Chronik.Ereignis1033 Feldzug Schrotenstein 11: Unterschied zwischen den Versionen
(Beitrag von Steve eingebaut) |
K (links) |
||
(7 dazwischenliegende Versionen von einem anderen Benutzer werden nicht angezeigt) | |||
Zeile 374: | Zeile 374: | ||
Jelissa nickte und trat zurück. Sie musste sich abwenden, denn zum ersten Mal seit über fünfzehn oder zwanzig Jahren spürte sie, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie wischte sich beschämt mit dem Ärmel ihres Waffenrocks darüber und begann wie eine unruhige Löwin im Raum auf und ab zu schreiten. | Jelissa nickte und trat zurück. Sie musste sich abwenden, denn zum ersten Mal seit über fünfzehn oder zwanzig Jahren spürte sie, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie wischte sich beschämt mit dem Ärmel ihres Waffenrocks darüber und begann wie eine unruhige Löwin im Raum auf und ab zu schreiten. | ||
=====4. Rondra 1033 BF, mittags===== | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Gekleidet in vornehmes Schwarz, wie es dem Anlass und auch ihrer Stimmung angemessen war, mühte sich Belisetha da Vanya die Treppen hinauf zu den Gästegemächern, in denen sie die Grafentochter hatte unterbringen lassen. Keuchend verweilte sie einen Moment auf dem Absatz, und wurde von einem jungen Mann eingeholt, der mit freundlichem Nicken geradewegs an ihr vorbei auf den Salon der Comtessa zuhielt. Er trug die Farben der gräflichen Familie und klopfte an der Tür. | |||
"Herein!", hörte Belisetha es von drinnen, doch der junge Mann – sie hatte bedauerlicherweise seinen Namen vergessen, nur dass er der Leutnant der gräflichen Garde war, das wusste sie noch – öffnete sie nicht gleich, sondern sah stattdessen zu Belisetha. | |||
"Wollt Ihr zu Domnatella Romina Alba?", fragte er. | |||
"In der Tat", sagte die Junkerin. "Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen." Kurz fragte sie sich, ob der Mann aus rein pflichttreuen oder aber aus privaten Gründen hier war. Doch falls sie seinen Absichten im Wege war, ließ er sich nichts anmerken. | |||
"Gewiss nicht! Bitte, Domna Belisetha, nach Euch!" Er öffnete die Tür und hielt sie ihr auf, während sie hineinging. | |||
"Eure Hochgeboren!" Die Junkerin neigte kurz respektvoll das Haupt, während der Leutnant die Tür schloss und abwartend stehen blieb. Belisetha sah von der Comtessa zu ihrem Offizier und wieder zurück. "Ich hoffe, ich suche Euch nicht zu unpassender Zeit auf, Domnatella Romina. – Bitte verzeiht meine Abwesenheit an diesem Morgen. Mir war nicht wohl, das Alter." Sie lächelte entschuldigend. "War alles zu Eurer Zufriedenheit? Wenn Ihr etwas benötigt oder meine Diener etwas für Euch tun können, lasst es mich bitte wissen." | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Romina Alba|Romina Alba]] | |||
Als [[Ardan von Kündoch]] auf ihr energisches "Herein!" nach einiger Zeit immer noch nicht eingetreten war, drehte sich Romina vom Fenster weg und sah irritiert zur Tür. Noch bevor sie, von dem Gedanken beseelt, der Leutnant wäre neuerdings schwerhörig, ihre Aufforderung lauter wiederholen konnte, öffnete sich die Tür und ihre Gastgeberin trat ein, gefolgt von dem Ritter ihres Vaters. Romina unterdrückte jedwede Überraschung, verbeugte sich brav und passte auch ihr Lächeln der Situation an. Sie war wahrlich die Tochter ihres Vaters. | |||
"Es ist alles vorzüglich, habt Dank für Eure Mühen, Domna da Vanya." Ihr Lächeln erstarb. "Mögen die Götter Euch segnen, auf dass es Euch bald besser geht." Ihr kühler Ton brachte spürbar Distanz zwischen die beiden Frauen. "Ich werde bald abreisen, man erwartet mich in Punin." | |||
Sie war dünn geworden, die kindlich vollen Wangen waren jetzt hohl und die einst maßgeschneiderte Kleidung, die man ihr mitgebracht hatte, schlotterte an ihr. Trotzdem war sie ganz Grafentochter, stolz, ruhig und aufrecht stand sie da und verdeckte ihre innere Zerrissenheit fast gänzlich. | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Belisetha lächelte freundlich, obwohl ihr nicht im Mindesten nach Lächeln zumute war. Kurz sah sie zum Fenster, dann suchte ihr Blick die eisblauen Augen der jungen Frau. "Gewiss werdet Ihr zur Hochzeit Seiner Kaiserlichen Majestät reisen", sagte sie. "Ihr solltet nach Westen und über Ragath reisen. Auch wenn es der längere Weg scheint, ist er schneller und sicherer. Die Straße nach Schlangentodt ist in weit schlechterem Zustand als die Reichsstraße. Und wer weiß, wie weit nach Süden die Wilden vorgedrungen sind?" | |||
Sie wusste nicht, wie sie ihr Anliegen vorbringen sollte. Denn was konnte die Comtessa schon für sie tun? Aber in ihrer Verzweiflung würde sie jeden Strohhalm ergreifen, der sich ihr bot und der verhindern mochte, dass ihre Familia in Blut ertrank. | |||
"Domnatella Romina", sagte sie vorsichtig, "dürfte ich Euch ersuchen, Eurem Hohen Vater getreulichen Bericht über die Lage im Bosquirtal zu erstatten?" Was würde sie sagen, wenn sie ehrlich war? An dem ganzen Schlamassel, in dem sie sich nun befanden, war ja nun nicht zuletzt auch Rifada mit ihrer Halsstarrigkeit schuld. Ach hätte sie nur ... | |||
Die Junkerin zwang ihre Gedanken zurück ins Hier und Jetzt. "Mehr als alles andere benötigen wir nun die militärische Unterstützung durch das kaiserliche Heer, um die Wilden endgültig aus den Grenzlanden am Raschtulswall zu vertreiben und sie dorthin zurückzudrängen, wo sie hergekommen sind – oder besser noch: um uns dieser Plage ein für alle Male zu entledigen." | |||
'Und wenn die Soldaten erst hier sind, dann ist es auch vorbei mit dem elenden Gezänk zwischen den da Vanyas und der Reichvogtin', dachte sie. 'Dann wird kein Blut mehr fließen für eine unsinnige Sache, für nutzlosen Stolz.' Ach, Leonida, ihre Schwester, hätte sie gewiss getadelt für ihre Schwäche und Nachgiebigkeit, eben für den mangelnden Stolz, den sie zeigte. Doch was sollte sie tun? Sie besaß nicht die Autorität ihres Bruders und nicht die unerbittliche Härte und Kampfeskraft, die ihrer Schwester zu eigen gewesen war. Aber sie würde nicht tatenlos zusehen, wie ihre Familia zugrunde ginge! Und wenn es der verfluchte Harmamund mit seinen Mannen war, der den Tod ihrer Angehörigen verhinderte, dann würde sie diese bittere Pille schlucken. | |||
"Wenn es Euch gelänge, Domnatella Romina, Euren Hohen Vater davon zu überzeugen, wie wichtig ein ''eiliges'' Eingreifen im Bosquirtal ist, und wenn dieser Kraft seiner Autorität als ... Graf Ragaths den Kaiser zu einer vorzeitigen Intervention zu bewegen vermöchte, so wäre ich Euch zu tiefstem Dank verpflichtet." | |||
Sie konnte sich vorstellen, welcher Art die Dankbarkeit ihrer Nichte wäre und was diese zu Belisethas Bitte zu sagen hätte. Aber, bei der gütigen Travia: ''Sie'', Belisetha, war noch immer die stellvertretende Soberana der da Vanyas, und Amando, da war sie gewiss, hätte volles Verständnis für ihr Vorgehen. Amando hatte diese Fehden nie gut geheißen, stets betont, dass vergangenes Unrecht nichtsdestotrotz vergangen war und Gerechtigkeit nur dem widerführe, der sie sich in der Gegenwart verdiene. | |||
Trotzdem war Belisetha unwohl zumute. All dies hier war nur ein Zeichen ihrer Hilflosigkeit. Was bat sie dieses junge Kind um Beistand, das doch selbst – das sah man nur zu deutlich – eine so schwere Bürde zu tragen hatte? Mitleid stahl sich in Belisethas Blick. Und Trauer. Es gab kein leichtes Leben. Für niemanden. | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Romina Alba|Romina Alba]] | |||
Erst trat Überraschung, dann eine tiefe Wärme in die Augen der jungen Comtessa. Sie sah deutlich das Leid und die Erschöpfung in den Augen der älteren Frau. | |||
"Wollen wir uns nicht erst einmal setzen, Euer Hochgeboren?" Sie schaute kurz zu von Kündoch, der verstand, der alten Dame und seiner Comtessa die Stühle zurechtrückte und sich wieder in seine ruhige Ecke verzog. | |||
"Einer der Gründe, warum ich direkt nach Punin will, ist der Versuch, unseren Kaiser davon zu überzeugen, so schnell es nur geht Entsatz zu schicken. Ich werde meinem gräflichen Vater und meinem hohen Großvater getreulich Bericht erstatten. Sowohl über die unglaubliche Anzahl an Ferkinas und ihre Bösartigkeit, als auch über diese zu so einer Zeit unermesslich schädliche Fehde zwischen der Reichsvogtin und den da Vanyas." | |||
Ihr Blick wurde wieder kühl. "Ihr erstaunt mich, Domna Belisetha. Keiner Eurer Familia ist mir mit annähernd soviel Anstand begegnet." | |||
Sie verzog in einem Anflug eines Schmunzelns das Gesicht. "Nun ja, fast keiner. Euer junger Großneffe, Dom Moritatio, reichte mir seinen Umhang, als ich in den Bergen spärlich bekleidet fror." | |||
Kurz fingen ihre Augen die Erinnerung auf, um sich dann schnell wieder der Gegenwart und der Junkerin zuzuwenden. | |||
"Es ist viel dort draußen passiert." Sie wischte durch die Luft, als wolle sie die Gedanken vertreiben. Ihr Onkel war dorthin zurückgekehrt, auch wegen einer da Vanya. Männer wollten immer haben, was sie nicht bekamen. ''Das'' musste sie sich merken. | |||
"Eure Bitte wäre nicht nötig gewesen, doch sie ehrt und freut mich. Ich helfe gerne. Die Magierin, die Dom von Kündoch", kurz nickte sie in dessen Richtung, "für mich mitgebracht hatte, hilft draußen auf dem Hof den verletzten Männern und Frauen. Auch wenn die stolze Amazone da Vanya die Hilfe für sich deutlich ablehnte. Ich hätte es wahrlich besser wissen müssen." Sie seufzte kurz. Erstens war es Magie und zweitens kam die Hilfe von der Tochter des Thronräubers. Gerade Rifada da Vanya hatte sich mit solchen Bemerkungen nicht zurückgehalten. Wenn sie es sich recht überlegte, wunderte sie sich im Nachhinein, dass sie neben dieser Frau lebend aus den Bergen herausgekommen war. | |||
"Ich werde mich auch darum kümmern, dass der junge Praiodor zu seinen Verwandten zurückfindet." Kurz wanderten ihre Gedanken zu Domna Richeza. Sie mochte sie nicht sonderlich, doch sie hoffte für den Knaben und für ihren Onkel, dass sie überlebte. | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Belisetha betrachtete die junge Frau nachdenklich. ''Euer Hochgeboren'', hatte die sie genannt. Offenbar hielt sie sie für die Herrin von Schrotenstein. Nun, vor langer Zeit war sie das einmal gewesen. Vor noch längerer Zeit war sie genau das gewesen, was das Mädchen, das vor ihr saß, heute war: Die jüngste Tochter der Gräfin von Ragath. Und mehr noch: Kind der Fürstin Almadas. Ein ganzes Leben lag dazwischen, denn mit ihrer, Belisethas, Geburt und dem Tod ihrer Mutter hatte der Niedergang ihres Hauses begonnen. Aber nicht sie selbst, das hatte Leonida oft genug betont, war schuld am Tod ihrer Mutter, nein es war ihr eigener Onkel gewesen, der schändliche [[Balbiano Calas von Harmamund]], der die Fürstin hatte töten lassen und ihrer Schwester den Thron geraubt hatte. | |||
"Almada ist ein traditionsverbundenes Land", begann sie langsam. "Die Erinnerung stirbt nicht mit den Menschen, und oftmals zählt Vergangenes in den Köpfen der Magnaten mehr als Gegenwärtiges, Stolz mehr als Vernunft, Ehre mehr als Vergebung. Ihr müsst es meiner Nichte nachsehen, wenn sie Euch nicht mit der gebotenen Höflichkeit begegnet ist. Meine Schwester hat sie nicht zum Dienen erzogen, sondern zum Herrschen. Und zum Kämpfen. Und weiterhin in dem Bewusstsein, wessen Blutes sie ist und wessen Schuld es ist, dass sie um ihr Erbe betrogen wurde. – Nicht die Eure", fügte sie rasch hinzu. | |||
Ihr Blick wanderte wieder zum Fenster, zu den schnell dahinziehenden grauen Wolken. Es würde noch regnen an diesem Tag, wahrscheinlich stand eines der berüchtigten bosquirischen Unwetter bevor, Belisetha spürte es in ihren Knochen. Sie dachte an das bleiche, leblose Gesicht Rifadas, die furchtbaren Wunden, und ihr Herz krampfte sich zusammen. | |||
Äußerlich blieb sie gefasst. "Ihr müsst verstehen, dass es mehrere Gründe dafür gibt, dass Domna Rifada die Selaquer Vogtin nicht besonders schätzt, nicht allein den, dass meine Nichte sich noch immer als ... Erbin ihrer Großmutter sieht. Meine Nichte ist eine Frau Rondras. Der Schutz der ihr Anempfohlenen, egal von welchem Stande sie sind, ist für sie Ehrensache. Sie ist davon überzeugt, dass es den Selaquern unter ihrer Herrschaft besser ginge als unter der Domna Praiosmins, in deren Vorstellung es die von Praios auserwählten Herrschenden gibt und die Dienenden – und wenig dazwischen." | |||
Sie seufzte leise. "Ich möchte Rifada ... meine Nichte nicht einfach nur in Schutz nehmen. Ihr habt recht: Diese Fehde kommt zur Unzeit, die äußeren Gefahren erfordern unsere volle Aufmerksamkeit." Belisetha schwieg einen Moment. "Niemand soll verurteilt werden, der nicht schuldig ist. Aber um eine weitere Sache will ich Euch bitten: Dass jene Akten aus dem Jahr 1020 noch einmal hervorgeholt werden, die den Fall der vermeintlichen Affäre Domna Praiosmins mit dem damaligen Baron von Schrotenstein zum Inhalt haben. Und dass man die Angelegenheit noch einmal genau prüfe." | |||
Belisetha sah die junge Frau eindringlich ein. "Diese Burg birgt noch immer ein düsteres Erbe. Die Suprema, die Inquisition, hat vieles von des Schwarzen Rakolus' Vermächtnis vernichtet, seine Gemächer in dieser Burg versiegeln lassen. Ihr wisst gewiss, dass man Domna Praiosmin damals freigesprochen hat und Dom [[Danilo Caerdonnati von Cres|Danilo von Cres]] für die Schmach, die sie in [[Al'Muktur]] erleiden musste, zur Rechenschaft zog. Letztlich war es der Sprecher der Landstände, Dom [[Alrik de Braast y Braast|Alrik de Braast]], der an des Elfen statt einsaß, um der Reichsvogtin Satisfaktion zu verschaffen. Damit schien die Angelegenheit beendet." | |||
Die Junkerin zog ihr Taschentuch hervor und tupfte sich die Stirn ab. Es wurde allmählich warm, und die Luft war drückend. "Doch meine Großnichte, heißt es, habe vor einigen Jahren Domna Praiosmin aus den Händen der Wilden befreit. Sie und einen Knaben, der offenbar ihr Sohn war und der – so heißt es weiter – eine nicht zu leugnende Ähnlichkeit mit dem einstigen Baron von Schrotenstein gehabt haben soll. Wenn dies wahr sein sollte, so hat Dom Danilo die Wahrheit gesprochen, Dom Alrik zu Unrecht die Kerkerhaft verbüßt – und Domna Praiosmin ihr Leben lang gelogen." | |||
Belisethas Kopf pochte noch immer. "Seid so gut", wandte sie sich an Ardan von Kündoch, "gebt mir etwas von dem Wein dort." Sie wies auf eine Karaffe auf einer Anrichte, und der Leutnant goss der Comtessa und ihr von dem [[Thangolgold]] ein, dem halbtrockenen Weißen, der aus dem Lehen der verstorbenen Großmutter der Comtessa im Yaquirischen stammte und den der Haushofmeister aus dem Weinkeller hatte heraufbringen lassen. | |||
Belisetha nahm einen Schluck und spürte der spritzigen, herben Süße nach, ehe sie den Becher abstellte und die Comtessa wieder direkt ansah. "Fischer haben meine Nichte heute Morgen am Seeufer gefunden", sagte sie. "Sie ist schwer verwundet. Wahrscheinlich ... wird sie sterben", fügte sie leiser hinzu, und wieder griffen die kalten, harten Finger nach ihrem Herzen und rissen in ihrer Brust. "Eine Dienerin der Herrin Peraine kümmert sich derzeit um sie, aber es ist nicht sicher, ob sie ihr helfen kann. Die Wunden, so sagt sie, wurden Domna Rifada von einem Dämon beigebracht." | |||
Sie beobachtete die Reaktion der Comtessa genau. "Auch wenn es meiner Nichte vielleicht nicht mehr hilft, so will ich doch, dass dieser Vorfall bis ins Letzte aufgeklärt wird und sollte nicht ein bedauerlicher Zufall an diesem Unglück Schuld sein, sondern ein Mensch, ein Elf, ein Zwerg oder irgendein anderes Wesen, das sich vor Praios, Tsa und Rondra für diese Unaussprechlichkeit zu verantworten hat, so soll dieser dafür zur Rechenschaft gezogen werden mit aller gebührlichen Härte und Konsequenz. Und dies nicht nur, weil das Leben meiner Familia in Gefahr ist, sondern weil ein Dämon Leben und Seelenheil aller Menschen bedroht, die ihm vielleicht noch begegnen. Die Götter seien davor!" | |||
Sie schwieg, umfasste den Weinbecher mit beiden Händen und betrachtete den klaren Tropfen, der an dem Gefäß herab auf ihre Finger rann. | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Romina Alba|Romina Alba]] | |||
Die Comtessa hatte den Ausführungen der älteren Domna ruhig und nachdenklich zugehört. Sie wusste wahrlich zu wenig über die diversen Machtwechsel in Almada, sie hatte das Ganze schon immer als heilloses Durcheinander empfunden, dem Götterfürsten weder gefällig noch würdig. Aber es gab ja nicht nur den Fürsten, sondern noch elf andere, und Rahja war so ein Tohuwabohu schon zuzutrauen. | |||
Als die Sprache zu dem vorgeblichen Sohn Rakolus' des Schwarzen und der praiosgläubigen Vogtin kam, stutzte Romina. Meinte die Frau Ramin – Richeza hatte ihn Aureolus genannt – das unheilige Kind des Schwarzen mit der Elenterin? Sie war damals, [[Media:Yaquirblick_22.1.pdf|als der bösartige Magier die Landstände in Angst und Schrecken versetzt hatte]], eine junge Knappin und weit ab vom Schuss gewesen, doch selbst in der Südpforte hatte man davon gehört. Sie hatte es gänzlich vergessen. Damals war Praiosmin von Elenta entführt worden. Eines war sicher: Der Mutter sah Ramin nicht ähnlich. Sie musste von irgendwoher ein Bild dieses Rakolus bekommen. | |||
Sie sah auf, als Leutnant Ardan ihr Wein einschenkte, nickte dankend und nahm einen großen Schluck. Das hier war also des Schwarzen Rakolus' Baronie gewesen. Sie dachte an goldene Augen und den Traum, den sie vor Kurzem gehabt hatte, als die Domna auch schon wieder weitersprach. | |||
Sie erzählte von Domna Rifada und einem Dämon, der selbige lebensgefährlich verletzt habe. Romina wurde eiskalt, die Hand mit dem Kelch zitterte, sie stellte ihn ab. Der junge Magier war hier! Bestimmt war er hier, wie er auch auf Castillo Albacim gewesen war. Sie musste sich zusammenreißen. Vielleicht waren es nur ihre Nerven. Deutlich spürte sie den forschenden Blick der Baronin auf sich ruhen. | |||
"Domna Rifada ist hier und wurde auch hier in der Grafschaft von einem Dämon angegriffen?" Sie wusste gar nicht, wo sie beginnen sollte. Dunkle Dinge wurden über Rakolus und seine Machenschaften erzählt. Die Domna sagte etwas von Nachforschungen, schnell nickte die junge Frau. | |||
"Man muss herausfinden, wer solch ein Gräuel begangen hat und ihn festsetzen." Sie wusste nicht viel über Magie, doch es schien ihr unwahrscheinlich, dass so ein junger Mann Dämonen beschwören könnte. Außer – sie wollte es nicht einmal denken – außer er hätte sich den Niederhöllen verschrieben. Wie er sie angesehen hatte, als sie seine Hilfe ablehnte! Romina begann zu zittern. | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Es verging eine Weile, bis Belisetha da Vanya wieder aufsah, doch das Unbehagen der jungen Frau blieb ihr nicht verborgen. | |||
"Seid versichert, Domnatella Romina", sagte sie, "dass ich alles tun werde, um nicht nur meine Familia, sondern auch meine Gäste vor jedwedem Unheil zu bewahren. Nachdem der Schwarze Schrotensteiner vertrieben und die Burg zurück in den Besitz unserer Familia gegangen war, hat mein Bruder, Seine Eminenz [[Amando Laconda da Vanya]], einen Schrein des Herrn Praios in einem der Türme einrichten lassen. Im Fall aller Fälle sind wir dort hoffentlich sicher vor unheiligen Übergriffen. Zudem sind mit meiner Großnichte und ... ihrer Mentorin ... zwei Geweihte der Herrin Rondra anwesend, und derzeit weilt noch die junge Peraine-Priesterin auf der Burg. Seid unbesorgt: Euch wird nichts geschehen, solange Ihr hier seid. Doch wenn Ihr abreisen müsst, so kann ich Euch nur neuerlich raten, so rasch wie möglich gen Ragath aufzubrechen und nicht den Weg nach Süden zu nehmen. Meine Nichte war auf dem Weg nach Wildenfest – wo ich meinen Wohnsitz habe. Und eben auf dem Weg dorthin, wenn auch noch hier am Schwarzen See, scheint es, wurde sie angegriffen. Seid also vorsichtig!" | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Romina Alba|Romina Alba]] | |||
Romina schloss die Augen und riss sich zusammen. Verdammt, sie durfte vor anderen nicht so schwach sein, sie war eine Ehrenstein und Streitzig. Sie hatte bei den Ferkinas weitaus Schlimmeres erlebt! Was machte sie sich da vor? Hatte sie nicht! Es gab nichts Schlimmeres als einen Dämon! 'Dämonen fressen die Seele, Ferkinas können nur dem Körper schaden. ' | |||
Wildenfels – dort wollte sie ursprünglich auch hin. Sie öffnete die Augen und begegnete dem besorgten Blick Ardan von Kündochs. Kurz hielt sie den Blick, hangelte sich daran hoch und schaute wieder bedeutend ruhiger zu der da Vanya. Denn das war sie, eine da Vanya, auch wenn diese hier freundlicher schien. | |||
"Wie geht es Eurer Nichte? Wird sie ... wird ihre Seele zu Rondra finden? Wir haben uns nicht gut gekannt, und sie ist wahrlich niemand, den man kennenlernen will, nicht einmal wenn man zu Eurer Familia gehört." Domna Rifada hatte Richeza und besonders den jungen Moritatio kaum besser behandelt. "Aber sie hat uns im Gebirge gefunden und mit herausgeführt." Nun ja, mehr oder weniger. "Sie ist mutig wie eine Löwin, sie hat es verdient, an Rondras Tafel zu speisen. Ich werde für sie beten." | |||
Kurz schlug sie die Augen gen Alveran und tastete nach dem Banner, dass sie immer noch am Körper trug. Das Banner, vielleicht konnte es helfen. Sie zog es heraus. | |||
"Ich habe das [[Rossbanner-Orden|Rossbanner]] bei mir, ich trage es seit der Flucht aus dem Lager der Ferkinas. Es ist doch ein Artefakt, sagt man. Vielleicht kann es der Seele Eurer Nichte helfen?" Plötzlich kam sie sich kindisch vor, das Stück dreckiger Stoff hatte niemandem geholfen, damals in der Todesschlucht. Zumindest keinem Rondrianer. Verschämt senkte sie den Blick. | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Belisetha da Vanya bedachte die Kritik an ihrer Nichte nur mit einer leicht gehobenen Augenbraue. Als die Comtessa das Banner hervorholte, streckte sie die Hand aus und berührte das zerschlissene, schmutzige Tuch. Einen Augenblick lang sah es so aus, als wolle sie danach greifen, doch dann ruhten die altersfleckigen Finger sacht auf dem Stoff, und schließlich zog sie die Hand zurück. | |||
"Man ruft die Heilige an zum Schutz wider die Heiden. Ich fürchte, gegen einen Dämon oder die Wunden, die er schlug, wird das Banner kaum helfen." Sie seufzte. "Nehmt es mit und übergebt es Eurem Vater als Komtur des Ordens. Oder lasst es hier, und Gujadanya und Jelissa von Blutfels werden es nach [[Mas d'Hadjinsunni]] zurückbringen, sobald die Zeiten sicherer sind." | |||
Sie trank den Wein aus und stellte den Becher sorgsam zurück auf das Tischchen neben sich. Einen Moment lang herrschte Schweigen. Durch das offene Fenster drangen die Stimmen der Soldaten im Hof herauf. Irgendwo heulte ein Hund. | |||
"Ihr sagtet, Ihr müsstet bald aufbrechen. Bis Ragath sind es etwa dreißig Meilen. Bei einem schnellen Ritt könntet Ihr noch bis zum späteren Abend dort sein. Von da sind es zwei Tagesritte bis Punin, und mit der Kutsche geht es ein wenig schneller. Wenn Ihr Glück habt, schafft Ihr es noch beizeiten zur Hochzeit des Kaisers. Wenn Ihr noch etwas benötigt, zögert nicht, es auszusprechen, Domnatella Romina." | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:Romina Alba|Romina Alba]] | |||
Die junge Frau nickte fast schüchtern und steckte das Tuch wieder weg. Sie würde es dem Vater mitbringen, die Amazonen hatten nichts mit dem Orden zu tun, außerdem waren sie alles andere als freundlich gewesen. Sie wusste recht gut, dass Amazonen niemals freundlich zu Außenstehenden waren, doch ein wenig Stolz würde sie sich bewahren. | |||
"Es drängt mich nicht allzusehr, es noch zu dieser", sie machte eine kleine Pause, "Hochzeit zu schaffen." Sie räusperte sich und sah Belisetha wieder direkt an. "Mein hoher Vater ist Euer Graf, Domna, auch wenn es vielleicht ungerecht scheint. Wenn Ihr wollt, bringe ich ihm einen Brief von Euch mit. Solange wäre noch Zeit." Sie schaute zu ihrem Leutnant. "Ich werde aufbrechen, sobald Ihr Eure Zeilen beendet habt." Ardan von Kündoch nickte, nahm kurz zackig Haltung an und entfernte sich. Er würde alles für den Aufbruch vorbereiten. Draußen vor der Tür atmete er kurz erleichtert durch und beeilte sich dann, seine Leute zusammenzuholen. | |||
---- | |||
'''Autor:''' [[Benutzer:von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
Belisetha da Vanya nickte und erhob sich. "Ich danke Euch, Eure Hochgeboren. Mögen die Zwölfe Euch sicher nach Hause geleiten", sagte sie und verließ den Salon. | |||
Eine halbe Stunde später brachte ein Diener der Comtessa ein gesiegeltes Schreiben an den Grafen. | |||
* ''Die Geschichte um Domnatella Romina wird hier fortgesetzt: [[Chronik.Ereignis1033 Feldzug Ragath 07|Schauplatz: Ragath, Teil 07]].'' | |||
Aktuelle Version vom 30. Dezember 2012, 13:21 Uhr
In der Baronie Schrotenstein, 4. Rondra 1033 BF[Quelltext bearbeiten]
Auf dem Castillo Schrotenstein[Quelltext bearbeiten]
4. Rondra 1033 BF, am frühen Vormittag[Quelltext bearbeiten]
Autor: SteveT
Gestützt auf ihre Zofe Yusufina ließ sich Belisetha da Vanya in den kleinen Rittersaal der siebentürmigen schwarzen Festung hinunterführen, wobei ihr das Laufen heute noch schwerer fiel als sonst - Himmel, was war sie geschwächt! Obwohl sie gehofft hatte, dass die gräfliche Entourage von ihrer Unpässlichkeit und von dem Eintreffen der Briesacher Fischer mit ihrem sonderbaren Fund nichts mitbekommen hatten, begegnete sie auf der steilen Treppe nach unten ausgerechnet Rondrigo vom Eisenwalde, dem gräflichen Castellan, der ihr - ganz Kavalier der alten Schule - nach einem einzigen Blick sofort stützend zur Seite eilte und sich bei ihr unterhakte.
"Ach, mein lieber Dom Rondrigo! So schnell sehen wir uns also wieder! Es freut mich von Herzen, das Eurer Suche Erfolg beschieden war und dass Ihr das arme Mädchen wiedergefunden habt. Eurem Herrn und seiner Gemahlin werden Steine vom Herzen fallen! Leider trefft Ihr mich, wie Ihr seht, nicht in bester Verfassung an, was in unserem Alter - in meinem noch viel mehr als in dem Euren - beileibe nichts Ungewöhnliches ist."
Sie zog Griphonis Solaris, das Amulett, das ihr Yusufina aus den Händen der Fischer überbracht hatte, aus den Falten ihres übergeworfenen Morgenmantels hervor und hielt es während des Humpelns so, dass er einen Blick darauf werfen konnte.
"Kennt Ihr noch dieses Amulett? Ihr wart noch ein junger Caballero in Diensten unserer Feinde, der Harmamunds, als Ihr es das letzte Mal gesehen haben dürftet. Es wurde damals von meiner Schwester Leonida getragen, und heute ist es unter sehr sonderbaren Umständen zu mir zurückgekehrt. Ich werde gleich eine präfinale Frau in Augenschein nehmen, bei der man es fand, und die Geweihte von Briesach, die ihr vergeblich zu helfen versuchte, vermutet, dass es sich bei ihren Wunden um die schrecklichen Male eines Dämons handelt." Rondrigo vom Eisenwalde war bei diesen Worten stehen geblieben und starrte sie entsetzt an.
"In Anbetracht des Ortes, an dem wir uns befinden und in Anbetracht der Vita des vormaligen Besitzers dieses Castillos, wäre es mir bedeutend wohler, wenn Ihr mich mit Eurer unerschrockenen Klinge dort hinein begleiten könntet, alter Weggefährte!", blickte Belisetha Dom Rondrigo nun mit ihren noch immer wie Obsidian glänzenden schwarzen Augen an. "Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ich fürchte nicht nur, dass nach wie vor ein Dämon von Rakolus dem Schwarzen hier in Schrotenstein sein Unwesen treibt. Ich fürchte fast noch mehr, dass die Frau, die mit dem Dämon kämpfte, niemand anders als die Erbfolgerin unserer Familia ist."
Autor: von Scheffelstein
Aureolus blinzelte, starrte auf die Stufen der hölzernen Stiege hoch über ihm und wusste erst nicht, wo er sich befand. Dann fiel ihm alles wieder ein. Die Dunkle Pforte! Der Dämon! Er war nun irgendwo auf dem Castillo Schrotenstein.
Er musste eingeschlafen sein. Er fühlte sich immer noch müde und ausgelaugt, aber er rappelte sich auf und sah sich erstmals in dem Raum um, in dem er sich befand. Neben der Tür, die er sorgfältig verschlossen hatte, gab es eine Falltür im Boden und eine Treppe nach oben. In der Mitte des Raumes standen ein Sessel und ein Stehpult, an den Wänden reihten sich Regale mit Büchern und Schriftrollen. Ob er hier die gesuchte Thesis finden würde?
Doch bevor er sich ins Studium der Bücher vertiefte, musste er sicherstellen, dass ihn keiner der Burgbewohner plötzlich überraschte. Aureolus nahm seinen Stab auf und stieg langsam die Treppe empor. Sein Bein schmerzte. Die ausgetretenen Stufen knarrten leise unter seinen Füßen.
Durch eine niedrige Tür gelangte der junge Zauberer in die Schlafstube seines Vaters. Auf dem Himmelbett in der Mitte des Raumes lagen Decken und Kissen, gerade so, als wäre Rakolus der Schwarze erst wenige Tage fort. Aureolus strich mit der Hand über den Bettpfosten und fragte sich, ob diese Burg dereinst ihm gehören, ob er jemals Herrscher über Schrotenstein, Bosquirien gar, sein würde. Unwillkürlich musste er an Romina denken. Ob sie noch auf dem Castillo seiner Mutter war? Oder bereits zu Hause in Ragath? Ob sie noch an ihn dachte?
Wir können nicht zusammen sein! Er lehnte die Stirn an den Bettpfosten und seufzte schwer. "Doch", flüsterte er, "warte nur ab! Eines Tages wirst du dich nach mir sehnen, wirst du dir wünschen, meine Hand genommen zu haben."
Er trat an den Kleiderschrank und besah sich die Roben seines Vaters. Samt und Seide, Bausch und Leinen in Schwarz und Grün und Blau, die meisten aufwändig bestickt mit arkanen Symbolen. Aureolus streifte seine Kleider ab und legte ein nachtblaues Seidengewand mit Silberstickereien an. Es war ein wenig lang, aber die Seide war angenehm kühl auf der Haut, und Aureolus gefiel die Vorstellung, seinem Vater nun noch ähnlicher zu sein.
Er stieg die Treppe weiter hinauf und erreichte eine Wohnstube: Samtbezogene Sessel vor einem Kamin, ein Schrank neben einer Abort-Nische, ein Tischchen mit einem aufgeschlagenen Oktav, ein mit einem Tuch verhangener Spiegel. Im Schrank befanden sich einige verkorkte Weinkrüge, ein paar Schälchen mit Nüssen, Salz und Kandis, Silbergeschirr, ein Holzkasten mit Pinseln und Farben, ein paar Kerzen in einem Leuchter und eine Zunderdose.
Aureolus hatte Hunger und Durst, und so holte er einen Weinkrug und die Nüsse aus dem Schrank, goss sich einen Becher ein und machte es sich in einem der Sessel bequem. Er legte die Stiefel auf den Tisch und ließ den Becher lässig in einer Hand kreisen.
"Ich bin der Herrr von Schrotenstein", sagte er selbstgefällig. "Will irgendwer etwas anderes behaupten?" Niemand erhob Einspruch. Aureolus grinste zufrieden, nahm das Buch vom Tisch und begann darin zu blättern. Es war in Bosparano verfasst worden und enthielt allerhand Zeichnungen von Menschen, die zweigesichtige Masken trugen, von einem düsteren Turm, dessen Mauerwerk eine scheußliche Fratze zeigte, von Sternbildern und den Sphärenkugeln. Göttersymbole und Zhayad-Glyphen der Erzdämonen fanden sich auf beinahe jeder Seite. Aureolus schlug das Buch zu. Aequilibritas stand in goldenen Lettern auf dem roten Ledereinband. Der Oktav schien alt zu sein, die Seiten waren vergilbt, das Leder brüchig. Die gesuchte Formel der Zeit würde er darin vermutlich dennoch nicht finden.
Aureolus steckte sich ein paar Nüsse in den Mund und angelte mit seinem Zauberstab nach dem Tuch über dem Spiegel. Zu seinem Erstaunen erblickte er nicht sich selbst im Sessel, sondern einen gänzlich anderen Raum darin – einen Saal. Ein Gemälde? Nein, die Menschen in dem Bild bewegten sich!
Auf einem mit Edelsteinen und Silberornamenten verzierten Thron unter einem blauen Baldachin saß ein junger, blonder Mann in einem schwarzen Brokatwams. Sein bleiches Gesicht mit den tiefen Augenringen lag im Schatten der Krone, die wie eine drückende Last auf seinem leicht gebeugten Kopf saß. Der Mann starrte mit verkniffenem Gesicht auf vier Männer in den Wickelgewändern der Wüstenbewohner, die Aureolus nur von hinten sehen konnte, doch die mit ausschweifender Gestik auf den Gekrönten einredeten.
Hinter dem Thron stand ein anderer Mann in geckenhaft vornehmem Seidenwams, dessen schwarze, anscheinend mit der Brennschere verstärkte Locken bis auf seine Schultern herabfielen. Er hatte ein sorgsam gepudertes Gesicht mit dünnem Schnurr- und Kinnbart und weiche Finger mit gepflegten Nägeln. Überhaupt sah er aus wie jemand, der mehr Zeit mit Sitzen und Essen und Reden verbrachte, als mit Leibesertüchtigungen. Er neigte sich zu dem Mann auf dem Thron hinunter und sprach auf ihn ein. Was er sagte, konnte Aureolus nicht hören, die Lippen bewegten sich lautlos.
War dies ein historisches Bild? Oder zeigte es gar den Kaiser? Aureolus war ihm nie begegnet, überhaupt waren ihm die meisten Magnaten Almadas unbekannt. Und falls dies der Kaiser war: Blickte Aureolus direkt in den Thronsaal, just in diesem Augenblick in die Eslamidenresidenz? Oder war dies nur ein bewegtes Bild, das eine bestimmte Szene zeigte?
Der Kaiser – wenn es dieser war – hob die Augen an die Decke des Saales – eine prächtige Kuppel, an der Bilder von Adlern, Greifen, Vögeln und einem gewaltigen Riesenlindwurm zu sehen waren. Schließlich wedelte er seinen Berater mit unwirscher Handbewegung beiseite, sagte etwas zu den vier Novadis, stieg die Stufen vom Thron herab und verschwand seitlich aus dem Bild.
Aureolus stand auf und hängte das Tuch wieder über den Spiegel. Falls dieser Spiegel ihm wirklich Einblick in den Königssaal zu Punin gewährte – wie konnte er dieses Wissen nutzen?
'Erst einmal musst du deine Schuld bei Mordaza begleichen!', dachte er bitter.
In einer Wandnische führte eine Treppe weiter nach oben. Er musste in einem Turm sein! Von oben drohte ihm wahrscheinlich keine Gefahr, dennoch wollte er sichergehen, dass es hier keine weiteren Zugänge gab.
Er betrat eine hölzerne Plattform. Trotz des hohen Dachstuhls über ihm war es windig, denn in jeder Wand gab es mehrere Schießscharten. Vor einem der Fenster stand ein Teleskop auf einem Dreibein. Aureolus trat an eine andere Schießscharte und blickte hinaus. Auf einem kleineren Turm wehten das Greifenbanner der da Vanyas und das Wappen der Baronie: Ein weißer Schröter über weißem Berg auf grünem Grund. Unter ihm lag der Burghof. Eine ärmlich gekleidete Frau schleppte zwei Wassereimer, ein Mann striegelte eines der Pferde, die vor einem Seitengebäude standen. Ein weiteres Wappen erregte Aureolus Aufmerksamkeit, eine Standarte, die am Eingang des Stalles lehnte: Das Wappen der Grafschaft - ein Geviert von Gold und Purpur mit purpurnen Reben in den goldenen Feldern.
"Romina!", hauchte er. War sie hier? Auf Schrotenstein? Oder waren es weitere Soldaten des Grafen? Nein, sagte sein wild klopfendes Herz, nein, sie war es selbst, sie war hier, er wusste es, spürte es! Konnte das Zufall sein?
Vergessen war aller Stolz, vergessen war alle Vorsicht! Aureolus hastete Treppe um Treppe hinunter. Er musste einen Weg finden, sie zu sehen. Nur einen Augenblick lang, aber er musste Gewissheit haben!
Erst als er die Bibliothek seines Vaters erreicht hatte, mahnte er sich zur Besonnenheit. Er durfte keinen Schergen der da Vanyas in die Arme laufen! Leise entriegelte Aureolus die Falltür und spähte hinab in den darunterliegenden Raum. Offenbar ein Vorratsraum, denn überall türmten sich Säcke, Fässer und Kisten. Aureolus kletterte die breite Stiege hinab und sah sich um. Es gab eine weitere Falltür im Boden und dahinter eine Tür in der Wand. Er entriegelte sie, zog und schob, aber sie ließ sich nicht bewegen. Er besah sich die Scharniere: Sie ging nach außen auf. Noch einmal drückte er gegen das Holz, aber nichts geschah. Ob sie abgeschlossen war? Aureolus sah durch das Schlüsselloch, aber dahinter war es dunkel. Er nahm seine Gewandnadel, steckte sie durch das Schlüsselloch – und stieß bald auf Widerstand. Er versuchte es noch einmal, noch einmal – vergebens! Als er die Nadel zurückzog, rieselte weißer Staub aus dem Loch. Steinstaub! Konnte das sein? Man hatte die Tür zugemauert! Von außen!
Eine schreckliche Ahnung überkam Aureolus. Er zog die Falltür nach unten auf und blickte in lichtlose Schwärze. Da unten gab es bestimmt auch keinen Ausgang. Oder doch? Er musste nachsehen. Sie konnten ihn hier nicht einsperren! Wie sollte er je hier herauskommen? Wenn er zurück durch die dunkle Pforte ginge, wäre der Dämon bestimmt noch da. Und wenn er wartete, bis er wieder bei Kräften war und sich mittels eines Transversalis fort teleportierte, wer sagte dann, dass nicht der Dämon, wenn er so nah war, ihn auch während der wenigen Augenblicke im Limbus überraschte?
"Ich will sie sehen", flüsterte Aureolus zornig. "Ich will sie sehen!" Sie konnten ihm nicht verwehren, nach Romina zu suchen, nachzusehen, ob sie hier war, so nah. Das konnten sie nicht, das durften sie nicht!
Wütend knirschte er mit den Zähnen, ließ die Flamme am Ende seines Stabes entspringen und stieg hinab in die Dunkelheit.
Autor: von Scheffelstein
Düster starrte Romina auf ihren Teller. Die Hausherrin hatte sich entschuldigen lassen, doch die Stimmung an der herrschaftlich gedeckten Tafel war gut. Belisetha da Vanya hatte sich nicht lumpen lassen und man hatte ihren Gästen ein reichhaltiges Frühmahl serviert: Es gab feines Weißbrot und dunkles Roggenbrot, dreierlei Pasteten von Fleisch und Gemüse, zarten Schmelzkäse, Rauchschinken, Honig und Wachteleier, geminztes Quellwasser, Buttermilch und Wein aus dem Yaquirtal.
Alles, was das Herz begehren konnte. Doch Rominas Herz war schwer. Ihre Gedanken waren bei ihrem Onkel. Wo mochte er jetzt sein? Die kleine Zaida versuchte, sie aufzuheitern. Vergeblich. Und so wandte das Mädchen sich dem Knaben Praiodor zu, der sichtlich beeindruckt war von der gräflichen Kriegerschar und von Zaidas abenteuerlichen Geschichten. Nun, da Onkel Gendahar fort war, war es an ihr, Romina, den Knaben in Sicherheit zu bringen.
Ihr Blick fiel auf Golshan, die man am unteren Ende der Tafel neben die gräflichen Knechte und Mägde gesetzt hatte, die den Tross begleiteten. Die Männer und Frauen spotteten über die Wilde, und einige empörten sich über deren nicht vorhandene Manieren. Die Ferkinafrau verschmähte die meisten der Speisen, aß nur Eier und Fleischpastete, schmatzte vernehmlich und wischte sich den Buttermilchbart mit dem Handrücken ab. Irgendwann stand sie einfach auf und verließ den Speisesaal.
Eher widerwillig lauschte Romina den Scherzen der Soldaten. Rondrigo vom Eisenwalde war schon vor einiger Zeit vor die Tür getreten, aber Ardan von Kündoch versuchte nun, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Doch die Plauderei blieb ihr erspart: Golshan kehrte in den Saal zurück und kam geradewegs auf sie zu gelaufen. Einige der Soldaten erhoben sich alarmiert, als die Frau sie am Handgelenk packte und in ihrer rauen Zunge aufgeregt auf sie einsprach. "Achmad'sunni" war das Einzige, was Romina aus dem unverständlichen Wortschwall heraushören konnte. Schließlich gab sie dem Drängen der Ferkina nach und ließ sich von ihr unter den starren Blicken der Gräflichen zur Türe ziehen.
Golshan führte sie geradewegs auf den Burghof hinaus und auf einen der Wehrgänge neben dem oberen Tor. Die Schrotensteiner Soldaten betrachteten die ungleichen Frauen neugierig, verneigten sich jedoch demutsvoll vor der Comtessa und machten ihnen bereitwillig Platz, als sie an die Brüstung traten.
"Achmad'sunni!", rief Golshan mit strahlenden Augen und wies über die Mauern der Burg hinweg nach Osten.
Und wahrlich, da ritten Bewaffnete auf der Straße zur Burg herauf. Romina erkannte die Farben der da Vanyas und andere, die ihr unbekannt waren: Ein schwarzes Banner, darin einen goldenen Turm auf silbernem Berg und dann eine weitere Fahne, ein Geviert aus schwarz und grün: Die Fahne bedeckte einen Körper, der auf einer Bahre lag, die von einem Pferd gezogen wurde. Angeführt wurde der Tross von zwei Frauen in den goldenen Rüstungen der Amazonen. Es waren die beiden, denen sie vor wenigen Tagen vor der Höhle in den Bergen begegnet waren. Die Tochter Domna Rifadas und eine Verbündete.
"Achmad'sunni!", rief Golshan erneut und zupfte Romina am Ärmel, begeistert wie ein kleines Kind. Ihr ganzes Gesicht leuchtete, ihre Augen glänzten, doch Romina konnte die Freude der Frau nicht teilen.
Die, die dort nahten, sahen nicht gut aus: Der alte Ritter unter dem schwarzen Banner konnte sich kaum auf dem Rücken seines Rosses halten, und einige weitere Männer und Frauen schienen verwundet. Die junge da Vanya, die mit bleichem Gesicht voranritt, schwankte im Sattel. Sie hatte die Zähne zusammengebissen und war sichtlich um Haltung bemüht, doch die Linke hatte sie fest um ihren Bauch gepresst. Unter dem Streifenschurz rann Blut an ihren Beinen herab und hinterließ eine Spur auf der staubigen Straße, die selbst von hier oben zu erkennen war.
Autor: von Scheffelstein
Die Flamme seines Zauberstabes tanzte über Steintische und rußgeschwärzte Regale an den Wänden. Über einer längst erkalteten Feuerstelle hing ein gusseiserner Kessel. Auf dem Boden zeichneten sich die silbrigen Linien eines mit Mondsilber ausgelegten Pentagramms ab. Aureolus hielt den Stab höher; das Licht fiel auf verstaubte Flaschen, Krüge und Totenschädel auf den Regalen, auf vertrocknete Kräuter, die von der Decke hingen und – auf Uhren: Sanduhren, Standuhren, Taschenuhren, Sonnenuhren, Astrolabien. Kein Rieseln von Sand, kein Ticken, kein Schlagen: Die Zeit stand still.
Aureolus klappte eine goldene Taschenuhr auf und blickte in sein eigenes Spiegelbild im Deckel. Rings um das filigrane Uhrwerk zog sich eine bosparanische Inschrift, die der junge Zauberer nur mit Mühe entziffern konnte: Nur wer die Zeit beherrscht, herrscht! stand dort in zarten Lettern.
Er steckte die Uhr ein und wandte sich dem großen Steintisch zu, auf dem allerlei alchemistische Apparaturen standen. Ob er hier unten Zaubertränke finden würde oder wenigstens eine Rezeptur, wie sie herzustellen waren? Seine Kräfte waren erschöpft, und er würde eine Menge astraler Macht benötigen, wenn er von hier entkommen wollte – denn einen Ausgang gab es anscheinend auch hier unten nicht – und wenn er zu Mordaza Maraneta zurückkehren musste.
Aureolus' Blick fiel auf ein in grünes Leder gebundenes Buch, dessen Einband mit Mondsilber-Intarsien verziert war – Ornamenten, Drachen und einem Schädel in der Mitte. Aureolus streckte die Hand aus und strich über den verstaubten Einband. Das Metall fühlte sich kühl an, doch als er den Schädel berührte, wurde es wärmer und wärmer, und das Metall zerfloss unter seinen Fingern, bis der Schädel ein silbernes Gesicht zeigte – das Gesicht Rakolus' des Schwarzen.
Aureolus starrte das Bildnis an, unfähig, sich zu rühren. Das Silbergesicht bewegte sich, und Aureolus war, als spüre er Muskeln und Kiefer, die toten Augen richteten sich auf ihn, und das Bild sprach:
"Du bist groß geworden, mein Sohn, und die erste Prüfung hast du gemeistert. Doch ehe du bereit sein wirst, mein Erbe anzutreten, musst du noch viel lernen ..."
"Vater, ich ...", begann Aureolus, doch das Bildnis sprach ungerührt weiter, und so verstummte er.
"Lerne, meine Aufzeichnungen zu lesen. Lerne sorgfältig! Ich werde dir all mein Wissen offenbaren, nach und nach. Wenn du bereit bist, wirst du das Geheimnis deiner Existenz erkennen: Ich habe dir meinen Namen vermacht. Erkenne und nutze ihn, und du wirst auf meine Kraft zurückgreifen können. Ich werde in dir weiterleben, und du wirst mein Werk fortsetzen: Du wirst das Gleichgewicht zwischen den Sphären herstellen! Du wirst die Zeit meistern! Sei der Sohn, den ich erschaffen habe! Enttäusche mich nicht, Aureolus!"
Die Stimme verstummte. Das Metall verformte sich unter Aureolus' Händen, bis ihn erneut ein kalter, regloser Totenschädel aus Mondsilber anglotzte. Aureolus zog die Hand zurück.
"Vater!"
Nichts. Nur die tanzenden Schatten, die seine magische Fackel an die Wände warf.
"Vater! Antwortet mir!", schrie er.
Stille. Als wäre alles nur ein Traum gewesen. Einbildung. Aureolus fröstelte. Eine feine Gänsehaut bildete sich auf seinen Armen. Die Haare in seinem Nacken stellten sich auf.
"Vater!", flüsterte er. "Sprecht mit mir!"
Ein ungeheuerliches Gefühl des Verlusts machte sich in dem jungen Zauberer breit. Wie sehr hatte er sich gewünscht, seinen Vater wiederzusehen, all die Monate und Jahre. Hatte Rakolus der Schwarze ihm diese letzte Botschaft hinterlassen? Aber die Worte waren so kalt, so ohne jedes Mitgefühl gewesen! Enttäusche mich nicht, Aureolus!
Er schlug das Buch auf, blätterte durch die Seiten. Es war in der verschnörkelten Schrift der Elfen geschrieben, Isdira, an manchen Stellen sogar in den alten Asdharia-Zeichen. Isdira beherrschte er kaum, Asdharia gar nicht. Ab und an fanden sich Bilder: Zeichnungen von Sternbildern, Pflanzen, alchemistische Formeln, Wesenheiten, die Aureolus nicht kannte.
Enttäuscht klappte er das Buch zu. Das Vermächtnis seines Vaters – an ihn! Und er konnte es nicht lesen!
Aureolus legte abermals seine Hand auf den Mondsilberschädel. "Vater", flüsterte er, "sprecht zu mir!" Aber das Bild blieb stumm.
Autor: Romina Alba
Romina fluchte leise und versuchte sich zu erinnern, woher die zwei Amazonen gerade kamen. Sie hatte Domna Rifada nie vertraut und sich von ihr entfernt gehalten, nicht nur, aber auch wegen den bösen Blicken, die das Mannweib ihrer Golshan zuwarf. Daher hatte sie nicht erfahren, wohin diese ihre Tochter und deren Begleitung geschickt hatte. Damals war es ihr auch herzlich egal gewesen. Jetzt war es nicht egal, außerdem galt es zu helfen.
Sie drehte sich um und stand vor Leutnant Ardan, der hinter ihr über die Mauer geblickt hatte. Sie blickte irritiert zu ihm auf, natürlich würde er sich zu ihrem Schatten entwickeln, das war typisch für die Tobrier. Sie rollte kurz mit den Augen und lächelte gequält.
"Leutnant, gut, dass Ihr da seid, sorgt bitte dafür, dass diese Leute in die Burg geholt werden und die Magierin in Eurem Gefolge sich um sie kümmert." Ohne Probleme fand sie unter dem forschend besorgten Blick seiner dunklen Augen zu alter Form zurück. Sie war eine Grafentochter und von Klein auf gewohnt, Anweisungen zu geben. Daran würde kein Mann und erst recht kein Ferkina etwas ändern.
Von Kündoch sah kurz zu dem kleinen Trupp auf der Zugangsstraße. Dafür sorgen, dass den Leuten da vor der Burg geholfen wurde... Dies ließ sich sicher auch bewerkstelligen, ohne dass er dazu von der Seite seiner Schutzbefohlenen weichen musste. Nach wie vor hatte er ob deren Erlebnisse ein ungutes Gefühl, wenn er sie für längere Zeit aus den Augen lassen sollte.
"Natürlich, Comtessa Romina. Ich werde sofort wieder zurück sein." Mit einem kaum merklichen Nicken befahl er zwei seiner Begleiter heran, die in seiner Abwesenheit über die Tochter von Graf Brandil wachen würden.
Militärisch korrekt wandte er sich ab und hielt mit schnellen Schritten auf die Maga zu, die zusammen mit einigen anderen Schaulustigen an der Mauer stand. Es bedurfte nur weniger gewechselter Worte, und das Gesicht der Frau wurde von Besorgnis überschattet. Gemeinsam mit der Hälfte seiner Mannen machte sie sich auf den Weg, den Verletzten perainegefällig beizustehen.
Noch während die Hilfe auf dem Weg vor die Tore der Burg war, stand er bereits wieder wie ein Schatten hinter Domna Romina und besah sich wachsam, was dort unten auf der Straße geschah.
Die Gräflichen kamen zusammen mit einigen Mannen der Burgherrin bei den Verletzten an. Die Maga wandte sich an die erste Reiterin und neigte höflich ihr Haupt.
"Rondra und Hesinde zum Gruß. Ich bin Erisdora von Kündoch-Breitenbach, meine Herrin, die Comtessa von Ehrenstein und Streitzig schickt mich, Euch und den Euren zu helfen. Wenn es notwendig ist, kann ich es gleich tun." Der Blick der älteren Frau glitt über die Verletzung und schätzte den Zustand der Kriegerin ein. Einige der Gardisten waren schon abgestiegen, um notfalls zuzulangen, sollte jemand aus dem Sattel fallen.
Autor: SteveT
Gujadanya zog eine Augenbraue in die Höhe und wechselte einen kurzen Seitenblick mit Jelissa. Wo kam diese Zauberin her und was hatte sie auf der Burg ihrer Großtante verloren? Hatte die Tochter des Tobriers dort in ihrer eigenen kurzen Abwesenheit etwa das Kommando übernommen? Auch wenn sie selbst blass war wie Marbo, deutete die junge Da Vanya schließlich doch auf das Pferd hinter sich. "Der greise Caballero dort ist Dom Giromo von Wetterwacht, ein tapferer Streiter dieses Landes. Ihn hat es übel erwischt, seinen einen jungen Escudero nicht minder schlimm. Wenn Ihr Euch auf die Heilzauberei versteht, dann rettet diese beiden!"
Damit trabte sie weiter in den Burghof hinein und warf dabei der gaffenden Menschenmenge, die sich oben auf der schwarzen Wehrmauer Schrotensteins über die Brüstung beugte, einen finsteren Blick zu. Wer waren all diese Leute und was hatten sie hier verloren? Von zwei oder drei Bediensteten ihrer Großtante und dem von ihrer Mutter gefundenen blonden Grafentöchterlein einmal abgesehen, kannte sie keinen einzigen der Gaffer dort oben.
Im Inneren des Burghofes angekommen, wollte Gujadanya schneidig wie immer aus dem Sattel gleiten. Doch ihre Knie versagten ihr den gewohnten Dienst und gaben nach, als bestünden sie aus geschmolzener Butter. Jelissa sprang ebenfalls sofort vom Pferd und schlug ihren weiß-roten Amazonenumhang als Blickschutz über ihre einstige Schülerin.
"Komm hoch! Stütz' dich auf mich! Ich trage dich halb, wenn es sein muss!", zischte sie Al'Cumrat ins Ohr. "Aber nimm dich zusammen und komm hoch! Eine Achmad'sunni kriecht nicht im Staub wie ein ausgezählter Jahrmarktsboxer!"
Gujadanya senkte schamhaft den Blick unter der Zurechtweisung und zog sich mit zusammengebissenen Zähnen an Jelissa hoch. Sie hoffte bloß, dass ihre Mutter nichts davon erfuhr. Weder von dem wenig glorreichen Gefecht gegen die Selaquer, noch von der Schwäche, die sie gezeigt hatte.
Humpelnd erreichten die beiden Amazonen, die jüngere auf die ältere gestützt, den Palas. "Hol mir Yusufina!", herrschte Gujadanya den erstbesten Lakaien an. Die schwatzhafte Zofe ihrer Großtante verband auch immer Belisethas Geschwüre und geschwollenen Beine. Sie würde keinen Ekel empfinden, auch ihre Wunden zu verbinden.
"Wo finde ich deine Herrin?", frug Jelissa Al'Abastraba Yusufina, während sie in Gujadanyas Zimmer auf und ab ging und zusah, wie die Zofe die Wunden ihrer Schwerschwester sauber wusch und verband. Es sah nicht gut aus. Die Harmamund-Tochter hatte Gujadanya einen tiefen Einstich eine Handbreit neben dem Bauchnabel zugefügt. "Sie ist mit dem Castellan des Grafen ... äh, ich meine natürlich mit dem Castellan des falschen Grafen in den kleinen Rittersaal gegangen, um sich dort eine Verwundete anzusehen, die Fischer aus Briesach aus dem See gezogen haben", berichtete Yusufina mit verkniffenem Gesichtsausdruck.
"Dann kann ich sie also stören", stellte Jelissa fest. "Sie muss wissen, was geschehen ist, Gujadanya! Auch wenn es für unsere Seite nicht sonderlich rühmlich ist. Aber immerhin ist sie die Verweserin dieses Landes für ihren Sohn. Vielleicht - oder sogar wahrscheinlich! - sind die Selaquer ebenfalls auf dem Weg hierher und werden das Castillo oder den Ort über kurz oder lang angreifen. Diese Fischer sollen ihren Beifang ein anderes Mal präsentieren - jetzt geht es um Wichtigeres!"
"Oje! Die arme Herrin!", schluchzte Yusufina mit einem Male los, und eine dicke Träne kullerte ihr die rechte Wange herab. "Der Burgsaß Wolpert munkelte, die Verletzte, die die Fischer angeschleppt haben, würde haargenau aussehen wie Domna Rifada! Und jetzt auch noch deren Tochter so schwer verletzt und der Bruder der Herrin ist auch verschollen! Der Kummer wird Domna Belisetha ihr altes Herz brechen!"
"Was?" - "Was?" riefen Jelissa und Gujadanya unisono. "Rifada?" - "Meine Mutter?" - "Verletzt?" - "Verletzt?"
Gujadanya wollte splitternackt und blutig wie sie war wieder vom Lager aufspringen. Aber Jelissa und Yusufina drückten sie mit gemeinsamer Kraftanstrengung in die Kissen zurück.
"Du bleibst liegen, Schwertschwester! Das ist ein Befehl, über dessen Nichtbeachtung ich notfalls die Königin in Kenntnis setzen werde!", drohte Jelissa ihrer einstigen Schülerin mit erhobenem Zeigefinger, während sie rückwärts zur Tür ging. "Du wachst hier bei ihr, bis ich wieder zurück bin!", instruierte sie dann Yusufina, ehe sie auf den dunklen Gang hinaus trat und sich im sporenklirrenden Laufschritt auf die Suche nach dem kleinen Rittersaal der Burg machte.
Autor: Romina Alba
Wärend die Magierin tat, was Gujadanya ihr aufgetragen hatte, sah Romina einfach nur zu. Natürlich war die junge da Vanya abweisend und unfreundlich gewesen. Was hatte sie erwartet? Sie schnaufte, dass da-Vanya-Gezücht konnte ihr gestohlen bleiben! Sie ging schnell die Stiege hinunter zum Burghof und nahm Golshan mit. Die Wilde war ihr allemal lieber als diese genauso wilden Magnaten, die nicht wussten, wer Freund und wer Feind war.
Sie dachte kurz an Richeza und ihren Onkel, der nicht zurückgeritten wäre, hätte sie die Scheffelsteinerin einfach bei den Ferkinas gelassen. Golshan hätte sie nicht mitgenommen. Zu Recht. Richeza war auch eine da Vanya und diese Sippe hatte die Undankbarkeit im Blut. Im Burghof angekommen ging die Grafentochter zu dem alten Caballero, der gerade reingebracht wurde. Sie versuchte ein Lächeln.
"Rondra mit Euch, Dom, ich bin Romina von Ehrenstein und Streitzig. So sagt mir, wer hat Euch das angetan?"
Autor: SteveT
Der Blick des alten Mannes war glasig und in die Wolken gerichtet. Er zeigte keinerlei Reaktion, als die Grafentochter ihn ansprach. Statt seiner antwortete ein junger Mann, der im selben Wappenrock wie er gekleidet war. Er starrte Romina-Alba mit bewundernd großen Augen an, als wäre ihm in finsterster Stunde ein Alveraniar erschienen in diesen dunklen Mauern . "Sein Name ist Giromo Glaciano Aldewein von Wetterwacht, Caballero von und zu Wetterwacht, edle Domnatella!", erklärte Alessio so feierlich, als spräche er von einem Heiligen. "Er war ... äh, nein, nein Boron bewahre ... er ist mein Knappenherr! Meiner und der meines Cumpadres Padro, der ebenso halb erstochen danieder liegt, wie unser armer Herr."
Er wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht, weil er vor einer der schönsten Maiden, die er bislang gesehen hatte, nicht wie ein heulender, blutverschmierter Dreckspatz dastehen wollte. Aber wahrscheinlich war es ohnehin einerlei, wie er aussah - wenn das die Tochter des Grafen war, würde sie einem gemeinen Escudero wie ihm kaum große Beachtung schenken. Deshalb redete er schnell weiter, bevor sie sich einem anderen zuwandte:
"Die Selaquer waren das, diese elenden Hundesöhne! Hängen sollte man sie alle, mitsamt ihrer Herrin! Sind einfach über unsere Grenze gekommen, offenbar um uns anzugreifen, obwohl doch eigentlich umgekehrt wir nach Selaque ziehen wollten, um das besetzte Castillo der alten Domna da Vanya zu befreien, die ... äh ... na ja ... so etwas wie die Minnedame meines Herrn ist. Auch wenn sich so etwas in deren Alter für junge Leute wie uns etwas seltsam anhört." Er zuckte mit den Schultern.
"Jedenfalls sind wir nicht weit gekommen. Nur etwas bis hinter Carano und die Grenze. Dort haben sie uns mit doppelter oder dreifacher Übermacht aufgelauert, heimtückisch versteckt in einem Wäldchen. Ein geckenhafter Lump mit einem Heiligen auf dem Wappenschild hat meinen Herrn und Padro niedergestochen ... San Owilmar oder dergleichen war wohl sein Schurkenname. Die junge Herrin, also die Domna da Vanya meine ich, wurde von einer Frau namens Harmamund verwundet. Soweit ich es gesehen habe, hat diese ebenfalls etwas abbekommen. Bestimmt sind die Selaquer Ratten gerade unterwegs hierher! Aber keine Angst, Domnatella Romina! Ich werde Euch und die Burg mit meinem Leben verteidigen, so wahr ich hier stehe!"
Autor: Romina Alba
Das Mannweib hatte einen Verehrer! Romina sah den jungen Knappen einige Augenblicke verdutzt an, bevor diese Erkenntnis sich genügend gesetzt hatte, um einigermaßen verdaut zu werden. Erst dann schafften es die letzten Worte des Knappen in das Bewusstsein der Comtessa. Sie lächelt warm.
"Habt Dank für Euren Bericht und auch für Euren Schutz, Dom Alessio. Ich bin sicher, dass die Schuldigen spätestens nach des Kaisers Hochzeit schwer bestraft werden. Bis dahin sollten Ihr und Eure Getreuen sowie Euer Knappenherr hier in der Burg bleiben und von jeglicher eigenen Rache absehen." Sie sah dem jungen Mann offen in die Augen. "Bestimmt wollt Ihr bei Eurem Herrn bleiben, ich werde für Wasser und Nahrung sorgen."
Sie wandte sich ab. Eine Harmamund war beteiligt gewesen, das konnte kaum Morena sein, ihr Onkel war in einer anderen Richtung unterwegs. Sie brauchte eine Karte, bestimmt gab es sowas hier. Sie schaute nochmal zurück zu Alessio, der ihr mit glänzenden Augen nachschaute. Sie musste etwas tun, verdammt, die halbe Grafschaft schien verrückt zu werden.
Auf den Weg zurück in den Bergfried hielt sie eine Magd auf und schickte sie Wasser und Nahrung für die Verletzten holen. Carano hieß das Dorf, von dem Alessio erzählt hatte. Sie musste sich das aufschreiben. In ihrem Zimmer hatte es Schreibzeug.
"Dom Ardan, wo liegt dieses Dorf Carano? Noch im Land meines Vaters oder schon in Selaque?" Er könnte auch was tun, außer hinter ihr her zu rennen! Und wo war nur Dom Rondrigo? "Und sucht mir den Castellan, Leutnant, die Grafschaft wird angegriffen!" Sie verschwand in ihrem Zimmer und schloss die Tür vor des Leutnants Nase.
Autor: Der Sinnreiche Junker
Wenig später klopfte es dreimal respektvoll an der Türe der Comtessa. Der leicht metallische Unterton der drei Klopfer verriet ihr bereits, dass Rondrigo vom Eisenwalde, ihres gräflichen Vaters Castellan, vor ihrem Zimmer stand, wie eh und je bis zu den Fingerspitzen in Eisen gerüstet. Gewiss hatte auch er sich von den jüngsten Entwicklungen unterrichten lassen, so wie es sich für den ranghöchsten Vertreter Graf Brandils hier vor Ort gehörte.
„Ihr habt nach mir rufen lassen?“, hob der alte Kämpe fragend die buschigen Augenbrauen.
Autor: Romina Alba
Als es klopfte, sprang Romina flugs vom Bett, es gehörte sich nicht, sich tagsüber hinzulegen, schließlich war sie nicht verletzt.
Als der Castellan im Vorzimmer stand, kam sie gerade aus dem Schlafzimmer. Sie hatte ihn rufen lassen? Sie ging in Gedanken noch einmal das Gespräch mit Dom Ardan durch. Nun ja, so könnte man es auch interpretieren. Sie räusperte sich, bemüht, die Unsicherheit zu verbergen.
"Verzeiht, Dom Rondrigo, ich bin ob der Geschehnisse etwas aufgebracht. Was gedenkt Ihr zu tun? Diese Menschen sind der Grafschaft zugehörig, und sie wurden angegriffen. Vater weilt in Punin, daher habt Ihr alle Entscheidungsgewalt. Sagt jetzt nicht, Ihr müsst mich nach Punin bringen, dort ist keiner, der auf mich wartet, und zur dieser Hochzeit werde ich nicht reisen!"
Die Comtessa trug wieder die für sie geschneiderte Junkertracht. Dom Ardan hatte an alles gedacht und ihr Kleidung sowie ein gutes Pferd mitgebracht. Allerdings war diese Tracht ihr jetzt um einiges zu groß und ließ sie, wie ihr schmal gewordenes Gesicht, noch kindlicher erscheinen. Allein ihre blauen Augen blitzen wie eh und je und ließen erahnen, dass hauptsächlich ihr Körper in der Gefangenschaft gelitten hatte.
"Hier im Castillo bin ich sicher und Ihr hätten mit den Reitern, die Dom Ardan mitgebracht hat, genügend Garde, um ein wenig Druck zu machen."
Autor: Der Sinnreiche Junker
„Verzeiht, Euer Hochgeboren, doch fürchte ich, dass Eure Teilnahme an den Feierlichkeiten in Punin erwartet wird; Euer Fehlen auf Euch, Euren hohen Vater und den guten Namen Eurer Familia zurückfallen könnte.“
Dom Rondrigo räusperte sich und musterte seine Fußspitzen, war es ihm doch scheinbar recht unangenehm dies auszusprechen. Dann trat er an ihr Fenster und ließ den Blick über die Lande schweifen. Natürlich war ihm klar, wie wenig die Comtessa, die einstmals als aussichtsreiche Heiratskandidatin für den Kaiser galt, über diese Hochzeit erfreut sein dürfte. Leise fuhr er fort: „Falls Ihr Euch freilich nach den Strapazen außer Stande sähet, die Weiterreise anzutreten, so kann gewiss niemandem ein Vorwurf gemacht werden. Ich bin kein Medicus, und kann nicht beurteilen, ob etwaige Unpässlichkeiten Euch das Reisen unmöglich machen. Zweifellos würde niemand das Wohlergehen und die Gesundheit Eurer Hochgeboren aufs Spiel setzen wollen, nur um noch bis übermorgen nach Punin zu gelangen. Oder innerhalb der neun Tage andauernden Feierlichkeiten.“
Einige Augenblicke ließ der alte Castellan ihr Zeit seine Worte zu bedenken, dann hob er lauter wieder an: „Was nun Euer anderen Anliegen angeht, so fürchte ich, dass mir die Hände gebunden sind. Das Aufgebot aus Schrotenstein wurde, wie’s aussieht, überfallen, das ist wahr. Doch wurde es bei dem Versuch überfallen, mit Waffengewalt nach Ksl. Selaque hinein zu gelangen. Dies zu klären übersteigt meine Kompetenz und entzieht sich womöglich auch meiner Zuständigkeit, zumal jene Magnaten beschlossen haben, ihren Zwist auf althergebrachte Weise auszutragen und eben nicht ein Gericht anzurufen, sei es das Eures hohen Vaters, sei es das des Kaisers. Ganz davon abgesehen fehlte uns auch mit Dom Ardans Leuten die militärische Stärke, um hier irgendetwas durchzusetzen. Diese Magnaten verschanzen sich auf ihren Burgen und lachen auf uns herunter, während stets die Gefahr eines Ferkinaüberfalls droht.
Glaubt mir …“, wandte er sich zu Romina Alba um, die gepanzerte Faust geballt. „Glaubt mir, dass ich nichts lieber täte, als dieses renitente Pack allesamt in Ketten vor Euren hohen Vater zu führen, auf dass er sie am besten allesamt aburteile.“
Autor: Romina Alba
Romina wusste sehr gut, dass der alte Mann recht hatte. Ihre Schultern sanken nach unten, und sie hatte das Bedürfnis, auf der Unterlippe zu nagen. Ihre Knappenherrin hatte ihr so manche Ohrfeige versetzt, um ihr diese 'weibische' Mimik abzugewöhnen. Sie war erfolgreich gewesen, denn jedes Mal, wenn sie die Unterlippe in den Mund zog, musste sie an die Schläge denken. Sie holte tief Luft.
"Nun gut, dann sollen sie sich gegenseitig umbringen, das hat spätestens dann ein Ende, wenn sie sich ausgerottet haben." Sie ging zu Dom Rondrigo und legte ihm ihre Hand auf den Arm. "Dann will wenigstens ich Euch und meinem hohen Vater kein Kopfzerbrechen mehr machen. Wie wäre es, wenn ich von hier aus direkt nach Punin reisen würde?"
Ihr Herz schlug bis zum Hals bei dem Gedanken, dass alles umsonst gewesen wäre. Sie dachte an das Banner, das sie seit der Gefangenschaft mit sich herumtrug. Sie könnte es mit nach Punin nehmen und es dem Kaiser vor die Füße werfen. Aber das würde noch viel mehr ihrem Ruf und ihrer Familia schaden. Sie senkte Blick und Stimme.
"Ich trage das Rossbanner bei mir, würdet Ihr es dem Tempel zurückgeben? Ich will es nicht mit nach Punin nehmen." Sie hob die glänzenden Augen zu Dom Rondrigo hoch.
Autor: Der Sinnreiche Junker
Die wettergegerbte Haut des alten Kämpen spannte sich unterhalb der Schläfen, dort wo grimmig seine beiden Kiefer übereinander mahlten. Ganz offensichtlich ging auch ihm diese aufgezwungene Tatenlosigkeit gegen den Strich, doch war es in Almada schon immer so gewesen, und es würde wohl auch immer so bleiben: die Geschlechter stritten und zankten und mordeten sich gegenseitig aus, und mochte dabei Dere zu Grunde gehen. Und momentan sah es hinsichtlich der Ferkinas zumindest für die Grenzlande ganz danach aus.
Dann freilich horchte er auf. Hatte sie den Ausweg, den er ihr aufgezeigt hatte, nicht wahrgenommen? Unwahrscheinlich, sodass sich die Grafentochter wohl tatsächlich entschlossen hatte, der Kaiserlichen Hochzeit beizuwohnen. Ihre weiteren Worte boten dann immerhin ihm den Ausweg, dies unangenehme Thema nicht weiter verfolgen zu müssen.
„Ihr habt das Rossbanner in Sicherheit gebracht?“, fragte er überflüssigerweise mit für seine Verhältnisse beinahe freudig überraschtem Gesichtsausdruck. „Das Banner der heiligen Hadjinsunni“, senkte er die Stimme ehrfürchtig beinahe zum Flüsterton, um dann sachte das greise Haupt zu schütteln: „Nein, Euer Hochgeboren sollten das Banner selbst zurück bringen. Die Ehre gebührt niemandem denn Euch. Solange das Banner nicht verloren ist, ist der Orden nicht untergegangen“, verkündete er weihevoll, auch wenn ihm mancher angesichts der zerschlagenen Ordensstreitmacht wohl widersprechen würde.
Autor: Romina Alba
Erinnerungsschwanger senkte Romina das Haupt.
"Ich fand das Banner in dem Loch, in dem sie mich festhielten. Es gab mir Hoffnung. Doch gerettet hat es die Ferkina Golshan, so wie auch mich und Domna Richeza. Ich weiß bis heute nicht, warum die Ferkina sich gegen ihren Stamm stellte. Vielleicht, weil diese Wilden alle ihre Frauen wie Sklaven ..." Sie brach ab und wischte fahrig durch die Luft. "Es ist vorbei! Ich werde Golshan in ein Traviakloster geben. Dort soll sie unsere Sprache und Gebräuche lernen. Dann nehme ich sie wieder zu mir. Niemand soll ihr je Böses tun, ich verdanke den Göttern und ihr meine Unversehrtheit."
Sie hob den Blick zu dem ihr so vertrauten Recken und schenkte ihm ein schelmisches Lächeln. "Erklärt ihr Leutnant Ardan, dass ich über Wildenfels nach Punin reisen will!" Sie konnte schon immer abrupt Thema und Laune wechseln.
Als Dom Rondrigo zu einer scharfen Erwiderung ansetzte, unterbrach sie ihn seufzend mit einer Handbewegung.
"Ich weiß, ich weiß, seit ich Caballera bin, ist es ist meine Angelegenheit, mich durchzusetzen." Die kindliche Romina hatte das gerne der Mutter oder dem Castellan überlassen. "Dann seid so nett und schickt mir den Leutnant, wenn Ihr ihn seht." Das kurze Aufblitzen der unbeschwerten Comtessa, wie sie noch vor einigen Wochen gewesen war, verflog. Sie wandte sich ab und gab ihrem alten Lehrer zu verstehen, dass die Unterredung ein Ende gefunden hatte.
Autor: Der Sinnreiche Junker
Ach ja, Golshan. Die Wilde hatte der alte Castellan beinahe schon wieder vergessen. Nun ja, auch für sie würde man einen Platz finden. Als freilich die Comtessa eine Abänderung der Reiseroute verlangte, hoben sich seine buschigen Augenbrauen in die Höhe. Wildenfest? Er konnte sich schon denken, dass dies etwas mit dem Rossbanner zu tun hatte, doch bedeutete dies einen veritablen Umweg. Und vom Zeitfaktor – der Kaiser heiratete übermorgen – einmal abgesehen, würde es sie abermals mitten in ferkinaverseuchtes Gebiet führen. Freilich kam er gar nicht dazu seinen Einwand anzubringen, sodass ihm vorerst nichts weiter übrig blieb, als sich respektvoll vor Domna Romina zu verneigen.
„Wie Ihr wünscht, Comtessa“, murmelte er, und schritt dann von dannen, den Leutnant Ardan herauf zu senden. Ein kleines Weilchen mochte gewiss vergangen sein, bis Romina von Ehrenstein-Streitzig erneut die schweren Schritte eines Kriegers vor ihrer Türe vernahm. Eine kurze Pause, dann klopfte es erneut gegen deren Holz.
Autor: von Scheffelstein
Belisetha da Vanya starrte auf den grausam zugerichteten Leib ihrer Nichte und blinzelte die Tränen fort, die sich hinter ihren Lidern sammelten. Sie hatte die Fischer fortgeschickt, nachdem diese berichtet hatten, wann, wo und wie sie Rifada gefunden hatten.
Die tröstende Hand des alten Castellans auf ihrer Schulter war verschwunden. Er hatte sich entschuldigt, die junge Comtessa hatte nach ihm verlangt. Außer der Geweihten und ihr war niemand mehr in dem kleinen Rittersaal.
Belisetha fühlte sich elend. Am liebsten hätte sie geweint. Der Anblick ihrer Nichte, die sie in mancher Hinsicht so sehr an ihre eigene Schwester Leonida erinnerte, erfüllte sie mit Kummer und Entsetzen. Kein Mensch sollte so etwas erleiden müssen, und doch erst recht kein Mitglied ihrer Familia! War es die Rührseligkeit des Alters, die sie ausgerechnet jetzt in der gefallenen Kriegerin das kleine Mädchen erkennen ließ, das ungestüm und stolz auf dem Steckenpferd über den Hof des Castillos da Vanya galoppiert war? Das manches Mal Belisethas Herz fast hatte stehen bleiben lassen, wenn es – so jung und unbekümmert – auf Fenstersimse und Dächer geklettert war, auf Bäume und Brückenpfeiler, um Vogelnester auszunehmen oder um seinem kleinen Schwesterlein bunte Federn und glitzernde Steine aus den höchsten Höhen der Bäume und der reißendsten Strömung der Bäche zu bergen?
'Ach, ihr Götter', dachte sie, 'lasst doch das arme Kind nicht einen so scheußlichen Tod sterben!'
"Mein liebes Mädchen", murmelte Belisetha, tätschelte die Hand der Kriegerin, die auf dem Tisch lag, kalt und grau, zog ein Taschentuch aus ihrem Morgenmantel und tupfte sich damit über Augen und Wangen.
Es half nichts: Sie durfte sich ihrem Kummer nicht hingeben. Sie war die Herrin von Wildenfest, die Herrin von Schrotenstein - in der Abwesenheit ihres Sohnes, die Soberana der Familia, solange ihr Bruder fort war. Amando hatte sie gewarnt im Traum, es war an ihr, sich um ihre Familia zu kümmern, niemandem war geholfen, wenn sie verzweifelte!
Abermals drückte Belisetha die Hand ihrer Nichte, als könnte sie dadurch Wärme in diesen kühlen, bleichen Körper zurückbringen, als würde so die blutverkrustete Brust, die sich nur schwach – kaum merklich! – hob und senkte, mit neuem Atem gefüllt.
"Was könnt Ihr für sie tun, Euer Gnaden?", fragte sie die Priesterin, die Rifada, nachdem die anderen sie alleine gelassen hatten, auf dem Tisch entkleidet hatte, um sich ihre Wunden anzusehen.
"Ich werde ihre Wunden waschen und segnen, Euer Wohlgeboren, und für sie beten. Gebe die gütige Mutter Peraine, dass das Übel des Dämons, der sie verletzte, nicht zu tief in ihren Leib eingedrungen ist."
Belisetha betrachtete die junge Geweihte einen Moment lang. Auch wenn diese sich um ein zuversichtliches Lächeln bemühte, war nur zu deutlich, dass sie dieserart unnatürliche Wunden noch niemals gesehen hatte.
Es klopfte an der Saaltür. Die Meisterin der Ernte schlug rasch ein Tuch über die Blößen der Verwundeten. Alessio trat ein, einer der Knappen des alten Caballeros von Wetterwacht.
"Eure Wohlgeboren", sagte er, als Belisetha ihn entgeistert anblickte, "wir mussten umkehren. Störe ich? Darf ich ..."
Doch in diesem Moment wurde er unsanft beiseite geschoben, und eine Frau in der Rüstung der Amazonen betrat den Rittersaal: Jelissa Al'Abastra, die Geliebte ihrer Nichte.
Belisetha vergaß einen Moment lang ihren Kummer und presste die Lippen zusammen. "Was ist geschehen?", fragte sie dann, und ihre Finger schlossen sich unwillkürlich fester um Rifadas Hand, gerade so, als könne die tödlich Verwundete ihr die Kraft geben, weitere unheilvolle Nachrichten gefasst entgegenzunehmen.
Autor: SteveT
"Unwichtig!", winkte Jelissa Al'Abastra ab, rammte Alessio grob mit dem Ellenbogen beiseite, ohne ihn überhaupt richtig zu bemerken, und stürzte zu der auf dem Tisch aufgebahrten Geliebten.
"Rifada! Was ist mit dir geschehen? Welcher Hund hat dir das angetan?", schrie sie verzweifelt und warf Belisetha und der jungen Briesacher Perainegeweihten einen verzweifelten, fragenden Blick zu.
Sie sog scharf die Luft ein, als sie das Tuch anhob, das Rifadas geschundenen Leib bedeckte. Sie hatte solche Wunden bereits gesehen. An der Trollpforte, bei Schwertschwestern aus Kurkum, und nicht eine von ihnen hatte diese überlebt!
"Das ... das sind die Male eines Dämons!", schrie sie entsetzt. "Ist das hier geschehen? Schrotenstein ist ein verfluchter Ort! Dahinter steckt Rakolus der Schwarze! Rifada muss auf dem Weg nach Wildenfest einer seiner Höllenkreaturen begegnet sein! Oder ihm selbst?", schloss sie fragend und sah dabei Belisetha forschend in die Augen ...
Autoren: von Scheffelstein, SteveT
Die alte Junkerin schüttelte bekümmert den Kopf. "Nein, Domna Jelissa, der Schwarze Rakolus ist tot, seine alten Gemächer auf dieser Burg seit langer Zeit versiegelt. Aber auch Ihre Gnaden geht davon aus, dass das arme K... äm... Rifada einem Dämon begegnet ist. Mögen die Götter wissen, wo. Fischer haben sie heute Morgen im Schilf am südlichen Ufer des Schwarzen Sees gefunden. Sie trug unser Familienerbstück bei sich, das Signum Griphonis Solaris. Vielleicht ist sie deshalb noch ... am Leben."
Belisetha da Vanya schluckte und ließ die Hand ihrer Nichte los. "Wo ist das Mädchen?", fragte sie Jelissa dann. "Wo ist Rifadas Tochter? Wieso seid Ihr hier?"
"Sie ... sie ist verwundet, Herrin", flüsterte Alessio, der bleich und mit weit aufgerissenen Augen im Türrahmen stand und die entblößte Kriegerin mit ihren furchtbaren, entstellenden Verletzungen anstarrte. "Domna Delicia ist tot. Mein Herr ist schwer verletzt. Es tut mir leid, Eure Wohlgeboren! Es waren mehr als drei Dutzend Männer und Frauen der Reichsvogtin von Selaque. Sie ... wir haben sie ..." Er verstummte und warf Jelissa Al'Abastra einen furchtsamen Blick zu.
"Sie hat eine tiefe Stichwunde!", gab Jelissa bezugnehmend auf Belisethas Frage nach Gujadanya zu, ohne den Blick von Rifadas abgetrennter Brust zu nehmen. "Eine Kriegerin der Harmamunds hat sie ihr zugefügt. Al'Cumrat ... äh, ich meine Eure Großnichte, kannte die Frau näher - sie hat sie ihrerseits schwer verwundet, wenn ich es auf die Entfernung richtig sehen konnte."
Belisetha erstarrte. "Verwundet?", hauchte sie. "Gujadanya auch? Dom Giromo? Und Domna Delicia – tot?" Ihr schwindelte. Die Kopfschmerzen, die sie während der letzten halben Stunde fast vergessen hatte, waren mit einem Mal wieder präsent. Ihr Blut rauschte in ihren Ohren.
Die Geweihte, die Verbände und Wundsalben aus ihrer Tasche ausgepackt und auf einem Seitentisch ausgebreitet hatte, eilte herbei und griff ihr unter die Arme, gerade, als Belisetha zu taumeln drohte. "Rasch!", sagte die Frau, "Einen Stuhl!"
Alessio sprang hinzu und schob ihr einen Stuhl unter. Belisetha ließ sich schwer darauf nieder. Für einen Moment drehte sich alles.
"Wasser!", sagte die Geweihte, "Hol' Wasser! Mindestens zwei Krüge, einer kalt und einer heiß. Und einen Becher und eine Schüssel."
Alessio stürzte aus dem Saal, offenkundig froh, sich nützlich machen zu können.
Belisetha blickte die Amazone an, fast als hoffe sie, diese würde ihr nun sagen, was zu tun war. Aber sie musste entscheiden, sie selbst. Belisetha wischte sich über das Gesicht. "Geht es Gujadanya gut? Gut genug? Ich meine: Steht es schlimm um sie?", fragte sie bang, fuhr aber sogleich, an sich selbst gewandt, fort. "Yusufina soll nach ihr sehen und nach dem armen Dom Giromo. Sie ist bewandert genug in der Heilkunst, solange die Wunden nicht zu schwer sind. – Eure Gnaden, Ihr sorgt bitte für meine Nichte, tut für sie, was immer Ihr tun könnt, und wenn Ihr etwas benötigt, lasst es mich wissen, Ihr sollt es bekommen, koste es, was es wolle."
Die politischen Entscheidungen mussten warten, hier ging es um das nackte Überleben ihrer Anverwandten – vielleicht gar ihrer Familia! Lisi, Schwester, sieh dich vor! Unsere Familia ist in Gefahr! Angst ergriff Belisetha: Rifada und nun auch Gujadanya. Wer war als nächstes an der Reihe? Was waren das für Gerüchte, Amando sei verschwunden? Wo nur trieb sich Lucrann herum, warum hatte sie seit Monden keine Nachricht von ihm erhalten? Und was war mit dem kleinen Moritatio und mit Leonidas anderer Enkeltochter, Richeza? Und dann war da noch dieser ominöse Brief, in dem ein Unbekannter, so sie ihn richtig deutete, mit dem Tode von Rifadas Gemahl Berengar von Schlehen drohte. Auf ihr Schreiben an die Reichsvogtin hatte Belisetha noch keine Antwort erhalten.
Alessio kehrte mit dem Gewünschten zurück, reichte ihr einen Becher, stellte der Geweihten eine Schüssel hin und goss auf deren Geheiß heißes und ein wenig kaltes Wasser hinein.
"Geh und sorge dafür, dass Dom Giromo gut versorgt wird, Alessio!", befahl Belisetha und erhob sich schwerfällig.
"Entschuldigt mich, Domna Jelissa!", sagte sie, ungewohnt freundlich – doch war es nicht besser, Rifada hatte überhaupt jemanden um sich, jemanden, der ihr zugetan war, selbst wenn es nicht ihr Gemahl war oder eines ihrer Kinder, als niemanden?
Sie musste sich ankleiden, und dann wollte sie nun doch ein Wort mit der jungen Comtessa wechseln. Zu dumm, dass Selaque dem Kaiser selbst unterstand und nicht dem Grafen. Und der Kaiser hatte derzeit andere Interessen als eine elende Fehde oder ein paar marodierende Ferkinas – in zwei Tagen war seine Hochzeit. Aber vielleicht hatte der Graf Möglichkeiten, die Angelegenheit zu forcieren, ihre Dringlichkeit zu betonen.
Noch während Belisetha leise die Tür hinter sich schloss, wusste sie, dass sie sich wenig Hoffnung machen durfte. Aber sie wusste nicht, was sie sonst tun konnte. Die Zeit war ihr Feind, denn die Zeit bedrohte das Leben ihrer Liebsten!
Als Belisetha hinausging rief Jelissa - wie um der Burgherrin wenigstens etwas Tröstliches zu verkünden - ihr hinterher: "Macht Euch wegen Gujadanya keine allzu große Sorgen. Sie ist zäh wie Ferkinaleder und hat schon ganz andere Verwundungen auskuriert."
'Dasselbe würde ich normalerweise auch von dir glauben!', fügte sie in Gedanken still hinzu und streichelte zärtlich über Rifadas Wange. Als die alte Burgherrin den Saal verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte, packte Jelissa die junge Perainegeweihte, die Rifadas Wunden wusch, energisch am Ärmel ihres grünen Gewandes.
"Ich habe selbst die Weihen der Herrin Rondra empfangen, Schwester - Ihr könnt also zu mir getrost ganz offen unter Klerikern sprechen: Ich kenne diese zunächst purpur-schwärenden und danach bald schwarzfaulenden Wunden gut, denn ich sah nach der Dritten Dämonenschlacht über drei Dutzend meiner Schwertschwestern daran binnen weniger Tage elend zugrunde gehen." Sie blickte noch einmal schluckend in Rifadas blasses, zerzaustes Antlitz und flüsterte dann der Geweihten neben ihr ins Ohr: "Sie sind tödlich nicht wahr? Nur ein Dämon selbst oder vielleicht noch ein außerordentlich mächtiger Zauberer könnte ihr Leben mit diesen Wunden retten?"
Die junge Perainegeweihte nickte. "Da Ihr bereits das bedauerliche Schicksal Eurer Kampfgefährtinnen erfahren habt, muss ich Euch nichts weiter dazu sagen. Das einfache Volk glaubt, dass solche Menschen mit Dämonenmalen verflucht sind. Ich glaube eher, dass es sehr, sehr mutige Menschen sind, denn es gehört viel dazu, sich einem der Unaussprechlichen in den Weg zu stellen. Hoffnung gibt es immer, solange wir auf die Gütige Herrin und ihre elf Geschwister vertrauen. Ihr solltet für sie beten, wie ich es auch tun werde. Das ist das Beste, was wir für Eure Gefährtin tun können."
Jelissa nickte und trat zurück. Sie musste sich abwenden, denn zum ersten Mal seit über fünfzehn oder zwanzig Jahren spürte sie, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie wischte sich beschämt mit dem Ärmel ihres Waffenrocks darüber und begann wie eine unruhige Löwin im Raum auf und ab zu schreiten.
4. Rondra 1033 BF, mittags[Quelltext bearbeiten]
Autor: von Scheffelstein
Gekleidet in vornehmes Schwarz, wie es dem Anlass und auch ihrer Stimmung angemessen war, mühte sich Belisetha da Vanya die Treppen hinauf zu den Gästegemächern, in denen sie die Grafentochter hatte unterbringen lassen. Keuchend verweilte sie einen Moment auf dem Absatz, und wurde von einem jungen Mann eingeholt, der mit freundlichem Nicken geradewegs an ihr vorbei auf den Salon der Comtessa zuhielt. Er trug die Farben der gräflichen Familie und klopfte an der Tür.
"Herein!", hörte Belisetha es von drinnen, doch der junge Mann – sie hatte bedauerlicherweise seinen Namen vergessen, nur dass er der Leutnant der gräflichen Garde war, das wusste sie noch – öffnete sie nicht gleich, sondern sah stattdessen zu Belisetha.
"Wollt Ihr zu Domnatella Romina Alba?", fragte er.
"In der Tat", sagte die Junkerin. "Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen." Kurz fragte sie sich, ob der Mann aus rein pflichttreuen oder aber aus privaten Gründen hier war. Doch falls sie seinen Absichten im Wege war, ließ er sich nichts anmerken.
"Gewiss nicht! Bitte, Domna Belisetha, nach Euch!" Er öffnete die Tür und hielt sie ihr auf, während sie hineinging.
"Eure Hochgeboren!" Die Junkerin neigte kurz respektvoll das Haupt, während der Leutnant die Tür schloss und abwartend stehen blieb. Belisetha sah von der Comtessa zu ihrem Offizier und wieder zurück. "Ich hoffe, ich suche Euch nicht zu unpassender Zeit auf, Domnatella Romina. – Bitte verzeiht meine Abwesenheit an diesem Morgen. Mir war nicht wohl, das Alter." Sie lächelte entschuldigend. "War alles zu Eurer Zufriedenheit? Wenn Ihr etwas benötigt oder meine Diener etwas für Euch tun können, lasst es mich bitte wissen."
Autor: Romina Alba
Als Ardan von Kündoch auf ihr energisches "Herein!" nach einiger Zeit immer noch nicht eingetreten war, drehte sich Romina vom Fenster weg und sah irritiert zur Tür. Noch bevor sie, von dem Gedanken beseelt, der Leutnant wäre neuerdings schwerhörig, ihre Aufforderung lauter wiederholen konnte, öffnete sich die Tür und ihre Gastgeberin trat ein, gefolgt von dem Ritter ihres Vaters. Romina unterdrückte jedwede Überraschung, verbeugte sich brav und passte auch ihr Lächeln der Situation an. Sie war wahrlich die Tochter ihres Vaters.
"Es ist alles vorzüglich, habt Dank für Eure Mühen, Domna da Vanya." Ihr Lächeln erstarb. "Mögen die Götter Euch segnen, auf dass es Euch bald besser geht." Ihr kühler Ton brachte spürbar Distanz zwischen die beiden Frauen. "Ich werde bald abreisen, man erwartet mich in Punin."
Sie war dünn geworden, die kindlich vollen Wangen waren jetzt hohl und die einst maßgeschneiderte Kleidung, die man ihr mitgebracht hatte, schlotterte an ihr. Trotzdem war sie ganz Grafentochter, stolz, ruhig und aufrecht stand sie da und verdeckte ihre innere Zerrissenheit fast gänzlich.
Autor: von Scheffelstein
Belisetha lächelte freundlich, obwohl ihr nicht im Mindesten nach Lächeln zumute war. Kurz sah sie zum Fenster, dann suchte ihr Blick die eisblauen Augen der jungen Frau. "Gewiss werdet Ihr zur Hochzeit Seiner Kaiserlichen Majestät reisen", sagte sie. "Ihr solltet nach Westen und über Ragath reisen. Auch wenn es der längere Weg scheint, ist er schneller und sicherer. Die Straße nach Schlangentodt ist in weit schlechterem Zustand als die Reichsstraße. Und wer weiß, wie weit nach Süden die Wilden vorgedrungen sind?"
Sie wusste nicht, wie sie ihr Anliegen vorbringen sollte. Denn was konnte die Comtessa schon für sie tun? Aber in ihrer Verzweiflung würde sie jeden Strohhalm ergreifen, der sich ihr bot und der verhindern mochte, dass ihre Familia in Blut ertrank.
"Domnatella Romina", sagte sie vorsichtig, "dürfte ich Euch ersuchen, Eurem Hohen Vater getreulichen Bericht über die Lage im Bosquirtal zu erstatten?" Was würde sie sagen, wenn sie ehrlich war? An dem ganzen Schlamassel, in dem sie sich nun befanden, war ja nun nicht zuletzt auch Rifada mit ihrer Halsstarrigkeit schuld. Ach hätte sie nur ...
Die Junkerin zwang ihre Gedanken zurück ins Hier und Jetzt. "Mehr als alles andere benötigen wir nun die militärische Unterstützung durch das kaiserliche Heer, um die Wilden endgültig aus den Grenzlanden am Raschtulswall zu vertreiben und sie dorthin zurückzudrängen, wo sie hergekommen sind – oder besser noch: um uns dieser Plage ein für alle Male zu entledigen."
'Und wenn die Soldaten erst hier sind, dann ist es auch vorbei mit dem elenden Gezänk zwischen den da Vanyas und der Reichvogtin', dachte sie. 'Dann wird kein Blut mehr fließen für eine unsinnige Sache, für nutzlosen Stolz.' Ach, Leonida, ihre Schwester, hätte sie gewiss getadelt für ihre Schwäche und Nachgiebigkeit, eben für den mangelnden Stolz, den sie zeigte. Doch was sollte sie tun? Sie besaß nicht die Autorität ihres Bruders und nicht die unerbittliche Härte und Kampfeskraft, die ihrer Schwester zu eigen gewesen war. Aber sie würde nicht tatenlos zusehen, wie ihre Familia zugrunde ginge! Und wenn es der verfluchte Harmamund mit seinen Mannen war, der den Tod ihrer Angehörigen verhinderte, dann würde sie diese bittere Pille schlucken.
"Wenn es Euch gelänge, Domnatella Romina, Euren Hohen Vater davon zu überzeugen, wie wichtig ein eiliges Eingreifen im Bosquirtal ist, und wenn dieser Kraft seiner Autorität als ... Graf Ragaths den Kaiser zu einer vorzeitigen Intervention zu bewegen vermöchte, so wäre ich Euch zu tiefstem Dank verpflichtet."
Sie konnte sich vorstellen, welcher Art die Dankbarkeit ihrer Nichte wäre und was diese zu Belisethas Bitte zu sagen hätte. Aber, bei der gütigen Travia: Sie, Belisetha, war noch immer die stellvertretende Soberana der da Vanyas, und Amando, da war sie gewiss, hätte volles Verständnis für ihr Vorgehen. Amando hatte diese Fehden nie gut geheißen, stets betont, dass vergangenes Unrecht nichtsdestotrotz vergangen war und Gerechtigkeit nur dem widerführe, der sie sich in der Gegenwart verdiene.
Trotzdem war Belisetha unwohl zumute. All dies hier war nur ein Zeichen ihrer Hilflosigkeit. Was bat sie dieses junge Kind um Beistand, das doch selbst – das sah man nur zu deutlich – eine so schwere Bürde zu tragen hatte? Mitleid stahl sich in Belisethas Blick. Und Trauer. Es gab kein leichtes Leben. Für niemanden.
Autor: Romina Alba
Erst trat Überraschung, dann eine tiefe Wärme in die Augen der jungen Comtessa. Sie sah deutlich das Leid und die Erschöpfung in den Augen der älteren Frau.
"Wollen wir uns nicht erst einmal setzen, Euer Hochgeboren?" Sie schaute kurz zu von Kündoch, der verstand, der alten Dame und seiner Comtessa die Stühle zurechtrückte und sich wieder in seine ruhige Ecke verzog.
"Einer der Gründe, warum ich direkt nach Punin will, ist der Versuch, unseren Kaiser davon zu überzeugen, so schnell es nur geht Entsatz zu schicken. Ich werde meinem gräflichen Vater und meinem hohen Großvater getreulich Bericht erstatten. Sowohl über die unglaubliche Anzahl an Ferkinas und ihre Bösartigkeit, als auch über diese zu so einer Zeit unermesslich schädliche Fehde zwischen der Reichsvogtin und den da Vanyas."
Ihr Blick wurde wieder kühl. "Ihr erstaunt mich, Domna Belisetha. Keiner Eurer Familia ist mir mit annähernd soviel Anstand begegnet."
Sie verzog in einem Anflug eines Schmunzelns das Gesicht. "Nun ja, fast keiner. Euer junger Großneffe, Dom Moritatio, reichte mir seinen Umhang, als ich in den Bergen spärlich bekleidet fror." Kurz fingen ihre Augen die Erinnerung auf, um sich dann schnell wieder der Gegenwart und der Junkerin zuzuwenden.
"Es ist viel dort draußen passiert." Sie wischte durch die Luft, als wolle sie die Gedanken vertreiben. Ihr Onkel war dorthin zurückgekehrt, auch wegen einer da Vanya. Männer wollten immer haben, was sie nicht bekamen. Das musste sie sich merken.
"Eure Bitte wäre nicht nötig gewesen, doch sie ehrt und freut mich. Ich helfe gerne. Die Magierin, die Dom von Kündoch", kurz nickte sie in dessen Richtung, "für mich mitgebracht hatte, hilft draußen auf dem Hof den verletzten Männern und Frauen. Auch wenn die stolze Amazone da Vanya die Hilfe für sich deutlich ablehnte. Ich hätte es wahrlich besser wissen müssen." Sie seufzte kurz. Erstens war es Magie und zweitens kam die Hilfe von der Tochter des Thronräubers. Gerade Rifada da Vanya hatte sich mit solchen Bemerkungen nicht zurückgehalten. Wenn sie es sich recht überlegte, wunderte sie sich im Nachhinein, dass sie neben dieser Frau lebend aus den Bergen herausgekommen war.
"Ich werde mich auch darum kümmern, dass der junge Praiodor zu seinen Verwandten zurückfindet." Kurz wanderten ihre Gedanken zu Domna Richeza. Sie mochte sie nicht sonderlich, doch sie hoffte für den Knaben und für ihren Onkel, dass sie überlebte.
Autor: von Scheffelstein
Belisetha betrachtete die junge Frau nachdenklich. Euer Hochgeboren, hatte die sie genannt. Offenbar hielt sie sie für die Herrin von Schrotenstein. Nun, vor langer Zeit war sie das einmal gewesen. Vor noch längerer Zeit war sie genau das gewesen, was das Mädchen, das vor ihr saß, heute war: Die jüngste Tochter der Gräfin von Ragath. Und mehr noch: Kind der Fürstin Almadas. Ein ganzes Leben lag dazwischen, denn mit ihrer, Belisethas, Geburt und dem Tod ihrer Mutter hatte der Niedergang ihres Hauses begonnen. Aber nicht sie selbst, das hatte Leonida oft genug betont, war schuld am Tod ihrer Mutter, nein es war ihr eigener Onkel gewesen, der schändliche Balbiano Calas von Harmamund, der die Fürstin hatte töten lassen und ihrer Schwester den Thron geraubt hatte.
"Almada ist ein traditionsverbundenes Land", begann sie langsam. "Die Erinnerung stirbt nicht mit den Menschen, und oftmals zählt Vergangenes in den Köpfen der Magnaten mehr als Gegenwärtiges, Stolz mehr als Vernunft, Ehre mehr als Vergebung. Ihr müsst es meiner Nichte nachsehen, wenn sie Euch nicht mit der gebotenen Höflichkeit begegnet ist. Meine Schwester hat sie nicht zum Dienen erzogen, sondern zum Herrschen. Und zum Kämpfen. Und weiterhin in dem Bewusstsein, wessen Blutes sie ist und wessen Schuld es ist, dass sie um ihr Erbe betrogen wurde. – Nicht die Eure", fügte sie rasch hinzu.
Ihr Blick wanderte wieder zum Fenster, zu den schnell dahinziehenden grauen Wolken. Es würde noch regnen an diesem Tag, wahrscheinlich stand eines der berüchtigten bosquirischen Unwetter bevor, Belisetha spürte es in ihren Knochen. Sie dachte an das bleiche, leblose Gesicht Rifadas, die furchtbaren Wunden, und ihr Herz krampfte sich zusammen.
Äußerlich blieb sie gefasst. "Ihr müsst verstehen, dass es mehrere Gründe dafür gibt, dass Domna Rifada die Selaquer Vogtin nicht besonders schätzt, nicht allein den, dass meine Nichte sich noch immer als ... Erbin ihrer Großmutter sieht. Meine Nichte ist eine Frau Rondras. Der Schutz der ihr Anempfohlenen, egal von welchem Stande sie sind, ist für sie Ehrensache. Sie ist davon überzeugt, dass es den Selaquern unter ihrer Herrschaft besser ginge als unter der Domna Praiosmins, in deren Vorstellung es die von Praios auserwählten Herrschenden gibt und die Dienenden – und wenig dazwischen."
Sie seufzte leise. "Ich möchte Rifada ... meine Nichte nicht einfach nur in Schutz nehmen. Ihr habt recht: Diese Fehde kommt zur Unzeit, die äußeren Gefahren erfordern unsere volle Aufmerksamkeit." Belisetha schwieg einen Moment. "Niemand soll verurteilt werden, der nicht schuldig ist. Aber um eine weitere Sache will ich Euch bitten: Dass jene Akten aus dem Jahr 1020 noch einmal hervorgeholt werden, die den Fall der vermeintlichen Affäre Domna Praiosmins mit dem damaligen Baron von Schrotenstein zum Inhalt haben. Und dass man die Angelegenheit noch einmal genau prüfe."
Belisetha sah die junge Frau eindringlich ein. "Diese Burg birgt noch immer ein düsteres Erbe. Die Suprema, die Inquisition, hat vieles von des Schwarzen Rakolus' Vermächtnis vernichtet, seine Gemächer in dieser Burg versiegeln lassen. Ihr wisst gewiss, dass man Domna Praiosmin damals freigesprochen hat und Dom Danilo von Cres für die Schmach, die sie in Al'Muktur erleiden musste, zur Rechenschaft zog. Letztlich war es der Sprecher der Landstände, Dom Alrik de Braast, der an des Elfen statt einsaß, um der Reichsvogtin Satisfaktion zu verschaffen. Damit schien die Angelegenheit beendet."
Die Junkerin zog ihr Taschentuch hervor und tupfte sich die Stirn ab. Es wurde allmählich warm, und die Luft war drückend. "Doch meine Großnichte, heißt es, habe vor einigen Jahren Domna Praiosmin aus den Händen der Wilden befreit. Sie und einen Knaben, der offenbar ihr Sohn war und der – so heißt es weiter – eine nicht zu leugnende Ähnlichkeit mit dem einstigen Baron von Schrotenstein gehabt haben soll. Wenn dies wahr sein sollte, so hat Dom Danilo die Wahrheit gesprochen, Dom Alrik zu Unrecht die Kerkerhaft verbüßt – und Domna Praiosmin ihr Leben lang gelogen."
Belisethas Kopf pochte noch immer. "Seid so gut", wandte sie sich an Ardan von Kündoch, "gebt mir etwas von dem Wein dort." Sie wies auf eine Karaffe auf einer Anrichte, und der Leutnant goss der Comtessa und ihr von dem Thangolgold ein, dem halbtrockenen Weißen, der aus dem Lehen der verstorbenen Großmutter der Comtessa im Yaquirischen stammte und den der Haushofmeister aus dem Weinkeller hatte heraufbringen lassen.
Belisetha nahm einen Schluck und spürte der spritzigen, herben Süße nach, ehe sie den Becher abstellte und die Comtessa wieder direkt ansah. "Fischer haben meine Nichte heute Morgen am Seeufer gefunden", sagte sie. "Sie ist schwer verwundet. Wahrscheinlich ... wird sie sterben", fügte sie leiser hinzu, und wieder griffen die kalten, harten Finger nach ihrem Herzen und rissen in ihrer Brust. "Eine Dienerin der Herrin Peraine kümmert sich derzeit um sie, aber es ist nicht sicher, ob sie ihr helfen kann. Die Wunden, so sagt sie, wurden Domna Rifada von einem Dämon beigebracht."
Sie beobachtete die Reaktion der Comtessa genau. "Auch wenn es meiner Nichte vielleicht nicht mehr hilft, so will ich doch, dass dieser Vorfall bis ins Letzte aufgeklärt wird und sollte nicht ein bedauerlicher Zufall an diesem Unglück Schuld sein, sondern ein Mensch, ein Elf, ein Zwerg oder irgendein anderes Wesen, das sich vor Praios, Tsa und Rondra für diese Unaussprechlichkeit zu verantworten hat, so soll dieser dafür zur Rechenschaft gezogen werden mit aller gebührlichen Härte und Konsequenz. Und dies nicht nur, weil das Leben meiner Familia in Gefahr ist, sondern weil ein Dämon Leben und Seelenheil aller Menschen bedroht, die ihm vielleicht noch begegnen. Die Götter seien davor!"
Sie schwieg, umfasste den Weinbecher mit beiden Händen und betrachtete den klaren Tropfen, der an dem Gefäß herab auf ihre Finger rann.
Autor: Romina Alba
Die Comtessa hatte den Ausführungen der älteren Domna ruhig und nachdenklich zugehört. Sie wusste wahrlich zu wenig über die diversen Machtwechsel in Almada, sie hatte das Ganze schon immer als heilloses Durcheinander empfunden, dem Götterfürsten weder gefällig noch würdig. Aber es gab ja nicht nur den Fürsten, sondern noch elf andere, und Rahja war so ein Tohuwabohu schon zuzutrauen.
Als die Sprache zu dem vorgeblichen Sohn Rakolus' des Schwarzen und der praiosgläubigen Vogtin kam, stutzte Romina. Meinte die Frau Ramin – Richeza hatte ihn Aureolus genannt – das unheilige Kind des Schwarzen mit der Elenterin? Sie war damals, als der bösartige Magier die Landstände in Angst und Schrecken versetzt hatte, eine junge Knappin und weit ab vom Schuss gewesen, doch selbst in der Südpforte hatte man davon gehört. Sie hatte es gänzlich vergessen. Damals war Praiosmin von Elenta entführt worden. Eines war sicher: Der Mutter sah Ramin nicht ähnlich. Sie musste von irgendwoher ein Bild dieses Rakolus bekommen.
Sie sah auf, als Leutnant Ardan ihr Wein einschenkte, nickte dankend und nahm einen großen Schluck. Das hier war also des Schwarzen Rakolus' Baronie gewesen. Sie dachte an goldene Augen und den Traum, den sie vor Kurzem gehabt hatte, als die Domna auch schon wieder weitersprach. Sie erzählte von Domna Rifada und einem Dämon, der selbige lebensgefährlich verletzt habe. Romina wurde eiskalt, die Hand mit dem Kelch zitterte, sie stellte ihn ab. Der junge Magier war hier! Bestimmt war er hier, wie er auch auf Castillo Albacim gewesen war. Sie musste sich zusammenreißen. Vielleicht waren es nur ihre Nerven. Deutlich spürte sie den forschenden Blick der Baronin auf sich ruhen.
"Domna Rifada ist hier und wurde auch hier in der Grafschaft von einem Dämon angegriffen?" Sie wusste gar nicht, wo sie beginnen sollte. Dunkle Dinge wurden über Rakolus und seine Machenschaften erzählt. Die Domna sagte etwas von Nachforschungen, schnell nickte die junge Frau. "Man muss herausfinden, wer solch ein Gräuel begangen hat und ihn festsetzen." Sie wusste nicht viel über Magie, doch es schien ihr unwahrscheinlich, dass so ein junger Mann Dämonen beschwören könnte. Außer – sie wollte es nicht einmal denken – außer er hätte sich den Niederhöllen verschrieben. Wie er sie angesehen hatte, als sie seine Hilfe ablehnte! Romina begann zu zittern.
Autor: von Scheffelstein
Es verging eine Weile, bis Belisetha da Vanya wieder aufsah, doch das Unbehagen der jungen Frau blieb ihr nicht verborgen.
"Seid versichert, Domnatella Romina", sagte sie, "dass ich alles tun werde, um nicht nur meine Familia, sondern auch meine Gäste vor jedwedem Unheil zu bewahren. Nachdem der Schwarze Schrotensteiner vertrieben und die Burg zurück in den Besitz unserer Familia gegangen war, hat mein Bruder, Seine Eminenz Amando Laconda da Vanya, einen Schrein des Herrn Praios in einem der Türme einrichten lassen. Im Fall aller Fälle sind wir dort hoffentlich sicher vor unheiligen Übergriffen. Zudem sind mit meiner Großnichte und ... ihrer Mentorin ... zwei Geweihte der Herrin Rondra anwesend, und derzeit weilt noch die junge Peraine-Priesterin auf der Burg. Seid unbesorgt: Euch wird nichts geschehen, solange Ihr hier seid. Doch wenn Ihr abreisen müsst, so kann ich Euch nur neuerlich raten, so rasch wie möglich gen Ragath aufzubrechen und nicht den Weg nach Süden zu nehmen. Meine Nichte war auf dem Weg nach Wildenfest – wo ich meinen Wohnsitz habe. Und eben auf dem Weg dorthin, wenn auch noch hier am Schwarzen See, scheint es, wurde sie angegriffen. Seid also vorsichtig!"
Autor: Romina Alba
Romina schloss die Augen und riss sich zusammen. Verdammt, sie durfte vor anderen nicht so schwach sein, sie war eine Ehrenstein und Streitzig. Sie hatte bei den Ferkinas weitaus Schlimmeres erlebt! Was machte sie sich da vor? Hatte sie nicht! Es gab nichts Schlimmeres als einen Dämon! 'Dämonen fressen die Seele, Ferkinas können nur dem Körper schaden. '
Wildenfels – dort wollte sie ursprünglich auch hin. Sie öffnete die Augen und begegnete dem besorgten Blick Ardan von Kündochs. Kurz hielt sie den Blick, hangelte sich daran hoch und schaute wieder bedeutend ruhiger zu der da Vanya. Denn das war sie, eine da Vanya, auch wenn diese hier freundlicher schien.
"Wie geht es Eurer Nichte? Wird sie ... wird ihre Seele zu Rondra finden? Wir haben uns nicht gut gekannt, und sie ist wahrlich niemand, den man kennenlernen will, nicht einmal wenn man zu Eurer Familia gehört." Domna Rifada hatte Richeza und besonders den jungen Moritatio kaum besser behandelt. "Aber sie hat uns im Gebirge gefunden und mit herausgeführt." Nun ja, mehr oder weniger. "Sie ist mutig wie eine Löwin, sie hat es verdient, an Rondras Tafel zu speisen. Ich werde für sie beten."
Kurz schlug sie die Augen gen Alveran und tastete nach dem Banner, dass sie immer noch am Körper trug. Das Banner, vielleicht konnte es helfen. Sie zog es heraus.
"Ich habe das Rossbanner bei mir, ich trage es seit der Flucht aus dem Lager der Ferkinas. Es ist doch ein Artefakt, sagt man. Vielleicht kann es der Seele Eurer Nichte helfen?" Plötzlich kam sie sich kindisch vor, das Stück dreckiger Stoff hatte niemandem geholfen, damals in der Todesschlucht. Zumindest keinem Rondrianer. Verschämt senkte sie den Blick.
Autor: von Scheffelstein
Belisetha da Vanya bedachte die Kritik an ihrer Nichte nur mit einer leicht gehobenen Augenbraue. Als die Comtessa das Banner hervorholte, streckte sie die Hand aus und berührte das zerschlissene, schmutzige Tuch. Einen Augenblick lang sah es so aus, als wolle sie danach greifen, doch dann ruhten die altersfleckigen Finger sacht auf dem Stoff, und schließlich zog sie die Hand zurück.
"Man ruft die Heilige an zum Schutz wider die Heiden. Ich fürchte, gegen einen Dämon oder die Wunden, die er schlug, wird das Banner kaum helfen." Sie seufzte. "Nehmt es mit und übergebt es Eurem Vater als Komtur des Ordens. Oder lasst es hier, und Gujadanya und Jelissa von Blutfels werden es nach Mas d'Hadjinsunni zurückbringen, sobald die Zeiten sicherer sind."
Sie trank den Wein aus und stellte den Becher sorgsam zurück auf das Tischchen neben sich. Einen Moment lang herrschte Schweigen. Durch das offene Fenster drangen die Stimmen der Soldaten im Hof herauf. Irgendwo heulte ein Hund.
"Ihr sagtet, Ihr müsstet bald aufbrechen. Bis Ragath sind es etwa dreißig Meilen. Bei einem schnellen Ritt könntet Ihr noch bis zum späteren Abend dort sein. Von da sind es zwei Tagesritte bis Punin, und mit der Kutsche geht es ein wenig schneller. Wenn Ihr Glück habt, schafft Ihr es noch beizeiten zur Hochzeit des Kaisers. Wenn Ihr noch etwas benötigt, zögert nicht, es auszusprechen, Domnatella Romina."
Autor: Romina Alba
Die junge Frau nickte fast schüchtern und steckte das Tuch wieder weg. Sie würde es dem Vater mitbringen, die Amazonen hatten nichts mit dem Orden zu tun, außerdem waren sie alles andere als freundlich gewesen. Sie wusste recht gut, dass Amazonen niemals freundlich zu Außenstehenden waren, doch ein wenig Stolz würde sie sich bewahren.
"Es drängt mich nicht allzusehr, es noch zu dieser", sie machte eine kleine Pause, "Hochzeit zu schaffen." Sie räusperte sich und sah Belisetha wieder direkt an. "Mein hoher Vater ist Euer Graf, Domna, auch wenn es vielleicht ungerecht scheint. Wenn Ihr wollt, bringe ich ihm einen Brief von Euch mit. Solange wäre noch Zeit." Sie schaute zu ihrem Leutnant. "Ich werde aufbrechen, sobald Ihr Eure Zeilen beendet habt." Ardan von Kündoch nickte, nahm kurz zackig Haltung an und entfernte sich. Er würde alles für den Aufbruch vorbereiten. Draußen vor der Tür atmete er kurz erleichtert durch und beeilte sich dann, seine Leute zusammenzuholen.
Autor: von Scheffelstein
Belisetha da Vanya nickte und erhob sich. "Ich danke Euch, Eure Hochgeboren. Mögen die Zwölfe Euch sicher nach Hause geleiten", sagte sie und verließ den Salon.
Eine halbe Stunde später brachte ein Diener der Comtessa ein gesiegeltes Schreiben an den Grafen.
- Die Geschichte um Domnatella Romina wird hier fortgesetzt: Schauplatz: Ragath, Teil 07.
|