Chronik.Ereignis1033 Feldzug Raschtulswall 12: Unterschied zwischen den Versionen

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Jäh endete der Pfad zwischen verschneiten Klippen. Ein riesiger Gletscher zog sich vor Richeza den Kamm hinauf. Mit klammen Fingern löste die Edle einen der Äste von ihrem Rucksack. Er war nicht lang genug, um als Wanderstab zu dienen, aber wenigstens hatte sie überhaupt etwas, um sich auf dem verschneiten Boden voranzutasten. Als sie die restlichen Äste wieder verschnürte, war ihre Fackel so weit heruntergebrannt, dass sie sie gegen die vorletzte austauschen musste.
Jäh endete der Pfad zwischen verschneiten Klippen. Ein riesiger Gletscher zog sich vor Richeza den Kamm hinauf. Mit klammen Fingern löste die Edle einen der Äste von ihrem Rucksack. Er war nicht lang genug, um als Wanderstab zu dienen, aber wenigstens hatte sie überhaupt etwas, um sich auf dem verschneiten Boden voranzutasten. Als sie die restlichen Äste wieder verschnürte, war ihre Fackel so weit heruntergebrannt, dass sie sie gegen die vorletzte austauschen musste.


Nach etwa einem Wasserlauf wichen die Felsen zu beiden Seiten zurück und gaben den Blick frei auf die umliegenden Berge. Der Gletscher strahlte genug Helligkeit ab, um auch die Spitzen des Djer Kalkarif ausmachen zu können. Zwei lagen unter Richeza, zwei noch vor ihr. Die höchste Zacke wies wie ein Dorn in den Himmel. Unmöglich sie zu erklimmen. Zumal, wie die Edle nun entsetzt feststellte, eine tiefe Schlucht sie von dem höchsten Gipfel des Berges trennte. Falls ein Weg dort hinauf führte, so nicht von hier. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als das Feuer auf dieser Spitze zu entzünden. Doch dazu musste sie so weit wie möglich nach Südwesten. Wo aber war das? Die Sterne waren längst verschwunden, und selbst der Mond schimmerte nur schwach durch die Wolkendecke. Es blieb Richeza nichts anderes übrig, als sich anhand der Höher der umliegenden Berge zu orientieren. Doch deren Gipfel waren verhangen, sodass es schwer war die Richtung zu bestimmen.
Nach etwa einem Wasserlauf wichen die Felsen zu beiden Seiten zurück und gaben den Blick frei auf die umliegenden Berge. Der Gletscher strahlte genug Helligkeit ab, um auch die Spitzen des Djer Kalkarif ausmachen zu können. Zwei lagen unter Richeza, zwei noch vor ihr. Die höchste Zacke wies wie ein Dorn in den Himmel. Unmöglich sie zu erklimmen. Zumal, wie die Edle nun entsetzt feststellte, eine tiefe Schlucht sie von dem höchsten Gipfel des Berges trennte. Falls ein Weg dort hinauf führte, so nicht von hier. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als das Feuer auf dieser Spitze zu entzünden. Doch dazu musste sie so weit wie möglich nach Südwesten. Wo aber war das? Die Sterne waren längst verschwunden, und selbst der Mond schimmerte nur schwach durch die Wolkendecke. Es blieb Richeza nichts anderes übrig, als sich anhand der Höhe der umliegenden Berge zu orientieren. Doch deren Gipfel waren verhangen, sodass es schwer war, die Richtung zu bestimmen.


Mit sinkendem Mut tastete die Edle sich voran, kaum mehr aufwärts, sondern nur noch dorthin, wo sie Südwesten vermutete. Zweimal brach sie tief im Schnee ein, und es kostete sie ihre letzten Kräfte, sich wieder herauszukämpfen. Allein ihr Wille trieb sie voran. Aufgeben kam nicht infrage, das wäre ihr Tod. Endlich gelangte sie an einen Hang, von dem aus sie weit über die niedrigeren Berge blicken konnte, als das Madamal sich kurz zwischen den Wolken hindurch wagte. Richeza suchte die Umgebung mit den Augen ab, ließ sich Zeit, bis sie sich sicher war, tatsächlich nach Südwesten zu schauen. Sie hatte nur eine Gelegenheit. Wenn sie das Feuer nicht dort errichtete, wo es von Keshal Rondra aus sichtbar war, war alle Mühe umsonst gewesen.  
Mit sinkendem Mut tastete die Edle sich voran, kaum mehr aufwärts, sondern nur noch dorthin, wo sie Südwesten vermutete. Zweimal brach sie tief im Schnee ein, und es kostete sie ihre letzten Kräfte, sich wieder herauszukämpfen. Allein ihr Wille trieb sie voran. Aufgeben kam nicht infrage, das wäre ihr Tod. Endlich gelangte sie an einen Hang, von dem aus sie weit über die niedrigeren Berge blicken konnte, als das Madamal sich kurz zwischen den Wolken hindurch wagte. Richeza suchte die Umgebung mit den Augen ab, ließ sich Zeit, bis sie sich sicher war, tatsächlich nach Südwesten zu schauen. Sie hatte nur eine Gelegenheit. Wenn sie das Feuer nicht dort errichtete, wo es von Keshal Rondra aus sichtbar war, war alle Mühe umsonst gewesen.  


Die Edle ließ den Rucksack zu Boden sinken und band die zurechtgeschnittenen Äste los. Sie konnte das Holz nicht einfach im Schnee entzünden. Das Schmelzwasser würde das Feuer löschen, ehe es richtig in Gang kam. Sie steckte die Fackel in den Schnee, sorgsam darauf bedacht, dass sie nicht umfiel und fegte mit dem Säbel Schnee von einem Felsblock. Drei Äste legte sie nebeneinander auf den Felsen und drei weitere quer dazu oben drauf. Wie furchtbar wenig Holz sie hatte! Der Turm, den sie errichtete, war viel niedriger, als sie sich ihn wünschte.  
Die Edle ließ den Rucksack zu Boden sinken und band die zurechtgeschnittenen Äste los. Sie konnte das Holz nicht einfach im Schnee entzünden. Das Schmelzwasser würde das Feuer löschen, ehe es richtig in Gang kam. Sie steckte die Fackel in den Schnee, sorgsam darauf bedacht, dass sie nicht umfiel, und fegte mit dem Säbel Schnee von einem Felsblock. Drei Äste legte sie nebeneinander auf den Felsen und drei weitere quer dazu oben drauf. Wie furchtbar wenig Holz sie hatte! Der Turm, den sie errichtete, war viel niedriger, als sie sich ihn wünschte.  


Und sie brauchte Zunder! Doch alles, was sie in ihrem Rucksack fand, war ein Tuch, in das die Frau des Schulzen die Vorräte eingeschlagen hatte. Richeza leerte ein Krüglein Brand über dem Stoff aus, das Guiterriz ihnen gegen die Kälte mitgegeben hatte. Dann stopfte sie das Tuch zwischen die Äste und entzündete es mit der Fackel. Der Stoff ging sofort in Flammen auf, doch das feuchte Holz kam nur langsam in Brand. Schließlich steckte die Edle die Fackel selbst unter die aufgeschichteten Äste. Nun blieb ihr nur eine Fackel für den Rückweg, dachte sie bang, als sie sie entzündete. Immerhin schlugen die Flammen jetzt höher.  
Und sie brauchte Zunder! Doch alles, was sie in ihrem Rucksack fand, war ein Tuch, in das die Frau des Schulzen die Vorräte eingeschlagen hatte. Richeza leerte ein Krüglein Brand über dem Stoff aus, das Guiterriz ihnen gegen die Kälte mitgegeben hatte. Dann stopfte sie das Tuch zwischen die Äste und entzündete es mit der Fackel. Der Stoff ging sofort in Flammen auf, doch das feuchte Holz geriet nur langsam in Brand. Schließlich steckte die Edle die Fackel selbst unter die aufgeschichteten Äste. Nun blieb ihr nur eine Fackel für den Rückweg, dachte sie bang, als sie sie entzündete. Immerhin schlugen die Flammen jetzt höher.  


Für einen Moment spielte Richeza mit dem Gedanken, die Götter um Hilfe anzurufen, die Amazonen das Feuer entdecken zu lassen. Mochte Rondra ihrer Tante beistehen, die ihr stets treu gedient hatte! Doch ihr bitterer Stolz hieß sie, der Versuchung zu widerstehen. Die Götter hatten ihren Gebeten noch nie Gehör geschenkt! Wenn sie das Feuer an der falschen Stelle errichtet hatte, konnten auch die Götter ihr nicht helfen. Und wenn die Amazonen es sahen, so war es ihr, Richezas Verdienst, nicht der der Götter, dachte sie trotzig.
Für einen Moment spielte Richeza mit dem Gedanken, die Götter um Hilfe anzurufen, die Amazonen das Feuer entdecken zu lassen. Mochte Rondra ihrer Tante beistehen, die ihr stets treu gedient hatte! Doch ihr bitterer Stolz hieß sie, der Versuchung zu widerstehen. Die Götter hatten ihren Gebeten noch nie Gehör geschenkt! Wenn sie das Feuer an der falschen Stelle errichtet hatte, konnten auch die Götter ihr nicht helfen. Und wenn die Amazonen es sahen, so war es ihr, Richezas Verdienst, nicht der der Götter, dachte sie trotzig.
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Ein urtümlicher, klagender Schrei durchdrang die Stille und ließ der Edlen das Blut in den Adern gefrieren. Was war das? Es war nicht fern gewesen, aber von dort gekommen, wo sie den Abgrund wähnte! Mit rasendem Herzen lauschte sie, doch das Geräusch kam nicht wieder. Es gab zahlreiche Ungeheuer im Raschtulswall. Wölfe, Berglöwen und unheimliche Glutlinge. Gegen Vier- und Vielbeiner mochte sie sich vielleicht noch verteidigen, falls diese überhaupt in diese Höhen vordrangen. Was aber, wenn ihre Fackel von einem fliegenden Räuber entdeckt wurde? Harpyien gab es hier. Drachen sogar.
Ein urtümlicher, klagender Schrei durchdrang die Stille und ließ der Edlen das Blut in den Adern gefrieren. Was war das? Es war nicht fern gewesen, aber von dort gekommen, wo sie den Abgrund wähnte! Mit rasendem Herzen lauschte sie, doch das Geräusch kam nicht wieder. Es gab zahlreiche Ungeheuer im Raschtulswall. Wölfe, Berglöwen und unheimliche Glutlinge. Gegen Vier- und Vielbeiner mochte sie sich vielleicht noch verteidigen, falls diese überhaupt in diese Höhen vordrangen. Was aber, wenn ihre Fackel von einem fliegenden Räuber entdeckt wurde? Harpyien gab es hier. Drachen sogar.


Immer wieder furchtsam aufblickend, setzte Richeza ihren Weg fort. Als der Schrei abermals ertönte, erschrak sie so sehr, dass sie stürzte. Schlitternd versuchte die Edle Halt zu finden und gleichzeitig, zu das langgezogene, animalische Heulen zu orten. Es klang nach keinem Wesen, dass sie kannte. Das Brüllen eines Dämons aus den Niederhöllen! Steine lösten sich unter Richezas Füßen und Händen, die hilflos ins Leere griffen. Ihr Gesicht schrammte über den gefrorenen Boden, allein der Harnisch verhinderte, dass sie sich den Bauch an scharfkantigen Felsvorsprüngen aufriss. Zugleich aber beschleunigte der glatte Stahl ihre Rutschpartie. Unsanft wurde sie gegen einen Felsen geschleudert, überschlug sich, stürzte ... Die Fackel entglitt ihrer Hand, dann kam Richeza hart auf dem Boden auf, blieb liegen, sah, wie die Fackel weiter fiel, ein kleines Licht, das durch die Dunkelheit sauste, tiefer, tiefer, und ihrem Blick entschwand.  
Immer wieder furchtsam aufblickend, setzte Richeza ihren Weg fort. Als der Schrei abermals ertönte, erschrak sie so sehr, dass sie stürzte. Schlitternd versuchte die Edle Halt zu finden und gleichzeitig, das langgezogene, animalische Heulen zu orten. Es klang nach keinem Wesen, das sie kannte. Das Brüllen eines Dämons aus den Niederhöllen! Steine lösten sich unter Richezas Füßen und Händen, die hilflos ins Leere griffen. Ihr Gesicht schrammte über den gefrorenen Boden, allein der Harnisch verhinderte, dass sie sich den Bauch an scharfkantigen Felsvorsprüngen aufriss. Zugleich aber beschleunigte der glatte Stahl ihre Rutschpartie. Unsanft wurde sie gegen einen Felsen geschleudert, überschlug sich, stürzte ... Die Fackel entglitt ihrer Hand, dann kam Richeza hart auf dem Boden auf, blieb liegen, sah, wie die Fackel weiter fiel, ein kleines Licht, das durch die Dunkelheit sauste, tiefer, tiefer, und ihrem Blick entschwand.  


Die Finsternis war vollkommen. Hier war der Boden kaum mit Schnee bedeckt, der Licht hätte zurückwerfen können, aber die sachten Berührungen an ihren Wangen sagten ihr, dass es noch schneite, und es nur eine Frage der Zeit war, bis der Schnee ein weißes Leichentuch über sie gebreitet hatte. Angst und Erschöpfung trieben Richeza die Tränen in die Augen. Schwach tastete sie um sich. War sie noch auf dem Weg? Wie weit war der Abgrund entfernt, in dem ihr Licht verschwunden war? Sie konnte nicht weiter! Aber sie konnte auch nicht hierbleiben.  
Die Finsternis war vollkommen. Hier war der Boden kaum mit Schnee bedeckt, der Licht hätte zurückwerfen können, aber die sachten Berührungen an ihren Wangen sagten ihr, dass es noch schneite, und es nur eine Frage der Zeit war, bis der Schnee ein weißes Leichentuch über sie gebreitet hatte. Angst und Erschöpfung trieben Richeza die Tränen in die Augen. Schwach tastete sie um sich. War sie noch auf dem Weg? Wie weit war der Abgrund entfernt, in dem ihr Licht verschwunden war? Sie konnte nicht weiter! Aber sie konnte auch nicht hierbleiben.  
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Auf allen Vieren kroch sie aufwärts, Handbreit für Handbreit, tastete nach den Felsen, die sie in der Dunkelheit kaum erahnen konnte. Da, ein Überhang! Es schien dort windgeschützter. Zitternd nahm die Edle den Rucksack ab und kroch unter den Stein. Vielleicht war sie hier vor dem Schnee sicher! Sie zerrte die Decke aus dem Rucksack und versuchte, den vereisten Harnisch auszuziehen. Aber ihre steifen Finger vermochten die Schnallen nicht zu öffnen. Schließlich gab sie auf und zog Umhang und Decke über den Kopf.
Auf allen Vieren kroch sie aufwärts, Handbreit für Handbreit, tastete nach den Felsen, die sie in der Dunkelheit kaum erahnen konnte. Da, ein Überhang! Es schien dort windgeschützter. Zitternd nahm die Edle den Rucksack ab und kroch unter den Stein. Vielleicht war sie hier vor dem Schnee sicher! Sie zerrte die Decke aus dem Rucksack und versuchte, den vereisten Harnisch auszuziehen. Aber ihre steifen Finger vermochten die Schnallen nicht zu öffnen. Schließlich gab sie auf und zog Umhang und Decke über den Kopf.


Sie durfte nicht schlafen! So sehr sie vor wenigen Tagen den Schlaf herbeigesehnt hatte, so sehr kämpfte sie jetzt gegen ihn an. Bitte, beschwor sie, allen Stolz vergessend, die Götter, bitte, lasst mich hier nicht sterben! Nun betete sie doch. Wimmernd wie ein Kind flehte sie um ihr Leben. Darum, nicht von dem Urgetüm zerrissen zu werden, das sie so in Schrecken versetzt zu haben. Nicht einzuschlafen und zu erfrieren. Nur nicht einzuschlafen ... Sie musste zurück, sobald es hell wurde. Sie durfte nicht ... einschlafen ... Musste ...
Sie durfte nicht schlafen! So sehr sie vor wenigen Tagen den Schlaf herbeigesehnt hatte, so sehr kämpfte sie jetzt gegen ihn an. Bitte, beschwor sie, allen Stolz vergessend, die Götter, bitte, lasst mich hier nicht sterben! Nun betete sie doch. Wimmernd wie ein Kind flehte sie um ihr Leben. Darum, nicht von dem Ungetüm zerrissen zu werden, das sie so in Schrecken versetzt hatte. Nicht einzuschlafen und zu erfrieren. Nur nicht einzuschlafen ... Sie musste zurück, sobald es hell wurde. Sie durfte nicht ... einschlafen ... Musste ...
 
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=====25. Praios=====
'''Autor:''' [[Benutzer:SteveT|SteveT]] 
Moritatio erhob sich mit schmerzendem Rücken und stechendem Nacken von seinem harten, unbequem Steinlager unter dem Felsvorsprung, unter dem sie die Nacht verbracht hatten. Die ersten Vögel hatten zu zwitschern begonnen, und gen Rahja war das erste Sonnenlicht auszumachen, auch wenn sich das Praiosrund noch lange nicht über die himmelhohen Gipfel erhoben hatte, die sie ringsum wie eine titanischer Ringmauer umgaben. Dom Gendahar und Zaida schliefen offenbar noch, sodass er sich so leise wie möglich erhob und die verkrampften Schultern zur Lockerung kreisen
ließ. Er trat nach draußen und ging einige Schritte hinter einen Mastixbusch, um in der morgendlichen Eiseskälte erst einmal sein Wasser abzuschlagen. Ihr Götter war das kalt geworden! Sein gelber Urinstrahl dampfte in der eiskalten Luft und konnte dort, wo er plätschernd niederging, nicht im Erdreich versinken, denn der Boden war hartgefroren. Nachtfrost im Praiosmond?
 
Er sah sich genauer um und stellte mit Schrecken fest, dass der normalerweise fünffach gezackte Gipfel des Djer Kalkarif wegen tiefhängender Firnwolken oder Nebel nicht zu erkennen war. Wie sollte Richeza so den Rückweg und einen sicheren Abstieg finden - wenn sie denn überhaupt in der Nacht bis zum Gipfel vorgedrungen war. Bei Dunkelheit und bei einem solchen Wetter erschien ihm das mit einem Male nahezu ausgeschlossen, und er machte sich Vorwürfe, sie überhaupt alleine gehen gelassen zu haben. Missmutig ging er zu den beiden anderen zurück, die sich in der beißenden Kälte unter ihren Decken wie Säuglinge zusammengerollt hatten. Er stieß den Thangolforster mit der Fußspitze an.
 
"He, Dom Gendahar! Wacht auf! Richeza ist noch nicht zurück und bei dieser dicken Nebelsuppe
bezweifele ich auch, dass sie uns überhaupt wiederfinden kann. Wir sollten normalerweise lärmen oder ein großes Feuer als Hinweis für sie entfachen - aber wenn Ferkinas in der Gegend hier herumstreifen, wäre das mit Sicherheit keine gute Idee. Ich würde deshalb vorschlagen, dass wir selbst auf den Berg hinaufsteigen und nach ihr suchen. Eventuell stoßen wir dabei auch Eure heißen Quellen, nach denen Ihr Euch sehnt."
 
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'''Autor:''' [[Benutzer:Von Scheffelstein|von Scheffelstein]] 
 
Richeza erwachte, weil ihr kalt war. Die Finger in den ledernen Handschuhen schmerzten, als hätte das Eis sich direkt in ihr Fleisch gebohrt. Die Kanten des Harnischs brannten auf ihrer Haut. Schnee bedeckte ihre Beine bis über die Knie. Richeza schlug die Decke zurück, die nass und schwer war. Ihren Füßen fehlte jedes Gefühl. Die Edle klopfte den Schnee von der Decke und stopfte sie in den Rucksack. Sie holte das Brot hervor. Es war mit Eiskristallen bedeckt und zu hart, um einfach hineinbeißen zu können. Richeza fingerte den Dolch aus ihrem Stiefel und schnitt mit klammen Fingern ein Stück Brot ab. Der gefrorene Bissen schmerzte an ihren Zähnen, Eiswasser lief ihre Kehle hinab.
 
Es war noch dunkel, aber die Gipfel des Raschtulswalls umgab schon ein Flammensaum. Glühende Nebelschwaden stiegen von den Bergen auf. Majestätisch ragte der [[avwik:Djer Tulam|Djer Tulam]] in den Himmel empor. Über ihm verblassten die Sterne.
 
Richeza beendete ihr karges Mahl, als die ersten Sonnenstrahlen den Djer Kalkarif erreichten. Sie fror erbärmlich, aber sie hatte nichts, um Feuer zu machen. Sie verstaute den Rest Brot in ihrem Rucksack und kroch unter dem Überhang hervor, unter dem sie geschlafen hatte. Keine vier Schritt von ihr fiel der Felsen jäh ab. Zwanzig Schritt tiefer verschwand die Flanke des Berges in der Wolkendecke. Die Edle blickte in die andere Richtung. Zwei Mann hoch ragte die Felswand über ihr auf. Vom Weg war nichts zu sehen. Aber er musste irgendwo über ihr sein. Es half nichts: Sie musste dort hinauf.
 
Es dauerte lange, bis Richeza eine Stelle gefunden hatte, an der sie ein Seil befestigen konnte. Noch länger dauerte es, bis sie sich das Seil um den Bauch geschlungen, den Rucksack an einem Ende befestigt und eine Schlinge am anderen Ende geknüpft hatte. Wieder und wieder warf sie das Seil zu dem Vorsprung hinauf, an dem sie sich hochziehen wollte, wieder und wieder verfehlte sie ihn, und das Seil kam zurück. Benommen von Müdigkeit und Kälte machte sie weiter. Es schien ihr wie eine Ewigkeit, bis sie traf und die Schlinge sich festzog, und es kostete sie alle Kraft, sich an der stellenweise vereisten Wand hochzuziehen. Mit zitternden Gliedern blieb sie oben liegen. Ihr pfeifender Atem schien ihr die Lunge zu zerreißen.
 
Erst, als sie sich mühsam aufgerichtet, den Rucksack hochgezogen und das Seil losgeschnitten hatte, sah sie sich um. Hier war kein Weg! Vor ihr erstreckte sich ein verschneites Geröllfeld. Alles sah gleich aus. Es gab nichts, was sie von ihrem nächtlichen Aufstieg wiedererkannte. Sie wusste nicht, wohin sie sich wenden sollte. Richeza fluchte leise. Sie musste runter von diesem Berg. So schnell wie möglich. Aber wie, wusste sie nicht. Orientierungslos stolperte sie über die rutschigen Steine voran. Ihre tauben Füße gehorchten ihr kaum. Mehrmals rutschte sie ab. Verflucht, was hatte sie nur getan? Für wen lebte sie eigentlich ihr Leben?
 
Endlich hörte der Schnee auf, der Boden wurde wieder fester. Wärmer wurde es jedoch nicht. Der Wind war kalt, die Wolken inzwischen zu allen Seiten. Allein die Helligkeit ließ darauf schließen, dass die Sonne bereits über die Berggipfel gestiegen war.
 
Sie wusste nicht, wieviel Zeit vergangen war, als sie unter sich den Weg erblickte, einen staubigen Pfad, der sich zwischen Felsklippen hindurch wand. Doch ohne zu klettern, würde sie ihn nicht erreichen. Zum Klettern aber war sie zu schwach. Es blieb Richeza nichts anderes übrig, als ihr Seil zu opfern – oder einen Umweg in Kauf zu nehmen. Das aber wollte sie auf keinen Fall.
 
Schweren Herzens band die Edle ihr Seil an einem Felsen fest, befestigte es an ihrem Gürtel und machte sich an den Abstieg. Ihre Hände und Füße fanden kaum Halt; einmal trat sie daneben; das Seil glitt durch ihre Finger, ohne die Handschuhe hätte es ihr die Haut von den Händen gerissen.
 
Als sie den Weg erreichte, raste ihr Herz, und ihre Knie zitterten so sehr, dass sie sich setzen musste. Schwindelnd lehnte sie sich an den kalten Stein. Wer würde ihr ihren Irrsinn je danken? Was hatte sie schon für Almada getan, wann immer sie ihre Klinge fürs Vaterland gehoben hatte? Ein paar Ferkinas ins Jenseits geschickt, ein paar Novadis ermordet und ein paar Garethknechte ... Und wer hatte es ihr gedankt? Niemand, der noch lebte? Und jetzt? Wen wollte sie jetzt beeindrucken? Ihre Tante, die vielleicht tot war? Praiodor, der nur ein Kind war? Fenia, die sich erst seit Ramiros tot überhaupt bequemte, mit ihr zu reden? War es Dank, den sie erhoffte? Ruhm? Was sollte das alles?
Ärgerlich rappelte Richeza sich auf und reckte sich, um wenigstens noch ein Stück des Seils loszuschneiden. Besser als nichts. Wer wusste, ob sie es nicht noch brauchte? Wenn sie das alles hier überlebte, musste sie aufhören, davonzulaufen. Sie konnte sich nicht länger etwas vormachen: Sie lebte nicht für selbstgesetzte Ziele. Lief nur der Furcht davon. Und wartete noch immer ... Damit musste Schluss sein! Mit zusammengepressten Zähnen lief sie weiter. Keine Zeit zum Nachdenken. Keine Kraft. Erst einmal musste sie überhaupt überleben.
 
Der Weg führte abwärts, aber Richeza konnte nicht sagen, ob es derselbe Weg war, den sie nachts gegangen war. Bei Licht wirkten die Entfernungen anders, und die Details – Steine, Sträucher, vereinzelte Blumen – verwirrten sie mehr, als dass sie ihr halfen, sich zu erinnern.
 
Ob es schon Mittag war? Allmählich knurrte ihr Magen. Sie hatte kaum etwas gegessen. Im Gehen zog die Edle das Brot hervor. Inzwischen war es getaut und matschig, ein nasser, kühler Brei, der nach dem Leder des Rucksacks schmeckte. Richeza würgte ihn hinunter, bis zum letzten Bissen. Sie hatte Hunger, und das Brot würde ohnehin verderben, wenn sie es jetzt nicht aß.
 
Ihre Beine waren ein echtes Ärgernis. Noch immer spürte sie ihre Füße kaum, nur wenn sie umknickte, weil sie die Unebenheiten des Bodens nicht vorausahnte, schoss kurz ein heller Schmerz in ihren Knöchel, ließ aber bald nur ein dumpfes Pochen zurück. Ihren Körper aber schwächte jeder Fehltritt wie ein Säbelhieb, und bald versagten ihre Beine ihr immer öfter den Dienst. Sie strauchelte, stolperte, taumelte voran. Schließlich musste sie sich eingestehen, dass sie nicht mehr weiterkonnte. Sie musste eine Pause machen! Dort, an dem Felsblock am Wegesrand, da wollte sie rasten. Nein, besser doch erst nach der Biegung, vielleicht war es dort windgeschützter. Aber war da vorne nicht eine Abzweigung? Nur noch ...
 
Nur ein Stein, ein winziges Hindernis, und sie schlug der Länge nach hin.
 
Sie musste das Bewusstsein verloren haben. Als sie die Augen öffnete, sah sie Füße. Füße in abgetragenen Lederstiefeln. Den Saum eines geflickten Umhangs. Alarmiert hob sie den Kopf. Ein Ferkina? Ihr Schädel dröhnte. Sie blinzelte gegen das Licht. Ein Mann in einem dunklen Umhang, in der Hand einen knorrigen Stecken. Doch unter der weiten Kapuze zerrte der Wind blondes Haar hervor. Kein Ferkina. Nicht einmal ein Mann. Ein junger Bursche. Vielleicht sechzehn Sommer. Ein hübsches Gesicht mit hohen Wangenknochen. Die Augen glommen im Dunkel der Kapuze.
 
Grob stieß der Junge sie mit dem Fuß gegen die Schulter, rollte sie auf den Rücken. Als sie nach ihrem Säbel tastete, rammte er ihr den Stab in die Hand. Ein dünnes Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab.
 
"Sieh an!", sagte er. Seine warme Stimme war wie Musik in ihren Ohren. Aber sein Lied gefiel ihr nicht.  


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