Chronik.Ereignis1028 Das Duell in der Dämonenbrache

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Kaisermark Gareth, 4. Travia 1028 BF[Quelltext bearbeiten]

Auf den Silkwiesen[Quelltext bearbeiten]

Autoren: Karli, León de Vivar

Der Wind blies kräftig aus Firun an diesem Tag der Helden und veranlasste León de Vivar und Amaro von Viryamun, die auf ihren edlen Rössern über die Reste der Reichsstraße II jagten, dazu, ihre Caldabreser mit festem Griff zu umklammern. Während der gesamten Reise waren beide Reiter ausnehmend wortkarg gewesen und seit einem Tag sprachen sie überhaupt nicht mehr. Es gab auch nichts mehr zu besprechen. Dom León plagten schwere Sorgen und Ängste und Dom Amaro hatte keine Ahnung, wie er seinen Freund die düsteren Gedanken für einen Moment vergessen machen sollte. Denn dieser ritt zu einem Duell mit Danilo Caerdonnati, dem Baron von Cres – und damit in den sicheren Tod. Zumal der Veranstaltungsort recht verwegen gewählt war: gerade in der verfluchten Dämonenbrache sollte das Treffen stattfinden.

Innerlich verwünschte Dom León, der schon viel erlebt hatte, seine Naivität, mit der er damals auf der Versammlung der Landstände auf die Provokation des Barons eine Satisfaktionsforderung hatte folgen lassen und die Halsstarrigkeit, mit der er diesen immer wieder an das ausstehende Treffen erinnert hatte. Hatte er wirklich geglaubt, gegen Danilo von Cres, den Mitbegründer der Loyalistisch Almadanischen Wehr, den mehrmaligen Sieger auf den Silkwiesen, den großen Schlachtenbummler, Frauenheld und ewigen Weltenwanderer, gegen diesen Volkshelden Almadas, bestehen zu können? Oder hatte er darüber damals einfach nicht nachgedacht? Er horchte in sich hinein und stellte fest, dass er auch jetzt so gehandelt hätte – bei der Ehre gab es nichts zu überlegen. Sie war wichtiger als das Leben. So hatte man es ihn zumindest stets gelehrt. Nun, als der Tag gekommen schien, da er – sollte nicht Firun die Pfeile des Cresers ablenken und Tsa die Dämonenbrache in eine harmlose Blumenwiese verwandeln – unweigerlich sterben oder Schlimmeres erleiden würde, wurde ihm erst bewusst, wie sehr er an seinem Leben hing…

Mittlerweile war die kleine Ortschaft Silkwiesen vor ihnen aufgetaucht. In den letzten Monden hatte sie viel unter durchziehenden Söldlingen, Kaiserlichen und anderen Plünderern leiden müssen, so dass die einstmals durch die Lage an der Reichstraße wohlhabenden Dörfler nun ihr Schicksal verfluchten. Die einstmals schmuck herausgeputzten Häuschen sahen nun nach Armut, Schäbigkeit und Ungastlichkeit aus. Fensterläden fehlten, Türen waren eingetreten und Umzäunungen eingerissen. Auf der Straße war niemand zu sehen; das ganze Dorf wirkte wie ausgestorben. Nur einige Ziegen und Hühner streunten umher.

Verwundert blickten die beiden Almadaner einander an und ritten zur Dorfschänke. Dom Amaro sprang von seinem Falben und trat ein, während Dom León auf seinem Shadif sitzen blieb.

Auch das Innere der Schänke war total verwüstet. Zerbrochene Tische und Stühle, herab gerissene Vorhänge, zerschlagene Fässer und zerrissene Säcke, vermengt mit Tonscherben und Erbrochenem, deuteten unzweifelhaft darauf hin, dass hier vor kurzem noch ein Haufen Bewaffneter gehaust hatte. Die Hand am Säbel schritt der Viryamuner Caballero, der Mann aus dem Tosch Mur, vorsichtig durch den Schankraum und blickte sich um. Plötzlich vernahm er von der Stirnwand der Stube ein Rumpeln und danach einen leisen Fluch.

Kurz darauf tauchte ein beleibter Mann, allem Anschein nach der Wirt, hinter der Theke auf und starrte den Gast entsetzt an. Er versuchte, die Tür zu erreichen, doch schon hatte der Caballero ihn gepackt und schleppte ihn zu dem sorgsam um sich blickenden Dom León.

„Was hat Er hinter der Theke verloren, Kerl?“, heischte er ihn dann nicht gerade freundlich an.

Der Wirt, ein blauäugiger Blondschopf mit pausbäckigem Gesicht und schief stehenden Zähnen, erwiderte angesichts der unangenehmen Situation furchtsam: „Das… das ist mein Arbeitsplatz, Herr.“

„Auf dem Boden?“

„Äh… ich hielt mich versteckt, Herr.“

„Potzdonner, weshalb denn? Wenn Er wirklich der Wirt ist, so sollte Er Gäste doch begrüßen und sich nicht vor ihnen verkriechen!“

„Verzeiht, aber ich… ich hielt Euch f-für Plünderer…“, stammelte der Herrscher der Theke.

„Uns? Hör Er mal, impertinenter Tischputzer, ich bin Caballero Amaro von Viryamun und das ist Junker León de Vivar! Sehen wir etwa aus wie gemeine Plünderer?“, echauffierte sich Dom Amaro und wies auf seine edle Gewandung.

„N-nein, nein“, beeilte sich der immer noch mit dem Säbel bedrohte Schankwirt zu sagen, „natürlich nicht. Aber man kann ja nie wissen, Edler Herr… Erst vor zwei Wochen waren einige Kaiserliche da, die alles, was von Wert war, mitnahmen. Und vor drei Tagen kamen einige graugewandete Kerle, die schlugen alles kurz und klein, weil sie fast nichts mehr fanden.“

Dom Amaro blickte seinen Gefährten bedeutungsvoll an, denn die desolate Situation des Reiches war eines der wenigen Gesprächthemen auf der Reise gewesen. Dieser hatte weiterhin wachsam die Häuser betrachtet.

Ein oder zwei Gesichter hatten sich gezeigt, waren aber beim Anblick der beiden Berittenen sofort wieder verschwunden.

„Wo sind die anderen Dörfler?“, fragte der Waldwachter weiter.

„Verstecken sich in ihren Häusern oder sind am Rande der Brache, Edler Herr.“

„Am Rande der Brache?“

„Wenn ich’s doch sag’, Edler Herr!“

„Was in drei Dämonen Namen treiben sie denn dorten?“, mischte sich nun der Vivar von seinem Pferd aus ein.

„Der berühmte Danilo von Cres hat dort ein Lager aufgeschlagen und da sind einige gegangen, zu schauen, was es gibt. Früher war er auch schon mal hier und hat mit dem König Brin zusammen die Orks getötet. Er ist nämlich ein echter Held!“, leuchteten die Augen des Wirtes auf. „Und er will ‚einen echten Puniner Hornochsen vorführen’. Hat einer seiner Diener gesagt!“

Der junge Viryamuner blickte besorgt zu seinem Begleiter, dessen schönes Antlitz sich merklich verfinsterte.

„Und ich bin bloß schnell nach Haus’“, plapperte der Wirt, nun recht lebhaft, weiter, „weil ich nach meinem kranken Weib sehen musste und da habe ich Reiter gehört und verbarg mich hinter der Theke.“

Grimmig sprach Dom León, das Gerede des Wirts nicht weiter beachtend: „Also erwartet man uns bereits. Komm, Amaro! Dies Dorf ist weiterer Beachtung nicht wert.“

Dom Amaro steckte die Waffe wieder ein, sprang auf sein Ross und eilte dem Vivar hinterher, welcher voll Furcht und Zorn bereits losgeprescht war.

Eine knappe Meile efferdwärts der letzten Häuser fanden sie ein kleines Grüppchen von etwa 30 Einwohnern Silkwiesens. Die schlichten Leute hielten respektvollen Abstand zu dem düsteren Wald, welcher sich wie ein Band von undefinierbar grauenvoller Farbe gen Firun und Praios erstreckte. Allerdings mochte es auch möglich sein, dass sie diesen Respekt dem großen Tross an Mannen und Rössern erwiesen, der sich zwischen ihnen und der Brache positioniert hatte.

Der Anblick war wahrlich beeindruckend. Etwa ein halbes Dutzend gepanzerte Krieger in Nordmärker Farben (und altmodisch mit Schild, Schwert und Lanze bewaffnet) bildete den Rahmen für ein malerisches Ensemble von Edelleuten, bewaffneten Knechten und Lakaien, das an diesem Ort jedoch reichlich deplaziert wirkte. Im Zentrum stand ein mit deftigen Speisen und erlesenen Weinen beladener Tisch, der wohl mit dem dahinter stehenden Pferdewagen hertransportiert worden war. Auf die Plane war das Creser Wappen, eine rote Raubvogelkralle im silbernen Schild auf blauem Grund, aufgemalt. Auf klappbaren Sesseln saßen Dom Rondrigo de Braast, ein junger Mann mit deutlich südländischen Zügen sowie Danilo von Cres selbst. Dieser trug die schlichte, bereits etwas abgenutzte Gewandung eines elfischen Jägers. Am Gürtel trug er ein wunderschönes Schwert, für das so mancher wohl ein Dutzend Yaquirtaler gegeben hätte.

Man schien höflich zu parlieren und vom Wein zu kosten; sich gar zu amüsieren. Einige Dienstboten standen bereit, um nachzufüllen oder andere Wünsche zu erfüllen, während die Nordmärker Streiter dazu beitrugen, dass die Edlen ungestört von allzu neugierigen Silkwiesenern blieben. Der soeben noch so zornige Dom León wusste bei diesem seltsamen Anblick nicht, ob das Drücken in seinem Bauch vom Anblick des Elfenbarons, den er schnell erkannte, oder vom Gedanken an die Schauermärchen, die er über die Brache der Dämonen schon gehört hatte, herrührte.

Je näher sie ritten, desto weiter zog das Drücken vom Magen bis in seine Kehle hinauf, bis er unwillkürlich nach Luft schnappte. Als sie schließlich bei der Gesellschaft angekommen waren, wusste er, was ihm so auf den Magen schlug:

Etwas abseits stand ein fensterloser Wagen, der das zerbrochene Rad des Totengottes trug. Auf schwarzen Rössern saßen vier Reiter in blinkender Rüstung. Ihre silbrig glänzenden Morione waren mit schwarzen Federn geschmückt.

Der Vivar verstand sofort, dass dies eine Totengarde samt Leichenwagen war – sein Leichenwagen. „Wie zuvorkommend“, zischte er.

Inzwischen hatte sich Dom Danilo erhoben und zwei Reitknechten befohlen, den Ankommenden von ihren Pferden zu helfen. Dann ging er einige Schritte auf sie zu und sprach mit ruhiger Stimme: „Dom León, Ihr verzeiht gewiss, dass wir mit dem Wein nicht auf Euch gewartet haben. Aber meine Begleiter hatten einen solchen Durst und er war gerade wohltemperiert… Ich freue mich, dass Ihr es einrichten konntet, zu kommen. Ich hoffe, Eure Schwester ist wohlauf?“

„Ihr… habt mich an d-diesen Ort herbestellt, D-dom Danilo“, stammelte der Angesprochene, verwirrt über die Höflichkeit. Unter der sonnengebräunten Haut war er bleich geworden.

„Gewiss, gewiss… Ihr wollt die Angelegenheit so kurz wie möglich machen. Doch bitte ich Euch, es nicht allzu eilig zu nehmen. Ich möchte nicht als unhöflicher Gastgeber erscheinen.“ Als ob man sich zu einem gemütlichen Plausch und nicht zu einem tödlichen Duell verabredet hätte, wandte er sich dann Dom Amaro zu, um seinen alten Schüler aufs Herzlichste zu umarmen. Er erkundigte sich lebhaft nach seinem Befinden, wie er sich mit dem alten Viryamun vertrüge und ob er auch seine wöchentlichen Übungen im Schattenkampf mache. Als der junge Mann lächelnd alles zu seiner Zufriedenheit beantworten konnte, nickte der Elf zufrieden und klopfte ihm auf die Schulter. Dann schien ihm plötzlich etwas einzufallen. Beiläufig fragte er: „Darfst du eigentlich angesichts unserer Vergangenheit Secundant meines Opponenten sein?“

Schlagartig wurde Dom Amaro ernst. „Angesichts meiner Vergangenheit mit León kann ich ihm den Wunsch nicht abschlagen“, erwiderte er.

„Hm“, machte Dom Danilo. Dann sagte er: „Finde das bei Gelegenheit heraus und berichte es mir. Wir wollen ja nicht durch schlechtes Benehmen ins Gerede kommen. Dom León“, wandte er sich wieder an diesen, „ich darf vorstellen: seine Hochgeboren, den Baron zu Kyndoch, Linnart Djaset von Halberg, der mit seinen Kriegern gekommen ist, um… dem Schauspiel beizuwohnen.“ Er wies auf den jungen Südländer, der aufstand und sich verneigte. „Dom Linnart, seine Wohlgeboren, León Dhachmani de Vivar, Junker von Vivar. Mein Kontrahent für den heutigen Tag. Dom Rondrigo de Braast, mein Secundant, ist Euch beiden ja bekannt. Doch nun – lasst uns speisen! Mein Koch hat sich solche Mühe gegeben…“

Diener rückten eilfertig Stühle zurecht, so dass die beiden Gäste sich setzen konnten.

Zu Dom Amaros Erstaunen und Dom Leóns stillem Grauen war der Creser selbst in unmittelbarer Nähe der verfluchten Brache ein vollendeter Gastgeber. Zuvorkommend erklärte er die Speisenfolge, pries diese Rebe und wies auf die Eigenheiten jenes Tropfens hin, erkundigte sich bei Dom Amaro nach dem Ritt und erging sich in Erinnerungen an die erste Silkwiesenschlacht, die jenseits des Dorfes stattgefunden hatte. Während er vom Tode der Baronin Dythlinde von Valpokrug berichtete, mischte sich ein Hauch Wehmut in seine Stimme.

Baron Linnart und die beiden jungen Sekundanten lauschten gebannt und nahmen sich derweil reichlich vom Braten; auch dem Wein sprachen sie zu. Die Stimmung war auf skurrile Weise heiter und unbeschwert.

Allein der weit gereiste Dom León brachte keinen Bissen hinunter. Immer wieder wandte er den Blick furchtsam auf das nahe Dämonengebiet. Fünf Schritt vor den Bäumen war der Boden bereits braun und tot. Er begann unwillkürlich zu frösteln und schüttelte sich. Die uralten Riesen schienen mit ihren Ästen und Wurzeln nach ihm zu greifen, ihn hinein ziehen zu wollen. Voll angewiderten Entsetzens sog er die faulig riechende Luft ein. Wie eine Mischung aus Aas, Schwefel und verbranntem Holz. Rochen die anderen das nicht? Das war der Hauch des Todes, der ihn umwehte…

„Nicht wahr, Herr von Vivar?“, hörte er plötzlich eine Stimme. Der Baron von Cres blickte ihn durch seine undurchdringlichen Elfenaugen mit schief gelegtem Kopf an.

„W-was?“, fragte der Angesprochene verdattert und wandte den Kopf wieder den Anderen zu.

„Ihr wollt das Ganze gewiss nicht weiter in die Länge ziehen, oder?“

„N-nein, gewiss nicht.“ Wieder sah er zur Brache hinüber. Seine Augen weiteten sich entsetzt, als ihm der Wald stumm entgegen zu schreien schien.

„Nun, so sei es“, sprach Dom Danilo. „Secundanten, waltet Eures Amtes!“

Während Dom Amaro und Dom Rondrigo nun mit ernster Miene die Köpfe zusammen steckten, um die Formalitäten zu besprechen, stand der Elf von seinem Sessel auf und ließ sich von einem Bedienten den Schwertgurt mit der kostbaren Klinge abnehmen. Dom Rondrigo sollte die Waffe aufbewahren – „bis zu meiner Rückkehr“, wie er sagte. Dom Danilo nahm daraufhin seinen wohlgeformten Bogen – er hatte ihm schon teure Dienste geleistet – aus einer dargereichten Lederhülle und begann genüsslich, ihn zu spannen. Wie eine dünne Weidenrute bog sich das Holz unter seinen Händen. Als er sein Werk beendet hatte, schlug er die Sehne des Bogens wie die Saite einer Laute an. Sie sang einen feinen, hohen und klaren Ton. Dann trat er an den Sessel des Junkers von Vivar heran. „Habt Ihr bereits Eure Gebete gesprochen?“, fragte er, unschuldig auf seiner Sehne ein Kinderlied zupfend.

Statt einer Antwort erhob sich Dom León, der das Tulamidenland bereist hatte, ging zu seinem Pferd und griff mit zittriger Hand nach seinem aus dunkler Eibe gefertigten Bogen; sein Compadre Torquato hatte ihn ihm geschenkt. Auch er mühte sich, den edlen Kopf gesenkt, um dem Elfen nicht in die Augen sehen zu müssen, eine Sehne auf das prächtige Werkstück der Noiona Abendwind zu spannen. Doch erst beim dritten Mal gelang es ihm. Nun traten auch die beiden Sekundanten hinzu. Mit belegter Stimme verkündete Dom Rondrigo den Darstellern und dem versammelten Publikum die Spielregeln: „Beide Duellanten betreten an dieser Stelle die, äh, Dämonenbrache. Die einzige erlaubte Waffe ist der Bogen, zu dem so viele Pfeile mitgenommen werden dürfen, wie in einen Köcher passen. Dom León zu meiner Linken wird dann etwa 2.000 Schritt gen Südosten marschieren, Dom Danilo etwa 2.000 Schritt gen Nordosten. Ab dann gilt: wer im Morgengrauen, nicht eher, an dieser Stelle heraustritt, soll der Sieger sein. Sind die Kontrahenten mit den Bedingungen einverstanden?“

Dom León nickte, brachte aber aufgrund einer plötzlichen Trockenheit in seinem Mund keinen Ton heraus. Er legte sein Degengehänge ab und griff nach dem Köcher voller geschäfteter Pfeile.

Dagegen lächelte der Creser nur: „Da ich die Bedingungen gestellt habe, kann ich kaum etwas gegen sie einzuwenden –“ Er unterbrach sich, als bei den versammelten Silkwiesenern plötzlich lautes Geschrei ausbrach.

„Die Grauen Reiter! Die Grauen Reiter! Sie sind zurück! Herr Baron, zu Hülf! Gute Götter!“ So schrieen sie panisch durcheinander, während sie auf eine sich dem Dorf geschwind nähernde Staubwolke deuteten.

„Nirgendwo ist man in privatim“, seufzte der Herr von Cres. „Rondrigo – mein Schwert. Alle Mann aufsitzen! Wir müssen uns zuerst um diese Angelegenheit kümmern, bevor wir fortfahren.“

Dom Rondrigo nickte, legte dem Creser den Waffengurt wieder um und bestieg dann sein Ross.

Währenddessen saßen die Gepanzerten auf und auch die vier Ehrengardisten des Leichenwagens machten sich bereit, der Staubwolke entgegen zu preschen. Die Dorfbewohner stoben in heller Aufregung auseinander oder drückten sich furchtsam aneinander, denn sie wussten, dass sie den Marodeuren nicht gewachsen waren. Schließlich waren auch Hilfeschreie aus Silkwiesen selbst zu vernehmen.

„Amaro, mit wie vielen haben wir es zu tun?“, fragte Dom Danilo routiniert, während er seinen Bogen erneut singen ließ.

„Aufgrund der Größe und Geschwindigkeit der Staubwolke würde ich eine Zahl Reiter zwischen 10 und 15 Mann vermuten!“, rief dieser, angestrengt auf die soeben im Dorf verschwundene Staubwolke starrend.

„Du hast schön geübt“, lobte ihn der Herr von Cres. „Rittermeister, was schlagt Ihr vor?“

Rondrigo stand plötzlich etwas aufrechter. „Voltan und Rahjalieb mit den Reitern Hochgeboren Linnarts als Voltan, Comandante“, antwortete er zackig.

„Einverstanden, Rondrigo“, stimmte der Herr von Cres den seltsamen Worten sogleich zu. Dann übersetzte er ihren Sinn für alle anderen: „Ich, Amaro, Rondrigo und meine Reiter werden ihnen von Praios entgegen kommen. Linnart, wenn du ihnen mit deinen Lanzern von der anderen Seite kommen könntest?“

Der junge Kyndocher nickte zum Einverständnis und die 14 Reiter, eingeübt in solchen Manövern, setzten sich geschwind in Bewegung und ließen inmitten der Dienerschaft den jungen León de Vivar zurück.

Dieser, der soeben noch wie Espenlaub gezittert hatte, fühlte, wie er plötzlich angesichts der neuen Situation wieder an Kraft gewann. Da war eine Aufgabe, die er vor seinem Tode noch erfüllen konnte – eine sinnvolle, heldenhafte Aufgabe. Er erinnerte sich des Wirtes, der mit einem Leuchten in den Augen von des Cresers Heldentaten gesprochen hatte. ‚Ich will auch ein Held für die Silkwiesener sein’, dachte er, ‚wenn ich schon sterbe, dann wenigstens nicht als zitterndes Nervenbündel. Das bin ich meiner Ehre schuldig’ Den Degen umzuhängen und aufs Pferd zu springen, war eins.

„Yallah, Mulaika“, beugte er sich über den Hals der Stute. „Wir werden es ihnen schon zeigen!“

Wie der Wirbelwind jagte der Vivar auf seiner Stute dem Dorf entgegen. Während die anderen sich teilten und dem firun- und praioswärtigen Eingang Silkwiesens zueilten, ritt er schnurstracks auf die Dorfmitte zu. Über Felder und durch Gärten donnerte er, zwischen Bauernhäusern hindurch und auf die Reichsstraße, die sich durch Silkwiesen zog und das Dorf in zwei Hälften teilte.

Dort kam er gerade zur rechten Zeit, um zu sehen, wie einige Dorfbewohner vor etwa einem Dutzend Männern und Frauen zu Pferde auf dem Boden lagen. Die Reiter waren allesamt in graue Kapuzenumhänge gewandet und knallten mit ihren langen Peitschen über die Rücken der Silkwiesener hinweg, um sie daran zu hindern, aufzustehen.

„…und in zwei Stunden habt ihr alles hierher gebracht, was auch nur einen Heller wert ist – jedes Huhn, jede Zinnschüssel, jede Münze!“, schrie die Anführerin gerade. Sie hatte einen darpatischen Akzent. „Und wenn ihr nicht spurt…“ – sie knallte mit der Peitsche – „werden wir den roten Hahn auf euren lausigen Tempel setzen und auf das Haus eines jeden, der sich widersetzt! Haben wir uns verstanden, Pack?“

Ängstlich drückten die Bauern ihre Gesichter in den Staub.

Die Peitsche tanzte auf und nieder. „Habt ihr es beim letzten Mal noch nicht kapiert? Ob wir uns verstanden haben, möchte ich wissen, ihr tumben Garetier?“

„Pardonniert’s“, ließ sich da plötzlich die angenehme Stimme des Vivar vernehmen, „die Garetier mögen Euer Gebrüll vielleicht verstanden haben, ich aber bin Almadaner und deshalb so groben Umgangston nicht gewohnt. Wenn Ihr also Eure Waffen niederlegten, Euch bei den Einwohnern Silkwiesens entschuldigen, ihnen ihren geraubten Besitz wiedergeben und ihre Wohnstätten wieder instand setzen könntet, würde man eventuell von einer Bestrafung solcher Impertinenz absehen können.“

Dorfbewohner und Reiter starrten den muskulösen jungen Mann in Jagdkleidung, der sein Ross nur 20 Schritt von ihnen entfernt auf dem Vorplatz des Traviatempels postiert hatte, mit offenem Mund an. Dann brachen letztere in schallendes Gelächter aus.

„Kerl, was schwafelst du da?“, brachte die Anführerin schließlich unter ihrer Kapuze hervor. „So schöne Burschen wie du sollten das Maul nicht so weit aufreißen, sonst könnte ganz schnell ein Unglück passieren! Steig ab und renn' davon, wenn du mit dem Leben davon kommen willst! Und sei froh, dass ich mir nur dein Pferd nehme und nicht deine Kleider!“

Zustimmendes Gejohle kam aus den Reihen der Reiter.

„Ich hatte eigentlich gedacht“, merkte Dom León mit leichtem Lächeln an, denn er hatte in den Augenwinkeln das Nahen Dom Linnarts und seiner Reiter bemerkt, „dass ich mich klar genug ausgedrückt hätte. Noch einmal für Euch, die Ihr offensichtlich schwer von Begriff seid: legt Eure Waffen nieder, bittet die Silkwiesener um Verzeihung für Euren unrühmlichen Auftritt, gebt ihnen das Geraubte wieder und helft ihnen beim Wiederaufbau ihres Dorfes – oder tragt die Konsequenzen.“ Während die Reiter wieder in schallendes Gelächter über den Witzbold, der es wagte, ein Dutzend Bewaffneter zu herauszufordern, ausbrachen, zog der Junker von Vivar unbemerkt einen Pfeil aus dem Köcher und legte ihn auf.

Dieses Mal rief ein kleiner Reiter neben der Anführerin, dessen schwarzer Bart unter der Kapuze hervorlugte: „Nee, du Schelm, jetzt verschwinde, bevor du anfängst, uns wütend zu machen! Wir haben heute noch besseres vor, als dein Gewäsch anzuhören!“

Dom León gab ihm keine Antwort. Stattdessen hob er den Arm, spannte den Bogen, zielte kurz und ließ dann die Sehne los. Seine monatelangen Übungen, mit denen er sich auf diesen Tag vorbereitet hatte, waren nicht umsonst gewesen. Der Pfeil sirrte kurz.

Einer der Reiter stürzte vom Pferd.

Verwundert blickte Anführerin erst auf das leere Ross, dann auf die Straße, wo sich sein Besitzer mit einem Pfeil in der Brust herumwälzte, dann wieder zu Dom León, der soeben den Bogen wieder verstaute. „He, er hat Jasold erwischt!“, rief sie schließlich in plötzlichem Erkennen. „Jetzt reicht’s! Macht ihn fertig, Leute!“

Darauf hatte der Vivar nur gewartet. Er zog den Degen und reckte ihn wie eine Lanze nach vorne. Mulaika einen sanften Schenkeldruck gebend, trieb er sie mit dem Schlachtruf „Feuer und Blut!“ auf die Reiter zu und ging zum Angriff über.

Sofort ließen die auch die Grauen ihre Peitschen los und zogen unter ihren Umhängen blitzende Schwerter hervor.

Mit der Geschwindigkeit einer Raubkatze hatte Dom León zweimal auf den Kleinen eingestochen, so dass dieser rücklings vom Pferd plumpste. „Schelmisch, nicht wahr? Vielleicht solltet Ihr Euch fürderhin lieber bodennah fortbewegen, Señor. Ihr seid ja kaum größer als ein Zwerg!“

Doch die Reiter ließen sich nicht weiter verspotten. Wütend drangen sie nun von allen Seiten auf Dom León ein und versuchten, ihn mit ihren Schwertern zu treffen.

Mulaika drehte sich auf der Stelle und verhinderte so, dass sie ihrem Herrn zu nahe kamen.

Trotzdem erhielt der Vivar einen scharfen Hieb in den Oberschenkel, der ihn die Zähne zusammenbeißen ließ. Er täuschte einen Angriff von oben an und rächte sich dann für den Hieb, indem er ebenfalls einen Oberschenkel durchbohrte. Hier, innerhalb des Kreises der Reiter, war er über kurz oder lang jedoch verloren, das wusste er. So ließ er sein wieherndes Pferd steigen und mit den Hufen ausschlagen.

Es knackte hässlich, als ein anderes Ross am Schädel getroffen wurde und ob der Schmerzen beinahe wahnsinnig wurde. Es bäumte sich auf und warf seine Reiterin ab. Als sie auf die Straße stürzte, rief jemand entgeistert: „Eine Falle! Es ist eine Falle!“

Und tatsächlich, da preschten mit gesenkten Lanzen die geharnischten Nordmärker heran, als gelte es, die Donnergöttin akustisch zu unterstützen!

Die Banditen, blitzschnell erkennend, dass sie gegen schwere Lanzer nicht den Hauch einer Chance hatten, wandten ihre Pferde gen Praios und wollten flüchten.

Gerade da jedoch tauchten der Creser und seine Mannen auf, vor denen die Dorfbewohner eilig und respektvoll Platz machten.

Dom León nutzte die augenblickliche Verwirrung unter den Plünderern um aus ihrem Kreis auszubrechen und sich zu den anderen Almadanern zu gesellen. „Ich hatte sie vor den Konsequenzen gewarnt, aber sie wollten nicht hören!“, rief er Dom Danilo zu und hob in einer Unschuldsgeste die Arme.

„Dann sollen sie eben fühlen!“, antwortete der Herr von Cres und preschte auf die verbliebenen zehn Reiter zu. „Dies ist eure letzte Chance, Euch zu ergeben und mit dem Strick davon zu kommen!“

Ob die Grauen so dumm oder tolldreist gewesen wären, weiter zu kämpfen, erfuhr man jedoch nicht mehr. Denn in diesem Moment fielen ihnen die sieben Nordmärker in den Rücken und beendeten den noch kaum begonnenen Kampf mit einem Paukenschlag. Reiter wurden von Lanzen durchbohrt, schrieen auf, purzelten durcheinander und gerieten unter ihre eigenen Pferde. Binnen weniger Minuten ließen alle überlebenden grauen Reiter ihre Schwerter fallen und ergaben sich der nun mehr als doppelten Übermacht.

„Schade“, raunte Dom Rondrigo seinem Viryamuner Freund zu. „Ich hätte diese Kapuzengesichter gerne noch ein bisschen vermöbelt. Aber León und die Nordmärker haben uns einfach alle Arbeit weggenommen.“

„Typisch Vivar“, lachte Dom Amaro und steckte seinen Säbel weg. „Ein unverbesserlicher Wüstling!“

Der Erwähnte, der gerade überwachte, wie der Dorfwirt und einige andere Dörfler die Grauen Reiter fesselten und ihre Verletzten ein bisschen versorgte, hörte seinen Namen und rief zurück: „Was frotzelst du wieder über mich, Amaro mío?“

„Er meinte, dass du auch ruhig hättest mit uns teilen können“, erwiderte Dom Rondrigo und deutete auf die toten Reiter.

„Ihr hättet ja früher kommen können! Typisch Braast, braucht immer lang…“, grinste der Caballero von Vivar und hatte damit gar nicht so unrecht.

„Vorsicht!“, drohte ihm der junge Braaster mit dem Säbel, lachte aber auch.

(2. Tsastunde)[Quelltext bearbeiten]

Wenige Stunden später waren die Briganten ihrer ordnungsgemäßen Bestimmung zugeführt worden und saßen, vom Dorfschmied in Eisen gelegt, im Keller der Schänke. Bewacht wurden sie von grimmigen Dörflern.

Dom Danilo hatte ein Standgericht einberufen, dem er zusammen mit Dom Linnart und der Dorfschulzin vorgesessen hatte. Nach allen Regeln der Kunst waren Zeugen befragt und die Angeklagten gehört worden, bevor man sich für die Kerkerstrafe und eine Botschaft an den Rat der Helden zu Gareth entschieden hatte. Alles hatte einen zwar beschleunigten, doch ordentlichen Gang genommen. Nun war die Gesellschaft der Magnaten wieder an die Brache zurückgekehrt.

Dom León nahm an, dass man nun mit dem Procedere des Duells fortfahren würde, doch der Baron von Cres trat an ihn heran und blickte ihn auf eine Art an, wie es nur Elfen konnten, und bei der man nicht wusste, ob sie einem bis auf den Grund der Seele schauten oder sie gerade stahlen. „Euer Nachbar, Herr Alrik de Braast“, hob er dann sanft an, „sprach mich Euretwegen an. Wisst Ihr, dass er große Stücke auf Euch hält? Er nannte sich einen Verlierer dieses Duelles, da es entweder mit dem Ableben eines schutzbefohlenen jungen Mannes ende oder mit dem eines alten Freundes. Ich nehme seine Sorge sehr ernst, wird ja auch bei mir die Zahl derer, die sich an vergangene Jahre erinnern, immer kleiner. Auch nannte er es einen Schaden für Almada und die Majoria. Das erscheint mir angesichts Eures beeindruckenden Einsatzes heute Nachmittag nicht falsch, so ich es recht bedenke. Es würde mir nichts ausmachen, mich einseitig als Verlierer dieser Begegnung zu erklären, Dom León. Doch allein, ich kann es mir wegen des Respektes nicht leisten. Denn täte ich es, müsste ich hernach den Boden mit noch viel mehr Blut düngen, als in Euren Adern fließt. Andererseits haben wir beide bewiesen, wie weit wir zu gehen bereit sind. Dass uns nichts hält. Dass wir aus vollem Herzen gewillt sind, den Weg zu Ende zu gehen. Es erscheint mir wie eine Formalität, nun herauszufinden, wer besser schießt, wem das Glück holder bei dem Trachten ist, dem anderen den Garaus zu machen. So wie ich es sehe, wäre der Ehre und Rondras Geboten genug getan, auch ohne diese letzte Formalität. Wollen wir nicht stattdessen gemeinsam tafeln?“

Verwirrt und erstaunt über die Worte des Barons und die plötzliche Wendung konnte der Vivar nur nicken und sich zu seinem Sessel zurückführen lassen. Der Duft frischgebackener Cressos und süßen Weins stieg ihm in die Nase und ließ ihn vergessen, dass er sich soeben noch in Lebensgefahr befunden hatte.




Chronik:1028
Das Duell in der Dämonenbrache