Chronik.Ereignis1033 Feldzug Selaque 35: Unterschied zwischen den Versionen
KKeine Bearbeitungszusammenfassung |
|||
(8 dazwischenliegende Versionen von 2 Benutzern werden nicht angezeigt) | |||
Zeile 1: | Zeile 1: | ||
==In [[Kaiserlich | ==In [[Kaiserlich Selaque]], 5. Rondra [[Annalen:1033|1033]] BF== | ||
=== | ===An der Straße von Selaque nach Schrotenstein=== | ||
=====5. Rondra 1033 BF, am späten Abend===== | =====5. Rondra 1033 BF, am späten Abend===== | ||
'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | '''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | ||
Irgendwo westlich des Marktes Selaque schritt [[Moritatio da Vanya]] weit aus, um noch vor Anbruch der Nacht in Schrotenstein zu sein. Der Abschied von [[Richeza von Scheffelstein y da Vanya|Richeza]] und den anderen in aller Götterfrühe war ihm nur deshalb so leicht gefallen, weil er das Castillo seiner Familia verlassen hatte, bevor überhaupt jemand auf den Beinen gewesen war, dem er erst alles lang und breit hätte erklären müssen. | |||
Nein, nein, er hatte seinen Heimaturlaub lange genug überzogen und damit sicherlich Schande über seinen Namen gebracht. Hoffentlich glaubte man ihm bei Hofe seine Geschichte über all die Vorkommnisse in Selaque und den Bergen in dieser kurzen Zeit. Vieles davon würde in den Ohren eines Außenstehenden gewiss wie die Phantasterei eines Trunkenboldes klingen – erst recht, wenn ihm diese Außenstehenden von vorneherein nicht wohlgesonnen waren, wie es bei seinem Colonello [[Filippo di Lacara]] leider unzweifelhaft der Fall war. | Nein, nein, er hatte seinen Heimaturlaub lange genug überzogen und damit sicherlich Schande über seinen Namen gebracht. Hoffentlich glaubte man ihm bei Hofe seine Geschichte über all die Vorkommnisse in Selaque und den Bergen in dieser kurzen Zeit. Vieles davon würde in den Ohren eines Außenstehenden gewiss wie die Phantasterei eines Trunkenboldes klingen – erst recht, wenn ihm diese Außenstehenden von vorneherein nicht wohlgesonnen waren, wie es bei seinem Colonello [[Filippo di Lacara]] leider unzweifelhaft der Fall war. | ||
Zeile 98: | Zeile 27: | ||
"Also ich kenn' keine Leute aus Schrotenstein und will auch niemand' von dort kennen!", stellte der muskulöse Steinbrecher Lechdan klar, der früher ein Sträfling gewesen war, ehe ihn die Reichsvogtin vor über zwölf Jahren aus unbekannten Gründen begnadigt und zu einem freien Steinbrecher der Krone befördert hatte. Seither musste er nur – genau wie alle anderen Spitzel und Zuträger der Vogtin – unter dem gemeinen Volk und den Sträflingen ein wenig die Augen und Ohren offenhalten, um ein halbwegs menschenwürdiges Leben zu führen. | "Also ich kenn' keine Leute aus Schrotenstein und will auch niemand' von dort kennen!", stellte der muskulöse Steinbrecher Lechdan klar, der früher ein Sträfling gewesen war, ehe ihn die Reichsvogtin vor über zwölf Jahren aus unbekannten Gründen begnadigt und zu einem freien Steinbrecher der Krone befördert hatte. Seither musste er nur – genau wie alle anderen Spitzel und Zuträger der Vogtin – unter dem gemeinen Volk und den Sträflingen ein wenig die Augen und Ohren offenhalten, um ein halbwegs menschenwürdiges Leben zu führen. | ||
Seit ihr ursprünglicher Commandant, der eitle Geck [[Azzato von San Owilmar]], entschieden hatte, noch ein wenig länger auf dem fremden Castillo im See zu verbleiben, wie ihnen diese [[ | Seit ihr ursprünglicher Commandant, der eitle Geck [[Azzato von San Owilmar]], entschieden hatte, noch ein wenig länger auf dem fremden Castillo im See zu verbleiben, wie ihnen diese [[Morena von Harmamund]] und ihr Begleiter Berengar zu ihrer aller Verblüffung verkündet hatten, ehe sie selbst in Richtung Punin davongeritten waren, führte nun Lechdan das rat- und orientierungslose Selaquer Aufgebot nach Hause zurück. Niemand von ihnen wusste, was sie noch weiter in Schrotenstein sollten, wo man ihnen nicht wohlgesonnen war, wie die drei Verwundeten bezeugen konnten, die sie seit der Bataille mit den Bewohnern der Nachbarbaronie auf selbstgezimmerten Tragbahren mit sich schleppen mussten. | ||
"Ich glaub', mich tritt ein Ochse!", stieß weiter hinten die Bauerstochter Guiseppa einen markanten Pfiff aus. "Ich erkenne den Mistkerl, der uns da winkt! Es ist der junge da Vanya – der Sohn der Verräterin Rifada! Er, seine Mutter und seine Schwester sind einmal mitten über unser Rübenfeld geritten, sodass mein Vater danach geschimpft hat: Der Namenlose hol' diese ganze Rasse!" | "Ich glaub', mich tritt ein Ochse!", stieß weiter hinten die Bauerstochter Guiseppa einen markanten Pfiff aus. "Ich erkenne den Mistkerl, der uns da winkt! Es ist der junge da Vanya – der Sohn der Verräterin Rifada! Er, seine Mutter und seine Schwester sind einmal mitten über unser Rübenfeld geritten, sodass mein Vater danach geschimpft hat: Der Namenlose hol' diese ganze Rasse!" | ||
Zeile 134: | Zeile 63: | ||
"Nicht, wenn jeder seine Schnauze hält!", fuhr ihn Alrigo an. "Gebt das her!", nahm er den beiden jungen Burschen die Stiefel und den Hut des Hofjunkers ab. "Ich werde das hier der Frau Reichsvogtin übergeben. Sie wird uns dafür belobigen! Zu jedermann sonst aber verliert keiner ein Wort!" | "Nicht, wenn jeder seine Schnauze hält!", fuhr ihn Alrigo an. "Gebt das her!", nahm er den beiden jungen Burschen die Stiefel und den Hut des Hofjunkers ab. "Ich werde das hier der Frau Reichsvogtin übergeben. Sie wird uns dafür belobigen! Zu jedermann sonst aber verliert keiner ein Wort!" | ||
===== 5.-11. Rondra 1033 BFCastillo da Vanya und auf der Straße nach Schrotenstein ===== | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Ancuiras|Ancuiras]] | |||
Der 5. Tag des Rondramondes begann nichts besonders verheißungsvoll. Gendahar hatte am Vorabend dem Wein stärker zugesprochen als beabsichtigt. Es war der erste sinnenfrohe Abend nach wochenlangen Entbehrungen im Raschulswall gewesen und er hatte über die Stränge geschlagen, wo er hätte Maß halten sollen. Die Tage - oder besser, die Nächte - die er hemmungslos durchfeiern konnte, ohne an das Morgen zu denken, waren unwiederbringlich vorbei. Doch die Gesellschaft Richezas und die Erleichterung über die weitgehend unblutige Eroberung des Castilo hatten ihn in eine Hochstimmung versetzt, die sich am nächsten Morgen in das reine Gegenteil verwandelt hatte. Von einem Kater zu sprechen, traf es nicht ansatzweise, es war eher ein ausgewachsener Zant, der da in seinem Kopf wütete. | |||
Er stand spät auf. Da er sich ohnehin nicht danach fühlte, die Burg zu verlassen, inspizierte er die Besatzung und die Verteidigungsanlagen. Die Burg an sich war gut in Schuss, wenn man von dem Turm absah, wo es am Vorabend gebrannt hatte. Aber die Mannschaft war ein zusammengewürfelter Haufen, für den Disziplin, Treue und Loyalität Fremdworte waren. | |||
Mit Verärgerung stellte er fest, dass Moritatio sich einfach aus dem Staub gemacht und seiner Base nur zwei Briefe für seine Familie hinterlassen hatte. Gendahar fragte sich, ob seine Mutter damit einverstanden gewesen wäre, dass er die Sicherheit der Stammburg ihres Hauses als weniger wichtig erachtete als seine Karriere bei Hofe. Gendahar würde Moritatio in Punin die Leviten lesen! | |||
Für den Streitziger bedeutete es vor allem eines: Er konnte Richeza, die noch immer sehr angeschlagen war, nicht verlassen, jetzt, wo sogar Moritatio sie im Stich gelassen hatte. Er würde noch ein, zwei Wochen auf dem Castillo da Vanya bleiben müssen ... in der Nähe Richezas, was wahrlich kein großes Opfer war! Natürlich gab sie mit keinem Wort, mit keiner Geste zu verstehen, dass sie Wert auf seine Anwesenheit legte. Doch er kannte sie und ihren Stolz mittlerweile gut genug. Der Umstand, dass sie ihn nicht fortschickte und stillschweigend seine Unterstützung akzeptierte, war das Meiste, was von ihr zu erwarten war ... | |||
Und zur Hochzeit des Kaisers hätte er es sowieso nicht mehr rechtzeitig geschafft. | |||
Am Morgen des 6. Rondra, dem Tag der Vermählung, stellte Gendahar sich lebhaft das Gesicht seines Vaters, des Grafen, vor, wenn dieser feststellte, dass sein jüngster Sohn diesmal nicht, wie sonst so oft, im letzten Moment am verabredeten Ort erscheinen würde. Er würde ihn sicherlich mit Vorwürfen überhäufen, aber das war nun nicht mehr zu ändern. Der Kaiser hingegen würde sein Fehlen hoffentlich gar nicht bemerken, so geistesabwesend und entrückt er in letzter Zeit schien. | |||
Anstatt Hal II. beim Traviaschwur zuzuschauen, machte Gendahar sich also auf, das Dorf in Augenschein zu nehmen. Sein Ross fand er nach mehreren Stunden der Suche auf einer nahegelegenen Weide. Er war froh, denn er hatte Gefallen an dem stolzen Vierbeiner gefunden. "Du bist zu schlau und zu schnell für die tumben Oger, nicht wahr?", raunte er dem Reittier in das aufmerksame Ohr, während er es hinter eben jenem kraulte und ihm eine der Rüben hinhielt, die er zu diesem Zweck in der Burgküche eingesteckt hatte. | |||
"Außerdem nennt man sie ja Menschen- und nicht Pferdefresser", versuchte er sich an einem Scherz. Zum Glück hörte ihn nur das Pferd. | |||
Die nächsten Tage versuchte er, so gut als möglich die Burg und die Soldaten auf Vordermann zu bringen. Täglich aß er mit Domna Richeza zu Abend und tauschte sich mit ihr darüber aus, was die nächsten Wochen und Monate bringen mochten. | |||
Zu seinem Leidwesen kamen sie sich kein bisschen näher. | |||
Dann aber ließ sich der Aufbruch nicht weiter verschieben. Soweit es in seiner Macht stand, hatte er die Dinge auf dem Castillo geordnet. Am Morgen des 11. Rondra wünschte er Richeza alles Gute und machte sich auf den Weg. | |||
Er brauchte den gesamten Vormittag, um die Elentinische Ebene zu überqueren. Der Ritt stellte sich als schwierig heraus, da der Boden allerlei Fallstricke und Löcher für einen unbedachten Reiter bereit hielt. Obwohl er sich sputete und Pferd und Reiter ausgeruht waren, dämmerte es bereits, als er endlich die Straße nach Schrotenstein erreichte. Auf der Straße würde er auch im Dunkeln reiten können, aber im wäre wohler, wenn er die Burg vor der Dunkelheit erreichen würde. | |||
Er ritt so zügig wie möglich zur Straße hinab. Er beschloss, den Weg durch das niedrige Gestrüpp abzukürzen, als plötzlich sein Pferd scheute. "Brrr, mein Junge, was hast du denn? Ich will doch nur diesen kleinen Hang hinab. Da unten ist der Weg eben und einfach ..." | |||
Doch das Pferd ließ sich nicht beruhigen. Irgendetwas in dem Gebüsch vor ihnen verdarb ihm die Lust, in die von seinem Reiter gewiesene Richtung zu laufen. Vielleicht eine Schlange? Doch dann roch Gendahar den strengen Geruch, der aus dem Gestrüpp drang. | |||
"Irgendein Aas", murmelte der Streitziger angewidert. "Kein Wunder, dass deine feine Nase nicht will, dass wir da lang reiten." Achselzuckend riss er die Zügel an und führte sein Pferd in einem großen Bogen um das Strauchwerk herum, hinunter auf die Straße. Hätte er genauer geschaut oder wäre es nicht so dunkel gewesen, hätte er vielleicht den Leichnam entdeckt, der, in den Wappenrock des Hauses da Vanya gehüllt, bereits zu verwesen begonnen hatte ... | |||
Aktuelle Version vom 7. November 2014, 15:03 Uhr
In Kaiserlich Selaque, 5. Rondra 1033 BF[Quelltext bearbeiten]
An der Straße von Selaque nach Schrotenstein[Quelltext bearbeiten]
5. Rondra 1033 BF, am späten Abend[Quelltext bearbeiten]
Autor: SteveT
Irgendwo westlich des Marktes Selaque schritt Moritatio da Vanya weit aus, um noch vor Anbruch der Nacht in Schrotenstein zu sein. Der Abschied von Richeza und den anderen in aller Götterfrühe war ihm nur deshalb so leicht gefallen, weil er das Castillo seiner Familia verlassen hatte, bevor überhaupt jemand auf den Beinen gewesen war, dem er erst alles lang und breit hätte erklären müssen.
Nein, nein, er hatte seinen Heimaturlaub lange genug überzogen und damit sicherlich Schande über seinen Namen gebracht. Hoffentlich glaubte man ihm bei Hofe seine Geschichte über all die Vorkommnisse in Selaque und den Bergen in dieser kurzen Zeit. Vieles davon würde in den Ohren eines Außenstehenden gewiss wie die Phantasterei eines Trunkenboldes klingen – erst recht, wenn ihm diese Außenstehenden von vorneherein nicht wohlgesonnen waren, wie es bei seinem Colonello Filippo di Lacara leider unzweifelhaft der Fall war.
Hoffentlich hatte sein langes und eigenmächtiges Ausbleiben noch nicht außerhalb des Hofjunker-Banners die Runde gemacht. Wenn er erst beim gesamten Hofstaat oder gar bei Seiner Kaiserlichen Majestät eine Reputation als zeitweiser Fahnenflüchtiger und Deserteur weg hatte, so konnte er seine Aussichten auf eine Hofkarriere ein für allemal begraben – und diese war es ja letztlich, die hoffnungsfrohe junge Burschen wie ihn selbst in Scharen nach Punin zog.
Ja, mit seiner Tapferkeit beim Entstehen und Wachsen dieses neuen großartigen eslamidischen Kaiserreichs unter Hal Secundo mitwirken zu können – das war schon der Traum, der ihn letztlich antrieb. Selbst die Eroberung einer Traumfrau wie Richeza oder der Ragather Comtessa musste hinter dieser Ambition zurückstehen.
Er hatte Elenta am frühen Vormittag passiert und sich von dort aus strikt südwärts in Richtung Krötensee gehalten. In Ermangelung eines Reittieres war er tatsächlich zu Fuß unterwegs, was bei der Durchquerung der Elentinischen Ebene auch sicherer war. Erstens weil Reiter hier trotz der meilenweit wogenden Graslandschaft schon aus großer Entfernung aufgrund der von ihnen aufgewirbelten Staubwolken zu erkennen waren, zum anderen aber auch, weil der Untergrund hier für Reiter reich an Stolperfallen war, in denen sich ein Pferd leicht die Beine brechen konnte. In der Ferne kam schon die Straße von Schrotenstein nach Selaque ins Blickfeld, die momentan sein Ziel war, da er dann – nach einer Nacht auf Burg Schrotenstein – von morgen an nur noch auf gepflasterten Straßen bis nach Punin wandern konnte.
Die Sonne stand bereits recht tief und rötlich am Horizont, als er die Straße erreichte, die sich zu seiner Überraschung nicht einsam und verlassen wie sonst durch die grünbraune Landschaft schlängelte, sondern auf der von Westen her eine größere Menschenmenge heranzog, die offenbar gerade aus Schrotenstein kam. Im blendenden Gegenlicht konnte er nur ihre schwarzen Silhouetten vor dem gleißenden Feuerball des Praiosrundes erkennen, das hinter dem Hügel stand, den die Gruppe herabzog.
Ihr Gang und die Art und Weise, wie sie sich bewegten, deuteten eigentlich darauf hin, dass es sich um Rustikals handelte – vermutlich eine größere Schar Bauern, die von der Arbeit auf den Feldern zurückkehrte. Eventuell kamen sie aus dem Weiler Carano, der unweit der Baroniengrenze zwischen Selaque und Schrotenstein lag. Die funkelnden und blitzenden Rüstungen, die einige von ihnen am Leib trugen, und die Waffen, die sie fast alle in den Händen hatten, deuteten jedoch darauf hin, dass es sich doch nicht um Bauern oder – falls doch – dann um eine gut ausgerüstete Landwehr-Miliz handelte.
Ja, natürlich! Das mussten die braven Schrotensteiner Untertanen seines Onkels Lucrann und seiner lieben Muhme Belisetha sein, die zu ihrer Unterstützung nach Selaque zogen! Moritatio zog seinen Ersatz-Caldabreser vom Kopf, den er aus dem heimatlichen Castillo als Sonnenschutz mitgenommen hatte, und begann der Gruppe damit zu winken.
"Guckt euch den an!", stupste Alrigo aus Selaque seinen Cumpadre Elano an und deutete auf den ihnen zu winkenden Edelmann drunten auf der Straße. "Kennt einer von euch den Trottel oder was hampelt der so herum?"
"Also ich kenn' keine Leute aus Schrotenstein und will auch niemand' von dort kennen!", stellte der muskulöse Steinbrecher Lechdan klar, der früher ein Sträfling gewesen war, ehe ihn die Reichsvogtin vor über zwölf Jahren aus unbekannten Gründen begnadigt und zu einem freien Steinbrecher der Krone befördert hatte. Seither musste er nur – genau wie alle anderen Spitzel und Zuträger der Vogtin – unter dem gemeinen Volk und den Sträflingen ein wenig die Augen und Ohren offenhalten, um ein halbwegs menschenwürdiges Leben zu führen.
Seit ihr ursprünglicher Commandant, der eitle Geck Azzato von San Owilmar, entschieden hatte, noch ein wenig länger auf dem fremden Castillo im See zu verbleiben, wie ihnen diese Morena von Harmamund und ihr Begleiter Berengar zu ihrer aller Verblüffung verkündet hatten, ehe sie selbst in Richtung Punin davongeritten waren, führte nun Lechdan das rat- und orientierungslose Selaquer Aufgebot nach Hause zurück. Niemand von ihnen wusste, was sie noch weiter in Schrotenstein sollten, wo man ihnen nicht wohlgesonnen war, wie die drei Verwundeten bezeugen konnten, die sie seit der Bataille mit den Bewohnern der Nachbarbaronie auf selbstgezimmerten Tragbahren mit sich schleppen mussten.
"Ich glaub', mich tritt ein Ochse!", stieß weiter hinten die Bauerstochter Guiseppa einen markanten Pfiff aus. "Ich erkenne den Mistkerl, der uns da winkt! Es ist der junge da Vanya – der Sohn der Verräterin Rifada! Er, seine Mutter und seine Schwester sind einmal mitten über unser Rübenfeld geritten, sodass mein Vater danach geschimpft hat: Der Namenlose hol' diese ganze Rasse!"
"Ein da Vanya?", fragte Alrigo ungläubig. "Und der winkt uns noch frech, nachdem seine Schwester uns allen die Wänste aufschlitzen wollte?"
"Ein Verräter wie seine Mutter!", wetterte Dasodono, einer der Verwundeten, der auf seiner Bahre schwach den Kopf hob und eine Faust in den Himmel reckte. "Zahlt's dem Scheißkerl heim, was seine Sippschaft mir und der Bosquirischen Jungfer angetan haben! Die Herrin wird uns allen dankbar sein!"
Moritatio hatte sich der vielleicht fünzigköpfigen Gruppe inzwischen bis auf zwanzig Schritt genähert. Erst jetzt erkannte er ob des blendenden Lichts, dass das gar keine Schrotensteiner, sondern Selaquer wie er selbst waren. Allerdings Selaquer aus dem Markt Selaque selbst und auch einige Bewohner des Weilers San Owilmar oder von Elenta, die er allesamt nicht zu den Schutzbefohlenen seiner Familia zählen konnte.
"Die guten Götter zum Gruße, ihr Leute!", rief er ihnen trotzdem höflich entgegen und ging weiter auf sie zu. "Was führt euch in diese Gegend, fernab eurer Schollen? Kommt ihr aus Schrotenstein?"
"Was geht's dich an, Verräterschwein?", rief Lechdan keck zurück und hob einen Stein vom Boden auf, den er auf Moritatio schleuderte.
Der Stein traf Moritatio hart an der Wange, ehe er ausweichen konnte. Der Schmerz durchzuckte ihn jäh, und er presste eine Hand auf die getroffene Stelle, die sich sofort blutrot färbte. "Bist du von Sinnen, Rustikal?", schimpfte er und griff mit der anderen Hand nach seinem Degen, den er als Ersatz für sein zerbrochenes Rapier mit sich führte, bis er sich in Punin von den Gebrüdern Sfazzio eine neue persönliche Waffe von seinem Sold würde leisten können. "Das wirst du mir teuer bezahlen! Wer einen Magnaten angreift, dessen Leben ist verwirkt!"
"Dein Leben ist verwirkt, verfluchter da Vanya!", brüllte Lechdan zurück und hob seinen Säbel, der Moritatio an eine Waffe aus der Sammlung seiner Mutter erinnerte. Entsetzt sah er, dass zwar nicht alle, aber doch fünfzehn oder zwanzig weitere Aufrührer und Krawallbrüder mit Lechdan gemeinsam auf ihn zu stürmten.
'Alleine gegen zwanzig – sei kein Narr!', schoss es Moritatio durch den Kopf. 'Du bist ein Hofjunker Seiner Majestät!', sagte ihm ein anderer Gedanke. "Ein Hofjunker flieht nicht – viel Feind, viel Ehr, die alte Mär!"
Gellend prallten Säbel und Degen aufeinander. Lechdan war kein versierter Kämpfer, das verriet schon seine Angriffshaltung, aber es lag eine gehörige Wucht in seinen Schlägen.
Moritatio versuchte, den fürchterlichen Schmerz in seiner Wange zu ignorieren und auf seine Chance zum Gegenangriff zu lauern, als ihm ein anderer Angreifer von der Seite die Spitze seines Hakenspießes in die Seite rammte. Ein Bauer mit einem Hakenspieß? Das waren doch die Waffen seiner Mutter, die man aus ihrem Bergfried gestohlen hatte! Moritatio sprang in einem verzweifelten Ausfall vor und stach Lechdan seine Klinge in die Brust. Gurgelnd fasste der bullige Mann mit beiden Händen nach seiner Klinge, die Moritatio über und über blutbesudelt wieder aus dessen Leib hervor riss.
Ein anderer Bauer schlug ihm von hinten die Stachelkugel seines Streitkolbens auf den Schädel, dass es Moritatio schwarz vor Augen wurde und er taumelnd vornüber stürzte. Sofort drangen von allen Seiten weitere Selaquer auf ihn ein, prügelten und stachen von überall her auf ihn nieder, dass er noch eine einzige Welle von Schmerz verspürte. Dann aber fielen mit einem Male alle Schmerzen von ihm ab und er sah ein helles warmes Licht, verbunden mit einem Gefühl von Geborgenheit.
"Da haste wasde verdienst!", presste Alrigo zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und tauchte ein weiteres Mal wie von Sinnen die Spitze seines Hakenspießes in den Leib des nun regungslos daliegenden Magnaten.
"Er ist hin!", stellte Guiseppa lakonisch fest. "Lechdan aber auch!"
Alrigo wischte sich schnaufend den Schweiß von der Stirne und sah zu, wie zwei junge Knechte dem toten Junkerssohn seine Stiefel und seinen Caldabreser auszogen.
"Einen Magnaten kaltzumachen – das kann uns alle an den Galgen bringen!", meldete der alte Schneidermeister Olpertino als einziger Bedenken an.
"Nicht, wenn jeder seine Schnauze hält!", fuhr ihn Alrigo an. "Gebt das her!", nahm er den beiden jungen Burschen die Stiefel und den Hut des Hofjunkers ab. "Ich werde das hier der Frau Reichsvogtin übergeben. Sie wird uns dafür belobigen! Zu jedermann sonst aber verliert keiner ein Wort!"
5.-11. Rondra 1033 BFCastillo da Vanya und auf der Straße nach Schrotenstein[Quelltext bearbeiten]
Autor: Ancuiras
Der 5. Tag des Rondramondes begann nichts besonders verheißungsvoll. Gendahar hatte am Vorabend dem Wein stärker zugesprochen als beabsichtigt. Es war der erste sinnenfrohe Abend nach wochenlangen Entbehrungen im Raschulswall gewesen und er hatte über die Stränge geschlagen, wo er hätte Maß halten sollen. Die Tage - oder besser, die Nächte - die er hemmungslos durchfeiern konnte, ohne an das Morgen zu denken, waren unwiederbringlich vorbei. Doch die Gesellschaft Richezas und die Erleichterung über die weitgehend unblutige Eroberung des Castilo hatten ihn in eine Hochstimmung versetzt, die sich am nächsten Morgen in das reine Gegenteil verwandelt hatte. Von einem Kater zu sprechen, traf es nicht ansatzweise, es war eher ein ausgewachsener Zant, der da in seinem Kopf wütete.
Er stand spät auf. Da er sich ohnehin nicht danach fühlte, die Burg zu verlassen, inspizierte er die Besatzung und die Verteidigungsanlagen. Die Burg an sich war gut in Schuss, wenn man von dem Turm absah, wo es am Vorabend gebrannt hatte. Aber die Mannschaft war ein zusammengewürfelter Haufen, für den Disziplin, Treue und Loyalität Fremdworte waren.
Mit Verärgerung stellte er fest, dass Moritatio sich einfach aus dem Staub gemacht und seiner Base nur zwei Briefe für seine Familie hinterlassen hatte. Gendahar fragte sich, ob seine Mutter damit einverstanden gewesen wäre, dass er die Sicherheit der Stammburg ihres Hauses als weniger wichtig erachtete als seine Karriere bei Hofe. Gendahar würde Moritatio in Punin die Leviten lesen!
Für den Streitziger bedeutete es vor allem eines: Er konnte Richeza, die noch immer sehr angeschlagen war, nicht verlassen, jetzt, wo sogar Moritatio sie im Stich gelassen hatte. Er würde noch ein, zwei Wochen auf dem Castillo da Vanya bleiben müssen ... in der Nähe Richezas, was wahrlich kein großes Opfer war! Natürlich gab sie mit keinem Wort, mit keiner Geste zu verstehen, dass sie Wert auf seine Anwesenheit legte. Doch er kannte sie und ihren Stolz mittlerweile gut genug. Der Umstand, dass sie ihn nicht fortschickte und stillschweigend seine Unterstützung akzeptierte, war das Meiste, was von ihr zu erwarten war ...
Und zur Hochzeit des Kaisers hätte er es sowieso nicht mehr rechtzeitig geschafft.
Am Morgen des 6. Rondra, dem Tag der Vermählung, stellte Gendahar sich lebhaft das Gesicht seines Vaters, des Grafen, vor, wenn dieser feststellte, dass sein jüngster Sohn diesmal nicht, wie sonst so oft, im letzten Moment am verabredeten Ort erscheinen würde. Er würde ihn sicherlich mit Vorwürfen überhäufen, aber das war nun nicht mehr zu ändern. Der Kaiser hingegen würde sein Fehlen hoffentlich gar nicht bemerken, so geistesabwesend und entrückt er in letzter Zeit schien.
Anstatt Hal II. beim Traviaschwur zuzuschauen, machte Gendahar sich also auf, das Dorf in Augenschein zu nehmen. Sein Ross fand er nach mehreren Stunden der Suche auf einer nahegelegenen Weide. Er war froh, denn er hatte Gefallen an dem stolzen Vierbeiner gefunden. "Du bist zu schlau und zu schnell für die tumben Oger, nicht wahr?", raunte er dem Reittier in das aufmerksame Ohr, während er es hinter eben jenem kraulte und ihm eine der Rüben hinhielt, die er zu diesem Zweck in der Burgküche eingesteckt hatte. "Außerdem nennt man sie ja Menschen- und nicht Pferdefresser", versuchte er sich an einem Scherz. Zum Glück hörte ihn nur das Pferd.
Die nächsten Tage versuchte er, so gut als möglich die Burg und die Soldaten auf Vordermann zu bringen. Täglich aß er mit Domna Richeza zu Abend und tauschte sich mit ihr darüber aus, was die nächsten Wochen und Monate bringen mochten.
Zu seinem Leidwesen kamen sie sich kein bisschen näher.
Dann aber ließ sich der Aufbruch nicht weiter verschieben. Soweit es in seiner Macht stand, hatte er die Dinge auf dem Castillo geordnet. Am Morgen des 11. Rondra wünschte er Richeza alles Gute und machte sich auf den Weg.
Er brauchte den gesamten Vormittag, um die Elentinische Ebene zu überqueren. Der Ritt stellte sich als schwierig heraus, da der Boden allerlei Fallstricke und Löcher für einen unbedachten Reiter bereit hielt. Obwohl er sich sputete und Pferd und Reiter ausgeruht waren, dämmerte es bereits, als er endlich die Straße nach Schrotenstein erreichte. Auf der Straße würde er auch im Dunkeln reiten können, aber im wäre wohler, wenn er die Burg vor der Dunkelheit erreichen würde.
Er ritt so zügig wie möglich zur Straße hinab. Er beschloss, den Weg durch das niedrige Gestrüpp abzukürzen, als plötzlich sein Pferd scheute. "Brrr, mein Junge, was hast du denn? Ich will doch nur diesen kleinen Hang hinab. Da unten ist der Weg eben und einfach ..."
Doch das Pferd ließ sich nicht beruhigen. Irgendetwas in dem Gebüsch vor ihnen verdarb ihm die Lust, in die von seinem Reiter gewiesene Richtung zu laufen. Vielleicht eine Schlange? Doch dann roch Gendahar den strengen Geruch, der aus dem Gestrüpp drang.
"Irgendein Aas", murmelte der Streitziger angewidert. "Kein Wunder, dass deine feine Nase nicht will, dass wir da lang reiten." Achselzuckend riss er die Zügel an und führte sein Pferd in einem großen Bogen um das Strauchwerk herum, hinunter auf die Straße. Hätte er genauer geschaut oder wäre es nicht so dunkel gewesen, hätte er vielleicht den Leichnam entdeckt, der, in den Wappenrock des Hauses da Vanya gehüllt, bereits zu verwesen begonnen hatte ...
|