Chronik.Ereignis1032 Willkommen in Almada 01
Sherbeth, Anfang Ingerimm 1032 BFBearbeiten
In einem Gasthof am San-Valpo-PlatzBearbeiten
Autor: Lindholz
Laut hallten die Hufe der fuchsfarbenen Pferde und das Rattern der mit Eisen beschlagenen hölzernen Räder wider, als die elegante Kutsche durch den Torbogen in den Innenhof am Rande des San-Valpo-Platzes einbog. Der Staub der Straße hatte seine Spuren auf dem glänzenden Lack des Gefährtes hinterlassen und den Insassen war die Erleichterung deutlich anzusehen, das Innere verlassen zu können, nachdem der Kutscher eilends den Tritt herunter geklappt und die Tür geöffnet hatte.
Nicetos von Lindholz nahm sich die Zeit, den schattigen Innenhof genauer in Augenschein zu nehmen, während seine Gemahlin und ihre drei Kinder, der zwanzig Götterläufe zählende Amaros und seine jüngeren Schwestern Alisea und Lianna aus dem beengten Innenraum ins Freie stiegen: Prächtiger Wein rankte an den Wänden der Häuser empor und aus einem Löwenmaul sprudelte in einer Nische munter kristallklares Wasser in ein steinernes Becken. Flammend rote und leuchtend gelbe Blüten schmückten in verzierten Kästen aus gebranntem Ton die Fenster der zweistöckigen Fachwerkgebäude. Ein Teil des Hofes war mit einladend gedeckten Tischen und Bänken bestanden, auf denen zahlreiche Besucher eines Weinlokales Platz genommen hatten. Es waren keine einfachen Leute, sondern Mitglieder des gehobenen Bürgertums und reichere Händler, die hier ihre wohlverdienten Mußestunden verbrachten. Der herbe Duft der Blüten und eine Hauch von der Note süßen Weines wehte mit einer Brise heran.
"Sherbeth, Perle des Yaquirtals, du strahlst wie eh und je. Das vergossene Blut ist an Dir so wenig haften geblieben wie an dem Schatz der Meere, mit dem man Dich vergleicht", dachte Dom Nicetos bei sich, als seine Gemahlin die Hand auf seinen Arm legte und sie gemeinsam in Richtung der dunklen Türöffnung schritten, hinter der sie hofften, auf einen freien Tisch zu stoßen.
Der Ort hatte sich wirklich kaum verändert seit dem letzten Mal, als er hier gewesen war. Damals war er ein Jüngling gewesen und nun trennten ihn nur noch wenige Monde von seinem vierzigsten Lebensjahr. Graue Strähnen hatten sich in sein lockiges Haar gestohlen, das mit seinem hellen Braun so gar nicht zu dem passen wollte, was sich der durchschnittliche Garetier wohl unter einem Almadaner vorstellte.
Die Haare seiner beiden älteren Kinder waren dank ihrer albernischen Mutter sogar von dunklem Blond. Von Farbe und Duft wie Waldhonig, wie es ein poetisch veranlagter Verehrer Aliseas einmal ausgedrückt hatte, kurz bevor er von Dom Nicetos deutlich darauf hingewiesen wurde, womit er zu rechnen hätte, sollte er seiner Tochter weiterhin derartig zuckersüße Worte zukommen lassen.
Nur Lianna schien sich entschlossen zu haben, die elterliche Generation, was dies anging, zu ignorieren. Dunkelbraune Locken lugten unter ihrem mit einer grünen Feder verzierten Hut hervor, der ebenso wie das Kleid im Horasischen als moderner Almadaner Stil gehandelt wurde und tatsächlich inzwischen auch in Almada selbst anzutreffen war.
Die einfache graue Robe seines Sohnes, wirkte neben den aufwendig genähten Kleidern, wie ein Kontrapunkt und doch weckte er, die Haare kurz geschoren, die Rechte fest um den mit Schnitzereien verzierten Stab aus Lindenholz geschlossen, genau so viel Interesse bei den Gästen. War es doch unverkennbar, dass ein wenn auch noch junger Abgänger einer magischen Lehranstalt den Raum betreten hatte.
'Wie fremd sie hier wirken. Man kann es in ihren suchenden Augen sehen', musste sich der almadanische Edelmann eingestehen. Doch war dies ein Wunder? Sie alle hatten das Land seiner Vorväter noch nie betreten. Mehr als zwanzig Jahre war es her, seitdem er das letzte Mal in Almada gewesen war und hätte ihn sein Vater nicht ausdrücklich darum gebeten - ein Triumph, den er sich gestattete aufs Höchste zu genießen – wäre er vielleicht niemals zurückgekehrt.
Der Innenraum des Lokals war in hellem Holz gehalten, welches das Licht, das von Draußen ins Innere drang, auffing und der Wirtschaft eine freundliche Atmosphäre verlieh. Leise Gespräche erfüllten den Raum, in dem zwei Bedienstete Speisen und Getränke servierten. Dom Nicetos erblickte einen freien Tisch und ging darauf zu. Nebenan saßen ein Mann, ungefähr dreißig Götterläufe alt, und eine Frau. Die beiden machten den Eindruck von enger Vertrautheit, womöglich waren sie ein Paar. Der Mann kam ihm vage bekannt vor. Wache Augen musterten ihn und die Seinen aus einem hageren Gesicht. Seine Kleidung war schlicht, in dunklen Tönen gehalten, aber edel. Dom Nicetos durchsuchte vergangene Erinnerungen nach einem passenden Namen, aber es wollte ihm nicht gelingen und so schenkte er dem Paar ein freundliches Lächeln und neigte leicht zum Gruß den Kopf bevor er an Ihnen vorbei schritt und Platz nahm.
Nachdem er einen leichten Rotwein und eine Kleinigkeit zu Essen bestellt hatte, eröffnete seine ältere Tochter das Gespräch. "Welch schöner Ort, Vater. Fast will mir diese Fahrt wie aus einem dieser abenteuerlichen Romane anmuten. Was uns wohl noch erwartet?" Dies war natürlich ihre Art ihm zu sagen, wie wenig sie es schätzte, ohne klare Gründe aus ihrer angestammten Umgebung gerissen zu werden. Immerhin waren sie fast sieben Jahre lang im Lieblichen Feld gewesen. Für sie war das Horasreich mehr Heimat und barg mehr bekannte Gesichter. Auch wenn sich Almada auf ihrer Reise von seiner schönsten Seite zeigte, konnte dies Alisea wohl vorerst nicht mit ihrem Schicksal aussöhnen. Den Kopf auf ihrem schlanken Hals ein Stück erhoben, die Lippen ein wenig zusammengepresst, blickte sie ihn aus meergrauen Augen an.
"Um das zu erfahren muss ich erst mit deinem geliebten Großvater sprechen, mein Augenstern. Er wird sicher seine Gründe haben, uns einzuladen."
Als eine Angestellte des Lokals kurz darauf erschien und mit einem Lächeln auftrug, das ebenso strahlte wie das Weiß ihrer Schürze und das helle Blau des Kleides, das sie trug, setzte er im Geiste hinzu: 'Und falls er es sich anders überlegt haben sollte und uns gleich wieder vor die Tür setzt, haben wir wenigstens schon etwas gegessen.'
"Ich würde gerne Ribera sehen, mein Lieber. Ich hoffe, wir erhalten bald die Gelegenheit dazu", sagte seine Gattin schließlich, der Alisea wie aus dem Gesicht geschnitten war. Ihre Hand streifte flüchtig die seine. Sie war eine Frau von besonderer Ausstrahlung, auch wenn sich bei ihr schon die ersten Zeichen des Alters zeigten. Kleine Fältchen hatten sich um die Augen gelegt und wenn das Licht ungünstig fiel, glänzte das Silber in ihrem Haar. "Was gedenkst Ihr als erstes zu tun, wenn wir dort ankommen?"
"Das, geliebte Gattin, kann ich Euch allerdings ganz genau sagen." Ein grimmiges Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus. "Ich werde die Bücher prüfen und diesem unfähigen Verwalter die Hand abschlagen lassen, wenn sich auch nur der kleinste Beweis dafür finden lassen sollte, dass die beschränkten Einnahmen aus unserem Lehen nicht in seine mangelnden hesindianischen Gaben, sondern in seinen zu ausgeprägten phexischen Gelüsten ihre Ursache haben."
„Verzeiht! Verzeiht!" Der Edelmann in grauem Wams und schwarzer Pluderhose erhob sich lächelnd vom Nachbartisch und machte einen Schritt auf Dom Nicetos zu. „Ich kam nicht umhin – unbeabsichtigt – einige Worte Eures Gesprächs zu verfolgen. So kann ich nicht anders als Euch in der Zwölfe Namen in Eurer Heimat willkommen zu heißen, wohlgeborener Edler zu Ribera, Dom Nicetos von Lindholz. Und natürlich auch Eure liebreizende Gattin nebst Euren Kindern."
Auch wenn der offensichtlich einarmige Edelmann nicht sehr laut sprach, brachten seine Worte doch die Gespräche an fast allen Tischen zum Verstummen. Gespannte Blicke richteten sich auf den Tisch mit der kleinen Familie und den stehenden Edelmann. Dieser schien die eingetretene Stille zu genießen und hob nach einer kurzen Pause mit angenehmer und ruhiger Stimme wieder an zu sprechen: „Hoffentlich hattet Ihr eine gute und angenehme Reise, ohne leidige Zwischenfälle in Yaquirbruch und Südpforte, ohne Nachstellungen und Belästigungen durch unteryaquirische Mercenarios oder gar wirrgläubige Sandschlucker. Aber, verzeiht, weder habe ich meine liebe Begleiterin noch mich Euch vorgestellt: Diese zauberhafte Domnita ist meine Cousine, Caballera Caneya von Gurnabán und meine Wenigkeit ist dieses kleinen bescheidenen Fleckens Castellan."
Der Edle zu Ribera erhob sich nach diesen Worten und seine Familie tat es ihm gleich. In diesem Augenblick herrschte in der Gaststube solch eine Stille, dass selbst das leise Schaben der Stühle auf dem Dielenboden deutlich an die Ohren drang. Sogar die sonst lebhaft umher eilenden Bediensteten standen still und beobachteten die Szenerie wie die übrigen Gäste und schienen mit allem zu rechnen. Auch wenn sein Gegenüber seinen Namen nicht genannt hatte; die Reaktion der Gäste der gehobenen Wirtschaft alleine würde schon ausreichen um ihm zu sagen, dass dieser hohe Herr kein Freund seiner Familie sein konnte und der Name Gurnabán war ihm durchaus vertraut.
In Windeseile ordnete Dom Nicetos seine Gedanken. „Ich danke Euch, Herr Castellan", erwiderte er mit einem warmen Lächeln, die meergrauen Augen auf den einarmigen Junker gerichtet. „Und ich kann Euch beruhigen: Auf unserer Reise ist uns bisher niemand begegnet, der sich auf eine Weise betragen hätte, die den guten Sitten und den Geboten Travias widersprochen hätte oder auf andere Weise unseren Unwillen auf sich gezogen hätte. Eure freundlichen Worte berühren mich und es tut gut zu wissen, dass die Meinen hier willkommen sind. Darf ich Euch meine Familie vorstellen und Euch an meinen Tisch bitten?"
Seine Frau und seine Töchter knicksten anmutig als ihre Namen genannt wurden während sein Sohn würdig das Haupt neigte. Alisea konnte es sich hierbei nicht verkneifen, dem Castellan ein kokettes Lächeln zu schenken und ihm einen kurzen Blick unter den langen Wimpern zu zuwerfen. Innerlich seufzte ihr Vater auf, denn er hatte die unangenehme Vorahnung, dass ihn der Drang seiner Älteren, ihre Wirkung auf Männer zu erproben, noch einmal in ernste Schwierigkeiten bringen konnte.
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