Chronik.Ereignis1035 Flucht aus der Heimat 02

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Vinsalt, Rahja 1035 BF

Alt-Bosparan

Autor: Lindholz

Nachdem die Becher geleert waren, begaben sich die beiden Handelspartner in das benachbarte Zimmer. Hier stapelten sich die Waren, die am Gesetz vorbei in die Stadt gebracht wurden, verborgen in ihren nichtssagenden hölzernen Hüllen. Auch die letzten Kisten von Lucios Kahn wurden abgeladen und die vier Männer, die für Nesro arbeiteten, zogen sich mit dessen Einverständnis in den Nebenraum zurück. Nesro hingegen nahm einen Kuhfuß zur Hand und suchte eine der Kisten aus, um den abschließende hölzerne Deckel herunter zu hebeln. Als die Platte zur Seite glitt, fiel das unruhige Licht der über ihren Köpfen baumelnden Laterne auf sechs mit Korkpfropfen versiegelte Krüge. In ihrem Bett aus dichtem, blassgelbem Stroh ruhten sie vor Erschütterungen geschützt.

Ein würziger Duft breitete sich im Lager aus, als Nesro einen der Krüge an sich nahm und das wächserne Siegel brach. Das an Süßholz erinnernde Aroma stieg Lucio noch stärker in die Nase, als sein Handelspartner das Gefäß sanft schwenkte, um Konsistenz und Schlierenbildung der elfenbeinfarbenen, milchigen Flüssigkeit im Inneren besser beurteilen zu können. Schließlich nickte er und schenkte Lucio ein zufriedenes Lächeln: "Beste Qualität wie immer, Farfara." Dieser zuckte in gespielter Gleichgültigkeit die Schultern: "Was hast Du anderes erwartet? Ich lasse mich eben nicht übers Ohr hauen." "Und bescheißt auch selber nicht, was ich sehr zu schätzen weiß." ergänzte Nesro, während die großbusige Hautbilddame deutlich aus der Form geriet, als ihr Träger den Pfropfen mit Kraft wieder in den Hals des Kruges drückte. "Dann hol ich mal den Beutel klingender Münzen, der Dir zusteht." fuhr er fort, während er das irdene Gefäß wieder sicher verstaute, und ging dann mit einem Schulterklopfer an Lucio vorbei.

Wie immer würde es eine Weile dauern, bis sein Geschäftspartner zurückkehrte. Gelangweilt blickte sich Lucio in dem Lager um. Er vermutete, dass hier die Tiere einstmals zerlegt worden waren zu jenen Tagen, als das Gebäude noch als Abdeckerei diente. Vor seinem inneren Auge konnte der Schmuggler sehen, wie Haut, Fleisch und Knochen der faulenden Kadaver voneinander getrennt wurden, um sie den Gerbern, Leim-, Seifen- und Salpetersiedern zuzuführen. Die Vorstellung war nicht sehr appetitlich und schlug ihm auf den Magen. So ging Lucio stattdessen dazu über, Theorien aufzustellen, was sich wohl in den übrigen Kisten befand, die nicht von ihm stammten. Die vorderen waren noch gut vom schwachen Lampenschein erhellt, doch die hinteren Reihen und Stapel verloren sich irgendwo in den Schatten. Manche Kisten waren so klein, dass man sie bequem in einen Rucksack stecken konnte. Was wohl so wertvoll war, dass es selbst in so geringen Mengen den Aufwand wert war?

Besonders ein Kästchen weckte die Aufmerksamkeit des Schmugglers. Es ruhte gleich unter der Laterne auf einem niedrigen Stapel und maß gerade einmal anderthalb Spann Länge und war halb so hoch. Neugierig schritt Lucio zu dem Behältnis hinüber und betrachtete es genauer. Im Großen und Ganzen war es nichts weiter als die Miniaturausgabe jeder anderen Lagerkiste in diesem Raum. Es bestand aus hellem Fichtenholz, welches sich rau und ungeschliffen unter seinen Fingern anfühlte. Erst jetzt und zu seiner eigenen Überraschung stellte er fest, dass er bereits die Hand danach ausgestreckt hatte. ‚Bei Phex, nun da dieser Schritt getan ist…‘ dachte er bei sich und versuchte mit der Rechten leise den Deckel anzuheben.

Dieser ließ sich ohne Schwierigkeiten entfernen und gab den Blick auf eine Reihe, säuberlich in weichen Sägespänen plattzierte Flakons frei. Lucio nahm eines der reich verzierten Gefäße in seine Hand und drehte es, was ein verführerisches Glitzern in das durchscheinende Glas zauberte. Im Inneren der bauchigen Fläschchen konnte man eine Flüssigkeit erahnen, dessen helles Gelb Lucio an die Farbe von Katzenaugen erinnerte.

Verwirrt fragte sich der Schmuggler, seit wann man auch Parfum schmuggelte, oder ob sich im Inneren eine Flüssigkeit ganz anderer Wirkung befinden mochte. Unsicher, ob es wohl harmlos wäre, den zierlichen Verschluss zu lösen, hob Lucio das fragile Gefäß in die Höhe und drehte es vor seinen Augen hin und her, als er von nebenan einen dumpfen Aufschlag vernahm. Laut schrammten Hocker über den Boden, als würden sich Personen eilig erheben und ein hektisches Gewirr von Stimmen drang an sein Ohr. Was war dort nur los? Ein unangenehmes Gefühl breitete sich in Lucios Magengegend aus. Zu gleichen Teilen von Neugier und Vorsicht getrieben, näherte er sich der Verbindungstür und presste das Ohr gegen das dunkle Holz.

Das Durcheinander war inzwischen einer bedrohlichen Stille gewichen. „Ihr hättet Euch nicht nehmen sollen, was Euch nicht zusteht.“ verkündete eine raue, Lucio unbekannte Stimme in die atemlose Stille. „Verzeiht! Es war nicht meine Absicht… ich wusste nicht, dass Rigo für sie gearbeitet hat.“ Nesro wirkte mehr als nur nervös. Trotz des beiläufigen Tonfalls seines Gesprächspartners hatte er die Angst nicht aus seiner Stimme bannen können. Lucio lief es eiskalt den Rücken hinunter. „Es ist alles noch hier. Ihr könnt es haben, wirklich! Richtet ihr bitte mein größtes Bedauern aus und versichert ihr, dass so etwas sicherlich nicht mehr vorkommen wird.“ fuhr Lucios Geschäftspartner fort. „Ich fürchte, damit ist es nicht getan, mein Freund. Es steht zu viel auf dem Spiel.“ erwiderte der Unbekannte.

Lucio verließ seinen Horchposten an der Tür. Er konnte Nesros Wimmern nicht mehr verstehen, doch sein verzweifelter Tonfall sprach für die Hoffnungslosigkeit seiner Situation. Sein Gefühl verriet Lucio, dass heute Nacht Blut fließen würde - und Zeugen waren sicher nicht erwünscht. Besorgt blickte sich der Händler in dem Lagerraum nach einer Möglichkeit zu entkommen um. Die breite Rampe war keine Option. Selbst wenn es ihm gelingen sollte, die zugenagelte Öffnung aufzubrechen, wartete dahinter nur das morastige Wasser auf ihn, das schon so viele, nicht verwertbare Überreste von tierischen und – wie man munkelte – menschlichen Kadavern verschlungen hatte. Nein, so wollte er nicht enden! Er eilte zu einem der Fenster. Schon wollte er die Läden aufstoßen, als ihn eine Ahnung zurückhielt. Vorsichtig linste er durch einen Spalt in dem Holz des Fensterladens und zuckte zurück, als er draußen einen tiefschwarzen Schatten im Sternenlicht erblickte. Vielleicht war es nur ein Tier, vielleicht ein großer Hund, ja möglich wäre es, doch sollte er sein Leben einem „Vielleicht“ anvertrauen?

Nebenan hatte das Schlachtfest begonnen: Klingen kreuzten sich und Menschen schrien, fluchten, starben. Wie viele Leute hatte Nesro doch gleich versammelt gehabt? Wie groß war die Übermacht, der sie sich stellten? Wie lange würde es dauern, bis jemand die Tür zum Lager aufstieß, um das zu holen, was ‚sie‘ für sich beanspruchte? Von Furcht erfüllt zog sich Lucio in den Raum zurück, die Augen wie gebannt auf die Tür gerichtet, die sein Schicksal offenbaren würde, als ihm in der Wand über dem Zugang etwas ins Auge fiel: Inmitten der Schatten konnte er ein tiefschwarzes Rechteck ausmachen. Lucio hielt in seinem vergeblichen Rückzug inne und blickte genauer hin. Das musste der Zugang zum Dachboden sein. Es gab keine Leiter, die hinaufführte, doch die Kisten waren so hoch gestapelt, dass er mühelos hinauf gelangen konnte. Wenn Phex mit ihm war, konnte er sich dort verbergen bis die unbekannten Angreifer sich genommen hatten, was sie wollten. Einen Herzschlag zögerte er. Konnte dieser gähnende Schlund wirklich Hoffnung für ihn bereithalten? Dann schlug etwas heftig gegen die Tür und ihm wurde klar, dass er keine Zeit mehr hatte. Eine Karte zu ziehen, konnte nur besser sein, als das Blatt gleich abzuwerfen. Mit wenigen Schritten hetzte er zu dem Kistenstapel, der ihm als Aufstieg dienen sollte, kletterte, zog sich daran empor und kroch, oben angekommen, in die Finsternis.


Chronik:1035
Flucht aus der Heimat
Teil 02