Chronik.Ereignis1033 Feldzug Mark Ragathsquell 01: Unterschied zwischen den Versionen

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==[[Mark Ragathsquell]], 23. Praios [[Annalen:1033|1033]] BF==
==[[Mark Ragathsquell]], 23./24. Praios [[Annalen:1033|1033]] BF==
===[[Junkergut Aranjuez]]===
===[[Junkergut Aranjuez]]===
'''Autor:'''  [[Benutzer:Der Sinnreiche Junker von Aranjuez|Der Sinnreiche Junker]]
'''Autor:'''  [[Benutzer:Der Sinnreiche Junker von Aranjuez|Der Sinnreiche Junker]]
'''23. Praios, Abends'''
   
   
Mit metallischem Klirren der Rüstung beugte [[Hernán von Aranjuez]] ein Knie, stützte den rechten Ellenbogen darauf, und entledigte sich der Panzerhandschuhe.  
Mit metallischem Klirren der Rüstung beugte [[Hernán von Aranjuez]] ein Knie, stützte den rechten Ellenbogen darauf, und entledigte sich der Panzerhandschuhe.  
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So hatte es der Moral auch keinen Abbruch getan, als der Condottiere schließlich verkündet hatte, dass er nicht gedachte, das Kind noch irgendwo auf dem Rest des Weges unterzubringen. Stattdessen würde sie erst einmal auf dem Junkergut bleiben, welches zu diesem Zeitpunkt nicht mehr allzu fern war. Und so hatten sie sich dann am frühen Abend der Straße von Valenca gen Wilsemund von Süden her genähert, denn diese bildete die Basis des in etwa einem Dreieck gleichenden Junkergutes im Nordosten der Mark Ragathsquell.  
So hatte es der Moral auch keinen Abbruch getan, als der Condottiere schließlich verkündet hatte, dass er nicht gedachte, das Kind noch irgendwo auf dem Rest des Weges unterzubringen. Stattdessen würde sie erst einmal auf dem Junkergut bleiben, welches zu diesem Zeitpunkt nicht mehr allzu fern war. Und so hatten sie sich dann am frühen Abend der Straße von Valenca gen Wilsemund von Süden her genähert, denn diese bildete die Basis des in etwa einem Dreieck gleichenden Junkergutes im Nordosten der Mark Ragathsquell.  
   
   
„Vor beinahe fünf Götterläufen, im Efferd des Jahrens 1028 nach Bosparans Fall, als uns die Kunde erreichte, [[:dar:Answin von Rabenmund|Answin von Rabenmund]] sei zurück gekehrt. Der Capitán hat keinen Augenblick gezögert, und als wir machten uns mit Schwert und Schild und zwei Packpferden voller Proviant auf den Weg. Nicht nach [[Punin]] und Omlad, wie er verbreiten ließ, sondern wir bogen bei Wilsemund gen Norden ab. Nun, der Rest ist bekannt…“, zuckte Anzures Ballan mit den Schultern. „Das [[:gar:Jahr des Feuers|Jahr des Feuers]], Answins Untergang und so weiter. Hernach wagten wir uns freilich nicht mehr hierher zurück, auch wenn man soweit ich weiß nie offiziell Anklage erhoben hat. Stattdessen gingen wir in den Yaquirbruch, wo ein Mann im anbrechenden [[:lfwiki:Horasischer Thronfolgekrieg|Krieg der Drachen]] sein Glück machen konnte, wenn er nur tüchtig mit seinem Schwert drein zu schlagen verstand. Und nun sind wir seit Beginn des Jahres wieder hier, wobei uns unser Weg direkt zur [[Landstände]]versammlung führte, und den Rest kennt ihr ja.“  
„Vor beinahe fünf Götterläufen, im Efferd des Jahrens 1028 nach Bosparans Fall, als uns die Kunde erreichte, [[:dar:Answin von Rabenmund|Answin von Rabenmund]] sei zurück gekehrt. Der Capitán hat keinen Augenblick gezögert, und als wir machten uns mit Schwert und Schild und zwei Packpferden voller Proviant auf den Weg. Nicht nach [[Punin]] und Omlad, wie er verbreiten ließ, sondern wir bogen bei Wilsemund gen Norden ab. Nun, der Rest ist bekannt…“, zuckte Anzures Ballan mit den Schultern. „Das [[:gar:Jahr des Feuers|Jahr des Feuers]], Answins Untergang und so weiter. Hernach wagten wir uns freilich nicht mehr hierher zurück, auch wenn man soweit ich weiß nie offiziell Anklage erhoben hat. Stattdessen gingen wir in den [[Yaquirbruch]], wo ein Mann im anbrechenden [[:lfwiki:Horasischer Thronfolgekrieg|Krieg der Drachen]] sein Glück machen konnte, wenn er nur tüchtig mit seinem Schwert drein zu schlagen verstand. Und nun sind wir seit Beginn des Jahres wieder hier, wobei uns unser Weg direkt zur [[Landstände]]versammlung führte, und den Rest kennt ihr ja.“  
   
   
Mehr als vier Jahre. Nein, beinahe fünf., korrigierte sich Hernán von Aranjuez in Gedanken, während seine bloßen Hände in die Erde griffen. Eine Handvoll Dreck und Staub, und doch. ''Heimat''. Bedächtig zerrieb er die Erde zwischen den Handflächen, hielt sie sich vors Gesicht und atmete tief den Geruch ein. Der Geruch unterschied sich nicht wesentlich von dem, den eine Handvoll Dreck und Staub aus Garetien oder dem Regengebirge gehabt hätte, aus dem Balash oder aus Unter-Yaquirien, aus Süd-Almada, dem Darpatischen oder Greifenfurtschen, aus dem Yaquirbruch oder wo auch immer sonst ihn das Kriegshandwerk hingeführt hatte. Und doch. ''Heimat''.  
Mehr als vier Jahre. Nein, beinahe fünf., korrigierte sich Hernán von Aranjuez in Gedanken, während seine bloßen Hände in die Erde griffen. Eine Handvoll Dreck und Staub, und doch. ''Heimat''. Bedächtig zerrieb er die Erde zwischen den Handflächen, hielt sie sich vors Gesicht und atmete tief den Geruch ein. Der Geruch unterschied sich nicht wesentlich von dem, den eine Handvoll Dreck und Staub aus Garetien oder dem Regengebirge gehabt hätte, aus dem Balash oder aus Unter-Yaquirien, aus Süd-Almada, dem Darpatischen oder Greifenfurtschen, aus dem Yaquirbruch oder wo auch immer sonst ihn das Kriegshandwerk hingeführt hatte. Und doch. ''Heimat''.  
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"Nein.", verschwand das Lächeln plötzlich vom Antlitz des Aranjuezers. „Domna Praiosmin von Elenta würde sich glücklich schätzen, wenn sie nur eines Rindvieches verlustig ginge, das schwöre ich bei dieser heiligen Erde.“ Er griff nach seinen Handschuhen, erhob sich, und ging ohne ein weiteres Wort los, und so bogen sie kein Wassermaß später auf jenes letzte Wegstück ein.  
"Nein.", verschwand das Lächeln plötzlich vom Antlitz des Aranjuezers. „Domna Praiosmin von Elenta würde sich glücklich schätzen, wenn sie nur eines Rindvieches verlustig ginge, das schwöre ich bei dieser heiligen Erde.“ Er griff nach seinen Handschuhen, erhob sich, und ging ohne ein weiteres Wort los, und so bogen sie kein Wassermaß später auf jenes letzte Wegstück ein.  
'''24. Praios, Nachts'''
„Wacht auf, Efendi!“
Es hätte der nur vom Kerzenständer in der Hand des greisen Verwalters Mahmud erhellten Dunkelheit im Zimmer nicht bedurft, um [[Rafik von Aranjuez]] zu verdeutlichen, dass er keineswegs verschlafen hatte. Sein Schädel brummte, wie es nur allzu natürlich war, wenn man mitten in einem Traum und weit vor der Zeit geweckt worden war. Und mutmaßlich auch, wenn man einen oder zwei Becher Rebensaft zu viel getrunken hatte.
„Sie sind hier, Efendi, sie sind zurück!“, schüttelte Mahmud den soeben Erwachten am Arm. Dieser rieb sich schlaftrunken die Augen: „Schon gut, alter Freund, ich bin ja wach. Wer ist zurück?“
„Der Herr! Dom Hernán! Und Anzures ebenso, sie sind soeben eingetroffen.“, nickte der Verwalter aufgeregt.
„Hier?“, blinzelte der Advocatus, bis sich seine Augen an das schwache Licht gewöhnt hatten. „Auf Aranjuez?“ Abermals nickte der alte Mann eifrig: „Sie haben sich ins Bad begeben, und harren dort Eurer, Efendi. Wartet, ich helfe Euch.“
Rafik von Aranjuez winkte nur ab. „Schon gut, Mahmud, ich glaube ich kann auf allzu formelle Tracht verzichten. Bring mir nur einen Morgenmantel.“ Und so blieb die sorgfältig über einem nahen Stuhl gefalteten edlen Kleider blieben unberührt, ebenso wie die güldene Amtskette des [[:lfwiki:Politik Unterfels#Die Uffizien|''centimare aurum '']] der Stadt [[:lfwiki:Unterfels|Unterfels]]. Während der Verwalter den Morgenmantel holte, massierte sein Herr sein linkes Bein, denn wie stets, wenn er länger ruhte, war das Knie steif und unbeweglich. Steifer und unbeweglicher als sonst. Als Mahmud zurück kehrte, erhob sich der Vetter des Hausherrn entsprechend mühsam, griff nach seinem Stock, und ließ sich in den Morgenmantel helfen.
Einen Augenblick musste er inne halten, als sie den Bädertrakt betraten. Luftfeuchtigkeit und Hitze ließen ihn beinahe wie gegen eine Wand laufen, und kurz verschlug es ihm beinahe den Atem. Noch ehe er weitergehen konnte, traten bereits die ersten Schweißperlen auf seine Stirn. Dann ging er weiter, derweil der Stock, auf welchen er sich stützte, jeden seiner Schritte mit einem leisen ''Tock…Tock…Tock'' begleitete. Der älteste Teil des Gutshofes war vor vielen Jahrhunderten auf immer-heißen Quellen errichtet worden, was die Familie getreu ihrer tulamidischen Wurzeln dazu nutzte, einen feudalen Bädertrakt zu unterhalten, sodass es Dom Rafik nicht verwunderte, dass seines Vetters Weg ihn zuerst hierher geführt hatte. 
„Euer Stock verrät Euch, Vetter.“, rief Hernán von Aranjuez mit dem Rücken zum Eintretenden. Anzures und er saßen im Becken, jedoch dort am Rand, wo eine Schwelle es den Badenden erlaubte, im ansonsten brusttiefen Wasser zu sitzen. Sie lehnten am Rand, und hatten die Ellenbogen nach hinten aufgestützt, derweil das bewegte Wasser ihnen bis knapp über den Bauchnabel ging. Hinter ihnen standen eine Karaffe, Becher und einige Platten mit Obst, kaltem Fleisch, Brot, und was die Küche sonst noch zu so später Stunde rasch hergegeben hatte.
„Die Farbe des Wasser verrät ''Euch'', Vetter.“, gab Rafik nicht unfreundlich zurück.
„Tatsächlich?“, grinste Hernán nun über die Schulter. „Du hättest es sehen sollen, als wir hinein gestiegen sind. Als hätte man einen großen Stein in den Schlick eines flachen Wassers geworfen.“
„''Zwei'' große Steine.“, lachte Anzures leise, und nahm einen Schluck. Es tat gut, nach so vielen entbehrungsreichen Tagen wieder die Annehmlichkeiten der Zivilisation zu kosten. Gewiss betraf das auch die mitgebrachten Söldner, die freilich mit dem Gesindehaus vorlieb nehmen mussten, und gerade wohl ihrerseits dort in Badezubern saßen, und gleichfalls das einfache Mahl genossen. Im Vergleich zum Speiseplan der letzten Tage, empfanden dies freilich alle als Festschmaus, hier wie dort.
„Ich gratuliere zu Deiner Erhebung, Vetter. Oder sollte ich sagen: Euer Hochgeboren?“ Tatsächlich hatten sie sich seit vielen Wochen nicht gesehen. Hernán von Aranjuez hatte einen Teil seiner Mercenarios auf einem Feldzug [[Josmina von Bregelsaum]]s geführt, an dessen Ende die Rückeroberung der Feste [[lfwiki:Cusimora|Cusimora]] und damit [[lfwiki:Oberfels|Oberfelses]] stand, wofür er dann zu Beginn des Jahres zum Baron von Dubios erhoben worden war. Eine längst überfällige Ehre, wie zweifellos jeder der Anwesenden bestätigen würde, immerhin hielt das Haus Aranjuez schon seit Generationen jenen [[Dubianer Baronsfrage|Anspruch]]. Rafik indes hatte sich in Unterfels um die Belange der Familie gekümmert, hatte seinen Vetter in der ''signoria'' vertreten, und die Säckel von Unterfels mit den Steuern von [[:lfwiki:Tikalen|Tikalen]] und aus dem Yaquirbruch gefüllt. Und wie nicht nur böse Zunge behaupteten, auch sein eigenes. Lediglich für die Hochzeit des [[Selindian Hal von Gareth|Kaisers]] war er nach Punin gereist, und hatte natürlich auch dem Familiengut einen Besuch abgestattet. „Es hat mich überrascht zu hören…“, fuhr er fort „…dass Du noch nicht einmal in [[Heldor]] warst, sondern Dich gleich wieder in irgendeine Narretei gestürzt hast. Ich muss Dich wohl kaum daran erinnern, dass man uns…nun ja, vor allem [[Tego Colonna|Tego]] und Dich…nicht gerade liebt in Heldor. Statt Landsknechte zu werben um Ferkinas zu jagen, hättest Du sie nach Dubios führen sollen, um dort den Baronsstuhl zu sichern. Wer weiß, welche Ränke diese Pfeffersäcke derweil geschmiedet haben.“
„Wie steht es eigentlich um meinen Bruder?“, ging Hernán kaum auf die Vorhaltungen seines Vetters ein. Sein Bruder, genauer gesagt sein Halbbruder, noch dazu von unehelicher Geburt, lag schwertwund in Punin, nachdem er dort in einen [[Annalen.Ereignis1032_TRA_29_Gilbornslauf_in_Punin|Umsturzversuch]] verwickelt gewesen war.
Der Advocatus zuckte nur mit den Schultern, und ließ sich vorsichtig auf einer marmornen Bank am Beckenrand nieder. „Keine Neuigkeiten. Weder hat er bislang das Bewusstsein erlangt, noch wissen sie, wer er eigentlich ist. Freilich ist es offenkundig, dass er einer der Drahtzieher gewesen sein muss, und gewisslich würde man sich gerne mit ihm unterhalten. Ich muss wohl kaum betonen, dass es uns nicht zum Vorteile gereichen würde, wenn seine Identität ans Licht käme.“
„Aber wir wissen doch, dass es [[Vesijo de Fuente y Beiras|Vesijo de]]...“, wandte Anures ein, wurde jedoch gleich von seinem Herrn unterbrochen. „Das ist einerlei. Ein gemeiner Mietling als Zeuge gibt nicht viel her, zumal er dennoch darin verwickelt bleibt.“, grübelte Hernán von Aranjuez. „Es wäre in der Tat nicht gut, wenn sein Name, wenn unser Name im Zusammenhang mit dieser Sache fiele. Ich habe mir auch schon überlegt, was wir dahingehend unternehmen werden, doch einstweilen muss das hintan stehen. Wie viele unserer Leute hast Du mit nach Punin gebracht, Vetter?“
„Keine zwanzig, warum? Du hast doch nicht etwa vor Tego…?“, runzelte Rafik die Stirn. Der Advocatus bevorzugte nicht erst seit seiner schweren Verwundung während Answins Usurpation juristische Winkelzüge und Intrigen gegenüber dem blanken Schwert.
„Nein.“, winke Hernán ab. „Wie gesagt, diese Sache muss erst einmal warten. Stattdessen…“ Und so berichtete er seinem Vetter Rafik von den Geschehnissen seit der Landständeversammlung. Von den Ferkinaüberfällen, dem Zug nach [[Königlich Kornhammer|Kornhammer]] und der Suche nach dem kleinen [[Praiodor von Culming-Alcorta|Praiodor]] und Domna [[Romina von Ehrenstein-Streitzig|Romina]]. Von den Ränken Praiosmin von Elentas und ihres Handlangers [[Ordonyo di Alina]]s und wie sie sich hierher durchschlagen mussten.
Rafik von Aranjuez verdrehte die Augen. „Eine Narretei reiht sich an die nächste. Die Suche nach Domna Romina vermag ich ja einzusehen. Es ist gewisslich kein Fehler, sich mit dem [[Brandil von Ehrenstein ä. H.|Grafen]] gut zu stellen, denn dank Dir dürfte er wohl kaum erfreut sein, dass der Kaiser unsere Ansprüche auf Dubios bestätigt hat. Aber Praiodor von Culming-Alcorta? Was bedeutet uns schon das halbwüchsige Knäblein? Seine [[Fenia von Culming|Mutter]] hat den Verstand verloren, und sein Anspruch auf [[Baronie Schelak|Schelak]] ist auf absehbare Zeit gelinde gesagt kaum durchzusetzen.“, zählte der in derlei Angelegenheiten bewanderte Advocatus auf. „Einmal davon abgesehen, dass er von kränklicher Natur ist, und wohl ohnehin nicht das Mannesalter erreichen wird. Wem also soll das nützen?“
„Vergiss die [[Familia von Culming|Culminger]] nicht. Der Knabe ist ebenso ein Culming wie ein Alcorta, und Dom [[Stordan von Culming|Stordan]] ist nah an des Kaisers Ohr.“, erinnerte ihn der Vetter. „Außerdem gebot es die Ehre. Sein [[Ramiro Alcorta von Schelak|Vater]] war uns stets ein treuer Verbündeter.“
„Die Ehre…“, brummte Rafik von Aranjuez lediglich als Antwort. Die Ehre hatte sie einstmals auf verschiedenen Seiten in den Krieg geführt, und gebracht hatte es nicht mehr als Verbannung für den einen und ein steifes Bein für den anderen. Dennoch ließ er es damit auf sich beruhen. „Meinethalben. Wozu also brauchst Du die zwan…knapp zwanzig Leute?“
Ein Räuspern erklang im Hintergrund. Drei Köpfe wendeten sich dem Verwalter Mahmud zu, der beinahe lautlos eingetreten war, und dessen faltiges Antlitz ein leichtes Lächeln zeigte. „Verzeiht, Efendi.“, neigte er das von einem Turban gekrönte Haupt. „Ein weiterer…Gast ist eingetroffen…“





Version vom 7. März 2011, 16:11 Uhr

Mark Ragathsquell, 23./24. Praios 1033 BF

Junkergut Aranjuez

Autor: Der Sinnreiche Junker

23. Praios, Abends

Mit metallischem Klirren der Rüstung beugte Hernán von Aranjuez ein Knie, stützte den rechten Ellenbogen darauf, und entledigte sich der Panzerhandschuhe.

„Was tut er da?“, fragte leise einer der Söldner ein gutes Dutzend Schritte hinter ihm. Sie waren ein reichlich zerzauster Haufen, die Gesichter schmutzig und unrasiert, Rüstungen und Kettenhemden blind und ohne jeden einstigen Glanz, die Kleidung fleckig und zerrissen. Und nun standen sie im letzten Licht des Tages etwas ratlos auf der Straße von Valenca nach Wilsemund, und wunderten sich, warum der Condottiere hatte halten lassen. Der Condottiere, der in den vergangenen Tagen ein erbarmungsloses Tempo vorgegeben hatte, das nicht nur ihr Äußeres mitgenommen hatte.

„Es ist beinahe fünf Götterläufe her.“, antwortete Anzures Ballan mit gleichfalls gesenkter Stimme. Und als die Mercenarios ihn verständnislos anblickten, drehte er sich um, und bedeutete ihnen, sich zusammen mit ihm noch ein wenig mehr zu entfernen. In den letzten vier Tagen war die Gruppe eng zusammen gerückt, und das lag nicht nur daran, dass man sich oft genug des Nachts aneinander gekauert, die Umhänge und Mäntel über die Körper geworfen, gemeinsam Nässe und Kälte getrotzt hatte. Nicht nur die Aussicht auf Gold, sondern auch das Versprechen des Condottieres, sie auch nach dieser Geschichte in seinen Diensten zu behalten, hatte die Landsknechte motiviert, den anstrengenden Marsch durch zu halten. Denn nicht nur hatten sie einen weiten Bogen geschlagen – der womöglich weiter ausgefallen war als gedacht, denn sie hatten keine Karte, und der Aranjuezer führte sie lediglich anhand seines Gedächtnisses – hatten Straßen und Wege gemieden, und sich stattdessen querfeldein und durchs Unterholz geschlagen, hatten jeden Bachlauf genutzt um es auf Kosten nasser Stiefel etwaigen Verfolgern zu erschweren ihren Spuren zu folgen, sondern hatten auch jede menschliche Ansiedlung umgangen, sodass sie seit Tagen nur jeweils ein paar Stunden auf kalter Erde geschlafen hatten, ohne Feuer selbstverständlich, und als Rationen nur Dörrfleisch, trockenes Brot und harten Käse.

Einmal, am zweiten Abend, waren sie noch gerade rechtzeitig in den Büschen verschwunden, als sie einen Weg queren wollten, und plötzlich aus einer verborgenen Senke eine Gruppe Reiter auftauchte. Um wen es sich dabei handelte, blieb freilich unklar, denn im Dunkel der Nacht waren alle Banner schwarz. Auch dass man ihnen das Waisenmädchen aufs Auge gedrückt hatte, schien die rauen Söldner nicht unbedingt zu erfreuen, wechselte es sich doch reihum ab, wer die Kleine tragen musste. Immerhin war das Kind still, was freilich weniger der Klugheit geschuldet schien, als dem Trauma des Ferkinaüberfalls auf ihr Heimatdorf. Wahrscheinlich hatte der Schrecken für sie noch gar kein Ende gefunden, und nachdem sie wohl kaum verstand, was hier eigentlich vor sich ging, war die Flucht für sie wohl nur ein weiterer Teil eines grässlichen Alptraumes, aus welchem sie einfach nicht erwachte.

An sich war man sich ja einig gewesen, dass man die Kleine alsbald bei einer Bauernfamilie absetzen sollte, sei es um sie in deren Obhut zugeben, oder sei es, um sie später wieder abzuholen. Doch hatte der Baron von Dubios nachdrücklich verboten hatte, im Einflussbereich der Elenterin irgendeinem Dorf zu nahe zu kommen. Und selbst als ein verwitterter Grenzstein anzeigte, dass sie sich nunmehr in Falado befanden, hatte er nur abgewunken. „Weil ich dem Rabenfelser nicht über den Weg traue. Seit Götterläufen hat man nichts mehr von ihm gehört…“, hatte Hernán von Aranjuez seinen Begleitern erklärt.

„Nun ja, wir waren auch seit Götterläufen im Yaquirbruch, also kein Wunder!“, hatte ihn Anzures unterbrochen, wobei der Baron dennoch ungerührt fortfuhr: „…und ich habe nicht vergessen, wie er sich damals in Omlad bei Nacht und Nebel aus dem Staub gemacht hat.“

„Aber er kehrte doch in höchster Not zurück. Ohne den Entsatz wäre San Telo an jenem Tage gewiss gefallen.“, wandte der schon die Trugbilder von all den schönen Valencanerinnen davon fliegen Sehende schwach ein. „Ja, weil es ihm in den Kram passte. Hätte es ihm nicht in den Kram gepasst, hätten unsere Hälse alsbald unsere Häupter vermisst, oder wir wären in Omlad verfault. Nein, dem trau‘ ich für keine drei Silberlinge mehr. Außerdem, wenn die Elenterin einen solch dreisten Überfall durchführt, könnte der gute Bernfried auf denselben Gedanken kommen, wenn sein Nachbar in solcher Weise bei ihm auftaucht. Womöglich wird dann niemand jemals etwas von unserem und der anderen Schicksal erfahren. Nein, nein, wir werden Valenca umgehen. Ach ja…“, hatte der Aranjuezer inne gehalten. „Du bist dran.“ Damit hatte er das kleine Mädchen auf die Schulter des anderes gehoben, klopfte ihm auf die freie, und stapfte weiter. Ob es nun die plötzliche Last war, oder die Aussicht noch längere Zeit jedweder Zivilisation entbehren zu müssen, Anzures Ballan hatte das nächste Wassermaß geschwiegen.

Der Verdruss, den seine Entscheidung auch das manche Bequemlichkeit versprechende Valenca zu umgehen bei seinen Leuten ausgelöst hatte, war dem Condottiere freilich nicht entgangen, und so kam es zu seinem Versprechen, sie alle in Dienst zu nehmen, wenn diese Sache nur einmal überstanden sei. Auch hatte er es sich zur Angewohnheit gemacht, jede Nacht einem der Wachenden Gesellschaft zu leisten, hatte sich ihre Geschichten angehört und über ihre derben Scherze gelacht. Nun, zumindest leise, denn auch wenn sie fernab von Weg und Steg im Unterholz ihr Lager aufgeschlagen hatten, wagte niemand allzu laute Geräusche zu machen.

Meistens hatte er die Unterhaltung damit begonnen, die überlebenden Mercenarios zu fragen, wo und unter wem sie bereits gekämpft hatten. „Unter Dom Vigo hauptsächlich.“, hatte beispielsweise Ferio, der Älteste geantwortet. „Dann sollt‘ ich abmustern; auf‘n Feldern arbeiten, bis wir wieder zu Fahne und Trommel gerufen wer‘n. Is‘ sicher kein schlechtes Arrangement, so bleibt man wenigstens in Lohn und Brot. Aber diese Hände…“, hatte er grinsend seine acht Finger hoch gehoben, denn an der rechten Hand fehlte die beiden äußeren, „…wurden gemacht um Hälse durchzuschneiden und Bäuche aufzuschlitzen, und nich‘ für die Arbeit auf dem Felde. Also hab‘ ich mich halt so durchgeschlagen, mehr schlecht als recht.“

„Wo?“, war die knappe Frage des Condottiere gewesen, derweil auch er die freilich noch vollständige Rechte hob, und die Finger bewegte.

Silkwiesen, wenn’s beliebt. So’n verdammter Schwarzpelz wollt‘ mir mit seiner hässlichen Klinge den Schädel spalten. Hab‘ gerade noch den Pikenschaft hochbekommen, aber hat die Hand erwischt. Is‘ ihm aber nich‘ gut bekommen.“, hatte der Vereran zur Antwort gegrinst, woraufhin sein neuer Dienstherr lediglich mit „Mala suerte.“ geantwortet hatte.

„Mala suerte.“, wiederholte auch Ferio ohne großes Bedauern, um dann das wettergegerbte Gesicht zu einem schiefen Grinsen zu verziehen: „Immerhin zwei Fingernägel weniger, die man schneiden muss.“ Beide hatten gelacht, und sich bei alten Geschichten über Dom Vigo, unter welchem auch Hernán von Aranjuez vor Gareth gefochten hatte, einen Schlauch mit saurem Wein versetztes Wasser geteilt.

So hatte es der Moral auch keinen Abbruch getan, als der Condottiere schließlich verkündet hatte, dass er nicht gedachte, das Kind noch irgendwo auf dem Rest des Weges unterzubringen. Stattdessen würde sie erst einmal auf dem Junkergut bleiben, welches zu diesem Zeitpunkt nicht mehr allzu fern war. Und so hatten sie sich dann am frühen Abend der Straße von Valenca gen Wilsemund von Süden her genähert, denn diese bildete die Basis des in etwa einem Dreieck gleichenden Junkergutes im Nordosten der Mark Ragathsquell.

„Vor beinahe fünf Götterläufen, im Efferd des Jahrens 1028 nach Bosparans Fall, als uns die Kunde erreichte, Answin von Rabenmund sei zurück gekehrt. Der Capitán hat keinen Augenblick gezögert, und als wir machten uns mit Schwert und Schild und zwei Packpferden voller Proviant auf den Weg. Nicht nach Punin und Omlad, wie er verbreiten ließ, sondern wir bogen bei Wilsemund gen Norden ab. Nun, der Rest ist bekannt…“, zuckte Anzures Ballan mit den Schultern. „Das Jahr des Feuers, Answins Untergang und so weiter. Hernach wagten wir uns freilich nicht mehr hierher zurück, auch wenn man soweit ich weiß nie offiziell Anklage erhoben hat. Stattdessen gingen wir in den Yaquirbruch, wo ein Mann im anbrechenden Krieg der Drachen sein Glück machen konnte, wenn er nur tüchtig mit seinem Schwert drein zu schlagen verstand. Und nun sind wir seit Beginn des Jahres wieder hier, wobei uns unser Weg direkt zur Landständeversammlung führte, und den Rest kennt ihr ja.“

Mehr als vier Jahre. Nein, beinahe fünf., korrigierte sich Hernán von Aranjuez in Gedanken, während seine bloßen Hände in die Erde griffen. Eine Handvoll Dreck und Staub, und doch. Heimat. Bedächtig zerrieb er die Erde zwischen den Handflächen, hielt sie sich vors Gesicht und atmete tief den Geruch ein. Der Geruch unterschied sich nicht wesentlich von dem, den eine Handvoll Dreck und Staub aus Garetien oder dem Regengebirge gehabt hätte, aus dem Balash oder aus Unter-Yaquirien, aus Süd-Almada, dem Darpatischen oder Greifenfurtschen, aus dem Yaquirbruch oder wo auch immer sonst ihn das Kriegshandwerk hingeführt hatte. Und doch. Heimat.

Mühsam erhob er sich der Aranjuezer, und auf einmal spürte er die Strapazen der vergangenen Tage mehr denn je. Knochen, Muskeln und Sehnen schmerzten nicht erst seit eben, doch nun ergriff eine bleierne Müdigkeit Besitz von Körper und Geist. Für einen Augenblick schloss er die Augen, und stellte sich vor, wie es sein würde, nach Hause zu kommen. Die Abzweigung von der Straße, an welcher er jetzt stand, die letzten Meilen flankiert von hohen Zypressen, und am Ende des schnurgeraden Weges in einer Insel von Grün inmitten der nur gelegentlich von Obsthainen und Baumgruppen durchbrochenen Felder, das Junkergut Aranjuez. Vielmehr das Herz desselben, ein uralter tulamidischer Bau, den schon das Rittergeschlecht Colonna sein Eigen nannte, ehe die frischgebackenen Junker jenes Gebäude um einen größeren, im eslamidischen Stil gehaltenen Trakt erweiterten, und überhaupt ständig irgendwo angebaut worden war, mal im gerade vorherrschenden Stil, mal je nach Geschmack und Präferenz der Bauherren, sodass der Gutshof, teilweise gar auf verschieden Höhenstufen gelegen, jedoch von außen ob der Gärten und Haine kaum zu überblicken, sich einem Fremden wie ein verwirrendes Labyrinth aus unterschiedlichen Epochen präsentierte. Sachte breitete sich ein Lächeln auf seinen stoppelig-schmutzigen Wangen aus.

„…gedenke solange zu baden, bis mir Schwimmhäute zwischen den Fingern wachsen..“, verkündete soeben lautstark Anzures hinter ihm „So viel Wein zu trinken, bis man mich nicht mehr von einem Fass unterscheiden kann, und mindestens einen Ochsen zu verschlingen. Am besten gestohlen von Weiden unserer lieben Freundin Domna Radia, oder noch besser von denen Domna Praiosmins…“

"Nein.", verschwand das Lächeln plötzlich vom Antlitz des Aranjuezers. „Domna Praiosmin von Elenta würde sich glücklich schätzen, wenn sie nur eines Rindvieches verlustig ginge, das schwöre ich bei dieser heiligen Erde.“ Er griff nach seinen Handschuhen, erhob sich, und ging ohne ein weiteres Wort los, und so bogen sie kein Wassermaß später auf jenes letzte Wegstück ein.


24. Praios, Nachts


„Wacht auf, Efendi!“

Es hätte der nur vom Kerzenständer in der Hand des greisen Verwalters Mahmud erhellten Dunkelheit im Zimmer nicht bedurft, um Rafik von Aranjuez zu verdeutlichen, dass er keineswegs verschlafen hatte. Sein Schädel brummte, wie es nur allzu natürlich war, wenn man mitten in einem Traum und weit vor der Zeit geweckt worden war. Und mutmaßlich auch, wenn man einen oder zwei Becher Rebensaft zu viel getrunken hatte.

„Sie sind hier, Efendi, sie sind zurück!“, schüttelte Mahmud den soeben Erwachten am Arm. Dieser rieb sich schlaftrunken die Augen: „Schon gut, alter Freund, ich bin ja wach. Wer ist zurück?“

„Der Herr! Dom Hernán! Und Anzures ebenso, sie sind soeben eingetroffen.“, nickte der Verwalter aufgeregt.

„Hier?“, blinzelte der Advocatus, bis sich seine Augen an das schwache Licht gewöhnt hatten. „Auf Aranjuez?“ Abermals nickte der alte Mann eifrig: „Sie haben sich ins Bad begeben, und harren dort Eurer, Efendi. Wartet, ich helfe Euch.“

Rafik von Aranjuez winkte nur ab. „Schon gut, Mahmud, ich glaube ich kann auf allzu formelle Tracht verzichten. Bring mir nur einen Morgenmantel.“ Und so blieb die sorgfältig über einem nahen Stuhl gefalteten edlen Kleider blieben unberührt, ebenso wie die güldene Amtskette des centimare aurum der Stadt Unterfels. Während der Verwalter den Morgenmantel holte, massierte sein Herr sein linkes Bein, denn wie stets, wenn er länger ruhte, war das Knie steif und unbeweglich. Steifer und unbeweglicher als sonst. Als Mahmud zurück kehrte, erhob sich der Vetter des Hausherrn entsprechend mühsam, griff nach seinem Stock, und ließ sich in den Morgenmantel helfen.

Einen Augenblick musste er inne halten, als sie den Bädertrakt betraten. Luftfeuchtigkeit und Hitze ließen ihn beinahe wie gegen eine Wand laufen, und kurz verschlug es ihm beinahe den Atem. Noch ehe er weitergehen konnte, traten bereits die ersten Schweißperlen auf seine Stirn. Dann ging er weiter, derweil der Stock, auf welchen er sich stützte, jeden seiner Schritte mit einem leisen Tock…Tock…Tock begleitete. Der älteste Teil des Gutshofes war vor vielen Jahrhunderten auf immer-heißen Quellen errichtet worden, was die Familie getreu ihrer tulamidischen Wurzeln dazu nutzte, einen feudalen Bädertrakt zu unterhalten, sodass es Dom Rafik nicht verwunderte, dass seines Vetters Weg ihn zuerst hierher geführt hatte.

„Euer Stock verrät Euch, Vetter.“, rief Hernán von Aranjuez mit dem Rücken zum Eintretenden. Anzures und er saßen im Becken, jedoch dort am Rand, wo eine Schwelle es den Badenden erlaubte, im ansonsten brusttiefen Wasser zu sitzen. Sie lehnten am Rand, und hatten die Ellenbogen nach hinten aufgestützt, derweil das bewegte Wasser ihnen bis knapp über den Bauchnabel ging. Hinter ihnen standen eine Karaffe, Becher und einige Platten mit Obst, kaltem Fleisch, Brot, und was die Küche sonst noch zu so später Stunde rasch hergegeben hatte.

„Die Farbe des Wasser verrät Euch, Vetter.“, gab Rafik nicht unfreundlich zurück.

„Tatsächlich?“, grinste Hernán nun über die Schulter. „Du hättest es sehen sollen, als wir hinein gestiegen sind. Als hätte man einen großen Stein in den Schlick eines flachen Wassers geworfen.“

Zwei große Steine.“, lachte Anzures leise, und nahm einen Schluck. Es tat gut, nach so vielen entbehrungsreichen Tagen wieder die Annehmlichkeiten der Zivilisation zu kosten. Gewiss betraf das auch die mitgebrachten Söldner, die freilich mit dem Gesindehaus vorlieb nehmen mussten, und gerade wohl ihrerseits dort in Badezubern saßen, und gleichfalls das einfache Mahl genossen. Im Vergleich zum Speiseplan der letzten Tage, empfanden dies freilich alle als Festschmaus, hier wie dort.

„Ich gratuliere zu Deiner Erhebung, Vetter. Oder sollte ich sagen: Euer Hochgeboren?“ Tatsächlich hatten sie sich seit vielen Wochen nicht gesehen. Hernán von Aranjuez hatte einen Teil seiner Mercenarios auf einem Feldzug Josmina von Bregelsaums geführt, an dessen Ende die Rückeroberung der Feste Cusimora und damit Oberfelses stand, wofür er dann zu Beginn des Jahres zum Baron von Dubios erhoben worden war. Eine längst überfällige Ehre, wie zweifellos jeder der Anwesenden bestätigen würde, immerhin hielt das Haus Aranjuez schon seit Generationen jenen Anspruch. Rafik indes hatte sich in Unterfels um die Belange der Familie gekümmert, hatte seinen Vetter in der signoria vertreten, und die Säckel von Unterfels mit den Steuern von Tikalen und aus dem Yaquirbruch gefüllt. Und wie nicht nur böse Zunge behaupteten, auch sein eigenes. Lediglich für die Hochzeit des Kaisers war er nach Punin gereist, und hatte natürlich auch dem Familiengut einen Besuch abgestattet. „Es hat mich überrascht zu hören…“, fuhr er fort „…dass Du noch nicht einmal in Heldor warst, sondern Dich gleich wieder in irgendeine Narretei gestürzt hast. Ich muss Dich wohl kaum daran erinnern, dass man uns…nun ja, vor allem Tego und Dich…nicht gerade liebt in Heldor. Statt Landsknechte zu werben um Ferkinas zu jagen, hättest Du sie nach Dubios führen sollen, um dort den Baronsstuhl zu sichern. Wer weiß, welche Ränke diese Pfeffersäcke derweil geschmiedet haben.“

„Wie steht es eigentlich um meinen Bruder?“, ging Hernán kaum auf die Vorhaltungen seines Vetters ein. Sein Bruder, genauer gesagt sein Halbbruder, noch dazu von unehelicher Geburt, lag schwertwund in Punin, nachdem er dort in einen Umsturzversuch verwickelt gewesen war.

Der Advocatus zuckte nur mit den Schultern, und ließ sich vorsichtig auf einer marmornen Bank am Beckenrand nieder. „Keine Neuigkeiten. Weder hat er bislang das Bewusstsein erlangt, noch wissen sie, wer er eigentlich ist. Freilich ist es offenkundig, dass er einer der Drahtzieher gewesen sein muss, und gewisslich würde man sich gerne mit ihm unterhalten. Ich muss wohl kaum betonen, dass es uns nicht zum Vorteile gereichen würde, wenn seine Identität ans Licht käme.“

„Aber wir wissen doch, dass es Vesijo de...“, wandte Anures ein, wurde jedoch gleich von seinem Herrn unterbrochen. „Das ist einerlei. Ein gemeiner Mietling als Zeuge gibt nicht viel her, zumal er dennoch darin verwickelt bleibt.“, grübelte Hernán von Aranjuez. „Es wäre in der Tat nicht gut, wenn sein Name, wenn unser Name im Zusammenhang mit dieser Sache fiele. Ich habe mir auch schon überlegt, was wir dahingehend unternehmen werden, doch einstweilen muss das hintan stehen. Wie viele unserer Leute hast Du mit nach Punin gebracht, Vetter?“

„Keine zwanzig, warum? Du hast doch nicht etwa vor Tego…?“, runzelte Rafik die Stirn. Der Advocatus bevorzugte nicht erst seit seiner schweren Verwundung während Answins Usurpation juristische Winkelzüge und Intrigen gegenüber dem blanken Schwert.

„Nein.“, winke Hernán ab. „Wie gesagt, diese Sache muss erst einmal warten. Stattdessen…“ Und so berichtete er seinem Vetter Rafik von den Geschehnissen seit der Landständeversammlung. Von den Ferkinaüberfällen, dem Zug nach Kornhammer und der Suche nach dem kleinen Praiodor und Domna Romina. Von den Ränken Praiosmin von Elentas und ihres Handlangers Ordonyo di Alinas und wie sie sich hierher durchschlagen mussten.

Rafik von Aranjuez verdrehte die Augen. „Eine Narretei reiht sich an die nächste. Die Suche nach Domna Romina vermag ich ja einzusehen. Es ist gewisslich kein Fehler, sich mit dem Grafen gut zu stellen, denn dank Dir dürfte er wohl kaum erfreut sein, dass der Kaiser unsere Ansprüche auf Dubios bestätigt hat. Aber Praiodor von Culming-Alcorta? Was bedeutet uns schon das halbwüchsige Knäblein? Seine Mutter hat den Verstand verloren, und sein Anspruch auf Schelak ist auf absehbare Zeit gelinde gesagt kaum durchzusetzen.“, zählte der in derlei Angelegenheiten bewanderte Advocatus auf. „Einmal davon abgesehen, dass er von kränklicher Natur ist, und wohl ohnehin nicht das Mannesalter erreichen wird. Wem also soll das nützen?“

„Vergiss die Culminger nicht. Der Knabe ist ebenso ein Culming wie ein Alcorta, und Dom Stordan ist nah an des Kaisers Ohr.“, erinnerte ihn der Vetter. „Außerdem gebot es die Ehre. Sein Vater war uns stets ein treuer Verbündeter.“

„Die Ehre…“, brummte Rafik von Aranjuez lediglich als Antwort. Die Ehre hatte sie einstmals auf verschiedenen Seiten in den Krieg geführt, und gebracht hatte es nicht mehr als Verbannung für den einen und ein steifes Bein für den anderen. Dennoch ließ er es damit auf sich beruhen. „Meinethalben. Wozu also brauchst Du die zwan…knapp zwanzig Leute?“

Ein Räuspern erklang im Hintergrund. Drei Köpfe wendeten sich dem Verwalter Mahmud zu, der beinahe lautlos eingetreten war, und dessen faltiges Antlitz ein leichtes Lächeln zeigte. „Verzeiht, Efendi.“, neigte er das von einem Turban gekrönte Haupt. „Ein weiterer…Gast ist eingetroffen…“




Chronik:1033
Der Ferkina-Feldzug
Teil 01