Chronik.Ereignis1033 Feldzug Raschtulswall 12: Unterschied zwischen den Versionen
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Erst, als sie sich mühsam aufgerichtet, den Rucksack hochgezogen und das Seil losgeschnitten hatte, sah sie sich um. Hier war kein Weg! Vor ihr erstreckte sich ein verschneites Geröllfeld. Alles sah gleich aus. Es gab nichts, was sie von ihrem nächtlichen Aufstieg wiedererkannte. Sie wusste nicht, wohin sie sich wenden sollte. Richeza fluchte leise. Sie musste runter von diesem Berg. So schnell wie möglich. Aber wie, wusste sie nicht. Orientierungslos stolperte sie über die rutschigen Steine voran. Ihre tauben Füße gehorchten ihr kaum. Mehrmals rutschte sie ab. Verflucht, was hatte sie nur getan? Für wen lebte sie eigentlich ihr Leben? | Erst, als sie sich mühsam aufgerichtet, den Rucksack hochgezogen und das Seil losgeschnitten hatte, sah sie sich um. Hier war kein Weg! Vor ihr erstreckte sich ein verschneites Geröllfeld. Alles sah gleich aus. Es gab nichts, was sie von ihrem nächtlichen Aufstieg wiedererkannte. Sie wusste nicht, wohin sie sich wenden sollte. Richeza fluchte leise. Sie musste runter von diesem Berg. So schnell wie möglich. Aber wie, wusste sie nicht. Orientierungslos stolperte sie über die rutschigen Steine voran. Ihre tauben Füße gehorchten ihr kaum. Mehrmals rutschte sie ab. Verflucht, was hatte sie nur getan? Für wen lebte sie eigentlich ihr Leben? | ||
Endlich hörte der Schnee auf, der Boden wurde wieder fester. Wärmer wurde es jedoch nicht. Der Wind war kalt, die Wolken inzwischen zu allen Seiten. Allein die Helligkeit ließ darauf schließen, dass die Sonne bereits über die Berggipfel gestiegen war. | Endlich hörte der Schnee auf, der Boden wurde wieder fester. Wärmer wurde es jedoch nicht. Der Wind war kalt, die Wolken waren inzwischen zu allen Seiten. Allein die Helligkeit ließ darauf schließen, dass die Sonne bereits über die Berggipfel gestiegen war. | ||
Sie wusste nicht, wieviel Zeit vergangen war, als sie unter sich den Weg erblickte, einen staubigen Pfad, der sich zwischen Felsklippen hindurch wand. Doch ohne zu klettern, würde sie ihn nicht erreichen. Zum Klettern aber war sie zu schwach. Es blieb Richeza nichts anderes übrig, als ihr Seil zu opfern – oder einen Umweg in Kauf zu nehmen. Das aber wollte sie auf keinen Fall. | Sie wusste nicht, wieviel Zeit vergangen war, als sie unter sich den Weg erblickte, einen staubigen Pfad, der sich zwischen Felsklippen hindurch wand. Doch ohne zu klettern, würde sie ihn nicht erreichen. Zum Klettern aber war sie zu schwach. Es blieb Richeza nichts anderes übrig, als ihr Seil zu opfern – oder einen Umweg in Kauf zu nehmen. Das aber wollte sie auf keinen Fall. | ||
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Schweren Herzens band die Edle ihr Seil an einem Felsen fest, befestigte es an ihrem Gürtel und machte sich an den Abstieg. Ihre Hände und Füße fanden kaum Halt; einmal trat sie daneben; das Seil glitt durch ihre Finger, ohne die Handschuhe hätte es ihr die Haut von den Händen gerissen. | Schweren Herzens band die Edle ihr Seil an einem Felsen fest, befestigte es an ihrem Gürtel und machte sich an den Abstieg. Ihre Hände und Füße fanden kaum Halt; einmal trat sie daneben; das Seil glitt durch ihre Finger, ohne die Handschuhe hätte es ihr die Haut von den Händen gerissen. | ||
Als sie den Weg erreichte, raste ihr Herz, und ihre Knie zitterten so sehr, dass sie sich setzen musste. Schwindelnd lehnte sie sich an den kalten Stein. Wer würde ihr ihren Irrsinn je danken? Was hatte sie schon für Almada getan, wann immer sie ihre Klinge fürs Vaterland gehoben hatte? Ein paar Ferkinas ins Jenseits geschickt, ein paar Novadis ermordet und ein paar Garethknechte ... Und wer hatte es ihr gedankt? Niemand, der noch lebte? Und jetzt? Wen wollte sie jetzt beeindrucken? Ihre Tante, die vielleicht tot war? Praiodor, der nur ein Kind war? Fenia, die sich erst seit Ramiros | Als sie den Weg erreichte, raste ihr Herz, und ihre Knie zitterten so sehr, dass sie sich setzen musste. Schwindelnd lehnte sie sich an den kalten Stein. Wer würde ihr ihren Irrsinn je danken? Was hatte sie schon für Almada getan, wann immer sie ihre Klinge fürs Vaterland gehoben hatte? Ein paar Ferkinas ins Jenseits geschickt, ein paar Novadis ermordet und ein paar Garethknechte ... Und wer hatte es ihr gedankt? Niemand, der noch lebte? Und jetzt? Wen wollte sie jetzt beeindrucken? Ihre Tante, die vielleicht tot war? Praiodor, der nur ein Kind war? Fenia, die sich erst seit Ramiros Tod überhaupt bequemte, mit ihr zu reden? War es Dank, den sie erhoffte? Ruhm? Was sollte das alles? | ||
Ärgerlich rappelte Richeza sich auf und reckte sich, um wenigstens noch ein Stück des Seils loszuschneiden. Besser als nichts. Wer wusste, ob sie es nicht noch brauchte? Wenn sie das alles hier überlebte, musste sie aufhören, davonzulaufen. Sie konnte sich nicht länger etwas vormachen: Sie lebte nicht für selbstgesetzte Ziele. Lief nur der Furcht davon. Und wartete noch immer ... Damit musste Schluss sein! Mit zusammengepressten Zähnen lief sie weiter. Keine Zeit zum Nachdenken. Keine Kraft. Erst einmal musste sie überhaupt überleben. | Ärgerlich rappelte Richeza sich auf und reckte sich, um wenigstens noch ein Stück des Seils loszuschneiden. Besser als nichts. Wer wusste, ob sie es nicht noch brauchte? Wenn sie das alles hier überlebte, musste sie aufhören, davonzulaufen. Sie konnte sich nicht länger etwas vormachen: Sie lebte nicht für selbstgesetzte Ziele. Lief nur der Furcht davon. Und wartete noch immer ... Damit musste Schluss sein! Mit zusammengepressten Zähnen lief sie weiter. Keine Zeit zum Nachdenken. Keine Kraft. Erst einmal musste sie überhaupt überleben. | ||
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Ob es schon Mittag war? Allmählich knurrte ihr Magen. Sie hatte kaum etwas gegessen. Im Gehen zog die Edle das Brot hervor. Inzwischen war es getaut und matschig, ein nasser, kühler Brei, der nach dem Leder des Rucksacks schmeckte. Richeza würgte ihn hinunter, bis zum letzten Bissen. Sie hatte Hunger, und das Brot würde ohnehin verderben, wenn sie es jetzt nicht aß. | Ob es schon Mittag war? Allmählich knurrte ihr Magen. Sie hatte kaum etwas gegessen. Im Gehen zog die Edle das Brot hervor. Inzwischen war es getaut und matschig, ein nasser, kühler Brei, der nach dem Leder des Rucksacks schmeckte. Richeza würgte ihn hinunter, bis zum letzten Bissen. Sie hatte Hunger, und das Brot würde ohnehin verderben, wenn sie es jetzt nicht aß. | ||
Ihre Beine waren ein echtes Ärgernis. Noch immer spürte sie ihre Füße kaum, nur wenn sie umknickte, weil sie die Unebenheiten des Bodens nicht vorausahnte, schoss kurz ein heller Schmerz in ihren Knöchel, ließ aber bald nur ein dumpfes Pochen zurück. Ihren Körper aber schwächte jeder Fehltritt wie ein Säbelhieb, und | Ihre Beine waren ein echtes Ärgernis. Noch immer spürte sie ihre Füße kaum, nur wenn sie umknickte, weil sie die Unebenheiten des Bodens nicht vorausahnte, schoss kurz ein heller Schmerz in ihren Knöchel, ließ aber bald nur ein dumpfes Pochen zurück. Ihren Körper aber schwächte jeder Fehltritt wie ein Säbelhieb, und ihre Beine versagten ihr immer öfter den Dienst. Sie strauchelte, stolperte, taumelte voran. Schließlich musste sie sich eingestehen, dass sie nicht mehr weiterkonnte. Sie musste eine Pause machen! Dort, an dem Felsblock am Wegesrand, da wollte sie rasten. Nein, besser doch erst nach der Biegung, vielleicht war es dort windgeschützter. Aber war da vorne nicht eine Abzweigung? Nur noch ... | ||
Nur ein Stein, ein winziges Hindernis, und sie schlug der Länge nach hin. | Nur ein Stein, ein winziges Hindernis, und sie schlug der Länge nach hin. | ||
Sie musste das Bewusstsein verloren haben. Als sie die Augen öffnete, sah sie Füße. Füße in abgetragenen Lederstiefeln. Den Saum eines geflickten Umhangs. Alarmiert hob sie den Kopf. Ein Ferkina? Ihr Schädel dröhnte. Sie blinzelte gegen das Licht. Ein Mann in einem dunklen Umhang, in der Hand einen knorrigen Stecken. | Sie musste das Bewusstsein verloren haben. Als sie die Augen öffnete, sah sie Füße. Füße in abgetragenen Lederstiefeln. Den Saum eines geflickten Umhangs. Alarmiert hob sie den Kopf. Ein Ferkina? Ihr Schädel dröhnte. Sie blinzelte gegen das Licht. Ein Mann in einem dunklen Umhang, in der Hand einen knorrigen Stecken. Unter der weiten Kapuze zerrte der Wind blondes Haar hervor. Kein Ferkina. Nicht einmal ein Mann. Ein junger Bursche. Vielleicht sechzehn Sommer. Ein hübsches Gesicht mit hohen Wangenknochen. Die Augen glommen im Dunkel der Kapuze. | ||
Grob stieß der Junge sie mit dem Fuß gegen die Schulter, rollte sie auf den Rücken. Als sie nach ihrem Säbel tastete, rammte er ihr den Stab in die Hand. Ein dünnes Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. | Grob stieß der Junge sie mit dem Fuß gegen die Schulter, rollte sie auf den Rücken. Als sie nach ihrem Säbel tastete, rammte er ihr den Stab in die Hand. Ein dünnes Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. | ||
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Gendahar zwinkerte Zaida verschwörerisch zu und bedeutete ihr in der Mitte vor ihm herzugehen. "Keine Angst! Wir sind schon so weit oben, es kann nicht mehr weit bis zum | Gendahar zwinkerte Zaida verschwörerisch zu und bedeutete ihr in der Mitte vor ihm herzugehen. "Keine Angst! Wir sind schon so weit oben, es kann nicht mehr weit bis zum | ||
Gipfel sein." | Gipfel sein." | ||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] | |||
"Sieh an, die Zungenklafferin!", sagte der Bursche. "Hat ihr Schandmaul nicht halten können. Und jetzt kommt sie mir zu Füßen gekrochen. Was für ein Zufall!" Ein abfälliges Grinsen verzerrte die Lippen des jungen Mannes. | |||
"Wer bist du?", stöhnte Richeza, der er fast die Hand gebrochen hatte. "Du musst mich verwechseln." | |||
Der Junge starrte die Edle finster an. Obwohl sein Gesicht im Schatten lag, konnte sie seine Augen erkennen. Fast, als leuchteten sie von sich aus. Etwas stimmte nicht mit dem Burschen. | |||
"So", sagte der nach einem Moment. "Da gibt sie vor, mich nicht zu kennen und spricht mich gleich vertraulich an. Ganz wie Ihr wünscht. Wie ''du'' wünschst, Miststück. Aufstehen!" Er versetzte ihr einen Tritt. | |||
Richeza rappelte sich auf, allein schon, um nicht länger auf dem kalten Boden liegen zu müssen, zumal es erneut zu schneien begann. Irritiert betrachtete sie den jungen Mann. Spielten ihr ihre Sinne einen Streich? Unwillkürlich fasste sie sich an den Kopf. Ihr Gesicht war ziemlich lädiert, dort wo es auf den Boden aufgeschlagen war. Eine dicke Beule wölbte sich an ihrer Stirn. | |||
"Das hat mein Vater Euch ... dir nie verziehen, dass du meinen Namen verraten hast. Es war unser Geheimnis, verstehst du? Wir haben dich nicht für so dumm gehalten, Geheimnisse zu verraten. Aber da haben wir uns wohl getäuscht. Nun, sei es drum: Wenn wir nicht Freunde sein können, wirst du mir eben dienen." | |||
Ungehalten runzelte Richeza die Stirn. Was bildete der Kerl sich ein? Und wer war er überhaupt? Ein Teil von ihr aber wähnte ihn noch immer ein Trugbild ihres müden Geistes. Das konnte doch nicht sein, dass sie all die Mühen im Raschtulswall auf sich genommen hatte, nur um von einem Knäblein beschimpft zu werden! Sie musste träumen. | |||
"Hör zu", seufzte sie, sich bewusst, dass es nur um so irrer war, mit einer Traumgestalt zu sprechen, "ich kenne dich nicht. Und deine Geheimnisse sind mir gleich. Aber wenn du meine Freundschaft willst, so gewinnst du sie gewiss nicht durch kecke Reden. Wenn du mir aber helfen magst ..." | |||
"Weder will ich deine Freundschaft, noch dir helfen", unterbrach sie der Junge barsch. "Du hast mich falsch verstanden", erklärte er mit hochmütigem Grinsen. "Du wirst mir dienen, solange du mir von Nutzen bist. Und dann wirst du schweigen ..." | |||
Er stockte und hob kurz den Kopf. Richeza nutzte die Gelegenheit und zog den Säbel. Doch der Bursche war schnell, und sein Stab traf ihren Brustpanzer mit einer solchen Wucht, dass sie durch die Luft geschleudert wurde und krachend zwischen einigen Felsen zu Boden fiel. Der Säbel flog aus ihrer Hand und blieb in einer Felsspalte stecken. Es musste ein Traum sein, dachte die Edle benommen, kein Mensch hatte eine solche Kraft ... | |||
Der Junge kletterte zu ihr und kauerte sich neben sie zwischen die Felsen. Stimmen. Da waren Stimmen im Nebel. Richeza versuchte, den Kopf zu heben, aber sie konnte sich nicht bewegen. Alles drehte sich um sie herum. Sie schmeckte Blut auf ihren Lippen. Jemand näherte sich auf dem Weg. Der junge Mann legte ihr die Hand auf den Mund. Sie bekam kaum Luft. Drei Menschen wankten in ihr Gesichtsfeld. Traumgestalten. Sie standen auf dem Kopf. Ihre Füße bewegten sich über die Steine, aber alles war verkehrt herum. Einer war blond und groß, hielt ein Mädchen an der Hand, kaum jünger als der Bursche, der ihr den Mund zudrückte. Der andere war ... | |||
"Mmm ...", machte Richeza. Ihr tonloser Seufzer erstickte zwischen den Fingern des jungen Mannes. Die Gestalten zogen vorüber. Der Junge nahm seine Hand fort und hob sie auf seine Arme. Kies knirschte überlaut unter seinen Füßen. Sein Ächzen donnerte der Edlen in den Ohren. Er flüsterte etwas - ein zischender Schmerz in ihrem Schädel. Im nächsten Moment war alles im Nebel versunken. Stille. Richeza fror. Dann wurde es schwarz um sie. | |||
*''Die Geschichte um Domna Richeza wird hier fortgesetzt: [[Chronik.Ereignis1033 Feldzug Ferkinalager 04|Schauplatz: Ferkinalager, Teil 04]].'' | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
Schwitzend und frierend zugleich, blickte sich Moritatio nach Zaida und Gendahar um, die ihm gemäß den aufgestellten Kletterregeln ihrer Seilschaft | |||
mit fünf beziehungsweise zehn Schritt Abstand nachfolgten. Der An- und Ausblick war grandios! Sie waren nun oberhalb des Wolkenfluges, die weißgrauen Wolken | |||
breiteten sich hundert Schritt unter ihnen im Norden und Osten wie eine geschlossene Decke bis zum Horizont aus - als ob die ganze Welt nur aus einem | |||
grauweißen Meer aus Watte bestünde, aus dem die Gipfel der höchsten Berggiganten des Raschtulswalls wie Inseln aufragten. Vor und über ihnen aber erhoben | |||
sich die fünf schroffen Gipfelzacken des Djer Kalkarif leuchtend im Praioslicht in den stahlblauen Himmel. | |||
"Die Gipfel! Wir sind fast oben!", deutete Moritatio, überwältigt von der Schönheit dieses Augenblicks und voller Ehrfurcht vor dem Schöpfungswerk der Götter, | |||
auf die bizarren Felsen. Als Zaida und Gendahar zu ihm aufgeschlossen hatten und sie alle einen Moment niederknieten, um Atem zu holen und | |||
das Panorama auf sich wirken zu lassen, stellte er leiser fest: "Richeza ist nicht dort oben und sie ist uns auch nirgendwo begegnet. Entweder sie hat es in | |||
der Nacht nicht auf den Gipfel geschafft und ist abgestürzt, oder sie hat bei dem Nebel den Abstieg nicht mehr gefunden und ist irgendwo anders herabgestiegen. | |||
Ich hätte sie nicht alleine gehen lassen sollen, verflucht!" | |||
Er wartete, daß ihn die kleine Waldwachterin oder der Thangolforster beschwichtigten oder ihm zumindest zustimmten - aber als von ihrer Seite aus keinerlei Erwiderung | |||
kam, wandte er sich zu den zweien um, die beide nach unten, nach Westen starrten. | |||
"Was ist?" | |||
"Da unten!", deutete Dom Gendahar auf ein größeres Felsplateau, etwa eine Meile weiter unten am Steilhang des Djer Kalkarif. "Sind das Zelte - primitive Zelte? Das was | |||
zwischen ihnen herumwuselt scheinen mir Ziegen oder vielleicht auch kleine Pferde zu sein. Und da! Da treten Menschen aus dem einen Zelt!" | |||
"Blutsäufer!", berichtigte Moritatio. "Es ist wirklich ein Lager - das ... äh, 'Dorf' eines Ferkina-Stammes! Mögen die guten Götter geben, daß ihnen Richeza nicht in die | |||
Hände gefallen ist ... und auch, daß sie uns nicht entdecken!" | |||
Dom Gendahar schien anders über die Sache zu denken, denn er begann zu lächeln: "Gut, daß wir diesen Wildenpfuhl gefunden haben. Möglicherweise wird Romina genau hier | |||
gefangengehalten." | |||
Moritatio schüttelte den Kopf: "Wenn ja, dann bestünde kaum Hoffnung, daß sie noch am Leben ist. Was glaubt Ihr, wie diese Barbaren mit weiblichen Gefangenen umspringen? | |||
Meine Mutter war ihnen als junges Mädchen in die Hände gefallen - sie hat mit mir niemals ein einziges Wort über ihre Zeit bei den Wilden gesprochen - aber ich konnte | |||
spüren, daß ihr allein die Erinnerung an diese Zeit bis zuletzt Qualen und Schmerz und Wut bereitete." | |||
Er wischte sich mit dem Ärmel über seine feuchten Augen. | |||
"Wir müssen Richeza finden, bevor sie die Wilden dort unten finden! Das ist mir jetzt - bei allem Respekt vor Eurer Verwandtschaft - ein dutzend Mal wichtiger, wie unsere entführte Grafentochter oder einen verschollenen Edelknaben mit seiner Mutter zu erretten. Schließlich hat Richeza alles für diese Personen riskiert." | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:Simanca|Simanca]] | |||
Die letzten Tage waren weit anstrengender gewesen, als sich Zaida hatte ausmalen wollen. In den Geschichten wurde nie von eiskalten Zehen, klammer Kleidung oder dem Gefühl der Verzweiflung berichtet, die einen befallen wollte, wenn man scheinbar sinnlos im Nichts herumirrte, während die Hoffnung auf ein Lebenszeichen der gesuchten Menschen immer mehr zu schwinden schien. Aber dann wären die Geschichten wohl auch nur halb so spannend - und wer konnte sich solche Unbill schon vorstellen, wenn er in eine warme Decke gekuschelt neben dem wärmenden Herd einer Abenteuergeschichte lauschte? | |||
Sie riss sich aus den Gedanken los und sah auf das kleine Zeltlager – Dorf, wie Dom Moritatio es bezeichnete. Es war ein erster kleiner Lichtblick. Vielleicht war Domna Romina wirklich dort unten. Vielleicht … hoffentlich! Oder besser nicht, wenn sie Dom Moritatios Ausführungen über die Ferkinas bedachte. Fast wollte ihr der Mut wieder verzagen. Also rasch den Mund aufgemacht, bevor sie wieder in diesen grauen Trott verfiel, der sich ihrer die letzten Tage bemächtigte. | |||
„Aber Dom … das Dorf liegt so nahe unseres Weges, und Domna Richeza ist uns genau hier auf dem Berg verloren gegangen. Ich mag nicht glauben, dass sie im Nebel an uns vorbeigewandert ist. Und Ihr mögt Euch sicher nicht vorstellen, dass sie im Nebel abgestürzt sei." Sie nickte zu dem Dorf hin. „Ihr sagt selbst, dass sie mit … weiblichen Gefangenen nicht gut umspringen. Was, wenn die Wilden sie schon gefunden und gefangen genommen haben? Unser Weg hat uns hierhergeführt, durch Phexens Nebel, mag das nicht ein Fingerzeig gewesen sein? Vielleicht finden wir dort unten ja Domna Richeza ''und'' Domna Romina?" Hoffnungsvoll sah sie ihn unter den wirren Locken hervor an. „Können wir nicht wenigstens ein klein wenig näher an das Dorf heran? Vielleicht erkenne ich ja einen der Ferkinas oder irgendwelche Stammeszeichen oder so etwas, sodass ich sagen kann, ob das die sind, die Domna Romina entführt haben?" | |||
Sie griff nach Dom Gendahars Hand und sah auch ihn bittend an. „Das ist der erste Fingerzeig, den wir haben, wir können jetzt doch nicht einfach dran vorbeigehen?" | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer: Ancuiras|Ancuiras]] | |||
"Zaida hat recht", sagte Dom Gendahar nach einem langen Augenblick der Stille. "Es macht kaum Sinn, durch die Wildnis zu stapfen, in der vagen Hoffnung, Domna Richeza über den Weg zu laufen. Wenn sie nicht der feindlichen Natur dieser Berge zum Opfer gefallen ist, dann diesen Wilden da unten. Ich weiß gar nicht, was ich mir lieber wünschen soll. Eure düsteren Geschichten, Dom Moritatio, sind jedenfalls nicht hilfreich. Wir können nur zu den Zwölfen beten, dass sie noch wohlauf ist." Sein Blick wurde finster. "Das Gleiche gilt für Romina. Sie könnte auch dort unten sein. Ich sehe keinen anderen Weg, mehr über das Schicksal der beiden herauszufinden, als näher heranzuschleichen, sobald es dunkler geworden ist." | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
Moritatio blickte Zaida und Gendahar skeptisch an und schaute dann noch einmal zu dem Ferkina-Lager knapp tausend Schritt unterhalb von ihnen am Hang des Djer Kalkarif herab. "Wenn sie uns entdecken, droht uns ein furchtbares Ende. Aber ich stimme Euch zu, daß Richeza und Eure Nichte dort gefangengehalten werden könnten. Oder wenn nicht sie, dann vielleicht zumindest das Knäblein, das wir suchen." Er strich sich grübelnd über seine hier in der Wildnis wild spriessenden Bartstoppeln am Kinn. "Andererseits widerstrebt es mir, nicht nach Richeza zu suchen, die uns bei ihrem Abstieg vielleicht einfach verfehlt hat und nun drunten an unserem Nachtlager in größter Sorge ist, da sie ja umgekehrt denken muss, uns sei etwas zugestoßen. Ich schlage deshalb folgendes vor: Ihr und Zaida klettert vorsichtig bis zu diesem Plateau dort unten. Das dürfte etwa eine halbe Meile von hier sein und es gibt viele Felsen, die Euch Deckung bieten können. Von dort aus, behaltet Ihr das Wildenlager im Auge. Ich steige nochmals auf der Rückseite des Berges herab, die wir heraufgekommen sind und suche nach Richeza. Ob mit ihr oder ohne sie - wir treffen uns dann vor Einbruch der Dunkelheit auf dem besagten Plateau. Um dorthin zu gelangen, muss ja glücklicherweise nicht mehr den ganzen Berg hinaufkraxeln. Phexseidank beginnt sich der Nebel auch langsam zu lichten. Die Gipfel dort hinten liegen bereits im strahlenden Praiosschein." | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer: Ancuiras|Ancuiras]] | |||
"Das ist Irrsinn", wandte der Thangolforster ein. "Wir sollten uns nicht nochmals trennen. Schlimm genug, dass Domna Richeza allein auf den Berg geklettert ist - wenn sie überhaupt so wiet gekommen ist." Unschlüssig starrte er zu dem Ferkinadorf hinab. Ob dort wirklich mehr über Richezas Schicksal zu erfahren war? Es konnte sein - aber genauso konnte diese Närrin aus Scheffelstein allein durch die Wildnis laufen, vom Nebel auf falsche Wege geführt. Vielleicht war sie tatsächlich auf dem Weg zu ihrem Nachtlager, in der Hoffnung ihre Gefährten wieder zu finden. Oder die Ferkinas hatten sie doch erwischt und waren gerade dabei... | |||
"Verdammt, dieses Weibsbild!" Er fuhr sich durch die Haare. "Nun gut, wir unternehmen gemeinsam einen letzten Versuch und laufen zum letzten Nachtlager zurück. Wenn sie dort nicht ist, dann werden die Wilden sie wohl haben, genau wie..." Er brachte den Satz nicht zuende, sondern sprang auf und zog dann Zaida wieder auf die Beine. "Los, wir haben keine Zeit zu verlieren." | |||
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'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] | |||
Moritatio mißbilligte wie dieser dahergelaufene Yaquirtaler von seiner schönen Base sprach. Er schalt sich selbst einen Narren, das er sich überhaupt Richezas Befehl gebeugt hatte und sie alleine von dannen hatte ziehen lassen, um in der Gesellschaft dieses von sich selbst eingenommenen Mannes und des stillen Waldwachter Kindes zurückzubleiben, die ihm beide im Grunde genommen vollkommen gleichgültig waren. Er musste endlich lernen, auf sein eigenes Herz, sein Bauchgefühl oder seinen Verstand zu hören und sich weniger um die Weisungen anderer Leute zu scheren. Immerhin war er ein erwachsener Mann und konnte nicht ewig der Befehlsempfänger seiner Mutter, des Militärs oder jeder anderen Autorität bleiben, die gerade seinen Weg kreuzte und glaubte ihn herumkommandieren zu können. <br> | |||
"Nein!" antwortete er deshalb auf Gendahars Entschluß. "Wir werden nicht genau denselben Weg, sondern eine etwas andere Route nach unten nehmen. Wenn wir Richeza nicht finden, so vielleicht doch zumindest eine Spur von ihr, was bei dem frischgefallenen Schnee durchaus möglich sein sollte. Wenn Praios' aber weiter so scheint, wird dieser schon bald wieder wegschmelzen und dann wird es ungleich schwieriger."<br> | |||
Er deutete auf einige grün-silberne Glitzerflächen weiter unten am Berg, auf der vom Ferkinalager abgewandten Seite. "Und dabei schlage ich vor, wir klettern ''daran'' vorbei. Wenn mich nicht alles täuscht, | |||
sind das kleine Gebirgsseen. Und da sie nicht zugefroren und zugeschneit sind, halte ich es durchaus für denkbar, daß dies die heißen Quellen sind, wie man sie in der Nachbarschaft von Vulkanen häufiger findet | |||
und nach denen Ihr mich gefragt habt, Dom Gendahar. Wie gesagt, ich erinnere mich dunkel aus meiner Kindheit, daß es solche am Djer Kalkarif gab und dort könnt Ihr dann - wenn Ihr weiterhin partout darauf | |||
besteht und nichts anderes dahintersteckt - kurz ein linderndes Bad nehmen, nach dem es Euch gelüstete." <br> | |||
Er achtete darauf. daß Zaida und Gendahar wieder den Sicherheitsabstand ihrer Seilschaft einhielten und begann dann mit dem Abstieg - geradewegs auf die glitzernden Seen zu. | |||
{{Chronik.Ereignis|Zurück=[[Chronik.Ereignis1033 Feldzug Raschtulswall 11|Teil 11]]|Chronik:Jahr=Chronik:1033|Ereignisname=Der Ferkina-Feldzug|Teil=Teil 12|Weiter=[[Chronik.Ereignis1033 Feldzug Raschtulswall 13|Teil 13]]}} | {{Chronik.Ereignis|Zurück=[[Chronik.Ereignis1033 Feldzug Raschtulswall 11|Teil 11]]|Chronik:Jahr=Chronik:1033|Ereignisname=Der Ferkina-Feldzug|Teil=Teil 12|Weiter=[[Chronik.Ereignis1033 Feldzug Raschtulswall 13|Teil 13]]}} | ||
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Aktuelle Version vom 17. April 2011, 21:14 Uhr
Im Raschtulswall, 23. bis 25. Praios 1033 BF[Quelltext bearbeiten]
In den Bergen, am Djer Kalkarif[Quelltext bearbeiten]
Der Djer Kalkarif[Quelltext bearbeiten]
23. Praios[Quelltext bearbeiten]
Autor: SteveT
Nach dem Aufbruch aus dem verlassenen und geplünderten Steinbrecher-Dorf Grezzano schlug die kleine Gruppe in vorsichtigem Gänsemarsch mit jeweils immer einigen Schritt Abstand zwischen ihnen den Weg talwärts ein. Die am einfachsten gangbare Route zum Djer Kalkarif führte nach Moritatios Erinnerungsvermögen am Lauf eines kleinen Gebirgsbaches namens Galudiri entlang, der irgendwo an der Ostflanke des Djer Ragaz entsprang - dem westlichen Nachbarberg des Djer Kalkarif, wobei man ersteren auch Nachts noch gut am Horizont erkennen könnte, da er vulkanisch aktiv war. Zur Sicherung - da keiner von ihnen in bergsteigerischer Hinsicht erfahren war - schlug Moritatio vor, sich gegenseitig am Vorder- und Hintermann anzuseilen, wann immer der Pfad steil wurde oder über loses Geröll führte, was sich auch mehr als einmal bezahlt machte und sowohl die kleine Zaida, wie auch Moritatio selbst und Dom Gendahar vor einem Absturz bewahrte. Nur die Scheffelsteinerin erwies sich als überraschend gute Kletterin, was wohl mit ihrem Aufwachsen direkt auf den Vorbergen des Raschtulswalls in Zusammenhang stand.
Die Kletterei - sie hatten immerhin zwei zweiausend Schritt hohe Berge hinauf und auf der anderen Seite wieder herunter zu steigen - wäre schon in normalem Zustand außerordentlich kräftezehrend gewesen. Aber in der halb-invaliden oder schwer angeschlagenen Facon, in der sich Domna Richeza, Dom Gendahar und der junge da Vanya befanden, war es eine außerordentliche Quälerei. Glücklicherweise erwiesen sich die unbenannten Vorberge des Selaquer Jochs, die sie zu überwinden hatten, aber als vergleichsweise zahme Riesen. Es blieb ihnen erspart, Steilwände oder gar Überhänge emporzukraxeln, da es zumindest hier immer auch einen einfacheren Weg um diese Hindernisse herum gab. Die erste Nacht im Freien und im Hochgebirge verbrachten die Vier frierend in einer Berghöhle, die - zumindest ihrem strengen Geruch nach - früher einmal das Domizil eines Schwarzbären oder Pumas gewesen sein mußte.
24. Praios[Quelltext bearbeiten]
Am Abend des zweiten Tages, als ihnen allen bereits die Beine zitterten vor Erschöpfung und Kälte, zeichnete sich endlich vor ihnen in der Dämmerung in nur noch wenigen Meilen Entfernung ein riesiger Berg ab, dessen bizzare Felsformationen in der Tat an ein gewaltiges steinernes Gefieder oder auch entfernt an einen Hahnenkamm erinnerten, wie ihn Moritatio vor wenigen Tagen in Vanyadâl beschrieben hatte. "Den Göttern sei dank!" hob der Vanyadâler lobpreisend die Arme zum Himmel. "Seht nur! Das da ist der Djer Kalkarif - ich erkenne ihn wieder!"
Autor: von Scheffelstein
Zweifelnd blickte Richeza zum Gipfel des Berges hinauf. Keine Stunde mehr, und die Nacht wäre hereingebrochen. Selbst bei Tag und im Vollbesitz ihrer Kräfte würden sie einige Stunden hinauf brauchen. Das Feuer aber, hatte Moritatio gesagt, musste zur Rondrastunde entzündet sein, damit die Amazonen es sahen und ihrer Tante zu Hilfe eilen konnten. Wenn sie nun rasteten, verloren sie einen ganzen Tag! Aber wenn sie nicht rasteten ... Kritisch musterte die Edle ihre erschöpften Weggefährten und schüttelte den Kopf. Seufzend fuhr sie sich durch die Haare und suchte mit den Augen die schroffen Vorsprünge des Berges ab. Ein Pfad führte weiter aufwärts. Wenn sie Glück hatte, führte er bis auf den Gipfel.
"Wir werden hier rasten", sagte sie schließlich. "Nutzen wir die verbleibende Helligkeit, einen geeigneten Lagerplatz zu finden. Einen Überhang oder eine Höhle, um vor dem Wetter geschützt zu sein."
Sie wies in Richtung einer Felswand am Fuß des Berges und forderte die anderen mit einem Kopfnicken auf, weiterzugehen. Nach etwas mehr als einem Wasserlauf hatten sie die Felswand erreicht, und es dauerte noch einmal so lange, bis Richeza vor einer Höhlung stehen blieb, die schräg nach oben in den Fels hinaufführte. Die Spalte war eng und felsig und sah nicht sehr wohnlich aus, aber sie begann etwas oberhalb des Bodens, sodass wilde Tiere nicht ohne Weiteres hineinkamen. Und sie bot Schutz vor Regen oder Schnee.
Während die anderen die Höhle erkundeten und das Gepäck niederlegten, brach Richeza einige dünne Äste von einem der wenigen Bäume in der Nähe, riss die Zweige ab, schnitt die Äste armlang zurecht und band sie sich auf den Rucksack.
"Was machst du da?", fragte Moritatio erstaunt, der seinerseits Holz herangeschafft hatte, um ein Feuer zu entzünden.
Richeza schwang sich den Rucksack auf den Rücken. "Ich gehe rauf und zünde das Feuer an", sagte sie. "Um keinen Preis will ich einen weiteren Tag verlieren. Aber wenn die Amazonen deiner Mutter noch helfen können, so wollen wir ihr diese Hilfe nicht vorenthalten."
"Aber ...", hob Moritatio zu protestieren an, offenkundig wenig angetan von der Vorstellung, seine Base könne allein bei Nacht den Berg erklimmen. Doch die Edle hob die Hand und brachte ihn zum Schweigen.
"Seht euch doch an, Moritatio - ihr könnt nicht weiter. Es wäre Selbstmord im Dunkeln, erschöpft wie ihr seid." Dass sie selbst müde war, verschwieg sie, versuchte es stattdessen mit einem ermunternden Lächeln. "Wartet hier auf mich. Bis zum Mittag werde ich zurück sein." Richeza drückte den Arm ihres Vetters, als sie dessen besorgtes Gesicht sah. "Deine Mutter hat sich für uns geopfert. Das bin ich ihr schuldig." Sie musste lachen. "Nun schau nicht so! Ich werde schon zurückkommen."
Doch dann wurde sie ernst und wandte sich dem Thangolforster zu, der zu ihnen getreten war. Sie warf ihm einen langen Blick zu, senkte kurz die Augen, sah ihn aber gleich darauf wieder an. "Dom Gendahar", sagte sie. "Sollte ich bis morgen Mittag nicht zurückgekehrt sein, sucht nicht nach mir. Aber sucht nach Praiodor und seiner Mutter. Ihr seid mir nichts schuldig, und doch bitte ich Euch noch einmal: Lasst den Knaben nicht hier in den Bergen sterben. Er wäre verloren ohne unsere - ohne Eure Hilfe! Bitte", sagte sie eindringlich, "versprecht mir das!"
Autor: Ancuiras
Dom Gendahar, der sich erschöpft auf den Boden hatte fallen lassen, richtete sich mühsam wieder auf. Früher hat mich so etwas nicht so mitgenommen, dachte er verärgert - aber eigentlich grenzte es an ein kleines Wunder grenzte, dass er überhaupt schon wieder auf den Beinen war. Er musterte Richeza besorgt, aber jeder Versuch, sie abzuhalten, wäre sinnlos, so gut kannte er die Domna mittlerweile.
"Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um die beiden und Romina wieder in Sicherheit zu bringen", sagte er. "Gemeinsam mit Euch", fügte er mit einem aufmunterenden Lächeln hinzu.
Autor: SteveT
Moritatio blickte seine Cousine einen langen Augenblick verblüfft an, als diese ihre Absicht äußerte, ganz alleine und in der Nacht auf den fast dreitausend Schritt hohen Djer Kalkarif zu steigen. Er warf einen hilfesuchenden Seitenblick zu Dom Gendahar und der kleinen Zaida, in der Hoffnung, einer von beiden möge seiner bildschönen Base diesen Irrsinn ausreden. Aber zu seinem Entsetzen bestätigte sie der Thangolforster noch in ihrem Entschluß. Also erhob er sich selbst ächzend wieder von dem Felsen, auf dem er sich gerade halbwegs bequem ausgestreckt hatte, und warf sich sein festgezurrtes Wanderbündel erneut über die Schulter.
"Also gut, dann werde ich dich selbstverständlich begleiten!" nickte er Richeza zu, die gleich stehen geblieben war.
"Soweit kommt es noch!", winkte diese ab und schüttelte energisch den Kopf. "Schau dich doch an, du kannst ja kaum noch stehen, geschweige denn bergsteigen! Du bist erstens viel zu erschöpft, und wirst mich dadurch nur zwingen, viel langsamer auf den Gipfel zu steigen, als ich es alleine bewerkstelligen könnte. Zweitens solltest du hier bei Dom Gendahar und Zaida bleiben, da du dich als Einziger ein wenig hier in der Gegend auskennst. Sie wären verloren und würden sich verirren und umkommen, falls ich nicht vom Gipfel zurückkehre und drittens - genau in diesem Fall - will ich, dass du mir schwörst, weiter nach Praiodor und seiner Mutter zu suchen, damit sie in Sicherheit gebracht werden."
Moritatio verdrehte die Augen und ließ sich wieder rücklings auf den Felsen sinken. Wenn sie nicht nur den bestimmenden Tonfall, sondern auch das Überzeugtsein von der Richtigkeit des eigenen Handels von seiner Mutter geerbt hatte, so wären alle weiteren Worte ohnehin verschwendet - die Frauen der da Vanyas waren nicht unbedingt für ihre Kompromiss-Liebe bekannt. So musste er also an diesem götterverlassenen Ort die Liebe seines Lebens, die er endlich gefunden hatte, fortgehen lassen und stattdessen mit einem fremden Yaquirtaler Magnaten und einem vorwitzigen Kind zurückbleiben, die ihm im Grunde beide vollkommen gleichgültig waren - ja selbst der kleine Praiodor und seine wahnwitzige Mutter, deren Errettung er nun auch noch beschwören sollte, tangierten ihn nur sofern, da sie offenbar für Richeza wichtig waren.
Resignierend hob er die Rechte zur Schwurhand: "Also gut - ich schwöre! Aber pass' um Alverans Willen auf dich auf - nicht nur wegen meiner Mutter ... es ist mir ebenso wichtig, dass du wiederkehrst!" Er bemerkte, dass Richeza derart vertrauliche Worte offenbar unangenehm waren und dass der Thangolforster und Zaida überrascht-amüsiert zu ihnen herüber sahen. Schnell schaute er in die andere Richtung auf den blanken Fels, damit niemand im Dämmerlicht die Röte seiner Wangen erkennen konnte.
Autor: von Scheffelstein
Richeza entzündete eine der Fackeln, die sie aus der Burg mitgenommen hatten, an dem Lagerfeuer am Höhleneingang und nickte den beiden Männern zu, ehe sie wortlos den Weg zurückging, den sie vor einer halben Stunde gekommen waren. Nicht lange, und sie hatte den Pfad gefunden, der zwischen den zerklüfteten Felsen des Djer Kalkarif aufwärts führte.
Zunächst kam die Edle gut voran. Mit jedem Höhenschritt, den sie zurücklegte, blieb ihr das Licht der im Westen hinter dem Eisenwald versunkenen Sonne länger erhalten. Der Pfad war steil, aber gut gangbar, und der Blick über die bewaldeten Hänge Kaiserlich Selaques hob ihre Stimmung. Nie fühlte sie sich Almada so verbunden, wie wenn sie aus den Bergen auf es herab blickte. Wie unbedeutend die Ränke der Edlen und die Nöte der einfachen Menschen hier oben schienen. Zum ersten Mal seit Tagen fühlte Richeza sich frei und unbeschwert. Wie konnten Sorgen Bestand haben im Angesicht der majestätischen Gipfel des Raschtulswalls?
Für einige Zeit schwand Richezas Müdigkeit, und sie schritt zügig voran. Bald war die Schlucht, in der ihre Begleiter rasteten, in den Schatten versunken. Es wurde rasch dunkler, und je höher sie kam, desto stärker wurde der Wind. Immer wieder musste die Edle die blakende Fackel in die andere Hand wechseln, damit ihr die Flamme nicht ins Gesicht schlug. Die letzten kümmerlichen Bäume wichen dornigen Sträuchern, an deren Ranken ihr Umhang mehrmals hängen blieb. Der Weg wurde schmaler; Kies und Staub machten den Boden unsicher, und mehr als einmal stolperte Richeza oder stieß sich den Fuß an plötzlich wegrutschenden Steinen.
Anderthalb Stunden mochten vergangen sein, die Fackel war weitgehend heruntergebrannt, als die Edle an eine Abzweigung kam. Es war die erste, die ihr bewusst war. Unschlüssig blickte Richeza hinauf zu den gezackten Spitzen des Djer Kalkarif. Von hier aus konnte sie nicht erkennen, welche der Zacken der höchste Gipfel war und im schwachen Mondlicht erst recht nicht, wohin die Pfade führten. Die Edle fluchte leise. Wohin sollte sie sich wenden? Schließlich entschied sie sich für den rechten Weg, der breiter war und schneller anzusteigen schien.
Kaum einen Wasserlauf später begann das heiße Pech auf ihren Handschuh zu tropfen. Richeza musste eine neue Fackel entzünden. Zwei weitere blieben ihr noch. Als der Pfad allmählich wieder abwärts zu führen begann, fragte sie sich, ob sie die richtige Wahl getroffen hatte. Fluchend hastete sie vorwärts. Das letzte Licht des Tages war inzwischen verschwunden, immer häufiger strauchelte sie in der Dunkelheit. Bald bestand kein Zweifel mehr: Dieser Weg führte hinab in ein Tal. Irgendwo in der Ferne meinte Richeza ein Licht auszumachen. Feuerschein? War sie im Kreis gelaufen und befand sich nun auf dem Rückweg? Nein, die im Mondlicht aufragenden Gipfel waren nicht dieselben, die sie von der Schlucht aus gesehen hatte. Das Feuer musste Meilen entfernt sein, war nicht mehr als ein Lichtpunkt. Ein Lagerfeuer? Oder der Vulkan, von dem Moritatio gesprochen hatte? Aber hatten sie den nicht längst hinter sich gelassen?
Wo auch immer der Weg hinführte, auf den Gipfel würde sie nicht gelangen, wenn sie ihm weiter folgte, musste Richeza sich eingestehen. Wenn sie den Nordstern richtig erkannte, war sie zwar weiter nach Süden gekommen, hatte in der letzten halben Stunde jedoch kaum an Höhe gewonnen. Vielmehr hatte sie sich vom Gipfel des Berges entfernt, dessen fünf Zacken nun deutlich sichtbar hinter ihr in den Nachthimmel ragten. Sie wusste nicht einmal, auf welcher der Spitzen sie das Feuer entzünden musste. Die zweitöstlichste schien die höchste zu sein. Doch musste sie wirklich so weit hinauf? Wenn sie nur wüsste, wo sich die Amazonenburg Keshal Rondra genau befand. Am Bosquirquell, hieß es. Das war irgendwo südwestlich von hier. Aber wie tief im Gebirge, vermochte die Edle nicht zu sagen. Wie auch immer. Hier kam sie nicht weiter, sie musste umkehren.
Der Rückweg zur Abzweigung erschien Richeza ewig zu dauern, und beinahe hätte sie sie verpasst. Die Müdigkeit machte sich wieder stärker bemerkbar. Wie spät mochte es sein? Wieviel Zeit hatte der Umweg sie gekostet? War es ein Umweg gewesen oder hätte sie doch dem anderen Pfad folgen sollen? Nein, aufwärts ging es hier schon. Nur Mut, Richeza, dachte die Edle. Doch als sie das erste Mal stürzte, begann sie sich zu fragen, ob es nicht ein Fehler gewesen war, allein bei Nacht den Berg erklimmen zu wollen. Gerade noch konnte sie verhindern, dass die Fackel einen Geröllhang hinabrutschte. Mühselig rappelte Richeza sich wieder auf und stolperte weiter, langsamer nun, vorsichtiger.
Mit einem Mal tauchte eine Hütte vor ihr auf. Nein eher: die Reste einer Hütte. Halb zerfallene Bruchsteinmauern mit leeren Fensteröffnungen. Das einstige Dach lag begraben unter einem herabgestürzten Felsblock. Einen Moment lang war Richeza versucht, sich durch ein Fensterloch ins Innere zu zwängen und dort vor Wind und Kälte Schutz zu suchen. Und zu schlafen. Der Gedanke war verlockend. Sofort aber schalt sie sich eine Närrin. Wenn sie jetzt aufgab, hätte sie genauso gut bei den anderen bleiben können. Wenn sie das Feuer nicht während der Nacht entzündete, war ein ganzer Tag verloren! Und nun, da sie den anderen gesagt hatte, dass diese nicht auf sie warten sollten, würde sie keine Hoffnung haben, Praiodor je zu finden. Alleine würde sie im Gebirge nicht lange überleben, sie könnte nur umkehren.
Mit zusammengebissenen Zähnen quälte Richeza sich weiter. Der Weg wurde immer beschwerlicher, immer häufiger musste sie über Felsbrocken steigen oder sogar kurze Strecken klettern, wo der Pfad durch Gerölllawinen oder heruntergebrochene Felsen unterbrochen worden war. Mehrmals rutschte sie ab, als ihre kraftloser werdenden Finger daneben griffen oder ihre Füße keinen sicheren Tritt fanden. Das war Wahnsinn! Was hatte sie sich nur dabei gedacht, nach den vergangenen anstrengenden Tagen eine solche Unternehmung in Angriff zu nehmen? Richeza hielt inne, um sich das Haar zurückzubinden und zog den Umhang fester um ihre Schultern. Sie schwitzte – aber gerade deshalb musste sie Acht geben, nicht auszukühlen.
Der Mond verschwand hinter den Wolken. Es begann zu nieseln. Richeza kämpfte gegen die aufkommende Verzweiflung an. Noch konnte sie umkehren. Vielleicht schaffte sie es noch während der Nacht zu den anderen zurückzukehren. Selbst wenn es ihr gelänge, den Gipfel zu erreichen und das Feuer zu entzünden, selbst wenn die Amazonen es überhaupt sähen und selbst wenn sie sich entschlössen, Hilfe ins Vanyadâl zu entsenden: Kämen sie nicht ohnehin zu spät? Wer sagte denn, dass ihre Tante überhaupt noch lebte? War das denn wahrscheinlich? Doch wenn sie tot war, wozu sollte Richeza dann ihr Leben riskieren – und mit ihrem zugleich auch das Praiodors aufs Spiel setzen? Falls dieser nicht ebenfalls schon tot war, verhungert im Raschtulswall. Von wilden Tieren zerfleischt. Von Ferkinas niedergemetzelt. Alt vertraute Hoffnungslosigkeit erfasste sie wie eine plötzliche Windbö und drohte sie mit sich fortzureißen. Mit aller Macht stemmte die Edle sich gegen Furcht und Trauer an. Reiß dich zusammen, Heulrike!, schalt sie sich und setzte Fuß vor Fuß auf dem immer schmaler werdenden Pfad.
Ihre Tante hätte nicht aufgegeben an ihrer Stelle. Da war sie sich sicher. Sie hätte getan, was getan werden musste. Sie hätte nicht gejammert und sich nicht leid getan. Sich nicht sinnloser Gefühlsduselei hingegeben, wie sie es vielleicht genannt hätte. Unwillkürlich musste Richeza grinsen. Wie konnte es sein, dass ihr diese harte, unnahbare Frau in den letzten Tagen so vertraut geworden war, dass sie sie nun vermisste? Sie kannte sie doch kaum! Und doch hätte sie in diesem Augenblick viel darum gegeben, ihr unerschrockenes, grimmiges Gesicht vor sich zu sehen, ihre polternde Stimme zu hören. Beharrlich kletterte die Edle weiter, die Hand fest um die Fackel geschlossen, selbst wenn sie immer öfter auch die Linke gebraucht hätte, um sich festzuhalten.
Aber wäre Domna Rifada so töricht gewesen, allein bei Nacht auf den Djer Kalkarif zu steigen? Würde sie sie genauso einen Schwachkopf schimpfen wie ihren Sohn oder Gemahl, sollte sie je davon erfahren? Richeza versuchte, die Zweifel abzuschütteln. Eine weitere Abzweigung zwang sie zu einer Entscheidung. Links oder rechts? Diesmal entschied sich die Edle gleich für den linken Pfad.
Immer höher ging es hinauf. Die feinen Regentropfen verwandelten sich in Eiskristalle, die sich auf ihrer Kapuze niederließen. Der Wind war schneidend. Richeza verfluchte den Harnisch, wünschte, ihn im Lager gelassen zu haben. Doch so eilig hatte sie es gehabt mit dem Aufbruch, dass sie keinen Gedanken daran verschwendet hatte, wie sehr die ungewohnte Rüstung sie behindern würde. Jetzt drückte sie bleischwer auf ihre Schultern und machte das Klettern umso mühsamer.
Die erste Spitze des Kammes lag bereits unter ihr; doch die höheren Zacken ragten schier unerreichbar vor ihr auf. Der Boden war hart und vereist, in den Felsspalten glitzerte Schnee, und die ersten vereinzelten Flocken segelten um sie herum zu Boden. Praios!, dachte sie. Es war Ende Praios, und es schneite! Da gab es Dürrejahre, wieder und wieder, und ausgerechnet dieser Sommer war kühl und nass, zumindest im Bosquirtal.
Jäh endete der Pfad zwischen verschneiten Klippen. Ein riesiger Gletscher zog sich vor Richeza den Kamm hinauf. Mit klammen Fingern löste die Edle einen der Äste von ihrem Rucksack. Er war nicht lang genug, um als Wanderstab zu dienen, aber wenigstens hatte sie überhaupt etwas, um sich auf dem verschneiten Boden voranzutasten. Als sie die restlichen Äste wieder verschnürte, war ihre Fackel so weit heruntergebrannt, dass sie sie gegen die vorletzte austauschen musste.
Nach etwa einem Wasserlauf wichen die Felsen zu beiden Seiten zurück und gaben den Blick frei auf die umliegenden Berge. Der Gletscher strahlte genug Helligkeit ab, um auch die Spitzen des Djer Kalkarif ausmachen zu können. Zwei lagen unter Richeza, zwei noch vor ihr. Die höchste Zacke wies wie ein Dorn in den Himmel. Unmöglich sie zu erklimmen. Zumal, wie die Edle nun entsetzt feststellte, eine tiefe Schlucht sie von dem höchsten Gipfel des Berges trennte. Falls ein Weg dort hinauf führte, so nicht von hier. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als das Feuer auf dieser Spitze zu entzünden. Doch dazu musste sie so weit wie möglich nach Südwesten. Wo aber war das? Die Sterne waren längst verschwunden, und selbst der Mond schimmerte nur schwach durch die Wolkendecke. Es blieb Richeza nichts anderes übrig, als sich anhand der Höhe der umliegenden Berge zu orientieren. Doch deren Gipfel waren verhangen, sodass es schwer war, die Richtung zu bestimmen.
Mit sinkendem Mut tastete die Edle sich voran, kaum mehr aufwärts, sondern nur noch dorthin, wo sie Südwesten vermutete. Zweimal brach sie tief im Schnee ein, und es kostete sie ihre letzten Kräfte, sich wieder herauszukämpfen. Allein ihr Wille trieb sie voran. Aufgeben kam nicht infrage, das wäre ihr Tod. Endlich gelangte sie an einen Hang, von dem aus sie weit über die niedrigeren Berge blicken konnte, als das Madamal sich kurz zwischen den Wolken hindurch wagte. Richeza suchte die Umgebung mit den Augen ab, ließ sich Zeit, bis sie sich sicher war, tatsächlich nach Südwesten zu schauen. Sie hatte nur eine Gelegenheit. Wenn sie das Feuer nicht dort errichtete, wo es von Keshal Rondra aus sichtbar war, war alle Mühe umsonst gewesen.
Die Edle ließ den Rucksack zu Boden sinken und band die zurechtgeschnittenen Äste los. Sie konnte das Holz nicht einfach im Schnee entzünden. Das Schmelzwasser würde das Feuer löschen, ehe es richtig in Gang kam. Sie steckte die Fackel in den Schnee, sorgsam darauf bedacht, dass sie nicht umfiel, und fegte mit dem Säbel Schnee von einem Felsblock. Drei Äste legte sie nebeneinander auf den Felsen und drei weitere quer dazu oben drauf. Wie furchtbar wenig Holz sie hatte! Der Turm, den sie errichtete, war viel niedriger, als sie sich ihn wünschte.
Und sie brauchte Zunder! Doch alles, was sie in ihrem Rucksack fand, war ein Tuch, in das die Frau des Schulzen die Vorräte eingeschlagen hatte. Richeza leerte ein Krüglein Brand über dem Stoff aus, das Guiterriz ihnen gegen die Kälte mitgegeben hatte. Dann stopfte sie das Tuch zwischen die Äste und entzündete es mit der Fackel. Der Stoff ging sofort in Flammen auf, doch das feuchte Holz geriet nur langsam in Brand. Schließlich steckte die Edle die Fackel selbst unter die aufgeschichteten Äste. Nun blieb ihr nur eine Fackel für den Rückweg, dachte sie bang, als sie sie entzündete. Immerhin schlugen die Flammen jetzt höher.
Für einen Moment spielte Richeza mit dem Gedanken, die Götter um Hilfe anzurufen, die Amazonen das Feuer entdecken zu lassen. Mochte Rondra ihrer Tante beistehen, die ihr stets treu gedient hatte! Doch ihr bitterer Stolz hieß sie, der Versuchung zu widerstehen. Die Götter hatten ihren Gebeten noch nie Gehör geschenkt! Wenn sie das Feuer an der falschen Stelle errichtet hatte, konnten auch die Götter ihr nicht helfen. Und wenn die Amazonen es sahen, so war es ihr, Richezas Verdienst, nicht der der Götter, dachte sie trotzig.
Die Wärme, die das Feuer abstrahlte, tat gut. Doch hier auf dem Gipfel konnte sie nicht bleiben. Richeza wartete, bis sie sich sicher war, dass der Wind das Feuer weiter entfachen, aber nicht ausblasen würde, dann machte sie sich auf den Rückweg über den Gletscher. Jetzt, da sie ihre Aufgabe, so gut es ging, erfüllt hatte, fiel es ihr noch schwerer, der Müdigkeit nicht nachzugeben. Sie brauchte ewig, bis sie den Pfad erreichte. Die Spuren, die sie auf dem Hinweg hinterlassen hatte, waren fast zugeschneit. Die Wolken zogen immer tiefer, der Schnee fiel dichter.
Wenn nur das Feuer weit genug zu sehen war, wenn es nur hell und lang genug brannte! Die Rondrastunde war gewiss längst vorbei gewesen, als sie es entzündet hatte. Und wenn sie es doch an der falschen Stelle errichtet hatte? Falls ja, konnte sie es jetzt auch nicht mehr ändern. Sie hatte getan, was sie konnte. Erschöpft schritt die Edle bergab. Sie musste wenigstens die verfallene Hütte erreichen. Zumindest aber aus dem Schnee heraus! Ihr schweißnasses Hemd klebte kalt an ihrer Haut, ihre Füße schmerzten, und in den Händen hatte sie kaum noch ein Gefühl. Sie strauchelte und schlug sich das Knie an einem Felsen auf. Kalt, wie ihr war, raubte der Schmerz ihr fast die Sinne. Kraftlos taumelte Richeza voran. Der nasse Schnee knirschte unter ihren Füßen. Die Zähne schlugen ihr aufeinander.
Ein urtümlicher, klagender Schrei durchdrang die Stille und ließ der Edlen das Blut in den Adern gefrieren. Was war das? Es war nicht fern gewesen, aber von dort gekommen, wo sie den Abgrund wähnte! Mit rasendem Herzen lauschte sie, doch das Geräusch kam nicht wieder. Es gab zahlreiche Ungeheuer im Raschtulswall. Wölfe, Berglöwen und unheimliche Glutlinge. Gegen Vier- und Vielbeiner mochte sie sich vielleicht noch verteidigen, falls diese überhaupt in diese Höhen vordrangen. Was aber, wenn ihre Fackel von einem fliegenden Räuber entdeckt wurde? Harpyien gab es hier. Drachen sogar.
Immer wieder furchtsam aufblickend, setzte Richeza ihren Weg fort. Als der Schrei abermals ertönte, erschrak sie so sehr, dass sie stürzte. Schlitternd versuchte die Edle Halt zu finden und gleichzeitig, das langgezogene, animalische Heulen zu orten. Es klang nach keinem Wesen, das sie kannte. Das Brüllen eines Dämons aus den Niederhöllen! Steine lösten sich unter Richezas Füßen und Händen, die hilflos ins Leere griffen. Ihr Gesicht schrammte über den gefrorenen Boden, allein der Harnisch verhinderte, dass sie sich den Bauch an scharfkantigen Felsvorsprüngen aufriss. Zugleich aber beschleunigte der glatte Stahl ihre Rutschpartie. Unsanft wurde sie gegen einen Felsen geschleudert, überschlug sich, stürzte ... Die Fackel entglitt ihrer Hand, dann kam Richeza hart auf dem Boden auf, blieb liegen, sah, wie die Fackel weiter fiel, ein kleines Licht, das durch die Dunkelheit sauste, tiefer, tiefer, und ihrem Blick entschwand.
Die Finsternis war vollkommen. Hier war der Boden kaum mit Schnee bedeckt, der Licht hätte zurückwerfen können, aber die sachten Berührungen an ihren Wangen sagten ihr, dass es noch schneite, und es nur eine Frage der Zeit war, bis der Schnee ein weißes Leichentuch über sie gebreitet hatte. Angst und Erschöpfung trieben Richeza die Tränen in die Augen. Schwach tastete sie um sich. War sie noch auf dem Weg? Wie weit war der Abgrund entfernt, in dem ihr Licht verschwunden war? Sie konnte nicht weiter! Aber sie konnte auch nicht hierbleiben.
Auf allen Vieren kroch sie aufwärts, Handbreit für Handbreit, tastete nach den Felsen, die sie in der Dunkelheit kaum erahnen konnte. Da, ein Überhang! Es schien dort windgeschützter. Zitternd nahm die Edle den Rucksack ab und kroch unter den Stein. Vielleicht war sie hier vor dem Schnee sicher! Sie zerrte die Decke aus dem Rucksack und versuchte, den vereisten Harnisch auszuziehen. Aber ihre steifen Finger vermochten die Schnallen nicht zu öffnen. Schließlich gab sie auf und zog Umhang und Decke über den Kopf.
Sie durfte nicht schlafen! So sehr sie vor wenigen Tagen den Schlaf herbeigesehnt hatte, so sehr kämpfte sie jetzt gegen ihn an. Bitte, beschwor sie, allen Stolz vergessend, die Götter, bitte, lasst mich hier nicht sterben! Nun betete sie doch. Wimmernd wie ein Kind flehte sie um ihr Leben. Darum, nicht von dem Ungetüm zerrissen zu werden, das sie so in Schrecken versetzt hatte. Nicht einzuschlafen und zu erfrieren. Nur nicht einzuschlafen ... Sie musste zurück, sobald es hell wurde. Sie durfte nicht ... einschlafen ... Musste ...
25. Praios[Quelltext bearbeiten]
Autor: SteveT
Moritatio erhob sich mit schmerzendem Rücken und stechendem Nacken von seinem harten, unbequem Steinlager unter dem Felsvorsprung, unter dem sie die Nacht verbracht hatten. Die ersten Vögel hatten zu zwitschern begonnen, und gen Rahja war das erste Sonnenlicht auszumachen, auch wenn sich das Praiosrund noch lange nicht über die himmelhohen Gipfel erhoben hatte, die sie ringsum wie eine titanischer Ringmauer umgaben. Dom Gendahar und Zaida schliefen offenbar noch, sodass er sich so leise wie möglich erhob und die verkrampften Schultern zur Lockerung kreisen ließ. Er trat nach draußen und ging einige Schritte hinter einen Mastixbusch, um in der morgendlichen Eiseskälte erst einmal sein Wasser abzuschlagen. Ihr Götter war das kalt geworden! Sein gelber Urinstrahl dampfte in der eiskalten Luft und konnte dort, wo er plätschernd niederging, nicht im Erdreich versinken, denn der Boden war hartgefroren. Nachtfrost im Praiosmond?
Er sah sich genauer um und stellte mit Schrecken fest, dass der normalerweise fünffach gezackte Gipfel des Djer Kalkarif wegen tiefhängender Firnwolken oder Nebel nicht zu erkennen war. Wie sollte Richeza so den Rückweg und einen sicheren Abstieg finden - wenn sie denn überhaupt in der Nacht bis zum Gipfel vorgedrungen war. Bei Dunkelheit und bei einem solchen Wetter erschien ihm das mit einem Male nahezu ausgeschlossen, und er machte sich Vorwürfe, sie überhaupt alleine gehen gelassen zu haben. Missmutig ging er zu den beiden anderen zurück, die sich in der beißenden Kälte unter ihren Decken wie Säuglinge zusammengerollt hatten. Er stieß den Thangolforster mit der Fußspitze an.
"He, Dom Gendahar! Wacht auf! Richeza ist noch nicht zurück und bei dieser dicken Nebelsuppe bezweifele ich auch, dass sie uns überhaupt wiederfinden kann. Wir sollten normalerweise lärmen oder ein großes Feuer als Hinweis für sie entfachen - aber wenn Ferkinas in der Gegend hier herumstreifen, wäre das mit Sicherheit keine gute Idee. Ich würde deshalb vorschlagen, dass wir selbst auf den Berg hinaufsteigen und nach ihr suchen. Eventuell stoßen wir dabei auch Eure heißen Quellen, nach denen Ihr Euch sehnt."
Autor: von Scheffelstein
Richeza erwachte, weil ihr kalt war. Die Finger in den ledernen Handschuhen schmerzten, als hätte das Eis sich direkt in ihr Fleisch gebohrt. Die Kanten des Harnischs brannten auf ihrer Haut. Schnee bedeckte ihre Beine bis über die Knie. Richeza schlug die Decke zurück, die nass und schwer war. Ihren Füßen fehlte jedes Gefühl. Die Edle klopfte den Schnee von der Decke und stopfte sie in den Rucksack. Sie holte das Brot hervor. Es war mit Eiskristallen bedeckt und zu hart, um einfach hineinbeißen zu können. Richeza fingerte den Dolch aus ihrem Stiefel und schnitt mit klammen Fingern ein Stück Brot ab. Der gefrorene Bissen schmerzte an ihren Zähnen, Eiswasser lief ihre Kehle hinab.
Es war noch dunkel, aber die Gipfel des Raschtulswalls umgab schon ein Flammensaum. Glühende Nebelschwaden stiegen von den Bergen auf. Majestätisch ragte der Djer Tulam in den Himmel empor. Über ihm verblassten die Sterne.
Richeza beendete ihr karges Mahl, als die ersten Sonnenstrahlen den Djer Kalkarif erreichten. Sie fror erbärmlich, aber sie hatte nichts, um Feuer zu machen. Sie verstaute den Rest Brot in ihrem Rucksack und kroch unter dem Überhang hervor, unter dem sie geschlafen hatte. Keine vier Schritt von ihr fiel der Felsen jäh ab. Zwanzig Schritt tiefer verschwand die Flanke des Berges in der Wolkendecke. Die Edle blickte in die andere Richtung. Zwei Mann hoch ragte die Felswand über ihr auf. Vom Weg war nichts zu sehen. Aber er musste irgendwo über ihr sein. Es half nichts: Sie musste dort hinauf.
Es dauerte lange, bis Richeza eine Stelle gefunden hatte, an der sie ein Seil befestigen konnte. Noch länger dauerte es, bis sie sich das Seil um den Bauch geschlungen, den Rucksack an einem Ende befestigt und eine Schlinge am anderen Ende geknüpft hatte. Wieder und wieder warf sie das Seil zu dem Vorsprung hinauf, an dem sie sich hochziehen wollte, wieder und wieder verfehlte sie ihn, und das Seil kam zurück. Benommen von Müdigkeit und Kälte machte sie weiter. Es schien ihr wie eine Ewigkeit, bis sie traf und die Schlinge sich festzog, und es kostete sie alle Kraft, sich an der stellenweise vereisten Wand hochzuziehen. Mit zitternden Gliedern blieb sie oben liegen. Ihr pfeifender Atem schien ihr die Lunge zu zerreißen.
Erst, als sie sich mühsam aufgerichtet, den Rucksack hochgezogen und das Seil losgeschnitten hatte, sah sie sich um. Hier war kein Weg! Vor ihr erstreckte sich ein verschneites Geröllfeld. Alles sah gleich aus. Es gab nichts, was sie von ihrem nächtlichen Aufstieg wiedererkannte. Sie wusste nicht, wohin sie sich wenden sollte. Richeza fluchte leise. Sie musste runter von diesem Berg. So schnell wie möglich. Aber wie, wusste sie nicht. Orientierungslos stolperte sie über die rutschigen Steine voran. Ihre tauben Füße gehorchten ihr kaum. Mehrmals rutschte sie ab. Verflucht, was hatte sie nur getan? Für wen lebte sie eigentlich ihr Leben?
Endlich hörte der Schnee auf, der Boden wurde wieder fester. Wärmer wurde es jedoch nicht. Der Wind war kalt, die Wolken waren inzwischen zu allen Seiten. Allein die Helligkeit ließ darauf schließen, dass die Sonne bereits über die Berggipfel gestiegen war.
Sie wusste nicht, wieviel Zeit vergangen war, als sie unter sich den Weg erblickte, einen staubigen Pfad, der sich zwischen Felsklippen hindurch wand. Doch ohne zu klettern, würde sie ihn nicht erreichen. Zum Klettern aber war sie zu schwach. Es blieb Richeza nichts anderes übrig, als ihr Seil zu opfern – oder einen Umweg in Kauf zu nehmen. Das aber wollte sie auf keinen Fall.
Schweren Herzens band die Edle ihr Seil an einem Felsen fest, befestigte es an ihrem Gürtel und machte sich an den Abstieg. Ihre Hände und Füße fanden kaum Halt; einmal trat sie daneben; das Seil glitt durch ihre Finger, ohne die Handschuhe hätte es ihr die Haut von den Händen gerissen.
Als sie den Weg erreichte, raste ihr Herz, und ihre Knie zitterten so sehr, dass sie sich setzen musste. Schwindelnd lehnte sie sich an den kalten Stein. Wer würde ihr ihren Irrsinn je danken? Was hatte sie schon für Almada getan, wann immer sie ihre Klinge fürs Vaterland gehoben hatte? Ein paar Ferkinas ins Jenseits geschickt, ein paar Novadis ermordet und ein paar Garethknechte ... Und wer hatte es ihr gedankt? Niemand, der noch lebte? Und jetzt? Wen wollte sie jetzt beeindrucken? Ihre Tante, die vielleicht tot war? Praiodor, der nur ein Kind war? Fenia, die sich erst seit Ramiros Tod überhaupt bequemte, mit ihr zu reden? War es Dank, den sie erhoffte? Ruhm? Was sollte das alles?
Ärgerlich rappelte Richeza sich auf und reckte sich, um wenigstens noch ein Stück des Seils loszuschneiden. Besser als nichts. Wer wusste, ob sie es nicht noch brauchte? Wenn sie das alles hier überlebte, musste sie aufhören, davonzulaufen. Sie konnte sich nicht länger etwas vormachen: Sie lebte nicht für selbstgesetzte Ziele. Lief nur der Furcht davon. Und wartete noch immer ... Damit musste Schluss sein! Mit zusammengepressten Zähnen lief sie weiter. Keine Zeit zum Nachdenken. Keine Kraft. Erst einmal musste sie überhaupt überleben.
Der Weg führte abwärts, aber Richeza konnte nicht sagen, ob es derselbe Weg war, den sie nachts gegangen war. Bei Licht wirkten die Entfernungen anders, und die Details – Steine, Sträucher, vereinzelte Blumen – verwirrten sie mehr, als dass sie ihr halfen, sich zu erinnern.
Ob es schon Mittag war? Allmählich knurrte ihr Magen. Sie hatte kaum etwas gegessen. Im Gehen zog die Edle das Brot hervor. Inzwischen war es getaut und matschig, ein nasser, kühler Brei, der nach dem Leder des Rucksacks schmeckte. Richeza würgte ihn hinunter, bis zum letzten Bissen. Sie hatte Hunger, und das Brot würde ohnehin verderben, wenn sie es jetzt nicht aß.
Ihre Beine waren ein echtes Ärgernis. Noch immer spürte sie ihre Füße kaum, nur wenn sie umknickte, weil sie die Unebenheiten des Bodens nicht vorausahnte, schoss kurz ein heller Schmerz in ihren Knöchel, ließ aber bald nur ein dumpfes Pochen zurück. Ihren Körper aber schwächte jeder Fehltritt wie ein Säbelhieb, und ihre Beine versagten ihr immer öfter den Dienst. Sie strauchelte, stolperte, taumelte voran. Schließlich musste sie sich eingestehen, dass sie nicht mehr weiterkonnte. Sie musste eine Pause machen! Dort, an dem Felsblock am Wegesrand, da wollte sie rasten. Nein, besser doch erst nach der Biegung, vielleicht war es dort windgeschützter. Aber war da vorne nicht eine Abzweigung? Nur noch ...
Nur ein Stein, ein winziges Hindernis, und sie schlug der Länge nach hin.
Sie musste das Bewusstsein verloren haben. Als sie die Augen öffnete, sah sie Füße. Füße in abgetragenen Lederstiefeln. Den Saum eines geflickten Umhangs. Alarmiert hob sie den Kopf. Ein Ferkina? Ihr Schädel dröhnte. Sie blinzelte gegen das Licht. Ein Mann in einem dunklen Umhang, in der Hand einen knorrigen Stecken. Unter der weiten Kapuze zerrte der Wind blondes Haar hervor. Kein Ferkina. Nicht einmal ein Mann. Ein junger Bursche. Vielleicht sechzehn Sommer. Ein hübsches Gesicht mit hohen Wangenknochen. Die Augen glommen im Dunkel der Kapuze.
Grob stieß der Junge sie mit dem Fuß gegen die Schulter, rollte sie auf den Rücken. Als sie nach ihrem Säbel tastete, rammte er ihr den Stab in die Hand. Ein dünnes Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab.
"Sieh an!", sagte er. Seine warme Stimme war wie Musik in ihren Ohren. Aber sein Lied gefiel ihr nicht.
Autor: SteveT
Moritatio blickte sich verärgert nach seinen beiden Begleitern um. Während der Thangolforster zum ersten Mal seit er ihn kennengelernt hatte wieder halbwegs bei Kräften und genesen ausschaute, waren die Belastungen der letzten Tage und nun der steile Aufstieg eindeutig zuviel für das Kind Zaida. Das sollte eine Waldwachterin sein, als die sie das Bergsteigen eigentlich gewohnt sein sollte? Immer öfter blieb sie stehen und musste verschnaufen und suchte mit angstgeweiteten Augen ihre Umgebung nach einem zuwandernswerten Ziel ab, obwohl es ringsum nichts zu entdecken gab außer Steinen und Nebel, Nebel, Nebel. Die dicke Suppe hing überall wie ein grauer Schleier um sie herum und verschluckte alles, was mehr wie 15 Schritt von ihnen entfernt lag. Wahrscheinlich war das in Wahrheit auch kein Nebel, sondern es waren einfach tiefhängende Schneewolken. Nein, "tiefhängend" war das falsche Wort, sie befanden sich hier sicher schon auf zweitausend Schritt Höhe, was sich langsam auch an der Atemluft bemerkbar machte, die dünn und eiskalt in Nase und Rachen stach, da der Aufstieg für sie alle hochanstrengend war.
"Wie soll Richeza bei dieser Sicht den Rückweg finden?" rief Moritatio hinter sich. "Ich hoffe, sie läuft uns durch Zufall geradewegs in die Arme!"
"Das kann ich mir vorstellen. daß Ihr darauf hofft!" lächelte Dom Gendahar dünn. "Aber recht daran glauben mag ich nicht! Sie könnte geradewegs gleich da drüben an uns
vorbeilaufen, ohne daß einer den anderen bemerken würde!"
Moritatio starrte angestrengt nach unten - war das unter seinen Füßen überhaupt noch "der Weg", den sie die ganze Zeit emporgeklettert waren - ein leicht ausgetretener Pfad
wahrscheinlich von Schmugglern oder von einem versponnenen Eremiten und seinen Gemsen - oder einfach nur eine natürliche Schneise im Geröll, die ein Firunschlag oder eine
Steinlawine einst gerissen hatte. Wenn es weiterhin der Weg zum Gipfel sein sollte, so stand er nun an einer Gabelung und keine der beiden Fortführungen sah sonderlich
vielversprechend aus.
"Wie weiter? Rechts oder links?" wartete er, bis Dom Gendahar und Zaida de las Dardas zu ihm aufgeschlossen hatten.
"Da fragt Ihr mich?" zuckte der Thangolforster mit den Schultern. "Ihr seid hier aufgewachsen - nicht ich!"
"Ich sagte bereits, daß ich bloß ein einziges Mal als Kind in dieser Gegend war - was sollte ich hier wollen?" gab Moritatio gereizt zurück.
Dom Gendahar nickte beschwichtigend und legte Zaida die Hand auf die Schulter. "Dann soll unser Kind hier entscheiden. Wie ich sie bisher kennengelernt habe, hat unsere kleine Zaida eine bessere Intuition wie wir alle zusammen!" Er beugte sich zu Zaida herab. "Welchen Weg würdest Du einschlagen?"
Die junge Waldwachterin, die inzwischen ihre Decke wie ein Kopftuch über der dicken schwarzen Lockenpracht trug, da es wieder leicht zu schneien begonnen hatte, schaute sich die beiden Wege kurz an und deutete dann auf den Linken. "Der da! Dort müssen wir lang!"
"Was? Ich hätte eher gesagt der Rechte" blickte sie Moritatio zweifelnd an. "Schaut doch nur, er ist viel steiler - wahrscheinlich führt er viel schneller zum Gipfel!"
"Ihr wolltet unsere Meinung hören", entgegnete der Streitziger, "aber jetzt gefällt sie Euch nicht. Ich schließe mich Zaida an. Der scheinbar direktere Weg muss nicht zwangsläufig auch der bessere sein."
Einen Moment lang war Moritatio hin- und hergerissen, ihnen dann eben hier die Trennung vorzuschlagen. Er war sich sicher, daß seine Cousine - wie er selbst - den steileren Weg gewählt hatte, falls sie sie ebenfalls an diese Weggabelung hier gelangt war. Ohne Zaida und Gendahar würde er wahrscheinlich besser vorankommen. Aber er hatte ja leider Richeza geschworen, bei ihnen zu bleiben und mit ihnen weiter nach dem Knaben Praiodor zu suchen, wenn sie nicht zurückkehrte - und wie es schien, kehrte sie nicht zurück...
Er blickte den Weg zurück, den sie emporgekommen waren. Diese ganze Suche war eine Narretei, was gingen ihn ein niegesehener Knabe oder eine entführte Grafentochter an, da seine Mutter und sein Vater gefangen oder tot waren? Er sollte besser irgendwie zur Keshal Rondra zu seiner Schwester Gujadanya oder nach Wildenfest und Schrotenstein zu seiner Großtante Belisetha und seinem Onkel Lucrann eilen, die Amazonen und alle verfügbaren Waffenknechte der Familia zusammentrommeln und Praiosmin eine blutige Fehde liefern. Er musste diese Scharte auswetzen und das Castillo da Vanya oder besser gleich ganz Selaque von dieser widerlichen Tyrannin befreien!
"Schaut nicht zurück, Junge!" schob ihn der Thangolforster mit sanftem Nachdruck den linken der beiden Wege hinauf, als ob er seine Gedanken gelesen hätte. "Denkt daran, was Ihr Eurer hübschen Base versprochen habt - sie ist doch sicher die letzte, die Ihr enttäuschen wollt, hm?"
Moritatio knurrte etwas unverständliches als Antwort, wahrscheinlich irgendeine bosquirische Verwünschung, aber stieg tatsächlich finstergesichtig weiter den Weg bergan.
Gendahar zwinkerte Zaida verschwörerisch zu und bedeutete ihr in der Mitte vor ihm herzugehen. "Keine Angst! Wir sind schon so weit oben, es kann nicht mehr weit bis zum
Gipfel sein."
Autor: von Scheffelstein
"Sieh an, die Zungenklafferin!", sagte der Bursche. "Hat ihr Schandmaul nicht halten können. Und jetzt kommt sie mir zu Füßen gekrochen. Was für ein Zufall!" Ein abfälliges Grinsen verzerrte die Lippen des jungen Mannes.
"Wer bist du?", stöhnte Richeza, der er fast die Hand gebrochen hatte. "Du musst mich verwechseln."
Der Junge starrte die Edle finster an. Obwohl sein Gesicht im Schatten lag, konnte sie seine Augen erkennen. Fast, als leuchteten sie von sich aus. Etwas stimmte nicht mit dem Burschen.
"So", sagte der nach einem Moment. "Da gibt sie vor, mich nicht zu kennen und spricht mich gleich vertraulich an. Ganz wie Ihr wünscht. Wie du wünschst, Miststück. Aufstehen!" Er versetzte ihr einen Tritt.
Richeza rappelte sich auf, allein schon, um nicht länger auf dem kalten Boden liegen zu müssen, zumal es erneut zu schneien begann. Irritiert betrachtete sie den jungen Mann. Spielten ihr ihre Sinne einen Streich? Unwillkürlich fasste sie sich an den Kopf. Ihr Gesicht war ziemlich lädiert, dort wo es auf den Boden aufgeschlagen war. Eine dicke Beule wölbte sich an ihrer Stirn.
"Das hat mein Vater Euch ... dir nie verziehen, dass du meinen Namen verraten hast. Es war unser Geheimnis, verstehst du? Wir haben dich nicht für so dumm gehalten, Geheimnisse zu verraten. Aber da haben wir uns wohl getäuscht. Nun, sei es drum: Wenn wir nicht Freunde sein können, wirst du mir eben dienen."
Ungehalten runzelte Richeza die Stirn. Was bildete der Kerl sich ein? Und wer war er überhaupt? Ein Teil von ihr aber wähnte ihn noch immer ein Trugbild ihres müden Geistes. Das konnte doch nicht sein, dass sie all die Mühen im Raschtulswall auf sich genommen hatte, nur um von einem Knäblein beschimpft zu werden! Sie musste träumen.
"Hör zu", seufzte sie, sich bewusst, dass es nur um so irrer war, mit einer Traumgestalt zu sprechen, "ich kenne dich nicht. Und deine Geheimnisse sind mir gleich. Aber wenn du meine Freundschaft willst, so gewinnst du sie gewiss nicht durch kecke Reden. Wenn du mir aber helfen magst ..."
"Weder will ich deine Freundschaft, noch dir helfen", unterbrach sie der Junge barsch. "Du hast mich falsch verstanden", erklärte er mit hochmütigem Grinsen. "Du wirst mir dienen, solange du mir von Nutzen bist. Und dann wirst du schweigen ..."
Er stockte und hob kurz den Kopf. Richeza nutzte die Gelegenheit und zog den Säbel. Doch der Bursche war schnell, und sein Stab traf ihren Brustpanzer mit einer solchen Wucht, dass sie durch die Luft geschleudert wurde und krachend zwischen einigen Felsen zu Boden fiel. Der Säbel flog aus ihrer Hand und blieb in einer Felsspalte stecken. Es musste ein Traum sein, dachte die Edle benommen, kein Mensch hatte eine solche Kraft ...
Der Junge kletterte zu ihr und kauerte sich neben sie zwischen die Felsen. Stimmen. Da waren Stimmen im Nebel. Richeza versuchte, den Kopf zu heben, aber sie konnte sich nicht bewegen. Alles drehte sich um sie herum. Sie schmeckte Blut auf ihren Lippen. Jemand näherte sich auf dem Weg. Der junge Mann legte ihr die Hand auf den Mund. Sie bekam kaum Luft. Drei Menschen wankten in ihr Gesichtsfeld. Traumgestalten. Sie standen auf dem Kopf. Ihre Füße bewegten sich über die Steine, aber alles war verkehrt herum. Einer war blond und groß, hielt ein Mädchen an der Hand, kaum jünger als der Bursche, der ihr den Mund zudrückte. Der andere war ...
"Mmm ...", machte Richeza. Ihr tonloser Seufzer erstickte zwischen den Fingern des jungen Mannes. Die Gestalten zogen vorüber. Der Junge nahm seine Hand fort und hob sie auf seine Arme. Kies knirschte überlaut unter seinen Füßen. Sein Ächzen donnerte der Edlen in den Ohren. Er flüsterte etwas - ein zischender Schmerz in ihrem Schädel. Im nächsten Moment war alles im Nebel versunken. Stille. Richeza fror. Dann wurde es schwarz um sie.
- Die Geschichte um Domna Richeza wird hier fortgesetzt: Schauplatz: Ferkinalager, Teil 04.
Autor: SteveT
Schwitzend und frierend zugleich, blickte sich Moritatio nach Zaida und Gendahar um, die ihm gemäß den aufgestellten Kletterregeln ihrer Seilschaft mit fünf beziehungsweise zehn Schritt Abstand nachfolgten. Der An- und Ausblick war grandios! Sie waren nun oberhalb des Wolkenfluges, die weißgrauen Wolken breiteten sich hundert Schritt unter ihnen im Norden und Osten wie eine geschlossene Decke bis zum Horizont aus - als ob die ganze Welt nur aus einem grauweißen Meer aus Watte bestünde, aus dem die Gipfel der höchsten Berggiganten des Raschtulswalls wie Inseln aufragten. Vor und über ihnen aber erhoben sich die fünf schroffen Gipfelzacken des Djer Kalkarif leuchtend im Praioslicht in den stahlblauen Himmel.
"Die Gipfel! Wir sind fast oben!", deutete Moritatio, überwältigt von der Schönheit dieses Augenblicks und voller Ehrfurcht vor dem Schöpfungswerk der Götter, auf die bizarren Felsen. Als Zaida und Gendahar zu ihm aufgeschlossen hatten und sie alle einen Moment niederknieten, um Atem zu holen und das Panorama auf sich wirken zu lassen, stellte er leiser fest: "Richeza ist nicht dort oben und sie ist uns auch nirgendwo begegnet. Entweder sie hat es in der Nacht nicht auf den Gipfel geschafft und ist abgestürzt, oder sie hat bei dem Nebel den Abstieg nicht mehr gefunden und ist irgendwo anders herabgestiegen. Ich hätte sie nicht alleine gehen lassen sollen, verflucht!"
Er wartete, daß ihn die kleine Waldwachterin oder der Thangolforster beschwichtigten oder ihm zumindest zustimmten - aber als von ihrer Seite aus keinerlei Erwiderung kam, wandte er sich zu den zweien um, die beide nach unten, nach Westen starrten. "Was ist?"
"Da unten!", deutete Dom Gendahar auf ein größeres Felsplateau, etwa eine Meile weiter unten am Steilhang des Djer Kalkarif. "Sind das Zelte - primitive Zelte? Das was zwischen ihnen herumwuselt scheinen mir Ziegen oder vielleicht auch kleine Pferde zu sein. Und da! Da treten Menschen aus dem einen Zelt!"
"Blutsäufer!", berichtigte Moritatio. "Es ist wirklich ein Lager - das ... äh, 'Dorf' eines Ferkina-Stammes! Mögen die guten Götter geben, daß ihnen Richeza nicht in die Hände gefallen ist ... und auch, daß sie uns nicht entdecken!"
Dom Gendahar schien anders über die Sache zu denken, denn er begann zu lächeln: "Gut, daß wir diesen Wildenpfuhl gefunden haben. Möglicherweise wird Romina genau hier gefangengehalten."
Moritatio schüttelte den Kopf: "Wenn ja, dann bestünde kaum Hoffnung, daß sie noch am Leben ist. Was glaubt Ihr, wie diese Barbaren mit weiblichen Gefangenen umspringen? Meine Mutter war ihnen als junges Mädchen in die Hände gefallen - sie hat mit mir niemals ein einziges Wort über ihre Zeit bei den Wilden gesprochen - aber ich konnte spüren, daß ihr allein die Erinnerung an diese Zeit bis zuletzt Qualen und Schmerz und Wut bereitete."
Er wischte sich mit dem Ärmel über seine feuchten Augen. "Wir müssen Richeza finden, bevor sie die Wilden dort unten finden! Das ist mir jetzt - bei allem Respekt vor Eurer Verwandtschaft - ein dutzend Mal wichtiger, wie unsere entführte Grafentochter oder einen verschollenen Edelknaben mit seiner Mutter zu erretten. Schließlich hat Richeza alles für diese Personen riskiert."
Autor: Simanca
Die letzten Tage waren weit anstrengender gewesen, als sich Zaida hatte ausmalen wollen. In den Geschichten wurde nie von eiskalten Zehen, klammer Kleidung oder dem Gefühl der Verzweiflung berichtet, die einen befallen wollte, wenn man scheinbar sinnlos im Nichts herumirrte, während die Hoffnung auf ein Lebenszeichen der gesuchten Menschen immer mehr zu schwinden schien. Aber dann wären die Geschichten wohl auch nur halb so spannend - und wer konnte sich solche Unbill schon vorstellen, wenn er in eine warme Decke gekuschelt neben dem wärmenden Herd einer Abenteuergeschichte lauschte?
Sie riss sich aus den Gedanken los und sah auf das kleine Zeltlager – Dorf, wie Dom Moritatio es bezeichnete. Es war ein erster kleiner Lichtblick. Vielleicht war Domna Romina wirklich dort unten. Vielleicht … hoffentlich! Oder besser nicht, wenn sie Dom Moritatios Ausführungen über die Ferkinas bedachte. Fast wollte ihr der Mut wieder verzagen. Also rasch den Mund aufgemacht, bevor sie wieder in diesen grauen Trott verfiel, der sich ihrer die letzten Tage bemächtigte.
„Aber Dom … das Dorf liegt so nahe unseres Weges, und Domna Richeza ist uns genau hier auf dem Berg verloren gegangen. Ich mag nicht glauben, dass sie im Nebel an uns vorbeigewandert ist. Und Ihr mögt Euch sicher nicht vorstellen, dass sie im Nebel abgestürzt sei." Sie nickte zu dem Dorf hin. „Ihr sagt selbst, dass sie mit … weiblichen Gefangenen nicht gut umspringen. Was, wenn die Wilden sie schon gefunden und gefangen genommen haben? Unser Weg hat uns hierhergeführt, durch Phexens Nebel, mag das nicht ein Fingerzeig gewesen sein? Vielleicht finden wir dort unten ja Domna Richeza und Domna Romina?" Hoffnungsvoll sah sie ihn unter den wirren Locken hervor an. „Können wir nicht wenigstens ein klein wenig näher an das Dorf heran? Vielleicht erkenne ich ja einen der Ferkinas oder irgendwelche Stammeszeichen oder so etwas, sodass ich sagen kann, ob das die sind, die Domna Romina entführt haben?"
Sie griff nach Dom Gendahars Hand und sah auch ihn bittend an. „Das ist der erste Fingerzeig, den wir haben, wir können jetzt doch nicht einfach dran vorbeigehen?"
Autor: Ancuiras
"Zaida hat recht", sagte Dom Gendahar nach einem langen Augenblick der Stille. "Es macht kaum Sinn, durch die Wildnis zu stapfen, in der vagen Hoffnung, Domna Richeza über den Weg zu laufen. Wenn sie nicht der feindlichen Natur dieser Berge zum Opfer gefallen ist, dann diesen Wilden da unten. Ich weiß gar nicht, was ich mir lieber wünschen soll. Eure düsteren Geschichten, Dom Moritatio, sind jedenfalls nicht hilfreich. Wir können nur zu den Zwölfen beten, dass sie noch wohlauf ist." Sein Blick wurde finster. "Das Gleiche gilt für Romina. Sie könnte auch dort unten sein. Ich sehe keinen anderen Weg, mehr über das Schicksal der beiden herauszufinden, als näher heranzuschleichen, sobald es dunkler geworden ist."
Autor: SteveT
Moritatio blickte Zaida und Gendahar skeptisch an und schaute dann noch einmal zu dem Ferkina-Lager knapp tausend Schritt unterhalb von ihnen am Hang des Djer Kalkarif herab. "Wenn sie uns entdecken, droht uns ein furchtbares Ende. Aber ich stimme Euch zu, daß Richeza und Eure Nichte dort gefangengehalten werden könnten. Oder wenn nicht sie, dann vielleicht zumindest das Knäblein, das wir suchen." Er strich sich grübelnd über seine hier in der Wildnis wild spriessenden Bartstoppeln am Kinn. "Andererseits widerstrebt es mir, nicht nach Richeza zu suchen, die uns bei ihrem Abstieg vielleicht einfach verfehlt hat und nun drunten an unserem Nachtlager in größter Sorge ist, da sie ja umgekehrt denken muss, uns sei etwas zugestoßen. Ich schlage deshalb folgendes vor: Ihr und Zaida klettert vorsichtig bis zu diesem Plateau dort unten. Das dürfte etwa eine halbe Meile von hier sein und es gibt viele Felsen, die Euch Deckung bieten können. Von dort aus, behaltet Ihr das Wildenlager im Auge. Ich steige nochmals auf der Rückseite des Berges herab, die wir heraufgekommen sind und suche nach Richeza. Ob mit ihr oder ohne sie - wir treffen uns dann vor Einbruch der Dunkelheit auf dem besagten Plateau. Um dorthin zu gelangen, muss ja glücklicherweise nicht mehr den ganzen Berg hinaufkraxeln. Phexseidank beginnt sich der Nebel auch langsam zu lichten. Die Gipfel dort hinten liegen bereits im strahlenden Praiosschein."
Autor: Ancuiras
"Das ist Irrsinn", wandte der Thangolforster ein. "Wir sollten uns nicht nochmals trennen. Schlimm genug, dass Domna Richeza allein auf den Berg geklettert ist - wenn sie überhaupt so wiet gekommen ist." Unschlüssig starrte er zu dem Ferkinadorf hinab. Ob dort wirklich mehr über Richezas Schicksal zu erfahren war? Es konnte sein - aber genauso konnte diese Närrin aus Scheffelstein allein durch die Wildnis laufen, vom Nebel auf falsche Wege geführt. Vielleicht war sie tatsächlich auf dem Weg zu ihrem Nachtlager, in der Hoffnung ihre Gefährten wieder zu finden. Oder die Ferkinas hatten sie doch erwischt und waren gerade dabei...
"Verdammt, dieses Weibsbild!" Er fuhr sich durch die Haare. "Nun gut, wir unternehmen gemeinsam einen letzten Versuch und laufen zum letzten Nachtlager zurück. Wenn sie dort nicht ist, dann werden die Wilden sie wohl haben, genau wie..." Er brachte den Satz nicht zuende, sondern sprang auf und zog dann Zaida wieder auf die Beine. "Los, wir haben keine Zeit zu verlieren."
Autor: SteveT
Moritatio mißbilligte wie dieser dahergelaufene Yaquirtaler von seiner schönen Base sprach. Er schalt sich selbst einen Narren, das er sich überhaupt Richezas Befehl gebeugt hatte und sie alleine von dannen hatte ziehen lassen, um in der Gesellschaft dieses von sich selbst eingenommenen Mannes und des stillen Waldwachter Kindes zurückzubleiben, die ihm beide im Grunde genommen vollkommen gleichgültig waren. Er musste endlich lernen, auf sein eigenes Herz, sein Bauchgefühl oder seinen Verstand zu hören und sich weniger um die Weisungen anderer Leute zu scheren. Immerhin war er ein erwachsener Mann und konnte nicht ewig der Befehlsempfänger seiner Mutter, des Militärs oder jeder anderen Autorität bleiben, die gerade seinen Weg kreuzte und glaubte ihn herumkommandieren zu können.
"Nein!" antwortete er deshalb auf Gendahars Entschluß. "Wir werden nicht genau denselben Weg, sondern eine etwas andere Route nach unten nehmen. Wenn wir Richeza nicht finden, so vielleicht doch zumindest eine Spur von ihr, was bei dem frischgefallenen Schnee durchaus möglich sein sollte. Wenn Praios' aber weiter so scheint, wird dieser schon bald wieder wegschmelzen und dann wird es ungleich schwieriger."
Er deutete auf einige grün-silberne Glitzerflächen weiter unten am Berg, auf der vom Ferkinalager abgewandten Seite. "Und dabei schlage ich vor, wir klettern daran vorbei. Wenn mich nicht alles täuscht,
sind das kleine Gebirgsseen. Und da sie nicht zugefroren und zugeschneit sind, halte ich es durchaus für denkbar, daß dies die heißen Quellen sind, wie man sie in der Nachbarschaft von Vulkanen häufiger findet
und nach denen Ihr mich gefragt habt, Dom Gendahar. Wie gesagt, ich erinnere mich dunkel aus meiner Kindheit, daß es solche am Djer Kalkarif gab und dort könnt Ihr dann - wenn Ihr weiterhin partout darauf
besteht und nichts anderes dahintersteckt - kurz ein linderndes Bad nehmen, nach dem es Euch gelüstete."
Er achtete darauf. daß Zaida und Gendahar wieder den Sicherheitsabstand ihrer Seilschaft einhielten und begann dann mit dem Abstieg - geradewegs auf die glitzernden Seen zu.
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