Chronik.Ereignis1036 Pilgerzug Punin 01

Stadtmark Punin zwischen Then und Cumrat, 26. Praios 1036 BF

Autor: lindholz

Die Luft flirrte, erhitzt durch die Mittagssonne, über dem Oleanderhain. Die niemals ruhende Geschäftigkeit des Pilgerzugs war fern und keine noch so leichte Brise entlockte den langgestreckten, wächsernen Blätter der übermannsgroß aufragenden Büsche ein Rauschen. Selbst der kristallklare Bach, der den Pflanzen Lebensquell war, floss lautlos dahin. Das vom fließenden Nass gespiegelte Licht der Praiosscheibe tanzte wie lauteres Silber über die Äste, die sich unter der Last zahlreicher Blüten tief über den Wasserlauf beugten. Wie eine umherwirbelnde Hazaqi schwebte eine einzelne Oleanderblüte in tiefdunklem Magenta hinab und setzte sich anmutig auf die glitzernde Oberfläche des Baches, der sie zärtlich mit sich führte. Unbeachtet von den beiden Pferden, einem nachtschwarzen Wallach und eine Palominostute, die sich am kühlen Wasser gütlich taten, trieb die Blüte davon auf ihrer Reise zum nahen Yaquir. Fast schien es, als wäre der Ort von der Zeit vergessen, als ein glockenhelles Lachen die Stille durchschnitt.

Es dauerte eine Weile bis Baronessa Alisea das weiterhin ernste Gesicht ihres Begleiters bemerkte, sich die Tränen mit einem Seidentüchlein weg tupfte und verwundert die Augenbrauen hochzog: „Es ist Euch ernst?“
„Wir lieben uns.“ erwiderte Gendahar, Soberan des älteren Hauses von Streitzig.
„Und sie hat wirklich zugestimmt? Ich hätte nicht gedacht, dass sie jemals einem Werben nachgibt; selbst dem Euren nicht. Oder sollte ich besser sagen: gerade dem Euren nicht.“ hakte die blonde Domnatella misstrauisch nach.
„Wir lieben uns.“ wiederholte der junge Graf. Als würden diese Worte alles erklären. Als wären sie stets die richtige Antwort. Und in gewisser Weise war dies auch der Fall erkannte die blonde, junge Frau mit ehrlicher Überraschung in den meerblauen Augen.
„Vermutlich sollte ich mich geehrt fühlen, dass Ihr mir dies anvertraut. Ich nehme an, Ihr erweist nicht jeder Eurer ehemaligen Geliebten einen solchen Gefallen.“ Aliseas Lächeln wirkte unsicher, während sie zu einem nahen Oleander hinüberschritt und an den Blüten in unschuldigem Weiß roch. Nur ein schwacher, kaum wahrnehmbarer Duft ohne jeden Zauber entströmte ihnen, doch die junge Adlige nahm es kaum wahr. „Vermutlich wäre es aber auch den meisten von ihnen erspart geblieben, Euch noch schöne Augen zu machen, kurz bevor Ihr Eure Verlobung verkündet.“

Der schöne Graf stand schweigend da. Er hatte Schuldgefühle, erkannte die Domnatella, auch wenn er wohl selbst nicht zu sagen wusste, warum genau. Sie ließ ihn noch ein paar Herzschläge schmoren, dann nahm Alisea erneut den Faden auf: „Versteht dies nicht falsch, Euer Hochwohlgeboren: Ich kann es überhaupt nicht leiden, wenn man mir eine andere Dame vorzieht. Und nur die Götter alleine wissen, was ihr almadanischen Männer an Frauen findet, deren Hände schwielig sind vom Herumschwingen spitzer Klingen!“ Die Baronessa trat an Gendahar heran, legte ihm eine der reinweißen Blüten in die Hände und lächelte. „Doch die Schutzgöttin meiner Familia ist nach wie vor Travia. Und wer wäre ich, dass ich mich einer Liebe in den Weg stellen würde, die für die Ewigkeit verbunden werden soll? Ich wünsche Euch den Segen der Zwölfe. Euch und Eurer Geliebten, mein Graf.“ Sie schenkte ihm einen letzten Kuss auf die Wange.
„Man würde denken, dass der Graf des Yaquirtales nach einer angemesseneren Partie Ausschau hält. Aber jetzt, da Eure Nichte dem Hause Streitzig den Fürstenthron sichert, seid Ihr wohl von dieser Last entbunden.“ sprach die blonde Domnatella leichthin und wand sich ab, um zu ihrer Stute zurück zu kehren, als Dom Gendahar sie - fast grob - am Arm zurückhielt.
„Wovon redet ihr?“
„Nun... überall im Lager spricht man davon.“, erklärte Domnatella Alisea, verwirrt, dass ihr Gegenüber Unkenntnis vortäuschte oder tatsächlich noch nicht unterrichtet worden war, „Man sagt, das Haus Al'Shirasgan sei bezüglich einer Verbindung zwischen seiner fürstlichen Hoheit und der Junkerin Rahjada Al'Shirasgan y Eschgeier an die eslamidische Residenz herangetreten. Sie sei abgewiesen worden, da der Fürst gedenke, die Comtessa Concabella von Ehrenstein-Streitzig zur Frau zur nehmen.“
Tiefe Besorgnis zeigte sich in den Zügen Dom Gendahars. Sollten die Magnaten tatsächlich glauben, dass seine Familia nach der Fürstenkrone griff, so würde der Neid sie bald gegen die Streitzigs vereinen.