestürzte Miene des Mädchen schmunzeln. Sie würde sie anweisen, ihr immer ein kaltes Bad bereit zu halten. Immerhin musste sie noch einige Tage hier verbringen. Ach, nein, das war dann doch zu albern.

Ein Gutes hatte ihr nächtlicher Ausflug gehabt. Zaida würde bei ihr lernen. Sie freute sich darauf, das Mädchen an ihrer Seite zu haben. Dass der Baron nur wegen politischer Erwägungen nachgegeben hatte und ihr abendlicher Besuch nicht nötig gewesen wäre, verdrängte sie. Schnell schrieb sie einige beruhigende Zeilen an Domna Fiona und bat sie, Zaida doch morgen zu ihr zu schicken. Alles würde gut. Jetzt nur noch das kalte Bad... sie erschauderte bei dem Gedanken, disziplinierte sich und stieg ungerührt in das kühle Nass. Es half.

Sie ließ Herrn von Kündoch rufen, um ihm aufzutragen sich bei Gelegenheit um die zurückgebliebenen Gegenstände zu kümmern und ihn dahingehend zu beruhigen, dass nichts in dem Zimmer geschehen wäre, was eines Duells bedürfte. Es schien den Leutnant nicht gänzlich zu beruhigen, doch er war loyal genug Dom León in Ruhe zu lassen und mehr wollte sie nicht. Sie schickte ihn recht schnell wieder fort um sich schlafen zu legen, doch Boron ließ auf sich warten. Selbst ein Gebet brachte nicht die gewünschte Ruhe. So gab sie im Dunkel der Nacht irgendwann nach, ließ ihre Hände auf Wanderschaft gehen und erlöste sich selbst. Trotz der danach einsetzenden Müdigkeit benetzten Tränen ihre Wangen, als sie endlich einschlief.