Chronik.Ereignis1033 Feldzug Selaque 32

In Kaiserlich Selaque, 4. Rondra 1033 BFBearbeiten

Am Rand des RaschtulswallsBearbeiten

4. Rondra 1033 BF, abendsBearbeiten


Autor: von Scheffelstein

Das markerschütternde Brüllen jagte Dulcinea einen Schauer über den Rücken. "Was war das?", fragte sie ihren Vater, doch der hatte sie bei dem zunehmenden Regen wohl nicht gehört, das Brüllen aber wohl schon, denn Ordonyo di Alina starrte mit finster angestrengtem Gesicht in Richtung des Vanyadâls, das irgendwo unter ihnen lag.

"Verflucht!", rief er, und begann, sich hektisch umzusehen. Dulcinea brauchte einen Moment, um zu sehen, was ihren Vater in Aufregung versetzt hatte. Als sie es sah, begann sie panisch zu schreien.

"Vater, dort, dort! Was ist das? Vater, es kommt genau auf uns zu!"

Und wirklich: Dort unten zwischen den Felsen im Norden tauchte der riesige Schädel eines fetten, nackten Weibes auf, so riesig, so fett und von so hässlicher Nacktheit, dass Dulcinea für einen Augenblick mehr Ekel als Angst verspürte. Für einen Augenblick, denn dann tauchte ein zweites solches Weib auf und dann ein Mann, noch größer, noch hässlicher, dessen graues Gemächt unter Fellfetzen zwischen seinen Beinen baumelte.

Dulcinea kreischte in höchsten Tönen, bis ihr Vater ihr unsanft ins Haar griff und sie grob herumriss. "Halt dein dummes Maul, oder willst du die Oger noch anlocken?", fragte er.

"Oger?", fragte sie mit weit aufgerissenen Augen.

"Da rauf, schnell!" Ordonyo di Alina stieß sie weiter den Hang hinauf, von dessen Spitze man auf der einen Seite in Richtung Vanyadâl, auf der anderen auf die Straße nach Grezzano hinabblickte. "Da rein!" Er wies auf eine Spalte zwischen zwei Felsen, eine schmale, kurze Spalte.

Dulcinea dachte nicht lange nach und quetschte sich zwischen die Felsen, so tief hinein, wie es nur ging. Der Regen prasselte ihr auf den Schädel und lief an ihren Armen und Beinen hinab und in ihre Stiefel.

Der Waffenknecht Pachotto, der etwas kräftiger war, versuchte, sich nach ihr in den Spalt zu zwängen, aber ihr Vater riss ihn grob zurück.

"Du nicht, Schwachkopf!", rief er. "Such dir ein eigenes Versteck!" Und so drängte sich Ordonyo statt seiner zwischen die Felsblöcke, bis seine Schulter Dulcineas Arm berührte und er so nah war, dass sie zu ersticken glaubte.

"Ihr Schweine!", rief Pachotto, für den nun kein Platz mehr war. "Soll Euch der Namenlose holen!" Doch dann verstummte er, war einen Blick zurück und stolperte kalkweiß im Gesicht und zu allen Heiligen der Region betend, zur Straße nach Grezzano hinunter.

Nur wenige Augenblicke, nach dem er aus ihrem Gesichtsfeld verschwunden war, tauchte das Ogerweib auf der Hügelkuppe auf und rannte brüllend hinter Pachotto her. Dann war das zweite Weib heran, doch dieses kümmerte sich nicht um den Fliehenden, sondern streckte seine langen Finger zwischen die Felsen und versuchte, Dulcineas Vater zu angeln. Ihre scharfen Fingernägel schrammten sein Gesicht, doch ihr Leib war viel zu mächtig, um in die Spalte hineinzupassen.

Mehr und mehr dieser Ungeheuer umringten die Felsen, brüllten und warfen kopfgroße Steine gegen den Spalt. Staub und Steinsplitter regneten auf Dulcinea und Ordonyo di Alina herab. Dulcinea schloss wimmernd die Augen und betete, dass die Kraft dieser Wesen nicht ausreichte, die Felsen zu bewegen oder die Spalte zu vergrößern.

Plötzlich drang ein dumpfes Trommeln herüber, irgendwo aus dem Südosten, irgendwo aus den Bergen nahe Grezzano. Die Schläge übertönten den heftigen Regen, laut, gleichmäßig und unheilvoll. Kalt strömte der Regen Dulcineas Rücken hinab. Das Wasser, das zwischen ihren Beinen hinab rann, war warm.

Die Oger brüllten, dann plötzlich ließen sie von den Felsen ab, und ihre plumpen, schweren Schritte entfernten sich.

Trommeln, Trommeln in der Ferne. Das Geschrei der Oger wurde leiser. Als es verstummte, fiel alle Spannung von Dulcinea ab, und sie begann hemmungslos zu schluchzen, bis ihre Stimme sich überschlug und sie Schluckauf bekam. Sollte ihr Vater sie tadeln, sie schlagen, es war ihr gleich, wenn sie nur nie, nie wieder so etwas erleben musste!

Doch ihr Vater schlug sie nicht. Er schrie sie nicht an. Ordonyo di Alina schwieg. Er lehnte sein bleiches, zerkratztes Gesicht an den Felsen und sah sie an. Und dann tat er etwas, was er noch nie getan hatte: Er nahm ihre Hand und drückte sie. "Schon gut", sagte er heiser und blickte hinauf in den wolkenverhangenen Himmel. "Schon gut, Kind!"


Autor: Der Sinnreiche Junker

„Halt!“, rief der Posten am Ortseingang, als Pachotto schnell wie der Wind den Weg herab kam. „Halt, die Losung!?“, rief der Wächter noch einmal, und richtete sich auf dem Felsvorsprung über dem Weg auf.

„Oger! Oger!“, brüllte der fremde Läufer ohne inne zu halten völlig außer Atem und ruderte wild mit den Armen.

„Nee, das is nich die Losung“, schüttelte der Mercenario das Haupt und legte die Armbrust an. Der Finger war bereits am Abzug, als er über den Bolzenschaft hinweg plötzlich auf der Hügelkuppe tatsächlich eine Ogerin auftauchen sah. Seine Augen weiteten sich, und er hob die Waffe ein wenig, um das Ungeheuer anzuvisieren. Dann überlegte er es sich doch anders, und griff nach dem Horn um das Alarmsignal zu blasen.

Augenblicke später erwachte das eben noch friedliche Dorf zum Leben, als das verbliebene Häuflein Mercenarios aus den ärmlichen Hütten und Katen stürzte. Rasch hatten die verbliebenen Offiziere und Weibel Ordnung hergestellt, und die Landsknechte auf ihre Posten gescheucht.

„Was ruft er?“, wandte sich Hernán von Aranjuez mit zusammen gekniffenen Augen an seinen Neffen Gualterio. Dieser zuckte nur mit den Schultern und gab den fragenden Blick weiter an den Magus Rondago. Nachdem sowohl der Mann, der soeben den Dorfeingang erreicht hatte, wie auch der Posten oberhalb desselben brüllten, waren ihre Rufe mit dem vielfachen Wiederhall nur schwer zu verstehen. Einige Momente später sahen freilich alle, was die beiden dergestalt in helle Aufregung versetzt hatte, als nun das Ogerweibchen den Dorfeingang erreicht hatte.

„Oger!“, gellte der Schreckensruf durch das Dorf, wiederum vielfach von den Felsen zurück geworfen. „Oger! Oger!! OGER! OGER!! GER!!! GERGERGERGER…!“

So manche Verteidigung hatte der Baron und Junker seinen wenigen Überlebenden erklärt, doch ein angreifender Oger kam nicht in den Plänen vor. Instinktiv duckten sich die Landsknechte tifer hinter ihre Deckung, verschwanden noch ein wenig mehr im Hauseingang, kauerten sich noch mehr auf dem Flachdach eines Hauses zusammen. Angespannt wechselten ihre Blicke zwischen dem heranstürmenden Ogerweibchen – den vorbei sausenden Pachotto hatte man kaum beachtet – und ihrem Condottiere hin und her.

„Alles bleibt auf seinem Posten!“, rief er vernehmlich über den Dorfplatz, doch statt aber zu befehlen die Schwerter zu ziehen, Pfeile und Bolzen aufzulegen, sah er sich unter seinen Leuten um, und deutete dann schließlich auf eine Söldnerin: „Deinen Speer.“ Prüfend wog er den Schaft in der Hand und schritt dann in die Mitte des Weges, derweil die Frau rasch wieder den vermeintlichen Schutz eines Mauervorsprunges aufsuchte. Es war ihm anzusehen, dass ihn die Wunde behinderte, sodass er mehrfach probehalber das Bein belastete, als die Bestie wohl noch zwanzig Schritt entfernt war. Dennoch wusste zumindest der junge Colonna, dass sein Onkel, obgleich ein lausiger Bogenschütze, dennoch ein respektierter Jägersmann war, wenn er mit dem Spieß dem wilden Eber entgegen trat. Und nie hatte der speerkundige Mann sorgfältiger gezielt, weit zog er den Arm zurück und schleuderte den Speer erst als zwischen ihm und dem Ogerweibchen keine zehn Schritte mehr waren. Einen Wimpernschlag später fuhr das Monstrum herum, torkelte gurgelnd und griff sich an den Hals, wo der Speer die Kehle durchbohrt hatte, und noch viele Finger weit im Nacken heraus ragte, nass von schwarzem Blut.

Es war beinahe jämmerlich anzusehen, wie das eben noch so furchteinflößende Ungetüm nun völlig die Orientierung verlor, stolperte und in die Knie brach und schließlich, als das Blut schon eimerweise auf dem Dorfplatz verströmt war, der Länge nach hin schlug, und unter schwächer werdendem Zucken verendete.

Condottiere! Condottiere!“, brandete der Jubel unter den Mercenarios auf. Und: „Aranjuez!“, „Aranjuez!“ Es dauerte einige Augenblicke, bis die ersten den Ruf des Wachtpostens am Ortseingang vernahmen: „Oger! Noch mehr Oger!“ Dann verstummte auch dieser, denn wo das erste Untier noch dem fliehenden Pachotto hinterher gelaufen war, hatte der ausgewachsene Rachkush den Mann mühelos von seinem Felsvorsprung gefegt. Den Bolzen der in seinem baumstammdicken Arm steckte, schien er gar nicht bemerkt zu haben. Stattdessen riss er sich nun ein Stück Söldner von dem zerschmetterten Leib ab, biss mit zufriedenem Grunzen hinein, um dann festzustellen, dass dort unten zwischen den Steinen noch viel mehr Nahrung wimmelte. Brümmelnd machte er sich auf den Weg hinab, gefolgt von dem Weibchen, während sich die drei Jungen zunächst für kurze Zeit über den Rest Söldner hermachten.

„Rooondaaagooooo?“, rief dort in der Dorfmitte immer länger gezogen der eben noch gefeierte Baron und Junker. Dieser Aufforderung hätte es freilich nicht bedurft, konzentrierte sich der Magier doch schon auf seinen cantus. Was also blieb ansonsten zu tun? Die Barrikaden waren zur Deckung vor Ferkinas aufgebaut worden, und würden von einem ausgewachsenen Oger einfach weg geschoben werden – oder aber die dahinter stehenden Verteidiger darunter begraben – und die einfachen Mauern der ärmlichen Häuser der Steinbrechersiedlung würden dieser ungestümen Kraft ebenso wenig standhalten.

Sein Verwandter nahm ihm die Entscheidung ab, als er mit Zeige- und Mittelfinger der linken Hand auf den heran donnernden Oger deutete. Die Geste des Blitz-dich-find-Zaubers war auch einem Laien wie Hernán von Aranjuez geläufig. Ebenso wie seine Wirkung. „Drauf! Drauf, das Vieh sieht nichts mehr!“, brüllte er, und zog selbst sein Schwert. Tatsächlich wirbelte der Oger wild mit den mächtigen Armen umher, drehte sich mehrfach um die eigene Achse und brüllte voller Zorn, doch sah er scheinbar tatsächlich nichts mehr. Von allen Seiten stürzten sich nun die Mercenarios auf ihn, um ihn mit den Speerspitzen zu traktieren, Mutigere versuchten auch einen Schwerthieb anzubringen. Wenig überraschend wurde die orientierungslose Bestie dadurch nur noch zorniger, sodass mancher Speerschaft unter den zahlreichen ungezielten aber umso wütigeren Hieben zerbrach. Und auch so mancher Knochen, wenn man sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte, oder einfach nur Pech hatte. So blutete Rachkush zwar bald aus zahlreichen Wunden, doch lagen auch schon mehrere der Mercenarios tot oder mit gebrochenen Gliedern auf dem Dorfplatz.

Das zweite Weibchen fingerte derweil nach den Armbrust- und Bogenschützen auf dem Flachdach, die es mit einem Schauer von Geschossen empfangen hatten, die aber bislang nur geringe Wirkung gezeigt hatten. Und obgleich sie nun mit Bögen und rasch gezückten Klingen auf die schaufelgroßen Hände einhieben und -stachen, gelang es dem Vieh eine Frau zu greifen. Strampelnd und kreischend wurde sie vom Dach gezogen, und alle Versuche ihre Arme zu greifen waren umsonst. Das Ogerweibchen schmetterte sie gegen die Hauswand, woraufhin die Mercenaria verstummte.

Hernán von Aranjuez indes hatte ebenfalls einen der ungezielten Prankenhiebe abbekommen, und wiewohl der Brustpanzer schlimmeres verhinderte, hatte ihn die Wucht des Treffers doch von den Beinen gerissen und ihm den Atem geraubt. Sein Neffe Gualterio zog ihn fort von dem noch immer blinden Oger. „Speer“, keuchte sein Onkel, und zeigte auf sein Wurfgeschoss von vorhin, der noch immer im Hals des anderen Weibchens steckte. Der junge Teniente verstand, und riss die blutige Spitze aus der aufgerissenen Kehle. Fest griff er den Schaft mit beiden Händen und stürmte auf das zweite Ogerweibchen los, welches ihm den Rücken zuwandte, und wieder begonnen hatte, nach den Mercenarios auf dem Dach zu grapschen. Mit Anlauf rannte er ihr den Speer in den Rücken, so tief dass er selbst noch in das Vieh prallte. Von einem Hieb weggewischt landete er ächzend drei Schritte entfernt im Staub, doch hatte die Speerspitze, welche dem Weibchen zwischen den Brüsten hervorragte nun dessen Aufmerksamkeit erlangt. So recht schien die Ogerin, deren Art nicht gerade für ihre Intelligenz bekannt war, nicht zu begreifen, was dieses glänzende Ding war, und immer wieder versuchte sie den Schaft auf ihrem Rücken zu greifen, drehte sich, und drehte sich, doch bekam sie ihn nicht zu fassen. Erst als die Schützen vom Dach nun begannen, ihr aus kürzester Entfernung mehrere Pfeile und Bolzen in den Leib zu schießen, wandte sie sich wieder den Mercenarios zu, doch erlahmten ihre Bewegungen nun zusehends, ehe sich das Biest mit einem letzten Seufzer an die Hauswand setzte, und seinen letzten Atemzug tat.

Der schien allerdings bei Rachkush die Wirkung des Blendzaubers nachzulassen. Spätestens als er sich gezielt einen nach ihm stechenden Speerschaft griff, und den Mercenario, der sich daran klammerte zu sich heran zog um ihm den Kopf abzureißen, war dies auch dem letzten Landsknecht klar, die sich nun, allesamt mit mehr oder weniger vielen Blessuren, langsam zurückzogen. Ein halbes Dutzend aber blieb liegen, tot und erschlagen zumeist. Brüllend schleuderte der Oger den Kopf hinfort, als es wieder Rondago von Aranjuez war, der dieses Mal Zeige- und Mittelfinger der Rechten von der linken Schulter hin zu dem Ungetüm schnellen ließ, gefolgt von einem Flammenstrahl, der Rachkush zu einem grässlichen Aufschrei zwang. Ungläubig starrte der bereits aus zahlreichen Wunden blutende Oger auf seine verbrannte Brust, sank in die Knie und fiel vornüber.

Einen Augenblick lang herrschte bis auf das Stöhnen der Verwundeten Schweigen in Grezzano, doch meldeten sich dann die Jungoger zu Wort, die nun ihrerseits ihr Mahl beendet hatten, und lautstark in den Ort einfielen.

„Kein Risiko mehr! Niemand riskiert mehr etwas!“, rief Hernán von Aranjuez. Die ungleich kleineren Gesellen konnten es mit jedem Menschen aufnehmen, doch fehlte ihnen noch die ungeheure Kraft ihrer Eltern, sodass man hinter Mauern ungleich sicherer war. „Alles in die Häuser! Zwingt sie in die Enge der Eingänge, kein Risiko mehr!“ Der Rest war blutiges Handwerk, denn dumm wie sie waren und getrieben alleine von Hunger und Gier nach Menschenfleisch gingen die drei Jungen weder koordiniert vor, noch fiel ihnen etwas anderes ein, als der vermeintlichen Nahrung stumpf auf direktestem Wege zu folgen, sodass sie einer nach dem anderen in den Eingängen der Häuser buchstäblich in Stücke gehackt wurden…


Chronik:1033
Der Ferkina-Feldzug
Teil 32