Chronik.Ereignis1033 Feldzug Ferkinalager 10
Im Raschtulswall, 27. Praios 1033 BF
Am Djer Kalkarif im Raschtulswall
Autor: von Scheffelstein
27. Praios, mittags
Charrizul schwindelte. Keuchend lehnte er sich an einen Stein. Er bekam kaum Luft. Blutiger Schaum flog über seine Lippen, wann immer er ausatmete, und das Einatmen schmerzte, als hätte er die Waffe des Blutlosen noch immer zwischen den Rippen. Fahrig tastete er nach der Wunde an seinem Rücken. Sie war wieder aufgerissen. Die Haut knisterte eigenartig unter seinen Fingern. Zwei Tage war der Kampf gegen die Flachländer her, und er hatte das Lager noch immer nicht erreicht. Wenn er es überhaupt jemals noch erreichte ...
Ungehalten rappelte er sich auf. Er war ein Krieger der Bâni Khadr. Er starb nicht von der Hand eines Blutlosen! Und doch musste er sich eingestehen, dass es noch nie so schlimm um ihn gestanden hatte. Erst hatte Yil'Hayatim ihm fast den Schädel eingeschlagen. Noch jetzt sah er manchmal bunte Lichter über den Bergen tanzen, wenn er müde wurde. Dann hatte dieser Schwächling ihm das Bein zerschnitten und ihm seine lächerlich kleine Metallnadel in den Rücken gestoßen. Und nun schleppte er sich seit Tagen von Felsen zu Felsen und wurde immer schwächer.
Ein plötzlicher, heftiger Hustenreiz schüttelte Charrizul. Ein Blutklumpen flog aus seinem Mund, Blutfäden rannen ihm über das Kinn. Sein Herz raste, ihm wurde schwarz vor Augen, schwer ließ er sich zu Boden sinken, ehe er fiel.
Der Wind zerrte an seinem verfilzten Haar und pfiff zwischen den Felsen hindurch, als wolle er seinen Atem verhöhnen. Charrizul lehnte den Kopf an den Felsen hinter sich und starrte seitlich hinab in die Schlucht unter ihm. Es war nicht mehr weit bis zum Lager. Wenn er unverletzt wäre, würde er es erreichen, lange bevor die Sonne rot wurde. So aber konnte er nur hoffen, dort zu sein, ehe wilde Tiere seine Witterung aufgenommen hatten. Vielleicht in der Nacht. Vielleicht morgen. Vielleicht nie.
Zuerst hielt Charrizul die Stimmen für Launen des Windes. Dann aber war er sich sicher: Flachländer sprachen! Mehr noch: Flachländerinnen! Er rollte sich auf den Bauch und sah in die Schlucht hinab, versteckt zwischen den Felsen. Wirklich: Da kamen drei Weiber! Doch seltsam: Obwohl sie in der Zunge der Blutlosen sprachen, waren sie doch gekleidet wie Bâni Khadr – in weite Röcke, bestickte Brusttücher und Fellstiefel. Zwei von ihnen mochten Ferkinas sein, eine aber war es gewiss nicht: Sie hatte Haar, hell wie trockenes Gras im Sommer.
Als sie näher kamen, fletschte Charrizul die Zähne. Das war doch die Sklavin des Shârs! Und ... "Golshan!", zischte er ungläubig. Was machte seine Schwester mit der Blutlosen hier im Tal? Wer hatte ihr das erlaubt? Nasfágul bestimmt nicht! Aber es wurde noch besser: Die dritte Frau, die immer wieder stehen blieb und sich umsah, als würde sie sich des Weges vergewissern, - war niemand anderes als die schöne Kriegerin aus dem Gefolge der Yil'Hayatim.
Raschtula verhöhnte ihn! Ausgerechnet jetzt, da er verwundet war und sich kaum bewegen konnte! Einen Moment lang erwog Charrizul, welche Hoffnung er sich machen durfte, wenn er sich jetzt hinunter in die Schlucht schleppte, um die fremde Sklavin zu rauben. Er musste nicht lange überlegen: keine! Sie war schon beim Kampf vor dem Turm in dem Steinhüttendorf der Flachländer nicht so leicht zu überwinden gewesen, wie er gehofft hatte. Jetzt aber war er geschwächt, und Golshan ... – ja, bei allen Geistern: Was machte Golshan da eigentlich?
Charrizul blickte zwischen den Felsen hindurch nach unten. Ob die hellhaarige Sklavin geflohen war, und Golshan hatte sie wiedergefunden? Aber was machte das Kriegerweib dann bei ihnen? Ein plötzlicher Gedanke durchzuckte Charrizul: Was, wenn diese die Frau war, die Nasfágul suchte? Nein! Alles, nur das nicht! Die dort, die wollte er! Der Shâr hatte schon genug Weiber! Wütend krallte Charrizul die Hände in den staubigen Boden, während die Frauen unter ihm vorbeizogen, ohne ihn zu bemerken. Wenn er dem Shâr verriet, wo seine Sklavin hingegangen war, würde der sich auch die fremde Kriegerin nehmen. Doch wenn er es nicht verriete ... dürfte er noch weniger Hoffnung haben, die Fremde zu besitzen. Vielleicht teilte der Shâr ja? Vielleicht war er großzügig und überließe ihm die Fremde, weil er sie aufgespürt hatte und die hellhaarige Sklavin dazu? Und vielleicht ... war die Fremde ja gar nicht die Frau, die der Shâr in den Bergen jagen ließ?
Charrizul wartete, bis die Schritte und Stimmen der Weiber verklungen waren, dann raffte er sich auf und setzte seinen Weg zum Lager der Bâni Khadr fort. Schritt für Schritt schleppte er sich vorwärts. Allein sein Wille hielt ihn aufrecht. Der Shâr würde Grund haben, ihm dankbar zu sein. Und dann würde Charrizul bekommen, was er wollte, bei allen Geistern ...!
Autor: von Scheffelstein
27. Praios, abends
"Da ist es", sagte Richeza und deutete auf eine enge Spalte in der Felswand am Fuß des Djer Kalkarif. "Da habe ich die anderen zuletzt gesehen. Euren Onkel und meinen Vetter – also, einen anderen Vetter von mir, der mich auf der Suche begleitet."
Es dämmerte bereits. Fast hätte Richeza die Höhle nicht wiedergefunden, obwohl sie ein paar markante Felsformationen erkannt hatte, an denen sie mit Moritatio und dem Streitzig vor drei Tagen vorbeigekommen war. Drei Tage! Sie kamen ihr wie eine Ewigkeit vor!
Richeza strich über die Bruchstellen am Ast des Baumes, dessen Holz sie für das Signalfeuer auf dem Berg verwendet hatte. Ja, kein Zweifel, dies war die richtige Spalte.
Die Höhle war leer. Zwar fanden sich noch Überreste des Lagerfeuers zwischen den Steinen, doch von Moritatio, dem Yaquirtaler oder dem Mädchen fehlte jede Spur. Was hatte sie erwartet? Sie selbst hatte die anderen weggeschickt, die Männer schwören lassen, dass sie nicht nach ihr suchten, sondern nach Praiodor.
Richeza warf ihr Bündel zu Boden und ließ sich an der Höhlenwand nieder. Einen Augenblick später sprang sie auf. "Halt!", rief sie und bedeutete der Grafentochter, die ihr zusammen mit der Ferkina gefolgt war, stehen zu bleiben. Jemand hatte die Reste des Lagerfeuers auf dem Boden verteilt und festgetreten. In die Asche waren gut lesbare Buchstaben eingeritzt.
Richeza trat neben die Grafentochter und beugte sich über die Schrift. Der Wind, der beständig von draußen hereinblies, hatte einen Teil der Worte bereits verwischt:
cheza hab
Kr en reund funden,
wur rzauber und st
ve ück in eine
Ahnen hle d ilden
n der Ostflan des
erges ge ra werd
D Deine, Moritat