Chronik.Ereignis1044 Dubiose Hochzeit 06
Castillo Ragath, Mitte/Ende 1044 BF
Autor: Der Sinnreiche Junker
Klirrend trafen die Schwerter auf dem Burghof der Ragather Grafenburg aufeinander - nicht nur die zweier Kontrahenten, sondern zwei Dutzend Gewappneter schwangen an diesem Morgen die Klingen gegeneinander. Ungewöhnlich waren die Übungskämpfe gewisslich nicht, und doch wurde das Gesinde nicht müde von seinem Tagwerk innezuhalten und den Streitern Graf Brandils zuzusehen. Zumindest eine Weile, bis sie von irgendwoher gescholten wurden, dass sich diese oder jene Arbeit nicht von selbst erledigte. Dennoch verlief sich das Publikum hernach nicht gänzlich, galten solcherlei Mahnungen doch nicht für die Hofdamen und Höflinge. Und natürlich erst recht nicht für Comtessa Rahjada von Ehrenstein-Streitzig und ihre Entourage.
Vielleicht war es die Anwesenheit der Grafentochter, welche manchen der Übenden heute zu besondere Verbissenheit anspornte. Die Einfältigeren mochten in ihr immerhin die Tochter ihres Lehns- und Dienstherren sehen. Diejenigen die ein wenig weiter dachten - volgo: Ambitionen hatten - vielleicht auch die potentielle, zukünftige Herrin der Grafschaft, sofern es Gevatter Boron gefiel ihren hochwohlgeborenen Vater vor der Großwerdung ihrer Nichte, seiner Mundilla Domnita Ilara zu sich zu rufen. Und natürlich gab es noch immer den einen oder anderen Narren, der aufgrund irgendeiner koketten Geste, eines heiser geflüsterten Wortes in der Vergangenheit hoffte das Herz oder zumindest doch die amouröse Zuneigung der Schönen für sich zu gewinnen.
So würde der Medicus der Burg heute mehr Prellungen und Blutergüsse als sonst zu versorgen haben, als sich die Schar der Kämpfer mehr und mehr lichtete, nachdem Verletzte zum Rand des Burghofes humpelten und andere entwaffnet oder zur Aufgabe gezwungen wurden. Nur einem schienen die Schwerter seiner immer neuen Gegner heute nichts anhaben zu können: Servando Cronbiegler. Dem jungen Caballero, dem man nachsagte, seit Jahr und Tag ein Auge auf Domna Rahjada geworfen zu haben - und dem man ebenfalls nachsagte, seine Augen seien besser als sein Urteilsvermögen - fiel Lilithrud Ernathesa von Silvansbühler und nach und nach manch andere von Graf Brandils besten Klingen zum Opfer.
Dies alles fand unter den wachsamen Augen von Rondrigo vom Eisenwalde statt, dem gräflichen Castellan. Seit der Heirat der Zweitgeborenen seines Lehnsherren mit Hernán von Aranjuez hatte dieser im Laufe der Jahre mehr und mehr militärische Kompetenzen in der Grafschaft an sich gezogen, sodass sich seine rondrianischen Pflichten mittlerweile auf kaum mehr als den Befehl über und die Ausbildung der Caballeros seines gräflichen Herren. Genauso lautstark und blumig der Waldwachter zuvor mit Kritik während der Kämpfe gewesen war, genauso sparsam war er nun mit Lob. Er klopfte dem siegreichen Servando auf die Schulter und beeilte sich einige der Unterlegenen anzugranteln, als er sah, dass die Gattin seines Rivalen ihre eleganten Schritte in ihre Richtung lenkte.
Was der Caballero an Lob von seinem Befehlshaber vermisst haben mochte, erhielt er nun überreich von Domna Rahjada: die Comtessa schmachtete ihn geradezu aus ihren dunklen Augen an, legte die rechte auf seine starke Brust, so als könne sie durch Stoff, Leder und Stahl das Klopfen seines Herzens spüren. Dessen Schlag sich nach den Anstrengungen der Kämpfe kaum verlangsamte, nun, da Servando ihr so nah war. "Dom Servando", gurrte sie. "Welch vortrefflicher Krieger Ihr doch seid. Eine Zierde für Ragatiens Ritter und eine echte Stütze für meinen Vater. Dass Ihr an seiner Seite wider all seiner, wider all unserer Feinde steht, lässt mich des Nächtens ruhiger schlafen, wenn ich fern meines Heims hier bin."
Rasch beugte sich der Caballero über einen Eimer und schöpfte mit aneinander gelegten Händen Wasser in sein verschwitztes Antlitz. Wohl hatte er Sorge, dass ihm ob solcher Worte seiner Angebeteten die Röte in die Züge schießen könnte, wenngleich er ob der vorangegangenen Übungen gewisslich bereits genug Farbe im Gesicht hatte. "Seid stets...", fuhr er sich mit dem Stoff seines Wappenrockes trocknend über Wangen und Kinn "...stets meiner unverbrüchlichen Treue zu Eurem hohen Vater und zu Euch gewiss, Domna Rahjada." Diese Versicherung zauberte ein wunderschönes Lächeln in die Züge der Comtessa. "Ihr wisst gar nicht, was Eure Worte für mich bedeuten", versicherte sie ihm, gefolgt von einem mehr sehnsuchtsvoll gehauchten denn gesprochenen "Dom Servando."
Dieser runzelte nun aber doch die Stirn über soviel plötzliche Aufmerksamkeit seiner Herzensdame. "Ich verstehe nicht, Domna Rahjada? Dom Rondrigo, wir Ritter seiner Hochwohlgeboren, all seine Vasallen, darunter Euer Gemahl. Mir will scheinen, dass sich Graf Brandil keines Mangels an Getreuen erfreuen kann." Rahjada von Ehrenstein verzog die schönen Lippen zu einer Schnute. "Ihr seht nicht, was ich sehe, Dom Servando. Dom Rondrigo ist...nun ja...alt. Vielleicht werden wir ihn bald auf sein wohlverdientes Altenteil schicken müssen." Es arbeitete sichtlich hinter der Stirn des Ritters. Deutete sie damit an, dass man ihn als Castellan in Erwägung zog? In naher Zukunft, spätestens aber nach dem Ableben Graf Brandils?
Seine Überlegungen wurden unterbrochen, als die Comtessa fortfuhr: "Und der Adel Ragaths ist voller falscher Schlangen. Die Hälfte wartet doch nur darauf uns die Dolche in den Rücken zu stoßen. Mein Gemahl hingegen..." Sie seufzte schwer und schlug die langen Wimpern nieder und legte Servando Cronbiegler abermals die Handfläche auf die Brust. "Mein Gemahl verkennt den Ernst der Lage. Sonst wäre er nicht so oft fern. Fern seines Lehensherren. Fern seiner Familie. Und ich brauche ja einem Krieger wie Euch nicht erzählen, welchen Gefahren er sich aussetzt. Versprecht mir, Dom Servando, dass Ihr auf Euch Acht gebt. Mein hoher Vater, Ragatien kann nicht auf Euch verzichten", schnurrte sie, ehe sie die Augen wieder öffnete und ihn ansah. "Ich kann nicht auf Euch verzichten."
- Dom Servandos Fährnisse werden hier fortgeführt: Schauplatz: Dubiose Hochzeit, Teil 5.
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