Chronik.Ereignis1036 Besuch im Vanyadâl 15
Mark Ragathsquell, 3. Tsa 1036 BF
Nahe La Dimenzias, vormittags
Autor: SteveT
Selbstverständlich hatte Rifada da Vanya das Angebot des Aranjuezers Majordomus, sie mit der püppischen Kleidung einer Balparegängerin auszustaffieren, mit hochgezogener Augenbraue und einer abwehrenden Handbewegung abgelehnt und hatte sich vom ansehnlichen Hofgut des Schwarzen Junkers - oder nun vielmehr des Barons - verabschiedet, auch ohne dessen Rüstkammer einen Besuch abzustatten. Letzteres wäre für sie zwar weitaus verlockender gewesen, war sie doch vor einigen Jahren selbst zum Tsatags-Balpare von Rolban di Quirod-Bosquiria im Harnisch erschienen, aber eine da Vanya brauchte keine Almosen - von niemandem. Immerhin trug sie ja ein gutes Schwert bei sich, und das war für jemanden wie sie gemeinhin Rüstung genug.
Sie ritt ein oder zwei Stunden über braun-weiße, schneegesprenkelte Felder, die immer wieder von nun kahlen Obstplantagen unterbrochen wurden, deren Bäume in schnurgerader Linie Spalier standen. Das Weiße Ragatien war im Frühjahr, Sommer und Herbst ein beeindruckend schöner Landstrich, wie sie von zahllosen früheren Besuchen auf Quazzano wusste - aber zumindest während der Tristeza war es genauso fad, grau und öde wie ihre bosquirische Heimat während der meisten Zeit des Jahres.
Allmählich merkte sie, ob der durchwachten Nacht, die Müdigkeit, und sobald sie sich sicher war, nicht mehr auf Aranjuezer oder gar Harmamunder Land zu sein, sondern wieder auf den Latifundias des Klosters, hielt sie an einem Hof, um dort um Quartier zu ersuchen. Es waren wohl weniger ihre wie stets barschen Worte, noch weniger ihre Gewandung, die die Bauern überzeugten, sie einzulassen, als vielmehr, vermutete sie, ihre kampfgestählte Figur und das Schwert an ihrer Seite. Rifada war es gleich, sie brauchte nur ein Bett, und das bekam sie.
Als sie erwachte, war es dunkel und still, die Bauern schliefen bereits. Das Alter forderte wohl doch allmählich Tribut, früher hätte sie niemals so lange im Bett gelegen wie ein götterverlassener Taugenichts! Kurz spielte sie mit dem Gedanken, gleich aufzubrechen, aber im Dunkeln wäre es nicht leicht, unter dem Schnee den rechten Weg nach Quazzano zu finden, und so entschloss sie sich, das Morgengrauen abzuwarten. Sie reinigte und schärfte ihr Schwert und legte sich noch einmal hin, bis der Hahn zum dritten Mal krähte und das Schwarz der Nacht ein wenig heller geworden war.
Nach dem Frühmahl, für das sie die erstaunten Bauern entlohnte, die sie wohl wahrlich eher für eine Vagabundin oder Strauchdiebin gehalten hatten, brach sie nach Quazzano auf.
Als Rifada ihr Pferd neben einer freistehenden, in der Krone groß und breit verästelten Pinie auf einer Hügelkuppe anhielt und sich umsah, etwas unsicher ob sie sich westlich oder eher südwestlich halten musste, um nach Quazzano zu gelangen - Wege waren unter dem Schnee ohnehin nicht mehr zu erkennen -, da erblickte sie aus westlicher Richtung vier Reiter in schnellem Trab durch den Schnee sprengen, sodass dieser hinter ihren Pferden hoch in die Luft gewirbelt wurde. Sie tastete nach dem Knauf des Bastardschwertes, das seitlich neben dem Sattel hing, entspannte sich aber wieder, als sie das grün-weiße Banner der Reiter mit einem grünen Schröter darauf während deren Näherkommens schließlich erkennen konnte. Die Farben Schrotensteins.
Die Reiter wollten sie offenbar einfach mit 50 oder 60 Schritt Abstand passieren, schwenkten dann aber doch zu ihr ein, als Rifada "Vetter!" brüllte und der Anführer daraufhin sein Ross in ihre Richtung lenkte.
"Base!", nickte Lucrann da Vanya ihr zu - finstergesichtig wie immer in den vergangenen Jahren. Rifada hatte nie verstanden, dass viele Frauen in ihrer Region den großgewachsenen Schweiger als gutaussehend bezeichneten. Für sie war er einfach ein pflichtvergessener Taugenichts und Herumtreiber - und wie ein Vagabund sah er mit seinem ungezähmtem Stoppelbart auch aus. "Was ist dir widerfahren?", fragte Lucrann sie seinerseits und bezog sich offenbar - genau wie die Dirne des Aranjuezers - auf ihren abgerissenen Aufzug.
"Mir widerfährt nichts!", stellte Rifada klar, so gut sollte ihr Vetter sie trotz beinahe zehnjähriger Absentia kennen. "Aber ich muss dir etwas sagen wegen deiner Mutter - nachdem du das brenende Kloster so überstürzt verlassen hast, ist schreckliches geschehen! Glaube nicht, dass ich nicht alles versucht habe, um Belisetha ihrem Schicksal zu entreißen ..."
"Fängst du jetzt auch noch an wie deine Tochter oder wie Richeza von Scheffelstein?", unterbrach sie Lucrann ungeduldig, dessen hektischer Blick verriet, dass ihm nicht der Sinn nach Plauderei stand. "Wie der Soberan, bin ich der Meinung, dass sie bei den Harmamunds gut aufgehoben ist und dass ihr dort kein Haar gekrümmt werden wird!"
"Was war das?", sah ihn Rifada entsetzt an. "Bei den Harmamunds? Sie lebt? Und ist bei den H-a-r-m-a-m-u-n-d-s?"
"Jetzt vielleicht schon nicht mehr", schüttelte Lucrann den Kopf. "Wir verfolgen den Nekromanten, und ich habe jetzt keine Zeit für müßige Fragen! Unsere Nichte ist hin geritten, um sie abzuholen!" Er drehte sein Pferd und gab seinen Geleitreitern zu verstehen, dass es weiterging.
"Richeza ist zu den Harmamunds? Allein? Und Belisetha haben sie auch schon?", brüllte ihm Rifada entsetzt wie ungläubig hinterher, ohne noch eine Antwort zu erhalten.
Einen kurzen Moment dachte sie daran, zum Aranjuezer zurückzureiten und notfalls ihn und seine Privatarmee unter Sold zu nehmen und damit vor Burg Harmamund aufzumarschieren. Aber Dom Hernán pflegte ja zu diesen, besonders zum jetzigen Soberan Gwain, ein weitaus besseres Verhältnis als ihre eigene Familia und außerdem fehlte ihr dazu das nötige Geld - jedenfalls solange, wie dieses noch auf Burg Albacim lag. Sie blickte zum fahlen Praiosrund, das nur schwach hinter den grauen Wolken zu erkennen war, um sich zu orientieren, und lenkte ihr Pferd dann in keine der beiden Richtungen, zwischen denen sie gerade noch unschlüssig gewesen war, sondern in die Richtung der Junkerschaft Harmamund.
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