Chronik.Ereignis1032 Die Herren von Pildek 02
Baronie Pildek, Mitte Ingerimm 1032 BFBearbeiten
Auf dem Hof des Stierkönigs von Carhag-LoBearbeiten
Autor: Von Scheffelstein
Der StierkönigBearbeiten
Wie der Kaiser selbst thronte der Trigorner auf der Veranda des Landhauses. Und wahrlich, der alte Freibauer benahm sich gerade so, als sei er nicht nur Herr seines Ackers und seiner Weiden, sondern gleich Herr des ganzen Landes. Scheinbar gelangweilt saß er in seinem Sessel, die Arme lässig über die Lehnen gehängt, seinen Krug zur Seite gestreckt, damit eine der Mägde ihm nachschenken konnte. Sein Hemd stand offen und gab den Blick frei auf eine breite goldene Kette, die zwischen ergrauendem Haar auf seiner Brust ruhte. Ja, wie ein König gab er sich, der reichste Mann der Baronie.
Nado fuhr sich mit der Zunge über die Rückseite der Zähne und musterte den Trigorner. Wie konnte es sein, dass ein Bauer reicher war als die Junker und Edlen der Baronie? Wie, dass ein Mann allein so reich war, obwohl die Bauern hungerten und die Bürger verarmten? Die Bauern beneideten den Trigorner. Und fürchteten ihn, denn es war bekannt, dass er ein harter, ein rücksichtsloser, ja brutaler Mann war. Und sie bewunderten ihn für seine Stärke und suchten in seinen Augen nach Anerkennung, hofften, nur ein wenig, ein winziges Bisschen von seinem Wohlstand abzubekommen, sofern sie seine Gunst erlangten.
Den Stierkönig nannten sie ihn, denn er gab sich schon lange nicht mehr damit zufrieden, Weizen anzubauen und Weinstöcke zu pflegen. Nein, er hatte vor einigen Jahren eine Rinderzucht aufgebaut, die mehr als erfolgreich war. Und seit die Baronin geflohen war, zahlte er keinen müden Heller mehr an irgendwen, und das Geld, das er für seine Tiere bekam, prächtige schwarze Bullen und schwarzbraune Kühe, wurde immer mehr.
Er war selbst wie ein Stier, breitnackig, grobknochig, mit zu großen dunklen Augen in einem kantigen Gesicht. Nur Hörner hatte er nicht, stattdessen trug er einen Caldabreser, mit einer Straußenfeder wie ein Herr. Alles an ihm war Selbstgefälligkeit, eine Selbstgefälligkeit, die Nado herausforderte.
„Niemand kann das schaffen“, stöhnte Talfan, der seit geraumer Zeit versuchte, seinen Schmerz mit Wein zu betäuben, aber das einzige, was allmählich taub wurde, war seine Zunge. Er jammerte noch immer wie ein Bürgersöhnchen und zeigte den anderen die blauroten Flecke, die seit dem Sturz seine Rippen zierten.
Nado riss sich vom Anblick des Großbauern los und folgte dem Blick seiner Freunde zu der kräftigen Bäuerin, die unter dem Johlen der Zuschauer in den Pferch kletterte und ihren Handschuh in das Seil krallte, das man dem Bullen um den Bauch gebunden hatte.
„Zwei haben es schon geschafft“, erwiderte Rinaldo schulterzuckend.
„Halb so lang“, sagte Obidos und wischte sich mit dem Handrücken den Wein von den Lippen.
Halb so lang wie der Trigorner. Wer es schaffte, halb so lang auf dem Stier zu bleiben wie der alte Großbauer, der durfte beim Kälberfangen mitmachen. Wer es sogar schaffte, die Zeit des Trigorners zu überbieten – der bekäme den Stier. Nado blickte zu dem schmächtigen Knecht, der neben seinem Herrn auf der Veranda stand und soeben die Sanduhr umdrehte. Ein Wachsstrich markierte die Zeit des Trigorners, ein zweiter die Hälfte. Niemand hatte es auch nur annähernd geschafft, dem alten Bauern das Wasser zu reichen. Aber einem Zahori und einer Bauerstochter aus Carhag-Lo war es tatsächlich gelungen, halb so lange auf dem Stier zu bleiben.
Die Menge johlte, als die Bäuerin in hohem Bogen in der sandigen Arena landete, und einige Burschen eilten mit Stöcken herbei, um den wilden Stier von der Gestürzten wegzulocken.
„Ich werde es versuchen“, sagte Nado.
Rinaldo lachte. Obidos schüttelte den Kopf. Und Talfan hörte für einen Moment auf zu jammern. „Du spinnst“, sagte er. „Ich habe schon viele Ritte hinter mir, ich hab’s auch nicht geschafft.“
„Du hast mehr darauf geachtet, gut auszusehen als gut zu sein“, sagte Nado.
„Was soll das denn?“ Talfan war wütend. „Was bildest du dir denn ein? Glaubst du, du bist besser als ich? Oder besser als die da?“ Er wies auf die Bäuerin, die soeben zurück über das Gatter kletterte, und zuckte vor Schmerz zusammen.
„Sie ist mit den Bewegungen nicht mitgegangen.“
„Du hältst dich wohl für Fuldigor, was?“, fragte Talfan.
Nado beachtete ihn nicht, er schritt auf den Pferch zu, um sein Glück zu versuchen.
Plötzlich fasste ihn jemand am Arm.
„Tu’s nicht, Junge!“
Fuocco! Unwillig blickte Nado seinen zweitältesten Bruder an, der seit Jahr und Tag Knecht am Hof des Trigorners war. „Was ist? Hast du Angst um mich oder den Stier?“
Fuocco lächelte sein spitzbübisches Lächeln. „Ich habe Angst, mir die Hände schmutzig zu machen, wenn ich dich aus dem Sand kratzen muss.“
„Sei keine Milchmagd. Warum traust du dich nicht? Bist du genauso ein Schisser wie Batistar, der gleich zu Hause bleibt an einem solchen Tag?“
Fuocco warf den Kopf in den Nacken und lachte. „Nein, nur klüger als meine kleinen Brüderchen. Und wenn man einen klugen Kopf hat“, sagte er und tippte sich an denselben, „dann sollte man zusehen, dass man ihn gut behandelt, denn wer erst einmal auf den Kopf gefallen ist, dem nützt auch sein großes Maul nicht mehr.“
„Geschwätz!“, sagte Nado und wollte weitergehen, aber Fuocco hielt ihn am Arm zurück.
„Pass auf!, sage ich. Denn Mutter würde weit mehr um deinen hübschen Kopf weinen als wenn ich auf den meinen fiele.“ Fuocco versetzte ihm einen Klaps auf den Hinterkopf, dann ließ er Nado los.
„Sie wird nichts zu weinen haben“, sagte Nado und kletterte über den Zaun.
„Hast du es schon mal gemacht?“, wollte die Frau wissen, die ihm die Handschuhe reichte, und beäugte ihn misstrauisch.
Nado lächelte sie an, während er sich die Handschuhe anzog. Sie war um die dreißig, kräftig und vollbusig, aber sie hatte eine zu große Nase, die mindestens einmal gebrochen war. „Ich bin eigentlich wegen des Stiers da“, sagte er freundlich.
Sie verstand nicht gleich, dann aber doch. „Bursche, pass auf deinen Mund auf, wenn der Stier dir das lose Maul zertritt, bin ich es nicht, die dich da rauszieht.“
„Mach dir nur keine Sorgen um mich“, sagte er, beachtete sie dann aber nicht weiter. Sie langweilte ihn. Und er war wirklich wegen des Stiers da und sie nicht hübsch genug, dass er es sich anders überlegte. Er kletterte auf den Rücken des Tieres. Der Bulle war riesig, aber Nado hatte keine Angst.
- Die Angst kam erst, als sie das Gatter öffneten. Der Bulle sprang in die Arena und Nado flog in die Luft, die Hand in den Haltestrick gekrallt. Zwei, drei bange Herzschläge vergingen, dann landete er unsanft auf dem Rücken des Tieres, spürte die gewaltigen Muskelberge unter seinen Schenkeln. Die nächste Bewegung des Tieres ahnte er voraus, hielt dagegen, als der Bulle seitwärts sprang, sich zu drehen begann, immer und immer wieder im Kreis und dabei auf und ab hüpfte, zornig bemüht, seinen Reiter abzuschütteln. Die Angst wich einer inneren Anspannung, einer erhöhten Aufmerksamkeit, und noch einmal und noch ein weiteres Mal gelang es Nado, dem Schwung entgegenzuwirken, der ihn vom Rücken des Tieres zu reißen drohte.
Und dann flog er doch, flog durch die Luft und krachte gegen den Zaun. Einen Moment lang blieb ihm der Atem weg. Die Hufe des Stieres schlugen neben ihm in einen Pfosten, zwei Frauen und ein Mann mit Stricken eilten herbei, um das Tier einzufangen.
Nado rappelte sich auf und beeilte sich, über den Zaun zu klettern. Jubel brandete auf, und Rinaldo kam ihm entgegengelaufen und schlug ihm auf die schmerzende Schulter.
„Phex verflucht, Mann, du bist der Dritte, Alter, du hast es dem Zahori gezeigt!“
„Nur das Mädel war besser“, sagte Talfan mit säuerlichem Grinsen.
„Und der Trigorner natürlich“, ergänzte Obidos.
„Glück“, sagte Nado und nickte Talfan zu. „Ich hab‘ auch Glück gehabt.“
„Das kann man sagen.“ Fuocco schon wieder. Und diesmal grinste er noch breiter als zuvor. „Der Trigorner will dich sprechen.“
„Das also ist dein Bruder“, sagte der Großbauer zu Fuocco, aber die hervorstehenden Augen waren auf Nado gerichtet. „Wie heißt er?“
„Maldonado“, sagte eben dieser.
„Und wie alt ist er?“
„Achtzehn“, sagte Nado.
„Redet er immer dazwischen?“, fragte der Trigorner, und Nado verstummte.
Er spielt ein Spiel mit mir, dachte Nado. Er will mich einschüchtern.
„Sag deinem Bruder, dass ich will, dass er das Kalb fängt“, sagte der Trigorner zu Fuocco, während er Nado abschätzig musterte. „Denn ich kann nicht dulden, dass ein Mädchen einen Bullen aus meiner Zucht bekommt. Und noch weniger ein Zahori. Meinst du, dein Bruder versteht es, mich nicht zu enttäuschen?“
„Er wird es versuchen, gewiss“, sagte Fuocco.
„Versuchen.“ Der Trigorner schnaubte verächtlich. „Sag ihm, dass ich ungehalten bin, wenn er versagt. Er soll das Kalb fangen, damit alle sehen, dass nur ein almadanischer Mann meinen Tieren gewachsen ist.“
„Du hast es gehört“, sagte Fuocco.
„Sag deinem Herrn, Fuocco“, erwiderte Nado, ohne den Blick von den Augen des Trigorners zu nehmen, „dass ich das Kalb fangen werde, um es an meine hungernden Nichten zu verfüttern und an meine Mutter, die sich die Finger wundarbeitet auf ihrem Hof und keine Zeit hat, Feste zu feiern.“
„Was für eine arme Mutter du doch hast, Fuocco“, sagte der Großbauer sanft, während das Feuer in seinen Augen Nado zu verbrennen versuchte.
Wenig später saß der junge Mann auf einem der Pferde, die der Trigorner den Combattanten zur Verfügung gestellt hatte. Eine weiße Stute, ein Vollblut aus San Amador in Schelak. Das Tier war edler als die Pferde seiner Konkurrenten, schneller, aber auch ungestümer, das sah er.
Nado bemerkte, dass der Zahori ihn beobachtete. Ein kleiner, drahtiger Mann mit wettergegerbtem Gesicht und einer langen Narbe über dem Auge. Sein Pferd war plumper als Nados, älter. Ob das ein Nachteil war?
Und das Mädel? Er blickte zu der jungen Frau hinüber. Sie war in seinem Alter, vielleicht ein Jahr älter oder zwei. Schlank, aber kräftig, mit kurzem schwarzen Haar und lang bewimperten Augen. Sie war hübsch – und sie erwiderte sein Lächeln, als er ihr zuzwinkerte.
Die Bauerstochter war eine gute Reiterin, das hatte sie schon auf dem Rücken des Stieres unter Beweis gestellt, und sie hielt sich gut auf ihrem Ross. Ob sie auch werfen konnte? Man hatte ihnen Seile gegeben, Wurfschlingen, um das Kalb damit zu fangen. Nado wog den Strick in seiner Hand und fragte sich, wie es ihm gelingen sollte, auf dem Pferd zu bleiben und zugleich zu werfen – und zu treffen.
„Wer die Füße des Kalbs fesselt, der darf es behalten“, verkündete der schmächtige Knecht des Trigorners.
Und dann ließen sie das Kalb frei und öffneten das Gatter, damit auch die Reiter in die Arena gelangten. Die junge Frau war schnell, hielt sich geschickt im Sattel, während sie die Schlinge über ihrem Kopf kreisen ließ – aber sie traf nicht. Der Zahori trieb seinem Pferd die Hacken in den Leib, aber es wollte nicht so wie er und brach wiehernd zur Seite aus. Nado spornte die Stute an, schaffte es, das Kalb zur Seite zu drängen, aber sein Strick landete nutzlos im Sand, und beinahe hätte sein eigenes Pferd sich darin verfangen.
Die Schlinge des Mädchens erwischte einen Fuß des Kalbes, es strauchelte, aber ehe die junge Frau zuziehen konnte, hatte das Tier sich befreit. Der Zahori hatte sein Ross jetzt besser im Griff, stieg in den Steigbügeln auf und ließ die Schlinge kreisen. Nado preschte heran, warf den Strick aus – doch der verfing sich an einem Pfosten des Gatters und Nado musste sein Pferd anhalten, um die Schlinge zu lösen.
Das Mädchen traf! Das Lasso legte sich um den Hals des Kalbes, das weiterlief. Der Strick spannte sich – und wurde dem Mädchen aus der Hand gerissen, als sich das Seil des Zahori um die junge Frau legte und sie aus dem Sattel riss. Ein Aufschrei des Entsetzens ging durch die Menge, als das Mädchen hart auf dem Boden aufprallte und liegenblieb. Der Zahori ritt heran, zerrte an dem Strick und bekam ihn frei.
Nado nutzte die Gelegenheit, um an dem Konkurrenten vorbeizuziehen, hinter dem Kalb her, das mit dem Seil der jungen Frau am Hals durch die Arena stürmte. Wieder warf er das die Schlinge aus – aber es war hoffnungslos: der Strick flog schrittweit an dem jungen Bullen vorbei.
Nicht so das Lasso des Zahori: Der traf, und die Wurfschlinge zog sich um den Hals des Tieres zu. Der Kopf des Kalbes wurde zurückgerissen, und das Tier stürzte in den Sand. Der Zahori sprang aus dem Sattel, ohne sein Seil loszulassen. Das war Nados letzte Gelegenheit!
Der junge Mann sprang vom Pferd und rannte. Er war größer als der Zahori, schneller, aber der hatte das Kalb in der Schlinge. Nado holte den Mann ein, fuhr im Laufen den Ellenbogen aus und schickte den Zahori mit einem Rempler zu Boden.
Das Kalb versuchte, sich aufzurichten, aber Nado bekam den Strick des Zahori zu fassen und zog es zurück auf den Boden, warf sich auf das Tier, den Arm um dessen Hals geschlungen, und rang es nieder. Mit der freien Hand zog er seine eigene Schlinge um die Hufe des Kalbes und zerrte sie fest, als plötzlich der Zahori über ihm stand – ein Messer in der Hand.
Nado rollte sich zur Seite, und die Klinge streifte seinen Arm. Hastig rappelte er sich auf, blickte den Zahori furchtlos an, der ihm gegenüberstand, das Messer auf ihn gerichtet.
„Vorbei!“, rief der Knecht über den Platz. „Der Junge hat gewonnen!“
„Das wird dir noch leid tun!“, zischte der Zahori, und einen Augenblick lang spürte Nado die Spitze des Messers an seiner Brust, dann wandte der Mann sich ab, schwang behände über den Zaun und lief über die Koppel davon, ehe die wütenden Bauern seiner habhaft werden konnten.
Die Menschen jubelten ihm zu, als Nado, das Kalb am Strick, die Arena verließ. Kurz warf der junge Mann einen Blick auf die Bauerstochter. Sie hatte sich wohl die Rippen gebrochen und wurde, bleich, aber tapfer, von ihren Brüdern fort geleitet.
„Seht den Sieger!“, rief der Knecht des Trigorners. „Der junge Maldonado von Maldianas Hof!“
„Du bist ein echter Desperado!“, sagte Obidos, und selbst Talfan nickte anerkennend, als Nado den jungen Bullen zu seinen Freunden führte.
„Und jetzt, Leute von Carhag-Lo: Jetzt labt euch an Wein und Fleisch, und dankt Tauro Gonzalo Trigorne für seine Großzügigkeit. Denkt immer daran: Der Stierkönig sorgt für euch wie sonst niemand in Pildek!“
Die Bauern ließen den Trigorner hochleben, und dann stürzten sie an die Tafeln, die dieser vor seinem Haus hatte aufstellen lassen, um sie sich mit Wein und Braten untertan zu machen und sie vergessen zu lassen, dass sie die meiste Zeit des Jahres hungerten, während er reicher, mächtiger und satter war als je ein Bauer zuvor in der gesamten Südpforte.
Für einen Moment begegnete Nados Blick dem des Großbauern, und die dunklen Augen hielten ihn gefangen, bis Fuocco vor den jungen Mann trat und ihm die Sicht nahm.
„Den hast du dir nicht zum Freund gemacht mit deinen Worten“, sagte Fuocco und klopfte ihm erneut auf den Hinterkopf.
„Den fürchte ich nicht“, erwiderte Nado. „Der hat mir heute zu Ruhm verholfen, und das weiß er wohl.“
„Sieh dich nur vor“, sagte Fuocco. „Er ist ein mächtiger Mann.“
Ein feines Lächeln legte sich auf Nados Lippen. „Das, Bruder, wird er dereinst von mir denken.“
|