Chronik.Ereignis1032 Der Zenit des Mondes 04
Baronie Artésa, Rahja 1032 BF[Quelltext bearbeiten]
Auf Castillo Fels[Quelltext bearbeiten]
Autor: Lindholz
Eine Dämmereule glitt durch den noch von Zwielicht erhellten Himmel. Der Talboden war warm vom Licht der Sonne, die gerade erst mit ihren letzten rotgoldenen Strahlen, die sich noch in den Wolken spiegelten, hinter dem Horizont versunken war. So schraubte sich der Raubvogel ohne Schwierigkeit hoch über das Tal, dessen rote Felsen für den nächtlichen Jäger noch klar zu erkennen waren. Er genoss den warmen Wind unter seinen prächtigen, mit dunklem Braun gesprenkelten beigen Schwingen und wandte den Kopf mit den von einem herzförmigen Kranz weißer Federn umgebenden schwarzen Augen im schier unmöglichen Winkel, um nach Beute Ausschau zu halten.
Wenn die Namen der Dinge unter ihm dem edlen Tier bekannt und von Bedeutung gewesen wären, hätte er dort im Talgrund den kleinen Ort Fels mit seiner Ansammlung aus Häusern beschreiben können, die sich am Fuß eines fast dreißig Schritt hohen Brocken aus rotem Granit scharten. Die Lücken zwischen den fensterlosen Außenwänden der am Ortsrand befindlichen Gebäude waren durch massive Mauern verbunden. Als wäre die Ortschaft selbst schon Teil des Castillos, welches man über eine schmale Serpentinenstraße erreichen konnte, die sich den Felsen hinauf schlängelte.
Dort auf der Burg wurden Fackeln im vorderen Hof entzündet, die den Eingang zum Hauptgebäude beleuchteten, welches sich an der Südseite des sandigen Platzes befand. An den anderen Seiten schlossen sich die Wirtschaftsgebäude, Wohnstätten für Soldaten und Dienerschaft, der kleine Rondratempel mit seinem auffällig spitzgiebeligen Dach und dem niedrigen Glockentürmchen sowie die Stallungen an.
Weiter wanderte der Blick des Vogels über den zweiten Hof. Von hier drang der goldenen Glanz des Lichts aus den umgebenden Fenstern, welches sich auf einer sich leicht in der Abendbrise bewegenden Wasseroberfläche widerspiegelte, an seine empfindlichen Augen. Der Frühjahrsregen von den mit tiefroten Schindeln gedeckten Dächern der umgebenden Gebäude, die Gästezimmer und die Gemächer der Familie des Burgherren beherbergen, sammelte sich dort und füllte das kleine Zierbecken meist über den gesamten Sommer.
In der hinteren südöstlichen Ecke des von Arkaden umgebenen Hofes, dort, wo eine Treppe den großen Turm der Festung hinaufführte, der zum ältesten Teil der Anlage gehörte, stand eine gedrungene Linde. Ein uralter Baum, dessen Stamm schon auseinander gebrochen war, dessen Wurzeln sich aber immer noch mit seinem jahrhundertealten Lebenswillen in die dünne Erdschicht und das darunter liegende Gestein bohrten.
Allerdings fand die Dämmereule nicht, wonach sie suchte. Weiter glitt sie nach Norden, folgte dem hellen Band der Straße und senkte sich schließlich tiefer herab, als sie den Feldhamster entdeckte, der, aufgeschreckt durch eine vorbeifahrende Kutsche durch das hohe Gras huschte. Nur noch wenige seiner winzigen Schritte trennten ihn von einer Ansammlung niedriger Büsche, die das Weideland von einem Acker trennten, als der Greifvogel, die weit geöffneten Krallen voran hinabstieß. Für einen Moment waren nur die Spitzen der mächtigen Schwingen zu sehen, fast weiß schienen sie im Licht des Madamals, welches nun die letzten Reste des Sonnenscheins endgültig verdrängt hatte.
Dann erhob sich die Eule wieder, schwang sich mit wenigen kräftigen Flügelschlägen wieder hinauf, ließ das hohe grüne Gras, in dem sich die geschlossenen Blütenköpfe von rotem Mohn, blauen Kornblumen und weißer Kamille unter dem Luftzug niederneigten, hinter sich. Die schmackhafte Beute in der linken Klaue glitt der Vogel noch einige Schritt über die Wiesen. Dann richtete er die Schwingen leicht nach oben aus, sodass sich der Wind unter ihnen sammelte und ihn einen kleinen Schwung nach oben versetzte, sodass er sich sicher auf dem Ast eines knorrigen Olivenbaumes niederlassen konnte. Bevor die Dämmereule sich ihr Mahl schmecken ließ, wandte sie noch einmal, mit leicht geöffneten Schnabel, den Kopf in Richtung der Kutsche, die inzwischen den Ort erreicht hatte.
Das von kräftigen Rappen gezogene Gefährt, passierte den Platz in der Mitte des Ortes und wendete dort leicht nach rechts, um sich kurz darauf die zahlreichen Serpentinen hinaufzuwinden. Oben wurde der Mehrspänner bereits erwartet. Im flackernden Schein der Fackeln stand Nicetos von Lindholz bereit, den letzten erwarteten Gast zu empfangen. Der Edle verbeugte sich ehrerbietig, als Zuniga von Rebenthal die linke Stiefelette aus feinem schwarzem Leder auf den sandigen Grund setzte. "Im Namen meines Vaters möchte ich Euch herzlich auf Burg Fels willkommen heißen Domna Zuniga. Wir sind Euch zutiefts dankbar, dass Ihr uns mit Eurer Anwesenheit beehrt und hoffen, dass Eure Reise angenehm war." Er führte die Hand der einstmals als schönsten Edelfrau des Königreiches bezeichneten Dame an die Lippen.
"Alles andere als das", erwiderte die inzwischen über Sechzigjährige bitter. "Aber wenn es den Preis wert ist, bin ich bereit Umstände auf mich zu nehmen."
Lächelnd senkte Nicetos noch einmal kurz den Kopf, bevor er sie über die vier Stufen einer steinernen Treppe in das in hellem Ocker getünchtem Hauptgebäude geleitete. "Wenn Ihr mich in den Speisesaal begleiten wollt, Euer Wohlgeboren, die anderen befinden sich bereits dort, um das Abendessen einzunehmen. Es wird sie sicherlich freuen zu erfahren, dass es Euch möglich war, noch rechtzeitig hier einzutreffen, um dieses Mahl mit uns zu teilen."
Gemeinsam betraten sie die Empfangshalle. Der Edle führte seine Begleitung über den in grün und weiß, den Farben der Familia Lindholz, gehaltenen Teppich die massive Steintreppe an der rechten Seite hinauf, die sich oben zu einer u-förmig verlaufenden Galerie öffnete und trat, die ehemalige Junkerin von Sherbeth an seiner Seite durch eine doppelflügelige Tür aus Nussbaumholz in den kleinen Speisesaal, der im Gegensatz zu dem großen Festsaal im Erdgeschoss für informellere Gesellschaften und für Treffen mit weniger Teilnehmern geeignet war.
Die bereits Anwesenden erhoben sich beim Eintreten von Domna Zuniga von Rebenthal: Sarebun von Lindholz und seine Tochter Ahumeda, Gerone vom Berg sowie Escalio d'Artésa, dessen freundliche Begrüßung die Edelfrau nur mit Überwindung zu erwidern schien – im Gegensatz zu der von Dom Escalios wohlbeleibten Onkel Portano.
Ursprünglich war der zwölfseitige Raum, in dem sich die Adligen versammelt hatten, ein Gebetsraum der damals noch kleineren Anlage gewesen und noch heute zierten Bilder der Gigantenschlacht die Wände und die niedrige Kreuzkuppel. Nachträglich war ein Kamin mit einem prächtig verzierten Sims eingefügt und zur Seite des Innenhofs, den die Junkerin und Dom Nicetos gerade erst verlassen hatten, war die Wand an fünf Seiten durchbrochen und farbige Butzenscheibenfenster eingelassen worden.
Der massive Holztisch im kleinen Speisesaal war rund. Auf diese Weise vermied man Fragen der Sitzordnung. Dom Sarebun hoffte dadurch eine angenehme Atmosphäre zu erzeugen, hatte damit jedoch nur zum Teil Erfolg. Die Anspannung zwischen der ehemaligen Herrin von Sherbeth und dem Baron von Artésa war nicht zu leugnen. Dennoch wurde das Gespräch bei gutem Wein, Gazpacho, Wildbret, Früchten, Almendrados und Turrón schließlich flüssiger. Man unterhielt sich über die Pferdezucht, den Weinanbau und der schon etwas weinselige Dom Portano steuerte die eine oder andere Anekdote bei, bis schließlich das Diener die Reste des Mahls abgetragen hatten und sich auf Wunsch der Hausherrin Ahumeda zurückzogen.
Daraufhin erhob sich Dom Sarebun erneut, nachdem er sich selbst aus dem silbernen Krug von dem fruchtigen Rotwein genommen hatte. Für einen Augenblick schien er sich konzentrieren zu müssen, um nicht zu schwanken, hielt die altersfleckige Hand an der Tischkante fest, doch als er den Blick über die anwesenden Gäste schweifen ließ, war Entschlossenheit in seinen Augen zu sehen und mit klarer, sonorer Stimme wandte er sich an die versammelten Adligen: "Noch einmal möchte ich Euch danken, dass ihr meiner Einladung gefolgt und bereit seid, hier über die schwierigen Sachverhalte zu diskutieren, die unser geliebtes Almada zur Zeit bewegen. Sicherlich ist zu Euch allen schon längst die Nachricht von den Forderungen Ihrer Königlichen Hoheit Rohaja durchgedrungen. Nachdem sich die Kirchen nicht eindeutig zwischen den Thronansprüchen der beiden Sprosse der Kaiserfamilie entscheiden konnten oder wollten, hat sie sich nun entschlossen, die Entscheidung an uns, den almadanischen Adel, durch göttliche Gnade Behüter und Führer des Volkes, zu übertragen. Noch einmal gibt sie uns Gelegenheit, ihr die Lehnstreue zu schwören und uns von Seiner Kaiserlichen Hoheit Hal Secundus zu distanzieren.
Ich muss zugeben, dass auch ich lieber einen Mann auf dem almadanischen Königsthron sehen würde und ich zu Anfang gerne hingenommen habe, dass Seine Königliche Hoheit Selindian die Eslamskrone auf seinem Haupte trägt. Schien er doch eher uns Almadaner zu schätzen und uns die Stellung zuzugestehen, die dem reichsten und prächtigsten Fürstentum in unserem Kaiserreich zusteht. Doch rührten sich in mir auch Zweifel, ob Seine Kaiserliche Majestät nicht in seiner Weisheit etwas vorausgesehen hat, was uns verschlossen war. Die jetzige Regierung hat mit ihren Entscheidungen viel Leid über unser Volk gebracht, unsere Nachbarn brüskiert und Ämter auf eine Weise verteilt, die nicht... angemessen erscheint. Ob dies alles auf ausdrücklichen Wunsch Seiner Kaiserlichen Hoheit geschah, ist hierbei unerheblich, denn ein Herrscher muss sich auch an jenen messen lassen können, die sein Vertrauen genießen und in seinem Namen handeln.
Auf der anderen Seite sollten wir nicht vergessen, wie leicht einen diese Gedanken und die Taten, die daraus erwachsen könnten, an etwas heranführen, was mancher als Verrat bezeichnen würde. Es gälte zu prüfen, in wieweit dieser Vorwurf gerechtfertigt wäre. Außerdem lässt die Forderungen Ihrer Kaiserlichen Hoheit Rohaja einen Bürgerkrieg fast unausweichlich erscheinen und darunter würde besonders, gerade wenn wir uneins sind, der almadanische Adel geschwächt werden. Eine Gelegenheit auf die ein gewisser Herzog wohl nur wartet. Auch werden selbst diejenigen, die sich zur Unterstützung der Ansprüche der Schwester von Hal Secundus entschließen sollten, ihren Anteil an den Reparationszahlungen an die Horas aufbringen müssen, sollte Ihre Kaiserliche Hoheit Rohaja ihre Ansprüche durchsetzen können. Trotzdem drängt es mich, dem letzten Willen unseres verehrten Reichsbehüters Brin nachzukommen, bin jedoch, verehrte Domnas y Doms, uneins mit mir, welches Vorgehen das beste wäre und möchte gerne Euren Rat erbitten in der Hoffnung, dass wir unsere Ansinnen zusammenführen und einen gemeinsamen Pfad beschreiten können."
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