Chronik.Ereignis1036 Besuch im Vanyadâl 16

Aus Almada Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Mark Ragathsquell, 3.und 4. Tsa 1036 BF

Burg Harmamund

3. Tsa, vormittags

Autor: von Scheffelstein

"Die da Vanyas haben das Kloster niedergebrannt." Morena Solivai von Harmamund breitete die Karte der Mark Ragathsquell auf dem Tisch aus, aber ihr Bruder kehrte ihr den Rücken zu.

"Warum auch immer sie das tun sollten." Der goldene Siegelring an seiner Hand verursachte ein leises Kratzen, als er über das Fenstersims strich. Draußen sang ein Vogel. Es war wärmer geworden, der Schnee begann zu tauen, und im Palastgarten streckten erste Winterlinge die gelben Köpfchen hervor.

"Warum?", fragte Morena irritiert. "Liegt das nicht auf der Hand? Es geht ihnen um Macht. Oder um Rache. Immerhin gehörten weite Teile der Klostergüter früher zu unseren Besitzungen, ehe …" Sie verstummte, als ihr ein neuer Gedanke kam. "Oder es ging um etwas ganz Anderes. Vielleicht wollen sie etwas verbergen? Irgendwelche … Geheimnisse zerstören, die das Kloster hütete. – Was weißt du über Ahumeda da Vanya?"

Amando Almadarich von Harmamund drehte sich um. "Mutters Großmutter. Du interessierst dich für Familiengeschichte."

Sein gleichgültiger Tonfall ärgerte Morena. Seine Fragen klangen nicht wie Fragen, sondern wie Feststellungen. Das forderte sie zu Widerspruch heraus. "Ich weiß selbst, dass sie Mutters Großmutter war. Warum war sie in La Dimenzia?"

Er sah sie aus seinen dunklen Augen an, das schmale Gesicht ausdruckslos. Er war alt geworden, das Haar an den Schläfen ergraut und in der Stirn licht, der spitze Ziegenbart wies weiße Haare auf. Seine hagere Gestalt ertrank in der schwarzen Kutte. Sein Blick aber war wach, durchdringend. "Boron hatte sich ihrer erbarmt."

Morena wurde den Verdacht nicht los, dass Amando der Vergangenheit und ihren Rätseln vollkommen uninteressiert gegenüberstand, oder aber gar bewusst schwieg über das, was er möglicherweise wusste. Sie schob das Kinn vor und erwiderte seinen Blick, doch als er sie weiter unbewegt ansah, ohne nur einmal zu blinzeln, wandte sie sich wieder verärgert der Karte zu.

"La Dimenzia ist reich. War reich. Die Ländereien erstrecken sich von Aranjuez bis Burginum." Sie sah Amando an. Nein, auf diesem Weg war ihm nicht beizukommen. Morena straffte sich. "Du wirst das Kloster als Abt übernehmen. Es ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Immerhin befinden sich noch etliche Verr… arme, kranke Seelen dort, die des Beistands bedürfen. Und viele sind von Adel. Eine solche Aufgabe können wir nicht irgendjemandem überlassen."

Amando betrachtete sie schweigend. Seinem Gesicht war nicht zu entnehmen, was er dachte. "Mein Platz ist in Khahirios", sagte er schließlich.

Morena presste die Kiefer zusammen. Sie würde ihren Willen schon bekommen. Langsam verzog sie den Mund zu einem Lächeln. "Lieber Bruder, du wirst dich doch nicht dem Willen unseres Fürsten zuwider setzen?"

"Gwain."

"Ja, Gwain", lächelte Morena liebenswürdig. "Unser Fürst und Soberan möchte seinen lieben Neffen nahe der heimatlichen Güter wissen, jetzt, da Mutter tot ist."

"Einst war auch Khahirios Harmamund-Land." Amando war nicht anzusehen, ob er Morenas dreiste Lüge durchschaut hatte.

"Jetzt ist dies unser Land. Und du wirst Abt werden in La Dimenzia. Der Fürst wünscht es." Und ich wünsche, dachte sie, zu erfahren, was diese verdammte Paligan meinte, wir seien allesamt keine Harmamunds. Der Schlüssel zu diesem Geheimnis, da war sie sich sicher, lag irgendwo in La Dimenzia. Und er hatte etwas mit Ahumeda da Vanya zu tun, ihrer Urgroßmutter. Mit Amando als Prior des Klosters würde sie dort ein- und ausgehen können, wie sie wollte. Und – bei Ras'Ragh! – sie würde der Toten ihr Wissen entreißen, um ihre eigene Macht zu mehren und die der da Vanyas, derjenigen, die heute diesen Namen trugen, zu schmälern!


3. Tsa, nachmittags

Autor: von Scheffelstein

Richeza hatte nicht abwarten können, bis der Secretarius ihres Großonkels ihr passende Kleider aus Ragath hatte kommen lassen. Sie hatte es eilig, Belisetha aus den Händen der Harmamunds zu befreien und rasch nach Quazzano zurückzukehren. Also hatte sie das Kleid ihrer Mutter anbehalten und ritt, in einen pelzverbrämten Mantel gehüllt, erstmals in ihrem Leben in einem Damensattel auf einem Zelter. Sie fühlte sich fremd und unwohl in ihrer Haut, und selbst der Raufedegen an ihrer Seite änderte daran nichts.

Die meisten Bewaffneten des Großinquisitors hatten diesen gen Selaque oder Schrotenstein begleitet, und einige waren auf dem Castillo zurückgeblieben, um es zu bewachen, und so ritt sie in Begleitung eines einzigen Mannes unter Waffen, auf dessen Geschick sie sich im Zweifelsfall verlassen musste, denn selbst vermochte sie, so wie sie war, kaum zu kämpfen.

So begann ihr Herz auch bang schneller zu schlagen, als sie sich der Reichsstraße näherten und im Dämmerlicht zwischen den Hügeln der trutzige Wohnturm des Castillos Harmamund auftauchte, ein gewaltiges Bauwerk, dessen zwölf Erkertürme, so hieß es, jeder einen Schrein eines der Götter enthielt und so weithin sichtbar das Selbstverständnis des stolzen Geschlechts kund taten: Seht, wir haben nichts zu fürchten, die Götter sind auf unserer Seite. Der eindrücklichen Botschaft tat es keinen Abbruch, wie wenig göttergefällig sich viele Mitglieder des Hauses gebärdet hatten, nicht zuletzt die vorige Soberana Aldea von Harmamund, die, so hieß es, erst vor wenigen Monden von einigen Glücksrittern des Paktes mit dem Götzen Ras'Ragh überführt worden war und im Kampf mit diesen ein blutiges Ende gefunden hatte.

Vor ihrem inneren Auge sah die Edle das vorwurfsvolle Gesicht ihrer Tante vor sich, die sie eine unverzeihlich dumme Närrin schalt, sich dieserart in die Höhle der Wölfin zu wagen, doch in dem Kleid, das sie trug, fiel es ihr schwer, sich als Kriegerin aus dem Hause da Vanya zu fühlen. Sie war Tochter ihrer Mutter, die einen friedlicheren Weg gewählt hatte und Großtochter eines der unerschütterlichsten Diplomaten im Königreich. Und nicht zuletzt, dachte sie beklommen, trug sie das Schreiben eines dem Götterfürsten direkt unterstellten Geweihten und Inquisitors bei sich, wenn Morena Solivai von Harmamund es wagen sollte, ihr oder ihrer Großtante auch nur ein Haar zu krümmen, so würde sie den flammenden Zorn nicht nur der da Vanyas, sondern der Praioskirche selbst auf sich ziehen. Das würde sie nicht wagen.

Am Tor standen zwei Gardistinnen mit Schwertern und Hellebarden, die eine hob die Hand und gebot ihr, anzuhalten, ihren Namen und ihr Begehr zu nennen.

"Ich bin Richeza von Scheffelstein y da Vanya", begann die Edle, "und ich komme im Namen des Großinquisitors der Heiligen Reichskirche des Praios, Seiner Eminenz Amando Laconda da Vanya, um mit der Herrin dieser Burg zu sprechen."

Die Gardistinnen tauschten einen Blick aus, dann pfiff die eine ins Dunkel des Torbogens, ein junger Bursche sprang auf und rannte in die Burg hinein, und kurz darauf kehrte er schnaufend zurück und rief, noch aus dem Burghof: "Kann passieren."

Richeza atmete erleichtert aus und setzte den Zelter in Gang, gefolgt von ihrem Beschützer, doch sie hatte das Tor nicht einmal halb durchquert, da rasselten zu beiden Seiten die Fallgatter herunter. Ihr Begleiter zog sein Schwert, ihr Ross scheute, und um ein Haar wäre Richeza aus dem unbequemen Sattel gerutscht.

"In Praios Namen: Öffnet das Tor!", rief ihr Beschützer, aber die Gardistinnen starrten sie nur mit unbewegter Miene an, und auf dem Burghof erschien ein weiterer Wächter mit gespannter Armbrust. Richeza wunderte sich selbst, wie wenig Angst sie verspürte, nur ein leichtes Bedauern, dass es so enden sollte, aber vielleicht war das ihre Bestimmung, vielleicht diente all ihr Unglück nur dazu, ihrer Familia am Ende zum Sieg über den Feind zu verhelfen, indem sie starb und die Harmamunds vom Zorn der Kirche hinweggefegt wurden. 'Welch' ein Hohn', dachte sie, 'dass ausgerechnet Praios mich rächen soll, dessen Gebote ich mein Leben lang missachtet habe!'

"So also sieht man sich wieder", sagte Morena von Harmamund, als sie im Hof erschien, in einem engen Kleid, das die Schultern freiließ, gerade so, als könne die klamme Kälte ihr nichts anhaben. Sie hatte das Haar hochgesteckt, und alles an ihr, Schmuck und auch ihre Haltung, wirkten fürstlich, während Richeza sich wie eine Bäuerin vorkam, in falscher Gewandung auf falschem Ross, weder damenhaft noch wehrhaft. Nur müde.

Dennoch lächelte sie. "Ich komme im Namen Seiner Eminenz …"

"Ja, ja, spart Euch das Geschwätz", fuhr ihr Morena dazwischen. "Wo sind die Schergen Eurer Tante? Wo ist die alte Vettel selbst? Schickt sie Euch, als wehrloses Küken verkleidet, und glaubt, mich so täuschen zu können, um mir eine Falle zu stellen? In meiner eigenen Burg?" Morena lachte, und einige ihrer Männer fielen mit ein, rau, höhnisch.

"Ich komme", ließ sich Richeza nicht beirren, "im Namen Seiner Eminenz, des Großinquisitors der Heiligen Reichskirche, um … Euch zu danken, dass Ihr seine Schwester aus den Flammen La Dimenzias in Sicherheit brachtet."

Morena schwieg verdutzt, doch als Richeza die Hand unter den Mantel führte, um das Schreiben des Inquisitors herauszuziehen, zielte der Armbrustschütze auf Richezas Gesicht. Langsam hielt Richeza das gesiegelte Schreiben in die Höhe, ritt ebenso langsam an das Fallgatter heran und streckte die Büttenrolle durch das Gitter. Morena von Harmamund winkte dem Jungen, es anzunehmen und ihr zu bringen. Sie starrte die Rolle an, das Siegel, dann brach sie es und las, was der Secretarius des hohen Geweihten geschrieben hatte. In ihrem Gesicht arbeitete es, ihre Augen wanderten über das Papier, ihre Kiefer bewegten sich, dann hob sie plötzlich den Kopf, lächelnd, wie verwandelt.

"Wenn das so ist …" Sie machte eine einladende Geste, die das halbe Castillo mit einschloss. "Seid willkommen auf Burg Harmamund, Domna Richeza. Erlaubt meinen Männern, Eure Waffe und die Eures Begleiters entgegen zu nehmen, und Ihr sollt mich hinein begleiten und Brot und Salz und Wein mit mir teilen."

"Mit Verlaub", entgegnete Richeza, "ich warte lieber hier, bis Ihr Domna Belisetha hinausführt."

"Aber, meine geschätzte Domna", erwiderte die Hausherrin tadelnd, aber noch immer breit lächelnd, "es wird bereits dunkel, und Eure Anverwandte hat sich bei diesem unglücklichen Brand verletzt. Ich kann nicht zulassen, dass Ihr Euch in Gefahr begebt und in der Nacht allein durch die Mark reitet, zwei schutzlose Weiber und ein einsamer Mann." Sie grinste spöttisch und war ihren Leuten vielsagende Blicke zu, ehe sie sich wieder an Richeza wandte. "Nein, meine Liebe, stellt Euch nur vor, Euch würde etwas zustoßen: Man würde es den Harmamunds anlasten." Sie schüttelte den Kopf. "Seid mein Gast in dieser Nacht, es soll Euch an nichts fehlen. Ich kann Euch nur nicht erlauben, die Waffen in meinem Heim zu tragen, denn das Blut Eurer Tante fließt in Euren Adern, Großinquisitor hin oder her." Morena von Harmamund streckte die Hand aus und winkte in Richtung von Richezas Degen.

"Das ist eine Falle", sagte Richeza düster. "Ich traue Euch nicht."

Morena von Harmamund lachte. "Ihr habt keine Wahl." Dann wiegte sie den Kopf. "Das heißt: Ihr habt eine Wahl: Geht, Ihr seid frei!" Sie winkte irgendwo hinauf auf das Tor, und das Fallgatter in Richezas Rücken wurde hochgezogen. "Reitet, wohin Ihr wollt. Doch die alte Domna Belisetha kann ich nicht allein ins Dunkle schicken. Seid mein Gast, wenn Ihr nicht ohne sie gehen wollt, doch dann lasst mir Eure Waffe, Ihr erhaltet sie zurück, wenn Ihr diese Burg verlasst, da habt Ihr mein Wort."

Richeza blickte hinaus in die rasch heraufziehende Nacht, über die schneefunkelnden Hügel, den dunkel aufragenden Wald im Osten. Langsam löste sie das Degengehänge unter ihrem Mantel und streckte die Waffe ihres Vaters durch das Gitter. "Ihr habt die Worte Seiner Eminenz gelesen", sagte sie. "Ich bin Botin in seinem Namen, um seine Schwester heimzuführen."

"Wer wäre ich, mich mit der Reichskirche anzulegen?", fragte Morena, während ihre Gardisten die Waffen entgegen nahmen. "Für wie dumm haltet Ihr mich? – Führt sie zu den Gemächern!", befahl sie zwei Bewaffneten, nachdem man Richeza vom Pferd geholfen hatte. "Ehe wir speisen werden, sollt Ihr Euch selbst überzeugen, wie gut wir Eure Anverwandte behandelt haben, auf dass Ihr ihrem Bruder davon berichtet."

Richeza folgte den Wachen durch zugige Gänge und über fackelbeleuchtete Treppen, durch rot und golden verkleidete Säle hinauf zu einer marmornen Galerie des Palacios, in der Gemälde längst verstorbener Harmamunds zwischen Eichentüren hingen. Vor einer der Türen blieben die Gardisten stehen, es wurde aufgeschlossen, und einer der Soldaten hieß Richeza, einzutreten. Sie fasste sich ein Herz und öffnete die Tür zu einer dick mit Teppichen ausgelegten Kemenate. In einem Sessel vor dem Kamin, ihr den Rücken zukehrend, saß Belisetha da Vanya.

Als diese aufstand und Richeza einen Schritt auf sie zu machte, wurde die Tür in ihrem Rücken zugeschlagen. Der Schlüssel drehte sich im Schloss. Richeza war nicht überrascht. Sie hatte gewusst, worauf sie sich einließ, als sie Amando Laconda um das Schreiben gebeten hatte. Sie hatte sich wissend in seine Hände begeben, sich seinem Einfluss und der Gnade der Harmamunds unterworfen. Nun würde sie die Rolle spielen müssen, die sie sich auferlegt hatte. Auch wenn in ihrem Innern ein zorniges, hilfloses Mädchen tobte, das sich gegen die Türen werfen, das der Schlange Morena die Kehle aufschlitzen, das eher sterben wollte als wieder gefangen zu sein.

"Richeza!", rief die alte Junkerin, kam auf sie zu und nahm ihre Hände in ihre Rechte – die Linke hing bandagiert in einer Schlinge. "Ihr Götter, Kind, haben sie dich auch gefangen?"

"Nein", sagte die Edle und lächelte grimmig. "Ich bin hier im Namen Eures Bruders. Sie werden uns freilassen – oder mit uns untergehen."


4. Tsa, vormittags

Autor: von Scheffelstein

Das Gesicht der Frau wirkte müde, unter den dunklen Augen zeichneten sich violette Ringe ab, die Haut schien trotz des bronzenen Schimmers blass. Richeza streckte die Hand aus, strich über die lange Narbe an der linken Wange der Frau, weißlich und schmal geworden im Laufe der Jahre, kalt und glatt unter ihren Fingern.

"Du bist nicht die Kaiserin", flüsterte sie spöttisch. "Nur eine Zahori. Alt. Verwelkend. Nur eine Trophäe. Eine Hure." Einige Augenblicke lang starrte sie die Frau verächtlich an, dann schmetterte sie den Bronzespiegel gegen den Fensterrahmen. Statt, dass der Spiegel zersprang, hinterließ er eine Kerbe in dem dunklen Holz. Wütend hieb Richeza mit dem Spiegel gegen das steinerne Fenstersims, wieder und wieder, bis der Griff verbog, doch der Bronzeplatte konnte ihr Zorn nichts anhaben. Das wutverzerrte Gesicht der Frau hatte nichts Erhabenes, nichts Edles an sich. Nicht einmal etwas Schönes. Richezas Faust traf sie mitten auf die Nase, doch die Nase brach nicht, stattdessen platzte die Haut über ihren Knöcheln auf. Noch einmal schlug sie zu, ohnmächtig, hasserfüllt, bis ihr Blut das Gesicht der Frau benetzte.

Mit aller Kraft schleuderte Richeza den Spiegel zu Boden, die Ringe des Griffes brachen, Metallsplitter verteilten sich über den Boden. Richeza fuhr sich mit beiden Händen durch das zerzauste Haar, schloss die Augen und lehnte die Stirn gegen den Fensterrahmen, spürte dem Schmerz in ihrer Hand nach und der Winterluft, die durch den geöffneten Laden in den Erker wehte, angenehm kalt auf der erhitzten Haut.

"Amando Almadarich von Harmamund."

Richeza zuckte zusammen, als die Stimme ihrer Großtante direkt neben ihr erklang. Sie hatte die alte Frau auf den dicken Teppichen der Kemenate nicht nahen hören.

"Der Bruder unserer Gastgeberin." Belisetha da Vanya wies an Richeza vorbei auf den Burghof, wo Morena von Harmamund einen hageren, ergrauenden Mann in der schwarzen Robe eines Boronis zu einer Kutsche begleitete. "Und deiner Mutter Verlobter."

Richeza folgte den Harmamunds mit den Augen, ehe sie der alten Junkerin einen kritischen Blick zuwarf.

"Oh ja", sagte diese. "Es war bereits alles ausgemacht. Wir warteten nur, dass Amando das heiratsfähige Alter erreichte. Aber der Wille der Götter war ein anderer. Wie es weiterging, weißt du selbst."

Richeza begegnete Belisethas Blick, ohne mit der Wimper zu zucken.

"Richeza." Die Alte seufzte leise und nahm Richezas Hände zwischen ihre knotigen Finger, drückte sie. "Glaub nicht, dass du die Erste in dieser Familia bist, der dies geschieht."

"Was?", fragte Richeza herausfordernd. "Was geschieht?"

"Deine Mutter hätte Amando Almadarich geheiratet, nicht deinen Vater. Sie hatte Glück, dass dein Großvater sich so sehr für ihre Liebe einsetzte, denn Leonida wollte ihren Ungehorsam nicht dulden."

Richezas Gesicht verdüsterte sich noch weiter.

Belisetha zog sie mit sachtem Nachdruck zu den Sesseln am Kamin. Das Feuer war heruntergebrannt, nur eine Restglut glomm in der Asche. Bald würde es kalt werden.

"Es wird sich für alles ein Weg finden, mein Kind", sagte sie, als sie saßen, ohne Richezas Hände loszulassen. Die Edle schwieg. "Am Ende siegte Rahja."

"Und Rifada?" Richeza schnaubte. "Wurde sie auch von ... Rahja gesegnet?" Sie entzog Belisetha die Hände und verschränkte die Arme vor der Brust.

"Rifada", sagte Belisetha gedehnt, "hatte kein einfaches Leben, weiß Praios! Und doch ..." Sie lächelte. "Hat sie das getan, was am Besten war für ihren Sohn. Und hat nicht ihr Gemahl ihr eine wunderbare Tochter geschenkt, auf die sie mit Recht stolz ist?"

Richeza sah ihre Großtante schräg von der Seite an, forschte nach Falschheit im Lächeln der Alten, fand keine. Sie weiß es nicht, dachte sie und spürte bitteren Triumph, dass Rifada ihr anvertraut hatte, was sie dem Rest der Familie verschwiegen hatte.

"Aber vielleicht wirst du ja den Weg Rahjens beschreiten?", fragte Belisetha hoffnungsfroh.

Richeza stand auf, warf einige Scheite in den Kamin und kniete sich auf den Boden, um mit dem Blasebalg vorsichtig in die Asche zu pusten, bis ein zartes Flämmchen an dem Holz empor leckte.

"Wenn du dir Sorgen machst, eine Hochzeit nicht bezahlen zu können, nach den entbehrungsreichen Jahren und all dem Unglück, das Kornhammer widerfuhr und deinem Großvater: Sei nur unbesorgt du bist eine da Vanya, und wir werden für dich aufkommen."

Richeza warf der Alten einen scharfen Blick zu. "Warum kümmert Ihr Euch nicht einfach um Eure Angelegenheiten, Domna Belisetha?"

Die greise Junkerin lächelte nachsichtig. "Weil dies unser aller Angelegenheit ist, mein Kind. Du trägst den Namen deiner Mutter und damit Verantwortung für deine Familia. Und diese für dich. Und nun trägst du Verantwortung für dieses Kind, das, wenn es ehelich ist, nach Gujadanyas zukünftigen Kindern an zweiter Stelle der Erbfolge steht. Und deshalb wirst du heiraten."

Richeza erhob sich, den Blasebalg noch immer in der Rechten. "Was wollt Ihr eigentlich? Was wisst Ihr schon? Habt Euch irgendeinen Edelmann genommen, der Euch gefiel, einen Sohn geboren, der selbst keinen Erben hat, und nun wollt Ihr über mein Leben verfügen? Ich bin eine Scheffelstein. Meine Mutter hat den Namen meines Vaters angenommen. So sieht das aus!" Wütend drehte sie sich zum Kamin um und feuerte die Glut weiter an, so heftig, dass die Asche zu allen Seiten aufstob, sich auf den Teppich und ihr Kleid setzte. Es war ihr gleichgültig.

"Nicht ich habe Caldaios gewählt, sondern mein Bruder und Soberan für mich", sagte Belisetha sanft. "Und doch habe ich nie gegen die Pflicht aufbegehrt, denn ich bin in dem Wissen erzogen worden, Tochter einer Fürstin zu sein. Und für jene von hoher Geburt zählt zuvörderst das Reich, dann die Familia und nicht die Träumerei eines Mädchens."

Richeza schloss die Augen, atmete zornig aus, glaubte, die Worte der Alten nicht länger ertragen zu können. Verflucht, warum hatte sie Belisetha nicht einfach ihrem Schicksal überlassen?

Doch die greise Junkerin gab nicht auf, ließ sich ächzend neben Richeza auf dem Teppich nieder, gar nicht hochadlig, stützte sich mit der gesunden Hand auf dem Boden ab, und eine Weile sahen sie gemeinsam in die allmählich an Kraft gewinnenden Flammen.

"Natürlich kannst du das Kind weggeben", sagte Belisetha. "Es wird als Kind einer Magd aufwachsen, und niemand wird von deinem Unglück erfahren. Ich möchte wetten, Rifada hat dir irgend so etwas nahe gelegt, als du mit ihr sprachst. Aber willst du das wirklich?", fragte sie leise. "Es ist dein Kind! Du wirst nicht jünger, Richeza. Vielleicht wird es dein letztes Kind sein. Und willst du dann, wenn du alt und kinderlos bist, für immer dem Kind einer Magd nachtrauern? Wenn ich mir vorstelle, ich hätte Lucrann einfach fortgegeben ... Natürlich ist das nicht dasselbe, aber ... Auch Moritatio trug unseren Namen. Und er war ein guter Junge."

Richeza rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht, von unten nach oben und wieder zurück, verharrte mit den Händen über Mund und Nase und starrte ins Feuer. Für einen Moment war ihr, als spüre sie eine zarte Regung in ihrem Leib, knapp über dem Rahjenhügel, sacht, als streife sie eine Feder.


4. Tsa, mittags

Autor: SteveT

Rifada erwachte klamm und steif - ihre selbst im Halbschlaf wachsamen Sinne hatte sie ob irgendeines seltsamen Geräusches aufwachen und hochschrecken lassen. Es dauerte einen Moment, bis sie realisierte, dass es das Klappern ihrer eigenen Zähne war, die vor Kälte unkontrolliert aufeinander schlugen, welches sie geweckt hatte. Sie griff sich wütend mit beiden halb tauben Händen an die Wangen und hielt ihren Kiefer fest, bis das Klappern aufhörte. "Reiß dich zusammen, verweichlichte Kuh!", zischte sie sich selber böse zu. "Bist du auf deine alten Tage eine Rohalsjüngerin geworden, die schon diese leichte Frische nicht ertragen kann?"

An der gestern eingeschlagenen Tür hatten sich Eiskristalle gebildet. Das Pferd aus dem Kloster stand mit gespreiztem Fell neben ihr und glotzte sie mit großen Augen an. Was sollte sie hier noch lange faulenzen und die Burg beobachten? Sie rappelte sich hoch, ignorierte das Knurren ihres Magens und klopfte sich Dreck, Stroh und Schneeflocken von der kurzärmeligen Gewandung. Dann führte sie das Pferd ins Freie und saß auf. Sie ritt langsam aus dem Kiefernhain, auf die freien verschneiten Felder hinaus, die die erkertürmige Burg der Harmamunds ringsum umgaben. Zumindest schien es heute ein schöner Tag zu werden, der Himmel war weitestgehend klar und blassblau, die Sonne schien zu scheinen, wenngleich sie im Osten natürlich noch nicht über die hohen Bergreihen des Raschtulswalls hinaufgestiegen war.

Rifada hielt ihr langes Schwert in der Hand, was man ruhig auch von der Burg aus schon erkennen können sollte. Sie kam schließlich, um ihre Verwandten zu holen - und wenn die Harmamunds sie nicht freimütig herausgaben, würde sie schon in wenigen Tagen an der Spitze eines Heerhaufens wieder hier stehen, gebildet aus allen Hörigen, Vasallen, Getreuen und Freunden des Hauses da Vanya, die sie in der Kürze der Zeit zusammentrommeln konnte.

Die Gefangennahme von Richeza und erst recht die ihrer alten Muhme, die keiner Fliege mehr etwas zuleide tat, bedeutete Blutfehde mit allen Konsequenzen! Der jungen Harmamund schien nicht klar zu sein, dass sie damit möglicherweise ganz Ragatien und Bosquirien in einen blutigen und vielleicht jahrelangen Bürgerkrieg führte...

Die Vanyadâlerin hielt ihr Ross vielleicht 100 Schritt vor dem Tor der Feste an - weit genug, um aus der Reichweite von Bogenschützen zu bleiben -, legte den Kopf in den Nacken und brüllte so laut "MO-RE-NAAAA!", dass ihre Adern am Hals dick hervorquollen. Auf dem Torturm der Burg erschienen die behelmten Köpfe zweier Wachen - offenbar aber nicht, der von Morena selbst, weshalb Rifada noch einmal in ohrenbetäubender Lautstärke nach ihr schrie: "MO-RE-NAAAAAAA?!"


Autor: von Scheffelstein

"Ist sie allein?"

"Ja, Herrin", antwortete der Soldat.

Morena Solivai von Harmamund lächelte böse. "Diese Närrin!" Sie strich sich über die Wange und wandte sich an ihren Leibgardisten Berengar di Cornimo. "Holt die kleine Scheffelstein - in Ketten! Und auf mein Zeichen hin schickt zwölf Bewaffnete hinaus zu der Vanyadâlerin. Ich habe ihr einen Tausch vorzuschlagen … Mal sehen, welches Leben ihr teurer ist, das ihre oder das dieser kleinen Wüterin."

Kurz darauf stand Morena von Harmamund auf dem Torturm und blickte hinab auf die verschneite Ebene vor der Burg, auf die Soldaten, die gut gerüstet hinaus zur Vanyadâlerin ritten, um sie gefangen zu nehmen. Natürlich würde sie sich nicht kampflos ergeben. Aber vielleicht half ihre kleine List ja.

"Hinauf mit ihr!", rief sie, und zwei Soldatinnen zerrten die barfüßige, nur mit ihrem Samtkleid bekleidete Richeza von Scheffelstein y da Vanya die Treppe auf den Wehrgang herauf und hoben sie auf die Zinnen.

"Hört auf zu zappeln!", knurrte eine der Soldatinnen, als sie der Gefangenen den Sack vom Kopf zerrte. Dieser entwich ein erschrockenes Keuchen, ob der jäh vor ihr abfallenden Mauer und sie verharrte stocksteif.

"Was habt ihr vor, ihr Schweine?", stieß sie hervor. "Harmamund, wenn Ihr mich hier runterstoßt, werdet Ihr in den Höllen erfrieren! Habt Ihr die Worte des Großinquisitors vergessen?"

"Keineswegs", lächelte Morena. "Er dankte für die Beherbergung seiner Schwester und bat darum, sie nach Quazzano bringen zu lassen. Sie. Von Euch war nicht die Rede und auch nicht von der alten Vettel dort. Vor allem nicht von der."

"Lasst uns gehen!", rief Richeza. "Was soll dieser Irrsinn?"

"Vielleicht lasse ich Euch gehen", hob Morena freimütig die Hände. "Domna Belisetha wird uns noch ein Weilchen als Gast erhalten bleiben. Undenkbar, eine alte Dame bei dem Wetter vor die Tür zu schicken, zumal, wenn sie verletzt ist. Das könnten wir gegenüber ihrem Bruder und Soberan nicht verantworten."

"Dann lasst mich endlich frei, verflucht!"

"Gewiss." Morenas Lächeln wurde noch ein wenig breiter. "Ihr seid bereits so gut wie frei. Doch auf welchem Wege Ihr in die Freiheit gelangt, ist nicht an mir zu entscheiden, sondern allein an Eurer Tante."


Autor:SteveT

"HALT!", rief Rifada dem näherkommenden Harmamunder Geschmeiß entgegen und ließ ihr Pferd auf engstem Raum hin- und her tänzeln. Sie hob ihr gezogenes Bastardschwert hoch in die Luft, sodass es jeder der Reiter erkennen konnte.

"Der Erste, der noch einen einzigen Schritt näherkommt, kann hernach seinen Schädel im Schnee suchen!", drohte sie ihnen. Ehe sie sich wieder - noch lauter - an deren Herrin oben auf den Zinnen der Burg wandte:

"MORENA! GEBT MEINE MUHME UND NICHTE HERAUS, ODER ES WIRD EINE BLUTFEHDE GEBEN, DIE DAS GANZE LAND VERHEERT! UND EURE LÄNDEREIEN WERDEN DIE ERSTEN SEIN - DAS GARANTIERE ICH EUCH!"

Sie ging in Gedanken bereits die Edlen und Caballeros Ragatiens und des Bosquirtals durch, die sie im Fehdenfall um Waffenhilfe gegen die Harmamunds bitten konnte, denn es war ihr vollkommen ernst mit ihrer Drohung. Dieser Schritt war schon seit langem überfällig und hätte besser schon von ihrer Mutter oder sogar von noch früheren Ahnen vollzogen werden sollen. Jetzt, wo es einer dieser Hunderasse zum Fürst gebracht hatte, machten sich viele normalerweise treue Verbündete und Parteigänger sicher vor dessen Wort in die Hose - aber Gwain war ein verstockter alter Mann, dessen militärische Fähigkeiten bei weitem überschätzt wurden. Wenn diese perfide Infamie seiner eigenen Nichte noch sein Wohlwollen fand und von ihm gedeckt wurde, so war er damit sicher kein Fürst mehr, dem irgendjemand Respekt und Gehorsam schuldete - da wogen Generationen alte Schwurbündnisse weitaus schwerer.


Autor: von Scheffelstein

"Legt die Waffe nieder und steigt ab!", befahl die Gardecapitana der schreienden Junkerin. "Wenn Ihr uns ohne Widerstand folgt, wird der Gefangenen nichts geschehen. Andernfalls ..." Sie zuckte bedauernd mit den Achseln und wies mit dem behandschuhten Daumen über die Schulter. Die berittenen Soldaten begannen im Abstand von einigen Pferdelängen den Kreis um die Vanyadâlerin zu schließen. "Gegen ein Dutzend könnt Ihr nichts ausrichten, wir werden Euch ohnehin gefangen nehmen. Es ist allein an Euch, ein sinnloses Blutvergießen zu vermeiden."

"Wie kann sie es wagen?", knirschte Morena von Harmamund derweil auf der Mauer mit den Zähnen. "Denkt sie, ich meine es nicht ernst?" Die Lippen wütend zusammengepresst, griff sie nach einem am Boden liegenden, eisverkrusteten Seil und knüpfte eigenhändig eine laufende Schlinge hinein, die sie Richeza grob über den Kopf streifte. Sie winkte die Gardistinnen heran und brüllte, die Schlinge noch immer festhaltend, zur Vanyadâlerin hinab: "EURE NICHTE IST FREI, SOBALD IHR IM KERKER SITZT! UND IHR BEEILT EUCH BESSER!"

Damit wand sie das Tau dreimal um eine Zinne, drückte einer der Gardistinnen die nicht ganz dicht geholte Bucht am Ende des Knotens in die Hand und hieß die andere, das Tau an der Zinne zu verknoten. Ein Blick auf die Vanyadâlerin zeigte ihr, dass diese noch immer nicht die Waffe gestreckt hatte. "Wie Ihr wollt", zischte sie böse und versetzte der erschrocken aufschreienden Richeza einen Stoß in den Rücken.

Diese rutschte über die Zinne, scharrte mit Rücken und Händen über die gefrorene Mauer, wurde jäh am Kinn zurückgerissen und schlug mit dem Hinterkopf gegen den Stein, als die Schlinge sich um ihren Hals zuzog – wenn auch nicht ganz, da die Gardistin noch immer beide Hände in der hinteren Bucht des Knotens hatte. Nichtsdestotrotz würgte das Seil die Edle, deren ganzes Gewicht den Strick in ihr Kinn drückte. Richeza wagte nicht, sich zu bewegen: Wenn die Schlinge sich zuzöge, würde sie ersticken, täte sie es nicht und fiele sie einfach aus ihr heraus, stürzte sie etliche Schritt in die Tiefe. Tränenblind starrte die Edle in den eisgrauen Himmel, betete zu den Göttern und verfluchte diese zugleich, sie wieder einmal zu einem Spielball bösen Willens gemacht zu haben.

"Wenn Blut fließt, lass das Miststück los!", hörte sie die Harmamund sagen. Mit dem zurückgestreckten Kopf konnte Richeza die Frauen auf der Mauer nicht sehen und auch ihre Tante und die Soldaten nicht. Nur die Wolken, grau und schwer und die Krähen, die unheilvoll krächzend über den Himmel schwärmten.


Autor: SteveT

Mit zusammengekniffenen Augen registrierte Rifada, dass die Harmamund-Schergen ihrer Aufforderung stehenzubleiben nicht nachkamen. Sie wartete deshalb gar nicht erst ab, dass sie von diesen umzingelt würde, sondern zog ihr Pferd schon vorher in die Richtung herum, aus der sie gekommen war und ließ es antraben - erst langsam, dann immer schneller. Der Anblick der sich ihr bot, als sie über die Schulter zurücksah - einerseits um zu sehen, ob sie die zwölf Reiter verfolgten, andererseits um einen letzten Blick auf die Zinnen der Burg zu werfen - ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Die zwölfmal verfluchte junge Harmamund hatte dort eine gefesselte Person auf den Torturm bringen lassen. Wenn sie ihre alten Augen auf diese Entfernung nicht trogen, dann war es Richeza - und eben diese Gefangene wurde nun mit einem Strick um den Hals vom Torturm gestürzt! Das war infamer, unwürdiger, niederträchtiger Mord! Keine Magnatin durfte auf diese Art und Weise ums Leben gebracht werden! Jetzt war die Blutsfeindschaft und die Fehde bis zur siebten Generation unvermeidlich! Die ganze Grafschaft musste von dieser grausamen Mordtat erfahren, die jede Frau und jeden Mann mit einem Funken Ehre im Leib auf ihrer Seite gegen die ehrvergessene Morena würde kämpfen lassen! Auch wenn ihre kochende Wut ihr riet, auf der Stelle kehrtzumachen und zwei, drei oder vieren der Harmamund-Bastarde den Schädel einzuschlagen, ehe diese sie selbst niedermachten, durfte sie doch genau das nicht tun, denn sonst würde diese Mordtat noch unentdeckt bleiben, von der die Magnatenschaft, aber auch das gemeine Volk landauf landab erfahren musste.

"Heya! Lauf zu!", peitschte sie ihr Pferd an und lenkte es an dem kleinen Wäldchen vorbei, in dem sie genächtigt hatte. Sie würde sich südwestwärts halten - in Richtung Burg Ragathsquell, denn der alten Trunkenbold Talfan war der Erste, dem sie davon berichten musste und der ihr wichtigster Verbündeter in dieser Blutfehde werden musste. Zwar besaßen auch die Ragathsqueller verwandtschaftliche Bindungen zu der Harmamunds (wie fast jedes andere Haus hier im weißen Ragatien auch) - aber die Blutlinien zu ihrer eigenen Familia waren doch enger und häufiger, und die Ragathsquells waren hier vor Ort stets die größten Konkurrenten und Antagonistas der Stierfürstin Aldea und ihrer Brut gewesen. Dass sich diese selbst ebenfalls für das rechtmäßige Fürstengeschlecht Almadas und als die Grafen von Ragath ansahen, verkomplizierte die Sache zwar noch - aber diese Ansprüche konnte man klären, wenn die Harmamunds niedergeworfen und gestraft worden waren!

Rifada blickte sich über die Schulter um, ob ihr die Harmamunder Soldateska folgte. Offenbar hatten diese bei ihrer Flucht erst kurz beratschlagt, denn es waren nun nicht mehr zwölf, sondern nur noch sechs, die sie verfolgten - die andere Hälfte kehrte zum Castillo zurück. Wahrscheinlich wollten sie dieses nicht ungedeckt lassen, womit sie im Angesicht der jetzt kommenden Fehdentage und -wochen auch gut beraten waren.


Autor: von Scheffelstein

"Du alte Vanyadâler Ferkinakken-Buhle!", zischte Morena von Harmamund mit geballter Faust. Ihr lodernder Blick begegnete der der Gardistin, welche die Gefangene am Strick hielt, doch ehe sie einen von Hass geleiteten Befehl geben konnte, spürte sie Berenger di Cornimos Handschuh auf ihrer Schulter, und der alte Haudegen, der sich bislang schweigend im Hintergrund gehalten hatte, drängte sich zwischen sie und die Bewaffnete.

"Nicht!", rief er der Gardistin zu, ehe er Morena mit einem beschwörenden Blick bedachte. "Zieht sie hoch!", sagte er eindringlich, und erst, als Morena mit zornbebenden Lippen der Soldatin zunickte und diese mit ihrer Kameradin die Scheffelsteinerin grob über die Zinnen zurückzerrten, ließ der Condottiere Morena los.

Berenger di Cornimo atmete hörbar aus und nickte seinerseits. "Auf diese Weise werdet Ihr der Vanyadâlerin nicht beikommen", sagte er leise, an die Burgherrin gewandt. "Lasst Euch nicht zu einer unbedachten Tat hinreißen! Wartet wenigstens ab, bis Ihr eine Antwort auf Euer Schreiben an den Fürsten erhalten habt. Lasst ihn entscheiden! Bedenkt: Jede Eurer Taten wird auch in Punin Kreise ziehen, und die Feinde Eures Oheims warten nur darauf, ihm den Dolch in den Rücken zu rammen. Bedenkt doch: In wenigen Wochen wird die Kaiserin in Ragath Hof halten. Wenn …"

"Belehrt mich nicht!", erwiderte Morena Solivai von Harmamund ärgerlich, dann trat sie zu der hustenden und sich am Boden krümmenden Richeza von scheffelstein y da Vanya.

"So also liebt Euch Euer eigen' Blut!", sagte sie verächtlich. "Geflohen ist sie, Eure teure Tante, geflohen, statt für ihre Taten einzustehen. Wenn das kein Zeichen ist für ihre Schuld. Denn wäre sie unschuldig an dem frevlerischen Brand, was hätte sie zu befürchten gehabt?"

Mit gerunzelter Stirn betrachtete sie die Frau zu ihren Füßen. Weit war es nicht her mit dem Stolz der viel gerühmten Ragatischen Furie, die da barfüßig auf dem vereisten Stein lag und keuchend und zitternd Tränen vergoss, die gewiss nichts mit den roten Malen und Wunden an ihrem Hals zu tun hatten.

"Sperrt sie wieder ein!", befahl sie den Gardistinnen. "Aber haltet sie vorerst getrennt von der Alten. Mit der will ich selbst erst sprechen." Sie folgte den Soldatinnen mit den Augen, die die Gefangene zwischen sich nahmen und die Treppe hinunter schleiften. Morenas Wut verebbte nur langsam. Am liebsten hätte sie der Scheffelsteinerin und der alten Domna Belisetha die Haut in Streifen peitschen lassen, ras'ragh-gefällig, obwohl ihr Hass nicht diesen galt, sondern der Geflohenen. Doch di Cornimo hatte Recht. Sie war ein Mitglied des Fürstenhauses. Sie musste sich als Politikerin erweisen. Kalt, berechnend. Immer wieder musste sie an das Gespräch mit der Paligan in der Yaquirbühne denken. An deren Andeutungen. Die Schwarze Witwe wusste mehr über sie und ihre Familie, als Morena selbst. Das war nicht gut. Sie würde aus Domna Belisetha herausquetschen, was es zu wissen gab. Subtil. Freundlich. Ja, sie würde darüber hinaus an ihrem Ruf feilen müssen. Den Zorn bändigen. Sich als Wohltäterin, als Mutter des Volkes präsentieren. Sollte die Vanyadâlerin sich an ihrer Burg doch den hässlichen Schädel einrennen, Morena würde man nichts nachweisen, was nicht ehrbar war. Im Gegenteil: Bald schon würde man ihren Namen preisen und sie als würdige Erbin des Fürsten handeln, und während ihr Stern steigen würde, würde der des Hauses da Vanya endgültig erlöschen. Sie lächelte versonnen, ließ Berengar di Cornimo stehen und schritt wortlos die Stufen des Torturmes hinab.