Chronik.Ereignis1036 Pilgerzug Ragath 01: Unterschied zwischen den Versionen
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==[[Ragath]], 15. Praios 1036 BF== | ==Reichsstadt [[Ragath]], 15. Praios 1036 BF== | ||
===Auf dem Marktplatz | ===Auf dem Marktplatz (frühmorgens)=== | ||
'''Autor:''' [[Benutzer:Kanzler| | '''Autor:''' [[Benutzer:Kanzler|kanzler]] | ||
''Ein heißer Wind wehte wehmütig von Mittag her, als sich der Rabe vom hohen Himmel herab fliegend auf dem Strohhut einer erbärmlich dreinschauenden Vogelscheuche niederließ. Herr Praios schickte den Atem der Khôm-Wüste dieser Tage bis hoch ins Herzen Ragatiens und plusterte das Gefieder des alten Vogels ungemütlich auf. „Du sahst sicherlich auch schon besser aus“, krächzte er wie auf eine unfreundliche Begrüßung erwidernd nach unten. Doch vergeblich wartete er auf eine Regung des Verzeihens oder des Respekts.'' | ''Ein heißer Wind wehte wehmütig von Mittag her, als sich der Rabe vom hohen Himmel herab fliegend auf dem Strohhut einer erbärmlich dreinschauenden Vogelscheuche niederließ. Herr Praios schickte den Atem der Khôm-Wüste dieser Tage bis hoch ins Herzen Ragatiens und plusterte das Gefieder des alten Vogels ungemütlich auf. „Du sahst sicherlich auch schon besser aus“, krächzte er wie auf eine unfreundliche Begrüßung erwidernd nach unten. Doch vergeblich wartete er auf eine Regung des Verzeihens oder des Respekts.'' | ||
''Der Rabe blickte sich um: ein in voller Ähre stehender Acker, dahinter hohe Mauern, ein Fluss und eine Straße. Über den Mauern ließ | ''Der Rabe blickte sich um: ein in voller Ähre stehender Acker, dahinter hohe Mauern, ein Fluss und eine Straße. Über den Mauern ließ Frouwe Rondra Blitze aus dem dämmrigen Morgenhimmel kraftvoll erstrahlen, die eine wettergegerbte Burg zitternd aufflackern ließen.'' | ||
''„Und, was gibt es Neues, Strohmann?“ Der Kopf der Vogelscheuche knarrte im Wind und rührte sich nur mühsam. Den Raben vermochte das wenig zu beeindrucken. Er hopste hoch und flatterte auf die Schultern des Feldwächters. „Was für ein jämmerliches Ding“, dachte er bei sich, „und so einer nun will meinereiner scheuchen…“'' | ''„Und, was gibt es Neues, Strohmann?“ Der Kopf der Vogelscheuche knarrte im Wind und rührte sich nur mühsam. Den Raben vermochte das wenig zu beeindrucken. Er hopste hoch und flatterte auf die Schultern des Feldwächters. „Was für ein jämmerliches Ding“, dachte er bei sich, „und so einer nun will meinereiner scheuchen…“'' | ||
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''„Wo ist der Lärm, den diese Kreaturen sonst so gern veranstalten?“, doch darauf wusste auch die Vogelscheuche keine Antwort. Sie schaute traurig in die Landschaft hinein, als Herr Efferd ohne Ankündigung einen Regenguss flutartig über Feld, Fluss und Stadt auszuschütten begann. „Ich empfehle mich, Kumpel“, krächzte der Rabe und suchte Unterschlupf in einem nahegelegenen Astloch. Er war zu gut erzogen, um auszusprechen, dass er die Unterredung ohnehin als ermüdend eintönig empfunden hatte. Wozu nur hatte ihn der erhabene Herr Boron in diese abgeschiedene Ecke Derens entsandt…'' | ''„Wo ist der Lärm, den diese Kreaturen sonst so gern veranstalten?“, doch darauf wusste auch die Vogelscheuche keine Antwort. Sie schaute traurig in die Landschaft hinein, als Herr Efferd ohne Ankündigung einen Regenguss flutartig über Feld, Fluss und Stadt auszuschütten begann. „Ich empfehle mich, Kumpel“, krächzte der Rabe und suchte Unterschlupf in einem nahegelegenen Astloch. Er war zu gut erzogen, um auszusprechen, dass er die Unterredung ohnehin als ermüdend eintönig empfunden hatte. Wozu nur hatte ihn der erhabene Herr Boron in diese abgeschiedene Ecke Derens entsandt…'' | ||
Fürst [[Gwain von Harmamund]] kniete inmitten des großen Marktplatzes in Ragath und sprach ein Dankgebet. Er war allein und es war früh am Morgen. Diesem heißen Tag, der mit einem Gewitterregen begann, den man ansonsten eher des Abends erwarten mochte. Doch wenig war gewöhnlich an diesem Morgen, der den Fürsten des Königreichs Almada im schlichten | Fürst [[Gwain von Harmamund]] kniete inmitten des großen Marktplatzes in Ragath und sprach ein Dankgebet. Er war allein und es war früh am Morgen. Diesem heißen Tag, der mit einem Gewitterregen begann, den man ansonsten eher des Abends erwarten mochte. Doch wenig war gewöhnlich an diesem Morgen, der den Fürsten des Königreichs Almada im schlichten Pilgergewand barfuß auf dem Kopfstein des großen Platzes kniend den Göttern huldigen sah. Er hatte hier die ganze Nacht verweilt. | ||
„Seid mit uns, Herr Praios, Frau Rondra, Herr Efferd und Herr | „Seid mit uns, Herr Praios, Frau Rondra, Herr Efferd und Herr Ingerimm. Ihr heiligen und immerewigen Vier, Ihr Hüter von Strom und Land, Himmel und Äther. Ihr Wächter über Zeit und Ort und Kraft. Spendet dem niedersten Eurer Diener Segen. Segnet diese Pilgerreise. Segnet all jene, die mit auf diesem Pilgerzuge wandeln werden. Segnet Almada – und haucht Euren friedstiftenden Atem unter die Magnaten dieses stolzen Landes, so dass wir ohne nennenswerte Verluste [[Brig-Lo]] erreichen mögen…“ | ||
Der Fürst erhob sich, das aus weißer Seide gefertigte | Der Fürst erhob sich, das aus weißer Seide gefertigte Gewand vom Regen durchtränkt eng an seinem Körper anliegend. An seiner Silhouette war klar zu erkennen, dass sich unter dem Stoff einst die strammen Muskeln eines Kriegers, des Marschall von Almada, befunden hatten. Doch diese Muskeln waren müde, auch wenn sein Geist noch immer wach war. Die Narben der Vergangenheit hatten ihre Spuren auf diesem Körper hinterlassen: Reichsverrat, Gefangenschaft und Flucht, [[Reconquista]], Ferkina-Feldzug und Kaisersturz. Doch noch konnte, noch durfte er sich keine Ruhe gönnen. Eine Aufgabe noch lag vor ihm, und diese Aufgabe gedachte er zu erfüllen. Denn die Götter selbst hatten sie ihm durch Mund, Hand und Tat der Kaiserin Rohaja auferlegt. Diese letzte Bürde. | ||
„Dieses Land, mein Almada, muss Frieden finden – und eine neue Zukunft, eine neue Hoffnung.“ | „Dieses Land, mein Almada, muss Frieden finden – und eine neue Zukunft, eine neue Hoffnung.“ | ||
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Ob sie kommen würden? Die stolzen, streitbaren, ewig zürnenden Magnaten des Landes unter dem Mond? Wer würde sich als erster zeigen, welche als erste den heiligen Frieden des Pilgerzuges brechen und heißblütig ihren Fehdehandschuh werfen? Würde auch er kommen, der neue Reichsbaron? Der Herr der Münze, wie man seinen heimlichen Reconquistador-Gefährten und Kanzler [[Rafik von Taladur ä. H.|Rafik von Taladur]] inzwischen nannte. Sein wichtigster Berater und doch, so wusste er, nicht länger sein Freund. Hatte dieser, hatte er selbst überhaupt Freunde? Oder Vertraute? Was IST ein Freund? Was IST Almada? Und was SOLL es sein? | Ob sie kommen würden? Die stolzen, streitbaren, ewig zürnenden Magnaten des Landes unter dem Mond? Wer würde sich als erster zeigen, welche als erste den heiligen Frieden des Pilgerzuges brechen und heißblütig ihren Fehdehandschuh werfen? Würde auch er kommen, der neue Reichsbaron? Der Herr der Münze, wie man seinen heimlichen Reconquistador-Gefährten und Kanzler [[Rafik von Taladur ä. H.|Rafik von Taladur]] inzwischen nannte. Sein wichtigster Berater und doch, so wusste er, nicht länger sein Freund. Hatte dieser, hatte er selbst überhaupt Freunde? Oder Vertraute? Was IST ein Freund? Was IST Almada? Und was SOLL es sein? | ||
Auf diese Fragen Antwort zu finden, das war das Ziel, mit dem er die Barone und Edlen, Junker wie Grafen eingeladen hatte, mit ihm den altehrwürdigen Pilgerzug zu Ehren der Vier Götter nach Brig- | Auf diese Fragen Antwort zu finden, das war das Ziel, mit dem er die Barone und Edlen, Junker wie Grafen eingeladen hatte, mit ihm den altehrwürdigen Pilgerzug zu Ehren der Vier Götter nach Brig-Lo zu gehen. Mit all den tausenden von Menschen, die sich alljährlich von Ragath den [[Yaquir]]strom hinab zum alten Schlachtfeld an den Mündungen der [[Brigella]] machten. Schon lagerten diese alle vor den Toren der Stadt, denn in wenigen Tagen sollte der Zug beginnen. | ||
Noch aber war außer ihm niemand erschienen. Noch war er allein. Doch er erwartete sie alle. | Noch aber war außer ihm niemand erschienen. Noch war er allein. Doch er erwartete sie alle. | ||
Und er würde sie alle nach ihren Gebeten fragen, ihren Wünschen und Zielen für das neue Almada, das er gemeinsam mit ihnen zu errichten trachtete. „Was ist Euer Bild von Almada – und was ratet Ihr mir, als Euren Fürsten, hierfür | Und er würde sie alle nach ihren Gebeten fragen, ihren Wünschen und Zielen für das neue Almada, das er gemeinsam mit ihnen zu errichten trachtete. „Was ist Euer Bild von Almada – und was ratet Ihr mir, als Euren Fürsten, hierfür zuvorderst zu tun?“ Das würde er alle fragen. Jeden einzelnen, sobald er und sie erschienen. Und er würde über die Antworten nachsinnen. | ||
Wieder kniete er nieder zum Gebet – als er verschiedentlich Schritt sich respektvoll nähernd hinter sich vernahm. Nicht länger würde er also warten müssen. | Wieder kniete er nieder zum Gebet – als er verschiedentlich Schritt sich respektvoll nähernd hinter sich vernahm. Nicht länger würde er also warten müssen. | ||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Boraccio D'Altea| | '''Autor:''' [[Benutzer:Boraccio D'Altea|D'Altea]] | ||
Ziellos schlenderte [[Boraccio D'Altea]] durch die Gassen von Ragath, trotz | Ziellos schlenderte [[Boraccio D'Altea]] durch die Gassen von Ragath, trotz der frühen Morgenstunde. Wieder einmal hatte er nicht schlafen können ... die Träume waren wieder gekommen. Die Träume von wandelnden | ||
der frühen Morgenstunde. Wieder einmal hatte er nicht schlafen können | |||
... die Träume waren wieder gekommen. Die Träume von wandelnden | |||
Gerippen, von verfaulten Gestalten, von verwesenden Kadavern. Und vom | Gerippen, von verfaulten Gestalten, von verwesenden Kadavern. Und vom | ||
schwarzen Drachen. Vom Wall des Todes. Seine Hand fuhr über die Klappe, | schwarzen Drachen. Vom Wall des Todes. Seine Hand fuhr über die Klappe, | ||
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Er konnte ihn wieder vor sich sehen, den endlosen Heerwurm, so wie | Er konnte ihn wieder vor sich sehen, den endlosen Heerwurm, so wie | ||
damals in der Dämonenschlacht. Und noch immer wanderten die Toten umher. | damals in der Dämonenschlacht. Und noch immer wanderten die Toten umher. | ||
Seine Schwester Antara hatte ihm berichet, vom Wall des Todes und wie | Seine Schwester [[Antara D'Altea|Antara]] hatte ihm berichet, vom Wall des Todes und wie | ||
die schwarzen Ritter des Golgari dort Wacht hielten wider die toten | die schwarzen Ritter des Golgari dort Wacht hielten wider die toten | ||
Lande dahinter. Der | Lande dahinter. Der Schwarze Drache mochte endgültig in sein Grab | ||
gefahren sein, aber seine Ausgeburt erhob sich noch immer in jeder | gefahren sein, aber seine Ausgeburt erhob sich noch immer in jeder | ||
schwarzen Nacht aus der Erde. | schwarzen Nacht aus der Erde. | ||
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tun und ein Ritter Golgaris werden. So könnte er wenigstens gegen den | tun und ein Ritter Golgaris werden. So könnte er wenigstens gegen den | ||
echten Feind antreten, anstatt sich mit den kleinlichen Fehden hier zu | echten Feind antreten, anstatt sich mit den kleinlichen Fehden hier zu | ||
Hause in Almada befassen zu müssen, die doch so | Hause in Almada befassen zu müssen, die doch so bedeutungslos wurden, | ||
wenn | wenn erst einmal der wahre Feind vor der Tür stand. Ihr König, der so gerne | ||
Kaiser sein wollte, hatte das Land noch mehr gespalten, als es ohnehin | Kaiser sein wollte, hatte das Land noch mehr gespalten, als es ohnehin | ||
schon immer war. Zuerst hatte Boraccio gehofft, ja gebetet, | schon immer war. Zuerst hatte Boraccio gehofft, ja gebetet, dass der | ||
Segen des Herrn Boron auf dem jungen Herrscher lag. | Segen des Herrn Boron auf dem jungen Herrscher lag. Dass er das Reich | ||
wieder vereinen könnte und mit der Macht der Zwölfe endlich die | wieder vereinen könnte und mit der Macht der Zwölfe endlich die | ||
verderbten Lande wieder befreien könnte. Aber dann hatte er in das kalte | verderbten Lande wieder befreien könnte. Aber dann hatte er in das kalte | ||
Antlitz des jungen Kaiser gesehen und erkannt, | Antlitz des jungen Kaiser gesehen und erkannt, dass dieser Jüngling | ||
niemanden befreien würde. | niemanden befreien würde. | ||
Und so war es die Schwester, in die Boraccio sein Hoffnung | Und so war es die Schwester, in die Boraccio sein Hoffnung gesetzt hatte. Auch | ||
wenn alle um ihn herum dem Jüngling zujubelten. Er sollte Recht | wenn alle um ihn herum dem Jüngling zujubelten. Er sollte Recht | ||
behalten, denn nun hatten sie wieder eine Kaiserin. Und einen Fürsten. | behalten, denn nun hatten sie wieder eine Kaiserin. Und einen Fürsten. | ||
Der seinen Rat suchte. Ausgerechnet seinen Rat! Als ob er etwas von | Der seinen Rat suchte. Ausgerechnet seinen Rat! Als ob er etwas von | ||
Politik verstünde. Gegen die Oger und Ferkinas, da konnte er damals | Politik verstünde. Gegen die Oger und Ferkinas, da konnte er damals | ||
seinem Marschall Rat geben. Aber gegen die Schlangen und Skorpione im | seinem Marschall Rat geben. Aber gegen die Schlangen und Skorpione im [[Residencia|Almadinpalast]], was sollte ein einfacher Kriegsknecht wie er da schon raten? | ||
Almadinpalast, was sollte ein einfacher Kriegsknecht wie er da schon raten? | |||
Boraccio seufzte schwer. Hieß es nicht, mit dem Eintritt bei den | Boraccio seufzte schwer. Hieß es nicht, mit dem Eintritt bei den | ||
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Seine ziellose Wanderung hatte Boraccio auf den Marktplatz geführt. Eine | Seine ziellose Wanderung hatte Boraccio auf den Marktplatz geführt. Eine | ||
einsame Gestalt kniete dort, im Gebet versunken. Gebeugt vor Demut vor | einsame Gestalt kniete dort, im Gebet versunken. Gebeugt vor Demut vor | ||
den Göttern, aber nicht vom Alter. Und Boraccio | den Göttern, aber nicht vom Alter. Und Boraccio wusste nun, was er ihm | ||
raten solle. Und am Ende der Pilgerreise würden die Träume aufhören. | raten solle. Und am Ende der Pilgerreise würden die Träume aufhören. | ||
Respektvoll kniete er sich hinter seinen Fürsten. | Respektvoll kniete er sich hinter seinen Fürsten. | ||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Dajin|alcorta]] | |||
Die Arme verschränkt, den Kopf zur Seite geneigt, so blickte Dom [[Savertin von Culming|Savertin]] auf seine Schwester. Irgendwie spöttisch erklang sein „Und du bist sicher, dass du auch wirklich ''nichts'' vergessen hast? Vielleicht noch etwas Punipan, falls auch Dom Raff-ik erscheint?“ | |||
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Seine Betonung ließ einen Wortwitz zu Lasten des Kanzlers verraten, doch vor allem klang er etwas genervt beim Anblick seiner Schwester. [[Mireia von Culming|Miréîà]] hatte die für eine Rahjageweihte gewohnt luftige Kleidung, doch auf ihrem Rücken prangte ein riesiger und offensichtlich prall gefüllter Rucksack. Zudem an beiden Seiten jeweils eine nicht minder gut gefüllte Tragetasche und am Gürtel hingen diverse, laut klappernde Feldflaschen. Ihre Hand hielt die Zügel einer geradezu bemitleidenswerten Maultierstute, deren Satteltaschen jeweils noch einmal die Breite der Trägerin zu erreichen vermochten. Mit etwas Phantasie konnte man dem Tier sogar einen geradezu mitleidigen Blick andichten. Der Blick der Culmingerin hingegen ließ ob der Bemerkung ihres Bruders eine leichte Verärgerung erkennen. | |||
„Hör auf zu unken. Wir werden sicher ein bis zwei Wochen unterwegs sein, da ist es wichtig, gut vorbereitet zu sein. Du wirst mir um das ein oder andere Detail in meiner Ausrüstung noch dankbar sein!“ | „Hör auf zu unken. Wir werden sicher ein bis zwei Wochen unterwegs sein, da ist es wichtig, gut vorbereitet zu sein. Du wirst mir um das ein oder andere Detail in meiner Ausrüstung noch dankbar sein!“ | ||
„Ich sehe mich eher jetzt schon deinen Rucksack tragen, weil du ihn irgendwann nicht mehr packst. Wenn du denkst, du kannst mich so voll packen wie Naschel, dann hast du dich geirrt.“ | „Ich sehe mich eher jetzt schon deinen Rucksack tragen, weil du ihn irgendwann nicht mehr packst. Wenn du denkst, du kannst mich so voll packen wie Naschel, dann hast du dich geirrt.“ | ||
Miréîà streichelte über die Mähne der Maultierstute. „Naschel wird eine ganz wunderbare Zeit mit meinem Gepäck haben und sehr glücklich sein, es für mich tragen zu dürfen…. Nicht wahr meine kleine?“ Das Maultier gab einen seufzenden Laut von sich. „Siehst du?“ | Miréîà streichelte über die Mähne der Maultierstute. „Naschel wird eine ganz wunderbare Zeit mit meinem Gepäck haben und sehr glücklich sein, es für mich tragen zu dürfen…. Nicht wahr meine kleine?“ Das Maultier gab einen seufzenden Laut von sich. „Siehst du?“ | ||
Savertin grinste. | |||
Savertin grinste. „Ich bin gespannt... Und nun lass uns los gehen, sonst verpassen wir noch den Pilgerzug. Ohnehin verrückt, das Ganze mit dem Aufgehen der Praiosscheibe anzusetzen. Die meisten Magnaten werden noch tief und fest schlafen.“ | |||
„Ach, der Anlass wird sicher das ein oder andere nächtliche Wecken wert sein. Sie werden kommen, da bin ich mir sicher.“ Sie griff nach einem von zwei etwa zwei Schritt großen Stecken, die an die Wand des Ragather Rahjatempels gelehnt waren. Savertin tat es ihr gleich und griff nach dem zweiten. Tatsächlich wirkten sie in ihrer Aufmachung nun wie arme Pilgerer… mit zum Teil überdurchschnittlich viel Gepäck. Die Geweihte griff zudem nach einer großen Schale mit Wasser, welche Sie auf einem kleinen Tischchen parat gestellt hatte. Vorsichtig ob der nun fehlenden dritten Hand stakste sie langsam nach vorne. | „Ach, der Anlass wird sicher das ein oder andere nächtliche Wecken wert sein. Sie werden kommen, da bin ich mir sicher.“ Sie griff nach einem von zwei etwa zwei Schritt großen Stecken, die an die Wand des Ragather Rahjatempels gelehnt waren. Savertin tat es ihr gleich und griff nach dem zweiten. Tatsächlich wirkten sie in ihrer Aufmachung nun wie arme Pilgerer… mit zum Teil überdurchschnittlich viel Gepäck. Die Geweihte griff zudem nach einer großen Schale mit Wasser, welche Sie auf einem kleinen Tischchen parat gestellt hatte. Vorsichtig ob der nun fehlenden dritten Hand stakste sie langsam nach vorne. | ||
„Wofür ist die Schale? Du hast doch Wasser dabei?“ | „Wofür ist die Schale? Du hast doch Wasser dabei?“ | ||
„Der Fürst kniet schon die ganze Nacht am Marktplatz seiner Stadt. Er wird froh sein, wenn sich ihm die Gelegenheit einer kurzen Katzenwäsche bietet.“ | „Der Fürst kniet schon die ganze Nacht am Marktplatz seiner Stadt. Er wird froh sein, wenn sich ihm die Gelegenheit einer kurzen Katzenwäsche bietet.“ | ||
Dom Savertin lachte. „Du hast wirklich an alles gedacht.“ | Dom Savertin lachte. „Du hast wirklich an alles gedacht.“ | ||
Kurze Zeit später kamen Savertin und Miréîà von Culming am Marktplatz an. Außer Fürst Gwain und Dom Boraccio | Kurze Zeit später kamen Savertin und Miréîà von Culming am Marktplatz an. Außer Fürst Gwain und Dom Boraccio D'Altea sowie einiger Bediensteter hatten sich noch keiner am Ort eingefunden, aber das teils hektische Rumoren an diversen passierten Gasthäusern ließ schon vermuten, dass sich dies noch ändern würde. Der noch recht kärgliche Anblick trieb ein Lächeln in das Gesicht der Rahjageweihten. „Savertin, ich sage dir, dieses Bild wird noch Geschichte schreiben. Ein kniender, demütiger, schmutziger Fürst, neben ihm ein ebenso kniender, geschundener Krieger und sonst leere, doch am Horizont der flammende Sonnenaufgang der Hoffnung und mit ihm die Silhouette der Edlen, die ihn wie einen Schatten einzuholen drohen.“ | ||
„Da wünscht man sich eine Staffelei…“ | „Da wünscht man sich eine Staffelei…“ | ||
„Die packe ich jetzt nicht aus…“ | „Die packe ich jetzt nicht aus…“ | ||
„Du hast eine Staffelei….?“ | „Du hast eine Staffelei….?“ | ||
„Shhhh“ Miréîà unterbrach ihren Bruder und drückte ihm die Zügel und den Stecken in die Hand. Dann ging sie zum Fürsten und stellte ihm mit einem wärmenden Lächeln die Schale Wasser vor die Knie. Dieser blickte irritiert auf und sah so ein Gesicht voller Zuversicht, passend zu einer bis an die Zähne bepackten Rahjageweihten. Wortlos setzte sie sich neben den beiden im Schneidersitz auf den Boden. Und auch Dom Savertin kniete nieder. Es konnte los gehen. | „Shhhh“ Miréîà unterbrach ihren Bruder und drückte ihm die Zügel und den Stecken in die Hand. Dann ging sie zum Fürsten und stellte ihm mit einem wärmenden Lächeln die Schale Wasser vor die Knie. Dieser blickte irritiert auf und sah so ein Gesicht voller Zuversicht, passend zu einer bis an die Zähne bepackten Rahjageweihten. Wortlos setzte sie sich neben den beiden im Schneidersitz auf den Boden. Und auch Dom Savertin kniete nieder. Es konnte los gehen. | ||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Boraccio D'Altea|D'Altea]] | |||
[[Antara D'Altea|Antara]] fluchte leise vor sich hin, als sie mit wehendem Umhang zum Ragather Zentrum eilte. Die neuesten Unruhen in [[gar:Garetien:Grafschaft Hartsteen|Hartsteen]] und die Kämpfe in der Wildermark hatten Ihre Abreise von [[gar:Garetien:Jagdschloss Drak|Schloss Drak]] immer wieder hinausgezögert und auch einige Umwege erfordert. Und dann schienen zwischen Gareth und Ragath die Menschen plötzlich zu sterben wie die Fliegen, aber weit und breit war kein Geweihter des Boron zu finden um die Gräber zu segnen außer ihr. Oder zumindest kam es ihr so vor. | |||
Sie war bereits mitten in der Nacht wieder aufgebrochen um noch halbwegs pünktlich zum Morgengrauen in der Reichsstadt einzutreffen. Sie hatte sich gerade noch die Zeit genommen ihr Ross unterzustellen, bevor weiter zum Marktplatz eilte, immer noch im weißen Wappenrock und der schwarzen Rüstung einer Ritterin des Golgaritenordens. "Was für ein angemessenes Pilgergewand", brummte sie spöttisch vor sich hin. Aber andererseits auch wieder passend. Schließlich war sie weniger wegen des geistlichen Seelenfriedens hier sondern hatte handfeste weltliche Interessen. Es ging darum den neuen Fürsten der immer noch wohlhabendsten Provinz des Reiches an die notleidenden Menschen in den anderen Teilen des Reiches zu erinnern. Und an die schweigsamen Streiter der Rabenmark, die Wacht hielten gegen die Schrecken aus dem Osten. | |||
Zunächst hatte sie das Schreiben ihre Bruders Boraccio, worin er sie bat, sich dem Pilgerzug des neuen almadanischen Fürsten anzuschließen, einfach ignorieren wollen. Aber ihr [[gar:Garetien:Lüdegast von Quintian-Quandt|Komtur]] fand Gefallen an dieser Idee und schickte sie gen Süden anstatt nach Osten zu ihren hart bedrängten Schwestern und Brüdern ihres Ordens. "Der letzte Herrscher Almadas war ein borongläuber Mann, was man auch sonst von ihm sagen mag und lauschte den Worten Seiner Erhabenheit, des Raben von Punin", hatte er argumentiert. "Der neue Fürst ist ein Soldat und ist vielleicht eher geneigt, Berichten von der Front zuzuhören als geistlichen Worten." Dieser Logik hatte sie nicht widersprechen können. Sie erinnerte sich noch an ihre Zeit als Novizin im Tempel von Punin. Der Rabe hatte eine beeindruckende Ausstrahlung, man spürte praktisch die Macht des Herrn in ihm. Aber es brauchte mehr als ein einzelnes Wort Seiner Erhabenheit, mochte es auch noch so wohl gesetzt sein, um den ehemaligen Marschall und neuen Fürsten sowie seine Magnaten von der Notwendigkeit zu überzeugen ihren Blick von ihren streitlustigen Nachbarn ab und den Menschen in Not weit weg zu zu wenden. Vermutlich war es einfacher, einem wandelnden Skelett die Knochen zu zertrümmern als Hilfe von den Edlen Almadas zu erbitten. | |||
Endlich hatte sie den Marktplatz erreicht. Die einsame Gestalt Fürst Gwains kniete im Staub, hinter ihm hatten sich im respektvollen Abstand bereits weitere Pilger eingefunden. Antara erkannte die hünenhafte Gestalt ihres Brudes Boraccio. Ebenso fiel ihr die merkwürdig bepackte Gestalt einer Geweihten der Rahja auf. Sie seufzte innerlich ... borongefälliges Schweigen würde wohl nicht zu den Prioritäten dieser Pilgerreise gehören. Kurz hielt sie an, um Wappenrock und Haare zu ordnen, die ihr Rennen durcheinander gebracht hatte, dann schritt Antara D'Altea, Dierin Golgaris und Ritterin des Orden des heiligen Golgari, in abgemessener Würde zu den bereits versammelten Pilgern. | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer: | '''Autor:''' [[Benutzer:Lindholz|lindholz]] | ||
[[ | [[Nicetos von Lindholz]] führte seine geliebte Frau [[Siona von Lindholz|Siona]] durch die Tür des Hotels "Goldenes Schwert" und trat auf die gepflasterten Straßen des Burgviertels. Dort warteten bereits vier Waffenknechte seines Hauses, auf deren Geleit der Baron auch während des nur kurzen Weges zum Marktplatz nicht verzichten wollte. Ein kaum sichtbares Zeichen ihres Anführers, des jungen aber äußerst disziplinierten Espejo Bajoza, genügte und die Bewaffneten nahmen ihre Positionen ein, während auch die beiden Töchter und der Sohn des Barons das Gasthaus verließen. | ||
Zwar galt das "Goldene Schwert" als noble Unterkunft, doch war es nicht das beste Haus am Platze. Dom Nicetos war verärgert, dass es ihm nicht mehr gelungen war, Räumlichkeiten für die Seinen in Hotel "Am Markt" aufzutun. Von dort hätte er mit nur einem Blick aus dem Fenster beobachten können, was sich auf der Piazza abspielte und an den ersten Gästen ermitteln können, ob die seiner Familie von ihm diktierte Kleiderwahl passend gewählt war. Da ihr Fürst diese Reise als einfacher Pilger anzutreten gedachte, hatte Dom Nicetos auf gedeckten Farben bestanden. Sowohl [[Lianna von Lindholz|Lianna]] als auch [[Alisea von Lindholz|Alisea]] hatten sich daraufhin für eine Kombination aus eng anliegender schwarzer Hose, einem mit zurückhaltenden Stickereien versehenen Bolero, der eine in grau, der andere ebenfalls in schwarz, samt passender Bluse entschieden. Nur seine Gemahlin hatte auf ein Kleid in gedecktem Lindholzer Grün bestanden, da sie eine Hose für ein unpassendes Kleidungsstück für ein Treffen mit dem Fürsten des Landes angesehen hatte - besonders in ihrem Alter. Dom Nicetos hatte ihr später in der Nacht deutlich zu verstehen gegeben, wie wenig ihre Figur an Jugendlichkeit verloren hatte, doch ließ sie sich nicht erweichen. So ganz war die Albernierin wohl einfach nicht aus ihr zu vertreiben. Zumindest war auch ihre Kleiderwahl insbesondere das Schuhwerk durchaus bequem. [[Amaros Desidero von Lindholz|Amaros]], sein Sohn, hatte solche Schwierigkeiten nicht: die Magierrobe in dunklem Beige war als Erkennungszeichen seiner Zunft stets eine passende Wahl. | |||
Die kleine Gruppe setzte sich nach rechts in Bewegung. Gestützt von schweren Regenwolken hielt das Zwielicht sich noch in den Gassen und Straßen der Stadt, während schwere Tropfen auf das gräuliche Pflaster schlugen. Dennoch kündeten selbst unter diesen wenig schmeichelhaften Bedingungen die Fassaden der angrenzenden Häuser der Handwerkerschaft vom wachsenden Wohlstand ihrer Besitzer. Dom Nicetos erinnerte sich an die Macht des Patriziats, die er in den [[lfwiki:Liebliches_Feld|liebfeldischen]] Städten erlebt hatte. Dort gab es viele Adlige, die vor dem goldenen Glanz des Bürgertums die Augen senken mussten. Narren, die die Zeichen der Zeit verkannt hatten! | |||
Die kleine Gruppe bog nach links. Zweihundert Schritt vor ihnen ragte die Festung des Grafens hoch über der ragathische Hauptstadt auf. Der wehrhaften Burg haftete jetzt im grauen Morgendunst tiefe Tristesse und Düsternis an. Doch nicht lange mussten sie den Blick, der besonders seiner Tochter Alisea ein Dorn im Auge zu sein schien, nicht ertragen: Ihr Weg führte sie nach rechts, um sie nach einer Weile am Palacio Sforigan vorbei auf den Marktplatz zu entlassen. Dort hatten sich bereits die ersten Adligen trotz der frühen Stunde eingefunden. Nicetos von Lindholz erkannte Boraccio d’Altea, den [[Caldaia|caldaïschen]] Condottiere, der dem Fürsten den Titel eines Cronvogtes verdankte, so wie er selbst durch Gwain von Harmamund zum Baron geworden war. Die Anwesenden knieten, im stummen Gebet versunken und so zögerte Nicetos von Lindholz nicht: Er befahl seinen Waffenknechte am Rande des Marktplatzes zu warten und betrat mit Frau und Kindern die Piazza, wo sie sich zu den übrigen Almadaner Adligen gesellten und auf die Knie sanken. | |||
Beim Anblick der regennassen Gestalt des alternden Fürsten, dessen Nachfolge noch völlig offen war, stahlen sich düstere Fragen in den Kopf Dom Nicetos. Ungeachtet seiner Ergebenheit und Dankbarkeit, die er dem ehemaligen Marschall entgegenbrachte: Konnte dieser Mann Almada wirklich in eine prosperierende Zukunft führen? In eine Zeit, da die Grenzen wieder gesichert und fehlgeleitete Heiden in die Lande jenseits dieser Demarkationslinie verbannt waren? Nach der Pilgerfahrt würde er es wissen. Mit seinen Gedanken allein, schickte auch der Magnat aus Artésa seine Worte gen Alveran. | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Nandra|beiras]] | |||
Bereits geraume Zeit hatte Dom [[Franco de Beiras y Vivar]] den Marktplatz | |||
beobachtet. Lange Zeit war der Platz nahezu verlassen gewesen, nur der Fürst | |||
hatte dort gekniet und gebetet. Eine helle Gestalt, die sich durch ihr Gewand im | |||
fahlen Licht von der Umgebung abhob. Man hätte glauben können, es handele sich | |||
um eine Statue, denn trotz des widrigen Wetters hatte Dom Franco keinerlei | |||
Regung der Gestalt feststellen können. | |||
Die Nacht war viel zu früh beendet gewesen für ihn, er hatte einfach nicht | |||
mehr schlafen können. Und so hatte er sich fertig gewandet und die notwendigen | |||
Anweisungen gegeben, um ihren Aufbruch vorzubereiten. Dann hatte er sich an das | |||
Fenster der Schlafkammer, die er mit seiner Gemahlin bezogen hatte, gesetzt und | |||
den Marktplatz beobachtet. | |||
Irgendwann, er konnte nicht mehr genau sagen, wie lange dies bereits her war, | |||
hatte ihm Domna [[Yedra de Bejar|Yedra]] Brot und einen Becher Wein auf den kleinen Tisch vor ihm | |||
gestellt. Während er zugriff hatte sie sich neben ihn gestellt, ihm eine Hand | |||
auf die Schulter gelegt und ebenfalls auf den Marktplatz gesehen. "Langsam | |||
füllt sich der Platz." | |||
Er nickte und antwortete ihr, nachdem er ein Stück Brot | |||
hinunter geschluckt hatte. "Ja, ermahn' die Kinder, sich zu sputen. Ich wollte | |||
zwar nicht der erste sein, der hinter unserem Fürsten auf die Knie fällt, doch | |||
der Anstand gebührt es, dass wir uns bald auf den Weg machen." | |||
Er blickte seiner Gemahlin hinter her, die am heutigen Tage zu einem schwarzen | |||
Samtkleid gegriffen hatte. Ihre leisen Schritte verrieten, dass sie flaches | |||
Schuhwerk trug. Wie immer war auch er in schwarz gekleidet. Das Hemd zeigte als | |||
einzige Zier grausilberne Fäden, die dezent auf dem schwarzen Untergrund | |||
glänzten. | |||
Seufzend schob er sich den letzten Kanten Brot in den Mund und stand auf, um die | |||
Kammer zu verlassen. Unten wurde er bereits erwartet, wie er lächelnd | |||
feststellte. Zwar machten [[Salvestro de Beiras y Bejar|Salvestro]], [[Corvara de Beiras y Bejar|Corvara]] und [[Luciana de Beiras y Bejar|Luciana]] den Eindruck, als | |||
hätten sie gerne noch ein wenig in den weichen Betten des Hotels "Am Markt" | |||
geschlafen, aber eine gewisse Aufregung war in ihren jungen Gesichtern zu | |||
erkennen. Nach einer kurzen, aber warmherzigen Begrüßung seiner Kinder | |||
verließen sie den Gastraum, die Zeche hatte Dom Franco bereits bezahlt. | |||
Draußen standen die fünf Mercenarios, die sie den ganzen Weg aus [[Bangour]] bis | |||
hierher begleitet hatten. Einer saß auf dem Bock der Kutsche, in der die Frauen | |||
reisen sollten, die anderen standen neben ihren schwarzen Rössern. Einer hielt | |||
die Zügel zweier weiterer schwarzer Rösser in der Hand, auf denen Dom Franco | |||
und Salvestro reisen würden. "Wir werden uns nun zum Fürsten begeben. Ihr", er | |||
wandte sich an die bewaffneten Mercenarios, "werdet Euch am Rande des | |||
Marktplatzes im Hintergrund halten und warten." | |||
Er blickte seine Familia an, hielt Domna Yedra den Arm hin, auf dem diese ihre | |||
Hand ablegte. Dann schritten die beiden ruhigen Schrittes auf die anderen Pilger | |||
zu. Ihre Kinder folgten ihnen mit verhalteneren Schritten. "Schau mal, Corvara, | |||
eine Rahjageweihte ist auch dabei", flüsterte Luciana. Die Angesprochene nickte | |||
und strich sich noch einmal über ihre schwarz-rote Bluse. Ihre schlanken Beine | |||
steckten in schwarzen Beinkleidern und einem paar hoher, schwarzer Stiefeln. | |||
Die Familia näherte sich wie eine kleine schwarze Welle dem Mittelpunkt des | |||
Marktplatzes. Dort angekommen, folgten die Kinder dem Beispiel ihrer Eltern und | |||
alle knieten sich hinter ihren Fürsten. | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Karli|cres]] | |||
Auftritt der Herr von [[Baronie Cres|Cres]]: Vergnügt klatscht er | |||
in Anbetracht des strömenden Regens in die Hände. „Ah! Ein Wetterchen wie an einem schönen | |||
Sommertag in Liebnostrien! Erinnerungen werden wach!“ | |||
Er wendet sich an einen seiner bekutteten (und | |||
berittenen) Begleiter: „Medicus, am besten sucht | |||
Ihr Euch ein trockenes Plätzchen. Wir wollen ja | |||
nicht, dass Ihr malad seid, wenn Dom [[Hesindian von Kornhammer-Scheffelstein|Hesindian]] | |||
oder einer der anderen alten Knaben Eurer Dienste | |||
bedarf. Glaubt mir, der Fall wird früher | |||
eintreten als Ihr denkt! Esst solange etwas, aber | |||
nicht nur wieder einen Kanten Brot und einen | |||
Becher Wein. Tut so, als wärt Ihr ein echter | |||
Almadaner. Der Kämmerer hat Euch zwar vermutlich | |||
billig erstanden, das heißt aber nicht, dass er | |||
Euren Speisezettel regiert. Ich werde schon mit ihm reden.“ | |||
Medicus ab. | |||
Creser murmelt sorgenvoll in den | |||
nicht vorhandenen Bart: „Vielleicht sollte ich | |||
diese Ausgaben lieber geheim halten. Er wird von Jahr zu Jahr knausriger.“ | |||
Herr von Cres an nächsten Begleiter: „Hast du | |||
auch genügend Pflästerchen für wunde Füße und | |||
dein Schnitzwerkzeug, falls einer der Gehstöcke | |||
gerichtet werden muss? Noch ist Zeit!“ | |||
Er hebt an, zweistimmig ein offenbar altes | |||
Volkslied zu singen. Man vernimmt einige Worte: | |||
„Wenn im Rondra der weiche Regen fällt. Kuck-kuck, kuck-kuck...“ | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Alberto Fredarcarno|derp]] | |||
Am Rande des Marktplatzes von Ragath hatten sich ein Mann und eine Frau zum gemeinsamen Gebet aufgestellt. Es waren die der ehrenwerte Junker [[Ettel von Derp]] zu [[Junkergut Hornenfurt|Gut Hornenfurt]] und seine liebreizende Frouwe [[Sveva ai-Gurth]], die als Junkerin der Hornenfurt nicht nur für die regelmäßig von ihr einberufenen Wehrübungen bekannt wurde. | |||
Junker Ettel: „Ehre sei Dir, ehrwürdiger Herr Praios, für die gerechte Macht zur Herrschaft, die Du den Menschen für des Heldenzeitalter zugewiesen hast und Ehre den Magnaten, die Deine gerechte Herrschaft dem Volke verständlich machen.“ | |||
Junkfrau Sveva: „Ehre sei Dir, ehrwürdiger Herr Efferd, der Du ins in Deiner Wut und Trauer verständlich machst, was Dein Wille für die Menschen ist. Wenn Dein Regen über das Land fällt, erinnern wir uns all der Verfehlungen, die uns nun zu diesem Pilgerzug bewogen haben. Möge Dein Gemüt besänftigt werden und Deine Trauer von Dir lassen.“ | |||
Junker Ettel: „Ehre sei Dir, ehrwürdiger Herr Ingerimm. Zu Brig-Lo strittest Du gegen die Dämonen und ihre Diener. Wer Dir dient, der verrichtet sein Handwerk in Ehrfurcht, was die Dir genehme Form der Meditation ist. Hier in Almada sind Deine Werke allgegenwärtig und in Ehrfurcht gedenken wir all der Werke, die in Deinem Namen gefertigt wurden. Es fürchte aber jeder Deinen Zorn, der in Deinem Namen schlechtes Handwerk vollbringe und damit die Menschen täusche.“ | |||
Junkfrau Sveva: „Ehre sei Dir, ehrwürdige Frouwe Rondra, die Du uns zu Brig-Lo wahren Kampfesmut lehrtest. Schlachten und Kriege sind Orte, an denen Deine Macht den Menschen besonders deutlich wird. Du liebst es, wenn das Blut der Frevler an Deinem Glauben die Gräben und Äcker füllt und Gerechtigkeit unter den Menschen herrscht. Du liebst die innere Versenkung zu Deinen Ehren, wenn der Gerechte den Schwerttanz zelebriert, und Du liebst die Schönheit eines gestählten Körpers, der Dein gerechtes Wort unter die Menschen bringt.“ | |||
Beide: „Mögen die Zwölfe diese Reise segnen und möge die Hohe Herrin Hesinde uns die Weisheit geben, stets die rechten Worte zu sprechen, damit diese Reise an den Ort der Historie zu innerer Einkehr und fürderhin mehr Gerechtigkeit unter den Menschen führe.“ | |||
Demütig verharrten nun beide schweigend, bevor sie sich wieder dem Zug der anderen Pilger anschlossen. Gleichfalls hoch zu Ross wurden Sveva und Ettel von ihren jeweiligen Leib- und Lieblingsdienern sowie den gemeinsamen Kindern begleitet. | |||
===Kurz vor dem Puniner Tor (zeitgleich)=== | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Dom Gualdo|dalias]] | '''Autor:''' [[Benutzer:Dom Gualdo|dalias]] | ||
Die Kutsche polterte über die Landstraße. Staub wirbelte auf. | Die Kutsche polterte über die Landstraße. Staub wirbelte auf. Praios' warmer Sonnenschein lag über dem trockenen Land. [[Alvaro Manticco]], [[Caballerogut San Marwan|Caballero von San Marwan]], drückte seinen Rücken in die gelbe, mit kleinen schwarzen Greifen aus Seide verzierte Polsterung der Rückenlehne. Es lag nicht lange zurück, das wusste er, da gehörte diese Kutsche [[Gualdo di Dalias y Gurnabán|Seiner Exzellenz Dom Gualdo Ippolito Honorio di Dalias y Gurnabán]], Banus der [[Grafschaft Yaquirtal]], [[Junkergut Dalias|Junker von Dalias]], Castellan von [[Ratzingen]] und [[Sherbeth]]. Aber Tote brauchen kein Eigentum und keinen weltlichen Besitz. Keine Lakaien, Aufwärter, Mätressen – und keine Pretiosen. Der Caballero de San Marwan drehte seine linke Hand und betrachtete versonnen das Glitzern eines schweren, diamantengeschmückten Goldringes im hereinfallenden Praioslicht. Tote brauchen keine Pretiosen – wahrlich nicht. Lebende dagegen schon. | ||
Geringschätzig ließ er seinen Blick über sein Gegenüber wandern. Sein Schwestersohn [[Pribaldo Tracodi]] nestelte unablässig in einem dicken Packen Konzepte herum. Er war bleich. Die rasche Fahrt der Kutsche schien ihm in keiner Weise zu behagen. Bei jedem Stoß blickte er erschreckt auf. Pribaldos Bruder Quintiliano hatte alles, was Hesinde und Rahja dem Einfaltspinsel Pribaldo verwehrt hatten. Und doch hatte Pribaldo vor zweieinhalb Götterläufen seinen Nutzen in Santa Catalina im Taubental mustergültig unter Beweis gestellt. Auch wenn Pribaldo nicht so blitzgescheit, scharfzüngig und blendend wie sein Bruder war, so liebte Alvaro Manticco den „Waldwachter“, den „Vivaresen“, wie er seinen Neffen Pribaldo liebevoll und zugleich spöttisch nannte, doch mehr. Er war fleißig und anständig. Außerdem brauchte er Quintiliano als Aufpasser für [[Ranudo di Dalias y las Dardas|Baron Ranudo]] in Ratzingen, da dieser vor lauter Aufregung und Nervosität schier unpässlich geworden war und unmöglich in dieser Kondition dem Fürsten oder den anderen Magnaten hätte begegnen können. Ausgeschlossen. Der bloße Gedanke an diese Zusammenkunft hatte Ranudo IV. Eslamo di Dalias y las Dardas dreimal stündlich auf den Abort getrieben. | Geringschätzig ließ er seinen Blick über sein Gegenüber wandern. Sein Schwestersohn [[Pribaldo Tracodi]] nestelte unablässig in einem dicken Packen Konzepte herum. Er war bleich. Die rasche Fahrt der Kutsche schien ihm in keiner Weise zu behagen. Bei jedem Stoß blickte er erschreckt auf. Pribaldos Bruder Quintiliano hatte alles, was Hesinde und Rahja dem Einfaltspinsel Pribaldo verwehrt hatten. Und doch hatte Pribaldo vor zweieinhalb Götterläufen seinen Nutzen in Santa Catalina im Taubental mustergültig unter Beweis gestellt. Auch wenn Pribaldo nicht so blitzgescheit, scharfzüngig und blendend wie sein Bruder war, so liebte Alvaro Manticco den „Waldwachter“, den „Vivaresen“, wie er seinen Neffen Pribaldo liebevoll und zugleich spöttisch nannte, doch mehr. Er war fleißig und anständig. Außerdem brauchte er Quintiliano als Aufpasser für [[Ranudo di Dalias y las Dardas|Baron Ranudo]] in Ratzingen, da dieser vor lauter Aufregung und Nervosität schier unpässlich geworden war und unmöglich in dieser Kondition dem Fürsten oder den anderen Magnaten hätte begegnen können. Ausgeschlossen. Der bloße Gedanke an diese Zusammenkunft hatte Ranudo IV. Eslamo di Dalias y las Dardas dreimal stündlich auf den Abort getrieben. | ||
So war es nun an ihm, Caballero Alvaro Manticco de San Marwan, die [[Baronie Nemento]] und die [[Junkergut Dalias|Dominie Dalias]] bei diesem Pilgerzug würdig zu vertreten und dem Fürsten seinen wohlmeinenden Rat zu bieten. Dabei wurde er zu allem Überfluss von der ältesten Schwester des Barons begleitet. | So war es nun an ihm, Caballero Alvaro Manticco de San Marwan, die [[Baronie Nemento]] und die [[Junkergut Dalias|Dominie Dalias]] bei diesem Pilgerzug würdig zu vertreten und dem Fürsten seinen wohlmeinenden Rat zu bieten. Dabei wurde er zu allem Überfluss von der ältesten Schwester des Barons begleitet. | ||
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Erschrocken blickte der Angesprochene auf: „Ja, Onkel?“ | Erschrocken blickte der Angesprochene auf: „Ja, Onkel?“ | ||
„Weißt Du, ob dieser Sten Helmdahli etwas von seinem Handwerk versteht? Oder kommt dieser Haferyaquirier nur mit, um sich den Wanst auf Kosten meines Herrn vollzuschlagen?“ Lauernd musterte Alvaro Manticco die Gesichtszüge seines Neffen. | „Weißt Du, ob dieser Sten Helmdahli etwas von seinem Handwerk versteht? Oder kommt dieser Haferyaquirier nur mit, um sich den Wanst auf Kosten meines Herrn vollzuschlagen?“ Lauernd musterte Alvaro Manticco die Gesichtszüge seines Neffen. | ||
„Ich denke… äh… doch. Yppolita, äh, die wohlgeborene Domna Yppolita, also, also, entschuldigt, Onkel, die Dame hat mir erzählt… dass, dass er… also ja… dass er schon einmal einen Tatzel… Tatzelwurm am Schweif… Schwanz, ja Schwanz gezogen hat, ja…. Nur so… zum Vergnügen.“ Pribaldo Tracodi zwang sich zu einem beiläufig und müde wirkenden Lächeln, das nicht verraten sollte, wie sehr ihn diese Geschichte Domna Yppolitas amüsiert hatte. | „Ich denke… äh… doch. Yppolita, äh, die wohlgeborene Domna Yppolita, also, also, entschuldigt, Onkel, die Dame hat mir erzählt… dass, dass er… also ja… dass er schon einmal einen Tatzel… Tatzelwurm am Schweif… Schwanz, ja Schwanz gezogen hat, ja…. Nur so… zum Vergnügen.“ Pribaldo Tracodi zwang sich zu einem beiläufig und müde wirkenden Lächeln, das nicht verraten sollte, wie sehr ihn diese Geschichte Domna Yppolitas amüsiert hatte. | ||
„Nun, wenn es mal kein Regenwurm war, mein Junge.“ Dom Alvaro bleckte seine Zähne zu einem Grinsen. | „Nun, wenn es mal kein Regenwurm war, mein Junge.“ Dom Alvaro bleckte seine Zähne zu einem Grinsen. | ||
„Mehr Sorgen mach… mach ich mir, wegen der anderen beiden Waffenknechte. Sie-sie haben beide… so… so eine Vergangen…“, raunte Pribaldo seinem Onkel verschwörerisch zu. | „Mehr Sorgen mach… mach ich mir, wegen der anderen beiden Waffenknechte. Sie-sie haben beide… so… so eine Vergangen…“, raunte Pribaldo seinem Onkel verschwörerisch zu. | ||
„Die gute Mondina | |||
„Die gute Mondina Al'Kira hat sich schon immer für die Familia di Dalias geschlagen. Nur hat sie das eben zwölf Götterläufe für Dom Ippolito und Dom Gualdo getan. Sie taugt und sie ist verlässlich. Das Panier der Familia ist ihr gewissermaßen ins Herz gebrannt. Ebenso wie ihrer Mutter vor ihr und ihrem Großvater davor. Und zu welchem Wüstengötzen sie dabei betet, ist mir einerlei. Tsacario Wehrheimero ist zwar ein Hitzkopf, aber er hat der Familia von Cerastes gut gedient. Warum soll er nicht auch dem neuen Baron von Nemento treu bis in den Tod dienen?“ Die rechte Augenbraue Alvaros schob sich nach oben und sein Blick fixierte Pribaldo Tracodi. Dieser schlug ergeben die Augen nieder. | |||
„Mach Dir keine Sorgen, Pribaldo. Wir haben gute Diener bei uns – zumindest trifft dies auf manche von ihnen zu, und wir sind gut vorbereitet. Wir haben Geschenke dabei: Ein junges Pferd für den [[Gwain von Harmamund|Fürsten]], einen Raufdegen für den [[Gendahar von Streitzig ä. H.|Grafen]], Fächer und Schmuck für die Freunde der Familia... und die Damen.“ | „Mach Dir keine Sorgen, Pribaldo. Wir haben gute Diener bei uns – zumindest trifft dies auf manche von ihnen zu, und wir sind gut vorbereitet. Wir haben Geschenke dabei: Ein junges Pferd für den [[Gwain von Harmamund|Fürsten]], einen Raufdegen für den [[Gendahar von Streitzig ä. H.|Grafen]], Fächer und Schmuck für die Freunde der Familia... und die Damen.“ | ||
„Und für jeden der vier Zwö… Zwö… Zwölfe von [[Brig-Lo]] die Pilgerzeichen: Bernstein, ja äh,… Bernsteinamulette für Praios, Far… Farbe für das Mythraelsmal, Elidamuscheln für Efferd, Lampen für Ingerimm“, ergänzte Pribaldo seinen Onkel oberlehrerhaft. | „Und für jeden der vier Zwö… Zwö… Zwölfe von [[Brig-Lo]] die Pilgerzeichen: Bernstein, ja äh,… Bernsteinamulette für Praios, Far… Farbe für das Mythraelsmal, Elidamuscheln für Efferd, Lampen für Ingerimm“, ergänzte Pribaldo seinen Onkel oberlehrerhaft. | ||
Als würde er eine lästige Fliege verscheuchen wollen, fuhr Caballero Alvaro Manticco mit der Hand durch die Luft. | |||
Als würde er eine lästige Fliege verscheuchen wollen, fuhr Caballero Alvaro Manticco mit der Hand durch die Luft. Stille legte sich über das Innere der Kutsche. Die beiden Männer, Onkel und Neffe, blickten sich schweigend an. | |||
„Herr, Dom Alvaro!“, hörten sie den Ruf von Alvaros Lakai Praiobur vom Kutschbock, „wir sind am Ziel: Das Tor [[Ragath|Ragaths]]!“ | „Herr, Dom Alvaro!“, hörten sie den Ruf von Alvaros Lakai Praiobur vom Kutschbock, „wir sind am Ziel: Das Tor [[Ragath|Ragaths]]!“ | ||
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===Auf [[Castillo Ragath]] (kurz darauf)=== | |||
'''Autor:''' [[Benutzer: SteveT|madjani]] | |||
"Autsch! Pass doch auf, Du törichtes Balg! Wenn du mir nur noch ein einziges Haar ausreisst, dann schneide ich dir all deine aschblonden Spinnweben ab und dreh mir daraus eine Reitgerte, das schwör ich dir! Wie kann man nur so dumm und ungeschickt sein?" Wütend funkelte [[Rahjada von Ehrenstein-Streitzig|Rahjada-Mera von Ehrenstein und Streitzig]], die wunderschöne zweitgeborene Tochter des [[Brandil von Ehrenstein ä. H.|Grafen von Ragath]], das Spiegelbild ihrer verängstigten jungen Kammerzofe Cecilia an, die ihr ihre verfluchte garetische Verwandtschaft mütterlicherseits an den Hof geschickt hatte. Die Augen des jungen Mädchens füllten sich mit Tränen, die sie tapfer wegzublinzeln versuchte, während sie schluckend weiter die bosparanienbraune Mähne ihrer Dienstherrin Strähne für Strähne nach hinten kämmte, um ihr einen kunstvollen Zopf zu flechten. Die Comtessa hatte eigentlich prachtvolle Locken, aber wie die meisten Frauen mit gewelltem Haar, hasste sie ihre Locken und ließ sich die Haare nach der Vinsalter Mode künstlich mit dem Brenneisen glätten. | |||
"Wag es nicht, mir auf mein neues Mieder zu flennen, du elender Nichtsnutz! Allein die Perlenstickerei im Nacken ist mehr wert, als deine ganze Sippschaft im Jahr erwirtschaftet!", beäugte die Grafentochter die eingeschütterte kleine Garetierin weiterhin verächtlich im großen, messinggerahmten Spiegel, während sie ihren schlanken Zeigefinger in ein Döschen mit Lippenfarbe tauchte und ihren Mund mit einigen versierten Tupfern und Strichen kirschrot färbte. | |||
"Was ist das für ein Lärm da draußen?", frug sie dann ihre Zofe, da diese im Stehen durch die hohen Fenster der Kemenate nach draußen auf die Gassen der Stadt blicken konnte, während sie selbst im Sitzen nur deren rostrote Ziegeldächer sah. | |||
"Hm, irgendeine Zusammenballung auf dem Marktplatz, Domna. Ich sehe dort viel Volk versammelt. Hm, so etwas wie ein Jahrmarkt vielleicht?" mutmaßte die kleine Garetierin kleinlaut. | |||
"Tz tz, trifft sich der Pöbel jetzt schon anderntags? Heute haben wir doch gar keinen Markttag! Los, los, mach das Fenster zu! Ich will nicht, dass der widerliche Gestank ihrer ungewaschenen Leiber hier heraufzieht!", befahl ihr Rahjada und rümpfte die Nase - nicht nur wegen der Vorstellung, sondern auch weil sie den aktuellen Stand von Cecilias Frisier-Bemühungen begutachtete und für schlecht erachtete. | |||
Als die kleine Kammerzofe das Fenster geschlossen hatte und wieder hinter ihren Stuhl trat, packte Rahjada sie am Handgelenk und hieb ihr ohne Vorwarnung zweimal die hölzernen Zinken des Kamms auf den Handrücken, wo sie zehn blutrote Punkte auf der weißen Hand des Mädchens zurückließen. "Das nennst du glätten, Taugenichts? Willst du vieleicht, dass ich mich als eine Vogelscheuche wie du präsentiere? Mit Sicherheit nicht!" | |||
Nun konnte die kleine Garetierin ihre Tränen nicht mehr zurückhalten und schlug schluchzend die Hände vors Gesicht. Statt ihrer trat in diesem Moment [[Ambrocena di Mandana]], die oberste Leibzofe der drei gräflichen Schwestern und Rahjadas Freundin und Vertraute seit vielen Jahren, an den Stuhl ihrer Dienstherrin heran und schob Cecilia behutsam an den Schultern beiseite. "Ich übernehme das jetzt! Lauf hinunter in die Küche und schaue nach, ob das Frühmal bereit zum Auftragen ist." | |||
"So ein unnützer Trampel ist mir ja schon lange nicht mehr unter die Augen gekommen! Ich werde sie mit einem hübschen Brief zu Mutters Verwandtschaft zurückschicken und dazu schreiben, daß ich keine Garetierin mehr sehen will!", fauchte Rahjada, deren dunkle Augen gefährlich unter den langen Wimpern blitzten. | |||
"Beruhigt Euch, meine Liebe, sie ist eben noch ein halbes Kind!", flötete Ambrocena besänftigend. Die Dubianerin wusste gut, welche Melodei sie bei den nicht seltenen Wut- und Temperamentsausbrüchen ihrer mittleren Herrin anschlagen musste. "Im übrigen ist das dort unten keineswegs ein Jahrmarkt, sondern das Preludium eines Pilgerzuges. Man sagt, der Fürst selbst habe die Nacht drunten auf dem Marktplatz verbracht, um einen magnatischen Pilgerzug anzuführen, der ihn und zahlreiche Angehörige der Nobleza bis zur Walstatt von Brig-Lo führen soll." | |||
"Aber warum sollte er so etwas Törichtes tun, der Fürst? Ich meine, die Nacht unter freiem Himmel verbringen, wo er doch hier bei uns hätte Quartier nehmen können? Er ist nicht verheiratet, oder?", entspannte sich Rahjada-Meras Miene wieder unter der geübten Frisierkunst ihrer Leibzofe, die ihr an den meisten Tagen ihrer aufwändigen Frisuren flocht und striegelte. | |||
Ambrocena musste grinsen. "Nein, das ist er nicht! Aber er ist ein alter Mann - viel zu alt für dich...äh für Euer Wohlgeboren!" Hin und wieder, wenn sie unter sich waren, rutschte ihr die vertrauliche Anrede heraus. Bei Rahjada und ihrer jüngeren Schwester Romina Alba war das kein Problem - nur Concabella Blanca, die zukünftige Gräfin, zog bei derlei Vertraulichkeiten sofort pikiert eine Augenbraue in die Höhe. | |||
"Umso besser! Alte Männer sterben früh und hinterlassen junge Witwen!", stellte Rahjada todernst fest und zog mit einem Kohlestift ihre hübsch geschwungenen Augenbrauen nach. "Wer wird sonst noch so alles an diesem Pilgerzug teilnehmen? Auch irgendwelche gutaussehenden jungen Barone? Ob verheiratet oder nicht, ist mir eigentlich egal - sowas muss ja in der heutigen Zeit kein Hindernis mehr sein..." Sie blinzelte Ambrocenas Spiegelbild vorwitzig zu. | |||
"Du bist unmöglich!", prustete die Hofdame vor Lachen. "Aber ja, der Fürst hat alle Magnaten des Landes geladen! Alle Barone, Junker und Edle, die etwas auf sich halten, werden bei diesem Pilgerzug zugegen sein! So hörte ich jedenfalls Eures Vaters Castellan gestern sagen, der einige von ihnen auch hier auf der Burg einquartiert hat." | |||
"Wirklich?", die Comtessa klatschte begeistert in die Hände. "Das bringt endlich Leben in dieses langweilige Gemäuer! Überhaupt war ich die längste Zeit hier eingesperrt! Das wäre doch eine famose Gelegenheit, einmal meine neue Reithose und die Rüschenbluse zu präsentieren, die mir Onkel Gendahar von der kaiserlichen Hochzeit aus Punin mitgebracht hat. Ich werde mich also diesem 'Pilgerzug' des Fürsten anschließen - zumindest ein Stück weit!" | |||
"DU ???" Domnatella Ambrocena ließ den Kamm sinken und starrte ihre Freundin mit ungläubig geweitetem Blick an. | |||
"Ja, ich! Wieso denn nicht? Bei dieser Gelegenheit werde ich endlich auch einmal ein bißchen Land und Leute kennenlernen und etwas anderes sehen, als bloß die Vogtei Ragathsquell. Die kenne ich nämlich inzwischen zu Genüge!" | |||
"Ja aber... das ist ein P i l g e r z u g! Du bist doch...ähem...also....ich meine....du bist nicht gläubig!", brachte die Leibpagin mit all ihrem Mut ihre Bedenken vor. | |||
"Waaaas? Und wie ich gläubig bin!", verdüsterte sich Rahjadas Miene wieder gefährlich, so daß Ambrocena ihr rasch wie besänftigend über die langsam Gestalt annehmende Haarpracht strich. "Welches Buch liegt zum Beispiel da drüben auf meinem Schreibpult?" | |||
"Äh, das Brevier der zwölfgöttlichen Unterweisungen", antwortete Ambrocena wahrheitsgemäß. Sie wusste aber auch, dass das Buch ein Geschenk der Literatur liebenden [[Concabella von Ehrenstein-Streitzig|Concabella]] zu Rahjadas 18tem Tsatag gewesen war und seit jenem Tag lag das Buch dort. Die dicke Staubschicht, sowohl auf dem Buch, wie auch auf dem gesamten Schreibpult, sprachen Bände. | |||
"Ich und nicht gläubig, papperlapapp! Du wirst schon sehen, wie eifrig ich den Göttern auf diesem Pilgerzug huldigen werde!" echauffierte sich die Comtessa weiter. | |||
"Oh ja, das kann ich mir bildich vorstellen!", grinste Ambrocena und wusste, dass von den himmlichen Zwölfen wohl allein Rahjadas alveranische Namenspatin ihre helle Freude an dem leidenschaftlichen Wildfang haben würde. Dann aber wurde ihr der erste Teil von Rahjadas Ankündigung bewußt. "Einen Moment, was meinst du mit: Du wirst schon sehen..."? | |||
"Du wirst mich selbstverständlich auf diesem Ausritt begleiten! Schließlich brauche ich Dich dann beizeiten als Führerin in deiner dubianischen Heimat, meine Liebe!", lächelte die Comtessa. | |||
"Wir reiten nach [[Baronie Dubios|Dubios]]?", wiederholte Ambrocena di Mandana erschrocken. Widerspruch gegen Rahjadas Willen war sowieso zwecklos und neben den Allermutigsten vielleicht höchstens deren Mutter, Gräfin Rohaljia, gewährt. Alle anderen bei Hofe - der hohe Herr Graf eingeschlossen - waren es gewohnt, nach Rahjadas Pfeife zu tanzen. | |||
Etwa anderthalb Stunden später - so lange hatte das Ankleiden gedauert - traten die beiden jungen Frauen hinaus in den geschäftigen Hof der Grafenfeste, wo sogleich alle Gespräche verstummten und sich alle Blicke auf sie richteten. Die Comtessa trug, wie bereits angekündigt, ihre neue hautenge dunkelblaue Reithose und ein an der Taille geknotetes edles Rüschenhemd, dazu einen vorwitzigen blauen Caldabreser mit einer Pfauenfeder darauf. Ambrocena di Mandana trug ein etwas weiteres karmesinrotes Reitkostüm, auch sie hatte sich einen Caldabreser aufgesetzt, wenn auch - des Standesunterschiedes wegen - nur mit einer Hahnenfeder. | |||
"Ich brauche zwei Freiwillige, die mich auf einem längeren Ausritt begleiten!", rief Rahajada, nach dem sie einen Moment lang die Aufmerksamkeit genossen hatte, den ihr Auftritt stets hervorrief. | |||
"Hier!" | |||
"Hier!" | |||
"Hier!" | |||
"Nein hier! Ich begleite sie!" | |||
"Hier Comtessa! Ich begleite Euch!" | |||
Überall im Hof flogen blitzartig die Hände junger und auch schon etwas betagterer Männer nach oben. Alle plusterten sich auf, um von ihr wahrgenommen zu werden, manche sprangen gar in die Höhe oder ruderten wild mit den Armen. | |||
Ambrocena hielt sich kichernd die behandschuhte Rechte vor den Mund. Sie hatte zwar schon des öfteren davon gehört, aber noch nie mit eigenen Augen gesehen, wie sich gestandene Mannsbilder derart zum Affen machten, um nur für einen kurzen Moment einen Gunstbeweis der schönen Comtessa zu erlangen. | |||
"Hm, also gut.... jener dort!" Rahjada deutete wahllos eine der Burgwachen heraus. Einen jungen, sonnengebräunten Burschen mit glutvollen Augen und breiten Schultern, der mit stolzgeschwellter Brust näherkam, als wäre er der Riesenoger Rachkush höchstpersönlich. | |||
"Sehr gut! Dein Name ist Padro, nicht wahr?", hielt ihm Rahjada ihre gleichsam behandschuhte und beringte Rechte zum Kuss entgegen. Der junge Mann blickte vorwurfsvoll auf, während seine Lippen sich scheinbar gar nicht mehr vom Leder ihrer Handschuhe lösen wollten. "Padro? Nein, Padro ist ein Stallknecht - mein Name ist Vermonte, Euer Lieblichkeit!" | |||
"Padro, Vermonte - klingt doch fast gleich!", entzog ihm Rahjada schnippisch ihre Hand und deutete in Richtung des Hofstalls. "Los, hol er meinen Schimmel und auch das Pferd vom Domnatella Ambrocena! Danach wird er sein eigenes Ross satteln, denn ich brauche Geleit für einen Ritt hinunter in die Stadt, um am Pilgerritt unseres Fürsten teilzunehmen." | |||
"Ich eile!", zog sich der junge Mann unter einer tiefen Verbeugung zurück, der sein Glück kaum fassen konnte. Alle anderen Gardisten warfen ihm finstere Blicke zu, aus denen nichts als Mißgunst und Eifersucht sprach - es war ihm völlig einerlei! | |||
"Gut!", klatschte Rahjada wieder in die Hände, wie sie es oft und gerne tat und deutete auf einen weiteren jungen Gardisten. "Er da! Geh ihm zu Hand! Er wird uns ebenfalls begleiten!" | |||
Der junge Kerl strahlte über das ganze Gesicht und wollte schon losrennen, als ihn Rahjadas "Nein! Warte!" in der Bewegung innehalten ließ. Entsetzt folgte sein Blick dem der schönen Grafentochter, die hinüber zum Palas blickte, wo gerade [[Ardan von Kündoch]], ein Leutnant der gräflichen Reiterei aus der tobrischen Heimat des Grafens, aus dem Herrenhaus trat. | |||
Der stocksteife Tropf hatte ihre kleine Schwester [[Romina von Ehrenstein-Streitzig|Romina]] aus den Ferkinabergen zurückgebracht und sie auch danach auf ihren ungeheuerlichen Ausflug in die Waldwacht begleitet. Es war für jedermann bei Hofe offensichtlich, dass er ganz verschossen in die Kleine war - und umso besser gefiel Rahjada der Gedanke, ihn erst einmal schön von ihr fernzuhalten. | |||
"Leutnant Kündoch!", rief sie ihn zu sich, innerlich höchst amüsiert, über sein ebenso überraschtes wie erschrockenes Gesicht. "Sattelt Euer Pferd und packt rasch alles für Euch Notwendige zusammen! Denn die nächsten Tage werdet Ihr ausnahmsweise einmal MICH begleiten! Also los - rapido! Wir warten drunten am Tor auf Euch!" | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Romina Alba|ehrenstein]] | |||
Der Angesprochene seufzte unmerklich und deutete mit einer Verbeugung an, ganz zu Diensten zu sein. Er hatte damit gerechnet, die Familia auf der Pilgerreise zu begleiten, doch musste es gerade ''diese'' Schwester sein? Kurz glitt sein Blick zu einigen der Fenster hoch, dann schritt er zum Stall. Dort oben machte sich die jüngste Tochter zur Abreise fertig. Domna [[Romina von Ehrenstein-Streitzig|Romina]]. Er machte sich Sorgen. Sie schien sich gänzlich in ihr Schicksal zu fügen, doch er wusste es besser. Sie war nicht begeistert, jetzt doch den noch sehr jungen [[Familia von Jurios|Jurios]] heiraten zu müssen. Er hätte sie zu gerne davor bewahrt, hatte sich so oft darüber Gedanken gemacht, hatte mit ihr über Möglichkeiten reden wollen. Nach der Sache im Taubental hatte sie sich zurückgezogen, war noch ernster geworden. | |||
Er war dabei gewesen, als der [[Brandil von Ehrenstein ä. H.|Graf]] zum ersten Mal seine jüngste Tochter höchstselbst rügte, ihrem Wunsch nach familiärem Rückhalt nicht nachgab und ihr stattdessen vor Augen zu führen verstand, was passierte, wenn die Geschehnisse publik würden. Ihre Ehre war in Gefahr und da sollte sie darüber hinwegsehen können, dass einige Magnaten sie rüde behandelt hatten. Er würde sich mit den Herren verständigen und dafür Sorge tragen, dass alles unter einem hübschen Deckmäntelchen blieb. Sie habe sich natürlich von dem Vivar fernzuhalten und mit den Exkursionen wäre auch erst einmal Schluss. Sie habe zu wenig Erfahrungen in der Haushaltung, er und die Gräfin wären der Meinung, dort wäre noch viel für sie zu lernen. | |||
Seitdem hatte die junge Comtessa Ragath nur für ihre Verlobung mit dem blutjungen [[Antorio von Jurios]] verlassen. Der Kaiser höchstselbst hatte diese Verbindung verfügt. Nach dem Sturz Selindian Hals hielt Graf Brandil schützend seine Hand über den jungen Baron Jurios und bestätigte das Eheversprechen. Auf Rominas ausdrücklichen Wunsch war die Hochzeit wenigstens auf den Mond nach dem Pilgerzug verlegt worden. | |||
Romina sah auf, als sie die Stimme ihrer Schwester [[Rahjada von Ehrenstein-Streitzig|Rahjada]] vom Hof hörte. Was war das gewesen? Rahjada hatte Ardan zu sich befohlen. Wollte sie jetzt doch mitpilgern? Und brauchte dazu ausgerechnet ihren Tobrier! Kalte Wut brandete in der Caballera hoch; sie legte die Feder weg und trat ans Fenster. Unten ließ sich ihre schöne Schwester gerade in den Sattel helfen, während von Kündoch zögerlich zum Stall ging. Romina wandte sich um und machte sich auf, das Zimmer zu verlassen, als ein Räuspern ertönte. Sie wandte sich wild um und blickte zu dem Castellan, in dessen Arbeitszimmer sie sich befand. Dieser sah sie stirnrunzelnd an. | |||
»Wohin des Wegs, Comtessa, seid Ihr mit der Niederschrift der Anordnungen schon fertig? Das ist gut, bringt sie mir, dann können wir sie gleich besprechen. Euer hoher Herr Vater wird bald aufbrechen wollen.« | |||
Romina schnaubte unwillig. »Ich bin gleich wieder hier, Dom [[Rondrigo vom Eisenwalde|Rondrigo]].« Sie wollte sich abwenden. | |||
»Meint Ihr nicht, es wäre besser, sich nicht einzumischen? Eure edle Frau Schwester wird den Jungen von Kündoch nicht fressen. Ihr müsst ihn nicht beschützen.« Sein Lächeln war väterlich. | |||
»Ich will ihn nicht beschützen, ich weiß, dass er es nicht nötig hat.« Sie ballte die Fäuste. »Er soll mich auf der Pilgerreise begleiten. Rahjada nimmt das Ganze doch nicht ernst und wird bei der ersten Unbequemlichkeit umdrehen.« | |||
Der Castellan hob überrascht beide Augenbrauen und ließ sie wieder fallen. »Das ist schlecht möglich, Euer Hochwohlgeboren, wie Ihr wisst, darf Dom Ardan Euch auf keine Exkursionen begleiten.« | |||
Romina sackte ein wenig in sich zusammen. »Aber es ist die Pilgerreise und Vater hat mir erlaubt, teilzunehmen.« | |||
Der alte Mann nickte. »Das ist mir bekannt, Domnatella, doch Ihr werdet an der Seite eures hohen Vaters daran teilnehmen. Ihr braucht kein eigenes Gefolge.« | |||
Romina schloss die Augen und entspannte sich mühsam. Sie nickte ergeben, ging wieder zu dem Sekretär, setzte sich und schrieb weiter. Kurz ruhte der Blick des alten Castellan auf dem jungen gebeugten Rücken. Sie war ein gutes Kind. Sie würde ihrem jungen schönen Mann eine gute Frau sein, wenn sie ihn erst richtig kennengelernt hatte. Er seufzte. Noch ein mal so jung sein. Bei Rahja, wäre das schön. | |||
Im Hof sah der schneidige Leutnant von Kündoch indes noch einmal zu den Fenstern hoch, schnallte übertrieben langsam die Tasche fest und schwang sich in den Sattel. Zu lange durfte er das mittlere Töchterlein nicht warten lassen, doch einige Augenblicke gingen noch. Sie würde wütend sein, nicht genug, um ihn anzuschwärzen, aber genug, um sich von ihm fernzuhalten. Denn so genau wusste er nicht, was passieren würde, wenn sie wirklich zum Angriff überging. Er war auch nur ein Mann. | |||
Die Hälfte eines Stundenglases später stand dann auch Graf [[Brandil von Ehrenstein ä. H.|Brandil von Ehrenstein]] inmitten eines nicht allzu großen Gefolges bei seinen Pferd. Er trug elegante, aber schmucklose Reitkleidung, der Uniform seiner Garde nachempfunden und wie diese in den ehrensteinschen Farben gehalten. Leicht säuerlich blickte er zu seinem Augenstern, seiner jüngsten Tochter Romina, die sich in dem Überwurf mit dem Wappen derer von Streitzig frappant von ihm und der Garde abhob. Den kurzen Disput über ihre Farbwahl hatte er verloren. Was konnte er schon dagegen sagen, wenn sie auf diesem Pilgerzug ihren verstorbenen Großvater ehren wollte? Dabei war [[Praiodar von Streitzig ä. H.]] kaum für sie da gewesen und wenn, hatte er ihr diesen unseligen Gedanken, Kaiserin zu werden, in den Kopf gesetzt. Doch sie hatte ihn inniglich geliebt. Jetzt schien sie sich an ihren Onkel [[Gendahar von Streitzig ä. H.|Gendahar]] zu hängen. Wenn er da war, wich sie kaum von seiner Seite. Er seufzte. Er wusste nicht, was er besser fand. Sein Schwiegervater war Politiker gewesen, sein Schwager war ein Lebemann. Romina war schon immer eher sonnig, denn ehrgeizig. War! Seit dieser [[Chronik:1033#Streit ums Taubental|unleidigen Sache im Taubental]] kannte er sie nicht wieder. Bereits die Entführung durch die Ferkinas hatte sie verändert. Sie beteuerte auch jetzt noch, das schlimmste, was passiert wäre, sei die Ausmordung des Ordens gewesen. Sie war so tapfer und dabei so ernst. Vielleicht tat der unbeschwerte Gendahar ihr gut. Immerhin würde sie bald heiraten. Er nahm sich vor, die Leine seines jüngsten Kindes erneut ein wenig länger zu lassen, stieg aufs Pferd und befahl den Aufbruch. | |||
Fürst [[Gwain von Harmamund]] hatte zum Pilgerzug aufgerufen. Es galt, Almada die alte Stärke zurück zu geben. Graf Brandil von Ehrenstein war kein Vorreiter und Rebell. Doch er hatte sich im rechten Zeitpunkt zu positionieren gewusst. Und so beugte er erhobenen Hauptes das Knie vor dem neuen Herrscher Almadas, denn er und die Seinen waren dabei gewesen, als es galt, der Tyrannei ein Ende zu setzen. Er sah seinem Fürsten einen Augenblick lang in die Augen, dann senkte er respektbezeugend den Kopf und sprach die Worte, die ihn zum Pilger machten. | |||
===Auf dem Marktplatz (Zur Mittagsstunde)=== | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Kanzler|kanzler]] | |||
''Während sich das Praiosrund über den almadanischen Tag erhob, wölbte sich schillernd ein Regenbogen über die alte Stadt am Yaquirstrom. Der Regen ließ nun langsam nach, und so wagte sich auch unser Rabe wieder hinaus aus seinem dunklen Versteck hinter des Baumes Rinde. Es war hier, wenngleich trocken, doch etwas beengt gewesen, so dass er nun voll Wonne seine Flügel spreizte und sein Gefieder vom frischen Wind durchwehen ließ. Er pickte ein paar Maden vom Ast des Baumes – ein Mittagsmahl, das seine Laune nur wenig zu bessern vermochte –, dann erhob er sich in die Lüfte.'' | |||
''Hoch flog er über der alten Stadt Ragath. Von hier oben war offensichtlich, was die Menschen unter ihm nur mutmaßen konnten: Ganz gleich, aus welcher Himmelsrichtung man sich als Reisender der Stadt näherte, ob auf dem Yaquir von Punin her flussaufwärts oder über die Reichsstraße aus Garetien kommend, der isoliert über die weite ragatische Ebene aufragende Burgberg Ragaths wies dem Fremden schon aus vielen Meilen Entfernung den Weg. Er war das Zentrum dieses Landes'' | |||
''Der Rabe umflog die Zinnen der schroffen Burg, welche die Siedlung zu ihren Füßen beherrschte. Er ließ sich auf dem Bergfried aus grünweißem Marmor nieder, von wo sein Blick über weite Teile Ragatiens reichte. Von den nördlich aufragenden Gipfeln des Amboss bis zur gewaltigen Silhouette des Raschtulsturms im Süden vermeinte er, die ganze Grafschaft überblicken zu können.'' | |||
''Doch nun blickte er hinab: Sowohl durch das Puniner Tor als auch das Garether Portal zogen weiterhin Menschen in die Stadt. Schlicht Gewandete, gestützt auf einfachen Stecken oder, die ältesten, auf Eseln oder Maultieren, selten auf Pferden reitend. Schwer mit Zelten und Händlerkiepen Beladene. Stolz in den Tag hinein blickende Recken, auf Abenteuer hoffend. Gesetzte Herrschaften mit dicken Bäuchen, von Dienerschaft umsorgt. Musikanten, fromme Pilgerlieder anstimmend. Geweihte, Garden und Köche.' | |||
Denn so waren sie alle dem Ruf der Götter Praios, Rondra, Efferd und Ingerimm gefolgt, und ein jeder hatte sich zu Ragath auf dem Marktplatz eingefunden, um den Himmlischen ihren Respekt, ihre Dankbarkeit und ihre Demut zu zollen. Unter ihnen waren einige der bekannteren Gesichter Almadas zu erkennen: | |||
- Antara D'Altea, Dienerin Golgaris und Ritterin des Orden des heiligen | |||
Golgari, die eher weltliche Interessen zu dieser Pilgerfahrt lockten, denn der Osten bedurfte noch immer der Mildtätigkeit des reichen Almadas | |||
- Ihr Bruder Boraccio D'Altea, ein vom endlosen Heerwurm auf Körper und Seele gezeichnetem Krieger, der doch voll innerlicher Glut ward, Almada einst an der Seite der Kaiserin wider den Reichsverräter im Osten kämpfen zu sehen. | |||
- Dom Savertin von Culming mit seiner ungewöhnlich reichhaltig (mit Reisegepäck) bestückten Schwester, der Rahjageweiten Miréîà, auf ihrer launischen Maultierstute Naschel | |||
- Der Creser, Baron Danilo Caer Donn in Begleitung eines Mediucs und eines Gehstockschnitzers | |||
- Rahjada-Mera von Ehrenstein und Streitzig, die wunderschöne, aber bislang kaum durch religiösen Eifer aufgefallene zweitgeborene Tochter des Grafen von Ragath, mit ihrer Dubianischen Leibzofe Ambrocena di Mandana sowie dem gräflichen Gardisten Vermonte und Ardan von Kündoch, einem Leutnant der gräflichen Reiterei | |||
- Domna Romina, die drittgeborene, ernsthafte Tochter des Grafen von Ragath, die doch viel lieber Leutnant Ardan an ihrer Seite wüsste | |||
- Graf Brandil von Ehrenstein selbst, der seine (wie er meinte) jungfräulichen Töchter keinesfalls ohne seine wachenden väterlichen Augen mit einem Pulk großteils männlicher Pilger wochenlang allein durch das Land ziehen zu lassen gedachte. | |||
- Und nicht zu vergessen: Der Fürst, Dom Gwain von Harmamund, der sich nach durchbeteter Nacht nur rasch einer notdürftigen Gesichtswäsche hingegeben hatte. | |||
Auch andere Magnaten und Hohe mochten angereist sein, doch sie hatten sich bislang nicht zu erkennen gegeben. | |||
Bald schon setzte auf dem alten Platz ein geschäftiges Treiben ein. Marketender aus allen Teilen des Königreiches bauten ihre Stände auf, um den eintreffenden Pilgern allerlei Tand anzudrehen: Sonnenamulette aus Messing, holzgeschnitzte Schwerter, Amphoren mit (vorgeblich) Quellwasser des Yaquir sowie Feuerstein und Zunder zu Ehren der Götter. Denn um sie ging es, die alveranischen Vier, die einst leibhaftig auf dem Boden Almadas wandelten. | |||
„Zum Vierertempel zu Brig-Lo ziehen wir, könnte es einen göttergefälligeren Auftakt für unsere Hochzeit geben“, flüsterte der junge Dom Antorio Escabello Nazir von Jurios ä.H., Baron und Soberan von Jurios, seiner Verlobten Romina Alba von Ehrenstein und Streitzig ä.H., Caballera von Ragath, ins Ohr. | |||
Die fuhr erschrocken herum. „Ihr hier… Welche Freude“, heuchelte sie. Sie hatte gehofft, dass ihr Verlobter – oder „das Kind“, wie sie ihn heimlich gegenüber ihrer Zofe nannte – dem Pilgerzug fern geblieben wäre. Doch jetzt war er wohl doch noch erschienen, gerade noch rechtzeitig, denn gerade betraten die Geweihten des Bringers des Lichtes, der himmlischen Leuin, des Unberechenbaren und des Feuerglütigen das Podest, das man in der Mitte des großen Platzes errichtet hatte. | |||
„Kniet nieder vor der Herrlichkeit der Vier“, begann eine Praiotin weihevoll, „und seid gestärkt durch ihre Kraft“, führte mit donnernder Stimme ein Rondrageweihter fort. „Nichts auf Deren und in den Himmeln ist von Dauer“, schloss sich der in blau-grauem Ornat gewandte Priester des Herrn Efferd an, „nur die Einigkeit der VIER“, beendete die Geweihte des Ingerimms mit fester Stimme den heiligen Segen der Vier. „Ziehen wir in Demut und Dankbarkeit nach Brig-Lo, denn hier haben die Götter selbst gewirkt, auf dass ihr Wille geschehe. Daran soll der Mensch nicht rütteln!“, sprachen alle zusammen. Dann versanken die Gläubigen in schweigsames Gebet. | |||
„Komme ich zu spät? Es hat wohl nicht ohne mich begonnen?“ Ein Raunen ging durch die Menge. „Mein Fürst, wo seid Ihr? – ah, ja, ''dort'' seid Ihr.“ Aufgeregt bahnte sich ein Mann mittleren Alters, dessen beginnende Fettleibigkeit nicht zu verkennen war, durch die Gläubigen, die noch immer ehrfürchtig auf dem Kopfsteinpflaster knieten. Der Mann hatte wallendes schwarzes Haar, einen sorgsam gezwirbelten Bart, einige Ringe zu viel an den Fingern und einen kostbar mit Silberfäden durchwirkten weißen Samtmantel über den Schultern. Etwas zu warm für diese Jahreszeit, sicherlich, aber durchaus eindrucksvoll. Nur darauf kam es ihm an. Denn soeben hatte der neue Herr der Münze, Reichsbaron und Kanzler des Königreichs Almada die Szenerie betreten. Er genoss es, „Kanzler des Königreichs Almada“ zu sein, während der Harmamund lediglich Fürst war. „Ah, da seid Ihr ja, ''Fürst''!“ | |||
„Welche Freude, mein ''alter'' Freund [[Rafik von Taladur ä. H.|Rafik von Taladur]]. Uns fürchtete schon, Ihr würdet es bei all der Münzenzählerei in [[Kaiserlich Molay|Molay]] nicht mehr schaffen. Doch unterschlagt einstweilen den 'Fürsten'. Wir sind alle hier Pilger unter der Sonne, all einfache Gläubige, alle gleich, bis wir Brig-Lo erreicht haben.“ Kanzler Rafik schien diese Botschaft leicht zu bekümmern, doch legte er rasch ein freudiges Lächeln auf. „Wie Ihr wünscht, mein … Pilger…fürst. Seht, es geht los. Das wird nett!“ | |||
Und tatsächlich. Die Geweihtenschaft hatte ihre Opfer an vier Altären dargebracht und den festlichen Choral „Vom Himmel hoch, da kam’ sie her“ angestimmt. Von den hinteren Reihen war allerdings bereits die am Yaquir wohlbekannte Melodie von „Vorsicht Hela, wir kommen“ zu vernehmen. Gen Praios führten die Geweihten den Pilgerzug durch das Puniner Tor, hinaus aus der Stadt gen Brig-Lo. | |||
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Aktuelle Version vom 2. Juni 2013, 15:12 Uhr
Anmerkung: | HILFE:
(Neuen Artikel bei neuem Sinnabschnitt starten, also Ortswechsel, Zeitwechsel etc. innerhalb von Ragath, dann oben in der Titelleiste ändern (Orts- und Zeitangabe --- wenn der nächste Pilgerort erreicht ist, sagen wir mal Quirod, muss ein neuer Schauplatz (Artikelname) eröffnet werden, z.B. "Chronik.Ereignis1036 Pilgerzug Quirod 01", dieser kann dann unten in der Zeitleiste unter Weiter= verlinkt werden, außerdem im Artikel Chronik:1036.) |
Reichsstadt Ragath, 15. Praios 1036 BF[Quelltext bearbeiten]
Auf dem Marktplatz (frühmorgens)[Quelltext bearbeiten]
Autor: kanzler
Ein heißer Wind wehte wehmütig von Mittag her, als sich der Rabe vom hohen Himmel herab fliegend auf dem Strohhut einer erbärmlich dreinschauenden Vogelscheuche niederließ. Herr Praios schickte den Atem der Khôm-Wüste dieser Tage bis hoch ins Herzen Ragatiens und plusterte das Gefieder des alten Vogels ungemütlich auf. „Du sahst sicherlich auch schon besser aus“, krächzte er wie auf eine unfreundliche Begrüßung erwidernd nach unten. Doch vergeblich wartete er auf eine Regung des Verzeihens oder des Respekts.
Der Rabe blickte sich um: ein in voller Ähre stehender Acker, dahinter hohe Mauern, ein Fluss und eine Straße. Über den Mauern ließ Frouwe Rondra Blitze aus dem dämmrigen Morgenhimmel kraftvoll erstrahlen, die eine wettergegerbte Burg zitternd aufflackern ließen.
„Und, was gibt es Neues, Strohmann?“ Der Kopf der Vogelscheuche knarrte im Wind und rührte sich nur mühsam. Den Raben vermochte das wenig zu beeindrucken. Er hopste hoch und flatterte auf die Schultern des Feldwächters. „Was für ein jämmerliches Ding“, dachte er bei sich, „und so einer nun will meinereiner scheuchen…“
In der Ferne, auf der über die südlichen Hügel heranrollenden Straße, erspähte er Reiter und Bannern, die heftig im aufziehenden Sturm flatterten. „Menschen und Pferde, pah – nicht gerade eine aufregende Sache“, spottete der Rabe, doch da schlugen die Hemdsärmel der Vogelscheuche wie wild um sich. Der Alte wandte sich nach hinten: Auch auf der Straße rücklings sah er mehrere Gruppen von Reitern mit ähnlich bunten Fahnen und Wimpeln. Weitere Gestalten zogen von den Weinbergen jenseits des Stromes zur Stadt hinab.
„Wo ist der Lärm, den diese Kreaturen sonst so gern veranstalten?“, doch darauf wusste auch die Vogelscheuche keine Antwort. Sie schaute traurig in die Landschaft hinein, als Herr Efferd ohne Ankündigung einen Regenguss flutartig über Feld, Fluss und Stadt auszuschütten begann. „Ich empfehle mich, Kumpel“, krächzte der Rabe und suchte Unterschlupf in einem nahegelegenen Astloch. Er war zu gut erzogen, um auszusprechen, dass er die Unterredung ohnehin als ermüdend eintönig empfunden hatte. Wozu nur hatte ihn der erhabene Herr Boron in diese abgeschiedene Ecke Derens entsandt…
Fürst Gwain von Harmamund kniete inmitten des großen Marktplatzes in Ragath und sprach ein Dankgebet. Er war allein und es war früh am Morgen. Diesem heißen Tag, der mit einem Gewitterregen begann, den man ansonsten eher des Abends erwarten mochte. Doch wenig war gewöhnlich an diesem Morgen, der den Fürsten des Königreichs Almada im schlichten Pilgergewand barfuß auf dem Kopfstein des großen Platzes kniend den Göttern huldigen sah. Er hatte hier die ganze Nacht verweilt.
„Seid mit uns, Herr Praios, Frau Rondra, Herr Efferd und Herr Ingerimm. Ihr heiligen und immerewigen Vier, Ihr Hüter von Strom und Land, Himmel und Äther. Ihr Wächter über Zeit und Ort und Kraft. Spendet dem niedersten Eurer Diener Segen. Segnet diese Pilgerreise. Segnet all jene, die mit auf diesem Pilgerzuge wandeln werden. Segnet Almada – und haucht Euren friedstiftenden Atem unter die Magnaten dieses stolzen Landes, so dass wir ohne nennenswerte Verluste Brig-Lo erreichen mögen…“
Der Fürst erhob sich, das aus weißer Seide gefertigte Gewand vom Regen durchtränkt eng an seinem Körper anliegend. An seiner Silhouette war klar zu erkennen, dass sich unter dem Stoff einst die strammen Muskeln eines Kriegers, des Marschall von Almada, befunden hatten. Doch diese Muskeln waren müde, auch wenn sein Geist noch immer wach war. Die Narben der Vergangenheit hatten ihre Spuren auf diesem Körper hinterlassen: Reichsverrat, Gefangenschaft und Flucht, Reconquista, Ferkina-Feldzug und Kaisersturz. Doch noch konnte, noch durfte er sich keine Ruhe gönnen. Eine Aufgabe noch lag vor ihm, und diese Aufgabe gedachte er zu erfüllen. Denn die Götter selbst hatten sie ihm durch Mund, Hand und Tat der Kaiserin Rohaja auferlegt. Diese letzte Bürde.
„Dieses Land, mein Almada, muss Frieden finden – und eine neue Zukunft, eine neue Hoffnung.“
Ob sie kommen würden? Die stolzen, streitbaren, ewig zürnenden Magnaten des Landes unter dem Mond? Wer würde sich als erster zeigen, welche als erste den heiligen Frieden des Pilgerzuges brechen und heißblütig ihren Fehdehandschuh werfen? Würde auch er kommen, der neue Reichsbaron? Der Herr der Münze, wie man seinen heimlichen Reconquistador-Gefährten und Kanzler Rafik von Taladur inzwischen nannte. Sein wichtigster Berater und doch, so wusste er, nicht länger sein Freund. Hatte dieser, hatte er selbst überhaupt Freunde? Oder Vertraute? Was IST ein Freund? Was IST Almada? Und was SOLL es sein?
Auf diese Fragen Antwort zu finden, das war das Ziel, mit dem er die Barone und Edlen, Junker wie Grafen eingeladen hatte, mit ihm den altehrwürdigen Pilgerzug zu Ehren der Vier Götter nach Brig-Lo zu gehen. Mit all den tausenden von Menschen, die sich alljährlich von Ragath den Yaquirstrom hinab zum alten Schlachtfeld an den Mündungen der Brigella machten. Schon lagerten diese alle vor den Toren der Stadt, denn in wenigen Tagen sollte der Zug beginnen.
Noch aber war außer ihm niemand erschienen. Noch war er allein. Doch er erwartete sie alle.
Und er würde sie alle nach ihren Gebeten fragen, ihren Wünschen und Zielen für das neue Almada, das er gemeinsam mit ihnen zu errichten trachtete. „Was ist Euer Bild von Almada – und was ratet Ihr mir, als Euren Fürsten, hierfür zuvorderst zu tun?“ Das würde er alle fragen. Jeden einzelnen, sobald er und sie erschienen. Und er würde über die Antworten nachsinnen.
Wieder kniete er nieder zum Gebet – als er verschiedentlich Schritt sich respektvoll nähernd hinter sich vernahm. Nicht länger würde er also warten müssen.
Es hatte begonnen.
Endlich.
Autor: D'Altea
Ziellos schlenderte Boraccio D'Altea durch die Gassen von Ragath, trotz der frühen Morgenstunde. Wieder einmal hatte er nicht schlafen können ... die Träume waren wieder gekommen. Die Träume von wandelnden Gerippen, von verfaulten Gestalten, von verwesenden Kadavern. Und vom schwarzen Drachen. Vom Wall des Todes. Seine Hand fuhr über die Klappe, die die leere Höhle verdeckte, wo einmal sein rechtes Auge gewesen war. Er konnte ihn wieder vor sich sehen, den endlosen Heerwurm, so wie damals in der Dämonenschlacht. Und noch immer wanderten die Toten umher. Seine Schwester Antara hatte ihm berichet, vom Wall des Todes und wie die schwarzen Ritter des Golgari dort Wacht hielten wider die toten Lande dahinter. Der Schwarze Drache mochte endgültig in sein Grab gefahren sein, aber seine Ausgeburt erhob sich noch immer in jeder schwarzen Nacht aus der Erde.
Es hatte keinen Sinn den Schlaf zu suchen, wenn die Träume kamen. Es gab auch kein dem Herrn des Schlafes geweihtes Haus in der Stadt, in dem er hätte um eine gesegnete Nachtruhe hätte bitten können. Ratlos hatte Boraccio den Schrein der Rondra aufgesucht, aber die Leuin sprach schon lange nicht mehr zu ihm. Vielleicht sollte er es seiner Schwester gleich tun und ein Ritter Golgaris werden. So könnte er wenigstens gegen den echten Feind antreten, anstatt sich mit den kleinlichen Fehden hier zu Hause in Almada befassen zu müssen, die doch so bedeutungslos wurden, wenn erst einmal der wahre Feind vor der Tür stand. Ihr König, der so gerne Kaiser sein wollte, hatte das Land noch mehr gespalten, als es ohnehin schon immer war. Zuerst hatte Boraccio gehofft, ja gebetet, dass der Segen des Herrn Boron auf dem jungen Herrscher lag. Dass er das Reich wieder vereinen könnte und mit der Macht der Zwölfe endlich die verderbten Lande wieder befreien könnte. Aber dann hatte er in das kalte Antlitz des jungen Kaiser gesehen und erkannt, dass dieser Jüngling niemanden befreien würde.
Und so war es die Schwester, in die Boraccio sein Hoffnung gesetzt hatte. Auch wenn alle um ihn herum dem Jüngling zujubelten. Er sollte Recht behalten, denn nun hatten sie wieder eine Kaiserin. Und einen Fürsten. Der seinen Rat suchte. Ausgerechnet seinen Rat! Als ob er etwas von Politik verstünde. Gegen die Oger und Ferkinas, da konnte er damals seinem Marschall Rat geben. Aber gegen die Schlangen und Skorpione im Almadinpalast, was sollte ein einfacher Kriegsknecht wie er da schon raten?
Boraccio seufzte schwer. Hieß es nicht, mit dem Eintritt bei den Golgariten würde man seine Vergangenheit hinter sich lassen? Nur noch dem Herrn dienen, im Kampf wider die Untoten? Eine Rabe krächzte, weit oben in der Luft. Und dann verstand Boraccio. Der Reichsverräter, der gefallene Marschall, hatte dem Reich den Fehdehandschuh hingeworfen und die Kaiserin hatte ihn aufgenommen. Schon bald würden die Streiter der Zwölfgötter wider die Dämonenknechte ziehen. Und Almada würde seinen Beitrag dazu leisten! Das war es, was er seinem Fürsten raten würde. Die Wehr des Königreiches wieder zu stärken, um gegen alle Feinde gewappnet zu sein, mögen sie nun aus der Wüste oder aus der Niederhölle kommen. Und mochten die Magnaten noch so zerstritten sein untereinander, so standen sie doch zu Almada, wenn der Feind vor den Toren stand.
Seine ziellose Wanderung hatte Boraccio auf den Marktplatz geführt. Eine einsame Gestalt kniete dort, im Gebet versunken. Gebeugt vor Demut vor den Göttern, aber nicht vom Alter. Und Boraccio wusste nun, was er ihm raten solle. Und am Ende der Pilgerreise würden die Träume aufhören. Respektvoll kniete er sich hinter seinen Fürsten.
Autor: alcorta
Die Arme verschränkt, den Kopf zur Seite geneigt, so blickte Dom Savertin auf seine Schwester. Irgendwie spöttisch erklang sein „Und du bist sicher, dass du auch wirklich nichts vergessen hast? Vielleicht noch etwas Punipan, falls auch Dom Raff-ik erscheint?“
Seine Betonung ließ einen Wortwitz zu Lasten des Kanzlers verraten, doch vor allem klang er etwas genervt beim Anblick seiner Schwester. Miréîà hatte die für eine Rahjageweihte gewohnt luftige Kleidung, doch auf ihrem Rücken prangte ein riesiger und offensichtlich prall gefüllter Rucksack. Zudem an beiden Seiten jeweils eine nicht minder gut gefüllte Tragetasche und am Gürtel hingen diverse, laut klappernde Feldflaschen. Ihre Hand hielt die Zügel einer geradezu bemitleidenswerten Maultierstute, deren Satteltaschen jeweils noch einmal die Breite der Trägerin zu erreichen vermochten. Mit etwas Phantasie konnte man dem Tier sogar einen geradezu mitleidigen Blick andichten. Der Blick der Culmingerin hingegen ließ ob der Bemerkung ihres Bruders eine leichte Verärgerung erkennen.
„Hör auf zu unken. Wir werden sicher ein bis zwei Wochen unterwegs sein, da ist es wichtig, gut vorbereitet zu sein. Du wirst mir um das ein oder andere Detail in meiner Ausrüstung noch dankbar sein!“
„Ich sehe mich eher jetzt schon deinen Rucksack tragen, weil du ihn irgendwann nicht mehr packst. Wenn du denkst, du kannst mich so voll packen wie Naschel, dann hast du dich geirrt.“
Miréîà streichelte über die Mähne der Maultierstute. „Naschel wird eine ganz wunderbare Zeit mit meinem Gepäck haben und sehr glücklich sein, es für mich tragen zu dürfen…. Nicht wahr meine kleine?“ Das Maultier gab einen seufzenden Laut von sich. „Siehst du?“
Savertin grinste. „Ich bin gespannt... Und nun lass uns los gehen, sonst verpassen wir noch den Pilgerzug. Ohnehin verrückt, das Ganze mit dem Aufgehen der Praiosscheibe anzusetzen. Die meisten Magnaten werden noch tief und fest schlafen.“
„Ach, der Anlass wird sicher das ein oder andere nächtliche Wecken wert sein. Sie werden kommen, da bin ich mir sicher.“ Sie griff nach einem von zwei etwa zwei Schritt großen Stecken, die an die Wand des Ragather Rahjatempels gelehnt waren. Savertin tat es ihr gleich und griff nach dem zweiten. Tatsächlich wirkten sie in ihrer Aufmachung nun wie arme Pilgerer… mit zum Teil überdurchschnittlich viel Gepäck. Die Geweihte griff zudem nach einer großen Schale mit Wasser, welche Sie auf einem kleinen Tischchen parat gestellt hatte. Vorsichtig ob der nun fehlenden dritten Hand stakste sie langsam nach vorne.
„Wofür ist die Schale? Du hast doch Wasser dabei?“
„Der Fürst kniet schon die ganze Nacht am Marktplatz seiner Stadt. Er wird froh sein, wenn sich ihm die Gelegenheit einer kurzen Katzenwäsche bietet.“
Dom Savertin lachte. „Du hast wirklich an alles gedacht.“
Kurze Zeit später kamen Savertin und Miréîà von Culming am Marktplatz an. Außer Fürst Gwain und Dom Boraccio D'Altea sowie einiger Bediensteter hatten sich noch keiner am Ort eingefunden, aber das teils hektische Rumoren an diversen passierten Gasthäusern ließ schon vermuten, dass sich dies noch ändern würde. Der noch recht kärgliche Anblick trieb ein Lächeln in das Gesicht der Rahjageweihten. „Savertin, ich sage dir, dieses Bild wird noch Geschichte schreiben. Ein kniender, demütiger, schmutziger Fürst, neben ihm ein ebenso kniender, geschundener Krieger und sonst leere, doch am Horizont der flammende Sonnenaufgang der Hoffnung und mit ihm die Silhouette der Edlen, die ihn wie einen Schatten einzuholen drohen.“
„Da wünscht man sich eine Staffelei…“
„Die packe ich jetzt nicht aus…“
„Du hast eine Staffelei….?“
„Shhhh“ Miréîà unterbrach ihren Bruder und drückte ihm die Zügel und den Stecken in die Hand. Dann ging sie zum Fürsten und stellte ihm mit einem wärmenden Lächeln die Schale Wasser vor die Knie. Dieser blickte irritiert auf und sah so ein Gesicht voller Zuversicht, passend zu einer bis an die Zähne bepackten Rahjageweihten. Wortlos setzte sie sich neben den beiden im Schneidersitz auf den Boden. Und auch Dom Savertin kniete nieder. Es konnte los gehen.
Autor: D'Altea
Antara fluchte leise vor sich hin, als sie mit wehendem Umhang zum Ragather Zentrum eilte. Die neuesten Unruhen in Hartsteen und die Kämpfe in der Wildermark hatten Ihre Abreise von Schloss Drak immer wieder hinausgezögert und auch einige Umwege erfordert. Und dann schienen zwischen Gareth und Ragath die Menschen plötzlich zu sterben wie die Fliegen, aber weit und breit war kein Geweihter des Boron zu finden um die Gräber zu segnen außer ihr. Oder zumindest kam es ihr so vor.
Sie war bereits mitten in der Nacht wieder aufgebrochen um noch halbwegs pünktlich zum Morgengrauen in der Reichsstadt einzutreffen. Sie hatte sich gerade noch die Zeit genommen ihr Ross unterzustellen, bevor weiter zum Marktplatz eilte, immer noch im weißen Wappenrock und der schwarzen Rüstung einer Ritterin des Golgaritenordens. "Was für ein angemessenes Pilgergewand", brummte sie spöttisch vor sich hin. Aber andererseits auch wieder passend. Schließlich war sie weniger wegen des geistlichen Seelenfriedens hier sondern hatte handfeste weltliche Interessen. Es ging darum den neuen Fürsten der immer noch wohlhabendsten Provinz des Reiches an die notleidenden Menschen in den anderen Teilen des Reiches zu erinnern. Und an die schweigsamen Streiter der Rabenmark, die Wacht hielten gegen die Schrecken aus dem Osten.
Zunächst hatte sie das Schreiben ihre Bruders Boraccio, worin er sie bat, sich dem Pilgerzug des neuen almadanischen Fürsten anzuschließen, einfach ignorieren wollen. Aber ihr Komtur fand Gefallen an dieser Idee und schickte sie gen Süden anstatt nach Osten zu ihren hart bedrängten Schwestern und Brüdern ihres Ordens. "Der letzte Herrscher Almadas war ein borongläuber Mann, was man auch sonst von ihm sagen mag und lauschte den Worten Seiner Erhabenheit, des Raben von Punin", hatte er argumentiert. "Der neue Fürst ist ein Soldat und ist vielleicht eher geneigt, Berichten von der Front zuzuhören als geistlichen Worten." Dieser Logik hatte sie nicht widersprechen können. Sie erinnerte sich noch an ihre Zeit als Novizin im Tempel von Punin. Der Rabe hatte eine beeindruckende Ausstrahlung, man spürte praktisch die Macht des Herrn in ihm. Aber es brauchte mehr als ein einzelnes Wort Seiner Erhabenheit, mochte es auch noch so wohl gesetzt sein, um den ehemaligen Marschall und neuen Fürsten sowie seine Magnaten von der Notwendigkeit zu überzeugen ihren Blick von ihren streitlustigen Nachbarn ab und den Menschen in Not weit weg zu zu wenden. Vermutlich war es einfacher, einem wandelnden Skelett die Knochen zu zertrümmern als Hilfe von den Edlen Almadas zu erbitten.
Endlich hatte sie den Marktplatz erreicht. Die einsame Gestalt Fürst Gwains kniete im Staub, hinter ihm hatten sich im respektvollen Abstand bereits weitere Pilger eingefunden. Antara erkannte die hünenhafte Gestalt ihres Brudes Boraccio. Ebenso fiel ihr die merkwürdig bepackte Gestalt einer Geweihten der Rahja auf. Sie seufzte innerlich ... borongefälliges Schweigen würde wohl nicht zu den Prioritäten dieser Pilgerreise gehören. Kurz hielt sie an, um Wappenrock und Haare zu ordnen, die ihr Rennen durcheinander gebracht hatte, dann schritt Antara D'Altea, Dierin Golgaris und Ritterin des Orden des heiligen Golgari, in abgemessener Würde zu den bereits versammelten Pilgern.
Autor: lindholz
Nicetos von Lindholz führte seine geliebte Frau Siona durch die Tür des Hotels "Goldenes Schwert" und trat auf die gepflasterten Straßen des Burgviertels. Dort warteten bereits vier Waffenknechte seines Hauses, auf deren Geleit der Baron auch während des nur kurzen Weges zum Marktplatz nicht verzichten wollte. Ein kaum sichtbares Zeichen ihres Anführers, des jungen aber äußerst disziplinierten Espejo Bajoza, genügte und die Bewaffneten nahmen ihre Positionen ein, während auch die beiden Töchter und der Sohn des Barons das Gasthaus verließen.
Zwar galt das "Goldene Schwert" als noble Unterkunft, doch war es nicht das beste Haus am Platze. Dom Nicetos war verärgert, dass es ihm nicht mehr gelungen war, Räumlichkeiten für die Seinen in Hotel "Am Markt" aufzutun. Von dort hätte er mit nur einem Blick aus dem Fenster beobachten können, was sich auf der Piazza abspielte und an den ersten Gästen ermitteln können, ob die seiner Familie von ihm diktierte Kleiderwahl passend gewählt war. Da ihr Fürst diese Reise als einfacher Pilger anzutreten gedachte, hatte Dom Nicetos auf gedeckten Farben bestanden. Sowohl Lianna als auch Alisea hatten sich daraufhin für eine Kombination aus eng anliegender schwarzer Hose, einem mit zurückhaltenden Stickereien versehenen Bolero, der eine in grau, der andere ebenfalls in schwarz, samt passender Bluse entschieden. Nur seine Gemahlin hatte auf ein Kleid in gedecktem Lindholzer Grün bestanden, da sie eine Hose für ein unpassendes Kleidungsstück für ein Treffen mit dem Fürsten des Landes angesehen hatte - besonders in ihrem Alter. Dom Nicetos hatte ihr später in der Nacht deutlich zu verstehen gegeben, wie wenig ihre Figur an Jugendlichkeit verloren hatte, doch ließ sie sich nicht erweichen. So ganz war die Albernierin wohl einfach nicht aus ihr zu vertreiben. Zumindest war auch ihre Kleiderwahl insbesondere das Schuhwerk durchaus bequem. Amaros, sein Sohn, hatte solche Schwierigkeiten nicht: die Magierrobe in dunklem Beige war als Erkennungszeichen seiner Zunft stets eine passende Wahl.
Die kleine Gruppe setzte sich nach rechts in Bewegung. Gestützt von schweren Regenwolken hielt das Zwielicht sich noch in den Gassen und Straßen der Stadt, während schwere Tropfen auf das gräuliche Pflaster schlugen. Dennoch kündeten selbst unter diesen wenig schmeichelhaften Bedingungen die Fassaden der angrenzenden Häuser der Handwerkerschaft vom wachsenden Wohlstand ihrer Besitzer. Dom Nicetos erinnerte sich an die Macht des Patriziats, die er in den liebfeldischen Städten erlebt hatte. Dort gab es viele Adlige, die vor dem goldenen Glanz des Bürgertums die Augen senken mussten. Narren, die die Zeichen der Zeit verkannt hatten!
Die kleine Gruppe bog nach links. Zweihundert Schritt vor ihnen ragte die Festung des Grafens hoch über der ragathische Hauptstadt auf. Der wehrhaften Burg haftete jetzt im grauen Morgendunst tiefe Tristesse und Düsternis an. Doch nicht lange mussten sie den Blick, der besonders seiner Tochter Alisea ein Dorn im Auge zu sein schien, nicht ertragen: Ihr Weg führte sie nach rechts, um sie nach einer Weile am Palacio Sforigan vorbei auf den Marktplatz zu entlassen. Dort hatten sich bereits die ersten Adligen trotz der frühen Stunde eingefunden. Nicetos von Lindholz erkannte Boraccio d’Altea, den caldaïschen Condottiere, der dem Fürsten den Titel eines Cronvogtes verdankte, so wie er selbst durch Gwain von Harmamund zum Baron geworden war. Die Anwesenden knieten, im stummen Gebet versunken und so zögerte Nicetos von Lindholz nicht: Er befahl seinen Waffenknechte am Rande des Marktplatzes zu warten und betrat mit Frau und Kindern die Piazza, wo sie sich zu den übrigen Almadaner Adligen gesellten und auf die Knie sanken.
Beim Anblick der regennassen Gestalt des alternden Fürsten, dessen Nachfolge noch völlig offen war, stahlen sich düstere Fragen in den Kopf Dom Nicetos. Ungeachtet seiner Ergebenheit und Dankbarkeit, die er dem ehemaligen Marschall entgegenbrachte: Konnte dieser Mann Almada wirklich in eine prosperierende Zukunft führen? In eine Zeit, da die Grenzen wieder gesichert und fehlgeleitete Heiden in die Lande jenseits dieser Demarkationslinie verbannt waren? Nach der Pilgerfahrt würde er es wissen. Mit seinen Gedanken allein, schickte auch der Magnat aus Artésa seine Worte gen Alveran.
Autor: beiras
Bereits geraume Zeit hatte Dom Franco de Beiras y Vivar den Marktplatz beobachtet. Lange Zeit war der Platz nahezu verlassen gewesen, nur der Fürst hatte dort gekniet und gebetet. Eine helle Gestalt, die sich durch ihr Gewand im fahlen Licht von der Umgebung abhob. Man hätte glauben können, es handele sich um eine Statue, denn trotz des widrigen Wetters hatte Dom Franco keinerlei Regung der Gestalt feststellen können.
Die Nacht war viel zu früh beendet gewesen für ihn, er hatte einfach nicht mehr schlafen können. Und so hatte er sich fertig gewandet und die notwendigen Anweisungen gegeben, um ihren Aufbruch vorzubereiten. Dann hatte er sich an das Fenster der Schlafkammer, die er mit seiner Gemahlin bezogen hatte, gesetzt und den Marktplatz beobachtet.
Irgendwann, er konnte nicht mehr genau sagen, wie lange dies bereits her war, hatte ihm Domna Yedra Brot und einen Becher Wein auf den kleinen Tisch vor ihm gestellt. Während er zugriff hatte sie sich neben ihn gestellt, ihm eine Hand auf die Schulter gelegt und ebenfalls auf den Marktplatz gesehen. "Langsam füllt sich der Platz."
Er nickte und antwortete ihr, nachdem er ein Stück Brot hinunter geschluckt hatte. "Ja, ermahn' die Kinder, sich zu sputen. Ich wollte zwar nicht der erste sein, der hinter unserem Fürsten auf die Knie fällt, doch der Anstand gebührt es, dass wir uns bald auf den Weg machen."
Er blickte seiner Gemahlin hinter her, die am heutigen Tage zu einem schwarzen Samtkleid gegriffen hatte. Ihre leisen Schritte verrieten, dass sie flaches Schuhwerk trug. Wie immer war auch er in schwarz gekleidet. Das Hemd zeigte als einzige Zier grausilberne Fäden, die dezent auf dem schwarzen Untergrund glänzten.
Seufzend schob er sich den letzten Kanten Brot in den Mund und stand auf, um die Kammer zu verlassen. Unten wurde er bereits erwartet, wie er lächelnd feststellte. Zwar machten Salvestro, Corvara und Luciana den Eindruck, als hätten sie gerne noch ein wenig in den weichen Betten des Hotels "Am Markt" geschlafen, aber eine gewisse Aufregung war in ihren jungen Gesichtern zu erkennen. Nach einer kurzen, aber warmherzigen Begrüßung seiner Kinder verließen sie den Gastraum, die Zeche hatte Dom Franco bereits bezahlt.
Draußen standen die fünf Mercenarios, die sie den ganzen Weg aus Bangour bis hierher begleitet hatten. Einer saß auf dem Bock der Kutsche, in der die Frauen reisen sollten, die anderen standen neben ihren schwarzen Rössern. Einer hielt die Zügel zweier weiterer schwarzer Rösser in der Hand, auf denen Dom Franco und Salvestro reisen würden. "Wir werden uns nun zum Fürsten begeben. Ihr", er wandte sich an die bewaffneten Mercenarios, "werdet Euch am Rande des Marktplatzes im Hintergrund halten und warten."
Er blickte seine Familia an, hielt Domna Yedra den Arm hin, auf dem diese ihre Hand ablegte. Dann schritten die beiden ruhigen Schrittes auf die anderen Pilger zu. Ihre Kinder folgten ihnen mit verhalteneren Schritten. "Schau mal, Corvara, eine Rahjageweihte ist auch dabei", flüsterte Luciana. Die Angesprochene nickte und strich sich noch einmal über ihre schwarz-rote Bluse. Ihre schlanken Beine steckten in schwarzen Beinkleidern und einem paar hoher, schwarzer Stiefeln.
Die Familia näherte sich wie eine kleine schwarze Welle dem Mittelpunkt des Marktplatzes. Dort angekommen, folgten die Kinder dem Beispiel ihrer Eltern und alle knieten sich hinter ihren Fürsten.
Autor: cres
Auftritt der Herr von Cres: Vergnügt klatscht er in Anbetracht des strömenden Regens in die Hände. „Ah! Ein Wetterchen wie an einem schönen Sommertag in Liebnostrien! Erinnerungen werden wach!“
Er wendet sich an einen seiner bekutteten (und berittenen) Begleiter: „Medicus, am besten sucht Ihr Euch ein trockenes Plätzchen. Wir wollen ja nicht, dass Ihr malad seid, wenn Dom Hesindian oder einer der anderen alten Knaben Eurer Dienste bedarf. Glaubt mir, der Fall wird früher eintreten als Ihr denkt! Esst solange etwas, aber nicht nur wieder einen Kanten Brot und einen Becher Wein. Tut so, als wärt Ihr ein echter Almadaner. Der Kämmerer hat Euch zwar vermutlich billig erstanden, das heißt aber nicht, dass er Euren Speisezettel regiert. Ich werde schon mit ihm reden.“
Medicus ab.
Creser murmelt sorgenvoll in den nicht vorhandenen Bart: „Vielleicht sollte ich diese Ausgaben lieber geheim halten. Er wird von Jahr zu Jahr knausriger.“
Herr von Cres an nächsten Begleiter: „Hast du auch genügend Pflästerchen für wunde Füße und dein Schnitzwerkzeug, falls einer der Gehstöcke gerichtet werden muss? Noch ist Zeit!“
Er hebt an, zweistimmig ein offenbar altes Volkslied zu singen. Man vernimmt einige Worte: „Wenn im Rondra der weiche Regen fällt. Kuck-kuck, kuck-kuck...“
Autor: derp
Am Rande des Marktplatzes von Ragath hatten sich ein Mann und eine Frau zum gemeinsamen Gebet aufgestellt. Es waren die der ehrenwerte Junker Ettel von Derp zu Gut Hornenfurt und seine liebreizende Frouwe Sveva ai-Gurth, die als Junkerin der Hornenfurt nicht nur für die regelmäßig von ihr einberufenen Wehrübungen bekannt wurde.
Junker Ettel: „Ehre sei Dir, ehrwürdiger Herr Praios, für die gerechte Macht zur Herrschaft, die Du den Menschen für des Heldenzeitalter zugewiesen hast und Ehre den Magnaten, die Deine gerechte Herrschaft dem Volke verständlich machen.“
Junkfrau Sveva: „Ehre sei Dir, ehrwürdiger Herr Efferd, der Du ins in Deiner Wut und Trauer verständlich machst, was Dein Wille für die Menschen ist. Wenn Dein Regen über das Land fällt, erinnern wir uns all der Verfehlungen, die uns nun zu diesem Pilgerzug bewogen haben. Möge Dein Gemüt besänftigt werden und Deine Trauer von Dir lassen.“
Junker Ettel: „Ehre sei Dir, ehrwürdiger Herr Ingerimm. Zu Brig-Lo strittest Du gegen die Dämonen und ihre Diener. Wer Dir dient, der verrichtet sein Handwerk in Ehrfurcht, was die Dir genehme Form der Meditation ist. Hier in Almada sind Deine Werke allgegenwärtig und in Ehrfurcht gedenken wir all der Werke, die in Deinem Namen gefertigt wurden. Es fürchte aber jeder Deinen Zorn, der in Deinem Namen schlechtes Handwerk vollbringe und damit die Menschen täusche.“
Junkfrau Sveva: „Ehre sei Dir, ehrwürdige Frouwe Rondra, die Du uns zu Brig-Lo wahren Kampfesmut lehrtest. Schlachten und Kriege sind Orte, an denen Deine Macht den Menschen besonders deutlich wird. Du liebst es, wenn das Blut der Frevler an Deinem Glauben die Gräben und Äcker füllt und Gerechtigkeit unter den Menschen herrscht. Du liebst die innere Versenkung zu Deinen Ehren, wenn der Gerechte den Schwerttanz zelebriert, und Du liebst die Schönheit eines gestählten Körpers, der Dein gerechtes Wort unter die Menschen bringt.“
Beide: „Mögen die Zwölfe diese Reise segnen und möge die Hohe Herrin Hesinde uns die Weisheit geben, stets die rechten Worte zu sprechen, damit diese Reise an den Ort der Historie zu innerer Einkehr und fürderhin mehr Gerechtigkeit unter den Menschen führe.“
Demütig verharrten nun beide schweigend, bevor sie sich wieder dem Zug der anderen Pilger anschlossen. Gleichfalls hoch zu Ross wurden Sveva und Ettel von ihren jeweiligen Leib- und Lieblingsdienern sowie den gemeinsamen Kindern begleitet.
Kurz vor dem Puniner Tor (zeitgleich)[Quelltext bearbeiten]
Autor: dalias
Die Kutsche polterte über die Landstraße. Staub wirbelte auf. Praios' warmer Sonnenschein lag über dem trockenen Land. Alvaro Manticco, Caballero von San Marwan, drückte seinen Rücken in die gelbe, mit kleinen schwarzen Greifen aus Seide verzierte Polsterung der Rückenlehne. Es lag nicht lange zurück, das wusste er, da gehörte diese Kutsche Seiner Exzellenz Dom Gualdo Ippolito Honorio di Dalias y Gurnabán, Banus der Grafschaft Yaquirtal, Junker von Dalias, Castellan von Ratzingen und Sherbeth. Aber Tote brauchen kein Eigentum und keinen weltlichen Besitz. Keine Lakaien, Aufwärter, Mätressen – und keine Pretiosen. Der Caballero de San Marwan drehte seine linke Hand und betrachtete versonnen das Glitzern eines schweren, diamantengeschmückten Goldringes im hereinfallenden Praioslicht. Tote brauchen keine Pretiosen – wahrlich nicht. Lebende dagegen schon.
Geringschätzig ließ er seinen Blick über sein Gegenüber wandern. Sein Schwestersohn Pribaldo Tracodi nestelte unablässig in einem dicken Packen Konzepte herum. Er war bleich. Die rasche Fahrt der Kutsche schien ihm in keiner Weise zu behagen. Bei jedem Stoß blickte er erschreckt auf. Pribaldos Bruder Quintiliano hatte alles, was Hesinde und Rahja dem Einfaltspinsel Pribaldo verwehrt hatten. Und doch hatte Pribaldo vor zweieinhalb Götterläufen seinen Nutzen in Santa Catalina im Taubental mustergültig unter Beweis gestellt. Auch wenn Pribaldo nicht so blitzgescheit, scharfzüngig und blendend wie sein Bruder war, so liebte Alvaro Manticco den „Waldwachter“, den „Vivaresen“, wie er seinen Neffen Pribaldo liebevoll und zugleich spöttisch nannte, doch mehr. Er war fleißig und anständig. Außerdem brauchte er Quintiliano als Aufpasser für Baron Ranudo in Ratzingen, da dieser vor lauter Aufregung und Nervosität schier unpässlich geworden war und unmöglich in dieser Kondition dem Fürsten oder den anderen Magnaten hätte begegnen können. Ausgeschlossen. Der bloße Gedanke an diese Zusammenkunft hatte Ranudo IV. Eslamo di Dalias y las Dardas dreimal stündlich auf den Abort getrieben.
So war es nun an ihm, Caballero Alvaro Manticco de San Marwan, die Baronie Nemento und die Dominie Dalias bei diesem Pilgerzug würdig zu vertreten und dem Fürsten seinen wohlmeinenden Rat zu bieten. Dabei wurde er zu allem Überfluss von der ältesten Schwester des Barons begleitet.
Alvaro Manticco streckte seinen Kopf aus der fahrenden Kutsche. Vor der Kutsche ritt Yppolita di Dalias y las Dardas, Caballera de Niverocca, auf einem reinweißen stolzen Yaquirtaler. Ihr blauer Caldabreser mit Pfauenfedern schaukelte aufgeregt. Ihr Nacken war breiter als es sich für einen Almadaner Noblen schickte. Gänzlich unschicklich war auch ihr Betragen: Sie fraß und trank, als gäbe es kein Morgen. Neben ihr ritt ein blondbezopfter, drahtiger Waffenknecht, mit dem sie sich laut lachend unterhielt: Sten Helmdahli Varghjärta. Der nordländische Mercenario trug den schwarz-gelben Rock der „Schwarzen Greifen von Dalias“. Hinter den beiden folgten, ebenfalls zu Ross, die beiden jungen Mägde Yppolitas. Die beiden vorlauten und ungeschliffenen blutjungen Dienerinnen Marbiane und Golgariana führten das Streitross und ein weiteres edles Reittier hinter sich und schnatterten – ihren Namen jegliche erdenkliche Unehre erweisend – unentwegt wie die dummen Gänse, die sie waren.
Alvaro Manticco zog seinen Kopf wieder herein und schüttelte ihn. Mit einem „Pribaldo!“ fuhr er seinen Neffen an.
Erschrocken blickte der Angesprochene auf: „Ja, Onkel?“
„Weißt Du, ob dieser Sten Helmdahli etwas von seinem Handwerk versteht? Oder kommt dieser Haferyaquirier nur mit, um sich den Wanst auf Kosten meines Herrn vollzuschlagen?“ Lauernd musterte Alvaro Manticco die Gesichtszüge seines Neffen.
„Ich denke… äh… doch. Yppolita, äh, die wohlgeborene Domna Yppolita, also, also, entschuldigt, Onkel, die Dame hat mir erzählt… dass, dass er… also ja… dass er schon einmal einen Tatzel… Tatzelwurm am Schweif… Schwanz, ja Schwanz gezogen hat, ja…. Nur so… zum Vergnügen.“ Pribaldo Tracodi zwang sich zu einem beiläufig und müde wirkenden Lächeln, das nicht verraten sollte, wie sehr ihn diese Geschichte Domna Yppolitas amüsiert hatte.
„Nun, wenn es mal kein Regenwurm war, mein Junge.“ Dom Alvaro bleckte seine Zähne zu einem Grinsen.
„Mehr Sorgen mach… mach ich mir, wegen der anderen beiden Waffenknechte. Sie-sie haben beide… so… so eine Vergangen…“, raunte Pribaldo seinem Onkel verschwörerisch zu.
„Die gute Mondina Al'Kira hat sich schon immer für die Familia di Dalias geschlagen. Nur hat sie das eben zwölf Götterläufe für Dom Ippolito und Dom Gualdo getan. Sie taugt und sie ist verlässlich. Das Panier der Familia ist ihr gewissermaßen ins Herz gebrannt. Ebenso wie ihrer Mutter vor ihr und ihrem Großvater davor. Und zu welchem Wüstengötzen sie dabei betet, ist mir einerlei. Tsacario Wehrheimero ist zwar ein Hitzkopf, aber er hat der Familia von Cerastes gut gedient. Warum soll er nicht auch dem neuen Baron von Nemento treu bis in den Tod dienen?“ Die rechte Augenbraue Alvaros schob sich nach oben und sein Blick fixierte Pribaldo Tracodi. Dieser schlug ergeben die Augen nieder. „Mach Dir keine Sorgen, Pribaldo. Wir haben gute Diener bei uns – zumindest trifft dies auf manche von ihnen zu, und wir sind gut vorbereitet. Wir haben Geschenke dabei: Ein junges Pferd für den Fürsten, einen Raufdegen für den Grafen, Fächer und Schmuck für die Freunde der Familia... und die Damen.“
„Und für jeden der vier Zwö… Zwö… Zwölfe von Brig-Lo die Pilgerzeichen: Bernstein, ja äh,… Bernsteinamulette für Praios, Far… Farbe für das Mythraelsmal, Elidamuscheln für Efferd, Lampen für Ingerimm“, ergänzte Pribaldo seinen Onkel oberlehrerhaft.
Als würde er eine lästige Fliege verscheuchen wollen, fuhr Caballero Alvaro Manticco mit der Hand durch die Luft. Stille legte sich über das Innere der Kutsche. Die beiden Männer, Onkel und Neffe, blickten sich schweigend an.
„Herr, Dom Alvaro!“, hörten sie den Ruf von Alvaros Lakai Praiobur vom Kutschbock, „wir sind am Ziel: Das Tor Ragaths!“ Im nächsten Augenblick schon verlangsamte sich allmählich das Tempo der Kutsche und das Gesicht Pribaldo Tracodis gewann wieder etwas an Farbe.
Auf Castillo Ragath (kurz darauf)[Quelltext bearbeiten]
Autor: madjani
"Autsch! Pass doch auf, Du törichtes Balg! Wenn du mir nur noch ein einziges Haar ausreisst, dann schneide ich dir all deine aschblonden Spinnweben ab und dreh mir daraus eine Reitgerte, das schwör ich dir! Wie kann man nur so dumm und ungeschickt sein?" Wütend funkelte Rahjada-Mera von Ehrenstein und Streitzig, die wunderschöne zweitgeborene Tochter des Grafen von Ragath, das Spiegelbild ihrer verängstigten jungen Kammerzofe Cecilia an, die ihr ihre verfluchte garetische Verwandtschaft mütterlicherseits an den Hof geschickt hatte. Die Augen des jungen Mädchens füllten sich mit Tränen, die sie tapfer wegzublinzeln versuchte, während sie schluckend weiter die bosparanienbraune Mähne ihrer Dienstherrin Strähne für Strähne nach hinten kämmte, um ihr einen kunstvollen Zopf zu flechten. Die Comtessa hatte eigentlich prachtvolle Locken, aber wie die meisten Frauen mit gewelltem Haar, hasste sie ihre Locken und ließ sich die Haare nach der Vinsalter Mode künstlich mit dem Brenneisen glätten.
"Wag es nicht, mir auf mein neues Mieder zu flennen, du elender Nichtsnutz! Allein die Perlenstickerei im Nacken ist mehr wert, als deine ganze Sippschaft im Jahr erwirtschaftet!", beäugte die Grafentochter die eingeschütterte kleine Garetierin weiterhin verächtlich im großen, messinggerahmten Spiegel, während sie ihren schlanken Zeigefinger in ein Döschen mit Lippenfarbe tauchte und ihren Mund mit einigen versierten Tupfern und Strichen kirschrot färbte.
"Was ist das für ein Lärm da draußen?", frug sie dann ihre Zofe, da diese im Stehen durch die hohen Fenster der Kemenate nach draußen auf die Gassen der Stadt blicken konnte, während sie selbst im Sitzen nur deren rostrote Ziegeldächer sah.
"Hm, irgendeine Zusammenballung auf dem Marktplatz, Domna. Ich sehe dort viel Volk versammelt. Hm, so etwas wie ein Jahrmarkt vielleicht?" mutmaßte die kleine Garetierin kleinlaut.
"Tz tz, trifft sich der Pöbel jetzt schon anderntags? Heute haben wir doch gar keinen Markttag! Los, los, mach das Fenster zu! Ich will nicht, dass der widerliche Gestank ihrer ungewaschenen Leiber hier heraufzieht!", befahl ihr Rahjada und rümpfte die Nase - nicht nur wegen der Vorstellung, sondern auch weil sie den aktuellen Stand von Cecilias Frisier-Bemühungen begutachtete und für schlecht erachtete.
Als die kleine Kammerzofe das Fenster geschlossen hatte und wieder hinter ihren Stuhl trat, packte Rahjada sie am Handgelenk und hieb ihr ohne Vorwarnung zweimal die hölzernen Zinken des Kamms auf den Handrücken, wo sie zehn blutrote Punkte auf der weißen Hand des Mädchens zurückließen. "Das nennst du glätten, Taugenichts? Willst du vieleicht, dass ich mich als eine Vogelscheuche wie du präsentiere? Mit Sicherheit nicht!"
Nun konnte die kleine Garetierin ihre Tränen nicht mehr zurückhalten und schlug schluchzend die Hände vors Gesicht. Statt ihrer trat in diesem Moment Ambrocena di Mandana, die oberste Leibzofe der drei gräflichen Schwestern und Rahjadas Freundin und Vertraute seit vielen Jahren, an den Stuhl ihrer Dienstherrin heran und schob Cecilia behutsam an den Schultern beiseite. "Ich übernehme das jetzt! Lauf hinunter in die Küche und schaue nach, ob das Frühmal bereit zum Auftragen ist."
"So ein unnützer Trampel ist mir ja schon lange nicht mehr unter die Augen gekommen! Ich werde sie mit einem hübschen Brief zu Mutters Verwandtschaft zurückschicken und dazu schreiben, daß ich keine Garetierin mehr sehen will!", fauchte Rahjada, deren dunkle Augen gefährlich unter den langen Wimpern blitzten.
"Beruhigt Euch, meine Liebe, sie ist eben noch ein halbes Kind!", flötete Ambrocena besänftigend. Die Dubianerin wusste gut, welche Melodei sie bei den nicht seltenen Wut- und Temperamentsausbrüchen ihrer mittleren Herrin anschlagen musste. "Im übrigen ist das dort unten keineswegs ein Jahrmarkt, sondern das Preludium eines Pilgerzuges. Man sagt, der Fürst selbst habe die Nacht drunten auf dem Marktplatz verbracht, um einen magnatischen Pilgerzug anzuführen, der ihn und zahlreiche Angehörige der Nobleza bis zur Walstatt von Brig-Lo führen soll."
"Aber warum sollte er so etwas Törichtes tun, der Fürst? Ich meine, die Nacht unter freiem Himmel verbringen, wo er doch hier bei uns hätte Quartier nehmen können? Er ist nicht verheiratet, oder?", entspannte sich Rahjada-Meras Miene wieder unter der geübten Frisierkunst ihrer Leibzofe, die ihr an den meisten Tagen ihrer aufwändigen Frisuren flocht und striegelte.
Ambrocena musste grinsen. "Nein, das ist er nicht! Aber er ist ein alter Mann - viel zu alt für dich...äh für Euer Wohlgeboren!" Hin und wieder, wenn sie unter sich waren, rutschte ihr die vertrauliche Anrede heraus. Bei Rahjada und ihrer jüngeren Schwester Romina Alba war das kein Problem - nur Concabella Blanca, die zukünftige Gräfin, zog bei derlei Vertraulichkeiten sofort pikiert eine Augenbraue in die Höhe.
"Umso besser! Alte Männer sterben früh und hinterlassen junge Witwen!", stellte Rahjada todernst fest und zog mit einem Kohlestift ihre hübsch geschwungenen Augenbrauen nach. "Wer wird sonst noch so alles an diesem Pilgerzug teilnehmen? Auch irgendwelche gutaussehenden jungen Barone? Ob verheiratet oder nicht, ist mir eigentlich egal - sowas muss ja in der heutigen Zeit kein Hindernis mehr sein..." Sie blinzelte Ambrocenas Spiegelbild vorwitzig zu.
"Du bist unmöglich!", prustete die Hofdame vor Lachen. "Aber ja, der Fürst hat alle Magnaten des Landes geladen! Alle Barone, Junker und Edle, die etwas auf sich halten, werden bei diesem Pilgerzug zugegen sein! So hörte ich jedenfalls Eures Vaters Castellan gestern sagen, der einige von ihnen auch hier auf der Burg einquartiert hat."
"Wirklich?", die Comtessa klatschte begeistert in die Hände. "Das bringt endlich Leben in dieses langweilige Gemäuer! Überhaupt war ich die längste Zeit hier eingesperrt! Das wäre doch eine famose Gelegenheit, einmal meine neue Reithose und die Rüschenbluse zu präsentieren, die mir Onkel Gendahar von der kaiserlichen Hochzeit aus Punin mitgebracht hat. Ich werde mich also diesem 'Pilgerzug' des Fürsten anschließen - zumindest ein Stück weit!"
"DU ???" Domnatella Ambrocena ließ den Kamm sinken und starrte ihre Freundin mit ungläubig geweitetem Blick an.
"Ja, ich! Wieso denn nicht? Bei dieser Gelegenheit werde ich endlich auch einmal ein bißchen Land und Leute kennenlernen und etwas anderes sehen, als bloß die Vogtei Ragathsquell. Die kenne ich nämlich inzwischen zu Genüge!"
"Ja aber... das ist ein P i l g e r z u g! Du bist doch...ähem...also....ich meine....du bist nicht gläubig!", brachte die Leibpagin mit all ihrem Mut ihre Bedenken vor.
"Waaaas? Und wie ich gläubig bin!", verdüsterte sich Rahjadas Miene wieder gefährlich, so daß Ambrocena ihr rasch wie besänftigend über die langsam Gestalt annehmende Haarpracht strich. "Welches Buch liegt zum Beispiel da drüben auf meinem Schreibpult?"
"Äh, das Brevier der zwölfgöttlichen Unterweisungen", antwortete Ambrocena wahrheitsgemäß. Sie wusste aber auch, dass das Buch ein Geschenk der Literatur liebenden Concabella zu Rahjadas 18tem Tsatag gewesen war und seit jenem Tag lag das Buch dort. Die dicke Staubschicht, sowohl auf dem Buch, wie auch auf dem gesamten Schreibpult, sprachen Bände.
"Ich und nicht gläubig, papperlapapp! Du wirst schon sehen, wie eifrig ich den Göttern auf diesem Pilgerzug huldigen werde!" echauffierte sich die Comtessa weiter.
"Oh ja, das kann ich mir bildich vorstellen!", grinste Ambrocena und wusste, dass von den himmlichen Zwölfen wohl allein Rahjadas alveranische Namenspatin ihre helle Freude an dem leidenschaftlichen Wildfang haben würde. Dann aber wurde ihr der erste Teil von Rahjadas Ankündigung bewußt. "Einen Moment, was meinst du mit: Du wirst schon sehen..."?
"Du wirst mich selbstverständlich auf diesem Ausritt begleiten! Schließlich brauche ich Dich dann beizeiten als Führerin in deiner dubianischen Heimat, meine Liebe!", lächelte die Comtessa.
"Wir reiten nach Dubios?", wiederholte Ambrocena di Mandana erschrocken. Widerspruch gegen Rahjadas Willen war sowieso zwecklos und neben den Allermutigsten vielleicht höchstens deren Mutter, Gräfin Rohaljia, gewährt. Alle anderen bei Hofe - der hohe Herr Graf eingeschlossen - waren es gewohnt, nach Rahjadas Pfeife zu tanzen.
Etwa anderthalb Stunden später - so lange hatte das Ankleiden gedauert - traten die beiden jungen Frauen hinaus in den geschäftigen Hof der Grafenfeste, wo sogleich alle Gespräche verstummten und sich alle Blicke auf sie richteten. Die Comtessa trug, wie bereits angekündigt, ihre neue hautenge dunkelblaue Reithose und ein an der Taille geknotetes edles Rüschenhemd, dazu einen vorwitzigen blauen Caldabreser mit einer Pfauenfeder darauf. Ambrocena di Mandana trug ein etwas weiteres karmesinrotes Reitkostüm, auch sie hatte sich einen Caldabreser aufgesetzt, wenn auch - des Standesunterschiedes wegen - nur mit einer Hahnenfeder.
"Ich brauche zwei Freiwillige, die mich auf einem längeren Ausritt begleiten!", rief Rahajada, nach dem sie einen Moment lang die Aufmerksamkeit genossen hatte, den ihr Auftritt stets hervorrief.
"Hier!"
"Hier!"
"Hier!"
"Nein hier! Ich begleite sie!"
"Hier Comtessa! Ich begleite Euch!"
Überall im Hof flogen blitzartig die Hände junger und auch schon etwas betagterer Männer nach oben. Alle plusterten sich auf, um von ihr wahrgenommen zu werden, manche sprangen gar in die Höhe oder ruderten wild mit den Armen.
Ambrocena hielt sich kichernd die behandschuhte Rechte vor den Mund. Sie hatte zwar schon des öfteren davon gehört, aber noch nie mit eigenen Augen gesehen, wie sich gestandene Mannsbilder derart zum Affen machten, um nur für einen kurzen Moment einen Gunstbeweis der schönen Comtessa zu erlangen.
"Hm, also gut.... jener dort!" Rahjada deutete wahllos eine der Burgwachen heraus. Einen jungen, sonnengebräunten Burschen mit glutvollen Augen und breiten Schultern, der mit stolzgeschwellter Brust näherkam, als wäre er der Riesenoger Rachkush höchstpersönlich.
"Sehr gut! Dein Name ist Padro, nicht wahr?", hielt ihm Rahjada ihre gleichsam behandschuhte und beringte Rechte zum Kuss entgegen. Der junge Mann blickte vorwurfsvoll auf, während seine Lippen sich scheinbar gar nicht mehr vom Leder ihrer Handschuhe lösen wollten. "Padro? Nein, Padro ist ein Stallknecht - mein Name ist Vermonte, Euer Lieblichkeit!"
"Padro, Vermonte - klingt doch fast gleich!", entzog ihm Rahjada schnippisch ihre Hand und deutete in Richtung des Hofstalls. "Los, hol er meinen Schimmel und auch das Pferd vom Domnatella Ambrocena! Danach wird er sein eigenes Ross satteln, denn ich brauche Geleit für einen Ritt hinunter in die Stadt, um am Pilgerritt unseres Fürsten teilzunehmen."
"Ich eile!", zog sich der junge Mann unter einer tiefen Verbeugung zurück, der sein Glück kaum fassen konnte. Alle anderen Gardisten warfen ihm finstere Blicke zu, aus denen nichts als Mißgunst und Eifersucht sprach - es war ihm völlig einerlei!
"Gut!", klatschte Rahjada wieder in die Hände, wie sie es oft und gerne tat und deutete auf einen weiteren jungen Gardisten. "Er da! Geh ihm zu Hand! Er wird uns ebenfalls begleiten!"
Der junge Kerl strahlte über das ganze Gesicht und wollte schon losrennen, als ihn Rahjadas "Nein! Warte!" in der Bewegung innehalten ließ. Entsetzt folgte sein Blick dem der schönen Grafentochter, die hinüber zum Palas blickte, wo gerade Ardan von Kündoch, ein Leutnant der gräflichen Reiterei aus der tobrischen Heimat des Grafens, aus dem Herrenhaus trat.
Der stocksteife Tropf hatte ihre kleine Schwester Romina aus den Ferkinabergen zurückgebracht und sie auch danach auf ihren ungeheuerlichen Ausflug in die Waldwacht begleitet. Es war für jedermann bei Hofe offensichtlich, dass er ganz verschossen in die Kleine war - und umso besser gefiel Rahjada der Gedanke, ihn erst einmal schön von ihr fernzuhalten.
"Leutnant Kündoch!", rief sie ihn zu sich, innerlich höchst amüsiert, über sein ebenso überraschtes wie erschrockenes Gesicht. "Sattelt Euer Pferd und packt rasch alles für Euch Notwendige zusammen! Denn die nächsten Tage werdet Ihr ausnahmsweise einmal MICH begleiten! Also los - rapido! Wir warten drunten am Tor auf Euch!"
Autor: ehrenstein
Der Angesprochene seufzte unmerklich und deutete mit einer Verbeugung an, ganz zu Diensten zu sein. Er hatte damit gerechnet, die Familia auf der Pilgerreise zu begleiten, doch musste es gerade diese Schwester sein? Kurz glitt sein Blick zu einigen der Fenster hoch, dann schritt er zum Stall. Dort oben machte sich die jüngste Tochter zur Abreise fertig. Domna Romina. Er machte sich Sorgen. Sie schien sich gänzlich in ihr Schicksal zu fügen, doch er wusste es besser. Sie war nicht begeistert, jetzt doch den noch sehr jungen Jurios heiraten zu müssen. Er hätte sie zu gerne davor bewahrt, hatte sich so oft darüber Gedanken gemacht, hatte mit ihr über Möglichkeiten reden wollen. Nach der Sache im Taubental hatte sie sich zurückgezogen, war noch ernster geworden.
Er war dabei gewesen, als der Graf zum ersten Mal seine jüngste Tochter höchstselbst rügte, ihrem Wunsch nach familiärem Rückhalt nicht nachgab und ihr stattdessen vor Augen zu führen verstand, was passierte, wenn die Geschehnisse publik würden. Ihre Ehre war in Gefahr und da sollte sie darüber hinwegsehen können, dass einige Magnaten sie rüde behandelt hatten. Er würde sich mit den Herren verständigen und dafür Sorge tragen, dass alles unter einem hübschen Deckmäntelchen blieb. Sie habe sich natürlich von dem Vivar fernzuhalten und mit den Exkursionen wäre auch erst einmal Schluss. Sie habe zu wenig Erfahrungen in der Haushaltung, er und die Gräfin wären der Meinung, dort wäre noch viel für sie zu lernen.
Seitdem hatte die junge Comtessa Ragath nur für ihre Verlobung mit dem blutjungen Antorio von Jurios verlassen. Der Kaiser höchstselbst hatte diese Verbindung verfügt. Nach dem Sturz Selindian Hals hielt Graf Brandil schützend seine Hand über den jungen Baron Jurios und bestätigte das Eheversprechen. Auf Rominas ausdrücklichen Wunsch war die Hochzeit wenigstens auf den Mond nach dem Pilgerzug verlegt worden.
Romina sah auf, als sie die Stimme ihrer Schwester Rahjada vom Hof hörte. Was war das gewesen? Rahjada hatte Ardan zu sich befohlen. Wollte sie jetzt doch mitpilgern? Und brauchte dazu ausgerechnet ihren Tobrier! Kalte Wut brandete in der Caballera hoch; sie legte die Feder weg und trat ans Fenster. Unten ließ sich ihre schöne Schwester gerade in den Sattel helfen, während von Kündoch zögerlich zum Stall ging. Romina wandte sich um und machte sich auf, das Zimmer zu verlassen, als ein Räuspern ertönte. Sie wandte sich wild um und blickte zu dem Castellan, in dessen Arbeitszimmer sie sich befand. Dieser sah sie stirnrunzelnd an.
»Wohin des Wegs, Comtessa, seid Ihr mit der Niederschrift der Anordnungen schon fertig? Das ist gut, bringt sie mir, dann können wir sie gleich besprechen. Euer hoher Herr Vater wird bald aufbrechen wollen.«
Romina schnaubte unwillig. »Ich bin gleich wieder hier, Dom Rondrigo.« Sie wollte sich abwenden.
»Meint Ihr nicht, es wäre besser, sich nicht einzumischen? Eure edle Frau Schwester wird den Jungen von Kündoch nicht fressen. Ihr müsst ihn nicht beschützen.« Sein Lächeln war väterlich.
»Ich will ihn nicht beschützen, ich weiß, dass er es nicht nötig hat.« Sie ballte die Fäuste. »Er soll mich auf der Pilgerreise begleiten. Rahjada nimmt das Ganze doch nicht ernst und wird bei der ersten Unbequemlichkeit umdrehen.«
Der Castellan hob überrascht beide Augenbrauen und ließ sie wieder fallen. »Das ist schlecht möglich, Euer Hochwohlgeboren, wie Ihr wisst, darf Dom Ardan Euch auf keine Exkursionen begleiten.«
Romina sackte ein wenig in sich zusammen. »Aber es ist die Pilgerreise und Vater hat mir erlaubt, teilzunehmen.«
Der alte Mann nickte. »Das ist mir bekannt, Domnatella, doch Ihr werdet an der Seite eures hohen Vaters daran teilnehmen. Ihr braucht kein eigenes Gefolge.«
Romina schloss die Augen und entspannte sich mühsam. Sie nickte ergeben, ging wieder zu dem Sekretär, setzte sich und schrieb weiter. Kurz ruhte der Blick des alten Castellan auf dem jungen gebeugten Rücken. Sie war ein gutes Kind. Sie würde ihrem jungen schönen Mann eine gute Frau sein, wenn sie ihn erst richtig kennengelernt hatte. Er seufzte. Noch ein mal so jung sein. Bei Rahja, wäre das schön.
Im Hof sah der schneidige Leutnant von Kündoch indes noch einmal zu den Fenstern hoch, schnallte übertrieben langsam die Tasche fest und schwang sich in den Sattel. Zu lange durfte er das mittlere Töchterlein nicht warten lassen, doch einige Augenblicke gingen noch. Sie würde wütend sein, nicht genug, um ihn anzuschwärzen, aber genug, um sich von ihm fernzuhalten. Denn so genau wusste er nicht, was passieren würde, wenn sie wirklich zum Angriff überging. Er war auch nur ein Mann.
Die Hälfte eines Stundenglases später stand dann auch Graf Brandil von Ehrenstein inmitten eines nicht allzu großen Gefolges bei seinen Pferd. Er trug elegante, aber schmucklose Reitkleidung, der Uniform seiner Garde nachempfunden und wie diese in den ehrensteinschen Farben gehalten. Leicht säuerlich blickte er zu seinem Augenstern, seiner jüngsten Tochter Romina, die sich in dem Überwurf mit dem Wappen derer von Streitzig frappant von ihm und der Garde abhob. Den kurzen Disput über ihre Farbwahl hatte er verloren. Was konnte er schon dagegen sagen, wenn sie auf diesem Pilgerzug ihren verstorbenen Großvater ehren wollte? Dabei war Praiodar von Streitzig ä. H. kaum für sie da gewesen und wenn, hatte er ihr diesen unseligen Gedanken, Kaiserin zu werden, in den Kopf gesetzt. Doch sie hatte ihn inniglich geliebt. Jetzt schien sie sich an ihren Onkel Gendahar zu hängen. Wenn er da war, wich sie kaum von seiner Seite. Er seufzte. Er wusste nicht, was er besser fand. Sein Schwiegervater war Politiker gewesen, sein Schwager war ein Lebemann. Romina war schon immer eher sonnig, denn ehrgeizig. War! Seit dieser unleidigen Sache im Taubental kannte er sie nicht wieder. Bereits die Entführung durch die Ferkinas hatte sie verändert. Sie beteuerte auch jetzt noch, das schlimmste, was passiert wäre, sei die Ausmordung des Ordens gewesen. Sie war so tapfer und dabei so ernst. Vielleicht tat der unbeschwerte Gendahar ihr gut. Immerhin würde sie bald heiraten. Er nahm sich vor, die Leine seines jüngsten Kindes erneut ein wenig länger zu lassen, stieg aufs Pferd und befahl den Aufbruch.
Fürst Gwain von Harmamund hatte zum Pilgerzug aufgerufen. Es galt, Almada die alte Stärke zurück zu geben. Graf Brandil von Ehrenstein war kein Vorreiter und Rebell. Doch er hatte sich im rechten Zeitpunkt zu positionieren gewusst. Und so beugte er erhobenen Hauptes das Knie vor dem neuen Herrscher Almadas, denn er und die Seinen waren dabei gewesen, als es galt, der Tyrannei ein Ende zu setzen. Er sah seinem Fürsten einen Augenblick lang in die Augen, dann senkte er respektbezeugend den Kopf und sprach die Worte, die ihn zum Pilger machten.
Auf dem Marktplatz (Zur Mittagsstunde)[Quelltext bearbeiten]
Autor: kanzler
Während sich das Praiosrund über den almadanischen Tag erhob, wölbte sich schillernd ein Regenbogen über die alte Stadt am Yaquirstrom. Der Regen ließ nun langsam nach, und so wagte sich auch unser Rabe wieder hinaus aus seinem dunklen Versteck hinter des Baumes Rinde. Es war hier, wenngleich trocken, doch etwas beengt gewesen, so dass er nun voll Wonne seine Flügel spreizte und sein Gefieder vom frischen Wind durchwehen ließ. Er pickte ein paar Maden vom Ast des Baumes – ein Mittagsmahl, das seine Laune nur wenig zu bessern vermochte –, dann erhob er sich in die Lüfte.
Hoch flog er über der alten Stadt Ragath. Von hier oben war offensichtlich, was die Menschen unter ihm nur mutmaßen konnten: Ganz gleich, aus welcher Himmelsrichtung man sich als Reisender der Stadt näherte, ob auf dem Yaquir von Punin her flussaufwärts oder über die Reichsstraße aus Garetien kommend, der isoliert über die weite ragatische Ebene aufragende Burgberg Ragaths wies dem Fremden schon aus vielen Meilen Entfernung den Weg. Er war das Zentrum dieses Landes
Der Rabe umflog die Zinnen der schroffen Burg, welche die Siedlung zu ihren Füßen beherrschte. Er ließ sich auf dem Bergfried aus grünweißem Marmor nieder, von wo sein Blick über weite Teile Ragatiens reichte. Von den nördlich aufragenden Gipfeln des Amboss bis zur gewaltigen Silhouette des Raschtulsturms im Süden vermeinte er, die ganze Grafschaft überblicken zu können.
Doch nun blickte er hinab: Sowohl durch das Puniner Tor als auch das Garether Portal zogen weiterhin Menschen in die Stadt. Schlicht Gewandete, gestützt auf einfachen Stecken oder, die ältesten, auf Eseln oder Maultieren, selten auf Pferden reitend. Schwer mit Zelten und Händlerkiepen Beladene. Stolz in den Tag hinein blickende Recken, auf Abenteuer hoffend. Gesetzte Herrschaften mit dicken Bäuchen, von Dienerschaft umsorgt. Musikanten, fromme Pilgerlieder anstimmend. Geweihte, Garden und Köche.'
Denn so waren sie alle dem Ruf der Götter Praios, Rondra, Efferd und Ingerimm gefolgt, und ein jeder hatte sich zu Ragath auf dem Marktplatz eingefunden, um den Himmlischen ihren Respekt, ihre Dankbarkeit und ihre Demut zu zollen. Unter ihnen waren einige der bekannteren Gesichter Almadas zu erkennen:
- Antara D'Altea, Dienerin Golgaris und Ritterin des Orden des heiligen Golgari, die eher weltliche Interessen zu dieser Pilgerfahrt lockten, denn der Osten bedurfte noch immer der Mildtätigkeit des reichen Almadas
- Ihr Bruder Boraccio D'Altea, ein vom endlosen Heerwurm auf Körper und Seele gezeichnetem Krieger, der doch voll innerlicher Glut ward, Almada einst an der Seite der Kaiserin wider den Reichsverräter im Osten kämpfen zu sehen.
- Dom Savertin von Culming mit seiner ungewöhnlich reichhaltig (mit Reisegepäck) bestückten Schwester, der Rahjageweiten Miréîà, auf ihrer launischen Maultierstute Naschel
- Der Creser, Baron Danilo Caer Donn in Begleitung eines Mediucs und eines Gehstockschnitzers
- Rahjada-Mera von Ehrenstein und Streitzig, die wunderschöne, aber bislang kaum durch religiösen Eifer aufgefallene zweitgeborene Tochter des Grafen von Ragath, mit ihrer Dubianischen Leibzofe Ambrocena di Mandana sowie dem gräflichen Gardisten Vermonte und Ardan von Kündoch, einem Leutnant der gräflichen Reiterei
- Domna Romina, die drittgeborene, ernsthafte Tochter des Grafen von Ragath, die doch viel lieber Leutnant Ardan an ihrer Seite wüsste
- Graf Brandil von Ehrenstein selbst, der seine (wie er meinte) jungfräulichen Töchter keinesfalls ohne seine wachenden väterlichen Augen mit einem Pulk großteils männlicher Pilger wochenlang allein durch das Land ziehen zu lassen gedachte.
- Und nicht zu vergessen: Der Fürst, Dom Gwain von Harmamund, der sich nach durchbeteter Nacht nur rasch einer notdürftigen Gesichtswäsche hingegeben hatte.
Auch andere Magnaten und Hohe mochten angereist sein, doch sie hatten sich bislang nicht zu erkennen gegeben.
Bald schon setzte auf dem alten Platz ein geschäftiges Treiben ein. Marketender aus allen Teilen des Königreiches bauten ihre Stände auf, um den eintreffenden Pilgern allerlei Tand anzudrehen: Sonnenamulette aus Messing, holzgeschnitzte Schwerter, Amphoren mit (vorgeblich) Quellwasser des Yaquir sowie Feuerstein und Zunder zu Ehren der Götter. Denn um sie ging es, die alveranischen Vier, die einst leibhaftig auf dem Boden Almadas wandelten.
„Zum Vierertempel zu Brig-Lo ziehen wir, könnte es einen göttergefälligeren Auftakt für unsere Hochzeit geben“, flüsterte der junge Dom Antorio Escabello Nazir von Jurios ä.H., Baron und Soberan von Jurios, seiner Verlobten Romina Alba von Ehrenstein und Streitzig ä.H., Caballera von Ragath, ins Ohr.
Die fuhr erschrocken herum. „Ihr hier… Welche Freude“, heuchelte sie. Sie hatte gehofft, dass ihr Verlobter – oder „das Kind“, wie sie ihn heimlich gegenüber ihrer Zofe nannte – dem Pilgerzug fern geblieben wäre. Doch jetzt war er wohl doch noch erschienen, gerade noch rechtzeitig, denn gerade betraten die Geweihten des Bringers des Lichtes, der himmlischen Leuin, des Unberechenbaren und des Feuerglütigen das Podest, das man in der Mitte des großen Platzes errichtet hatte.
„Kniet nieder vor der Herrlichkeit der Vier“, begann eine Praiotin weihevoll, „und seid gestärkt durch ihre Kraft“, führte mit donnernder Stimme ein Rondrageweihter fort. „Nichts auf Deren und in den Himmeln ist von Dauer“, schloss sich der in blau-grauem Ornat gewandte Priester des Herrn Efferd an, „nur die Einigkeit der VIER“, beendete die Geweihte des Ingerimms mit fester Stimme den heiligen Segen der Vier. „Ziehen wir in Demut und Dankbarkeit nach Brig-Lo, denn hier haben die Götter selbst gewirkt, auf dass ihr Wille geschehe. Daran soll der Mensch nicht rütteln!“, sprachen alle zusammen. Dann versanken die Gläubigen in schweigsames Gebet.
„Komme ich zu spät? Es hat wohl nicht ohne mich begonnen?“ Ein Raunen ging durch die Menge. „Mein Fürst, wo seid Ihr? – ah, ja, dort seid Ihr.“ Aufgeregt bahnte sich ein Mann mittleren Alters, dessen beginnende Fettleibigkeit nicht zu verkennen war, durch die Gläubigen, die noch immer ehrfürchtig auf dem Kopfsteinpflaster knieten. Der Mann hatte wallendes schwarzes Haar, einen sorgsam gezwirbelten Bart, einige Ringe zu viel an den Fingern und einen kostbar mit Silberfäden durchwirkten weißen Samtmantel über den Schultern. Etwas zu warm für diese Jahreszeit, sicherlich, aber durchaus eindrucksvoll. Nur darauf kam es ihm an. Denn soeben hatte der neue Herr der Münze, Reichsbaron und Kanzler des Königreichs Almada die Szenerie betreten. Er genoss es, „Kanzler des Königreichs Almada“ zu sein, während der Harmamund lediglich Fürst war. „Ah, da seid Ihr ja, Fürst!“
„Welche Freude, mein alter Freund Rafik von Taladur. Uns fürchtete schon, Ihr würdet es bei all der Münzenzählerei in Molay nicht mehr schaffen. Doch unterschlagt einstweilen den 'Fürsten'. Wir sind alle hier Pilger unter der Sonne, all einfache Gläubige, alle gleich, bis wir Brig-Lo erreicht haben.“ Kanzler Rafik schien diese Botschaft leicht zu bekümmern, doch legte er rasch ein freudiges Lächeln auf. „Wie Ihr wünscht, mein … Pilger…fürst. Seht, es geht los. Das wird nett!“
Und tatsächlich. Die Geweihtenschaft hatte ihre Opfer an vier Altären dargebracht und den festlichen Choral „Vom Himmel hoch, da kam’ sie her“ angestimmt. Von den hinteren Reihen war allerdings bereits die am Yaquir wohlbekannte Melodie von „Vorsicht Hela, wir kommen“ zu vernehmen. Gen Praios führten die Geweihten den Pilgerzug durch das Puniner Tor, hinaus aus der Stadt gen Brig-Lo.
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