Chronik.Ereignis1044 Ein Großer ist ins Licht gegangen 05: Unterschied zwischen den Versionen

Aus Almada Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 1: Zeile 1:
==[[Punin]], Peraine 1044 BF ==
==[[Punin]], Peraine 1044 BF ==
===In der [[Schwarzer Schwan| Weinstube Schwarzer Schwan]], kurz vor der Firunsstunde===
===In der [[Schwarzer Schwan| Weinstube Schwarzer Schwan]] (kurz vor der Firunsstunde)===
'''Autor:''' [[Benutzer:León de Vivar|vivar]]
'''Autor:''' [[Benutzer:León de Vivar|vivar]]



Version vom 22. Juni 2024, 09:46 Uhr

Punin, Peraine 1044 BF

In der Weinstube Schwarzer Schwan (kurz vor der Firunsstunde)

Autor: vivar

Dom Algerio wusste nicht, woher die etwas untersetzte Tulamidin mit den graumelierten Locken und den Tintenflecken auf Fingern und Wams gekommen war. Zafira Almanzor, Schreiberin aus dem Hause Yaquirblick, war mit einem Mal an seinen Tisch im Schwarzen Schwan getreten, wo er auf die Junkerin von Mestera wartete, hatte eine Wachstafel aufgeklappt, einen Griffel hervorgeholt und begonnen, Fragen zu stellen: „Euer Wohlgeboren, es war vor weniger als einem Jahr bei dem von Euer Wohlgeboren veranstalteten Pferderennen im beschaulichen Selkethal, dass Seine Hochgeboren León Dhachmani de Vivar, der Baron im Taubental, zuletzt gesehen ward. Was könnt Ihr unserer geneigten Leserinnenschaft über den Verbleib des Schönen Barons sagen, Euer Wohlgeboren?“


Autor: BBB

Algerio, zunächst etwas etwas überrascht, so überfallen zu werden, lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück. Das versprach ganz unterhaltsam zu werden - auch wenn er andere und deutlich angenehmere Gesellschaft erwartet hatte.

Die Frage ignorierend, erwiderte er in höchstem Maße freundlich: "Auch Euch einen wundervollen und von den Göttern gesegneten Abend, werte... oh, vergebt mir, beim hiesigen Lärm scheine ich Euren Namen überhört zu haben...", wies er sein Gegenüber dezent auf die doppelte Unhöglichkeit hin, ihn weder begrüßt noch sich vorgestellt zu haben.


Autor: vivar

"Ja, der Lärm von Gläserklang und Geselligkeit", blickte sich die Schreiberin in der gut gefüllten Taberna um, um dann mit einer eilfertigen Verneigung fortzufahren: "Zafira Almanzor, von den Nachrichten des Hauses Yaquirblick, zu Euren Diensten, Euer Wohlgeboren. Wir hatten damals Euer Wohlgeboren Annonce über das Pferderennen pro bono veröffentlicht, wie sich Euer Wohlgeboren sicher entsinnen? Gewiss erinnern sich Euer Wohlgeboren auch an den Verbleib des Schönen Barons?"


Autor: BBB

"Selbstverständlich erinnere ich mich an die Annonce", bestätigte der Edle... wenngleich er sich nicht entsinnen konnte, diese pro bono erhalten zu haben. Er hatte den Text mit Farfanya von Taladur, der zweiten Ausrichterin, abgestimmt, und dann seinen Hausdiener gebeten, sich um alles weitere zu kümmern. Die Details? Unwichtig.

"Es freut mich Euch persönlich kennen zu lernen...", fuhr er also fort, "aber verzeiht, was verleitet Euch zu der Annahme ich könnte etwas über den - ich nehme an, Ihr meint aktuellen - Verbleib Seiner Hochgeboren Dom León wissen?"


Autor: vivar

"Tatsächlich meine ich den Verbleib Seiner Hochgeboren nach dem Abschluss Eurer Veranstaltung, Euer Wohlgeboren. Seine Hochgeboren hat Zeugenaussagen zufolge das Selkethal aufgesucht, hat auf seinem Pferd an den Wettrennen und anschließend in persona am Abschlussbankett teilgenommen. Es gibt jedoch keinerlei Zeugenaussage darüber, dass er das Selkethal wieder verlassen habe. Ihr als Herr des Selkethals und Veranstalter wisst da doch sicherlich am besten Bescheid und könnt zur Aufklärung beitragen, Euer Wohlgeboren?"


Autor: BBB

Dom Algerio richtete sich auf, in eine deutlich weniger entspannte Haltung. 'Mal sehen aus welchem Holz Ihr geschnitzt seid, Zafira', ging es ihm durch den Kopf, ehe er mit einer Gegenfrage antwortete: "Zeugen?"


Autor: vivar

Zafira Almanzor war deutlich kleiner als der hünenhafte Dom Algerio und musste ihn nun von unten anblicken. Sie stemmte die Hand mit der Wachstafel in die Hüfte und vollführte mit der rechten und dem Griffel eine grandiose Geste. „Ja, Zeugen, Euer Wohlgeboren! Jene nandusgesegneten Menschen, die Zeugnis“ - der Griffel stach in die Luft - „von etwas ablegen können! Ohne sie wäre unsere journailistische Mission kaum möglich. Schließlich sind wir Schreiber des Hauses Yaquirblick gehalten, getreulich über die Ereignisse in Almada zu berichten und - Praios bewahre! - keine Unwahrheiten zu schreiben. Und Ihr, Euer Wohlgeboren, wäret freilich als Edelmann, Mitglied des ehrenwerten Hauses Culming und Veranstalter der bedeutendste“ - der Griffel fuhr in die Höhe - „Zeuge in diesem göttergefälligen Unterfangen! Unsere Leserschaft im ganzen Königreich“ - eine weitere ausladende Geste des Griffels, die alle An- und Abwesenden einzuschließen schien - „wird es Euch danken!“


Autor: BBB

Die aufrichtige Leidenschaft der Reporterin ließ Algerio innerlich kichern - und es hätte nicht viel gefehlt, dann hätte er es auch äußerlich gezeigt. Aber er konnte sich beherrschen. Noch wollte er dieses Spiel nicht sein lassen. Vielleicht war ja doch noch etwas zu holen?!

Ohne etwas an seiner Position zu ändern, entgegnete er: "Ich verstehe, was Ihr versucht zu sagen, werte Zafira, und wenn Ihr, wie Ihr behauptet, Praios getreu die Wahrheit sprecht, werdet Ihr mir vergeben, dass ich etwas misstrauisch bin... Ihr seid bereits die zweite Person diese Woche die sich in dieser Sache an mich wendet, die erste mit einem durchaus unterschwelligen Verdachtsmoment in der Frage, und so wundere ich mich doch, dass ihr von Zeugen sprecht... und nicht von Quellen."


Autor: vivar

"Quellen, Euer Wohlgeboren?" Die Schreiberin runzelte kurz die Stirn. "Ah, Ihr meint Menschen als Quellen der Nachricht, so wie Augen die Quellen der Tränen sind! Sehr poetisch, Euer Wohlgeboren." Sie nickte anerkennend, wobei der Griffel sich einem Zeigefinger gleich in die Luft reckte, ehe er wie ein Pfeil auf Dom Algerio zuschoss, um einen Spann vor seiner Brust innezuhalten. "Nun aber zurück zu meiner Frage, der Euer Wohlgeboren derart beharrlich ausweichen, dass man denken könnte, Euer Wohlgeboren wäre die Erinnerung an jenes Abschlussbankett aus irgendeinem Grunde unangenehm oder als wollten Euer Wohlgeboren in den Nachrichten des Hauses Yaquirblick lieber als ein Mann erscheinen, der vor einfachen Fragen das Hasenpanier ergreift, anstatt als ein Mann, der die dargebotene Bühne nutzt, um dem Königreich von den Verheißungen des Selkethals zu erzählen, um zu schildern, wie selbst Hochgeborene Magnaten wie Baron León Dhachmani de Vivar y Vivar von Taubental sich noch bei der Verabschiedung für das gelungene Ereignis bedankten - denn so war es doch, oder?"


Autor: BBB

Algerio grinste zufrieden, nahm Platz, sodass er nun erneut zur Schreiberin aufschaute, und lehnte sich wieder entspannt zurück.

"An meinen Stolz und meine Ehre appelieren, sehr gut", lächelte er. "Ihr habt Euren Standpunkt klar gemacht. Und Ihr braucht Euch nicht weiter bemühen: Ich bin Eurer Frage nicht ausgewichen, sondern habe bislang schlicht verweigert sie zu beantworten, weil ich erwarte, mit dem gebotenen Respekt angesprochen zu werden und Eure Wahl der Worte in meiner Wahrnehmung eine Anschuldigung enthielt, der ich mich bereits ausgesetzt sah und die mich offen gestanden beginnt zu langweilen. Ich bin aber gern bereit dies als Missverständnis beiseite zu tun und Euch und Euren Lesern den Gefallen zu tun zu bezeugen, was ich weiß... wenn Ihr Euch bereiterklärt mir in der Zukunft einen Gefallen zu erwidern."


Autor: vivar

Nun war es an Zafira Almanzor, breit zu grinsen. „Aber freilich, Euer Wohlgeboren! Gefälligkeit ist mein Mittelname! Schließlich sind die Nachrichten des Hauses Yaquirblick dazu da, unserer Leserschaft zu gefallen, zu der wir gewiss auch in den kommenden Jahren Euer Wohlgeboren zählen dürfen?“


Autor: BBB

Der Edle nickte. "Gut, ich komme darauf zurück. Und bezüglich Eurer Frage: Wie Eure 'Zeugen' ja schon sagten, war Dom León ein gern gesehener Gast bei unserer Veranstaltung, der sich auch aktiv an den Rennen beteiligt hat. Beim abschließenden Bankett war er anwesend, verlies dieses jedoch meines Wissens vorzeitig. Am nächsten Morgen hatte er mein Lehen bereits mit einem Teil seines Gefolges verlassen."


Autor: vivar

"Habt Dank, Euer Wohlgeboren. Er ist also abgereist und offenbar nie irgendwo aufgetaucht. Sensationell! Nur noch eine Frage, Euer Wohlgeboren: Andere Quellen haben verlauten lassen, dass er das Bankett am Abend in Begleitung von Domnatella" - sie blickte kurz auf ihre Wachstafel - "Farfanya von Taladur ä. H. verlassen habe. Wisst Ihr, in welcher Beziehung die beiden standen?"


Autor: BBB

Algerio grinste. "Domnatella Farfanya war Mit-Ausrichterin der Rennen, Dom León ein Teilnehmer. Eine über diese Ebene hinausgehende Beziehung ist mir zumindest nicht bekannt." Er erhob sich erneut, diesemal langsam und entspannt. "Und nun muss ich Euch leider bitten zu gehen. Es warten Verpflichtungen auf mich."


Autor: vivar

"Selbstverständlich, Euer Wohlgeboren. Untertänigsten Dank, Euer Wohlgeboren, für Eure Zeit." Mit einem Kratzfuß und einer Verbeugung verschabschiedete sich die Schreiberin.


Autoren: BBB, Eliane

Die Weinstube Schwarzer Schwan war inzwischen gut besucht. An kleinen runden Tischen mit hohen Stühlen, die um einen zentralen Brunnen angeordnet waren, in dessen Mitte der namensgebende schwarze Schwan - eine steinerne Statue - thronte, saßen zahlreiche ins Gespräch vertiefte Patrizier und Adlige der Region. Wahrscheinlich waren viele von ihnen ebenfalls nach Punin gekommen, um seiner Exzellenz die letzte Ehre zu erweisen - doch nun genossen sie den ihnen dargebotenen Wein und die dazu gereichten Früchte und Brot, was neben den Gesprächen maßgeblich dazu beitrug, dem doch recht großen Schankraum eine geschäftige Atmosphäre zu verleihen.

Dom Algerio hatte es sich bereits an einem der Tische bequem gemacht, die Eingangstür stets im Blickfeld, als Domna Selea eintraf. Sofort stand er auf und hob die Hand, um sich bemerkbar zu machen.

Gemeinsam mit Keshlan näherte sich Domna Fabiola dem Schwarzen Schwan. Ihr Begleiter trug die Pagenuniform mit dem Wappen der Al’Morsqueta mit einer Selbstverständlichkeit, als sei er von klein an dazu erzogen worden. Sich einen halben Schritt neben der Domna haltend, kommentierte er mit leiser Stimme, wenn er jemanden erkannte. Sie erreichten die von alten Weinstöcken überrankte Pergola der Weinstube. Dezent in einer Nebengasse, und doch ganz in der Nähe ihrer Herrschaften, tummelten sich wartende Angestellte. „Nun Azîla, sieht ganz so aus, als müsstest du dich deinem Gastgeber ganz allein stellen.” „Ich hab schlimmere Kaschemmen überstanden.”, erwiderte Fabiola, während sie abstieg. „Ohne Zweifel. Gib mir das Zeichen, wenn du mich brauchst. Ich nutze die Gelegenheit, mich umzuhören.” Fabiola nickte unmerklich. Dann reichte sie ihm, ohne ihn anzusehen, die Zügel und befahl: „Kümmere dich um sie.” „Sehr wohl, Domna.” Mit einer leichten Verbeugung führte er die Shadifstute zu den anderen Pferden. Es war ein wunderbares Tier, anders als üblich nicht tiefschwarz oder blendendweiß, sondern außergewöhnlich, mit glänzendem, sandfarbenen Fell und hellgold schimmernder Mähne.


Ohne die Bediensteten am üppig verzierten, schmiedeeisernen Törchen am Zugang zur Veranda zu beachten, betrat Fabiola den Schwarzen Schwan und ließ ihren Blick schweifen. Unbewusst strich sie das Kleid vom Vormittag glatt. Den eilig heran tretenden Livrierten schickte sie mit einem freundlichen Kopfschütteln weg, da sie Dom Algerio sich an einem Tisch auf der anderen Seite des Brunnens erheben sah. In der Linken ihren aranischen Fächer, trat sie mit einem Lächeln auf ihn zu. Mit der Rechten steckte sie die vorwitzige Locke zurück in ihre Frisur, die sich gelöst hatte.

„Domna Selea. Es ist mir eine Freude, dass Ihr meiner Einladung nachgekommen seid. Nehmt Platz!”, bot er an, während er ihr den Stuhl zurecht rückte.

„Dom Algerio. Wie schön, Euch kennenzulernen. Es ist mir eine Ehre und eine Freude, Eure Bekanntschaft zu machen.” Sie streckte ihm die Hand entgegen, die er ergriff und zu seinem Mund führte, um sanft einen Kuss darüber zu hauchen. Dann setzte sie sich. Ihr erster Eindruck war nicht schlecht, auf jeden Fall war er höflich, und nicht übertrieben blumig. „Ein charmantes Etablissement habt Ihr da ausgewählt. Es war sicher nicht einfach, eine Platz zu ergattern, bei dem Betrieb.”


Algerio lächelte vielsagend. „Es freut mich, dass es Euch zusagt. Meines Wissens ist der Schwarze Schwan beim Landadel der umliegenden Regionen sehr beliebt - wie man auch sieht.” Er deutete auf die anderen Tische, die bis auf wenige Ausnahmen voll besetzt zu sein schienen. „Von daher schien es mir… ganz passend. Zwei Landadlige aus der Waldwacht treffen sich zum ersten mal, in der Capitale, fernab ihrer Heimat, im Schwarzen Schwan. Entbehrt nicht einer gewissen Poesie, findet Ihr nicht auch?” Er musste unwillkürlich grinsen.


Fabiola lachte auf und nickte zustimmend. Ihre Augen glitzerten amüsiert. „Zum Glück nicht allzu fern der Heimat. Wirklich eine gute Wahl, zumal es mir scheint, als könnten einfache Landadelige hier zusätzlich einen Blick auf die zweite Reihe der Elite der Capitale erhaschen." Keshlan hatte ihr natürlich das Nötigste über das übliche Publikum der Weinstube berichtet.

„Was mögt Ihr trinken, Domna Selea?”

„Gedenkt Ihr, die bisherige Poesie der Situation zu vertiefen? In dem Falle müsste es natürlich ein Renocella oder ein Tropfen Eurer mir bislang verborgen gebliebenen Domäne in Sekethal sein. Oder wollt Ihr die Vorurteile über weltfremde Landadelige kräftig durcheinanderbringen? Dann wäre die Auswahl schwieriger. Offenbarung der Zwillinge, Premer Feuer, Kefter Dattelwein, ein Helles Ferdoker oder gar ein horasischer Tropfen? Sofern es das hier überhaupt gibt. Oder würde eine solche Wahl das Blut unserer anwesenden heißblütigen Landsleute zu sehr in Wallung bringen? Was wäre denn Eure Empfehlung?"


Algerio musste lauthals lachen. „Ein herrliche Vorstellung! Wenngleich auch einer solchen Auswahl eine gewisse Poesie innewohnt, wenn meine Informationen stimmen… immerhin heißt es, Ihr wäret weit und lang gereist und erst kürzlich wieder in heimische Gefilde zurückgekehrt?" Er garnierte die Frage mit einem vielsagenden, augenzwinkernden Grinsen. Bevor seine Gegenüber antworten konnte, fuhr er fort: „Lasst mich etwas zu Trinken besorgen… und dann, erzählt mir von Euren Reisen, wenn Ihr mögt.” Er erhob sich und ging zum Tresen, wo es einige Augenblicke dauerte, bis er bedient wurde. Fabiola sah ihm nachdenklich hinterher. Natürlich hatte er Erkundigungen eingezogen. Weite und lange Reisen also. Nun ja, völlig falsch lag er ja nicht.


Dann kam Dom Algerio zurück zum Tisch. „Yasamirer”, erklärte er, mit leichter Enttäuschung in der Stimme, während er je einen Kelch vor Domna Selea und sich selbst stellte, nebst einer kleinen Platte mit Käse, Oliven und weißem Brot. „Renocella scheinen sie gerade nicht zu führen und was eine Offenbarung der Zwillinge ist, war dem Schankwirt nicht bekannt.”

Fabiola lachte. „Was den Renocella angeht: Es ist nicht schlimm, dass sie ihn nicht ausschenken. Denn den Ruf als waldwachter Hinterwäldlerin und Eigenbrödlerin, die darauf besteht, hier die Weine ihrer Familia zu trinken, wäre ich sicher nur schwer wieder losgeworden. Ich lasse Euch aber gerne eine Kiste zukommen. Und Offenbarung der Zwillinge - es wäre eine Überraschung gewesen, führten sie hier maraskanische Spezialitäten. Der Schwan wirkt mir eher patriotisch." Sie lehnte sich entspannt zurück, ihren Pokal in der Hand. Einen Moment ließ sie den Inhalt kreisen, roch daran. „Yasamirer war nicht Eure bevorzugte Wahl, nehme ich an?„


Er grinste erneut, hob dann den Kelch zum Trinkspruch. „Auf… neue Bekanntschaften, weite Reisen und einen schönen Abend?”, schlug er vor.

„Auf neue Bekanntschaften, aufregende Reisen und einen schönen Abend!", prostete Fabiola zurück. Sie nippte an ihrem Wein. Er war für ihren Geschmack deutlich zu süß, aber ansonsten nicht schlecht. Mit einer Gabel piekste sie eine Olive auf. Dann sah sie ihren Gastgeber mit einem freundlichen Lächeln an. „Womit habe ich eigentlich die Ehre und das Vergnügen Eurer Aufmerksamkeit, dieser Einladung verdient?"


Algerio zog für einen Moment in einer Geste des angestrengten Überlegens die Lippen kraus - wenngleich er so schnell wieder zu lächeln begann, dass die Geste wohl eher vorgeschoben denn Ausdruck echten Nachdenkens war. „Es gibt mehrere Gründe, wegen derer ich mit Euch sprechen wollte. Zunächst einmal kommt es nicht so oft vor, dass in unmittelbarer Nachbarschaft des eigenen Lehens eine Dominie eine neue Junkerin erhält. Uns trennt zwar die Grenze einer Baronie, was gewisslich einen Einfluss haben wird, aber die räumliche Nähe allein wird dafür sorgen, dass Herausforderungen für mich auch zu Herausforderungen für Euch werden können - und umgekehrt. Da ist es mir lieber zu wissen, mit wem ich es zu tun habe. Und außerdem…”, er nahm einen Schluck seines Weins, fuhr dann fort, „an dieser Stelle werde ich sehr offen sein, ich bitte dies zu entschuldigen, sollte ich Euch damit zu nahe treten, aber ich bin nunmal recht… neugierig. Es ist nicht viel über Euch oder Eure Familia bekannt, zumindest nichts, was über den Status eines Gerüchts hinausgeht, doch das, was man so hört, deutet darauf hin, dass Ihr bis hierher ein eher ungewöhnliches Leben hattet. Und ich nahm an, Ihr seid gesprächsbereiter, wenn ich Euch auf neutralem Boden etwas Wein serviere, als wenn ich Euch unter dem Zwang der Etikette ins Selkethal einlade.” Er lächelte vielsagend.


Fabiola war im Begriff, mit ihrem Fächer und kokettem Augenaufschlag schalkhaft zu kommentieren, wie reizend ein Willkommen doch sei, bei dem ihr ein Edler aufwartete. Im letzten Moment erinnerte sie sich, dass sie zurück in ihrer heißblütigen Heimat war, ihren Gegenüber nicht kannte und außerdem ihrer Familia zuliebe verantwortungsvoll handeln sollte. Die Finger ihrer Linken strichen mit Bedauern über den geschlossenen Fächer.

Stattdessen lächelte sie Dom Algerio zu, aß ihre Olive, ordnete währenddessen ihre Gedanken. Er hatte in seiner Aufzählung vergessen zu erwähnen, dass dieser Ort nicht nur neutraler Boden war, sondern zugleich sicherstellte, dass sie zusammen gesehen wurden. Was ihr entgegen kam. Und wenn stimmte, was sie über ihn gehört hatte, war sein Werdegang durchaus abwechslungsreich gewesen.

Schließlich nickte Fabiola freundlich. „Keine Sorge, Ihr tretet mir mit Eurer Neugier nicht zu nahe. Erlaubt, dass ich Eure Offenheit erwidere.”

„Ich bestehe darauf”, scherzte er.

„Ich hoffe, Ihr seht mir nach, sollte mir dabei ein kleinerer Fehltritt passieren. Denn ich muss zugeben, dass auch mir die Neugier von Zeit zu Zeit nicht fremd ist." Sie nahm einen weiteren Schluck Wein, bevor sie fortfuhr: „Es ist in der Tat schon einige Zeit her, dass ich in heimatlicher Umgebung und angenehmer Gesellschaft gepflegte Konversation genießen konnte. Daher bin ich bezüglich der Etikette etwas aus der Übung. Doch wenn ich mich recht erinnere, gilt es als ausgesprochen unhöflich, endlose Monologe zu halten. Ich bin sicher, Dom Algerio, dass auch Ihr viel Interessantes erlebt habt. Zudem ist mir vermutlich einiges neu, das Eurer Meinung nach für jeden nicht länger von Interesse ist. Was haltet Ihr daher von einem Austausch? Nicht, dass ich Euch am Ende zu Tode langweile und in Zukunft auf Eure bislang sehr kurzweilige Gesellschaft verzichten muss. Ich würde Euch als Gastgeber natürlich die ersten Fragen überlassen."


„Ein Tauschgeschäft, sozusagen? Ich muss gestehen, mir gefällt, wie Ihr denkt.” Ein weiteres Mal umspielte ein Lächeln seine Mundwinkel, doch dieses Mal wohnte diesem ein gewisser Schalk inne, fast schon so etwas wie… Ehrgeiz? „So machen wir es”, stimmte Dom Algerio zu, hob seinen Kelch ein weiteres Mal zum Gruß, um dann einen tiefen Schluck zu nehmen. „Der Abend verspricht, meine Hoffnungen zu übertreffen”, fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu.


„Ah, muss ich es so verstehen, dass Ihr Euch von diesem Abend wenig erwartet habt? Ist meine Gesellschaft etwa nur die letzte Alternative zu all den langweiligen Zerstreuungen, die Punin zu bieten hat?" Fabiola zog einen mäßig überzeugenden Schmollmund, dessen Wirkung auch durch das vergnügte Blitzen ihrer Augen deutlich geschmälert wurde. „Ich fürchte, das wird Euch im Laufe des Abends einen weiteren, anderen Wein kosten.”

„Es wird mir eine Freude sein!”

„Aber bitte, fahrt fort.”

Algerio grinste breit. Diese Frau, diese Interaktion gefiel ihm weit besser, als er willens war zuzugeben. „Nun gut. Beginnen wir unverfänglich. Euch wird nicht entgangen sein, dass ich mich im Vorfeld unseres Treffens über Euch erkundigt habe, doch wirklich ergiebig waren meine Quellen nicht." Ihr Abwinken konnte sowohl seinen Nachforschungen oder deren Ergebnislosigkeit gelten. Sie widmete sich einer weiteren Olive, ohne ihre Aufmerksamkeit von ihm abzuwenden. „Ich weiß, dass Ihr das Lehen Eurer Familia vor kurzem übernommen habt oder zu übernehmen gedenkt, und dass Ihr seit einigen Götterläufen auf Reisen wart. Ich nehme an, die familiären Pflichten haben Euch nun zurückgebracht?”


Fabiola schwieg einen Moment, abwartend, ob das wirklich seine erste Frage war. Da er nichts weiter sagte, war dem wohl so. Wie enttäuschend unverbindlich. „Es scheint, als seien die Baronie Bangour und die dortigen Ereignisse noch unbedeutender und provinzieller, als ich es in Erinnerung habe. Nun, Eure Annahme ist richtig. Es war tatsächlich das Pflichtgefühl meiner Familia gegenüber, das mich bewogen hat, zurückzukehren. Die unerwarteten Ereignisse der letzten Jahre und der Tod des letzten Mundillo haben meinen Vater veranlasst, sein Erbe den neuen Umständen entsprechend zu ordnen. Er hält es für vorteilhaft, mit seiner Abdankung klare Verhältnisse zu schaffen, statt auf einen weiteren Todesfall zu warten. So unüblich dieses Vorgehen unter uns Almadanis sein mag." Sie schwieg einen Moment. Dann beugte sie sich mit ihrem halbvollen Kelch ein wenig in Dom Algerios Richtung und trank einen Schluck.

„Für Eure so unverfängliche Frage bekommt Ihr die Möglichkeit einer unverfänglichen Antwort: Wo und wie habe ich Eure Aufmerksamkeit auf mich gezogen?", erkundigte sie sich mit einem Schmunzeln.

„So ungewöhnlich die Entscheidung Eures Vaters sein mag… sie zeugt von einer gewissen Voraussicht. Das respektiere ich. Und was die Unverfänglichkeit der Frage angeht, Eure Antwort verrät mir mehr, als Ihr vielleicht annehmt.”

„Das tut sie? Ich bin wohl etwas aus der Übung, was oberflächliche Konversation angeht. Was diesem Abend sicher zuträglich sein wird.", sinnierte Fabiola.


Algerio schwenkte den Wein in seinem Kelch ein paar Mal hin und her, nahm noch einen Schluck und erkaufte sich so einen kurzen Moment des Nachdenkens. Und er schien eine Entscheidung getroffen zu haben, als er fortfuhr. „Ihr scheint eine sehr interessante Frau zu sein, deswegen möchte ich Euch die unverfängliche Antwort ersparen." Mit einer kleinen Geste machte Fabiola klar, dass sie dies durchaus zu schätzen wusste. „Ich habe durch einen reisenden Händler davon erfahren, dass Euer Vater abgedankt hat. Ungewöhnlich, wie Ihr bereits sagtet, aber nicht so ungewöhnlich, dass es meiner Aufmerksamkeit bedurft hätte. Das dürfte ein paar Monde her sein, jedenfalls noch vor Eurer Ankunft in Bangour, schätze ich. Aber sicher weiß ich es nicht. Auch wenn wir im Hinterland leben, manche Neuigkeiten erreichen einen dann doch schneller, als man denkt.” Er lächelte entschuldigend, nahm noch einen Schluck. Sein Gegenüber nickte, Kladj reiste meist schneller, als man dachte. Sie prostete ihrem Gastgeber zu und trank ebenfalls.


„Jedenfalls hatte ich zunächst ein rein geschäftliches Interesse. Jede Veränderung birgt Möglichkeiten. Ich weiß nicht viel über Euer Lehen, aber ich bin Geschäftsmann und ich erkenne eine Gelegenheit, wenn sie sich zeigt. Also zog ich Erkundigungen ein. Über Euer Lehen. Über Eure Familia. Ich war der Annahme, wer auch immer der oder die Zweitgeborene ist, würde das Lehen übernehmen und wäre vielleicht an ein wenig Handel interessiert. Einer kleinen Nebeneinkunft, oder, wenn das Geld locker sitzen sollte, auch als Kunde. Aber ich musste erfahren, dass ich falsch lag. Dass auch der direkte Nachfahre des Erstgeborenen und der Zweitgeborene bereits bei Boron weilen. Dass die Nachfolge noch weitere drei Familienmitglieder überspringt. Dass eine junge Frau, die seit vielen Götterläufen nicht mehr in der Nähe der Baronie gewesen ist, die Geschäfte übernehmen wird. So fiel das erste mal Euer Name und ich wurde auf Euch aufmerksam.”


Fabiola hörte interessiert zu. Es sah so aus, als stimmte die Information, dass Dom Algerio dem Handel zugeneigt war. Und ihr kurzer Besuch an Perinyos Grab vor sechs Götterläufen war wie geplant unbemerkt geblieben. Ihr Unterarm prickelte. Unbewusst rieb sie die Innenseite.


Algerio nahm einen weiteren Schluck des Weins. „Wo wir von ungewöhnlich sprachen… das ist ungewöhnlich! Mehr als ungewöhnlich, es ist interessant, wenn ich das so sagen darf.” Er lächelte wieder dieses freundliche, gewinnende Lächeln. „Ich wurde neugierig, wie schon gesagt. Und ich hoffte Euch eines Tages, so die Götter es fügen, zu begegnen, damit ich Euch bei mindestens passablem Wein die Zunge etwas lockern und erfahren könnte, welche Gelegenheit hier verborgen liegt.”


Fabiola lächelte zurück. „Mir scheint, als seien die Götter Euch gewogen, ermöglichten es Euch, der Erfüllung Eurer Wünsche näher zu kommen." Er hob schelmisch grinsend den Kelch und leerte ihn in einem langen Zug. Sie erwiderte die Geste, beließ es aber bei einem kleinen Schluck, bevor sie ihren Pokal zurück auf den Tisch stellte, ihn hin und her drehte.


„Das ist die verfängliche Antwort auf eine unverfängliche Frage und ich denke, sie bereitet den Grund für einen kurzweiligen Abend voller weiterer, hoffentlich nicht minder verfänglicher Antworten. Einen weiteren Wein?”


„Sehr gerne. Bitte einen weniger lieblichen, wenn sie den hier haben." Er war im Begriff, sich zu erheben, als Fabiola unvermittelt fortfuhr: „Ich glaube, Eure gelungene Antwort hat uns beiden einen interessanten Abend eröffnet. Auf weitere ihrer Art." Sie prostete ihm zu und leerte dann ihren Pokal ebenfalls in einem Zug. „Da Ihr Eure nächste Frage unserem leiblichen Wohl geopfert habt, ist meine nächste nichts mehr als eine Ergänzung meiner letzten. Was hat meine Antwort Euch verraten?" Den Kopf fragend etwas zur Seite geneigt sah sie zu ihm hoch, was er mit einem Lachen quittierte. „Ihr seid sehr aufmerksam, das gefällt mir! Nun denn, ein Handel ist ein Handel und ich halte mich für gewöhnlich wortgerteu an meine Versprechen.” Er lehnte sich wieder zurück in seinen Stuhl, kein Anzeichen mehr davon, dass er noch vor einem Augenblick im Begriff gewesen war, einen weiteren Wein zu besorgen.


„Eure Antwort verrät mir, dass Ihr keine sonderlich großen Erwartungen oder Hoffnungen mit dem Junkergut verbindet. Vielleicht sogar eher das Gegenteil. Eure Wortwahl deutet darauf hin, dass Ihr mehr Abwechslung, Erfahrungen und Unterhaltung - fast bin ich geneigt zu sagen: Abenteuer - vom Leben erhofft, als es das abgeschiedene Gut verspricht. Und nach allem, was ich weiß, hättet Ihr zumindest theoretisch die Möglichkeit gehabt Eure Geschwister davon zu überzeugen, ihre Ansprüche, auf die sie in der Vergangenheit verzichteten, doch noch geltend zu machen, und wäret dann weiterhin frei gewesen und ungebunden in Euren Entscheidungen. Nach allem, was ich weiß, seid Ihr bislang keine größeren oder längerfristigen Verpflichtungen eingegangen - und dennoch seid Ihr hier. Ihr werdet das Erbe Eures Vaters antreten und dafür das Leben opfern, das Ihr bislang geführt habt. Und das ist die für mich eigentlich interessante Information. Ihr seid in einem Zwist gefangen, zwischen Euren Verpflichtungen und Euren Neigungen, wie es mir scheint.” Im Redefluss führte Dom Algerio ein weiteres Mal den Kelch zum Mund, was ihn an seinen ursprünglichen Plan erinnerte, für Nachschub zu sorgen. Grinsend erhob er sich, nahm Domna Seleas und seinen eigenen Kelch und wandte sich dem Ausschank zu - nur um dann noch einmal kurz inne zu halten.


„Damit Ihr mir nicht wieder so leicht davon kommt: Ich werde jetzt diese Kelche auffüllen lassen und Ihr könnt in der Zwischenzeit schon einmal Eure Antwort auf die folgende Frage überlegen: Wie kommt es, dass eine Frau von Stand, eine frisch berufene Junkerin noch dazu, in Begleitung von Menschen reist, die ganz offensichtlich das Leben auf der Straße kennen?”


Auf Fabiolas Zügen blitzte Verblüffung auf, ihre Wangen röteten sich und sie machte Anstalten, aufzuspringen. Dann entspannte sich ihre Haltung und sie lehnte sich zurück. „Dieses Mal gerne einen Roten, Dom Algerio. Und lasst Euch Zeit, die Antwort ist nicht ganz einfach." Mit einem verschmitzten Grinsen machte er sich auf den Weg zum Tresen.


Ihr Blick folgte ihm, um dann durch das gut gefüllte Lokal zu wandern. Es war voller geworden, lauter. So viele unbekannte und trotzdem irgendwie vage vertraute Gesichter. Fabiola lauschte einen Moment. Es war schwierig, Gesprächen an den anderen Tischen ohne weiteres zu folgen. Gut. Das Plätschern des Brunnens tat ein Übriges. Der schwarze Schwan hatte etwas Irritierendes. Durch das fließende Wasser schien das kunstfertig ausgestaltete Gefieder zu glänzen, wirkte es fast lebendig. Genau wie die Statue an sich. Sie erweckte den Eindruck, als sei der große Vogel mitten in der Bewegung erstarrt. Dabei gewesen, sich aufzurichten, die Flügel zum Flug auszubreiten, den Hals schon gestreckt, den Kopf aufmerksam zur Seite gedreht.


Als Dom Algerio zurück kam, sah sie ihm schmunzelnd entgegen, ihren Stuhl etwas verrückt, gelassen ein paar Oliven hin und her schiebend. Nachdem er sich gesetzt und ihr den frischen Pokal mit blutrotem Wein gereicht hatte, prostete sie ihm zu, was er mit gleicher Geste erwiderte. Sie roch erst, ließ die Flüssigkeit kreisen, bevor sie probierte. Fruchtig, trocken, aber nicht staubig. Sehr gut.


„Eine hervorragende Wahl. Zu Eurer Frage… Ich gebe zu, ich war einen Moment lang beinahe versucht zu glauben, der ganze bisherige Abend sei nichts weiter als die Vorbereitung einer ausgesprochen hässlichen Beleidigung gewesen. Immerhin bin ich in Begleitung meines Vaters nach Punin gereist.” Dom Algerio musste sich ein weiteres Lachen verkneifen, als er realisierte, wie missverständlich er seine Frage formuliert hatte. ‘Vielleicht ist es doch ratsam, etwas überlegter vorzugehen?’, dachte er bei sich, verwarf den Gedanken jedoch wieder, während Fabiola unbeirrt fortfuhr: „Doch habt Ihr zuvor selber festgestellt, dass ich unter Opfern mein Erbe antrete. Womit Euch klar gewesen wäre, dass ich auf eine derartige Herabsetzung der Familienehre mit einer Forderung nach Satisfaktion hätte reagieren müssen. Selbst wenn ich gegen einen kampferprobten, in Ragath ausgebildeten Condottiere hätte antreten müssen." Sie beobachtete Algerio über ihren Wein hinweg, in dem sich das Licht der Kerzen spiegelte. Dieser grinste schelmisch, wie Fabiola es nun schon einige Male bei ihm gesehen hatte. „Vergebt mir meine schlecht gewählten Worte. Seid gewiss, ich bin nicht auf Streit aus, grundsätzlich nicht und heute Abend noch einmal weniger.” Das Grinsen hatte sich in ein aufrichtiges, charmantes Lächeln gewandelt.


„Das freut mich sehr. Alles andere hätte nicht zu meinem bisherigen Bild von Euch gepasst. Zudem war ich nicht bereit, diesen so angenehmen Abend einem so unspektakulären Ende zu opfern. Daher nehme ich an, dass Ihr Euch auf einen anderen Anlass bezogt. Wenn Ihr mir verratet, auf welchen, bekommt Ihr Eure verfängliche Antwort." Sie schob das Brett mit dem Essen näher zu ihm. „Wenn Ihr davon etwas abhaben wollt, wartet nicht zu lang. Die Oliven sind ausgesprochen lecker. Und höfische Zurückhaltung war bei Köstlichkeiten noch nie meine Stärke."


Dom Algerio ergriff eine der zu ihm geschobenen Oliven. Bevor er sie jedoch zum Mund führte, antwortete er noch: „Es freut mich aufrichtig zu hören, dass Ihr den Abend als angenehm empfindet. Mir geht es gleich. Meine Frage bezog sich nicht auf Euren Vater, den ich durchaus respektiere, obwohl ich ihn weder persönlich kenne noch viel über ihn weiß. Nein, meine Frage bezog sich auf das kleine Mädchen, welches Ihr oder jemand aus Eurem Gefolge meinem Pagen hinterher geschickt habt. Ein durchaus… interessanter Umgang in unseren Kreisen.” Neugierig beobachtete er die Reaktion seines Gegenübers - während er die wirklich ausgezeichnete Olive genoss.


„Ach ja, die Kleine." Fabiola schmunzelte. Die Gunst des Mungo war wechselhaft, und galt momentan offenbar nicht Ayla. Keshlan würde Zeit in sie investieren müssen, wollte er sie unter seinen Spatzen behalten. „Wie gut, dass wir uns auf verfängliche Antworten geeinigt haben, sonst wäre mir nichts als ein langweiliges, empörtes Dementi geblieben." Sie griff nach einem Stück Brot, bevor sie kurzentschlossen auch die vorletzte Olive nahm. „Sie ist nicht mit mir gereist, nicht meine unstandesgemäße Begleitung." Was auf andere ihrer Bekanntschaften durchaus zutraf. „Sie hat heute versucht, mich zu bestehlen. Ich habe sie erwischt. Es war noch nicht entschieden, was mit ihr geschieht. Daher war sie zur Hand, als Eure überraschende Einladung mich erreichte. Sie zu schicken bot sich einfach an. Ein naheliegender Versuch, mehr über meinen geheimnisvollen Gastgeber herauszufinden. Also kein Umgang im eigentlichen Sinne." Fabiola zuckte entschuldigend mit den Schultern.

„Wie schade”, erwiderte Dom Algerio mit offensichtlich gespielter Enttäuschung, „Und ich hatte auf ein dunkles Familiengeheimnis gehofft.”

„Es tut mir leid, Euch zu enttäuschen. Das nächste Mal gebe ich mir mehr Mühe. Eine skandalöse Geschichte um verstoßene Geliebte und aus Rache entführte, durch Feqzens Beistand wiedergefundene, doch leider in der Gosse aufgewachsene Erben wäre sicherlich interessanter gewesen. Ich werde sehen, was ich tun kann. Sofern Ihr die richtigen Fragen stellt, und weiterhin selbst interessante Antworten gebt."


Mit einem Augenzwinkern wartete Algerio auf die nächste Frage Fabiolas. Diese nippte erneut an ihrem Wein, ihn nachdenklich betrachtend. Sie war unsicher, wie ihre Fragen auf ihre neue, ausnahmsweise standesgemäße und dazu sehr sympathische Bekanntschaft wirkten. Nun, kein Gewinn ohne Wagnis.


„Ich habe den Eindruck, dass wir deutlich mehr gemeinsam haben, als nur die Waldwachter Abgelegenheit unserer Dominien. Eine erfreuliche Entdeckung. Die hoffentlich zu zukünftigen, kurzweiligen Wiedersehen führt. Allerdings muss ich zugeben, ich bin etwas verwirrt. Wenn ich mich recht erinnere, liegen die Stammlande der Culmings in Südpforte. Wie kommt es, dass Ihr ein so weit entferntes Lehen Euer eigen nennt?" Es gelang Fabiola nicht ganz, ihre Neugier als höfliches Interesse auszugeben. Sie hatte nicht damit gerechnet, bei diesem Besuch in Punin so interessante Bekanntschaften zu machen.


„Mit diesem Eindruck seid Ihr nicht allein - und Ihr habt Recht. Meines Wissens bin ich der erste derer von Culming, der sich in der Waldwacht niedergelassen hat. Meine Schwester, Madalena, hat das Junkergut meiner Familia in Culming übernommen. Als Zweitgeborener blieb mir also nur ein Dasein in ihrem Schatten - oder mich zu beweisen und einen eigenen Weg zu finden.”


Algerio überlegte einen Moment. Wie weit wollte, wie weit konnte er Domna Selea ins Vertrauen ziehen? Immerhin saß er hier einer vollkommen Fremden gegenüber, und wenn er ehrlich zu sich selbst war, musste er sich eingestehen, dass er viel zu wenig über sie, ihre Familie oder ihre Absichten wusste. Außer ein paar Gerüchten wusste er eigentlich gar nichts. Andererseits hatte sie an diesem Abend schon mehr als einmal eine dem Fuchs zugewandte Einstellung an den Tag gelegt - vielleicht ein Zeichen? Er war neugierig, wohin ihn dieses Gespräch noch führen würde. In Gedanken schickte er ein kurzes Stoßgebet an den Listigen, und dann verließ er sich, wie stets, auf sein Glück. „Die allgemein bekannte Version der Geschichte ist wohl, dass meine Bemühungen die Taifado-Gebiete der Südpforte und der Ländereien meiner Familia zu befreien und zu befrieden die Aufmerksamkeit ihrer Hochwohlgeboren Groschka Tochter der Bulgi auf sich zogen und sie mir die Gelegenheit bot mein Wirken in ihrer Dominie fortzusetzen. Doch einem scharfsinnigen Geist wie dem Euren werden sicher die Ungereimtheiten dieser Erzählung sofort ins Auge springen…”

Er nahm einen Schluck des Weins und beobachtete die Reaktion seines Gegenübers.

Fabiola lachte leise auf, bevor sie mit einem Anflug von Bitterkeit in der Stimme meinte: „Der Fluch der Zweitgeborenen. Mein Bruder Denicio stand damals vor der gleichen Herausforderung. Ich wünsche Euch, dass Eure Wegwahl glücklicher ist." Sie verstummte einen Moment, offensichtlich in Gedanken, bevor sie an ihrem Wein nippte und nachdenklich ergänzte: „Wenn ich es mir recht überlege, wird es für die später Nachgeborenen auch nicht leichter. Wie auch immer." Ihr nächster Schluck Wein war lang und tief.


„Danke für das Kompliment, Dom Algerio. Auch wenn die Weisheit und Voraussicht unserer Gräfin und damit die Klugheit ihrer Entscheidung selbstverständlich außer Frage stehen, habt Ihr Recht. Es mag daran liegen, dass ich noch nicht auf dem neusten Stand bin, aber soweit ich es überblicke, ist der Bedarf an Befreiern in Waldwacht zur Zeit überschaubar…" Fabiola wollte nach einer weiteren Olive greifen, doch das Schälchen war leer. Sie sah sich nach einem Schankjungen oder -mädchen um und machte Anstalten, nach Bedienung zu pfeifen, als sie sich der Umstände, Umgebung und Gesellschaft besann. Ihre Hand sank zurück auf den Tisch und griff stattdessen nach einem Stück Brot und Käse.

„Ich bin also gespannt auf Eure allgemein unbekannte, dafür wahrhafte Version der Geschichte."

„Ich mag, wie Ihr dieses Spiel spielt.”, lächelte Algerio, „Und deshalb bin ich gewillt, den Schleier ein wenig zu lüften und Euch ein gut gehütetes Geheimnis anzuvertrauen.” Der Schalk in seinem Ton machte es nahezu unmöglich zu wissen, ob er sich einen Spaß erlaubte oder die Worte ernst meinte und sich einfach nur an diesem phexgefälligen Austausch erfreute.


Domna Seleas Lächeln schien einen Moment höflicher, unverbindlicher zu werden. Es mochte jedoch auch nur eine Täuschung durch die flackernde Flamme der Kerze auf dem Tisch sein. ‚Den Schleier ein wenig lüften, weil ihm gefällt, wie ich spiele? Vielleicht habe ich mich doch getäuscht.‘, überlegte Fabiola. Zu ihrer Überraschung fand sie die Aussicht bedauerlich.


„Die schnöde Wahrheit ist”, fuhr er fort, „dass es schon vor vielen Götterläufen zum Bruch - oder nein”, unterbrach er sich selbst, „sagen wir besser, zu einer Art… Entfremdung zwischen mir und dem Rest meiner Familia kam. Ich ging meines Weges, die Culmings den ihren. Die Details der Geschichte erspare ich Euch, sie würden zu endlosem monologisieren führen und ich will Euch nicht langweilen. Der interessante Teil beginnt jedoch, als die Götter es fügten, mir eines Tages etwas mehr als eine Hand voll Mercenarios zur Verfügung zu stellen. Etwas… deutlich mehr. Als Condottiere zog es mich überall hin, wo ein schneller Taler zu verdienen war, und so traf ich eines Tages im horasischen Unterfels auf einen entfernten Verwandten von mir. Soweit ich weiß, ist er in der Region der Südpforte sogar ein wenig berüchtigt - Dom Hasrolf von Culming."


„Auch er ist, mittlerweile Baron im Lieblichen Feld, seinen eigenen Weg gegangen.”, fuhr Algerio fort - selbst nicht genau wissend, wie das Verhältnis Dom Hasrolfs gegenüber dem Rest der Familia und ihrem alles überstrahlenden Soberan, Dom Stordan, wohl gewesen sein mochte. Wie so ziemlich jedes Familienmitglied - und auch Dom Algerio selbst - hatten die beiden ihren jeweils ganz eigenen Kopf und ihre eigenen Ambitionen, und auch wenn sie die Familia nach außen hin über alles stellten, war das innere Verhältnis eher kompliziert. Ein Kapitel, das nicht für ein erstes Gespräch mit Domna Selea geeignet war… zumal nicht an einem so öffentlichen Ort. „Wir verstanden uns gut”, ließ er daher seine Gedanken unausgesprochen, „und er verstand meine Situation. Also gingen wir einen einfachen Handel ein: Ich tat ihm einen Gefallen - und er forderte im Gegenzug einen Gefallen bei einigen seiner Geschäftspartner ein, zu denen offenbar auch ihre Hochwohlgeboren Domna Groschka gehörte. Ehe ich mich versah, wurde mir ein Edlengut angeboten… und in der Hoffnung, dass darin eine weitere Gelegenheit lag, nah ich es an.” Er nippte ein weiteres mal an seinem Wein, in Gedanken dem denkwürdigen Angebot nachhängend. Dann schloss er seine Antwort mit den Worten: „Wenn Ihr so wollt, habe ich das Lehen also in einem Handel erworben.” Mit dem für ihn charakteristischen breiten Lächeln auf den Lippen fügte er hinzu: „Wie es sich für eine einfache Krämerseele wie mich gehört.”


„Ah ja, das war mir entfallen, die Culming sind im ganzen Reich bekannt für ihren Lebenswandel als einfache Krämer.", schmunzelte Fabiola, bevor ihr bewusst wurde, was sie gerade gesagt hatte. Einen Moment sah sie sich besorgt um, doch niemand außer Dom Algerio schien ihre Worte gehört zu haben. „Entschuldigung, das war weniger despektierlich gemeint, als es klang. Und natürlich ist die Natur dieses Gefallens geeignet, meine Neugier zu wecken, schließlich war er offensichtlich wertvoll."


Algerio winkte ab. Er empfand es als überaus charmant, dass seinem Gegenüber offenbar sehr daran gelegen war, einen positiven Eindruck zu hinterlassen, sie es aber dennoch nicht lassen konnte, in das eine oder andere Fettnäpfchen zu treten. Entweder ein Zeichen von einer gewissen Unerfahrenheit, oder großer, eventuell sogar zu großer Vertrautheit. Und zu seiner eigenen Überraschung hoffte er auf zweiteres. Doch ganz gleich, was es war - in seinen Jahren getrennt von der Familia hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, sich nur dann beleidigen zu lassen, wenn er es auch zuließ - und er hatte nicht vor, diesen Abend im Streit oder, die Götter bewahren, in einer Forderung enden zu lassen. „Genug zu mir, ich bin am Zug… es gibt noch einiges, was ich fragen wollen würde. Doch ich denke, am brennendsten interessiert mich, wie ihr die letzten Götterläufe, fern der Heimat verbracht habt. Was gebt Ihr auf, um das Erbe Eures Vaters anzutreten?”


Fabiolas Hand, auf dem Weg zu ihrem beinahe leeren Kelch, verharrte einen Moment in der Luft. Sank zurück auf den Tisch. Sie sah Algerio einen Moment lang wortlos an. Dann antwortete sie ernst: „Alles natürlich, Dom Algerio. Mein Leben der letzten Jahre. Meine Unabhängigkeit, meine Freiheit, zu sein, wer ich will. Zu entscheiden, wie ich es will. Ohne Rücksicht auf den Namen und das Wohlergehen der Familia, in die ich geboren wurde. Ohne die Anforderungen, Verpflichtungen, Ansprüche, Verantwortung, die nun von allen an mich gestellt werden. Egal ob Familie, Fellachen, Nachbarn, Lehnsherrschaft, Königreich, Kaiserhaus oder anderen Magnaten." Oder ihr selbst. Sie sah Algerio an, bevor sie sich auf ihrem Stuhl ein wenig zurücklehnte, ihr Gegenüber weiter musternd. An seiner mimischen Reaktion war deutlich abzulesen, dass er sich etwas mehr erhofft hatte, weitere Details, und dass er das Thema, selbst wenn er es jetzt auf sich beruhen lassen sollte, nicht vergessen würde. Falls er es denn auf sich beruhen lies. Ihr Gesprächspartner wirkte enttäuscht, was Fabiola zu ihrer eigenen Überraschung bedauerte. Andererseits hatte sie so etwas von ihm gesehen, von dem sie recht sicher war, dass es keine Fassade war. Und das gefiel ihr mehr, als sie sich eingestehen wollte. Ihre Finger spielten mit dem Pokal, als sie ergänzte: „Ich werde mir Mühe geben, meine nächste Antwort mehr gemäß den bisherigen Regeln unseres Spiels zu gestalten. Und bin weiteren Runden, heute Abend ebenso sowie zu einem späteren Zeitpunkt, durchaus zugeneigt." Sie lächelte, prostete ihm zu und trank einen weiteren Schluck. Er tat es ihr gleich.


Bevor sie das Gespräch wieder aufnahm, zögerte Fabiola einen Moment, unwillig, eine interessante für eine notwendige Frage aufzugeben. Schließlich rief sie sich innerlich zur Ordnung. „Verzeiht den nun folgenden, kurzen Ausflug zu langweiligen Themen. Auch ich habe so einiges, was ich lieber fragen würde. Doch die erwähnten Verpflichtungen…", sie zuckte entschuldigend lächelnd die Schultern. „Meine Schwestern sind zwölf und vierzehn. Es ist also höchste Zeit, dass sie mehr als nur Mestera kennenlernen. Nun fehlen mir offensichtlich nicht nur die richtigen Kontakte in die Gesellschaft, sondern auch jegliche Ahnung, was in unseren Kreisen heutzutage erwartet wird, als angemessen gilt. Meine eigenen Erfahrungen sind zu lange her, und die… Umstände… waren damals anders. Meine Brüder sind zu sehr in ihren eigenen Sphären versunken, um sich der Sache anzunehmen, und offensichtlich im Umgang mit Damen unseres Standes… überschaubar geschickt. Daher: habt Ihr einen Vorschlag, an wen ich mich um Rat wenden könnte? Vorzugsweise jemanden, der ein wenig bodenständig, aber nicht hinterwäldlerisch ist. Ein wenig herumgekommen, weltgewandt, vielleicht gar die Capitale kennt, ohne ständig in Querellas und Ähnliches verwickelt zu sein. Ich will nicht, dass die beiden sofort im Raubfischbecken höfischer Intrigen landen. Oder sonstiger schlechter Gesellschaft." Ehrliche Sorge um die jungen Domnatellas schwang in ihren Worten mit, was Algerio offensichtlich imponierte. Er wusste nur zu gut, wie es sich anfühlte, sich um jene zu sorgen, die einem nahestanden.


„Es scheint, als wären Ihr und ich auf der Suche nach der gleichen Person, Domna Selea - nur eventuell mit gänzlich unterschiedlichen Intentionen. Sagt Bescheid, wenn Ihr sie gefunden habt”, grinste er. Fabiola lachte vergnügt auf. „Hätte ich gewusst, dass Ihr auf Brautschau seit, Dom Algerio, wäre ich bei Eurer Einladung vorsichtiger gewesen. Manchmal ist Unwissenheit ein Segen. Es wäre ein herber Verlust gewesen, Eure Bekanntschaft nicht zu machen." Mit einem Glitzern in den Augen prostete sie ihm zu und trank den letzten Schluck aus ihrem Pokal. Dom Algerio erwiderte die Geste. „Es wäre eine Schande gewesen”, stimmte er breit grinsend zu, um dann mit einem Augenzwinkern zu ergänzen: „Und ich bin, wie bereits erwähnt, nicht auf der Suche, sondern immer offen für gute Gelegenheiten.” Lächelnd fuhr Fabiola fort: „Nun, lasst uns trotzdem eine weitere Abmachung treffen: wer die fragliche Dame zuerst trifft, stellt sie dem anderen vor. Erfreulicherweise stehen unsere Interessen nicht in Konkurrenz zueinander, so dass wir beide zum Zuge kommen sollten. Das Einverständnis der Dame vorausgesetzt. Da Eure Ziele längerfristig sind als meine, steht mir allerdings auch das Vorrecht einer Freundschaft zu ihr zu. Selbst, wenn sie nicht Eure Braut wird." „So soll es sein!” Algerio nahm einen weiteren Schluck, fuhr dann fort: „Aber Spaß beiseite: Gern will ich schauen, wie ich Euch in Bezug auf Eure Schwestern unterstützen kann. Ich nehme an, es soll eine Almadanerin sein.”, formulierte er eine Frage als Annahme, um im Spiel keinen weiteren Zug zu verlieren. Fabiola wiegte nachdenklich den Kopf. „Das wäre vermutlich am besten, aber grundsätzlich spricht nichts gegen eine Ausländerin, so sie die Anforderungen erfüllt und uns Almadanis versteht, sich mit uns auskennt. Allerdings sollte sie weder Al’Anfanerin noch rasullahgläubig sein. Aus Garetien oder den anderen Provinzen, das käme unter Umständen in Frage, je nachdem, warum sie in Almada ist."


Algerio überlegte. „Wenn es Euch, wie Ihr sagt, ein Anliegen ist, Eure Schwestern zumindest vorläufig vor höfischen Intrigenspiel zu schützen, macht es das natürlich schwierig. Meiner Erfahrung nach scheiden damit schon mal alle großen, ambitionierten Familias Almadas, wie die vom Bergs, die von Streitzigs oder die von Taladurs aus.” Den Namen derer von Culming ließ er bewusst außen vor, wenngleich hier sicherlich das gleiche galt. „Oder…”, ergänzte er nach einem kurzen Augenblick des Nachdenkens, sich selbst korrigierend, „zumindest ihre bekannteren Vertreterinnen.”


Mit nachdenklichem Gesichtsausdruck schwieg Fabiola einen Moment. Die Entfremdung musste schwerwiegend sein, dass Dom Algerio die von Culmings nicht erwähnte. Oder hatte er einen anderen Grund, stand den Ambitionen seiner Familia kritisch gegenüber? „Es spricht nichts gegen eine weniger bekannte Vertreterin einer großen Familia. Oder einen Vertreter, sofern er auch außerhalb der Öffentlichkeit die notwendige Integrität zeigt. Zwar will ich niemandem etwas unterstellen, aber wissen wir beide, dass es ein Thema sein könnte." Der Kladj über Rafik von Taladur ging ihr durch den Kopf, der sie selbst in der Fremde erreicht hatte. Meist als „Beweis" für die moralische Verderbtheit der Almadaner oder gleich der Mittelreicher ansich. Oder für ihre Prüderie, je nachdem, wer sich gerade das Maul zerriss. Ob Dom Algerio wohl Kontakte zum Kanzler selbst unterhielt? Schließlich war er in dessen Palacio untergekommen. Obwohl, war diese Farfanya, mit der er sein Pferderennen ausgerichtet hatte, nicht auch eine Taladur? Keshlan würde sie die nächsten Tage dringend weiter auf Stand bringen müssen.


In Gedanken seine Bekanntschaften der letzten Götterläufe durchgehend, stand ein Name heraus. „Domna Richeza könnte hier eventuell eine Ausnahme sein”, sagte er schließlich. „Sie scheint sich aus der großen Politik etwas verabschiedet zu haben - und auch wenn sie ein wenig eigen ist und durchaus einen Ruf zu verlieren hat, habe ich sie doch als äußerst integre und ehrliche Person kennengelernt. Ein Restrisiko bliebe natürlich, dass alte Liebeleien oder Fehden sie wieder einholen… und Ambitionen ändern sich auch bisweilen”, fügte er hinzu. Richeza? „Ich nehme an, Ihr sprecht von Domna Richeza von Scheffelstein.", entfuhr es Fabiola, während sich ihre Wangen röteten. Algerio nickte bestätigend. Im letzten Moment verkniff Fabiola sich einen Kommentar zu der Furie. Sie würde ihre Schwestern ganz sicher niemand anvertrauen, der sich mit allem duellierte, was nicht bei drei auf den Bäumen war, noch dazu einer glühenden Anhängerin des verrückten Kaisers und seiner Mörderbande. Fabiola griff nach ihrem Pokal, doch dieser war leer. Also blieb ihr nichts, als sich selbst innerlich zur Räson zu rufen. Es war lange her, Dom Algerios Worte deuteten an, dass sich Dinge geändert hatten. Und sie konnte es sich nicht länger leisten, nur auf ihre eigenen Befindlichkeiten zu achten. Noch mehr Herausforderungen für Keshlan. „Wenn Domna Richeza die Selbe geblieben ist wie zu den Zeiten meiner Abreise, könnte ein Treffen mit ihr … interessant… werden. Wenn ich mich recht erinnere, haben wir beide keinen Hehl daraus gemacht, wo wir stehen. Ich will nicht, dass die Mädchen darunter leiden. Andererseits, es ist lange her. Integer und ehrlich sind nicht zu verachtende Eigenschaften. Ich werde darüber nachdenken.„ „Wenn es eine gemeinsame Historie geben sollte, und sei sie auch indirekt, ist es wahrscheinlich ratsam, eher eine Alternative in Betracht zu ziehen”, erwiderte Algerio. „Keine gemeinsame Historie im klassischen Sinne, nein. Nur leidenschaftlich vertretene, gegenläufige Ansichten. Ihr sagt, sie habe sich geändert, und ich bin auch keine Achtzehnjährige mehr. Insofern wäre es interessant, Domna Richeza zu treffen, und dann weiter zu sehen."


Ihr Gegenüber überlegte einen weiteren Moment. In Gedanken ging er die Namen seiner direkten Bekannten durch. Die Familias de Verlez und Tyras kamen ihm in den Sinn und er verwarf sie, ohne einen Augenblick zu zögern. So langsam wurde es im Kreis seiner direkten Bekanntschaften dünn. „Elea von Aranjuez, die Zofe Rahjadas Al’Shirasgans, hält sich als Hofdame meines Wissens ebenfalls häufig in Punin auf. Ich kenne sie nicht persönlich, insofern kann ich nicht wirklich viel über sie sagen, aber zumindest sind mir keine größeren Querellas bekannt." „Rahjada Al’Shirasgan müsste dem Namen nach zum älteren Haus gehören, wenn mich meine Erinnerung nicht trügt. Ich denke, es wäre es nötig, vorher einige Erkundigungen einzuziehen. Nicht, dass Domna Rahjada ein mögliches Arrangement missversteht." Sie hatte ihre Cousine nur einige wenige Male getroffen. Ihre Mutter hatte immer versucht, Abstand zu den Al’Shirasgan halten, vielleicht aus Angst, dass der Fluch ihrer Geburtsfamilia ihre Kinder traf. Am Ende zu Recht? Soweit Fabiola wusste, hatte sie ihre Nichte höchstens bei unvermeidlichen öffentlichen Anlässen getroffen. Unwillig schüttelte Fabiola die düsteren Gedanken ab, bevor diese sie ablenkten.


„Und… wenn es jemand mit Bezug zu Eurem Lehen sein soll, wäre Domna Yedra de Bejar - die Gemahlin Eures Barons, sicher eine gute Wahl. Wobei ich vermute, dass Ihr sie besser kennt als ich.”


„Domna Yedra wäre eine naheliegende Wahl, da habt Ihr Recht. Vielleicht sollte ich sie darauf ansprechen, sollte sie meiner Einladung nach Mestera folgen. Allerdings scheint sie sich eher in Bangour aufzuhalten." Fabiola war sich nicht sicher, weshalb sie die Vorstellung so wenig begeisterte. Vielleicht lag es eher am Baron als an seiner Gattin, hatte dieser seinen Titel doch unter fragwürdigen Umständen vom verrückten Kaiser verliehen bekommen. Nun, bedauerlicherweise konnte man sich seine Lehensherrschaft nicht aussuchen. Allerdings war es sicherlich ratsam, vorsichtig zu sein, wie nah man diese an sich heran ließ.


Algerio seufzte. „Ich fürchte, ich kann Euch nicht in dem Maße helfen, wie ich es gern würde, werte Domna Selea… Damit ist mein Vorrat an Ideen erschöpft. Es sei denn natürlich, Ihr seid an einem engeren Bündnis mit dem Hause derer von Culming interessiert, in welchem Fall ich Euch gern mit Domna Usanza bekannt mache, meiner jüngeren Schwester und großen Förderin des Puniner Theaters.” „Eure eigene Schwester!", entfuhr es Fabiola überrascht. „Ich meine: ich fühle mich geehrt ob dieses Vorschlages, Dom Algerio. Sehr geehrt, denn ich weiß sehr wohl, wie nah einem jüngere Geschwister stehen können." Seiner Miene während ihrer Frage nach Rat und bei der Erwähnung Usanzas nach zu urteilen zeigte sich hier eine weitere Gemeinsamkeit. Sie versuchte, mit einem weiteren Schluck Wein Zeit zu gewinnen, doch ihr Kelch war trocken, und das Olivenschälchen weiterhin leer.


Wie schon mehrfach an diesem Abend erwies Dom Algerio als aufmerksamer Gastgeber. Bevor Fabiola selbst die Initiative ergreifen konnte, wandte er sich zur Seite an einen jungen Burschen, offenbar ein Page einer der hiesigen Gäste, der gerade auf dem Weg zum Ausschank war und ihren Tisch zufällig passierte. „Hey, du! Warte einen Moment!” Einen Augenblick lang kramte er in einem Beutelchen an seinem Gürtel, reichte dem Jungen dann ein kleines Stück Papier, markiert mit einer unverwechselbaren Biene der Nordlandbank. „Tu mir einen Gefallen und bringe mir und meiner bezaubernden Begleitung ein paar Oliven und zwei Kelche vom trockenen Wein mit, ja? Das Wechselgeld kannst du behalten.” Der Junge schaute zunächst etwas argwöhnisch drein - dann fiel sein Blick auf den Wechsel und die darauf vermerkte Summe. Seine Augen weiteten sich einen Moment, dann nickte er und eilte wortlos davon.


„Ah, sehr zuvorkommend, Dom Algerio. Vielen Dank.", lächelte Fabiola. „Ich gebe zu, ich hätte in dieser Umgebung nicht mit dem Wechsel gerechnet. Andererseits sind sie ausgesprochen praktisch, und passen zu einer Krämerseele, als die jemand, der es wissen muss, Euch kürzlich bezeichnete. Und bezaubernde Begleitung? Wie schade, dass Ihr die Anforderungen an Eure Zukünftige bereits klar gemacht habt und ja auch gar nicht auf der Suche seid. Sonst hätten sich aus Euren Worten und dieser Situation wunderbare Verwicklungen ergeben können." Schalk blitzte in Ihren Augen auf. Algerio lächelte vielsagend, verkniff sich aber eine Replik. Man brauchte jedoch kein Menschenkenner zu sein, um zu sehen, dass er den Austausch sehr genoss.


Dann wurde Fabiola ein kleines bisschen ernster. „Wie eng wäre die Bindung an das Haus Culming? Ich gebe zu, der Vorschlag überrascht mich etwas, nachdem Ihr vorhin von Entfremdung spracht." Nachdenklich tippte Fabiola sich auf die Lippe. Kashlan hatte ihr die erfrischend ehrliche Annoce gezeigt. Sie war neugierig auf Domna Usanza.


„Gleich zwei weitere Fragen, obschon ich meine noch nicht einmal gestellt hatte… Ihr werdet gierig, Domna Selea”, neckte Dom Algerio, und bevor sein Gegenüber etwas erwidern konnte fuhr er fort: „Ich nehme an, damit baue ich mir ein Guthaben für unser nächstes Aufeinandertreffen auf.” „Seht Ihr, höfische Zurückhaltung ist wirklich keine meiner hervorragenden Eigenschaften.", grinste Fabiola. „Bezüglich Eures Guthabens: wir werden sehen, ob es den Abend übersteht. Falls ja, werde ich diese Schuld bei Eurer nächsten Einladung mit Vergnügen begleichen."


Nun war er es, dessen Augen einen gewissen Schalk zeigten, während er weiter ausführte: „Ihr werdet sicher noch feststellen, dass mir das Gerede und die Meinung anderer zumeist herzlich egal sind, und sollte Dom…”, er schaute dem Pagen nach, konnte ihn in der Vielzahl der Besucher jedoch nicht ausfindig machen und daher kein Wappen identifizieren, das seinen Herrn ausgewiesen hätte. Deshalb fuhr er schulterzuckend fort: „Sollte Dom Alriko oder wie auch immer er heißt also annehmen, dass ich Euch mit bestimmten Absichten hierher gelockt habe und sollte Euch dies Unannehmlichkeiten verursachen, so bin ich gerne bereit eventuelle Missverständnisse aufzuklären. Doch Euch etwas geringeres als eine bezaubernde Begleitung zu nennen wäre mindestens weit untertrieben oder gar hochgradig verlogen - beides Dinge, die man eher selten bei mir finden wird.”


„So charmant und zuvorkommend, Dom Algerio. Ihr macht mich verlegen. Sollten die Unannehmlichkeiten durch Dom Alriko wider Erwarten zu groß werden, komme ich gerne auf Euer Angebot zurück. Allerdings gehe ich eher nicht davon aus, schließlich bin ich Eurer Einladung gefolgt. Es spricht für Euch, dass Ihr nicht zuviel auf Gerede gebt. Sowas birgt die große Gefahr eines langweiligen und gewöhnlichen Lebens."


„Weder über Langeweile noch über ein allzu gewöhnliches Leben kann ich klagen”, lachte Algerio. „Und was die Enge der Bindung an das Haus Culming angeht: Ich würde sagen, das liegt gänzlich an uns und dem, worauf wir uns einigen wollen. Und womit Eure Schwestern und die meine gut leben können natürlich. Wie Ihr die euren, liebe ich meine kleine Schwester und sorge mich sehr um sie. ‘Dem Blute zur Ehr!’ heißt es im Hause von Culming - doch was kaum jemand je dazu sagt, ist, dass manches Blut dicker ist als anderes. So sehe ich es zumindest.” Einen kurzen Augenblick schwieg er und gedachte des innerfamiliären Wetteiferns und der vielen kleinen Zwistigkeiten, die so weit entfernt, in einer anderen Grafschaft und weit hinter ihm lagen. Wären sie nur nicht alle so sehr von ihrem eigenen Ehrgeiz zerfressen, zu welcher wahren Größe wäre das Haus derer von Culming fähig? Doch es war müßig, sich darüber zu Gedanken zu machen. Er war nun in der Waldwacht, Herr seines eigenen Schicksals. Und er würde tun, was notwendig war, um jene zu schützen, die ihm am Herzen lagen. „Eure Bindung an Usanza und eventuell an mich wären in jedem Fall stärker als die Bindung an unseren Soberan und das weit verzweigte Haus derer von Culming, wenn das Eure Sorge sein sollte”, versicherte er schließlich.


„Manches Blut ist dicker, und gelegentlich fragt man sich, ob anderes nicht eher saurer Rotwein ist.", sinnierte Fabiola einen Moment eher zu sich selbst. Dann sah sie ihr Gegenüber wieder an und schmunzelte. „Eure Ansicht und diese Aussicht wecken bei mir einseitig gewisse Präferenzen, obwohl solche Entscheidungen nicht während des ersten gemütlichen Beisammenseins übers Knie gebrochen werden sollten. Auch wenn es in unseren Kreisen üblich ist, über den Kopf von Betroffenen hinweg zu entscheiden: meine Schwestern sind mit mir in Punin. Sofern sich Domna Usanza zur Zeit ebenfalls hier aufhält, könnten wir ein informelles Kennenlernen arrangieren und dann weiter sehen. Jenseits des Zwangs der Etikette, ähnlich wie heute. Ich könnte nachher meinen Fächer vergessen. Ihr könntet ihn zurückbringen, wenn Ihr rein zufällig mit Eurer Schwester in der Nähe seid. Worauf ich Euch beide zu einem zufällig mit meinen Schwestern stattfindenden Imbiss bitten würde. Alles ohne Verpflichtungen und Formalitäten. Danach sehen wir weiter. Sollte es nicht passen, kann Answin den Fächer immer noch abgeben.”


„Ihr erwischt mich auf dem falschen Fuß, Domna Selea… da ich selbst erst vorgestern in der Capitale angekommen bin, weiß ich tatsächlich nicht, ob meine liebe Schwester in der Stadt ist. Aber solltet Ihr tatsächlich in die Verlegenheit geraten, Euren Fächer hier zu vergessen, so wäre es mir selbstverständlich ein Bedürfnis, wieder zusammenzuführen, was zusammen gehört.”


Er lächelte freundlich, als der Page wieder an den Tisch kam und die bestellten Pokale mit frischem Wein sowie weitere Oliven brachte. Algerio bedankte sich, und fuhr, als der Page sich mit einer Verbeugung verabschiedet hatte und außer Hörweite war, fort: „Ich denke die Etikette gebietet es, dass ich Euch euch nicht allzu tief in Schulden stürzen lasse… und nachdem wir nun mehr als einmal darüber gesprochen haben, weshalb ich die Einladung aussprach: Was erhofftet Ihr Euch von einem Treffen mit mir?”


„Wie höflich und wohlerzogen Ihr doch seid, Dom Algerio." Fabiola ließ ihren frischen Wein im Pokal kreisen. Wie beim letzten Mal würde ihn die schlichte Wahrheit vermutlich enttäuschen. Etwas, das sie nach dem bisherigen Verlauf des Abends eigentlich nicht wollte. Nun denn, der Mungo lächelte jenen zu, die wagten. „Verschiedenes. Zunächst einmal die Befriedigung meiner allgemeinen Neugier bezüglich Eurer Person und natürlich eine Antwort auf die Frage, warum mich ein Wildfremder aus dem Nichts zu einem Abend zu zweit einlädt. Zu sehen, ob es ein zu verborgener Wink des Mungo sein könnte. Meiner Erfahrung nach ist es nicht ratsam, einen möglichen Hinweis von Ihm zu ignorieren." Denn zweite Chancen waren, so es sie überhaupt gab, meist weniger ergiebig.


Hätte Domna Selea nicht ohnehin schon die volle Aufmerksamkeit ihres Gegenüber gehabt, spätestens ab diesem Augenblick wäre sie ihr gewiss gewesen. Es bedurfte eines guten Beobachters und Menschenkenners, doch wer genau hinsah, erkannte eine kurze Regung in den Augenbrauen des Edlen vom Selkethal. Eine Anhängerin des Fuchses. Wie interessant! Und noch dazu eine mit tulamidischem Einschlag. ‘Mungo’ hatte sie ihn genannt, keine Seltenheit, durchaus nicht, aber in dieser Region ein doch bemerkenswertes Detail. ‘Die Wege des Fuchses sind bisweilen unergründlich’, schoss es Algerio durch den Kopf und ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Wie mir scheint, verbindet uns weit mehr als nur als unsere Gräfin”, entwich es Dom Algerio, mehr an sich selbst als an sein Gegenüber gewandt.


Fabiola nippte an ihrem neuen Wein. Der gleiche Rote wie zuvor. Sie griff nach einer Olive, sprach aber weiter, ohne diese zu essen. „Ich hoffe, Ihr werdet mir meine folgende Offenheit nicht übel nehmen. Bedenkt, wir kannten uns vorher nicht, und ich bin noch dabei, mich hier in meiner Heimat und ihrer Gesellschaft neu zu orientieren."

Mit einer Geste seiner Hand gab Algerio zu verstehen, dass es nichts zu verzeihen gab.


Gedankenverloren aß sie die Olive und fuhr erst danach fort: „Meine restlichen Hoffnungen galten ehrlicherweise nicht unbedingt Euch persönlich. Aus gegebenem Anlass war davon auszugehen, dass viele Personen, relevant und oder interessant, nach Punin kommen würden. Ich hatte vor, meinen Besuch in der Capitale im Umfeld der gegenwärtigen Feierlichkeiten zu nutzen, um Kontakte zu knüpfen. Vielleicht den Vater meiner zukünftigen Kinder zu finden, schließlich habe ich ja nun gewisse Verpflichtungen und Erwartungen zu erfüllen." Beim letzten Satz war ihr Tonfall spöttisch und dozierend zugleich geworden. Ihre Augen glitzerten und sie grinste breit, eine Geste, die ihr Gegenüber, eventuelle Hintergedanken andeutend, erwiderte. Etwas ernster fuhr sie fort: „Ich bin hier um zu sehen, was sich verändert hat, was unverändert geblieben ist. Ein Gefühl für die Machtverhältnisse, die Gruppierungen zu bekommen, um nicht unvorbereitet in irgendwelchen Schlangengruben zu landen. Wie Ihr auch, um sich bietende Möglichkeiten zu finden und zu nutzen, wenn auch eher mit gesellschaftlichem als geschäftlichem Fokus. Für letzteres ist im Rest des Jahres noch Zeit. Dazu sind einige Angelegenheiten in Bezug auf mein Erbe zu klären. Ich gedenke nicht, aufzugeben, was ich habe, um möglicherweise die Belohnung für mein Opfer durch unklare Verhältnisse zu verlieren." Sie schwieg erneut einen Moment.


„Das klingt sehr nachvollziehbar - zumindest für jemanden ohne Kenntnis der genauen Umstände und Details. Und es würde mich freuen, nicht nur geschäftliche, sondern auch gesellschaftliche… Möglichkeiten zu bieten…”, erwiderte Algerio mit breitem Grinsen, um dann nachzuschieben: „Meiner Erfahrung nach geht das eine ohnehin eng einher mit dem anderen.”


Fabiola nickte, halb in Gedanken. „Häufig, ja. An den gesellschaftlichen Möglichkeiten bin ich auf jeden Fall interessiert. Zu den geschäftlichen sollten wir uns austauschen. Aber zurück zu Eurer Antwort: Zu guter Letzt fehlt mir in der Provinz gelegentlich das bunte Leben der Stadt. Wenn ich es hier nicht für einen kurzen Ausflug finde, wo…" Im letzten Moment brach sie die Frage ab. „Ich habe schon genug Schulden bei Euch, werter Dom.", lachte sie Algerio an, der unwillkürlich einstimmte. „Daher: Ich vermute, dass Punin weiterhin das pulsierende Herz Almadas ist und entsprechend abwechslungsreiche Zerstreuungen bietet, die ich vor meiner Abreise zu genießen gedenke. Allerdings fehlt mir auch hier noch etwas der Überblick, da ich erst gestern angereist bin." Sie lehnte sich zurück und sah ihn mit leicht schräggelegtem Kopf forschend an. „Für Empfehlungen bin ich immer offen. Und ich hoffe sehr, dass meine offenkundige Planlosigkeit und meine fehlenden Hintergedanken Euch nicht zu sehr enttäuschen."


„Oh, keinesfalls!”, beschwichtigte dieser. „Im Gegenteil, ich finde es ein Stück weit erfrischend, mal nicht die einzige Person im Raum zu sein, die eher geradeheraus agiert.” Er streckte die Arme aus in einer weit ausladenden Geste. „Seht Euch nur um! Ein ganzes Gasthaus voller Menschen, die Pläne schmieden und intrigieren, in der Hoffnung, den Göttern ein Schnippchen zu schlagen und am Ende zur Seite der Gewinner zu zählen, im nie endenden Spiel um Macht und Einfluss.” Er lachte kurz, sich der Ironie seiner Worte bewusst werdend. War er nicht selbst zu einem von denen geworden, die versuchten stets einen Plan zu haben? Die sich Ziele setzten und diesen nachjagten? Wie die Verantwortung für ein Lehen, für andere Menschen einen doch veränderte. Fabiolas Blick folgte seiner Geste. „Ja, gefangen im ewig gleichen Spiel, heute Verlierer, morgen Gewinner. Oder andersherum. Alle zumindest hoffend, zu gewinnen. Dabei hat so mancher nicht mehr als seine vermeintlich ruhmreiche Blutlinie als Einsatz zu bieten. Und doch werden auch wir beiden auf Dauer wohl nicht umhin kommen, zumindest am Rande mitzuspielen, wollen wir unsere Verpflichtungen nicht vernachlässigen.", sinnierte sie eher zu sich selbst.


„Wie dem auch sei…”, verwarf er den Gedanken schnell wieder. „Wenn Ihr Zerstreuung sucht, seid Ihr in Punin sicherlich an der richtigen Stelle - aber ob ich Euch hier etwas zu empfehlen vermag… da bin ich mir nicht so sicher.” Er gab vor, einen Moment zu überlegen, fuhr dann fort: „Für standesgemäße Zerstreuung solltet Ihr besser meine Schwester fragen, denke ich.”


„Oh, bitte, empfehlt mir gerne etwas. Da nicht sicher ist, ob Eure verehrte Schwester überhaupt in der Stadt weilt, laufe ich sonst Gefahr, mich um die Empfehlungen weniger angenehmer Gesellschaft kümmern zu müssen. Was sicherlich zu weniger interessanten und eher langweiligen Erlebnissen führt. Standesgemäß wird gelegentlich überbewertet. Wenn mir Eure Vorschläge nicht zusagen, kann ich immer noch tiefe Erschöpfung vortäuschen." Sie zuckte mit den Achseln und Algerio konnte sich ein weiteres Mal sein Grinsen nicht verkneifen. „Zudem wird standesgemäße Zerstreuung vermutlich auch in den kommenden Wochen und Monaten verfügbar bleiben. Daher kann ich mich darum später kümmern. Außerdem ich sollte Gesprächsthemen zurückhalten, um Eure Schwester beim ersten Treffen nicht zu sehr zu langweilen oder gar zu vergraulen."


Algerios Grinsen verbreitete sich. Er konnte sich nur zu gut den entsetzten Gesichtsausdruck seiner Schwester vorstellen, würde Domna Selea ihr davon erzählen, was er vorhatte. Nur… sollte er diesen Schritt wirklich gehen? Es würde unterhaltsam sein, das mit Sicherheit, und er würde viel über sein Gegenüber lernen, aber… er würde auch viel Preis geben. War es das wert?


Länger als bisher während dieses Gesprächs hing Algerio seinen Gedanken nach - dann fasste er einen Entschluss. „Ihr habt dieses Spiel vorgeschlagen und ein paar Eurer Antworten, Eurer Entscheidungen lassen mich annehmen, dass Ihr dem zwölfgöttlichen Fuchs näher steht, als für eine Person unseres Standes üblich.” Er formulierte die Worte wie eine sachliche Feststellung, ohne einen Vorwurf oder Geringschätzung in der Stimme, aber auch ohne den Schalk, der sich sonst oft dahinter verbarg. Fabiola sah ihn regungslos an. „Darum gebe ich Euch eine… Gelegenheit.” Mit der Rechten griff er nach seiner Geldkatze, holte geübt eine einzelne Silbermünze hervor. Er legte sie vor sich auf den Tisch, schob sie mit zwei Fingern bis zur Mitte des Tisches. Es fühlte sich gut an. Irgendwie… richtig. „Lassen wir Euren Gott entscheiden, wie wir weiter machen.” „Ich hätte erwartet, Ihr wendet Euch an Euren Gott des Handels, Dom Algerio.", schmunzelte Fabiola. Er nahm die Finger von der Münze, nickte auffordernd, um seinem Gegenüber zu bedeuten, die Münze an sich zu nehmen. „Ihr kennt das Spiel. Zeigt die Münze das steigende Pferd, zeige ich Euch meine liebste Form der Zerstreuung, wenn ich in Punin bin. Und blickt Euch Dom Gwains wachsames Auge an… nun, dann belassen wir es bei standesgemäßeren Formen der Zerstreuung.” Das Lächeln war zurückgekehrt in seine Mundwinkel. Der Abend hatte eine weitere, unerwartete Wendung genommen, die Algerio nicht vorhergesehen hatte. Und das… gefiel ihm.


Fabiola griff nach der Münze. Ohne Algerios Blick auszuweichen, ließ sie diese über die Finger ihrer Linken tanzen, bevor sie sie beiläufig mit dem Daumen in die Luft schnippte. Im gleichen Moment griff sie mit Rechts nach Algerios Hand und zog seinen Arm zu sich, dass die Münze auf der gestreckten Innenseite des Unterarms aufkam. Als Fabiola ihre Linke nach einem Moment der Spannung von Dom Algerios Arm hob, erblickten beide das steigende Pferd. „Die Wege des Mungo sind unergründlich. Ich vermute, es ist ratsam, mich umzuziehen, bevor Ihr mir Eure liebste Zerstreuung zeigt. Und der Wein ist zu gut, um ihn verkommen zu lassen." Sie lächelte. Dann wurde sie sich der neugierigen Blicke mehrerer anderer Gäste, mal verschämt unauffällig, mal unverschämt offen bewusst. Ohne übermäßige Eile, um nicht den Eindruck zu erwecken, sie fühle sich erwischt, ließ sie Algerios Hand los. Sich zurück lehnend griff Fabiola nach weiteren Oliven. Der Abend versprach aufregend zu werden.


Algerio lachte ein weiteres Mal, und diesmal kam es aus tiefstem Herzen. ‘Hilf dir selbst…’, schoss es ihm durch den Kopf. Sollte er tatsächlich so viel Glück haben? „Der Mungo scheint auf Euch herab zu lächeln”, sagte er dann laut, mit einem Augenzwinkern und breitem Grinsen. Fabiola winkte bescheiden ab. „Seine Gunst ist wechselhaft, das weiß jeder." Und manchmal schien es beinahe, als diene ihre Verteilung allein dem göttlichen Amüsement. Sie konzentrierte sich wieder auf die Worte ihres Gastgebers. „Nun gut. Ich halte mein Wort. Wann immer Ihr bereit seid, heut Abend oder bis ich die Stadt verlasse. Gebt mir einfach Bescheid und ein paar Augenblicke Zeit, dann zeige ich Euch meine liebste Zerstreuung. Und ja”, ergänzte er nach kurzer Pause, „so gut Euch Euer derzeitiges Kleid auch steht, es wird Euch dort, wo ich mit Euch hin möchte, keine guten Dienste leisten.” Sein Grinsen bekam einen leicht zweideutigen Unterton, den er mit einem Schluck des Weines verdeckte.


„Ah, also ein anständiger Zeitvertreib… Interessante Wahl Eurerseits.", erwiderte Fabiola mit gleichem Unterton und spielte einen Moment mit der Locke, die sich erneut gelöst hatte und nun äußerst vorteilhaft fiel. Schließlich schob sie die Strähne mit einem angedeuteten Schulterzucken und feinen Lächeln zurück in ihre Frisur. Entspannt lehnte sie sich zurück: „Sagt mir, wie lange Ihr bleibt, und ich überlege mir, ob ich mir dieses Erlebnis für einen anderen Tag aufhebe." Tatsächlich war sie noch unschlüssig, ob sie sich die Vorfreude gönnen und riskieren sollte, am Ende wegen Verpflichtungen auf dieses Abenteuer verzichten zu müssen. Andererseits, ihre Bekanntschaften und Termine in der Stadt waren überschaubar. Ihre Finger spielten wieder mit der Münze auf dem Tisch. Als sie sich dessen bewusst wurde, schob sie das Silberstück zu seinem Besitzer hinüber. Algerio ergriff das Wort: „Aber genug davon - zumindest für den Moment. Nachdem Ihr es jetzt schon geschafft habt, mir ein Versprechen abzuringen, ohne eine Frage zu stellen… ich glaube, Ihr wart an der Reihe!”

„Ich erlaube mir, das als Kompliment aufzufassen.”

„Und genau so war es gedacht.”

„Bedauerlich, dass Ihr Euch daran erinnert, dass ich mit einer Frage am Zuge bin. Ich sah meine Schulden schon schwinden." Sie seufzte tief und ein wenig theatralisch. „Daher habe ich mich noch nicht für meine nächste Frage entschieden. Helft einer Dame aus der Not und stellt Eure. Natürlich ändert das nichts an meinen Schulden. Es wäre lediglich eine Umkehr der Reihenfolge, in der wir fragen."


„Oh, nichts lieber als das”, entgegnete Algerio. „Es gibt eine ganze Reihe weiterer Fragen, die mich interessieren. Unter anderem, ob Ihr früher oft in Punin wart, wo es Euch in den letzten Jahren hin verschlagen hat, dass Ihr nicht mehr hier wart, wie Eure Pläne für die nahe Zukunft aussehen, wenn Ihr von Euch selbst sagt, eher planlos zu sein… zumindest heute Abend.” Er zwinkerte seinem Gegenüber ein weiteres Mal zu, den Spaß an der Sache verdeutlichend. „Doch all dies kann warten. Für solch profane Fragen ist mir dieses Spiel zu kostbar geworden. Meine Neugierde gilt vielmehr Eurem Innersten, Euch als Person. Daher frage ich mich… frage ich Euch”, korrigierte sich Dom Algerio, „Wie kann ein Fremder, den Ihr das erste Mal trefft, Euer Vertrauen gewinnen?”


Für einen kurzen Moment versteifte sich die Haltung seines Gegenübers kaum merklich, während sie ihn intensiv musterte. Dann zog Fabiola ihren Kelch näher, prostete Algerio zu. Mit feinem Lächeln, ohne zu trinken, erklärte sie: „Eine sehr gute Frage, auch wenn mich etwas überrascht, dass Ihr sie stellt. Wir sollten bei Gelegenheit zu einem weniger öffentlichen Ort wechseln, um unser Gespräch fortzusetzen." Sie setzte ihr Glas ab, doch ihre Finger spielten weiter damit. „Das sollten wir wohl…”, bestätigte Dom Algerio, einem Gedanken nachhängend, leise und halb zu sich selbst. „Die Antwort ist natürlich ein wenig von der Situation abhängig. Soll es schnell gehen, hilft es generell sehr, wenn der Fremde erkennen lässt, dass er mein Vertrauen verdient. Sei es durch Taten, sei es durch… offene Worte…, die mir erleichtern, jemand Unbekannten Vertrauen zu schenken. Sozusagen eine gewisse Sicherheit geben." Seine Reaktion abwartend sah ihn an, während sie an ihrem Wein nippte. Algerio nickte nur lächelnd. Vertrauen für Vertrauen, also. Das machte es leichter - und es eröffnete eventuell ganz neue Möglichkeiten, sollte sie sich tatsächlich auf einen gemeinsamen Besuch des Fuchsbaus einlassen.


Schließlich beugte Fabiola sich zu ihm. „Ich bin dran und erlaube mir, Euch zum Beispiel zu nehmend, profane Fragen hintenan zu stellen. Dom Algerio, was braucht es, um Euch dazu zu bringen, zum Äußersten zu gehen?” Unwillkürlich, fast schon automatisch spiegelte Algerio die Geste, neigte sich nach vorn, auf die Unterarme gestützt, und verringerte so die Distanz zwischen ihnen beiden - so nah, dass es fast schon unangemessen war, wie ihm auffiel. Einen kurzen Augenblick lang überlegte er, sich zu korrigieren, entschied sich dann aber dagegen. „Eine sehr gute Frage, Domna Selea”, flüsterte er stattdessen, sodass beim Lärm im Gasthaus nur sein Gegenüber seine Stimme zu hören vermochte, was den Anschein erwecken konnte, dass die Nähe beabsichtigt war. Fabiola drehte ihren Kopf zu ihm, ohne auch nur einen Finger zurückzuweichen, und sah Algerio auffordernd an. „Und Ihr werdet vielleicht überrascht sein, aber es bedarf dazu herzlich wenig. Seitdem ich mein Leben in die eigenen Hände genommen habe… nehmen musste”, präzisierte er unwillkürlich, „lebe ich nach einer einfachen Maxime: Ganz oder gar nicht. Keine halben Sachen. Wenn ich mir etwas vornehme, gebe ich mich nicht mit Kompromissen zufrieden.” Er pausierte einen Moment, merkte aber, dass seine Antwort ihn selbst nicht zufrieden stellte. Sein Gegenüber schien ebenfalls auf weitere Ausführungen zu warten, und so ergänzte er: „Was also bringt mich dazu, zum Äußersten zu gehen? Ich glaube, es sind drei Dinge: Als gläubiger Mensch bin ich bereit, für meinen Glauben an die Zwölfe zum Äußersten zu gehen, das ist gewiss und schon vielfach bewiesen. Als stolzer Almadaner wäre zum zweiten das Wohl und Gedeihen, aber auch die Sicherheit meiner Heimat zu nennen. Und schließlich und wahrscheinlich am wichtigsten: Für jene, die ich als meine Familie betrachte, gleich ob durch Blut verbunden oder nicht, würde ich alles tun. Alles.” Er schaute Domna Selea ruhig und tief in die Augen, voller Neugier und ehrlichem Interesse. „Was bringt Euch dazu, zum Äußersten zu gehen?”


Fabiola lächelte leicht. Sie verringerte den Abstand zwischen ihnen noch ein wenig weiter und murmelte: „Nicht einmal eine halbe Antwort, noch dazu in weiten Teilen genau dem entsprechend, was von unsereinem erwartet wird: die Zwölfe, die Heimat Almada, die Familia. Und trotzdem interessant, daher überlasse ich es Euch, wann Ihr mir den Rest der Antwort gebt."


Sie brachte genug Abstand zwischen sie beide, dass sie einander wieder in die Augen sehen konnten. „Schuldig im Sinne der Anklage”, grinste Algerio. „Gut, versprochen: Spätestens, wenn wir an dem schon erwähnten weniger öffentlichen Ort sind, bekommt Ihr die zweite Hälfte.” „Sehr gut, dann zögern wir den Moment nicht zu lang heraus. Noch habt Ihr Zeit, Euch zu Euren Vorschlag für unser Ziel Gedanken zu machen.” Fabiola nahm einen tiefen Schluck Wein. Sie würde rausfinden müssen, was sie da tranken, er schmeckte wirklich gut. Sie ließ die im Kerzenschein förmlich von innen heraus leuchtende Flüssigkeit kreisen. „Leider muss ich gestehen, dass meine Antwort auf Eure Frage im weitesten Sinne ebenfalls die drei von Euch genannten Tugenden aufgreift. Ein schwerer Angriff, eine tiefgreifende Ungerechtigkeit, ein Sturz in große Not, gerichtet gegen jene, die in meinem Herzen wohnen, in deren Schuld ich stehe oder denen meine Verantwortung gilt - das wäre wohl geeignet.” Ihre Stimme war leise, während sie Algerios Blick nicht auswich und unablässig den Wein kreisen lies. Ihr linker Zeigefinger umfuhr das Handgelenk ihrer Rechten. „Zudem eine ernsthafte Bedrohung meiner Heimat, denn es gilt: das Land meinem Blut, und mein Blut dem Land.” Ihre Stimme war ernst, während der Finger unsichtbare Linien auf ihrem Unterarm zeichnete. „Zu guter Letzt sich breit machendes, götterlästerliches Paktierergezücht, gleich, ob es sich dämonischen oder namenlosen Verblendern andient.” Es mochte ein Flackern der Kerze sein, so dass es für einen winzigen Moment schien, als blitzten Hass, Ekel und Verachtung in Fabiolas Augen auf. Ihr Finger schlug mit einer knappen Geste ein Schutzzeichen vor ihrer Brust. Im nächsten Moment nippte sie erneut an ihrem Wein, den Kopf nachdenklich ein wenig schräg gelegt. „Vielleicht gibt es noch andere Auslöser, die mir entfallen sind. Vermutlich hinterhältiger Verrat… oder die ausweglose Bedrohung meiner Person… Ich werde weiter in mich gehen.” Sie beobachtet Algerio neugierig, gespannt auf seine Reaktion.


Der Edle des Selkethals hörte seiner Gesprächspartnerin aufmerksam zu. Es schien ihm offensichtlich, dass sie aus Erfahrung sprach - direkter Erfahrung am eigenen Leib, nicht nur Hörensagen oder vagen Vorstellungen, wie die meisten. Was war es, das sie in den letzten Götterläufen erlebt hatte? Und, viel spannender noch: Was hatte sie erlebt, dass sie eine solche Frage so spezifisch beantworten konnte, und es dennoch bereute, dieses Leben hinter sich gelassen zu haben, um das Erbe der Familie anzutreten. Saß hier eine Abenteurerin vor ihm? Wer war diese Frau wirklich? Seine Gedanken und die damit einhergehende Stille unterbrechend, äußerte Algerio den Schluss, zu dem er gekommen war: „Tut das. Ich bin gespannt, ob Euch noch etwas einfällt, doch kann ich schon jetzt sagen, dass wir uns - erneut - ähnlicher zu sein scheinen, als ich für möglich gehalten hatte.”

Geistesabwesend griff er nach seinem Kelch und nahm einen weiteren Schluck.


„Nun denn, ich bin am Zug.” Fabiola zog sich ein Stückchen zurück, tippte sich auf die Lippe und dachte nach, unentschlossen, wie ihre nächste Frage lauten sollte. Schließlich beugte sie sich wieder nah zu ihrem Gegenüber und erkundigte sich sehr leise: „Wer seid Ihr, wenn man den Edlen, den Gläubigen, den Bruder, den Culming, den Almadaner, den Krämer, den Condottiere, den Mercenario außen vor lässt, Dom Algerio?”


Algerio lachte unwillkürlich. Den Schleier lüften? Einen Blick auf das Innerste preisgeben, über das die meisten so gern hinwegsahen, weil es so viel einfacher war, so viel bequemer? Nun denn, warum nicht. Die Regeln des Spiels waren eindeutig: eine Frage für eine Frage, eine Antwort für eine Antwort. Und, wie hatte sie selbst so schön gesagt: ‘offene Worte…, die mir erleichtern, jemand Unbekannten Vertrauen zu schenken.’ Nun denn, sie hatte sich offene Worte verdient.


„Wer bin ich, wenn all die gesellschaftlichen Erwartungen und Rollen beiseite gelassen werden, die ich, die wir alle jeden Tag spiele. Das habe ich mich schon so oft selbst gefragt. Und die Antwort ist eigentlich sehr simpel, wenngleich die Geschichte dahinter eine lange ist und ich selbst noch nicht alle Kapitel kenne.” Er wandte sich kurz ab und nahm einen weiteren Schluck, um sich ein wenig Zeit zu erkaufen, zu entscheiden, wo genau und wie er beginnen sollte. Unwillkürlich lehnte sich Fabiola ein wenig weiter in seine Richtung. In ihren Augen glänzte wirkliches Interesse und ein Hauch von Überraschung. Sie hatte den Eindruck, dass er im Begriff war, ehrlich und offen zu antworten. Etwas, womit sie trotz des bisherigen Verlaufes des Abends nicht wirklich gerechnet hatte.


Dann blickte Dom Algerio Domna Selea wieder in die Augen, während er fortfuhr: „Wir Menschen werden ab dem Zeitpunkt unserer Geburt durch unsere Familia, unsere Umgebung, durch die Erwartungen, die an uns gestellt werden und noch einiges mehr geformt. Und bereitwillig folgen wir diesem Weg der vorgezeichneten Erwartungen, immer weiter, bis wir eines Tages sterben. Nur wenige bekommen je die Möglichkeit, aus diesem Netzwerk der Vorbestimmung auszubrechen und zu erfahren, wer sie wirklich sind.” Unwillkürlich nickte Fabiola leicht. Selbst jugendliche Rebellion des Nesthäkchens war doch meist nichts anderes als die Erfüllung einer Rolle. Das störrische Jungtier der Familie, dem gestattet wurde, sich ein wenig die Hörner abzustoßen. Das am Ende doch zur Räson und auf Linie gebracht wurde. Danach höchstens noch im Verborgenen oder skandalösen, aber gesellschaftlich akzeptablem Rahmen über die Stränge schlug.


Ohne sich dessen bewusst zu sein, griff Algerio mit der Linken nach dem Silbertaler, der noch immer auf dem Tisch zwischen ihnen gelegen hatte, und begann, ihn über seine Finger tanzen zu lassen. „Auch mein Leben war vorgezeichnet. Bis ich Anfang zwanzig war, war meine Rolle die des Zweitgeborenen. Ich war Teil der Armee, auf dem besten Wege die Linie derer von Culming fortzuschreiben. Verlobt. Pflichtbewusst. Loyal, nach allem was ich so hörte. Langweilig…” Algerio musste erneut grinsen bei dem Gedanken an all das, was er hinter sich gelassen hatte. „Und dann… dann haben die Götter entschieden, dass es Zeit sei, etwas anderes zu probieren. Ich weiß nicht genau, was passiert ist… wie gesagt, einige Kapitel kenne ich selbst nicht - aber ich erwachte auf der Reichsstraße zwischen Punin und Ragath, ohne Besitz und ohne Erinnerung an mein altes Leben. Von jetzt auf gleich war ich gezwungen, meinen eigenen Weg zu gehen, mir zu erarbeiten, was mir doch eigentlich in die Wiege gelegt worden war. Denn Dom Algerio aus dem Hause derer von Culming wurde, wie ich weit später erfuhr, einige Monde darauf für tot erklärt. Und selbst, wenn meine Familia mich nicht aufgegeben hätte, es hätte keinen Unterschied gemacht. Ich wusste ja nicht, wer ich war. Ich war ein Niemand. Ohne Namen. Ohne Familie. Ohne Geschichte. Ein Vagabund. Alles, was Ihr genannt habt, habe ich mir seit damals - erneut - erarbeitet. Es ist kein vorgezeichneter Weg, keine Fassade, keine Erwartung der Gesellschaft an mich. All die Rollen, die ihr nanntet, sind ein Teil von mir, meinem innersten Selbst. Aber damals, vor gut einem Dutzend Götterläufen, stand ich auf der Straße und war nichts davon. Ich war, was ich noch immer bin. Ein Mann, der seine Bestimmung sucht. Der seine Bestimmung in die eigenen Hände genommen hat, sie selbst erschafft. Ein Diener von Herren, die er sich selbst erwählt. Dom Algerio ist eine Figur in einem Spiel, die den Anschein erweckt, dass alles seiner gewohnten Wege geht. Ich hingegen bin derjenige, der diese Figur lenkt und im Hintergrund die Regeln bricht, in der Hoffnung, dass es schlussendlich mehr als einen Sieger gibt.” All dies hatte Algerio in ruhigem und besonnenem Ton vorgetragen, als wäre es eine nüchterne Analyse der Tatsachen. Doch seine Selbstbeherrschung ging nur so weit - sein Atem ging schneller und sein Herz schlug wild. Einem aufmerksamen Beobachter musste auffallen, dass ihm diese Dinge nahe gingen und aus einem Bereich seines Innersten kamen, den er nicht oft nach außen hin zeigte.


Fabiola merkte, dass sie unwillkürlich den Atem angehalten hatte, je weiter ihr Gegenüber sich ihr geöffnet hatte. Langsam atmete sie aus. Dann streckte sie die Hand vor, fing den Silbertaler ab, ließ ihn tanzen und schnippte ihn zurück dass er zwischen Dom Algerios Daumen und Zeigefinger zu liegen kam. Das steigende Ross nach oben. „Der Mungo lächelt Euch zu, D… Algerio. Und schon so lange. Ihr müsst hoch im Seiner Gunst stehen, dass Er Euch die Gnade Seiner Geschwister verschaffte, neu, unbelastet anfangen zu können. Eine ungewöhnliche Wiedergeburt. Nicht einfach, aber das sind die Erkenntnis und Enttäuschung, dass der eigene Name zwar Gefahr, aber keine Hilfe birgt, am Ende wenig bedeutet, auch nicht.", meinte Fabiola nachdenklich. „Und Ihr könnt sicher sein, dass Ihr aus eigener Kraft geschaffen habt, was Euer ist, in niemandens Schuld steht. Darauf können die wenigsten stolz sein. Ich gebe zu, ich finde Eure Freiheit beneidenswert. Und wünsche Euch, dass Euch Eure Bestimmung gefällt, solltet Ihr sie finden. Und wenn nicht, dass Ihr weiterhin die Kraft habt, sie nach Euren Vorstellungen zu formen." Oder war ihr aller Schicksal doch vorgezeichnet? War es ihm bestimmt gewesen, auf Umwegen zu jenem Weg zurückzukehren, der von Geburt an auf ihn wartete? Was bedeutete das für sie? Fabiola schob den Gedanken für einen anderen Tag beiseite.


Schnell nahm er einen weiteren Schluck des Weins, beruhigte seine Nerven. Fabiola tat es ihm gleich. Schon wieder fast leer. Während er den Kelch absetzte, fuhr Dom Algerio, nun wieder gänzlich gefasst, fort: „Meine Hochachtung, Domna Selea. Nur wenige aus meinem engsten Freundeskreis kennen diese Geschichte.” „Danke. Ich bin mir der Ehre bewusst, die mir soeben widerfahren ist.", erwiderte sie mit einem warmen Lächeln.


Algerio nickte zufrieden. Was auch immer der Abend jetzt noch bringen mochte - mit diesem Verlauf hatte er nicht gerechnet. Aber… der Abend legte Grundlagen für die Zukunft. Interessante Grundlagen.


„Gut… dann bin ich wieder an der Reihe.” Algerio entspannte sich sichtbar, das Lächeln kehrte zurück auf seine Lippen. „Und ich stimme Euch zu: Ich glaube, der Mungo hat von Zeit zu Zeit gefallen daran, mich ein wenig zu stupsen. Daher meine Frage an Euch: Angenommen, der Fuchs kreuzte Euren Weg und wäre in der Stimmung für einen Handel… Um was würdet Ihr ihn bitten und was würdet Ihr ihm dafür bieten?”


„Das käme auf die konkreten Umstände an. Und ich würde es bei solch einer Chance auf keinen Fall wagen, Seinen Unwillen auf mich zu ziehen, indem ich im Vorhinein Außenstehende darüber informiere. Egal, wie hoch sie in Seiner Gunst stehen.", zwinkerte Fabiola ihrem Gegenüber zu, ihre Unsicherheit überspielend, was sie fragen und bieten würde.


Algerio lehnte sich ein Stück nach vorn, um die Stimme dämpfen zu können - mehr für den dramatischen Effekt als alles andere. „Wenn Ihr meint”, flüsterte er, „dass es seinen Unwillen weniger auf sich zieht, wenn Ihr versucht Euch so billig aus einem fairen Spiel zu stehlen, werde ich Euch nicht aufhalten…” „Ich habe mir ein Beispiel an Euch genommen.", grinste sie ihn an. Er zwinkerte ihr zu, nahm dann wieder eine entspannte, aufrechte Haltung ein. „Und was die Umstände anbelangt… nehmt an, er würde jetzt und hier erscheinen.” „Wie erfrischend, so gesundem Selbstbewusstsein zu begegnen.", erwiderte sie spöttisch.


Breit grinsend griff Algerio nach seinem Kelch, um einen weiteren Schluck zu nehmen, bemerkte dann aber, dass dieser bereits geleert war. Ein kurzer Blick auf den Kelch Domna Seleas bestätigte ihm, dass auch seine Gesprächspartnerin dieses Schicksal teilte, also erhob er sich, nahm beide Kelche und wandte sich der Theke zu. „Ich gebe Euch ein bisschen Zeit, Eure Antwort zu überdenken - oder eine neue Frage zu überlegen, solltet Ihr bei Eurer Antwort bleiben wollen.” Dann ging er zum Tresen. Als er Fabiola passierte, berührte diese leicht seinen Arm und sah zu ihm hoch. „Gerne nochmal den Roten. Und bitte, fragt, was wir da trinken. Im Übrigen wäre dies ein guter Moment, zu dem versprochenen, weniger öffentlichen Ort zu wechseln. Wir können unsere Getränke mitnehmen.„ Algerio nickte. „Sehr gern.” Damit setzte er seinen Weg zur Theke fort.


Fabiola sah ihm nach und widmete sich mit sichtlichem Genuß den restlichen Oliven, Algerio beobachtend. Sie widerstand dem Drang, den Käse und das Brot für später einzupacken. Essen und Schlafen, wann immer es ging. Die wiederholte Lektion war eindringlich und hilfreich gewesen. Dass es nicht länger nötig war, sich daran zu halten, entfiel ihr gelegentlich noch.


Ein paar Augenblicke später tauchte Algerio wieder neben Domna Selea auf - zwei gefüllte Weinkelche in Händen. „Ich denke, damit haben wir alles.”, grinste er, stellte einen der Kelche auf den Tisch und reichte der Junkerin die Hand, um ihr aufzuhelfen. „Wenn Ihr mögt, zeige ich Euch meine liebste Form der Zerstreuung”, bot er an. „Allerdings müssten wir dazu etwas… angemessener gekleidet sein.”


Fabiola nahm damenhaft die angebotene Hand und stand auf. Sie strich ihr Kleid glatt und griff nach Kelch und Fächer. Ihren Arm auf seinem ließ sie sich hinaus geleiten. Während sie die anderen Gäste passierten, meinte sie mit einem verschmitzten Blick zu ihrem Gastgeber: „Das Angebot nehme ich mit Vergnügen an, Dom Algerio. Seid so gut und beschreibt mir diese angemessene Kleidung genauer. Damit ich Euch am Ende nicht enttäusche."


Algerio grinste verschmitzt. Unwillkürlich glitt sein Blick noch einmal über ihr Kleid - eigentlich war es sehr schade, die elegante und die weibliche Form betonende Kleidung einer Almadaner Adligen gegen einfache Straßenkleidung zu tauschen. Andererseits… vielleicht machte Domna Selea ja auch darin eine gute Figur?


„Ich glaube, das werdet Ihr schwerlich”, antwortete Algerio schließlich. „Nun denn. Wir werden an einen Ort gehen, an dem das einfache Volk lebt und sich vergnügt. Ich an Eurer Stelle würde jedes Zeichen von Stand zurücklassen und gegen Kleidung tauschen, deren Wert sich eher in Hellern denn in Dukaten bemisst. Etwas, womit wir in der Nobleza einen echten Skandal produzieren würden”, fügte er Augenzwinkernd hinzu. „Ich denke, das lässt sich einrichten. Ich gehe davon aus, dass ich mir dank Eure Anwesenheit keine Gedanken um Sicherheit machen muss, schließlich habe ich einen Kriegshelden an meiner Seite." Algerio musste grinsen.


Vor der Weinstube wandte sie sich in Richtung der Pferde und Angestellten. Letztere schienen gerade mit typisch almadanischer Leidenschaft einige unter sich beim Würfelspiel anzufeuern. „Ich kann mein Pferd nach Hause schicken, wenn Euer Ziel zu Fuß zu erreichen ist. Auch da folge ich ganz Eurer Empfehlung.", bot Fabiola an. „Wir müssen ans andere Ende der Stadt, Richtung Yaquirhafen. Mein Vorschlag wäre, Ihr reitet zu Eurer Unterkunft, und wenn Ihr bereit seid, treffen wir uns am Basar am Hafen. Ich nehme an, Ihr kennt den Platz? Um diese Zeit dürfte dort nicht mehr viel los sein. Ich werde jemanden mitbringen, der sich um dort um unsere Pferde kümmern kann. Und den Rest des Weges, legen wir dann zu Fuß zurück.” Fabiola lächelte über die unüberlegte Frage. „Ich werde den Weg finden."


Vor ihnen sah sie, wie Keshlan sich unter Protest seiner Mitspieler aus dem Kreis der Angestellten löste und mit einer spöttischen Verbeugung verabschiedete. Ihre Stute an seiner Seite kam er herüber, seinen Gewinn verstauend. Offensichtlich war es nicht nur für sie ein gelungener Abend.


Sie wandte sich zu Algerio und stieß mit ihm an, nippte an ihrem Wein. „Auf einen aufregenden Abend." Algerio nahm ebenfalls einen Schluck. „Darauf trinke ich gern! Ich bin gespannt, ob ich Euch überraschen kann… oder ob ich Euch eher schockieren werde.” Er grinste und fügte in Gedanken in hinzu: ‘Auch wenn es mich sehr in Euch täuschen müsste, würde Euch der Fuchsbau ernsthaft schockieren.’


Mit wachsendem Unmut und Misstrauen beobachtete Keshlan diesen Edlen an der Seite seiner Azîla. Er fasste die Stute am Halfter und wartete ungeduldig, bis Fabiola ihm ein Zeichen gab, dass dieses Theater vorbei war.


Mit der freien Hand ergriff Dom Algerio die Domna Seleas, verneigte sich formvollendet, ohne einen Tropfen des Weins zu verschütten, und hauchte ihr einen Kuss auf den Handrücken. „Auf gleich, Domna Selea!”


„Auf gleich, Dom Algerio. Ich bin sehr gespannt auf Eure gegebenenfalls schockierende Überraschung." Sie wandte sich zu Keshlan. „Da bist du ja." Der Aranier biss sich auf die Zunge. Was sollte das denn bitte heißen, natürlich. Er trat näher, reichte Fabiola wortlos die Zügel, machte aber keine Anstalten, ihr den Kelch abzunehmen oder anderweitig zu helfen. „Lasst mich Euch zur Hand gehen”, bot Algerio an, ehe der Bedienstete die Gelegenheit erkennen und handeln konnte. Seinen eigenen Kelch zwischen Zeige- und Mittelfinger der linken Hand haltend, nahm er Domna Selea den ihren ab, klemmte ihn sich zwischen Ring- und kleinen Finger der selben Hand, sodass er seine Rechte frei hatte, um sie der Junkerin anzubieten.


„Vielen Dank, sehr zuvorkommend.", lächelte Fabiola, griff aus reiner Höflichkeit Algerios Hand und schwang sich gekonnt auf ihr Pferd. Sie ordnete ihr Kleid, bevor sie sich zu ihm herunter beugte, um ihren Wein entgegen zu nehmen. Neben ihr ballte Keshlan die Hand zur Faust und drehte sich der Straße zu.


Fabiola stieß ein letztes Mal mit Dom Algerio an. „Am Basar in Yaquirhafen, so schnell als möglich." Damit lenkte sie ihr Shadif gen Punin.


Bevor sie an der nächsten Kreuzung abbog, hielt sie kurz an, warf sie einen kurzen Blick zurück. Dann wandte sie sich zu ihrem Begleiter und reichte ihm den Kelch. „Probier mal, der ist gar nicht schlecht. Vielleicht lohnt es sich, davon etwas zu erstehen. Ich bin gleich nochmal verabredet, brauche was bequemes, unauffälliges zum Anziehen. Du begleitest mich d…." Keshlans Hand schloss sich um ihr Handgelenk. Er zog sie so plötzlich zu sich, dass sie beinahe das Gleichgewicht verlor. Der verbliebene Wein ergoss sich auf das Pflaster. „Ich bin nicht dein verdammter Lakai, Domna." Er stieß sie zurück, riss sich die Weste mit dem Wappen ihrer Familie vom Leib und schlug sie ihr vor die Brust. Dann wandte er sich wortlos ab und stapfte in die entgegengesetzte Richtung davon. „Kesh!" Einen Moment sah Fabiola ihm verdattert nach. Schließlich setzte sie ihren Weg fort.