Chronik.Ereignis1033 Feldzug Mark Ragathsquell 01
Mark Ragathsquell, 23. Praios 1033 BFBearbeiten
Auf dem Junkergut Aranjuez (abends)Bearbeiten
Autor: Dom Thallian, Der Sinnreiche Junker
Mit metallischem Klirren der Rüstung beugte Hernán von Aranjuez ein Knie, stützte den rechten Ellenbogen darauf, und entledigte sich der Panzerhandschuhe.
„Was tut er da?“, fragte leise einer der Söldner ein gutes Dutzend Schritte hinter ihm. Sie waren ein reichlich zerzauster Haufen, die Gesichter schmutzig und unrasiert, Rüstungen und Kettenhemden blind und ohne jeden einstigen Glanz, die Kleidung fleckig und zerrissen. Und nun standen sie im letzten Licht des Tages etwas ratlos auf der Straße von Valenca nach Wilsemund, und wunderten sich, warum der Condottiere hatte halten lassen. Der Condottiere, der in den vergangenen Tagen ein erbarmungsloses Tempo vorgegeben hatte, das nicht nur ihr Äußeres mitgenommen hatte.
„Es ist beinahe fünf Götterläufe her“, antwortete Anzures Ballan mit gleichfalls gesenkter Stimme. Und als die Mercenarios ihn verständnislos anblickten, drehte er sich um, und bedeutete ihnen, sich zusammen mit ihm noch ein wenig mehr zu entfernen. In den letzten vier Tagen war die Gruppe eng zusammen gerückt, und das lag nicht nur daran, dass man sich oft genug des Nachts aneinander gekauert, die Umhänge und Mäntel über die Körper geworfen, gemeinsam Nässe und Kälte getrotzt hatte. Nicht nur die Aussicht auf Gold, sondern auch das Versprechen des Condottieres, sie auch nach dieser Geschichte in seinen Diensten zu behalten, hatte die Landsknechte motiviert, den anstrengenden Marsch durchzuhalten. Denn nicht nur hatten sie einen weiten Bogen geschlagen – der womöglich weiter ausgefallen war als gedacht, denn sie hatten keine Karte, und der Aranjuezer führte sie lediglich anhand seines Gedächtnisses – hatten Straßen und Wege gemieden, und sich stattdessen querfeldein und durchs Unterholz geschlagen, hatten jeden Bachlauf genutzt um es auf Kosten nasser Stiefel etwaigen Verfolgern zu erschweren ihren Spuren zu folgen, sondern hatten auch jede menschliche Ansiedlung umgangen, sodass sie seit Tagen nur jeweils ein paar Stunden auf kalter Erde geschlafen hatten, ohne Feuer selbstverständlich, und als Rationen nur Dörrfleisch, trockenes Brot und harten Käse.
Einmal, am zweiten Abend, waren sie noch gerade rechtzeitig in den Büschen verschwunden, als sie einen Weg queren wollten, und plötzlich aus einer verborgenen Senke eine Gruppe Reiter auftauchte. Um wen es sich dabei handelte, blieb freilich unklar, denn im Dunkel der Nacht waren alle Banner schwarz. Auch dass man ihnen das Waisenmädchen aufs Auge gedrückt hatte, schien die rauen Söldner nicht unbedingt zu erfreuen, wechselte es sich doch reihum ab, wer die Kleine tragen musste. Immerhin war das Kind still, was freilich weniger der Klugheit geschuldet schien, als dem Trauma des Ferkinaüberfalls auf ihr Heimatdorf. Wahrscheinlich hatte der Schrecken für sie noch gar kein Ende gefunden, und nachdem sie wohl kaum verstand, was hier eigentlich vor sich ging, war die Flucht für sie wohl nur ein weiterer Teil eines grässlichen Alptraumes, aus welchem sie einfach nicht erwachte.
An sich war man sich ja einig gewesen, dass man die Kleine alsbald bei einer Bauernfamilie absetzen sollte, sei es um sie in deren Obhut zugeben, oder sei es, um sie später wieder abzuholen. Doch hatte der Baron von Dubios nachdrücklich verboten, im Einflussbereich der Elenterin irgendeinem Dorf zu nahe zu kommen. Und selbst als ein verwitterter Grenzstein anzeigte, dass sie sich nunmehr in Falado befanden, hatte er nur abgewunken. „Weil ich dem Rabenfelser nicht über den Weg traue. Seit Götterläufen hat man nichts mehr von ihm gehört…“, hatte Hernán von Aranjuez seinen Begleitern erklärt.
„Nun ja, wir waren auch seit Götterläufen im Yaquirbruch, also kein Wunder!“, hatte ihn Anzures unterbrochen, wobei der Baron dennoch ungerührt fortfuhr: „…und ich habe nicht vergessen, wie er sich damals in Omlad bei Nacht und Nebel aus dem Staub gemacht hat.“
„Aber er kehrte doch in höchster Not zurück. Ohne den Entsatz wäre San Telo an jenem Tage gewiss gefallen“, wandte der schon die Trugbilder von all den schönen Valencanerinnen davon fliegen Sehende schwach ein. „Ja, weil es ihm in den Kram passte. Hätte es ihm nicht in den Kram gepasst, hätten unsere Hälse alsbald unsere Häupter vermisst, oder wir wären in Omlad verfault. Nein, dem trau‘ ich für keine drei Silberlinge mehr. Außerdem, wenn die Elenterin einen solch dreisten Überfall durchführt, könnte der gute Bernfried auf denselben Gedanken kommen, wenn sein Nachbar in solcher Weise bei ihm auftaucht. Womöglich wird dann niemand jemals etwas von unserem und der anderen Schicksal erfahren. Nein, nein, wir werden Valenca umgehen. Ach ja…“, hatte der Aranjuezer inne gehalten. „Du bist dran.“ Damit hatte er das kleine Mädchen auf die Schulter des anderes gehoben, klopfte ihm auf die freie, und stapfte weiter. Ob es nun die plötzliche Last war, oder die Aussicht noch längere Zeit jedweder Zivilisation entbehren zu müssen, Anzures Ballan hatte das nächste Wassermaß geschwiegen.
Der Verdruss, den seine Entscheidung auch das manche Bequemlichkeit versprechende Valenca zu umgehen bei seinen Leuten ausgelöst hatte, war dem Condottiere freilich nicht entgangen, und so kam es zu seinem Versprechen, sie alle in Dienst zu nehmen, wenn diese Sache nur einmal überstanden sei. Auch hatte er es sich zur Angewohnheit gemacht, jede Nacht einem der Wachenden Gesellschaft zu leisten, hatte sich ihre Geschichten angehört und über ihre derben Scherze gelacht. Nun, zumindest leise, denn auch wenn sie fernab von Weg und Steg im Unterholz ihr Lager aufgeschlagen hatten, wagte niemand allzu laute Geräusche zu machen.
Meistens hatte er die Unterhaltung damit begonnen, die überlebenden Mercenarios zu fragen, wo und unter wem sie bereits gekämpft hatten. „Unter Dom Vigo hauptsächlich“, hatte beispielsweise Ferio, der Älteste geantwortet. „Dann sollt‘ ich abmustern; auf‘n Feldern arbeiten, bis wir wieder zu Fahne und Trommel gerufen wer‘n. Is‘ sicher kein schlechtes Arrangement, so bleibt man wenigstens in Lohn und Brot. Aber diese Hände…“, hatte er grinsend seine acht Finger hoch gehoben, denn an der rechten Hand fehlte die beiden äußeren, „…wurden gemacht um Hälse durchzuschneiden und Bäuche aufzuschlitzen, und nich‘ für die Arbeit auf dem Felde. Also hab‘ ich mich halt so durchgeschlagen, mehr schlecht als recht.“
„Wo?“, war die knappe Frage des Condottiere gewesen, derweil auch er die freilich noch vollständige Rechte hob, und die Finger bewegte.
„Silkwiesen, wenn’s beliebt. So’n verdammter Schwarzpelz wollt‘ mir mit seiner hässlichen Klinge den Schädel spalten. Hab‘ gerade noch den Pikenschaft hochbekommen, aber hat die Hand erwischt. Is‘ ihm aber nich‘ gut bekommen“, hatte der Vereran zur Antwort gegrinst, woraufhin sein neuer Dienstherr lediglich mit „Mala suerte“ geantwortet hatte.
„Mala suerte“, wiederholte auch Ferio ohne großes Bedauern, um dann das wettergegerbte Gesicht zu einem schiefen Grinsen zu verziehen: „Immerhin zwei Fingernägel weniger, die man schneiden muss.“ Beide hatten gelacht, und sich bei alten Geschichten über Dom Vigo, unter welchem auch Hernán von Aranjuez vor Gareth gefochten hatte, einen Schlauch mit saurem Wein versetztes Wasser geteilt.
So hatte es der Moral auch keinen Abbruch getan, als der Condottiere schließlich verkündet hatte, dass er nicht gedachte, das Kind noch irgendwo auf dem Rest des Weges unterzubringen. Stattdessen würde sie erst einmal auf dem Junkergut bleiben, welches zu diesem Zeitpunkt nicht mehr allzu fern war. Und so hatten sie sich dann am frühen Abend der Straße von Valenca gen Wilsemund von Süden her genähert, denn diese bildete die Basis des in etwa einem Dreieck gleichenden Junkergutes im Nordosten der Mark Ragathsquell.
„Vor beinahe fünf Götterläufen, im Efferd des Jahrens 1028 nach Bosparans Fall, als uns die Kunde erreichte, Answin von Rabenmund sei zurück gekehrt. Der Capitán hat keinen Augenblick gezögert, und also machten wir uns mit Schwert und Schild und zwei Packpferden voller Proviant auf den Weg. Nicht nach Punin und Omlad, wie er verbreiten ließ, sondern wir bogen bei Wilsemund gen Norden ab. Nun, der Rest ist bekannt…“, zuckte Anzures Ballan mit den Schultern. „Das Jahr des Feuers, Answins Untergang und so weiter. Hernach wagten wir uns freilich nicht mehr hierher zurück, auch wenn man soweit ich weiß nie offiziell Anklage erhoben hat. Stattdessen gingen wir in den Yaquirbruch, wo ein Mann im anbrechenden Krieg der Drachen sein Glück machen konnte, wenn er nur tüchtig mit seinem Schwert drein zu schlagen verstand. Und nun sind wir seit Beginn des Jahres wieder hier, wobei uns unser Weg direkt zur Landständeversammlung führte, und den Rest kennt ihr ja.“
'Mehr als vier Jahre. Nein, beinahe fünf', korrigierte sich Hernán von Aranjuez in Gedanken, während seine bloßen Hände in die Erde griffen. Eine Handvoll Dreck und Staub, und doch. Heimat. Bedächtig zerrieb er die Erde zwischen den Handflächen, hielt sie sich vors Gesicht und atmete tief den Geruch ein. Der Geruch unterschied sich nicht wesentlich von dem, den eine Handvoll Dreck und Staub aus Garetien oder dem Regengebirge gehabt hätte, aus dem Balash oder aus Unter-Yaquirien, aus Süd-Almada, dem Darpatischen oder Greifenfurtschen, aus dem Yaquirbruch oder wo auch immer sonst ihn das Kriegshandwerk hingeführt hatte. Und doch. Heimat.
Mühsam erhob er sich der Aranjuezer, und auf einmal spürte er die Strapazen der vergangenen Tage mehr denn je. Knochen, Muskeln und Sehnen schmerzten nicht erst seit eben, doch nun ergriff eine bleierne Müdigkeit Besitz von Körper und Geist. Für einen Augenblick schloss er die Augen, und stellte sich vor, wie es sein würde, nach Hause zu kommen. Die Abzweigung von der Straße, an welcher er jetzt stand, die letzten Meilen flankiert von hohen Zypressen, und am Ende des schnurgeraden Weges in einer Insel von Grün inmitten der nur gelegentlich von Obsthainen und Baumgruppen durchbrochenen Felder, das Junkergut Aranjuez. Vielmehr das Herz desselben, ein uralter tulamidischer Bau, den schon das Rittergeschlecht Colonna sein Eigen genannt hatte, ehe die frischgebackenen Junker jenes Gebäude um einen größeren, im eslamidischen Stil gehaltenen Trakt erweiterten, und überhaupt ständig irgendwo angebaut worden war, mal im gerade vorherrschenden Stil, mal je nach Geschmack und Präferenz der Bauherren, sodass der Gutshof, teilweise gar auf verschieden Höhenstufen gelegen, jedoch von außen ob der Gärten und Haine kaum zu überblicken, sich einem Fremden wie ein verwirrendes Labyrinth aus unterschiedlichen Epochen präsentierte. Sachte breitete sich ein Lächeln auf seinen stoppelig-schmutzigen Wangen aus.
„…gedenke solange zu baden, bis mir Schwimmhäute zwischen den Fingern wachsen“, verkündete soeben lautstark Anzures hinter ihm, „So viel Wein zu trinken, bis man mich nicht mehr von einem Fass unterscheiden kann, und mindestens einen Ochsen zu verschlingen. Am besten gestohlen von Weiden unserer lieben Freundin Domna Radia, oder noch besser von denen Domna Praiosmins…“
"Nein", verschwand das Lächeln plötzlich vom Antlitz des Aranjuezers. „Domna Praiosmin von Elenta würde sich glücklich schätzen, wenn sie nur eines Rindvieches verlustig ginge, das schwöre ich bei dieser heiligen Erde.“ Er griff nach seinen Handschuhen, erhob sich, und ging ohne ein weiteres Wort los, und so bogen sie kein Wassermaß später auf jenes letzte Wegstück ein.
Mark Ragathsquell, 24. Praios 1033 BFBearbeiten
Auf dem Junkergut Aranjuez (nach Mittnacht)Bearbeiten
„Wacht auf, Effendi!“
Es hätte der nur vom Kerzenständer in der Hand des greisen Verwalters Mahmud erhellten Dunkelheit im Zimmer nicht bedurft, um Rafik von Aranjuez zu verdeutlichen, dass er keineswegs verschlafen hatte. Sein Schädel brummte, wie es nur allzu natürlich war, wenn man mitten in einem Traum und weit vor der Zeit geweckt worden war. Und mutmaßlich auch, wenn man einen oder zwei Becher Rebensaft zu viel getrunken hatte.
„Sie sind hier, Effendi, sie sind zurück!“, schüttelte Mahmud den soeben Erwachten am Arm. Dieser rieb sich schlaftrunken die Augen: „Schon gut, alter Freund, ich bin ja wach. Wer ist zurück?“
„Der Herr! Dom Hernán! Und Anzures ebenso, sie sind soeben eingetroffen“, nickte der Verwalter aufgeregt.
„Hier?“, blinzelte der Advocatus, bis sich seine Augen an das schwache Licht gewöhnt hatten. „Auf Aranjuez?“ Abermals nickte der alte Mann eifrig: „Sie haben sich ins Bad begeben, und harren dort Eurer, Effendi. Wartet, ich helfe Euch.“
Rafik von Aranjuez winkte nur ab. „Schon gut, Mahmud, ich glaube, ich kann auf allzu formelle Tracht verzichten. Bring mir nur einen Morgenmantel.“ Und so blieben die sorgfältig über einem nahen Stuhl gefalteten edlen Kleider unberührt, ebenso wie die güldene Amtskette des centimare aurum der Stadt Unterfels. Während der Verwalter den Morgenmantel holte, massierte sein Herr sein linkes Bein, denn wie stets, wenn er länger ruhte, war das Knie steif und unbeweglich. Steifer und unbeweglicher als sonst. Als Mahmud zurück kehrte, erhob sich der Vetter des Hausherrn entsprechend mühsam, griff nach seinem Stock, und ließ sich in den Morgenmantel helfen.
Einen Augenblick musste er inne halten, als sie den Bädertrakt betraten. Luftfeuchtigkeit und Hitze ließen ihn beinahe wie gegen eine Wand laufen, und kurz verschlug es ihm beinahe den Atem. Noch ehe er weitergehen konnte, traten bereits die ersten Schweißperlen auf seine Stirn. Dann ging er weiter, derweil der Stock, auf welchen er sich stützte, jeden seiner Schritte mit einem leisen Tock…Tock…Tock begleitete. Der älteste Teil des Gutshofes war vor vielen Jahrhunderten auf immer-heißen Quellen errichtet worden, was die Familie getreu ihrer tulamidischen Wurzeln dazu nutzte, einen feudalen Bädertrakt zu unterhalten, sodass es Dom Rafik nicht verwunderte, dass seines Vetters Weg ihn zuerst hierher geführt hatte.
„Euer Stock verrät Euch, Vetter“, rief Hernán von Aranjuez mit dem Rücken zum Eintretenden. Anzures und er saßen im Becken, jedoch dort am Rand, wo eine Schwelle es den Badenden erlaubte, im ansonsten brusttiefen Wasser zu sitzen. Sie lehnten am Rand, und hatten die Ellenbogen nach hinten aufgestützt, derweil das bewegte Wasser ihnen bis knapp über den Bauchnabel ging. Hinter ihnen standen eine Karaffe, Becher und einige Platten mit Obst, kaltem Fleisch, Brot, und was die Küche sonst noch zu so später Stunde rasch hergegeben hatte.
„Die Farbe des Wasser verrät Euch, Vetter“, gab Rafik nicht unfreundlich zurück.
„Tatsächlich?“, grinste Hernán nun über die Schulter. „Du hättest es sehen sollen, als wir hinein gestiegen sind. Als hätte man einen großen Stein in den Schlick eines flachen Wassers geworfen.“
„Zwei große Steine“, lachte Anzures leise, und nahm einen Schluck. Es tat gut, nach so vielen entbehrungsreichen Tagen wieder die Annehmlichkeiten der Zivilisation zu kosten. Gewiss betraf das auch die mitgebrachten Söldner, die freilich mit dem Gesindehaus vorlieb nehmen mussten, und gerade wohl ihrerseits dort in Badezubern saßen, und gleichfalls das einfache Mahl genossen. Im Vergleich zum Speiseplan der letzten Tage, empfanden dies freilich alle als Festschmaus, hier wie dort.
„Ich gratuliere zu deiner Erhebung, Vetter. Oder sollte ich sagen: Euer Hochgeboren?“ Tatsächlich hatten sie sich seit vielen Wochen nicht gesehen. Hernán von Aranjuez hatte einen Teil seiner Mercenarios auf einem Feldzug Josmina von Bregelsaums geführt, an dessen Ende die Rückeroberung der Feste Cusimora und damit Oberfelses stand, wofür er dann zu Beginn des Jahres zum Baron von Dubios erhoben worden war. Eine längst überfällige Ehre, wie zweifellos jeder der Anwesenden bestätigen würde, immerhin hielt das Haus Aranjuez schon seit Generationen jenen Anspruch. Rafik indes hatte sich in Unterfels um die Belange der Familie gekümmert, hatte seinen Vetter in der signoria vertreten, und die Säckel von Unterfels mit den Steuern von Tikalen und aus dem Yaquirbruch gefüllt. Und wie nicht nur böse Zunge behaupteten, auch sein eigenes. Lediglich für die Hochzeit des Kaisers war er nach Punin gereist, und hatte natürlich auch dem Familiengut einen Besuch abgestattet. „Es hat mich überrascht zu hören…“, fuhr er fort, „…dass du noch nicht einmal in Heldor warst, sondern dich gleich wieder in irgendeine Narretei gestürzt hast. Ich muss dich wohl kaum daran erinnern, dass man uns… nun ja, vor allem Tego und dich… nicht gerade liebt in Heldor. Statt Landsknechte zu werben um Ferkinas zu jagen, hättest du sie nach Dubios führen sollen, um dort den Baronsstuhl zu sichern. Wer weiß, welche Ränke diese Pfeffersäcke derweil geschmiedet haben?“
„Wie steht es eigentlich um meinen Bruder?“, ging Hernán kaum auf die Vorhaltungen seines Vetters ein. Sein Bruder, genauer gesagt sein Halbbruder, noch dazu von unehelicher Geburt, lag schwertwund in Punin, nachdem er dort in einen Umsturzversuch verwickelt gewesen war.
Der Advocatus zuckte nur mit den Schultern, und ließ sich vorsichtig auf einer marmornen Bank am Beckenrand nieder. „Keine Neuigkeiten. Weder hat er bislang das Bewusstsein erlangt, noch wissen sie, wer er eigentlich ist. Freilich ist es offenkundig, dass er einer der Drahtzieher gewesen sein muss, und gewisslich würde man sich gerne mit ihm unterhalten. Ich muss wohl kaum betonen, dass es uns nicht zum Vorteile gereichen würde, wenn seine Identität ans Licht käme.“
„Aber wir wissen doch, dass es Vesijo de...“, wandte Anures ein, wurde jedoch gleich von seinem Herrn unterbrochen. „Das ist einerlei. Ein gemeiner Mietling als Zeuge gibt nicht viel her, zumal er dennoch darin verwickelt bleibt“, grübelte Hernán von Aranjuez. „Es wäre in der Tat nicht gut, wenn sein Name, wenn unser Name im Zusammenhang mit dieser Sache fiele. Ich habe mir auch schon überlegt, was wir dahingehend unternehmen werden, doch einstweilen muss das hintan stehen. Wie viele unserer Leute hast du mit nach Punin gebracht, Vetter?“
„Keine zwanzig, warum? Du hast doch nicht etwa vor Tego…?“, runzelte Rafik die Stirn. Der Advocatus bevorzugte nicht erst seit seiner schweren Verwundung während Answins Usurpation juristische Winkelzüge und Intrigen gegenüber dem blanken Schwert.
„Nein“, winke Hernán ab. „Wie gesagt, diese Sache muss erst einmal warten. Stattdessen…“ Und so berichtete er seinem Vetter Rafik von den Geschehnissen seit der Landständeversammlung. Von den Ferkinaüberfällen, dem Zug nach Kornhammer und der Suche nach dem kleinen Praiodor und Domna Romina. Von den Ränken Praiosmin von Elentas und ihres Handlangers Ordonyo di Alina und wie sie sich hierher durchschlagen mussten.
Rafik von Aranjuez verdrehte die Augen. „Eine Narretei reiht sich an die nächste. Die Suche nach Domna Romina vermag ich ja einzusehen. Es ist gewisslich kein Fehler, sich mit dem Grafen gut zu stellen, denn dank dir dürfte er wohl kaum erfreut sein, dass der Kaiser unsere Ansprüche auf Dubios bestätigt hat. Aber Praiodor von Culming-Alcorta? Was bedeutet uns schon das halbwüchsige Knäblein? Seine Mutter hat den Verstand verloren, und sein Anspruch auf Schelak ist auf absehbare Zeit gelinde gesagt kaum durchzusetzen“, zählte der in derlei Angelegenheiten bewanderte Advocatus auf. „Einmal davon abgesehen, dass er von kränklicher Natur ist, und wohl ohnehin nicht das Mannesalter erreichen wird. Wem also soll das nützen?“
„Vergiss die Culminger nicht. Der Knabe ist ebenso ein Culming wie ein Alcorta, und Dom Stordan ist nah an des Kaisers Ohr“, erinnerte ihn der Vetter. „Außerdem gebot es die Ehre. Sein Vater war uns stets ein treuer Verbündeter.“
„Die Ehre…“, brummte Rafik von Aranjuez lediglich als Antwort. Die Ehre hatte sie einstmals auf verschiedenen Seiten in den Krieg geführt, und gebracht hatte es nicht mehr als Verbannung für den einen und ein steifes Bein für den anderen. Dennoch ließ er es damit auf sich beruhen. „Meinethalben. Wozu also brauchst du die zwan…knapp zwanzig Leute?“
Ein Räuspern erklang im Hintergrund. Drei Köpfe wendeten sich dem Verwalter Mahmud zu, der beinahe lautlos eingetreten war, und dessen faltiges Antlitz ein leichtes Lächeln zeigte. „Verzeiht, Effendi“, neigte er das von einem Turban gekrönte Haupt. „Ein weiterer… Gast ist eingetroffen…“
„Ein weiterer Gast?“, furchte Hernán von Aranjuez die Stirn. Es war mitten in der Nacht, und gemeinhin verirrte sich niemand auf das Gut, der nicht auch dorthin wollte. Wer also sollte das sein?
„Gualterio?“, fragte Anzures halb an den Alten, halb an Dom Rafik gewandt. Letzterer zuckte zweifelnd mit den Schultern: „Wohl kaum, der beglückt wohl gerade eher die Puniner Freudenhäuser.“
Und so wandten sich schließlich alle Blicke fragend zum wissend schmunzelnden Mahmud. Dieser jedoch verneigte sich nur knapp, und verließ schmunzelnd den Raum, gefolgt von dreistimmigen almadanischen Flüchen und dem Bogenflug eines angebissenen Hähnchenbeines.
„Es muss Gualterio sein! Wen sonst würde er einfach so in den Bädertrakt führen?“, warf wiederum Anzures ein, doch schien sein Herr nicht überzeugt zu sein: „Um ihn würde er aber wohl kaum ein solches Geheimnis machen. Einerlei, besprechen wir rasch das Nötigste, ehe unser Besucher eintritt. Wir brechen also im Morgengrauen auf; Du, Rafik begibst dich nach Punin, derweil Anzures und ich nach Ragath gehen. Schick Gualterio mit derjenigen Hälfte unserer Leute her, die wissen wo bei einem Ross vorne und hinten ist. Außerdem nimmst du die Korrespondenz unserer geschätzten bosquirischen Jungfer mit. Geh damit nicht sogleich zu deinem Namensvetter, sondern warte den rechten Moment ab. Früher oder später wird die Nachricht Punin erreichen, dass es Kämpfe auf dem Kaiserlichen Eigengut gegeben hat, und ich gedenke nicht zu enden wie diese Leute von 1020. Wir derweil werden beim Herrn Grafen vorstellig und werben weitere Söldner an.“
Anzures, der zweifellos gehofft hatte, nach all den Strapazen erst einmal die Füße hochlegen zu können und nun ein entsprechendes Gesicht machte, wandte freilich ein: „Ragath ist so gut wie leer gefegt. Der Aracener hatte praktisch alle Landsknechte mitgenommen, und ich glaube kaum, dass ich aus den übrig gebliebenen Säufern, Krüppeln, Halsabschneidern und Schlagetots noch sonderlich viele paar brauchbare Halunken rekrutieren kann. Nicht noch einmal.“
„Mhm…“, brummte der Condottiere nachdenklich. In Punin war es zweifellos möglich weitere Mietlinge anzuwerben, doch würde das weitere Verzögerungen bedeuten. Verzögerungen die sich nur schlecht mit den Plänen des Barons und Junkers vertrugen.
„Dom Vigo“, stellte schließlich Rafik fest. „Du musst dich an Dom Vigo wenden. Je mehr ich darüber nachdenke, desto sinnvoller scheint es mir. Gewiss, er wird dich bluten lassen, und dir die Dukaten aus der Tasche ziehen, dass es Meister Phex eine wahre Freude sein wird, doch hast du kaum eine andere Wahl. Seine Hakenspieße sind die einzig nennenswerte Söldnertruppe in weitem Umkreis, und es hat auch seine Vorzüge: ich brauche dir ja nicht auseinander zu setzen, dass er ein Rivale Domna Radias ist, und in gewisser Weise auch Dom Brandils. Und dann wären da ja noch die Heldorer Pfeffersäcke. Zweifellos sähe man es in Ragath gerne, wenn deren Ambitionen ein wenig zurecht gestutzt würden. Ein paar Geschäfte mit Dom Vigo könnten sich also in mehrfacher Hinsicht als nützlich erweisen. Und es ist nun einmal die einzige Möglichkeit, in der Gegend kurzfristig noch ein paar Söldner aufzutreiben.“
„Mhm…“, brummte der Condottiere abermals. Offensichtlich widerstrebte es ihm, sich in das Ringen um die Herrschaft über Ragath hinein ziehen zu lassen – zumindest schon so kurz nach seiner Rückkehr – wiewohl er für seinen Grafen nur wenig und für seine ehemalige Lehnsherrin überhaupt keine Sympathie empfand. „Ich werde darüber schlafen. Du jedenfalls musst morgen Abend in Punin sein. Es ist mir gleich, wie viele Rösser du dafür zu Schande reiten musst, und wie viele Freudenhäuser und Würfelstuben du auf der Suche nach Gualterio abklappern musst, ich will, dass er am Mittag des 25. marschiert, und wir uns am Abend des 26. vor Schrotenstein vereinigen. Und er soll den Doms Rolban und Lucrann gefälligst einen Reiter schicken, auf dass sie sich in ihrem Einsiedlerdasein nicht erschrecken mögen, wenn plötzlich Bewaffnete durch ihr Land ziehen.“
Verstehend nickte der Advocatus, derweil sich Anzures, ohnehin eher der Mann fürs Grobe, und stets nur mäßig an den Feinheiten irgendwelcher Planungen interessiert, an den kalten Speisen gütlich tat. „Und was ist, wenn du in Selaque auf Domna Praismin oder Dom Ordonyo triffst?“
„Dann…“, lächelte der Baron und Junker dünn „…würden wir sehr viel Zeit sparen. Ah, ich höre Schritte.“
Hinter Mahmud trat ein Mann in den frühen Dreißigern ein, der auch ohne allzu intime Kenntnisse des Codex Albyricus als Magier zu erkennen war.
„Rondago?“, blinzelte der Hausherr überrascht durch den Dunst. Er hatte wohl mit vielem anderen gerechnet, aber nicht dem Weißmagier aus entfernter Verwandtschaft. Tatsächlich war es über drei Götterläufe her, dass sich beide eher zufällig in Gareth getroffen hatten, als Hernán von Aranjuez im Gefolge des zurückgekehrten Rabenmunds in die Kaiserstadt kam, und der Magister sich nicht etwa, wie es zuletzt geheißen hatte, irgendwo im Osten aufhielt, sondern vielmehr mittlerweile an seine Heimatakademie zurück gekehrt war. Die beiden übrigen Badegäste hingegen kannten den Magus lediglich als halbwüchsigen Knaben.
„Was hat dich denn hierher verschlagen, Vetter?“, schob sich Hernán von Aranjuez durch das brusttiefe Wasser in Richtung der Treppenstufen am gegenüberliegenden Rand. „Und bei den Göttern, hier drinnen gilt keinerlei Codex, also leg die Kleider ab. In der Robe wird ja jedes sudatorum[1] überflüssig!“
In der Tat hatte Rondago nichts gegen ein spätabendliches Bad einzuwenden. Zu lange schon war er nicht mehr in seiner Heimat gewesen, und die Erinnerung hatte ihn wohl hinsichtlich der Wegstrecken etwas getrügt. Mit leicht brummend gemurmelter Selbstkritik hatte er sich allerdings auch eingestehen müssen, dass die späte Ankunft nicht zuletzt auch durch eine vielleicht etwas großzügig bemessene Mittagsrast verursacht worden war. Zwar hatte noch immer die flackernde Flamme am Ende des Stabes das Dunkel der Nacht erhellt, doch hatte die phexgefällige Dunkelheit das Reisetempo weiter gedrosselt.
Aufmunternd und lobend hatte er der braunen Stute auf den Hals geklopft, die ihn die letzten Tage so willig getragen, und auch den heutigen langen Ritt ohne Murren bewältigt hatte. „Wir sind da, Rohaja...“, hatte er mit leiser Stimme gesprochen, während er sich vom Sattel herab geschwungen hatte. „Die letzten Schritte gehen wir beide... hm?“ Erneut hatte er dem Tier auf den Hals geklopft, und hatte abschließend dem Tier mit der Linken über die Stirn gestrichen, derweil er sich mit leicht versonnenen Blick umgesehen hatte. Sein Blick war über die sich im Dunkel kaum unterscheidenden Felder geglitten, über die Schemen der Haine, und schließlich über das friedlich da liegende Anwesen. Dann hatte er das Tier am Zügel gefasst, und gemeinsam bewältigten Ross und Reiter nebeneinander her schreitend die letzten Schritte.
Im Inneren – falls man bei einem solch offen gehaltenen Anwesen überhaupt davon sprechen konnte – hatte er stirnrunzelnd die größere Anzahl Pferde gemustert, die dort beim Stall, im Stall und auf der nahen Koppel zu sehen waren, ebenso wie die zu solcher Stunde allzu zahlreich erleuchteten Räume seiner Aufmerksamkeit nicht entgangen waren. „Gäste?“, hatte er in Richtung des Tieres gefragt, obgleich er sich recht sicher war, dass dieses ihm wohl kaum antworten würde. So hatte er er seine Schritte weiter in Richtung des Haupthauses gelenkt, als dorten auch schon die Türe aufgeschwungen war und ein geschäftig wirkender – und vor allem alt gewordener – Mahmud heraustrat. Nach kurzem Wortwechsel hatte er von diesem erfahren, dass nicht nur sein Verwandter Hernán samt waffenstarrender Begleitung am Nachmittag eingetroffen war, sondern dass auch Dom Rafik derzeit anwesend sei. Und so stand er nun bei eben jenen – und Anzures – im Bade, derweil ihm die feucht-heiße Luft den Schweiß aus den Poren trieb.
Rondago Farugor von Aranjuez grinste breit ob der Begrüßung durch Dom Hernán und erwiderte den Gruß. „Die Götter zum Abendgruße. Aber was die Gültigkeit des Codex an diesem Ort angeht... darüber könnten einige Erbsenzähler in Gareth sicher lange disputieren.“ Er schmunzelt breit. „Aber ich nicht...“ Kurz blickte er sich zur Orientierung um, fand was er suchte und begann seine Gewandung abzulegen. „Aber was deine Frage angeht, Hernán...“, fuhr er dabei fort und seine Miene wurde ernster. „Die Nachrichten aus der Heimat waren der Grund dass ich Gareth verliess. Und zugebenermaßen stand mir der Sinn nach etwas Abstand zur Stadt Rohajas.“ Inzwischen hatte er auch die letzten Kleidungsstücke abgelegt und liess sich langsam in das warme Wasser gleiten.
„Ein schlechter Aranjuez wärest du, wenn es dir anders ginge“, grinste der zweifache Answinist, und begrüßte den Magier mit einem von diesem erwiderten Griff an den rechten Unterarm. „Mahmud!“, rief er über die Schulter des Neuankämmlings hinweg: „Ein weiteren Kelch, der Magister ist gewiss durstig.“ Die Höflichkeit gebot es, zunächst Rafik vorzustellen, der, obgleich nur wenige Götterläufe älter, noch zu der vorherigen Generation Aranjuezer gehörte, und somit sogar noch ein kleines Stückchen mehr mit dem Magier verwandt war, der streng genommen kein wirklicher Vetter war, sondern dessen Urgroßvater der Bruder des Urgroßvaters Dom Hernáns – und somit des Großvaters Dom Rafiks – gewesen war. „Vielleicht erinnerst du dich noch an Rafik. Ihr teilt dieselbe Leidenschaft für Bücher.“
„Erst seit mir ein paar verdammte Answinisten das Bein verkrüppelt haben. Zuvor war ich nahe dran, in die Fußstapfen des Schwertkönigs zu treten. Sei willkommen, Vetter“, scherzte der Advocatus und begrüßte den Verwandten gleichfalls mit dem Unterarmschlag. Wenn sich Rondago womöglich auch nicht mehr an den schon damals, als die Familie noch viele Köpfe zählte, eher ruhigen Aranjuez erinnerte, so doch gewiss an Anzures, der schon damals ein rechter Raufbold gewesen war. Stets hatte ihn die Freundschaft zum Mundillo vor allzu schlimmen Strafen bewahrt, wenn er mal wieder ungebührlich mit den ungleich höher geborenen Kindern umgesprungen war. „Magister“, begrüßte er ihn somit womöglich ungewöhnlich höflich, ehe er sich wieder zurück auf die tiefliegende Bank sinken ließ.
„Interessante Zeiten hast du dir für deine Rückkehr ausgesucht. Wie viel weißt du über die letzten Geschehnisse hierzulande?“, war es der Baron und Junker, der auf jene Schwelle unterhalb des Wasserspiegels wies, wo am Beckenrand einige Platten mit Obst, kalten Köstlichkeiten und natürlich Getränken aufgebaut waren.
Mit ehrlicher Herzlichkeit erwiderte Rondago die Begrüßung von Hernán und Rafik, so wie er auch höflich den Gruß von Anzures entgegnete. Er musste kurz in seinen Erinnerungen kramen um Anzures einzuordnen, aber die Geschichten über den streitlustigen Raufbold hatte er nicht vergessen. Jedenfalls nicht alle... kurz wanderten seine Gedanken, während er sich auf den Weg durch das wunderbar heiße Wasser zu den Getränken am Beckenrande bahnte, ab zu der Frage, ob man sich wohl daran erinnern können würde, wenn man eine Erinnerung vergessen hätte. Mit einem Kopfschütteln vertrieb er den Gedankengang und goss sich erstmal einen Becher mit kühlem Wasser ein, bevor er sich wieder zu den drei anderen umwand. Er gönnte sich einen Schluck des erfrischenden Getränks um dann sich anzuschicken Hernans Frage zu beantworten.
„Hmm...“ mit diesem für ihn so typischem Laut begann er zu sprechen. „Nun, die Nachrichten die nach Gareth drangen, waren eher spärlich. Allerdings waren sie allesamt dazu angetan, ein wenig die Sorge über die almadanische Heimat zu nähren. In der Luft hängt die Drohung Rohajas, des Horasiats und natürlich von Haffax. Gleichwohl gärt der Streit im Reich, weil Bruder und Schwester um den Thron ringen.“ Einen Augenblick hielt er inne, eigentlich wollte er hier noch etwas über Hal II. anfügen, aber das wäre recht wenig schmeichelhaft gewesen. In Anbetracht dessen, dass er nicht recht einzuschätzen vermochte, auf welcher Seite die drei standen, verzichtete er dann aber darauf. Aber sein Bauchgefühl deutete ihm an, dass diese wohl eher Opponenten Rohajas wären und somit wohl eher zu den Gefolgsleuten Selindians zählten. „Tja... und aus der Heimat selbst hörte ich von Reisenden, dass sich einiges geändert haben solle. Und ich hörte auch davon, dass die Ferkinas wieder verstärkt ihr Unwesen treiben würden?“ Sein Blick ruht auf den drei Männern und mit leicht fragenden Tonfall schloss er seine Worte an Hernán ab: „Und was könnt ihr Vettern Neues berichten? Was führte euch hierher zusammen?“
„Ah ja, Haffax“, grübelte Hernán von Aranjuez. „Vielleicht magst du später davon berichten, haben wir doch von diesem… Zwischenfall… nicht allzu viel mitbekommen. Wie du ja womöglich weißt, hatten wir unser Lager ja zuletzt in Unterfels aufgeschlagen.“
„Hernán will damit sagen, dass er jetzt der Baron von Dubios ist“, schmunzelte Rafik, ehe er sich abwenden musste, um den Schwall warmen Wassers, den jener in seine Richtung spritzte, zu entgehen. „Ah, nun ist der Wein ruiniert…“, beklagte er sich nach einem prüfenden Nippen an seinem Kelch mit vorwurfsvollem Unterton, derweil er die nassen Strähnen seines Haares mit der anderen Hand ordnete.
Ein wenig überrascht, doch mit einem Schmunzeln deutete Rondago nach dem wasserspritzigen Intermezzo eine Verbeugung an: „Gratulation, Euer Hochgeboren.“
„In der Tat war Seine Kaiserliche Majestät ebenso großmütig wie weise, die berechtigten Ansprüche unserer Familia zu berücksichtigen“, nickte Hernán knapp. „Einerlei, dies und die Dubianer Pfeffersäcke müssen warten. Wir kommen gerade aus dem Osten der Grafschaft, dort brennt es lichterloh. Und nicht nur die Ferkinas treiben dort ihr Unwesen, sondern wie es scheint, sind wir auch in eine Fehde zwischen der Bosquirischen Jungfer und den da Vanyas geraten. Es hat uns einige Mühe gekostet, uns hierher durchzuschlagen, und morgen geht es schon wieder weiter gen Ragath. Ich muss Mercenarios werben, und außerdem Dom Brandil Bericht erstatten. Ursprünglich befanden wir uns nämlich auf der Suche nach…“
So erzählte er in nüchternen Worten, was sie von Kornhammer in die Wildnis Bosquiriens geführt hatte, und was dort alles geschehen war, bis hin zu dem Angriff im Castillo da Vanya. Rondago lauschte schweigend, nippte hier und da am schweren Roten, der im Gegensatz zu Dom Rafiks von der Verwässerung verschont geblieben war, und nur bei jener Episode, als sich das alte Kräuterweib buchstäblich in Luft aufgelöst hatte, hob der Magier einmal kurz die Augenbrauen. „Nun, wie gesagt, werden Anzures und ich zunächst nach Ragath gehen, ehe wir nach Selaque zurückkehren“, schloss der Condottiere. „Rafik hingegen wird nach Punin reisen, falls du zunächst der Capitale einen Besuch abstatten willst. Ansonsten steht es dir natürlich frei, dich solange hier auf Aranjuez aufzuhalten, wie es dir beliebt.“
„Nun... eigentlich hatte ich mich auf ein paar ruhige Tage hier in Aranjuez eingestellt. Allerdings... dein Bericht, Vetter aber, hmmm...“ Er drehte den Kelch in seiner Hand, während er einen Augenblick nachdenklich Hernán betrachtete. „Was hälst du davon, Vetter, wenn ich mich dir anschließe?“ Grinsend fügte er hinzu. „Nicht, dass die berechtigten Ansprüche unseres Hauses gleich wieder zur Disposition stehen, weil der Soberan sich in Scharmützeln mit den Blutsäufern beweisen musste.“
„Nur allzu gerne, doch bedenke…“, hob der Condottiere mahnend den Zeigefinger aus dem Wasser, „…dass dies eine gleichermaßen gefährliche wie anstrengende Unternehmung ist. Ich weiß, du dientest im Osten, wo man sein Tagwerk nicht mit Herumsitzen in der Studierstube verbringt, doch solltest du schon wissen, worauf du dich einlässt: viele Tage auf dem Pferderücken, wenig Schlaf, noch dazu unter freiem Himmel. In Bosquirien heißt das Regen, Kälte, dazu lausiges Essen. Womöglich müssen wir auch in die Berge hinauf, dann heißt’s womöglich Klettern, und die Packferde hören auf die Namen Anzures, Rondago und Hernán. Für Trödeleien ist da kein Platz, und mit Nachzüglern können wir uns nicht aufhalten. Davon ab jedoch würde ich deine Teilnahme begrüßen, hört man doch immer wieder schaurige Geschichten von irgendwelchen Ferkinaschamanen. Wenn nur die Hälfte dessen wahr ist, so ist mir wesentlich wohler, wenn wir unsererseits auf arkanem Gebiete nicht gänzlich wehrlos sind.“
„Mhm…“, grübelte Rafik von Aranjuez, dessen Name, wie Rondago aufmerksam festgestellt hatte, nicht gefallen war, als es um die Packpferde ging. „Ihr kommt doch ohnehin auf dem Rückweg von Ragath wieder hier vorbei. Rondago könnte sich also eine kleine Pause gönnen, ehe er sich auf dem Rückmarsch übermorgen Nachmittag anschließt…“
Rondago nickte bedächtig und zustimmend erst zu den Worten von Hernán und dann auch als Rafik gesprochen hatte. „Nun, Hernán. Das klingt alles wenig einladend, aber fällt wohl die Kategorie: Dienst am Reich, Almada und natürlich nicht zuletzt der Heimat der Familia.“
„Alveran steh uns bei, ich glaube mir wird übel!“, grinste Anzures bei so viel Pathos, und leerte seinen Weinkelch in einem Zug.
Der Magister zuckte mit den Schultern und erwiderte das Grinsen breit. „Abgesehen davon klingt es nach Abenteuer, frischer Luft und viel Bewegung. Vor allem Letzteres hat mir in der Studierstube in der Akademie letzthin doch etwas gefehlt.“
Zu Rafik gewandt fuhr er fort: „Deine Propositio klingt sehr verlockend und so denke ich, dass ich diese annehmen sollte.“ Er nippte an seinem Becher Wein bevor er fortfuhr. „Ich werde hier auf dich warten, Hernán. Die Zeit werde ich nutzen um mich etwas von der Reise zu regenerieren, aber auch um mich, so gut es geht, über diese Ferkinas und ihre Schamanen zu belesen. Wie es der Zufall will, besitze ich Lektüre über dergleichen magischen Umtriebe. Allerdings kam ich bisher nur zu einem flüchtigen Blick. Nichts ist gefährlicher als ein unbekannter Feind, sagten wir im Osten immer. Vorbereitung ist alles. Und wie immer ist die Zeit dafür sehr knapp.“ Die Aussicht auf entbehrungsreiche Tage in Kälte, unwegsamen Gelände und in Gefahr durch ruchlose, kampferprobte Wilde schien ihn nicht wirklich aus der Ruhe zu bringen – bisher jedenfalls.
„Bien“, nickte der Hausherr. „Halte dich also für übermorgen Nachmittag reisefertig. Ich schicke dir einen Reiter, wenn wir die Straße nach Valenca herunter ziehen. Doch nun, was gibt es Neues aus dem Norden, was gibt es Neues von Haffax?“
So war es dieses Mal an Rondago von Aranjuez, über die letzten Ereignisse zu berichten…
- ↑ [vulg.-bosp.:] Schwitzbad
- Die Geschichte um Dom Hernán wird hier fortgesetzt: Schauplatz: Ragath, Teil 02.
- Die Geschichte um Dom Rafik wird hier fortgesetzt: Schauplatz: Punin, Teil 01.
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