Chronik.Ereignis1044 Ein vergnüglicher Abend 01

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Punin, Peraine 1044 BF[Quelltext bearbeiten]

Stadtzehnt Yaquirhafen, in den späten Abendstunden[Quelltext bearbeiten]

Autoren: BBB, Eliane


Es war spät geworden. Die Straßen waren menschenleer.

Die rechtschaffenen Bürger der Capitale waren schon längst zu Bett gegangen oder hielten sich im Kreis ihrer Liebsten hinter sicheren Mauern auf, in Vorbereitung auf eine borongefällige Nachtruhe. Wer jetzt noch unterwegs war, hatte entweder keine andere Wahl, keine guten Absichten… oder war Waldwachter Adliger auf der Suche nach Zerstreuung.

Wie zuvor im Schwarzen Schwan verabredet, hatten sich Selea Fabiola Al'Morsqueta und Algerio da Selaque von Culming auf dem Basar in Yaquirhafen getroffen und waren dann zu Fuß weiter in Richtung des Yaquirs geschlendert. Ihre Pferde, in Fabiolas Fall ein weniger auffälliges aus dem Bestand der Familie, hatten sie in die Obhut eines Bediensteten des Edlen vom Selkethal zurück gelassen. Es war fast unmöglich geworden, den beiden Edlen ihren Stand anzusehen. Algerio hatte seinen Caldabreser abgelegt, trug das blonde Haar nun offen. Lediglich die Schnürung seiner Augenklappe über dem rechten Auge verhinderte, dass ihm das Haar ins Gesicht fiel. Pluderhose, gerüschtes Hemd und Doublet waren einem einfachen, mehrfach geflickten und schon langsam verblassenden roten Hemd und einer engen, vernarbten Lederhose gewichen. Der prunkvolle Säbel und Linkhanddolch waren verschwunden – stattdessen steckte ein breiter, schartiger Dolch ohne Scheide in einem Gürtel, der Mühe zu haben schien, auch nur sich selbst zu halten.

Fabiola an seiner Seite hatte sich nicht weniger verändert. Die in diesem Licht schwarz wirkenden Locken waren durch ein Band im Nacken zusammengebunden und mit einem einfachen Kamm hochgesteckt. Ihre schlichte, die Schultern frei lassende Bluse war schon etwas fadenscheinig und durch viele Wäschen nicht länger weiß. Das dunkle, ehemals schwarze Mieder betonte ihre Figur zwar gekonnt, doch die roten Rosenranken der Stickereien waren wiederholt ausgebessert worden. Die locker geschnittene Hose aus grobem Stoff endete in einem Paar abgetragener Stiefel. Gegen die Kühle der Frühjahrsnacht hatte Fabiola ein dunkles, mit roten Rosen gemustertes Schultertuch umgelegt. Sichtbare Waffen trug sie keine.

Algerio führte seine Begleitung zunächst vom Basar gen Rahja, näher zum Yaquir, dann, das Rauschen des Flusses im Ohr, weiter gen Praios. Die Gebäude um sie herum wurden stetig größer – hauptsächlich Lagerhallen und Handelskontore. Je weiter sie sich vom eigentlichen Flusshafen entfernten, die praktischen und damit teuren Plätze hinter sich ließen, umso älter und verfallener wurden die Gebäude.

Unauffällig prägte sich Fabiola Weg und Umgebung ein. Man konnte nie vorsichtig genug sein, wusste nie, was einen erwarten würde. Sie hatte gehofft, dass Keshlan ihr Schatten sein, ihnen den Rücken freihalten würde. Aber er war bis zu ihrem Aufbruch nicht zurück gewesen, und die anderen hatte sie nicht fragen wollen. Immerhin hatte sie das Mädchen in einer Ecke im Hof schlafen sehen. Also würde er zurückkommen. Zumindest, um seine Sachen zu holen. Sie schob den Gedanken beiseite. Jetzt erwarteten sie erst einmal aufregende Stunden mit ihrer neuen Bekanntschaft.

Nicht lang nachdem sie den Bediensteten und die Pferde hinter sich gelassen hatten, passte Fabiola einen Moment ab, in dem sicher niemand in Hörweite war. „Bevor es mir entfällt: Domna Selea hat kein Interesse daran, dass ihr Name heute Nacht fällt.”

Einverstanden nickte Algerio. Auch er hatte keinerlei Interesse daran, den Edlen Dom Algerio in diese andere Welt mit hinein zu ziehen. „Im Übrigen lässt sie ausrichten: unter den genannten Umständen böte sie auf neun Monate und neun mal neun Tage ihre Hand und ihren Arm. Gegen neun neue, langfristig hilfreiche sowie zuverlässige Kontakte und sichere, schnelle, dauerhaft verfügbare und relativ exklusive Passage zwischen neun Orten ihrer Wahl.“

Sie schwieg und ihr Gegenüber brauchte offenbar einen kurzen Augenblick, um zu verstehen, worauf sie sich bezog. Dann aber erhellte sich sein Gesicht in Erkenntnis und sie erkundigte sich: „Begegnetet Ihr dem Mungo, was wären Euer Wunsch und Euer Angebot?“ Algerio grinste. Seitdem er selbst die Frage gestellt hatte, war er sicher gewesen, dass sie auf ihn zurückfallen würde. Entsprechend war er vorbereitet.

“Es mag arrogant klingen, oder vielleicht auch aufgesetzt galant, wenn ich es recht bedenke. Doch ich versichere Euch, weder das eine noch das andere ist der Fall. Die Junkerin” - ein bewusster Versuch, den Namen zu umgehen - “hatte sehr Recht, als sie sagte, es hänge von den genauen Umständen ab. Ich selbst habe gelernt nach der Devise zu leben: Hilf dir selbst! Dann hilft dir Feqz.” Die tulamidische Aussprache des Namens war ihm wie von selbst über die Lippen gegangen und offenbar keine bewusste Entscheidung gewesen. “Würde der Mungo höchstselbst also in just diesem Moment erscheinen - ich würde ihm für sein Erscheinen und all das, was er in den letzten Götterläufen für mich getan hat, danken, ihn meiner Ehrerbietung versichern - und ihn dann höflichst bitten sich anderen seiner Diener zuzuwenden, denn die Situation, in der ich jetzt gerade bin, lässt für den Moment keine Wünsche offen.”

Fabiola schmunzelte. „Geschickt ausgewichen, wieder einmal. Doch gilt für Euch das gleiche wie für mich vorhin: wenn Ihr der Ansicht seid, dass diese charmante, aber unverbindliche Antwort reicht, um Euch billig aus einem fairen Spiel zu ziehen, dann sei dem so. Feqz ist bei jenen, die sich selber helfen, natürlich. Er bietet allerdings auch selten zweite Chancen. Und Ihr sagtet von Euch, dass Ihr Gelegenheiten erkennt, wenn sie sich bieten. Daher bin ich überrascht, dass Ihr eine solche, über den Moment hinaus, nicht ergreifen wollen würdet.” Algerio grinste. “Gut gekontert - ich hatte vermutet, dass Ihr Euch nicht so leicht abspeisen lassen würdet - nichts desto Trotz ist es eine ehrliche und aufrichtige Antwort.”

Einen Moment lang überlegte er - dann fuhr er fort: “Aber wenn die Umstände andere wären… ich wollte immer wissen, welches das letzte große Mysterium, das größte Geheimnis aus Sicht des Mungos ist. Nicht die Antwort darauf - die Frage dahinter. Und wenn er mir die Frage verrät, würde ich im Gegenzug mein Leben dem Lüften dieses Geheimnisses widmen. Das wäre mein Angebot.”

Er schaute Domna Selea an, auf der Suche nach einem Zeichen, ob sie diese Antwort zufriedenstellte.

Sie musterte ihn einen Moment. Dann nickte sie nachdenklich. „Das ist unerwartet, und mehr, als ich gedacht hätte.“ Wie beneidenswert, mit seinem Leben so wunschlos zufrieden zu sein. „Auf jeden Fall vielen Dank für das Kompliment. Dann hoffen wir mal, dass auch der weitere Verlauf des Abends keine Wünsche offen lässt. Wenn Ihr mögt, können wir unser Spiel noch ein wenig fortsetzen. In dem Fall wärt Ihr am Zug.“ Algerio nickte. “Sehr gern. Ich genieße es, Euch auf diese Weise etwas besser kennenzulernen. Und ich hatte ja ein wenig Zeit, über weitere Fragen nachzudenken.” Er zwinkerte ihr zu, um anzudeuten, dass noch einiges auf sie wartete. Seine Begleiterin lächelte zufrieden. “Wenn Ihr eines Tages, hoffentlich erst in vielen, vielen Götterläufen, als erfolgreiche und von allen Untertanen geliebte Junkerin von Mestera im Kreise Eurer Familia und Freunde auf Euer Leben zurückblickt - was wird Euch wichtig sein erreicht zu haben um sagen zu können, dass es ein gutes Leben gewesen ist?”

„Sehr spezifische Gegebenheit. Ich hoffe doch sehr, nicht erst in vielen vielen Götterläufen erfolgreich und geliebt zu sein…“, versuchte Fabiola Zeit zu gewinnen, um ihre Gedanken zu ordnen. Dom Algerios Fragen wurden zunehmend herausfordernder und interessanter. So sehr, dass sie versucht war, ihm einfach die gleichen zurückzustellen.

„Es gibt Einiges, was ich gerne erreichen würde. Aber wenig davon wäre entscheidend dafür, ob ich mein hinter mir liegendes Leben als gelungen ansähe. Gesicherter Wohlstand, zuverlässige Sicherheit für meine Erben und jene, für die ich verantwortlich bin, für mein Land dürften nicht fehlen. Ansonsten… Die Gewissheit, dass ich niemanden im Stich gelassen habe, der mir am Herzen liegt. Dass ich weder mich selber, noch etwas, das mir wirklich wichtig ist, leichtfertig aufgegeben habe.” Fabiola horchte in sich hinein, nicht ganz zufrieden mit ihrer Antwort, ohne genau sagen zu können, warum.

„Wie lautet die Antwort in Eurem Falle, unter welchen Umständen würdet Ihr auf Eurem Sterbebett Euer Leben als erfüllt und gut bezeichnen, was würdet Ihr in diesem Moment am meisten bereuen?”

“Gleich zwei Fragen versteckt in einer”, bemerkte Dom Algerio augenzwinkernd, “Ihr wisst die Euch gebotenen Spielräume zu nutzen. Nun denn. Ich würde am meisten bereuen, einen meiner Freunde oder meiner Liebsten im Stich gelassen zu haben - ob wissentlich oder unwissentlich. Ich bin sehr selektiv, wenn es um meinen innersten Kreis geht. Diese Menschen sind mir wichtig.” Er überlegte kurz und fuhr dann fort: “Doch für ein erfülltes Leben würde das allein nicht reichen. Vieles, was ich mir nie zu träumen gewagt hätte, hat sich bereits erfüllt, doch ohne eigene Nachkommen und ohne die Überzeugung, aus diesen Nachkommen gute, götterfürchtige Menschen gemacht zu haben, sie auf den Rechten Weg gebracht zu haben, wäre mein Leben in meinen Augen verschwendet gewesen.“

„Auch wenn andere das vielleicht anders sähen”, fügte er nach einer weiteren kurzen Pause hinzu.

Fabiola nickte nachdenklich. „Ich verstehe, was Ihr meint. Über meine Nachkommen habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Im Gegenteil, bislang habe ich sehr genau darauf geachtet, mir keine Gedanken darüber machen zu müssen. Noch etwas, das ich wohl werde ändern müssen.” Sie seufzte. Dann sah sie ihrem Begleiter forschend ins Gesicht. „Da Nachkommen für Euch so von Bedeutung sind, Ihr aber keine habt, wundere ich mich ein wenig, welch hohe Ansprüche Ihr an die Mutter dieser Nachkommen haben müsst. Schließlich dürftet Ihr nicht als schlechte Partie gelten.”

“Danke für das Kompliment”, grinste der Edle. “Mein Anspruch ist sehr simpel. Ich muss sie lieben können. Mehr nicht.“

Fabiola schmunzelte. „Das versteht Ihr unter simpel. Da offenbar noch keine diesem simplen Anspruch genügt hat, muss es wohl schwieriger sein, als Ihr es darstellt. Nun frage ich mich natürlich, was die unbekannte Dame, die Ihr lieben könntet, auszeichnet. Über die vorhin erwähnten Eigenschaften hinaus.“

“Zum Glück fragt Ihr nicht mich, sonst käme ich in Verlegenheit Euch Antwort geben zu müssen”, grinste Algerio. “Und leider weiß ich es selbst nicht so recht”, fügte er schulterzuckend hinzu.


Die schmale Straße, die sie entlang gegangen waren, weitete sich unverhofft und gab den Blick auf ein paar große, fast kastenförmige Holzhäuser und so etwas wie einen kleinen Umschlagplatz dazwischen frei. Algerio hielt inne.

„Wir sind da.“ Er nahm eine kleine, sehr abgenutzt aussehende Geldkatze vom Gürtel und kramte kurz darin herum. „Von nun an werdet Ihr mir nachsehen müssen, wenn ich die Etikette hinter mir lasse. Nehmt es nicht persönlich“, warnte er mit einem Augenzwinkern. Dann wandte er sich in Richtung des größten Hauses am Platz. Leise, etwas schief gespielte Musik drang durch die Wände, als die beiden näher kamen.

„Natürlich werde ich es persönlich nehmen. Alles andere hieße zu unterstellen, dass ich nur eine von vielen bin, die Ihr hierher ausführt. Übel werde ich die fehlende Einhaltung der Etikette allerdings nicht nehmen.“, erwiderte sie. Fabiola spürte, wie die Musik etwas in ihr berührte. Hoffentlich würde es die Möglichkeit geben, zu tanzen. Und vielleicht würde sie sogar Gelegenheit bekommen, dem mäßig talentierten Vihuelaspieler da drinnen auszuhelfen. Im letzten Moment beherrschte sie sich, statt im Takt der Musik mitzuwippen.

Algerio lächelte zufrieden. “Achja…”, hielt er kurz inne. “Wie soll ich dich nennen?” Mit gespieltem Entsetzen schlug Fabiola die Rechte auf ihr Herz und fächelte sich, in Ermangelung ihres Fächers, mit der Linken Luft zu. „Dieser rapide Verfall der Sitten heutzutage. Schockierend.“ Sie lachte Algerio an, und er stimmte ein, bevor sie ernst wurde.

Eindringlich musterte sie ihn einige Augenblicke, dann fiel ihr Entschluss. „Für heute Abend… nenn mich Fabiola. Und verrate mir deinen Namen. Den, unter dem du dir zurückerobert hast, was du heute dein ist.“

Algerio machte einen weiteren Schritt, bis an die Hauswand. Er klopfte einen bestimmten Rhythmus an einer bestimmten Stelle, an der kein Fenster und keine Tür erkennbar waren, und erwiderte dann: “Meine engsten Freunde und all jene, die wir hier heute hier treffen werden, nennen mich Obsidian. Oder kurz Obsi, wenn wir hinreichend vertraut sind.”

Er lächelte entschuldigend und fügte dann achselzuckend hinzu: “Ein schwarzer Stein war das erste Auffällige, was ich erblickte, als man mich das erste Mal nach meinem Namen fragte.” Fabiola schmunzelte. „Deine Schlagfertigkeit hattest du zum Glück wohl nicht vergessen. Es muss gerade am Anfang schwer gewesen sein. Sind wir hinreichend vertraut für den kurzen Namen?”

Bevor Obsidian antworten konnte, wurde mit einem lauten Knarzen eines der Bretter der Wand von innen ein Stück beiseite gebogen und ein neugieriges Auge erschien im Halbdunkel des Innenraums. Obsidian, den Blick noch immer auf Fabiola gerichtet, zog ohne hinzusehen einen Silbertaler aus der Geldkatze und zeigte ihn der Person hinter der Wand. Diese grunzte kurz zustimmend, dann schloss sich der Spalt wieder und ein paar Schritt weiter in der Gasse, die vom Gebäude zum Vorplatz führte, öffnete sich einen Augenblick später eine Türe.

Aufmerksam hatte Fabiola das Geschehen beobachtet. Nun schweifte ihr Blick über die Umgebung, um jene Gestalten in den Schatten zu finden, die Ausschau nach Ärger, offiziell oder betrunken, halten mussten. „Auf seine Art ist dieser Ort nicht weniger exklusiv als es die Etab… Vergnügungsstätten der Reichen und Mächtigen sind.“, schmunzelte sie in Obsidians Richtung. „Ich bin angemessen beeindruckt, dass du Zugang hast.“

“Ich bin ein Mann voller Überraschungen”, scherzte Obsidian. Dann legte er seinen Arm um ihre Schultern als klar erkennbares Zeichen, dass sie zu ihm gehörte, und ging durch die Tür.

Fabiola ließ sich ihre Irritation ob dieser Vertraulichkeit nicht anmerken. Stattdessen schob sie ihren Arm um die Taille ihres Begleiters, lehnte sich ein wenig gegen ihn und ließ sich mit einem Lächeln zum Türsteher nach drinnen ziehen. Nun, immerhin hatte er ihre letzte Frage damit auf seine Art beantwortet.

Vor Fabiola öffnete sich ein weitläufiger Raum, spärlich beleuchtet, aber gut besucht. Die abgestandene Luft roch nach billigem Alkohol, Rauschmitteln und Menschen, die es sich nicht leisten konnten, regelmäßig ein Bad zu nehmen. In der Mitte des Raumes standen und saßen drei Gestalten und spielten Musik - oder zumindest das, was sie dafür hielten. Es war mehr ein Rhythmus mit leidenschaftlich Gesang, jedoch ohne jedes Talent oder handwerkliches Geschick vorgetragen. Wahre Künstler, die die Musik fühlten, ohne sie zu verstehen.

Gut ein Dutzend Tische standen im Raum verteilt, einige mehr, andere weniger gut besucht. Fabiola sah eine Gruppe junger Männer, dem äußeren Anschein nach wahrscheinlich Hafenarbeiter, versunken in eine Partie roter und weißer Kamele. An mehr als einem Tisch wurde Boltan gespielt, oder zumindest vergleichbare Kartenspiele. Aus einer Ecke des Raumes drangen laute Anfeuerungen an das Ohr der beiden Adligen - eine vergleichsweise große Gruppe Umherstehender brüllte für eine kurze Weile Anfeuerungen zu etwas, das sich offenbar auf dem Tisch vor ihnen befand. Kurz darauf zeigte sich etwa die Hälfte der Gruppe frenetisch jubelnd, die andere Hälfte zu Tode betrübt. Einer der Mannen, ein Tulamide, verkündete lauthals den Sieg des Skorpions und fischte geschickt ein auf die Distanz nicht näher zu erkennendes Tier vom Tisch, das offenbar den Kampf verloren hatte und leblos von seinen Fingerspitzen baumelte.

Und an jedem Tisch, wieder und wieder, wechselte Geld den Besitzer.

Mit großen, strahlenden Augen ließ Fabiola die Umgebung auf sich wirken, während sie sich Mühe gab, weder mit offenem Mund zu starren noch ihre Begeisterung zu offen zu zeigen. Dieser Ort war so voller Leben! Anders als die, an denen sie seit ihrer Rückkehr üblicherweise verkehrte, aber das machte es umso interessanter.

Obsidian, nachdem er Fabiola einen Moment gegeben hatte, um die vielfältigen Eindrücke aufzunehmen, steuerte, ohne den Arm von ihrer Schulter zu nehmen, zunächst zielsicher auf einen Tresen zu, der scheinbar als Ausschank diente. Auffallend war eine große Schiefertafel, die dahinter an der Wand hing und die keine Waren oder Preise zeigte, sondern stattdessen verschiedene Namen von Personen, Orten und Objekten, sowie jeweils dahinter verschiedene Zahlen.

Während ihr Begleiter sie, weiterhin mit dieser irritierenden Vertrautheit, durch den Raum führte, versuchte Fabiola, einen besseren Überblick über die Tische zu bekommen. Sie war sich sicher, die meisten Spiele zu kennen. Die plötzliche, laute Verkündung des Sieges des Skorpions weckte unerwartet unschöne Erinnerungen, die sie hastig verdrängte. Doch es gelang ihr nicht ganz, den Schauer zu unterdrücken, der über ihren Rücken lief. Zum Glück wurden sie, oder besser ihr Begleiter, im nächsten Moment angesprochen. Ihr Blick blieb an der Tafel hinter dem Tresen hängen und sie konzentrierte sich auf die Überlegung, was die Namen und Zahlen zu bedeuten hatten, ob es einen Zusammenhang gab.

“N’Abend Obsidian! Schön, dass du dich auch mal wieder blicken lässt!”, begrüßte die alte Frau die beiden, als sie den Edlen des Selkethals erkannte. Fabiola schätzte die Frau auf bestimmt gut sechzig Götterläufe - ihre Haltung war bereits leicht gekrümmt, ihre Haut faltig und ihr Gebiss nicht mehr vollständig, aber ihre Augen waren noch wach und ihr Lächeln aufrichtig und warmherzig. “Und heute mal in Gesellschaft, wie ich sehe.” Sie musterte Fabiola einmal kurz von oben bis unten. “Und hübsch ist sie, wenn mich meine Augen nicht trügen.” Sie pfiff leise durch eine Zahnlücke. “Pass besser gut auf sie auf, Obsi, das ist eine von denen, die es wert sind”, sagte sie mit einem Augenzwinkern in Richtung Fabiola.

Diese lächelte die Frau offen und freundlich an. „Das hat er mir zumindest versprochen.“, erklärte sie keck, während sie ihre Hand auf die seine auf ihrem Oberarm legte und zu ihm hoch sah. „Und einen aufregenden Abend.“

Obsidian und die Schankwirtin lachten unisono. “Ich glaube, da hat er nicht zu viel versprochen”, entgegnete die Frau dann. “Wer bei uns keinen aufregenden Abend verlebt, dem kann selbst der Fuchsgott persönlich nicht mehr helfen.”

Beiläufig hielt sie Obsidan die geöffnete Hand entgegen, als erwarte sie etwas zu erhalten, und dieser reichte ihr, ebenfalls wie beiläufig, den Silbertaler, den Fabiola schon von draußen kannte. Im Licht des Raumes, wenngleich spärlich, fiel ihr eine Besonderheit an der Münze auf. Jemand hatte, mit grober Gewalt, ein Dreieck über das Gesicht Dom Gwains gestanzt - das Zeichen des Phex.

“Ich bin die Linde - eigentlich Phexlinde, aber so nennt mich hier niemand.” Sie lachte über einen Witz, den offensichtlich nur sie selbst verstand. “Freut mich, dich kennen zu lernen”, sprach sie weiter, um dann an Obsidian gerichtet fortzufahren: “Was darf's denn heute sein, mein Hübscher? Das Übliche, oder um die Holde Maid an deiner Seite zu beeindrucken, mal was von dem guten Zeug?”

Obsidian grinste, kramte ein paar Kreuzer aus der Geldkatze und warf sie auf den Tresen vor ihm. “Du kennst mich zu gut”, lachte er dabei. “Beides bitte. Je zweimal.”

“Kommt sofort”, bestätigte Linde, sammelte das Kleingeld ein und stellte dann vier Becher auf den Tresen, die sie aus zwei verschiedenen Tonflaschen ohne erkennbare Kennzeichnung befüllte. Zwei Becher jeweils einen Finger breit, zwei aus der zweiten Flasche bis zur Hälfte. “Na dann, viel Spaß, ihr Täubchen”, zwinkerte sie Obsidian zu, und wandte sich ab.

Obsidian griff gekonnt die vier Becher und wandte sich dann an Fabiola. “Hast du einen bevorzugten Platz, wo du sitzen möchtest, mein Täubchen?”, fragte er schelmisch grinsend. Die diebische Freude über den bevorstehenden Austausch stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Dein Täubchen…“, Fabiola gurrte förmlich. „Gut, es sei. Hier und heute bin ich Täubchen, dann nenn mich so, nicht anders.“ Es passte irgendwie besser und Algerio grinste vergnügt ob der Vorstellung.

Sie nahm ihm ihre Becher ab. Der Inhalt roch scharf und sah besorgniserregend unspektakulär aus. „Ich bin gespannt. Lass uns da drüben in die Nähe der Musiker. Schließlich will ich, dass mir nur deine Aufmerksamkeit zuteil wird.“, lächelte sie. Es war keiner der Tische, die alle gut besucht waren, sondern nur ein paar Stühle mit einem Schemel voller leerer Becher dazwischen. Genau das Richtige für vertrauliche Gespräche, ohne den Raum und sein Publikum aus den Augen zu verlieren. Fabiola vermutete, dass es Orte für mehr Zurückgezogenheit gab. Doch waren sie nicht nur deswegen hier, und sie bevorzugte es, ein Gefühl für die Stimmung und die anderen Teilnehmer zu haben, wenn sie spielte.

Nachdem sie sich gesetzt hatten, deutete Obsidian auf die Becher vor ihnen. “Also mein Täubchen.” Der Name gefiel ihm, mehr als er zuzugeben bereit war. “Ich empfehle erst den kleinen, dann den großen Schluck zu trinken. Der kleine ist ein ungenießbarer selbst gebrannter Schnaps, mit dem man wahrscheinlich Dämonen austreiben könnte, und der andere, das ‘gute Zeug’, ist nur unwesentlich besser… aber im direkten Kontrast dann ganz gut zu ertragen.” Er grinste breit und hob den Becher mit weniger Inhalt und prostete ihr zu. “Auf Kurzweil und einen unvergesslichen Abend!”

Dann stürzte er den Becher in einem Zug herunter, verzog angewidert das Gesicht und kippte schnell den zweiten Becher hinterher, um schließlich laut zu lachen. Noch immer lachend erklärte er: “Oh bei den Göttern, ich vergesse jedes Mal, wie schlimm das Zeug wirklich ist.”

Fabiola hob ebenfalls den kleinen Becher. „Auf Kurzweil und einen unvergesslichen Abend, den ersten von vielen.“

Vorsichtig nahm sie einen kleinen Schluck. Tränen schossen ihr in die Augen, während Feuer ihren Hals hinunter rann und ihren Magen ausbrannte. Keuchend griff sie nach dem großen Becher und trank einen Schluck. Statt Linderung erwartet sie eine erschlagende, irgendwie muffige Kräuternote, die das vorherige Brennen weiter bis in ihre Eingeweide trieb.

„Danke für die Warnung, sonst hätte ich einen Mordanschlag unterstellt.“, grinste sie tapfer. Skeptisch besah sie den übrigen Schnaps in den beiden Bechern. „Deine Herangehensweise ist vermutlich die bessere. Leider bin ich nicht sicher, ob ich dann für den restlichen Abend überhaupt noch Gesellschaft wäre.“

Vorsichtig nahm sie einen weiteren Schluck aus dem kleinen Becher. Es wurde nicht besser. Auch nicht, als sie nachspülte. Und keiner der Becher war leer… „Bei manchen Dingen ist es wirklich eine Herausforderung, die verborgene Schönheit zu finden.“, hustete sie. „Ich werde mich durchkämpfen. Das könnte dauern.“

Algerio lachte weiterhin herzhaft, vereint im Leid. ‘Den ersten von vielen.’ Diese Worte klangen noch einen Moment lang nach in seinem Ohr, auch wenn er nicht darauf reagierte.

“Jedenfalls”, versuchte er sich langsam zu beruhigen, “jedenfalls kann der Abend ab hier nur noch besser werden.”

Er stellte den Becher vor sich auf den Tisch, lehnte sich entspannt zurück.

“Willkommen im Fuchsbau, mein Täubchen”, lächelte er. “Zumindest nenne ich ihn so. Offiziell hat diese Kaschemme keinen richtigen Namen, soweit ich weiß. Einige nennen sie auch ‘die gute Stube’, ‘den Silbertaler’ oder einfach ‘das Casino’.” Er zuckte entschuldigend mit den Schultern, fuhr dann fort:

“Früher soll es tatsächlich mal ein einfaches Casino gewesen sein. Wenn man, beispielsweise als Hafenarbeiter, ein bisschen Zeit hatte, kam man her, spielte um ein paar kleine Einsätze und mit etwas Glück ging man zurück aufs Schiff mit einem kleinen Gewinn. Und wenn man kein Glück hatte, hatte man immerhin eine gute Zeit.”

Sein Blick schweifte kurz durch den Raum, über die Reihen der anwesenden Spieler.

“Vor ein paar Götterläufen - vor der Zeit, als ich Zugang bekommen habe - ist das Angebot dann erweitert worden. Mittlerweile ist es eher ein… Ort der Begegnung für Menschen, die dem…”, er pausierte kurz und fuhr dann mit dem Begriff fort, den Fabiola verwendet hatte, “… Mungo zugewandt sind. Soweit ich weiß ist es kein Tempel, kein geweihter Ort, aber man findet hier alle Ausprägungen des Feqzglauben. Menschen, die ihr Glück versuchen wollen - bei den Würfeln, beim Boltan, oder bei jedem beliebigen anderen Spiel, das du dir vorstellen kannst. Menschen, die Geheimnisse suchen. Abenteurer, wenn du so willst. Wenn du Informationen suchst, wissen willst, welche dunklen Geheimnisse Dom Amando da Vanya zu Lebzeiten zu verstecken suchte - hier wirst du sie wahrscheinlich erfahren können. Gegen eine kleine Gebühr, versteht sich. Und mit ungewissem Wahrheitsgehalt.” Er grinste.

“Wenn es Geschäfte sind, die dich herführen, und du möchtest sicherstellen, dass selbst die Phexkirche nichts von deinen Aktivitäten mitbekommt, hast du hier die Möglichkeit, ein stilles Plätzchen zu finden. Es gibt natürlich keine Garantien… aber der Fuchsbau kann sehr verschwiegen sein. Und schließlich…”, und damit deutete Obsidian auf die Theke, von der sie eben gekommen waren, “kannst du auch einfach versuchen alles, was dich plagt, im Alkohol zu ertränken.” Er lachte erneut bei der Erinnerung an seinen Hustenanfall. Und den seines ‘Täubchens’.

“Bist du schonmal in Fasar gewesen? Dem dortigen Tempel?”

„Fasar?“ Fabiola verzog das Gesicht und nippte an ihrem Schnapps. „Ja, war ich. Ich habe den Haupttempel gesehen, und ich habe Gottesdiensten beigewohnt. Kennst du Fasar aus eigener Erfahrung?“

Obsidians Gesicht zeigte für einen kurzen Moment so etwas wie Überraschung. Ein weiteres Indiz, dass Domna Selea in ihrer Abwesenheit ein interessanteres Leben geführt hatte, als gemeinhin bekannt. Seine Neugier war ein weiteres Mal geweckt.

Aber jetzt war nicht der Zeitpunkt, um ihr nachzugeben. Die Zeit für offene Gespräche würde noch kommen. Stattdessen antwortete er seinem Täubchen: “Es ist schon ein paar Götterläufe her… aber ja, ich bin da gewesen.” Erinnerungen kamen in Obsidian hoch - gute und solche, die er lieber vergessen hätte. “Es heißt, im Tempel gäbe es eine große Tafel, auf der verschiedene Herausforderungen stehen, denen man sich als Anhänger Feqzens stellen sollte. Keine Ahnung, ob das nur eine Legende ist… gesehen habe ich sie jedenfalls nicht. Aber auch hier gibt es eine solche Tafel - inspiriert von den Legenden Fasars.”

Mit einem Nicken des Kopfes deutete er auf die Schiefertafel an der Theke.

“Ein jeder Besucher des Fuchsbaus kann zur Theke treten und eine Wette oder Herausforderung aussprechen, sowie einen Einsatz tätigen. Und wenn er oder sie die Herausforderung meistert… wird es entsprechend belohnt.”

Fabiola nippte gedankenverloren an ihrem großen Becher. Es schien, als sei ihr Gastgeber durchaus weit rumgekommen, und habe wie die meisten Besucher Fasars unterschiedliche Seiten kennengelernt. Genauso interessant war, wie mühelos er zu den tulamidischen Bezeichnungen des Mungo gewechselt war, obwohl sie Garethi sprachen.

„Ah, ich habe mich schon gefragt, was es mit der Tafel auf sich hat. Erklär mir, was im Moment geboten wird.“

Obsidian drehte sich so, dass er die Tafel gut sehen konnte. Dann las er vor.

“Jemand wettet, das Riesland zu erreichen. Ist glaube ich eine alte Wette, die Kreide ist schon etwas verschmiert. Jemand anderes hat die Herausforderung ausgerufen, eine Locke von Dom Amando zu beschaffen.” Obsidian lachte kurz, halb amüsiert, halb verbittert. “Das ist entweder ein schlechter Scherz, oder ziemlich makaber.”

„Findest du wirklich? Wenn es gelingt, die Locke unerkannt zu erlangen, während er aufgebahrt, von Ehrenwachen und Geweihten umgeben in der Gilbornshalle liegt…“ Fabiola zögerte einen Moment. „Doch, dann würde ich es als herausragendes Feqzensstück bezeichnen. Mit ziemlich hohem Einsatz. Fände es nicht markberer als eine beliebige andere Reliquie. Ich glaube kaum, dass die diversen Heiligen ihre Knochen und sonstigen Körperteile zu Lebzeiten an ihre Anhänger gegeben haben. Sobald er in seinem Grab ruht, den Totensegen empfangen hat, sieht die Sache natürlich völlig anders aus. Vermutlich ist eine hohe Belohnung geboten, bei dem Risiko.“ Sie sah Obsidian neugierig an. „Alle Achtung, wenn der Rest auch so ambitioniert ist.“

“Es ist vor allem der Zeitpunkt, der es für mich makaber macht”, erklärte Obsidian, das Bild des erst kürzlich Verstorbenen noch vor Augen. Fabiola schwieg, um ihm nicht versehentlich zu nahe zu treten. Sie selber fand den Zeitpunkt eher gut gewählt, aber vielleicht war ihre Sicht der Dinge für hiesige Verhältnisse zu stark von Einflüssen der letzten Jahre geprägt.

“Aber ansonsten hast du natürlich recht. Und ein Feqzensstück ist es, ganz gleich der Umstände.”

Er schaute noch einmal hin. “Eine Belohnung ist nicht vermerkt. Seltsam. Entweder ist sie zu komplex, um sie in dieses kleine Feld zu bekommen - oder der damit einhergehende Ruhm muss Belohnung genug sein.” „Wie reizvoll mysteriös.“, schmunzelte Fabiola. Unter anderen Umständen wäre sie durchaus geneigt gewesen, eine Herausforderung dieser Art an die richtigen Leute weiterzugeben. Doch ihre momentanen Verpflichtungen banden sie anderweitig.

Er überflog ein paar der weiteren Einträge mit zugekniffenem Auge. “Das sind die beiden großen. Der Rest sind eher die üblichen belanglosen Wetten, so etwas wie einen Kuss von einer bestimmten Person zu gewinnen, einen bestimmten Handel abschließen, … ah, wenn du den geheimen Phextempel Punins findest und seinen Aufenthaltsort verrätst, erhältst du offenbar eine monetäre Belohnung.”

„Verliebte Halbwüchsige sähen das mit der Belanglosigkeit von Küssen sicherlich anders.“, lachte Fabiola leise und Obsidian stimmte mit ein. „Und nur ein Idiot würde die letzte Herausforderung erfüllen und auf den Profit verzichten, der sich aus solchem Wissen schlagen lässt. Oder freiwillig die Konsequenzen tragen wollen, wenn sein Verrat bekannt wird. Es sei denn, die Belohnung ist deutlich höher, als dieser Ort vermuten lässt.“

Sie nippte an ihrem kleinen Becher. So langsam gewöhnte sie sich an das Zeug. Was ihr Sorge bereitete.

„Ich glaube, du bist mit einer Frage dran.“ Wenn sie ehrlich war, hatte sie etwas den Überblick verloren. Dazu machte der Schnaps das Nachvollziehen der Fragenreihenfolge im bisherigen Verlauf ihres Gespräches unangenehm mühsam.

“Oh, bin ich das?”, entgegnete Obsidian überrascht. Auch er schien die Übersicht verloren zu haben.

„Ich wäre bereit, die Bedingungen unseres Handels für den Rest des Abends etwas zu lockern. Wir fragen weiterhin mehr oder weniger abwechselnd, aber unbedachte, eher rhetorische Fragen zählen nicht. Wenn einer der Meinung ist, dass eine Frage geeignet ist, Schulden auf- oder abzubauen, sagt er es dem anderen, der daraufhin zurückziehen darf.“

Sie nippte am großen Becher. Bald würde sie es geschafft haben.

Obsidian lachte und nickte zustimmend. “Wenn ich ehrlich bin, fühlt es sich so an, als hätte ohnehin eine andere Person diesen Handel abgeschlossen”, sagte er augenzwinkernd. „Netter Versuch, so leicht lass ich dich nicht vom Haken.“, grinste Fabiola. “Frag mich gern, was dich interessiert, und ich will versuchen, so ehrlich zu antworten, wie ich kann.” Es gab ohnehin nur wenige Geheimnisse, die ihm wichtig waren. Und zu seiner eigenen Überraschung befand sich ‘sein Täubchen’ inmitten eines dieser Geheimnisse. Sie sah ihn erstaunt an. Schließlich nickte sie. „Das gleiche gilt für dich, frag, und ich werde soweit möglich ehrlich antworten.“

“Was denkst du vom Fuchsbau? Schockiert, dass ich hier meine Zeit verbringe?” Fabiola wiegte einen Moment den Kopf hin und her. „Nicht wirklich schockiert, nein. Erst recht nicht, nachdem du mir den Ursprung deines Namens und ein wenig von deiner Geschichte offenbart hast. Zumal es scheint, als seist du nur selten hier. Zudem ist das hier bislang zwar ein einfacher, aber nicht übermäßig zwielichtiger oder anzüglicher Ort. Mal sehen, vielleicht trügt der erste Eindruck.“ Sie leerte den kleinen Becher. „Schockiert dich meine Einstellung?“ Obsidian grinste unwillkürlich. Nein, zwielichtig oder anzüglich war es hier nicht. Dank des billigen Alkohols konnte es schonmal etwas… ruppig werden. Und laut. Aber er hatte selten erlebt, dass jemand wirklich über die Stränge geschlagen war - und wenn doch, dann hatte man sich schnell darum gekümmert.

Er seufzte. “Ich bin in der Tat selten hier, seit ich…” Fast hätte er gesagt, ‘das Lehen übernommen habe’, doch dieses Leben und jenes, das er hier vorgab zu leben, wollte er sicher getrennt wissen. Also korrigierte er sich: “...seitdem ich viel unterwegs bin. Für Besuche in der Capitale bleibt da wenig Zeit.”

Er nahm seinen Becher und wollte ihn leeren, nur um festzustellen, dass er bereits geleert war. Der wievielte war das am heutigen Abend? Er hatte verpasst mitzuzählen.

Schulterzuckend griff er nach dem größeren der beiden Becher, nur um auch diesen bereits geleert vorzufinden. Diese Erkenntnis ließ ihn erneut laut lachen. “Du musst einen ganzen falschen Eindruck von mir haben, mein Täubchen. Normalerweise trinke ich nicht so viel…” Er stellte den Becher zurück auf den Tisch, ehe er sich erinnerte, dass er seiner Begleitung noch eine Antwort schuldig war. Diese schob ihm derweil mit einem spöttischen Lächeln ihren großen, beinahe leeren Becher hin.

“Nein, ich bin nicht schockiert. Positiv überrascht trifft es besser. Ich hatte vermutet… vielleicht auch ein bisschen gehofft, dass ein Ort wie dieser dich nicht allzusehr überfordern wird. Ich meinte gewisse… Zeichen ausgemacht zu haben”, entgegnete er mehrdeutig. “Sonst hätte ich dich wahrscheinlich auch nie hierher mitgenommen.”

„Was hat mich verraten? Damit ich in Zukunft darauf achten kann. Denn vermutlich werden die wenigsten so wohlwollend wie du reagieren, und ich werde so schon mit genug Reserviertheit zu kämpfen haben.“

“Mach dir keine allzu großen Sorgen. Leute wie du und ich entwickeln einen Blick für Details, die anderen unserer… Herkunft? zwangsweise entgehen müssen. Aber wenn es dich beruhigt: Frage für Frage, Antwort für Antwort ist eine sehr phexgefällige Form des Austauschs, und die Erwähnung des Mungos ist zwar - so vermute ich zumindest - eher Ausdruck deines Lebens der letzten Götterläufe, aber es hat mich auf die Fährte gebracht. Und der Rest…”, er zuckte wie schon mehrfach entschuldigend mit den Schultern, “ich würde sagen, ich habe es einfach riskiert.”

Nachdenklich drehte sie ihren leeren Becher hin und her, bevor sie mit einem Lächeln aufsah: „Gut, dass du es riskiert hast. Vielen Dank, dass du mich mitgenommen hast. Wenn du magst, revanchiere ich mich bei Gelegenheit. Normalerweise trinke ich auch nicht so viel. Zumindest nicht so schnell. Es hat wohl an der Gesellschaft gelegen. Vermutlich gibt es hier keine leichtere Alternative zu diesem Zeug?“

Obsidian lehnte sich näher zu seiner Begleitung, den Arm auf ihre Stuhllehne gelegt in einer Geste der engen Vertrautheit. “Und wenn ich selbst die Gelegenheit schaffen muss… ich bestehe darauf. Ich hätte es selbst nie gedacht, aber der Abend mit dir bereitet mir eine Menge Freude. Ich bin sehr froh, dass du meiner Einladung gefolgt bist.”

Fabiola nickte leicht, noch immer lächelnd, verzichtete aber auf eine Antwort. Und wenn er die Gelegenheit zu einem Wiedersehen selbst schaffen müsse… In ihrem Kopf ging sie durch, welche Einladung mit diesem Abend würde mithalten können.

Mit Blick auf die leeren Becher ergänzte er: “Ich fürchte nicht wirklich. Früher hatten sie mal Suppe, das war das einzige, was als Getränk ohne konservierende Mengen Alkohols durchgegangen wäre… aber die wollte niemand haben.”

Er ergriff die leeren Becher. “Aber ich habe eine Idee, wie ich mit befüllten Bechern zurückkommen kann, ohne dass es uns weiter zu Kopf steigt. Moment!”

Er stand auf, ging zur Theke zurück, und kam kurze Zeit später wieder, zwei neue Becher in der Hand.

Lederne Becher.


Mit Würfeln.