Chronik.Ereignis1033 Feldzug Ferkinalager 12

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Im Raschtulswall, 28. Praios 1033 BF

Auf dem Djer Kalkarif


Autor: von Scheffelstein

28. Praios, mittags

Richeza fluchte leise. Die Naht an ihrem rechten Stiefel war aufgegangen, und nun schlappte die Sohle bei jedem Schritt, und es war nur eine Frage der Zeit, bis es sie beim Gehen behindern würde.

Zu allem Überfluss hatte es angefangen zu regnen. Immerhin würden sie so nicht verdursten. Was das Verhungern anging, hatte die Ferkina am Morgen mit zwei Kaninchen vorgesorgt, die sie gefangen und über dem Feuer gebraten hatte. Das Feuer war so eine weitere Sache: Als Domnatella Romina sie in der Nacht geweckt hatte, war das Feuer aus gewesen. Richeza hatte sich daran gemacht, es erneut zu entzünden, doch die Grafentochter hatte zornig auf sie eingeredet, dass sie den Ferkinas nicht gerade entkommen sei, um ihnen gleich wieder in die Hände zu fallen. Richeza hatte sie gefragt, ob ihr die Fänge wilder Tiere lieber wären oder vielleicht auch der Kältetod? Eine Weile hatten sie gestritten, dann hatte Richeza nachgegeben. Sollte das Comtesschen doch sehen, wie heimelig eine Nacht auf dem nackten Fels war!

Tatsächlich war es eine kalte Nacht gewesen. Nicht so tödlich wie die auf dem Djer Kalkarif vor Tagen, aber dennoch empfindlich kalt. Als die Grafentochter am Morgen zweimal geniest hatte, hatte Richeza sich ein verächtliches Grinsen nicht verkneifen können. Dann war die Ferkina zurückgekehrt mit den Karnickeln, und Richeza hatte wortlos ein Feuer gemacht, damit sie die Tiere braten konnten.

Nach dem Essen waren sie aufgebrochen. Auf den Berg, Richtung Osten. Aus Moritatios Botschaft waren sie nicht weiter klug geworden. Vielleicht auch, weil sie die Mahlzeit in eisigem Schweigen verbracht und nicht weiter über ihre Ziele gesprochen hatten. Selbst die Ferkina war ungewöhnlich still, schien es aufgegeben zu haben, die Comtessa zum Umkehren bewegen zu wollen. Irgendwann schien sie sich der Grafentochter vorgestellt zu haben, jedenfalls nannte diese sie Golshan, und die Ferkina hörte darauf.

Der Wind war kalt, und der Regen verwandelte den staubigen Weg in ein schlammiges Bächlein. Kleine Rinnsale teilten den Weg, immer wieder rutschten sie auf den nassen Steinen aus. Richeza wusste nicht, ob sie auf der richtigen Fährte waren. Die ganze Suche erschien ihr zunehmend aussichtslos, und das verschlechterte ihre Laune noch mehr.

Als es Mittag wurde, hielten sie Rast unter einem Felsvorsprung. Die Ferkina – Golshan! – fing eine Schlange, häutete sie und verspeiste das Fleisch roh. Sie bot auch ihren Begleiterinnen davon an, aber Richeza verzichtete mit angewidertem Blick.

Eben erst hatten sie ihren Weg fortgesetzt, als Richeza die anderen aufgrund einer plötzlichen Ahnung innehalten ließ. Sie lauschten in den Regen, der zugenommen hatte, konnten aber nichts hören. Richeza hieß die anderen mit einer Geste zu warten und kletterte bis zur Wegbiegung voran. Vorsichtig spähte sie um den Felsen – und prallte zurück. Vor ihr öffnete sich der Blick über einen steilen Hang in die Tiefe, und dort unten gingen Ferkinas. Viele Ferkinas. Sie nahm sich keine Zeit, sie zu zählen, sondern schlitterte den Weg hinunter zu den anderen zurück. Im Flüsterton berichtete sie der Comtessa. Das Wort 'Ferkina' verstand sogar Golshan.

Ehe Richeza sie zu fassen bekam, eilte die Ferkina den Weg hinauf, warf sich zu Boden und blickte selbst hinunter zu ihren Stammesgenossen. Kurz darauf kehrte sie zurück, angespannt fasste sie Domnatella Romina bei der Hand und zerrte sie wortlos zwischen die Felsen am Wegrand. Richeza folgte ihnen lautlos fluchend, und gemeinsam kletterten sie zwischen den Steinblöcken höher. Golshan zwängte sich in eine Spalte unter einem riesigen Felsklotz, die anderen beiden folgten ihr. Dicht an dicht lagen sie im Halbdunkel, nass, verschwitzt und zugleich frierend starrten sie hinaus in den Regen.


Autor: Romina Alba

Romina hatte sich nach dem Streit mit Richeza, die wieder Feuer machen wollte, eng an die Ferkina gedrückt, ja, sie wollte eher den Kältetod sterben, als wieder in die Hände der Ferkinas zu fallen. Beinah hätte sie das dieser Scheffelsteinerin gesagt. Was man über sie sagte, war wahr: Sie war arrogant, unausstehlich und stur. Aber stur konnte sie auch sein.

So hatte man gefroren, Richeza bestimmt noch mehr als die anderen beiden Frauen, die sich aneinandergekuschelt hatten. Die Ferkina war Romina ein bisschen ans Herz gewachsen, auch, weil sich ihre Füsse heute bedeutend besser anfühlten. Sie hatte herausgefunden, dass die Wilde Golshan hieß und begann, ihr das eine oder andere Wort in Garethi beizubringen, wann immer man Gelegenheit dazu hatte.

Der Regen war unangenehm, aber sie fühlte sich sicherer, bei Regen fand man keine Spuren und man sah auch nicht so weit. Und wegen der Kälte musste man einfach in Bewegung bleiben. Dann war Richeza plötzlich stehengeblieben, hatte Ferkinas entdeckt. Romina fühlte, wie die Angst sie erstarren ließ, als Golshan sie auch schon zwischen die Felsen zerrte. Sie kauerten sich zusammen in eine enge Spalte. Romina drückte die freie Faust in den Mund und versuchte krampfhaft, ihrer Furcht Herr zu werden. Sie wusste, zuviel Angst würde sie wehrlos machen. Sie verdrängte die Bilder von dem narbenübersäten, nackten Mann, der sich über sie beugte und biss sich selbst in die Hand. Die Angst wich dem Schmerz und dem folgte die Wut über ihre Hilflosigkeit. Sie mussten sich verstecken wie Tiere. Sie schaute zu Richeza, die alle Sinne nach draussen gerichtet hatte. Leise begann sie zu beten. Laut Richeza waren es viel zu viele Ferkinas, um auch nur an einen Kampf zu denken. Phex, Herr der Verstohlenheit, lass die Ungläubigen nicht sehen, nicht riechen und nicht hören, führe sie weit weg von hier, mach uns den Weg frei.

Wie Richeza richtete sie ihre Aufmerksamkeit nach draussen. Die Zeit schien zu kriechen, der Regen rauschte, und mit jedem Atemzug drang den Frauen mehr Kälte und Feuchtigkeit in die Knochen.


28. Praios, früher Nachmittag

Autor: von Scheffelstein

Die Ferkinas waren überall. Richeza hörte ihre Rufe, und ab und an sah sie einen der Krieger auf dem kleinen Stück des Weges, den sie von ihrem Versteck aus einsehen konnten. Es war unverkennbar, dass die Wilden nicht zufällig in so großer Zahl hier waren. Sie suchten sie! Und es war gewiss ebenfalls kein Zufall, dass sie sich so lange an dieser Stelle aufhielten. Sie mussten sie gesehen oder gehört oder wenigstens einen Fußabdruck oder einen verlorenen Gegenstand entdeckt haben.

Richeza warf einen Seitenblick auf die Comtessa, die mit angstgeweiteten Augen in den Regen starrte und deren Lippen sich lautlos bewegten. Golshan hatte ihre Finger fest um die der Domnatella geschlossen und schüttelte sacht den Kopf, woraufhin die Comtessa diese ansah. Doch die Ferkina beachtete sie nicht, starrte nach draußen in den Regen. Plötzlich griff sie mit der freien Hand nach dem Kopf der Domnatella und drückte ihn zu Boden, presste sich selbst tiefer in die Spalte.

Auch Richeza zuckte vom Eingang des Verstecks zurück, legte den Kopf flach auf die Steine. Ein Ferkina kam auf sie zu, keine zwei Armlängen entfernt, kletterte er zwischen den Felsen. Sie hörte seine Schritte, seinen keuchenden Atem. Ein zweiter folgte ihm, ein dritter kam vom Weg herauf. Vorsichtig tastete die Edle nach dem Dolch im Stiefel. Wie viele würde sie mitnehmen können? Einen? Wenn sie schnell war zwei? Und wie viele mochten noch dort unten sein? Ein Dutzend? Zwei Dutzend? Mehr? Nein, es blieb kein Zweifel: Wenn man sie entdeckte, waren sie verloren.

Richeza fasste den Dolch fester und zog ihn höher, bis an die Brust. Ihr Blick begegnete dem der jungen Wilden, die noch immer den Kopf der Comtessa zu Boden drückte. Die Ferkina würde die Grafentochter nicht beschützen können. Was auch immer die beiden Frauen vorhatten, ob sie sich ihrem Schicksal fügen oder sich wehren würden: Richezas Weg würde hier enden. Nachdem sie ihren Entschluss gefasst hatte, verspürte sie eine seltsame Ruhe. Die Klinge in ihrer Hand verlieh ihr Macht. Macht über ihr eigenes Leben. Ruhig lag die Edle da und lächelte der Wilden zu, während draußen die Schritte und Rufe sich verteilten, zurückkehrten, sich wieder entfernten und schließlich leiser wurden.

Der Regen prasselte auf die Steine vor ihrem Versteck, und das Wasser lief an ihnen vorbei und tränkte ihre Kleider. Wenn sie die Ferkinas nicht bald fanden, würden sie absaufen, dachte Richeza belustigt. Schließlich ließ der Regen nach. Glucksend plätscherte das Wasser an der Höhle vorbei. Die Sonne brach hervor und färbte die Felsen in hellem Gelb und Schattenblau. Golshan hatte den Arm um die Grafentochter gelegt und sie an sich gedrückt. Merkwürdig, wenn sie die beiden jungen Frauen so sah, zwischen denen sich, so ungleich sie waren, während der letzten Tage so etwas wie eine Freundschaft entwickelt hatte, dann konnte sie fast glauben, dass Ferkinas Menschen waren, die ebenso fühlten, dachten und handelten wie sie.

Ein Ruf, ein Aufschrei und kurzes Waffenklirren rissen Richeza aus ihren Gedanken. Als sie den Kopf hob und aus dem Versteck spähte, sah sie gerade noch einen jungen Ferkina röchelnd auf den Weg stürzen, ehe der Hieb eines mächtigen Sichelschwerts ihm den Kopf vom Rumpf trennte. Die Stille, die daraufhin eintrat, schien von den Felsen widerzuhallen, sogar das Murmeln des Wassers erschien Richeza plötzlich leiser.

Auf dem Weg stand eine Frau in Lederrüstung. Blut lief von der Klinge in ihrer Hand über ihren sehnigen Arm. Über ihrer linken Schulter hing ein Kind. Richeza stockte der Atem: Praiodor!

Sie wusste nicht, ob sie einen Laut von sich gegeben hatte oder ob es der Stein war, der sich weiter oben aus der Felswand löste und mit leisem Klickern an der Spalte vorbeisprang, der die Aufmerksamkeit der Frau geweckt hatte. Langsam, wie eine Löwin auf der Jagd, drehte sie sich um, und für einen Moment war es Richeza, als streife ihr Blick das Versteck, in dem die drei Frauen lagen. Doch dann wanderten ihre Augen höher, suchten die Felsen ab. Sie hatte sie nicht gesehen.

Doch was Richeza sah, ließ ihr Herz rasen und ihre Hände feucht werden. Die kalte Gelassenheit der letzten Stunden war dahin. Praiodor! Kein Zweifel, das war der Junge! Der kleine Sohn ihres geliebten Onkels! Wie konnte das sein? Er, allein, hier auf dem Djer Kalkarif? Die Frau aber, und das war es, was Richeza am meisten beunruhigte: Die Frau sah aus wie ihre Tante. Nein: Wie jemand, der sich als Rifada da Vanya verkleidet hatte. Und das ziemlich schlecht. Nur zu deutlich klangen Richeza die Worte der Junkerin noch in den Ohren. Sie, Richeza, sei von altfürstlichem und gräflichem Blute. Sie dürfe nicht herumlaufen wie eine Brigantin! Niemals würde ihre Tante sich also in einem derart schäbigen Lederharnisch blicken lassen, in vor Dreck starrenden, zerlumpten Kleidern, mit wild zerzaustem Haar und einer Waffe, die alles andere als passend für eine Kriegerin aus altfürstlichem Hause war! Außerdem, dachte Richeza und schluckte, war ihre Tante vermutlich tot. Zumindest aber läge sie wohl in ihrem eigenen Kerker gefangen oder inzwischen auf Burg Albacim im tiefsten Hungerloch.

Ihr Traum von vor einigen Nächten fiel Richeza wieder ein, als sie glaubte, von ihrer Tante vor den Ferkinas errettet zu werden. Doch in Wahrheit war es der Bastard der Elenterin gewesen, der sich als ihre Tante ausgegeben hatte, und als sie erwacht war, war sie erneut den Barbaren in die Hände geraten. War es eine Warnung gewesen? War das da unten der verfluchte Hurensohn des Schrotensteiners? Wusste er, wo sie sich versteckt hielten? Hatte sein Blick sie nicht zufällig gestreift? Wollte er sie mit Praiodor locken? Verhöhnte er sie? War das vielleicht gar nicht der Junge, sondern ebenso ein Trugbild wie die Frau, als die der Schandkerl sich ausgab?

Richezas Gedanken kreischten in ihrem Kopf wie aufgeschreckte Vögel. Unfähig, sich zu rühren, starrte sie zu der Frau hinab, die sich um die eigene Achse drehte und misstrauisch die Umgebung absuchte. War das alles nur ein Spiel? Eine Falle?

Und was war mit dem Ferkina, der geduckt an ihr vorüberschlich, so leise wie ein Berglöwe auf der Pirsch, den Speer in seiner Schleuder eingehakt, bereit, die tödliche Waffe auf die Frau niederfahren zu lassen, der einen lautlosen Wink nach links machte, sich aufrichtete ...

Bei den Göttern, selbst wenn das der Schrotensteiner war, der sich als ihre Tante verkleidet hatte, selbst wenn seine Zauberei sie täuschte, wie konnte sie es riskieren, dass Praiodor der echte Praiodor war und vielleicht von der Lanze des Wilden getroffen wurde und starb?!

Richeza kroch vorwärts, stieß mit dem Fuß nach Golshans greifender Hand, rappelte sich auf, fiel fast über den schweren, nassen Ferkinarock und stürzte sich mit einem Aufschrei auf den Wilden. Behindert durch die ungewohnte Kleidung, war sie einen Moment zu langsam, wurde von seinem Speer am Kopf getroffen, griff fallend nach dem Fell um seine Schultern, stürzte unter ihm zu Boden, den Dolch mit beiden Händen umklammernd. Alle Luft entwich ihren Lungen, als er sie zu Boden presste, der schwere Körper leblos auf ihr liegen blieb. Keuchend stieß Richeza den Sterbenden von sich, riss ihm den Dolch aus der Brust, kam schwankend und rutschend auf die Füße.

Wenige Schritte unter ihr auf dem Weg lag ein zweiter Ferkina tot auf dem ersten. An Praiodors Kopf sickerte Blut aus einer blauroten Beule. Blut bedeckte auch Brust, Hals und Gesicht der Frau, doch es schien nicht ihr eigenes zu sein - der geschmeidigen Bewegung nach, mit der sie das Falcata aus dem Hals des Barbaren zog, war sie unversehrt. Ihr wilder Blick richtete sich auf Richeza - die stand, den Dolch halb erhoben, wie gelähmt da, unfähig, sich zu rühren.


Autor: Romina Alba

Golshan hatte bei dem Ruf und dem Waffengeklirre draußen sich wieder Rominas Kopf geschnappt und die Comtessa in Deckung gezogen. Romina ergab sich dieser Behandlung, auch wenn es mächtig an ihrer Ehre kratzte. Alles andere wäre sträflich gewesen, die Ferkinas durften sie keinesfalls entdecken. Sie tastete vorsichtig nach dem gefalteten Stück Stoff, das sie mittig in ihr Brusttuch gesteckt hatte. Bei Rondra, das Banner musste zurück, es musste gerettet werden! Rondra hilf! Inbrünstig schickte sie ihre Gefühle himmelwärts, als die Scheffelsteinerin nach vorne schnellte und schreiend auf irgendetwas losging. Romina befreite sich energisch aus den Händen ihrer neuen Freundin und arbeitete sich aus dem Loch hinaus.

Richeza war gestolpert und unter dem zuckenden Ferkina zu liegen gekommen. Romina eilte ihr zu Hilfe und zog mit der Linken am Arm des Fekinas, in der Rechten das Kurzschwert, bereit, dem Wilden noch einen Hieb zu versetzen, sollte der sich doch noch rühren.

Da sah sie aus dem Augenwinkel, wie unweit von ihr eine Waffe geschwungen wurde und ein weiterer Ferkina fiel. Verblüfft betrachtete sie die kräftige Frau auf dem Weg unter ihnen, die, ein Kind auf dem Rücken, diesen Ferkina mit einem Schlag gefällt hatte.


Autor: SteveT

Rifada holte blitzschnell sofort wieder mit dem Falcata aus - die nächste Wilde kam direkt vor ihr von irgendwoher aus der Felswand gesprungen. Diesmal ein Weib mit hoch erhobenem Messer. Aus ihren beiden Gefangenschaften bei den Wilden wusste sie, dass man auch deren strohdummen Zottelweibern nur so weit trauen konnte, wie die eigene Schwertklinge reichte - diese hatten keine Skrupel, Feinde ihres Stammes wie tollwütige Khoramsbestien anzufallen und zu beißen. Die Frau war kleinwüchsig und starrte sie ehrfürchtig mit weit aufgerissenen Augen an, wie die Wilden sie - als die angebliche Yil'Hayatim - komischerweise immer in den Augenblicken ihres Todes anstarrten. Als würden sie vom Blitz getroffen oder von einer halbgöttlichen Macht vom Leben zum Tode befördert.

Hinter der ersten sprang noch eine weitere Ferkina auf den Pfad, diesmal eine blonde ... Rifada verharrte mitten in der Ausholbewegung und kniff irritiert die Augen zusammen - eine weizenblonde Ferkina? Und überhaupt ... sie blickte in das schreckgeweitete, aber eigentlich eher ungläubige und schöne Gesicht der vorderen Wilden ... Sie sah ja aus wie ... potzblitz nein - die Wilde war Richeza!

"Kind? Du lebst also - den Göttern sei Dank!"

Sie drehte sich kurz ein wenig um die eigene Achse, sodass Richeza das Gesicht des Jungen sehen konnte, der noch immer über ihrer Schulter hing. "Ich habe gefunden, wonach wir suchten! Aber er ist verletzt - du musst ihn an dich nehmen, denn ich muss hinauf auf den Berg - die Amazonen verständigen! Meine Burg, Selaque - alles scheint verloren!"

Sie trat ganz dicht zu Richeza hin und umfasste kurz ihre Schulter und drückte sie - für Rifadas Verhältnisse schon ein ungeheure Gefühlsbezeugung. Dann zog sie sich nicht eben sanft zupackend den Knaben von der Schulter, um ihn Richeza in die Arme zu drücken.

"Schau wer da ist, Junge! Bei ihr bist du in besseren Händen, wie bei mir!"

Praiodor strahlte tatsächlich kurz, als er Richeza erblickte, und Erleichterung zeigte sich auf seinem sonst stets kummervollen Gesicht. Dann füllten sich seine Augen mit Tränen, und er schlang schluchzend die Ärmchen um Richezas Hals und presste sich weinend an sie.

Rifada verdrehte die Augen bei derlei Gefühlsduselei, aber es tat ihrem Nacken gut, endlich des Gewichtes des Jungen ledig zu sein. Ihr Blick fiel nun wieder auf die blonde Ferkina, die mit einem altertümlichen Kurzschwert in der Hand lauernd direkt hinter Richeza stand. Im selben Moment kam noch ein weiteres Weibsbild in ähnlich barbarisch-hässlicher Fellgewandung geschickt den Abhang hinunter geschlittert - diese war, den scharfgeschnittenen Gesichtszügen nach, ohne Zweifel wirklich eine Ferkina. Sofort hob Rifada wieder ihr Schlachtschwert, und die Spitze richtete sich blitzschnell auf den Hals der blonden Wilden.

"Gzulach garai!", fauchte sie in der Sprache der Wilden, was ihrer Erinnerung nach etwa soviel wie "Waffe weg!" oder "Gib auf!" bedeutete. Die zwei Weiber hatten Richeza offenbar bis eben gefangengehalten oder zwangen sie mit irgendeinem Druckmittel, mit ihnen zu ziehen. Aus freien Stücken würde ihre stolze, freiheitsliebende Nichte niemals in solcher Gewandung und schon gar nicht in solch widerlicher Gesellschaft herumlaufen, da sie die Wilden ja fast noch mehr hasste, wie sie selbst - und das wollte wohl etwas heißen!


Autor: Romina Alba

Romina hatte dem Gespräch verblüfft zugehört und durchforstete gerade ihr Hirn, wo sie die Frau einzuordnen hatte, als sie urplötzlich und blitzschnell deren Klinge am Hals spürte. Sie zuckte kurz, hielt dann still, diese Frau sprach Ferkina mit ihr. Rominas Verwunderung folgte eine irrationale Belustigung, sie lächelte verzerrt und schaute der Frau direkt in die Augen.

"Es tut mir sehr leid, Domna, ich verstehe kein Wort." Sie flatterte mit den Lidern. "Aber es wäre schön, wenn Ihr die Klinge von meinem Hals nehmen würdet, ich glaube, wir stehen vorübergehend auf derselben Seite."


Autor: von Scheffelstein

Richeza ließ sich den Jungen in die Arme legen und drückte ihn an sich, spürte seinen vom Regen ausgekühlten Körper, seine dünnen Arme, die sich etwas zu fest um ihren Hals schlangen. Er war es wirklich!

Da noch immer kein Zauber sie gezwungen hatte, noch immer das höhnische Lachen des Elentaners nicht erklungen und auch das Sicherschwert nicht auf sie herabgefahren war, begann sie zu hoffen, dass es sich bei der Frau dort vor ihr tatsächlich um Rifada da Vanya handelte und nicht eine bösartige Täuschung ihre Sinne verwirrte.

Richeza strich dem Knaben über das zerzauste Haar, ihr Blick aber war weiter auf ihre Tante gerichtet, die nun die Grafentochter mit der Waffe bedrohte.

"Lasst!", sagte sie heiser. "Nehmt die Waffe runter! Das ist Romina von Ehrenstein und Streitzig. Die andere auch, ich meine: Lasst sie! Ich bin ihr was schuldig, der Ferkina." Sie merkte, dass ihre Knie zitterten, jetzt, da die Anspannung allmählich nachließ. Irgendwo in ihrem Hinterkopf aber flüsterte noch immer eine warnende Stimme, mahnte zur Vorsicht. Sie durfte nicht leichtgläubig sein, wie oft hatte sie dafür schon bezahlen müssen?

Richeza machte einen Schritt rückwärts und verlagerte das Gewicht des Jungen auf ihren Armen, sodass sie die Waffenhand freibekam. Misstrauisch blickte sie die Frau vor sich an. "Was habt Ihr zu mir gesagt, damals im Turm?"


Autor: SteveT

"Ihr?" Rifada zog argwöhnisch eine Augenbraue in die Höhe. "Als du mit fünf Jahren den Kindersäbel verschlampt hast, den ich eigens für dich bei Caya Culfaran in Ragath hatte anfertigen lassen, hast du mich in deinem schlechten Gewissen das letzte Mal mit einer so höflichen Anrede bedacht. Ich hätte dir, ohne mit der Wimper zu zucken, einen neuen schmieden lassen - aber Madalena und dein Vater waren dagegen. Vielleicht dachten sie, dass der kleine Alondo einmal der Kriegsmann der Familia werden würde und du bloß eine gelehrte Stubenhockerin. Pah!" Sie stieß abfällig die Luft durch die Nase aus.

"Und was soll überhaupt die dumme Fragerei? Ich sagte dir doch - du musst auf den Jungen aufpassen, weil ich hoch auf die Gipfel steigen muss, um das Signalfeuer für die Amazonen zu entzünden. Wir haben bereits zuviel Zeit verschwendet!"

Sie musterte Richeza von Kopf bis Fuß und sah dabei immer wieder mit kritischem Blick zu deren beiden Begleiterinnen hinüber. Sie sprach etwas leiser, in der Absicht, dass nur ihre Nichte sie verstehen konnte, aber bei Rifadas Exerzierplatz-Organ war das immer noch so laut, dass die drei Schritt entfernt stehende Romina-Alba jedes Wort mitbekam: "Ich weiß, ich weiß - ich sehe selbst aus, als wäre ich gerade vom Galgen herabgestiegen - aber was ist das bitte für ein lächerlicher Aufzug? 'Du kannst nicht vor dem Gesinde oder unseren Eigenhörigen wie eine Streunerin oder Brigantin herumlaufen!' Das habe ich dir schon einmal gesagt, und vor dieser Tobrierin da, dem Balg des Strohkopfs, der sich aus mir unbegreiflichen Gründen für unseren rechtmäßigen Grafen hält, solltest du erst recht nicht den Anschein erwecken, als seien wir Da Vanyas nicht der mächtigste und tapferste Schlag des ganzen Bosquirtals, sondern bloß eine tumbe hinterwälderische Bauerntölpelrasse gerade so wie er und seinesgleichen! Und wo steckt überhaupt mein nichtsnutziger Sohn, dieser Hohlkopf? Er sollte dich doch begleiten und auf dich achtgeben ... wobei, mir war von vorneherein klar, daß eher du auf ihn würdest achtgeben müssen. Er... er... ist doch nicht etwa ...?" Zum ersten Mal schwang ein echter Unterton von Sorge in Rifadas zorniger Stimme mit, als sie sich bei dem unausgesprochenen Wort am Satzende mit dem Daumen über die Kehle fuhr.


Autor: von Scheffelstein

Für einen Moment zeichnete sich Verwirrung auf Richezas Gesicht ab. Hatte sie ihre Tante nicht immer mit derselben Höflichkeit angesprochen, die dieser zustand, so, wie ihre Großmutter – ausgerechnet die Zahori! – es sie gelehrt hatte und wie es Sitte war in ihrer Familia?

Während Rifadas Worte wie Donnerhall auf sie niederfuhren, schwanden alle Zweifel, dass es sich bei der Frau vor ihr um jemand anderes als ihre Tante handeln könnte. Sie wusste nicht, ob es die Erleichterung war, die Erwähnung des Säbels oder Moritatios oder einfach die Erschöpfung, die ihr die Tränen in die Augen trieben. Reglos, Praiodor, der einfach eingeschlafen war, fest an sich gedrückt, starrte sie ihre Tante an, während ihr die Tränen lautlos über das Gesicht liefen und sie irritiert feststellte, dass es einem Teil von ihr völlig gleichgültig war, dass die Comtessa und die Ferkina sie ansahen, während ein anderer Teil von ihr verärgert das Gesicht an ihre Schulter führte, um die Tränen abzuwischen, ehe ihre Tante sie bemerkte.

Stumm schüttelte sie den Kopf, als Rifada geendet hatte. "Nein", sagte sie heiser, "er ist nicht ... ich glaube ... Jedenfalls hat er mir eine Nachricht hinterlassen, und da hat er noch ..." Sie warf einen Blick auf den über ihnen aufragenden ersten Gipfel des Djer Kalkarif. "Aber wir können hier nicht bleiben. Wir müssen hier weg, und zwar schnell! Hier sind Ferkinas, sehr, sehr viele, und sie suchen uns! Bestimmt haben sie den Kampflärm gehört, sie werden bald hier sein! Es sind zu viele, die schaffen wir nicht mal mit Eurer Hilfe", fügte sie schnell hinzu und wich dem Blick ihrer Tante aus.


Autor: Romina Alba

Das war nicht wahr! Diese Frau war die da Vanya, wie sie leibte und lebte. Romina blieb die Spucke weg. Tobrierin nannte sie sie! Sie spürte, wie unzähmbare Wut in ihr hochstieg. Sie drückte sie zurück - es war weder die Zeit noch der Ort für Händel. Doch sie würde sich in Gegenwart dieses Weibes nicht lange beherrschen können, und bestimmt war die Frau auch viel zu blöd oder zu stolz, um sich zu verstecken. Sie wandte sich an Richeza.

"Ihr habt das Kind gefunden! Wir sollten uns trennen, dann müsst ihr nicht auf meinen Strohkopf aufpassen und ich muss mir diese Beleidigungen nicht anhören." Sie wandte sich ab, sah zu Golshan und winkte ihr, vorzugehen. "Golshan, auf nach Ragath, Ras Ragath ..."


Autor: von Scheffelstein

Richeza schloss für einen Moment ergeben die Augen. Was war das nur für ein Possenspiel? Da standen sie mitten im Raschtulswall und stritten um das Recht auf den Grafenthron und die passende Kleidung, während rings herum Dutzende Ferkinas lauerten, die schlimmer waren als Tiere, für die sie alle nichts weiter waren als Beute! Unwillig schüttelte sie den Kopf und hievte sich den Jungen, der langsam schwer wurde, auf den Rücken, legte sich seine schlaffen Arme um die Schultern und fasste unter seine Knie. Einen Augenblick lang fühlte sie sich versucht, einfach loszugehen, wortlos, irgendwohin, Hauptsache weg von hier.

Sie seufzte. "Seid nicht dumm, Domnatella", sagte sie, nicht unfreundlich. "Wir haben bisher Glück gehabt, diesen Barbaren nicht wieder in die Hände gefallen zu sein. Großes Glück. Da unten", sie nickte vage nach Westen, "sind noch weitaus mehr Ferkinas, und in Selaque und Kornhammer treibt sich noch ein ganzer, weiterer Stamm herum. Wollt Ihr wirklich riskieren, dass sie Euch ... Ihr wisst so gut, wie ich, dass Ihr es kaum bis nach Ragath schaffen werdet! Bei den Göttern, beißt die Zähne zusammen und kommt mit uns, wenn Ihr leben wollt! Nicht einmal Euer Onkel dürfte hoffen, sich als Fremder allein durch die Berge zu schlagen, und falls er genauso verrückt ist wie Ihr, wird er genau das versuchen, wenn wir ihm erzählen, dass Ihr Euch allein mit einer Wilden hier irgendwo herumtreibt. Auf jetzt, wir müssen weg hier! - Und Ihr auch, Tante, kommt schon, vergesst den Grafenthron für eine Weile! Wir müssen Euren Sohn wiederfinden und den Streitzig. Und dann müssen wir weg hier, raus aus den Bergen, so schnell es geht!"

Mit diesen Worten drehte sie sich um und stapfte schwerfällig den nassen Weg bergan.


Autor: Romina Alba

Romina biss wirklich gut hörbar knirschend die Zähne zusammen. Die schöne da Vanya hatte Recht, Gendahar würde sie sogar in den Niederhöllen suchen gehen. Sie nahm Golshas Hand und folgte Richeza, deren Tante keines Blickes würdigend.


Autor: von Scheffelstein

Schweigend kämpften sie sich den Berg hinauf. Immer wieder hielten sie inne, um zu lauschen und den Berghang nach Ferkinas abzusuchen, doch bislang hatten sie Glück gehabt und schienen nicht verfolgt zu werden. Richeza ging voran, auch wenn sie zunehmend langsamer wurde. Durch die kaputte Sohle drangen Schlamm und kleine Steine in ihren Stiefel und auf dem nassen Boden wäre sie mehrmals fast ausgerutscht. Praiodor hing schwer an ihrem Hals, und Richezas Arme schmerzten von seinem Gewicht, das den Aufstieg noch mühsamer machte.

Nach etwa einer halben Stunde blieb Richeza so plötzlich stehen, dass die hinter ihr gehende Rifada beinahe in sie hineingelaufen wäre. "Die ... Nachricht ...", keuchte Richeza, der trotz des kühlen Windes der Schweiß auf der Stirn stand. "Mori ... tatio." Sie verlagerte das Gewicht des Jungen, sodass sie eine Hand frei bekam und fingerte ihr Taschetuch aus der Gürteltasche. "Da ... das hat er ... geschrieben. Gestern ... wir haben es ... gestern gefunden." Sie hielt ihrer Tante das Tuch hin, auf das sie Moritatios Botschaft aus der Felsspalte geschrieben hatte. Zum Glück war das Tuch in der Tasche trocken geblieben und die Schrift nicht noch weiter verlaufen.

Richeza wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und fasste Praiodor wieder mit beiden Armen. "Er hat den ... Krähen...freund ... wohl gefunden. Und da steht was ... von Ostflanke des Berges. Werdet Ihr daraus klug?"


Autor: Romina Alba

Romina sah sich aufmerksam um und trat dann an der alten da Vanya, die das Taschentuch annahm und zu lesen begann, vorbei zu Richeza.

"Gebt mir den Knaben eine Weile, es ist besser für die allgemeinen Kräfte, wenn wir uns mit dem Tragen abwechseln." Sie strich dem Knaben, der sie misstrauisch ansah, sanft übers Haar.

"Keine Angst, Praiodor, ich habe einen Großvater, der heißt fast genau wie du, und ich liebe ihn sehr. Lässt du dich ein wenig von mir tragen?", schmeichelte sie lächelnd.


Autor: von Scheffelstein

Richeza zögerte und musterte die Grafentochter kurz. Schließlich nickte sie knapp und zog sich den Jungen vom Rücken in die Arme. "Praiodor, für einen Moment muss die Domnatella dich tragen, ja?", sagte sie, sanfter, als die anderen Frauen sie sonst erlebt hatten.

Praiodor antwortete nicht und ließ sich von Richeza auf Rominas Rücken setzen. Kraftlos hingen seine Arme über die Schultern der Comtessa. Jetzt, da er sich sicher zu fühlen schien und die Angst von ihm abgefallen war, wirkte er noch schwächer als vorher. Richezas Blick fiel auf die tiefe Wunde an seinem Bein, sein bleiches Gesicht und seine müden Augen, die immer wieder zufielen.

Sie fasste nach seiner Wange, zwang ihn, sie anzusehen. "Es wird alles gut, hey, hörst du?"

Praiodor legte den Kopf auf Rominas Schulter. Er schien schon fast wieder zu schlafen. Eine innere Unruhe erfasste Richeza. "Götter, wir müssen Euren Sohn finden", wandte sie sich an ihre Tante. "Und den Krähenfreund. Und wehe ihm, er kann Praiodor nicht helfen!"


Autor: SteveT

Rifada hielt Richeza in einem günstigen Moment an der Schulter zurück und ließ Romina-Alba mit dem halb schlummernden Knaben einige Schritt voraus gehen. Dabei behielt sie die ganze Zeit die der Grafentochter nachfolgende Ferkina im Auge. Nach wie vor hielt Rifada ihr Schlachtschwert in den Händen und hatte offenbar auch nicht vor, es zu schultern oder gar auf dem Rücken zu befestigen.

"Bist du von Sinnen, Kind?", zischte sie halblaut. "Mit einer Wilden durch die Lande zu ziehen und ihr dabei auch noch den Rücken zuzukehren? Hinter der nächsten Biegung rammt sie dir vielleicht ihr Steinmesser in den Rücken oder beißt dir in den Hals! Oder sie führt dich geradewegs zu den Marterpfählen ihres Stammes. Diesen Bestien darf man niemals vertrauen - sie sind schlimmer wie Oger! Geh einfach weiter, lass dir gar nichts anmerken ... beim nächsten steilen Abgrund, den wir passieren, kümmere ich mich um das Problem. Ein kleiner Stoß oder Rempler und weg ist sie! Und der Tobrierin das kostbare Knäblein zu geben, für den wir beide unser Leben und unseren Besitz aufs Spiel setzen, ist auch überaus leichtsinnig. Sobald wir uns wieder dem Flachland nähern, trennen wir uns von dieser dummen Gans. Soll sie sich ihren Weg nach Ragath selbst suchen und mit etwas Glück niemals finden - wir haben mit diesen zugereisten Flachsköpfen nichts zu schaffen! Sobald ich die Wilde weggemacht habe, bringe ich dich und die Tobrierin zu dieser Höhle. Mich wundert allerdings etwas, dass mein begriffsstutziger Sohn von ihr weiß. Vielleicht wartet er bereits dort oder er trifft ein, während ihr auf mich wartet. Wie gesagt, ich muss erst auf den Gipfel steigen, um die Amazonen zur Hilfe zu rufen - danach machen wir uns alle auf den Rückweg! Wenn der Heiler dem Jungen nicht helfen kann oder will, dann sei ihm Peraine gnädig! Er begleitet uns dann geradewegs vor die Suprema und von da aus auf den nächsten Scheiterhaufen - angeklagt aller Missetaten, die sich so ein Kräuternarr nur erdenken kann."

Mit diesen Instruktionen entließ sie ihre Nichte mit einem leichten Schubser, damit sich diese wieder unauffällig der Grafentochter und der Wilden auf ihrem Marsch anschließen sollte. Rifada selbst hielt sich im Hintergrund, als ob sie bewusst die Nachhut bilden wolle. Der kalte feindselige Blick, mit dem sie die Ferkina von hinten musterte, hätte jedoch bei dieser alle Alarmglocken läuten lassen, wenn sie sich denn einmal nach der gefürchteten Yil'Hayatim umgewandt hätte.


Autor: von Scheffelstein

Richeza war zu müde, als dass ihr eine passende Antwort eingefallen wäre. Willenlos ließ sie sich voran treiben, nur darauf bedacht, nicht zu stolpern. Der Hunger nagte an ihr und machte sie benommen. Und, ja: Die Kaltblütigkeit ihrer Tante erschreckte sie. Wortlos stapfte Richeza den nassen Weg bergan, den Blick auf den Rücken der Comtessa gerichtet, auf den schlafenden Knaben.

Sie dachte an die Geschichte mit dem Säbel, dem Kindersäbel, an die ihre Tante sie erinnert hatte. Wie merkwürdig es war mit dem Gedächtnis: Erinnerungen ruhten verstaubt und vergessen wie Dinge in einer dunklen Kammer. Dann fiel ein plötzlicher Lichtstrahl hinein und erhellte einen lang verschwunden geglaubten Gegenstand, einen Gedanken, und man merkte, dass er nie fort gewesen war.

Richeza erinnerte sich, als kleines Kind auf dem Gutshof ihres Vaters, der jetzt ihrer war, mit ihrer Puppe Nala gespielt zu haben. Es war Sommer gewesen, Praios. Ihr Tsatag vielleicht? Die Sonne hatte die Blätter der Linde im Hof in zartem Grün gefärbt, und am Himmel war keine Wolke gewesen, als plötzlich ein langer Schatten auf Richeza gefallen war. Eine Frau hatte vor ihr gestanden, groß wie ein Oger – so war es Richeza damals vorgekommen –, gerüstet wie die Kaiserlichen auf Großvaters Burg und laut wie die trunkenen Söldner, die Richeza einmal bei Tolaks Turm gesehen hatte. Puppen sind nichts für Mädchen, hatte die Frau verächtlich gesagt und Richeza so rasch am Arm hochgezogen, dass Nala in den Staub gefallen war. Hier, ich hab' dir 'was Besseres mitgebracht. Sie hatte Richeza einen Säbel in die Hand gedrückt und breit gegrinst. Lass dir von deinem Vater zeigen, wie man ihn hält. Wenn ich wiederkomme, dann kämpfen wir ein bisschen, und dann mache ich eine richtige Kriegerin aus dir. Sie hatte Richeza zugezwinkert, ihr mit quaderschweren Stahlfingern die Schulter zerquetscht, sich auf das drachengroße Ross geschwungen, das der Stallknecht bereit hielt und war davon galoppiert, dass die Hühner am Tor gackernd und kreischend auf die Dächer geflohen waren und sich den halben Tag nicht wieder hatten einfangen lassen.

Richeza hatte damals nicht einmal gewusst, dass die Frau ihre Tante war. Aber sie hatte eine solche Angst vor ihr gehabt, dass sie drei Nächte lang kaum geschlafen hatte. Dann kämpfen wir ein bisschen, hatte die Frau gesagt – und das hatte Richeza nicht aus dem Kopf gehen wollen. Bald, hatte sie gedacht, würde die Frau wiederkommen und sie mit ihrer Stachelkugel erschlagen. Sie hatte nicht einmal mehr gewagt, mit Nala zu spielen, vor lauter Angst, die Frau könne sie dabei erwischen. Nala hatte fortan in einer Kiste unter dem Bett schlafen müssen, wo Richeza ihr heimlich verschwörerische Worte zugeflüstert hatte, und war erst wieder ins Bett geholt worden, als Richeza Wochen später erkrankte und sich allein im Bett noch mehr fürchtete als vor der Frau.

Nach drei sorgenreichen Nächten hatte Richeza endlich gewusst, wie sie verhindern konnte, dass die Frau eine richtige Kriegerin aus ihr machte. Früh morgens, als alle noch schliefen, war sie auf den Hof geschlichen und hatte den Säbel auf den Brunnenrand gelegt. Dann hatte sie Nala unter dem Nachthemd hervorgeholt, unter dem sie die Puppe versteckt hatte, und dem Säbel den Rücken zugekehrt. Während sie Nala versichert hatte, dass sie nun beide keine Angst mehr haben müssten, hatte Nala dem Säbel heimlich einen Schubs gegeben. Als Richeza sich bald darauf umgedreht hatte, war der Säbel verschwunden gewesen. Nala, wo ist der Säbel?, hatte sie die Puppe gefragt. Komisch, gerade war er noch da, hatte Nala geantwortet. Er ist verschwunden, hatten sie festgestellt und ein bisschen gesucht. Auf dem Brunnen war er nicht gewesen, neben dem Brunnen nicht, unter der Linde nicht, und schließlich hatte Nala gefragt, ob sie den Säbel überhaupt mit nach draußen genommen hatten. Vielleicht nicht, hatte Richeza geantwortet, aber natürlich war er auch nicht im Haus, und als die Frau wiedergekommen war, hatte Richeza fast schon geglaubt, nicht zu wissen, wo der Säbel war, schließlich hatte sie überall nach ihm gesucht und ihn nicht gefunden, Nala war ihre Zeugin.

Richeza warf einen Blick über die Schulter auf ihre Tante, die mit finsterem Gesicht und um das Falcata geballter Faust hinter ihr herging. Fast hätte Richeza heute über den Vorfall lachen mögen, wenn da nicht die andere Geschichte mit dem anderen Säbel gewesen wäre. Und jetzt war ihre Tante wild entschlossen, die Ferkina zu töten. Was, wenn die Comtessa Praiodor gleich hinterher warf, aus Rache, weil sie sich mit der Ferkina doch so gut verstand? Und was war das wohl für eine Höhle, von der ihre Tante gesprochen hatte? Moritatio hatte nichts von einer Höhle geschrieben. Oder doch? Wusste ihre Tante die Worte ihres Sohnes besser zu deuten? Und jetzt erst wurde Richeza bewusst, was sie noch gesagt hatte: Sie würde auf den Gipfel steigen, um das Feuer zu entzünden. Richezas Weg hinauf war umsonst gewesen. Bald würde ihre Tante sie mit einer wütenden Comtessa allein in einer Höhle hier irgendwo in den Bergen zurücklassen, wo Richeza, waffenlos und am Ende ihrer Kräfte, kaum in der Lage wäre, sich der Grafentochter zu erwehren, falls die auf dumme Gedanken käme, sicher aber den Ferkinas nichts entgegenzusetzen hatte, wenn diese sie fänden. Und sie würden sie finden. Was, wenn die Comtessa wirklich allein in die Berge floh, gefangen genommen wurde und aus Zorn auch Richezas und Praiodors Aufenthaltsort verriete?

Götter, das alles drohte in einer Katastrophe zu enden! Schon verengte sich der Weg, rechts von ihnen ragten die Felsen höher auf und links begann der Hang immer steiler abzufallen. Das Herz stockte Richeza, als die Comtessa stolperte und zu stürzen drohte, weil sie keine Hände frei hatte, sich zu fangen, doch die Ferkina, die dicht hinter der Grafentochter ging, griff sie am Arm, und kurz darauf gingen die beiden weiter, als sei nichts geschehen. Für einige Zeit wurde der Weg ebener, und als die Ferkina kurz innehielt, um das Band festzuziehen, mit dem sie die Felle um ihre Stiefel gebunden hatte, spürte Richeza die Hand ihrer Tante auf ihrer Schulter, als die sich an ihr vorbeizudrängen versuchte.

Richeza zögerte keinen Moment, sondern spannte die Schultern und drehte sich so, dass Rifada da Vanya sie nicht einfach beiseite schieben konnte. Sie spürte die Wut ihrer Tante in deren eisernem Griff. Sie wusste, dass sie der Kraft dieser Frau nichts entgegenzusetzen hatte. Verzweifelt streckte sie die Arme aus, versperrte Rifada da Vanya den Weg, doch die zog sie an der Schulter zurück, als sei sie noch immer nichts weiter als ein fünfjähriges Kind und keine erwachsene Frau.

"Nein", sagte Richeza. "Nein, tut das nicht!" Die Ferkina war aufgestanden und weitergegangen, offenbar der Gefahr nicht gewahr in der sie sich befand. Die Comtessa war um die nächste Wegbiegung verschwunden. Es gab keinen günstigeren Augenblick für einen Unfall ...

Richeza schlang ihrer Tante beide Arme um den Bauch, hängte sich an sie mit ihrem ganzen Gewicht. "Nein, tut das nicht! Bitte nicht!" Flehend sah sie zu ihr auf. Ihr Herz raste, der lodernde Zorn im Blick Rifada da Vanyas, der sich von der Ferkina abwandte und nun auf sie richtete, ließ sie erzittern.

"Es tut mir leid, Tante", flüsterte sie. "Bitte nicht! Sie hat mir das Leben gerettet oder zumindest ... Sie ... sie hat mich ... befreit. Die Ferkinas ... sie hatten ... mich ... und ... ich ... Es tut mir leid!" Sie schämte sich der Tränen, die ihr in die Augen traten, hilflos ihre Wangen hinabrollten, all den Schmerz, die Angst, die Wut und Verzweiflung der letzten Tage hervorbrechen ließen, die sie bislang so erfolgreich zurückgedrängt hatte. "Es tut mir leid!", stieß sie mit erstickter Stimme hervor, während die Ferkina, ohne sich umzudrehen, um die Wegbiegung verschwand. "Es tut mir leid. Es ...ist ... meine Schuld. Ich hätte nicht ... ich ... ich weiß, es war eine dumme Idee ... alleine bei Nacht ... auf den Berg ... ich wusste nicht ... es ist meine Schuld. Wenn ich nicht ... dann wäre das alles nicht passiert. Mit Moritatio. Und dem ... dem ..." Sie wagte nicht, das Wort auszusprechen, den Verlust des Erbstücks zuzugeben. "Ich ... und ... Ich weiß, es war dumm. Ich hätte warten sollen, aber die anderen waren so schwach. Ich wollte keinen Tag verlieren. Wegen Praiodor. Aber Moritatio hat gesagt, es wäre wichtig ... mit dem Feuer. Es tut mir so leid."

Richeza wagte nicht, ihre Tante anzusehen. Ihre Finger, die sich noch immer in die Verschlüsse der Lederrüstung krallten, zitterten. Aus irgendeinem Grund hatte sie das Gefühl, ihre Tante zu verraten, die einen solchen Hass verspürte auf die Ferkina, ja, selbst auf die Comtessa. Und doch konnte Richeza diese Tat nicht zulassen. Um Praiodors Willen. Ja, selbst um ihres eigenen Gewissens Willen, wie sie zugeben musste. Sie verspürte keinen Hass. Nur Angst und Trauer. Doch diesmal war es nicht ihre Tante selbst, die sie fürchtete. Vielmehr deren Zorn und deren ... Enttäuschung?

"Es tut mir so leid", flüsterte sie erstickt. "Ich ... habe es für Euch getan. Ich dachte ... Ihr wärt tot."


Autor: SteveT

Rifadas schon vorher finstere Miene wirkte durch ihre schmal aufeinander gepressten Lippen und ihre kritisch hochgezogenen Augenbrauen nun noch düsterer. Unwirsch wand sie sich aus Richezas Umklammerung und zog diese grob halb am Brusttuch ihrer barbarischen Ferkina-Gewandung, halb an ihrem bebenden Kinn wieder auf die Füße hoch. "Hör auf der Stelle mit diesem unweibischen Gewinsel auf! Du hast scheinbar vergessen, von wessen Blut du bist! Und außerdem versteht man kein Wort, wenn du hier vor Fremden herumgreinst wie ein furchtsames Zicklein! Was hast du da gerade gejammert? Du warst schon auf dem Berg? Hast du oben auf dem höchsten Gipfel zur Rondrasstunde ein Feuer gemacht, sodass ich am Ende gar nicht mehr hinaufsteigen muss?"

Sie betrachtete ihre zitternde Nichte zweifelnd - jetzt sah sie wirklich haargenau wie Madalena aus, die sich als Kind vor jedem Blitz und Donnergrollen gefürchtet hatte, obwohl diese in ihrer bosquirischen Heimat beinahe zum alltäglichen Leben dazugehörten.

"Ich kann es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen ... aber warst du oben und - wenn ja - war das Feuer gut zu sehen? Das Schicksal unseres Stammsitzes hängt davon ab!"

Sie kratzte sich nachdenklich den Haarschopf. "Wenn du der Tobrierin nicht den Jungen gegeben hättest, würde ich die zwei einfach weitermarschieren lassen und wir beide kehren hier um - zurück nach Selaque! Ich muss mir Einlass auf Burg Albacim verschaffen und unsere Kleinodien dort herausholen ... ich habe es mit eigenen Augen gesehen - die Hexe Praiosmin hat uns alles gestohlen! Alles!"

Sie rammte das Falcata in die Erde und riss einen kleinen Stofffetzen von ihrem Untergewand ab, das durch ihre Kerkerhaft ohnehin längst alles andere als gut aussah. Sie schrubberte damit Richeza wenig feinfühlig über das Gesicht.

"Hier! Wisch dir damit gefälligst die Tränen weg - das Blondchen braucht eine da Vanya so nicht zu sehen! Und was die Wilde betrifft - du bist naiv, wenn du glaubst, dass diese Kreaturen zu Freundschaft fähig sind. Wenn ich sie nicht wegmachen soll, dann müssen wir sie fesseln und irgendwo zurücklassen, damit sie uns nicht verraten kann, bis wir über alle Berge sind. Die Bastarde ihres Stammes finden sie dann schon - die treiben sich in dieser Gegend ja zahlreicher wie die Karnickel herum!"


Autor: von Scheffelstein

Richeza schluckte, ließ sich die grobe Behandlung durch ihre Tante jedoch gefallen, ohne zu zucken. Sie lehnte den Kopf an die hinter ihr aufragende Felswand, während Rifada da Vanya ihr mit dem schmutzigen Tuch durch das Gesicht fuhr, und schloss die Augen. Als diese ihr den Stoff in die Hand drückte, öffnete sie die Augen wieder und atmete zitternd aus. Sie sah ihre Tante nicht an, sondern schräg an dieser vorbei in den Abgrund. Der Wind zerrte an ihrem Haar und trocknete Tränen und Schweiß auf ihrem bleichen Gesicht. Es dauerte eine Weile, bis Richeza ihre Sprache wiederfand.

"Ja", sagte sie leise, "ich bin auf den Berg gestiegen. Vor ein paar Tagen." Sie schluckte erneut, folgte mit den Augen einem Raubvogel, der irgendwo unter ihnen seine Kreise zog. "Wir hatten den Berg gerade erreicht, von Grezzano aus. Es war später Abend, wir waren alle erschöpft. Moritatio meinte, wir müssten zur Rondrastunde ein Feuer auf dem Berg errichten, damit die Amazonen Euch zur Hilfe eilen können. Sie wollten bis zum Morgen warten, um dann auf den Djer Kalkarif zu steigen. Aber dann hätten wir einen ganzen Tag verloren auf der Suche nach Praiodor. Das ... wollte ich nicht. Aber wie hätte ich andererseits nicht auf den Berg steigen können? Nach allem, was Ihr für uns – für mich – getan hattet. Selbst, wenn nur die leiseste Hoffnung bestand, dass die Elenterin Euch nicht umgebracht hatte?"

Richeza warf der Junkerin nur einen kurzen Blick zu, senkte die Augen dann auf den Weg. "Also bin ich allein rauf. Es wurde bald dunkel, und es war eine verdammt kalte Nacht. Ich dachte, ich schaff' das schon, aber ... Ich habe mich wohl überschätzt." Sie schluckte erneut, betrachtete die Finger an ihrer rechten Hand, an denen die Schnalle der Lederrüstung blutige Kratzer hinterlassen hatten, als Rifada da Vanya sich so grob von ihr befreit hatte. "Ich weiß nicht, wo ich das Feuer entzündet habe. Ob es der höchste Gipfel war. Ich glaube nicht. Es war auf einem Gletscherfeld, ich hoffe irgendwo im Südwesten. Ich hatte nur soviel Holz für das Feuer, wie ich tragen konnte. Es war nicht viel. Ich weiß nicht, ob es umsonst war."

Sie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, die ihr ins Auge wehte und verschränkte die Arme vor der Brust gegen die Kälte. "Jedenfalls habe ich es nicht mehr vom Berg runter geschafft. Ich hatte kein Licht mehr und musste dort irgendwo übernachten, im Schnee." Richeza presste die Lippen aufeinander, zum ersten Mal klang sie fast trotzig, als sie fortfuhr. "Ich wäre fast erfroren in der Nacht. Auf dem Rückweg bin ich ... ich muss gestürzt sein." Sie zuckte mit den Schultern, als müsse sie sich dafür rechtfertigen. "Als ich aufwachte, war da dieser Junge. Praiosmins Bastard. Er ..." Sie schürzte die Lippen. "Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat, aber ... Er hat mich irgendwohin gebracht und gefesselt. Er wollte mich den Ferkinas übergeben." Wütend biss sie sich auf die Unterlippe. "Ich konnte mich noch mal befreien, aber ich hatte alles verloren: Harnisch ... Waffe, meine Ausrüstung. Ich versuchte, zu den anderen zurückzukehren, aber ich wusste nicht, wo sie waren. Und dann ..."

Richeza holte tief Luft und atmete langsam wieder aus. Ihr Magen knurrte. Eine Gänsehaut bedeckte ihre Arme. Von den anderen Frauen war nichts mehr zu sehen oder zu hören. Richeza sah ihre Tante an. "Es muss der Schamane gewesen sein. Ein Ferkina-Zauberer." Ihre Stimme stockte. "Er ... hat mich wieder eingefangen. Sie ... haben mich in ein Zelt gebracht ..." Sie wurde immer leiser. "Dort haben sie mir alles ... weggenommen, mich ..." Sie schluckte und verstummte. Ihr Blick glitt ins Leere, durch ihre Tante hindurch. "Sie haben mir diese Sachen angezogen", flüsterte sie, kaum hörbar gegen den Wind. "Dort war auch das Mädchen. Die Comtessa. Gefesselt. Sie sagte ... ich ... sei für den ... Shâr bestimmt. Ich ... wollte nur noch sterben." Richeza senkte den Kopf und schwieg einige Herzschläge lang. Als sie wieder aufsah, wirkte ihr Gesicht verschlossen und hart.

"In der Nacht wachte ich auf. Es war diese Ferkina. Sie schnitt mich los. Sie führte mich und das Mädchen aus dem Lager, irgendwo in eine Höhle. Ich wusste nicht, was sie wollte. Ich traute ihr ebenso wenig, wie Ihr. Am nächsten Tag machte ich mich auf die Suche nach Moritatio und dem Streitzig. Ich nahm die Comtessa mit. Sollte ich sie hier etwa sterben lassen?"

Richeza kniff die Augen zusammen. "Nein", sagte sie. "Egal, was Ihr denkt: So bin ich nicht. Es ist mir egal, ob sie sich im Reitstall den Hals bricht. Aber wenn ich sie hier zurückgelassen hätte, hätte ich sie gleich mit eigenen Händen töten können. Ich bin keine Mörderin." Finster blickte sie Rifada da Vanya an. "Die Ferkina folgte uns. Scheint einen Narren an dem Mädchen gefressen zu haben. Warum auch immer. Sie hat uns nichts Böses getan. Ich werde nicht zulassen, dass Ihr sie tötet. Ohne sie ..."

Sie brach ab, blickte wieder zu Boden. Als sie Rifada ansah, wirkte sie müde, ihre Stimme aber war fest und ruhig. "Es tut mir leid, dass ich Euch enttäuscht habe. Ich bin nun einmal nicht wie Ihr: Stark und unbesiegbar. Ihr hättet gewusst, wo man das Feuer entzünden muss. Ihr hättet Euch nicht von dem Bastard oder den Ferkinas gefangen nehmen lassen. Wahrscheinlich hättet Ihr sie alle getötet. Ihr scheint nie zu zweifeln. Ich kann das nicht. Es tut mir leid, wenn ich versagt habe. Aber ... ich bin nicht herzlos. Und das – tut mir nicht leid!"


Autor: Romina Alba

Rominas Herz schlug wild, ihr saß noch der Schreck in den Gliedern. Beinah wäre sie gefallen und vielleicht abgestürzt, der Junge auf ihrem Rücken wog immer schwerer und sie zögerte zu lange, ließ ihn nicht los. Sie sah sich schon samt Kind fallen, als Golshan zupackte und ihr wieder zum Gleichgewicht verhalf. Kurz drehte sie halb den Kopf und schenkte der Ferkina ein müdes Lächeln.

Aus dem Augenwinkel sah sie das Mannweib und wieder schauderte es sie. Dieses scheinbar nicht mehr allzu menschliche Wesen schien ihr fast so feindselig wie die Ferkinas. Wäre Richeza nicht deren Nichte, hätte sie sich dieser Frau nie angeschlossen. Dagegen war jede, selbst die mürrischste der Amazonen, die sie in ihrer Knappschaft gesehen hatte, freundlich und hilfsbereit gewesen.

Sie zwang sich, wieder ganz auf den Weg und jeden Schritt zu achten und ging weiter. Nur nicht stehenbleiben. Sie umrundete einen Felsvorsprung, der Weg wurde etwas breiter und bildete eine Ausbuchtung, von der aus man weit über das Tal sehen konnte. Kurz überlegte sie, selbst einen Blick zu riskieren, doch sie war sich nicht sicher, ob sie weiterkonnte, wenn sie jetzt stehenbleiben würde. Daher ging sie in dem langsamen Trott, den sie sich angewöhnt hatte, einfach weiter.

Sie hörte wie Golshan hinter ihr kurz stehenblieb, wohl um das Tal mit Blicken abzusuchen. Romina verkürzte ihre Schrittlänge, um nicht zu weit von der neuen Freundin wegzugeraten. Die Ferkina grunzte kurz zufrieden, als Zeichen für Romina, dass alles in Ordnung war und holte die Comtessa schnell ein.

So ging es weiter um den nächsten Felsvorsprung, die letzten Ferkinas, die sie gesichtet hatten, waren irgendwo weit hinter ihnen. Romina betet inbrünstig dafür, dass es so bliebe. Lange würde sie das Kind nicht mehr tragen können. Wo blieben nur die da Vanyas? Sie horchte nach hinten und hörte nur Golshan, die direkt hinter ihr ging. Sie seufzte und hielt Ausschau nach einer Möglichkeit anzuhalten und ein wenig zu rasten. Hoffentlich hatten die zwei Frauen sich nicht abgesetzt. Obwohl ... sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie auf die Alte gut verzichten konnte. Und wieder rieselte ihr ein Schaudern über den Rücken.


Autor: von Scheffelstein

Der Weg vor Romina und Golshan wurde noch etwas breiter. Nach links fiel er noch immer recht steil ab, rechts aber zog sich ein weites Geröllfeld den Berg hinauf. Von den beiden anderen Frauen war noch immer nichts zu sehen. Golshans Augen wanderten über das Tal, dann griff sie nach Rominas Arm. Die Berührung war rau, fast fordernd. Als Romina die Ferkina anblickte, sagte diese etwas, das die Comtessa nicht verstand. Golshan umschloss das Bein des schlafenden Jungen und klopfte gegen Rominas Arm. Dann pochte sie gegen ihre eigene Brust, wies den Weg weiter bergauf und zeigte auf den Jungen.


Autor: Romina Alba

Romina dachte kurz nach. Scheinbar wollte ihre neue Freundin sie beim Tragen des Jungen ablösen. So wie sich ihre Knie anfühlten, war das auch dringend notwendig. Kurz warf sie einen Blick nach hinten und rümpfte die Nase. Was scherte es sie, was die beiden Weibsstücke dachten? Sie traute Golshan. Sie sah die Ferkina an und nickte mit einem müden Lächeln. Dann wechselte der schlafende Junge ohne aufzuwachen auf den Rücken der Wilden, die Comtessa nahm das Schwert wieder zur Hand und folgte Golshan weiter den Berg hinauf.


Autor: SteveT, von Scheffelstein

Rifada da Vanyas Gesicht hatte sich während des Berichts ihrer Nichte noch weiter verdüstert. "Darüber reden wir noch! Praiosmins Bastard, sagst du? Gerade habe ich noch gedacht, dass mein Zorn auf die vermaledeite Dämonenbuhle nicht mehr größer werden kann - aber er kann ... er kann!"

Sie zog das Falcata aus der Erde und hob lauschend den Kopf. Jetzt hörte Richeza es auch: Leise Schreie! Sie kamen von vorne, dort, wo die anderen beiden Frauen um die Wegbiegung verschwunden waren. Richeza zögerte keinen Augenblick, ließ ihre Tante einfach stehen und hastete den Pfad weiter bergan. Die Felswand zu ihrer Rechten trat zurück, der Weg beschrieb einen weiten Bogen nach links. Die anderen beiden Frauen waren bereits ein ganzes Stück voraus und passierten soeben einen Geröllhang. Zu ihrem Entsetzen bemerkte Richeza, dass es die Wilde war, die nun den Jungen auf ihrem Rücken trug.

Ihr Schrecken wurde noch größer, als sie eine Bewegung hoch oben über dem Geröllfeld wahrnahm. Sie hielt kurz inne und beschattete die Augen mit der Hand, um besser sehen zu können, aber es bestand kein Zweifel: Ferkinas! Fünf, sechs, sieben, mindestens ein Dutzend, wenn nicht mehr! Sie waren noch sehr weit oben, aber sie hatten die Comtessa und die Wilde bereits entdeckt. Diese hatten die Ferkinas ihrerseits bemerkt und begannen zu rennen. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis die Wilden herab waren.

Praiodor! Richeza stolperte vorwärts. Der kaputte Stiefel behinderte sie, aber die Erschöpfung war vergessen. Sie musste den Jungen in Sicherheit bringen! Wie hatte sie ihn nur je aus den Händen geben können?

Schreie von Vorne: Etwas hatte die Comtessa am rechten Arm getroffen. Ein Stein? Nein: Ein Pfeil! Ein zweiter Pfeil traf die junge Frau in die Hüfte. Sie taumelte, wurde langsamer. Die Ferkina rannte mit dem Jungen einfach weiter. Richeza rannte auch. Die Ferkinas begannen, den Hang hinabzuklettern. Auf dem Geröll kamen sie nicht schnell voran, aber immerhin ging es für sie bergab, während die Frauen aufwärts liefen.

Nun hatte der Schütze Richeza entdeckt. Ein Pfeil flog dicht über ihren Kopf hinweg, ein zweiter prallte von einem Stein ab. Es gab nichts, was Richeza tun konnte. Würde sie umkehren oder Deckung suchen, wäre Praiodor verloren, während sie selbst sich bald im Zelt der Ferkinas wiederfände. Sie konnte nicht einmal Haken schlagen, der Weg war nicht breit genug, und es kostete nur Kraft und Zeit. Also rannte Richeza einfach weiter, ungeachtet der Pfeile, die sie nur knapp verfehlten.

Die Wilde – Golshan – war nicht mehr zu sehen, die Comtessa schleppte sich soeben um die nächste Biegung. Richeza hetzte weiter. Lange würde sie das Tempo nicht durchhalten. Ihr schien, als könne sie gar nicht schnell genug atmen, um Luft zu bekommen; ihre Lunge brannte wie Feuer. Noch zwanzig Schritt, dann hätte sie das Ende des Geröllfeldes erreicht. Achtzehn noch, dann wäre sie in Deckung.

Sie wagte einen Blick nach oben: Die meisten Ferkinas hatten die Hälfte des Hanges hinter sich gebracht. – Gebell! Irgendwo hinter der nächsten Wegbiegung bellte ein Hund. Wahrscheinlich waren da noch mehr Barbaren. Wahrscheinlich hatten sie Golshan und die Comtessa bereits überwältigt. Sie rannte ihnen geradewegs in die Arme! – Und? Was sollte sie sonst tun? Dann würde sie eben sterben bei dem Versuch, Praiodor zu verteidigen. Richeza verspürte keine Angst, nur eine tiefe, alles betäubende Traurigkeit. So also. Nach allem.

Der Schlag in ihren Rücken war so hart, dass Richeza zu Boden stürzte und mit der Stirn aufschlug. Die Knie des Ferkinas bohrten sich in ihre Wirbelsäule. Er rief etwas und erhielt von weiter oben eine unverständliche Antwort. Richeza versuchte, den Angreifer abzuschütteln, aber er war zu schwer. Sie kam nicht einmal an den Dolch in ihrem Stiefel.

"Zurück!", brüllte er in der Sprache der Barbaren, soviel verstand sie. Sie drehte den Kopf zur Seite. Aus den Augenwinkeln sah sie ihre Tante. Mit erhobenem Falcata stand sie mitten auf dem Weg, nur drei Schritt entfernt. Ein abgebrochener Pfeil steckte in ihrer Lederrüstung. Die Ferkinas auf dem Hang kamen immer näher.

"Zurück!", brüllte der Wilde erneut in Richtung der Junkerin und fuchtelte mit einem schartigen Wurfmesser. Richeza spannte die Muskeln. Wut ergriff sie. Der Ferkina fasste grob in ihr Haar und drückte ihr die rostige Klinge an die Kehle, schrie ihrer Tante unverständliche Worte entgegen. Das Messer unter ihrem Kinn erinnerte Richeza schmerzlich daran, diese Situation nicht zum ersten Mal zu durchleben. Damals war ihr gleichgültig gewesen, ob sie starb oder nicht. Diesmal war es das nicht: Tief in ihrem Innern wollte sie leben. Aber nie war eine Situation so aussichtslos erschienen.

"Yil'Hayatim", hörte sie den Mann auf ihrem Rücken sagen. Das Gesicht ihrer Tante war ein Bild namenlosen Hasses. Und doch schlug sie nicht zu. Ihretwegen ...

Richeza nutzte die Abgelenktheit des Mannes und bog ihren Kopf von der Klinge zurück. Als der Wilde sie ansah, um das Messer nachzuziehen, schlug sie ihre Zähne in seinen Daumen. Sie biss zu, so fest sie konnte. Ihre Zähne gruben sich tief in sein Fleisch, durchtrennten Muskeln und Gefäße. Blut füllte Richezas Mund – der Mann schrie –, dann wurde ihr Kopf zurückgerissen. Sie ließ nicht los. Erst als ihre Schläfe gegen einen Stein schlug, öffnete sich ihr Kiefer. Noch einmal riss der Ferkina Richeza am Haar zurück, schmetterte ihren Kopf zu Boden.

Blaue Funken tanzten vor Richezas Augen. Blut platzte aus ihrer Stirn, lief ihr ins Auge. Ein hohes Summen war alles, was sie hörte. Die Steine vor ihrem Gesicht verschwammen. Von allen Seiten her wurde es dunkel. Nur die Steine waren zu sehen, blutbespritzt, ganz nah.


Autor: SteveT

"Ratte!", fauchte Rifada und zog das Falcata dem Ferkina über Richeza im selben Moment mit der scharfen Seite durchs Gesicht, in dem er den Kopf ihrer Nichte gegen den steinigen Boden schlug. Vor Wut hatte sich ihr fast ein roter Schleier vor die Augen gelegt, wie es ihr früher häufiger geschehen war, als sie noch nicht gelernt hatte, sich im Kampf zu zügeln und mit klarem Kopf zu kämpfen. Aber mittlerweile war sie keine Ordensknappin mehr, sondern eine Kriegerin von über Fünfzig. So stach sie kaltblütig und ganz gezielt ein zweites Mal zu, riss den gurgelnden Ferkina an seinem Haupthaar und Zottelbart von Richeza herunter und verpasste ihm einen Fußtritt, dass er sich überschlug und schreiend den Abgrund links des Weges hinunterstürzte.

"Hoch, hoch! Steh auf!", rüttelte sie Richeza mit einer Hand kräftig durch und blickte zu den anderen Ferkinas hinüber. Sie musste Richeza hier herauskriegen - das war ihre einzige Pflicht! Um den kleinen Jungen war es zwar schade, und auch die Tochter des Tobriers verdiente kein solches Ende - aber wie sollte sie ihnen in solch einer hoffnungslosen Situation helfen?

Als einzige Hoffnung blieben ihr ihre unfreiwillig erworbenen Sprachkenntnisse und ihre anscheinend nicht unbeträchtliche Reputation bei den Wilden. Sie breitete die Arme weit aus, das blutbefleckte Schwert hoch erhoben und begann zu lachen - so laut und höhnisch, wie sie es nur vermochte.

"Was wollt ihr Schwächlinge?", brüllte sie in der Sprache der Wilden weit schallend über den Berghang. "Ich bin Yil'Hayatim die Grausame, die Kriegs-Shâra der Bosquirier - und euer Hairan schickt mir euch elende Würmer? Wo ist er, dieser Sohn eines feigen Schakals, dass ich mir seinen Kopf hole, wenn er sich mir nicht selbst zum Kampf zu stellen wagt?"


Autor: von Scheffelstein

Jemand schüttelte sie. Richeza erwachte zu hellem Schmerz. Alles schmeckte nach Blut und Staub. Blinzelnd öffnete sie die Augen. Die Hand ließ sie los.

Stimmen wie naher Donner zerrissen die Stille. – Ferkinas?

Richeza versuchte, sich aufzurichten. Arme und Beine waren so schwer. Als sie auf allen Vieren stand, wurde ihr übel. Sie erbrach sich auf den steinigen Weg. Eine neue Stimme hämmerte in ihrem Kopf. Ihre Tante. "Schwächlinge", "Sohn", "Kampf" – Worte drangen in ihr Bewusstsein. Allmählich dämmerte ihr die Gefahr. Sie musste aufstehen. Mit zitternden Fingern zog sie sich an einem Felsblock in den Stand. Jede Bewegung war ein Hammerschlag in ihrem Kopf. Sie würgte. Ihr Magen war leer. Saurer Speichel lief über ihr Kinn. Fahrig wischte sie sich über das Gesicht. Blut, überall.

Sie blickte auf. Ihre Tante stand in der Mitte des Weges und lachte. Ein schmaler Sonnenstreifen teilte die Wolken, Licht spiegelte sich in der blutigen Klinge. Unwirklich. Wie ein Göttergemälde aus den Geschichtsbüchern. Rondra. Zum ersten Mal seit langem verspürte Richeza Ehrfurcht.

Die Ferkinas standen. Zögerten. Wind machte Richeza frösteln. Ein Pfeil zerriss das Bild, schlug in den Harnisch ein. Rifada zuckte nicht einmal. Ein Aufschrei, oben. Ein gedrungener, kräftiger Ferkina hieb mit der Axt auf den Schützen. Zweimal. Ein blutiger Körper rutschte den Hang herab, überschlug sich, blieb liegen.

Gebell. Ein riesiger grauer-schwarzer Hund sprang an Richeza hoch, drückte sie gegen den Felsen. Schnupperte. Brummte. Ließ von ihr ab, kläffte Rifada an. Knurrte kurz, jaulte, dann wandte er sich dem Hang zu, ließ ein tiefes, drohendes Grollen vernehmen.

Praiodor! Sie mussten hier weg! Richeza ließ die Wand los. Schwankte. Kämpfte gegen die Übelkeit. Schmerz bei jeder Bewegung. "Kommt!", sagte sie, kaum hörbar bei dem Gebell. Sie wandte sich um, ging Schritt für Schritt bergan, ließ das Geröllfeld zurück. Sah sich nicht um. Betete. 'Herrin Rondra, steh uns bei! Steh meiner Tante bei! Steh ihr bei! Ich hab' dich gesehen! Sie hat es verdient! Sie ist dein. Steh ihr bei! Du hörst mich. Danke. Ich danke dir!' Zum ersten Mal seit über achtzehn Jahren betete sie mit dem Herzen, meinte es ernst. Glaubte, wusste. Und bekam eine Antwort: Zuversicht – größer als aller Schmerz. Lächelnd ging sie weiter.


Autor: von Scheffelstein

Der gedrungene Wilde, der den Bogenschützen getötet hatte, sagte etwas zu den Kriegern in seiner Nähe, dann kam er den Hang herab, trittsicher, achtete kaum auf die Steine, die sich unter seinen Füßen lösten und vor ihm das Geröllfeld heruntersprangen. Ein kurzer Seitenblick zeigte Rifada, dass sie zumindest Zeit schon gewonnen hatte - ihre Nichte war um die Wegbiegung verschwunden.

Etwa zehn Schritt von der Junkerin entfernt hielt der Ferkina an. Als einziger der Wilden mochte er die Dreißig schon fast erreicht haben - alle anderen waren halbe Knaben, höchstens so alt wie Moritatio, viele deutlich jünger, auch wenn Bärte und wettergegerbte Haut sie älter erscheinen ließen und sie an Kraft sämtliche Puniner Hofschranzen in den Schatten stellten. Der Gedrungene schien der Anführer der Gruppe zu sein. Ein iban Khadr, ohne Frage. Er trug eine rostrote Turach, die er lässig um seinen kahl geschorenen Schädel gewickelt hatte. Anders als die anderen Ferkinas hatte er keinen Bart. Sein Gesicht und der muskelbepackte Oberkörper waren mit Ziernarben versehen. Er trug eine Hose aus Lederflicken und fellbesetzte Stiefel. Die Axt in seiner Hand musste ein Beutestück sein: Sie hatte zwei dunkle Metallblätter mit archaischen Ornamenten.

Als er sprach, entblößte der Wilde zwei Reihen angefeilter Zähne. Ein Sayad Zhul. "Ich bin Djershar der Furchtlose", rief er in der hässlichen Sprache der Bergbarbaren. "Ich fürchte den Sturm nicht, den Donner nicht und den Regen nicht. Ich fürchte das Eis nicht, das Feuer nicht und den Berg nicht. Ich fürchte die Tiere nicht und nicht die Krieger. Am wenigsten aber fürchte ich ein Weib!", rief er abfällig. Die jungen Krieger johlten. Die jüngsten am lautesten. Einige der älteren waren zurückhaltender.

Djershar hob die Axt und setzte seinen Weg fort, sprang von Felsen zu Felsen. Er war gewandt, wirkte aber eher wie ein Wolf als wie ein Berglöwe. Auf einem größeren Stein direkt über Rifada blieb er stehen, hob die Axt zu einem Schmetterschlag - doch dann riss er die schwere Waffe zurück, schlug nicht, sondern stieß zu, nutzte den Vorteil seiner erhöhten Position und rammte Rifada die metallbeschlagene Spitze der Waffe gegen die Brust, mit solcher Wucht, dass sie den Stand verlor und rückwärts auf den Weg krachte.

Mit einem Satz war Djershar neben ihr, hielt sich gerade außerhalb ihrer Reichweite, hob erneut die Axt ...

Chronik:1033
Der Ferkina-Feldzug
Teil 12