Chronik.Ereignis1036 Besuch im Vanyadâl 26
Königlich Khahirios, 7. Tsa 1036 BF
Khahirios, nachmittags und am späten Abend
Autor:SteveT
Der leichte neuerliche Schneefall, der heute den ganzen Tag lang unaufhörlich vom weißgrauen Himmelszelt herab gerieselt war, hatte die unüberblickbaren Hügelreihen Caldaias in eine weiße Einöde verwandelt, deren Anfang und Ende von keinem Punkt auszumachen war. Dumpf knirschend hallte der Hufschlag der Reittiere - zweier Schlachtrösser und eines Maultieres - von dem tiefen und weichen Untergrund wieder, in dem sie an manchen Stellen bis zu den Fesseln einsanken. Die Tristeza hatte es in sich in diesem Jahr, und Rifada da Vanya war schon seit sicher fünfundzwanzig Götterläufen nicht mehr so weit nördlich gekommen wie am heutigen Tage. Die bewaldeten Hügelkuppen dort am Horizont lagen schon in Garetien und damit in Haferyaquirien - kein Mensch mit Verstand reiste normalerweise aus freien Stücken so weit nördlich.
"Seid Ihr Euch sicher, dass wir noch auf dem richtigen Weg sind?", fragte sie den alten Caballero aus Kornhammer, den ihr ihr Schwagervater Hesindian als Geleitschutz mitgegeben hatte. Er konnte nicht allzu viel jünger als Hesindian selbst sein - vielleicht war er früher dessen Escudero gewesen oder ähnliches.
Außer diesem begleitete sie noch ein gemeiner Waffenknecht auf einem Muli, der aber ausgesprochen verschlossen oder maulfaul war und nur einen Laut von sich gab, wenn sie ihn direkt ansprach. Mehr Begleitung hatte sie vom Scheffelsteiner Cronvogt gar nicht haben wollen, da sie gut auf sich alleine aufpassen konnte und er in Zeiten wie diesen besser seine Bewaffneten beisammen halten sollte.
"Um ehrlich zu sein: Alle Hügel sehen ziemlich gleich aus in diesem Land!", zuckte der Caballero etwas ratlos mit den Schultern. "Als ich einmal mit Domna Richeza hier langgekommen bin, war es Frühjahr und alles war satt grün." Er seufzte. "Ach - Domna Richeza! Ich kenne sie schon, seit sie ein kleines Mädchen war - ich kann nicht verwinden, was Ihr mir vorhin berichtet habt ... Sie wird also auf Burg Harmamund gefangen gehalten, und wir reiten in die falsche Richtung - gen Firun und nicht gen Praios! Anstatt sie dort herauszuhauen und notfalls Harmamund zu belagern, bis man sie freigibt, plagen wir uns mitten im Winter durch die Almadanische Pforte."
"Ich weiß schon, was ich tue!", raunzte Rifada patzig zurück. "Wenn es Krieg gibt, wenn wir Fehde führen gegen Praiosmin von Elenta und die Harmamund-Sippe, dann brauchen wir so viele und gute Schwerter, wie wir nur beisammen kriegen können! Und Richeza selbst hält große Stücke auf den Herrn dieses Landes und hat immer nur löblich von ihm gesprochen. Wenn dieser Boraccio D'Altea und seine 'Sturmfalken' nur ein bißchen nach Olenga der Klinge kommen, die ich früher kannte und schätzte, dann können sie wichtige Verbündete für uns werden!"
"Da! Seht nur!", deutete der alte Caballero in Richtung Nordosten, wo das weiße Wogenmeer der ihrerseits schon 200 bis 300 Schritt hohen Caldaier Hügel von einem schroffen, drei oder viermal so hohen Berg überragt wurde, dessen Gestein im fahlen Abendlicht bedrohlich dunkel wirkte. "Der Schwarze Berg - das ist Khahirios, ich erkenne ihn wieder!"
Rifadas Blick folgte seinem Fingerzeig. Tatsächlich schien am oberen Berghang eine kleine Ansiedlung und oben auf dem Gipfel ein Castillo zu thronen, die zwischenzeitlich immer wieder von den tieffliegenden Schwaden der grauen Schneewolken verborgen wurden.
Die Mär von Landgraf Badajoz dem Kahlen kam ihr sofort in den Sinn, der auf diesem Berg die Caldaier zum Widerstand gegen ihre eigene Vorfahrin, Escalada die Eiserne, eingeschworen hatte. So wie die caldaischen Hochländer damals das besser ausgerüstete und in der Kopfzahl überlegene ragatische Heer besiegt hatten, konnte auch ihre Parteiung obsiegen, wenn sie die Fehde nur gut genug vorbereitete!
"Auf! Versuchen wir es noch im letzten Licht des Tages dort hinauf zu schaffen, dass wir die Nacht auf der Burg und nicht wieder in einem Hain verbringen. Wenn Ihr mit meiner Nichte Richeza bereits einmal dort gewesen seid - umso besser! Ich bin mir sicher, dass uns der Cronvogt zumindest seine Gastfreundschaft gewähren wird. Alles andere wird man sehen! Ich kann Euch versichern, dass wir danach umgehend mit Richezas Befreiung beginnen werden."
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