Chronik.Ereignis1032 Alte Freunde, alte Feinde 08

Capitale Punin, 29. Travia 1032 BF (Gilbornstag)Bearbeiten

Im Flusshafen (am frühen Morgen)Bearbeiten

Autorin: Von Scheffelstein

Aus zusammengekniffenen Augen blinzelte Domna Richeza gegen das Licht. Angespannt wie eine Katze auf dem Sprung lag sie auf dem Balken neben dem Aufgang zum Speicher des Lagerhauses. Soeben hatten Dom Vesijo und seine Handlanger das Gebäude verlassen. Sie konnte ihre Stimmen von draußen hören. Die Männer entfernten sich langsam. Behutsam ließ sich die Edle von dem Balken herab auf den Boden nieder. Ihr Rücken schmerzte seit dem Sprung aus dem Fenster des Palacio Amhall. Sie wurde älter, musste sich Domna Richeza widerwillig eingestehen.

Die Tür des Lagerhauses stand halb offen. Draußen standen in einigem Abstand Fuente und der andere Einäugige. An der Hafenmauer waren die anderen beiden Begleiter des Amhallassiden in Begleitung eines älteren Mannes in vornehmer Kleidung zu sehen. Offenbar eskortierten die beiden Männer den Alten in die Stadt. Wer das wohl war? Ein weiterer Teil von Dom Vesijos finsteren Plänen, soviel war sicher! Dieser Wahnsinnige: Wollte er wirklich mit seinen Söldnerhaufen die Stadt überrennen? Wie lange, dachte er wohl, würde das gutgehen? Punin war nicht irgendein unbedeutendes Nest. Es war die Capitale des Reiches! Die Nobleza würde es niemals gestatten, dass ein Geächteter - nun gut, auch ihm hatte man aus Mangel an Beweisen nur eine Ehrenstrafe verhängt - die Macht in der Hauptstadt an sich riss.

Richeza warf einen Blick auf die Gardistin, die leblos hinter den Fässern an der Wand lag. Im Grunde genommen war ihr gleichgültig, was mit Punin geschah. Aber der Amhallasside sollte nicht glauben, dass er sich alles erlauben konnte. Es hieß, dass er sich vor Jahren mit Dom Gonzalo angelegt habe. Nicht, dass Richeza in irgendeiner Weise Sympathie für den toten Madjani empfand. Jetzt aber hatte de Fuente sich abermals gegen einen Mitverschwörer gewandt. Und diesmal handelte es sich um ihren Onkel. Nach dem, was die Edle seit dem Vortag herausgefunden hatte, war de Fuente ein guter Freund Domna Solivais - sofern wohl jemand wie der Amhallasside so etwas wie Freundschaft empfinden konnte. Domna Solivais ältere Tochter Alarya war eine Vasallin Dom Ramiros. Und wenn sie das nun recht verstanden hatte, sollte Dom Vesijo - oder halt: vielleicht doch eher sein Blutsverwandter? - eben jene Caballera ehelichen, sobald diese sich den Titel der Baronin von Schelak erschlichen hatte. Ha! Das konnte dem Einäugigen so passen! Niemand vergriff sich ungestraft am Nachlass ihres Onkels!

Domna Richeza zerrte das Tuch höher über ihre Nase, das sie sich zum Schutz vor zufälligen Blicken um das Gesicht gebunden hatte, und zog die Kapuze ihres Umhangs tief ins Gesicht. De Fuentes Pläne waren eine Kriegserklärung! Er wusste genau, dass Dom Ramiro einen Erben hatte. Er sollte nur nicht denken, dass das Erbe eines kranken Jungen Freigut war! Die Edle beugte sich über die Gardistin und rüttelte sie sacht an der Schulter. Die Frau bewegte sich nicht. Blut lief aus einer hässlichen Wunde am Scheitel über das entstellte Gesicht der Frau. Von der erfuhr sie nichts mehr! Und ob die Gardistin den Tag überleben würde, war auch fraglich. Jedenfalls, wenn sie nicht bald die Hilfe zumindest eines versierten Heilers, wenn nicht gar eines Magus erhielt.

Domna Richeza nagte an ihrer Unterlippe. Sie wusste genau, was ihr Großvater an ihrer Stelle getan hätte. Aber wenn sie jetzt zur Akademie liefe, wäre de Fuente anschließend verschwunden und sie würde nichts weiter von seinen Plänen erfahren. Schlimmer noch: Wenn er Erfolg haben sollte und der Adel in seiner momentanen Trägheit nicht rasch etwas unternähme, den selbst ernannten Tribun wieder abzusetzen, dann konnte es de Fuente mithilfe einiger Rechtsverdreher oder einflussreicher Verbündeter vielleicht sogar gelingen, sich Schelak unter den Nagel zu reißen. Das durfte nicht sein! Und diese Frau hier - nun, wahrscheinlich würde sie ohnehin nie wieder sprechen oder laufen können, wenn sie das hier überlebte.

Aber ihre Rache an ihrem Peiniger sollte die Gardistin bekommen!

Mit raschem Blick vergewisserte sich Richeza, dass der Amhallasside und sein Begleiter sich tatsächlich entfernten, dann riss sie einen Streifen Tuch vom Hemd der Verwundeten und legte ihn auf eine Kiste. Suchend blickte sie sich um, brach einen stumpfen Holzsplitter von der Kiste ab, tauchte ihn in das Blut an der Schläfe der Gardistin und zog ihn über den Stoffstreifen. Sie wartete einen Augenblick, bis das Blut zu trocknen begann, dann faltete sie den Stoff zusammen und steckte ihn der Verwundeten in den Hosenbund. Falls man sie fand, würde man wissen, wer ihr das angetan hatte: FUENTE. Falls der Mord an einer Gardistin noch von irgendeiner Bedeutung sein würde angesichts dessen, was der Amhallassihdi noch vorhatte.

Richezas wischte sich die Handschuhe an ihrem Umhang ab und schlüpfte aus dem Lagerhaus, um den Magnaten nicht aus den Augen zu verlieren.

Chronik:1032
Alte Freunde, alte Feinde
Teil 08