Chronik.Ereignis1042 Vom Streben nach Freiheit

Aus Almada Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Reichsstadt Taladur, Praios 1042 BF[Quelltext bearbeiten]

Am nördlichen Stadttor[Quelltext bearbeiten]

Autorin: Jott

Farfanya schmunzelte. Was brachte es ihr, das Stadttor als Mitglied der Nobleza vorrangig passieren zu können, wenn sie dann davor auf Ta'iro warten musste? Nicht dass die Wachen versucht hätten ihren Begleiter aufzuhalten. Aber der Zahori ließ es sich nicht nehmen der jungen Gardistin, die mit ihrem grimmig dreinschauenden Kameraden gerade am Tor ihren Dienst verrichtete, wortreich und überschwänglich für ihren unermüdlichen Einsatz für die Sicherheit der Menschen in dieser wundervollen Stadt zu danken.

Farfanya hatte die Frau noch nie vorher am Tor gesehen. Sie schien ein Neuzugang zu sein. Und sie schien mit der Situation vollkommen überfordert. Man konnte nur hoffen, dass keiner, der in die Stadt wollte, weil er Böses plante, in dem Maße von Rahja gesegnet sein würde, wie es Farfanyas langjähriger Freund war. Die Gardistin würde ihn wohl nicht aufhalten. Egal was er vor hätte.

Was Ta'iro vor hatte, konnte sie sich lebhaft vorstellen.

Farfanya beobachtete die beiden für einen Moment. Die geröteten Wangen der Gardistin ließen sie noch jünger wirken. Oder nur weniger erfahren?

„Sollen wir unseren Weg nun fortsetzten, verehrter Herr Geweihter? Ich dachte ja immer, der Herr Aves wäre der Herr der Reise und nicht des Herumstehens.“

Ta'iro drehte sich grinsend zu ihr. „Nun, meine liebe Domnatella, der Herr Aves vereint viele Aspekte. Das Reisen mag ein wichtiger sein, doch ebenso das Entdecken.“ Hierbei warf er der Gardistin einen kurzen, vielsagenden Blick zu, bevor er sich wieder an Farfanya wandte. „Und – wie ihr wisst – ist er auch der Weber des Schicksals, bestimmt er doch welche unserer Wege sich zu welcher Zeit treffen… der, wie ich finde, bedeutend wichtigere Aspekt. Ihr müsst mir also nachsehen, wenn ich mir die Zeit nehme zu ergründen, weshalb mich Aves ausgerechnet jetzt hier vorbeikommen lässt.“

„Vielleicht damit Ihr ihn kennenlernt?“ Farfanya deutete schelmisch lächelnd zu dem grimmig schauenden Gardisten. Ob er so finster guckte, weil er sich gerade allein um die sich langsam stauenden Karren kümmern musste? Oder hatte er wohl selbst ein Auge auf die junge Frau geworfen?

„Nein, das denke ich nicht. Ihn kenne ich schon… und unter uns, ich glaube er mag mich nicht.“ Ta'iro lachte. Er hatte so laut gesprochen, dass der Mann ihn unmöglich nicht gehört haben konnte. „Aber ich denke, meine Wege werden mich heute Abend wohl wieder hier vorbeiführen, vielleicht kommen wir dann der Lösung etwas näher…“ Er zwinkerte der Gardistin zu, deutete eine Verbeugung an und ritt dann neben Farfanya, wobei er einem mit Eisenerz beladenen Ochsenkarren auswich.

Es herrschte zu dieser Stunde noch rege Geschäftigkeit auf der Via Ferra. Mehrere schwer beladene Karren holperten über das Pflaster in Richtung der Stadt. Ein Botenreiter versuchte sich zwischen den Wagen hindurch einen Weg zu bahnen, um vor ihnen am Tor zu sein.

„Na endlich! Ich dachte schon es wird Abend, bevor du dich losreißen kannst.“ Sie schaute ihn gespielt tadelnd an.

Ta’iro lächelte entschuldigend und zuckte mit den Schultern. „Was soll ich machen? Wenn die Götter es so wollen…“

Farfanya sah ihn skeptisch an. „Glaubst du wirklich, dass Aves wollte, dass du sie kennenlernst?“

Er grinste breit. „Vielleicht, vielleicht auch nicht… aber es klingt gut, oder?“

„Nun, ihr hat es jedenfalls anscheinend gefallen. Sie starrt dir zumindest noch hinterher.“

Ta'iro blickte zurück und schenkte der Frau ein verführerisches Lächeln, während er den Hut zog und erneut eine Verbeugung andeutete. Fanya schüttelte amüsiert den Kopf. Wer hätte gedacht, dass die Frau noch mehr erröten könnte.

Dann schaute sie wieder zu Ta’iro zurück, der mit finsterer Miene den Weg vor ihnen betrachtete. Fanya folgte seinem Blick. Zwischen den Karren näherten sich zwei Reiterinnen. Als sie sie erkannte, konnte sie ein Fluchen nicht unterdrücken.

Warum musste sie von allen Bewohnern Taladurs ausgerechnet auf sie treffen? Farfanya wusste selbst nicht, wie sie die letzten Wochen, seit der Trennung und der erneuten Verlobung Sansovinos durchgestanden hatte. Aber sie hatte sie überstanden. Doch seiner neuen Verlobten hier zu begegnen, war mehr als sie ertragen konnte! Doch gab es keine Möglichkeit mehr ihr auszuweichen, ohne, dass es offensichtlich gewesen wäre.

So blieb Farfanya nur zu warten. Zu warten und gegen die aufsteigenden Tränen anzukämpfen, während die andere immer näher geritten kam.

Farfanya musterte sie abschätzig. Alles an ihr war so durchschnittlich… ihr Aussehen, ihre Haltung, selbst ihr Pferd. Und auch ihre Kleidung… dann stutzte Farfanya. Die Reithandschuhe kannte sie doch! Das waren ihre Handschuhe. Ihre alten Reithandschuhe!

Und mit dieser Erkenntnis erstarb der Drang zu Weinen und es stahl sich ein gehässiges Lächeln auf ihr Gesicht. Zeit sich zu begrüßen! Und sie sprach sie so laut an, dass alle es hören würden.

„Domnatella Blanca, welche Freude, dass der Herr Aves hier und jetzt unsere Wege zusammenführt!“

Farfanya blickte kurz aus den Augenwinkeln zu Ta'iro, der offensichtlich von ihrer Reaktion vollkommen überrascht war. Wahrscheinlich hatte er vermutet sie würde Aves für dieses Treffen zürnen. Oder es für einen Zufall halten… aber diesmal war sich Farfanya sicher, dass es mehr als das war.

Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Blanca zu. Auch sie schien überrascht, wahrscheinlich hatte sie damit gerechnet, dass Farfanya ihren Blick meidend an ihr vorbeireiten würde. Aber da hatte sie sich geirrt!

„Domnatella Farfanya!“, grüßte Blanca zaghaft und wagte es doch tatsächlich sie anzulächeln. Aber das Lächeln würde ihr schon noch vergehen!

„Ich sehe Ihr habt nicht nur Verwendung für meinen abgelegten Verlobten, sondern auch für meine abgelegte Kleidung, Domnatella Blanca. Riechen die Handschuhe noch immer nach Punipan oder überdeckt das der Geruch der Fellachin, der ich sie geschenkt hatte? Hätte ich gewusst, dass Ihr sie wollt, dann hätten wir den Umweg über sie und den Gebrauchtwarenkrämer sparen können. Wollt Ihr vielleicht noch etwas das bisher meins ist… ich hätte noch kaum getragene Unterwäsche, wenn Ihr da Bedarf habt. Kommt doch einfach einmal bei mir vorbei und sucht Euch aus, was Ihr noch wollt. Ich helfe ja immer gerne den Bedürftigen.“

Na bitte, sie hatte die erste Begegnung mit ihr überstanden. Sie gegrüßt, sogar geplaudert. Farfanya lächelte triumphierend.

Domnatella Blancas Lächeln hingegen war schon bei Farfanyas ersten Worten verschwunden und es hatte nicht lange gedauert, bis ihre Tränen liefen. Ohne Farfanya zu antworten, trieb sie ihr Pferd an und ritt schluchzend in Richtung des Tores.

Ihre Begleiterin, eine Cousine Blancas, rief Farfanya ein verärgertes: „Das wird die Familia erfahren!“ zu, während sie ihrem Pferd die Sporen gab, um zu Blanca aufzuschließen.

„Gern!“, rief Farfanya ihr wenig damenhaft laut hinterher. „Wenn es nach mir geht, dann könnt Ihr gerne allen in Taladur von unserer Unterhaltung berichten! Und auch den Grund dafür. Vielleicht haben ja auch die Domnatellas der anderen Familias noch etwas abzugeben.“

Sie würden es nicht erzählen. Sie konnten es nicht. Nicht, wenn sie ihr Gesicht wahren wollte.

Zufrieden lächelnd drehte sich Farfanya wieder zu Ta'iro. „Wollen wir dann?“

Ta'iro blickte sie vorwurfsvoll an. „Das war wirklich gemein, Fanya!“

„Ja, und?!?“, herrschte Farfanya ihn an. „Willst du sie jetzt trösten gehen?“

„Ich will dich trösten.“ Aber Farfanya kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass das nur die halbe Wahrheit war. Er hatte es noch nie ertragen können eine Frau unglücklich zu sehen. Und Blanca war am Boden zerstört gewesen. Aber das war nicht Farfanyas Problem. Und seines sollte es auch nicht sein. Was mischte er sich denn überhaupt ein?

„Von wegen!“ Verärgert trieb sie ihre Stute aus dem Stand in den Galopp. Vollkommen davon überrascht blieb einigen Fellachen auf der Straße vor ihnen nur noch aus dem Weg zu springen.

„Warte!“ Farfanya hörte, wie Ta'iro ihr folgte. Doch auch wenn er ein ausgebildetes Streitross ritt, gegen sie auf Honoria hatte er keine Chance. So preschte sie die Straße entlang und versuchte das Gefühl der Genugtuung, dass ihr kurz vergönnt gewesen war, wieder zu spüren. Sie erinnerte sich an die Tränen auf Blancas Wangen und die Scham in ihrem Blick. Doch das gute Gefühl kam nicht wieder. Stattdessen begann sich ihr Gewissen zu regen. Es schien also zu stimmen, was man munkelte. Dass Blancas Familia in großen finanziellen Problemen steckte.

Die von Taladurs waren am Anfang des Jahrtausends selbst verarmt gewesen. Sie hatten in dieser Zeit immer mehr von ihrem Besitz verpfänden müssen und sogar kurzzeitig ihr Anwesen vor den Toren der Stadt verloren. Aber dann wendeten in Jahre 1020 BF die Götter ihr Schicksal, denn Farfanyas Neffe Rafik stieg zum Kanzler Almadas auf und beendete ihre Notlage.

Farfanya selbst kannte diese Zeit freilich nur aus den Geschichten ihrer älteren Verwandten. Sie selbst war erst geboren worden, als Dom Rafik sich bereits seit 4 Götterläufen in seiner Position behauptet hatte. Doch gerade ihre Cousine Gunivera hatte ihr viel aus dieser Zeit berichtet, so dass sich Farfanya Blancas Lage recht genau ausmalen konnte.

Es musste schrecklich sein, nach außen ständig den Schein wahren zu müssen. Vor allem als junge Domnatella, wo alle ständig untereinander um die schönsten Schmuckstucke, die ausgefallensten Kleider, die rauschensten Feste konkurrierten…

Mitleid? Verflucht!

Als sie an den Weg kamen, der von der Eisenstraße zur Casa Antigua führte, ließ Farfanya ihre Stute in Schritt fallen, so dass Ta'iro sie schließlich einholte.

„Sie hat es verdient!“, sagte sie leise. Doch auch in ihren Ohren klang es nicht wirklich überzeugt.

Ta'iro sah sie nachdenklich an. „Meinst du nicht, sie hat es von allen Beteiligten am wenigsten verdient?“

Farfanya warf ihm einen bösen Blick zu. „Ich habe also eher verdient, was sie mir angetan haben?“

„Du weißt, dass ich das nicht meine! Aber ich glaube nicht, dass man sie gefragt hat, ob sie das möchte.“

Natürlich hatte man das nicht, das taten sie nie. Warum auch, wen kümmerte es, wenn die Verbindung der Familia nutzte. Aber darum ging es nicht. „Warum sollte sie es nicht wollen? Er ist immerhin der Mundillo einer der wichtigsten Familien Taladurs.“

Ta’iro lächelte. „Wer würde schon gerne die Lücke schließen müssen, die du hinterlässt? Sie wird sich immer fragen, ob sie ihm ausreicht. Ob er es bedauert. Ob er es rückgängig machen wollen würde, wenn er es könnte.“

Farfanya seufzte und schwieg dann für eine Weile. „Ich will nicht so sein, Ta'iro! Wirklich nicht. Aber ich kann nicht anders… er hat sie angelächelt, als ihre Verlobung bekannt gegeben wurde. Wie kann er nicht einmal drei Monate nachdem er mir noch seine Liebe geschworen hatte eine andere anlächeln?“ Diese Frage hatte sie sich schon so oft gestellt in den letzten Tagen. „Wieso hat er nicht einmal versucht sich gegen sie zu stellen?“

„Hättest du denn mit deiner Familie gebrochen?“ „Nein, natürlich nicht. Aber darum geht es ja auch gar nicht. Er hätte es wollen müssen.“ Ta'iro lächelte sie traurig an. Er teilte ein ähnliches Schicksal. Nur dass er damals nicht nur seine Liebe, sondern darüber hinaus mit ihr seine gesamte Familie verloren hatte.

Sie ritten einige Zeit schweigend nebeneinander.

Farfanya war froh, dass er noch hier war. Sie wusste nicht, wie sie die letzten Wochen ohne ihn durchgestanden hätte.

Er schaffte es fast immer sie abzulenken, zumindest für die Zeit, die er bei ihr war. Glücklicherweise hatte ihre Mutter ihr in den letzten Wochen mehr Freiheiten gelassen, wohl um sie aufzumuntern. So hatte sie viel Zeit mit ihm verbringen können, ohne dass sie es bemerkt hätte.

Aber das würde nun bald ein Ende finden.

„Bitte geh nicht.“ Sie hatte es nicht sagen wollen. Ihn nicht vor eine Wahl stellen wollen, die für ihn keine war. Aber nun, da der Abschied näher kam…

„Ich kann nicht für immer bleiben, Fanya.“ Seine Stimme klang entschuldigend. Doch sie wusste, sie würde ihn nicht hier halten können. Schon vor der Weihe musste er nach einiger Zeit immer wieder weiterziehen. Es lag ihm im Blute.

„Dann nimm mich mit.“ Ihre Stimme klang flehender, als ihr lieb war.

„Das würde dir deine Mutter doch niemals erlauben. Schon gar nicht mit mir!“

Er hatte nicht abgelehnt. Immerhin ein kleiner Funken Hoffnung. „Aber du würdest mich mitnehmen, wenn ich sie überzeugte?“

Er lächelte. „Ich würde dich bis ans Ende der Welt mitnehmen, Fanya.“